MinD-Mag 139

PRISMENFERNGLAS
HARTMUT BLESSING
Geschüttelt, gerührt
und noch mehr
Sprachspiele mit Ortsnamen.
L
auf an der Pegnitz – das
klingt wie ein Imperativ,
eine Befehlsform. Tatsächlich
ist es ein Ortsname. So lassen
sich viele „lustige Imperative“
mit Ortsnamen bilden: Bad' Essen!
Bad' König! Braun, schweig!
Geisel' Wind! Klau's Dorf! Leim's
Feld! Mal' Ente! Rode Wald! Salz'
Gitter! Schöne' Berg! Spar' Wiesen!
Springe! Unterjoch! Wag'
Häusel!
Manche Ortsnamen lassen
sich schütteln. Vertauscht man
die Silben von „Verden“, wird
„Denver“ daraus, aus „Tokio“
wird „Kioto“ und aus „Lemgo“
der „Golem“, ein Wesen aus der
jüdischen Mythologie mit sagenhaften
Kräften. Der Liedermacher
Heinz Rudolf Kunze hat
diese Spielerei aufgegriffen und
eines seiner Alben „Der Golem
aus Lemgo“ genannt.
Auch für Palindrome eignen
sich Ortsnamen. „In Nagold legen
Hähne Gold, log Anni.“ Dieser
Satz ist von vorne und hinten
(fast) gleich. Ebenso: „Nie
grub Ramses Marburg ein.“
„Eine treue Familie bei Lima feuerte
nie.“
Mit Ortsnamen lassen sich
ganze Sätze bilden. Hier einmal
ein Satz, bei dem vor dem jeweiligen
Ortsnamen die zugehörige
Postleitzahl steht: 51515 Dicke /
45300 Essen / 73079 Süßen /
73329 Kuchen. Oder der Satz:
42477 Grüne / 35390 Gießen /
96190 Lauter / 35440 Linden.
Besonders beliebt sind Spiele
mit dem Kraftfahrzeugkennzeichen,
ergiebig ist hier Hannover
mit „H“, beispielsweise H-AI,
H-AT, H-UT und H-IT, oder auch
„S“ für Stuttgart, mit S-EE, S-ET,
S-AH, S-EI oder S-OG. Nicht
weit von Stuttgart liegt Esslingen,
bei dem sich ES-EL oder die
biblischen ES-RA und ES-AU anbieten.
Esau soll seinem Bruder Jakob
sein Erstgeburtsrecht für
ein Linsengericht verkauft haben
und tatsächlich gibt es auch
einen Ort, der „Linsengericht“
heißt. Vielleicht kommt der
Name von der Rechtsprechung
unter einer Linde und änderte
PRISMENFERNGLAS
Warum Prismenfernglas?
Prismenfernglas steht für die
Buntheit des Lebens, vor allem der
Sprache — das Fernglas steht für den
Blick über den Tellerrand.
Unter dieser Rubrik erscheinen
regelmäßig Beiträge zu Sprachspielen
und Etymologie.
sich mit der Zeit. Etwa anderthalb
Autostunden von Linsengericht
entfernt liegt ein Ort namens
„Katzenelnbogen“. Auch
hier ist die Herkunft nicht ganz
klar. Entweder hieß das einmal
„Cattimellibocus“, lateinisch
für „Gebirge der Chatten“ (ein
germanischer Stamm), oder es
könnte wörtlich gemeint sein
und auf die Krümmung eines
Gewässers anspielen.
Kurios ist der Ortsname „Lederhose“
in Thüringen. Einst ein
slawischer Name, der „Ort des
Ludorad“ (Männername) bedeutete,
wurde er mit der Zeit zum
Kleidungsstück umgewandelt.
Die Lederhose hat es denn auch
in das Ortswappen geschafft.
Walter Hofmann dichtete: „In
Wassersuppe trinkt man Hühnerbrühe,
und selbst in Knoblauch
blüht mal der Jasmin, in
Ochsensaal steh'n eine Menge
Kühe, an Treibstoff mangelt's
auch mal in Benzin. … In Waldheim
wird nicht nur im Wald
gesessen, in Dümmer sind die
Menschen klug und schlau, in
Ahlbeck wird meist nur Aal
schwarzgegessen und selbst in
Rosa ist man manchmal blau. …“
mind magazin 139/dezember 2020 | 27