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MinD-Mag 139

Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V.

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eine psychiatrische Klinik gegangen<br />

bin. Dort wurde zum<br />

ersten Mal ein IQ-Test gemacht.<br />

Leider wurde mir dort nur mitgeteilt,<br />

dass ich überdurchschnittlich<br />

intelligent sei und<br />

ein Hirnschaden ausgeschlossen<br />

werden kann. „Sie sind halt<br />

einfach schwer depressiv!“ Damit<br />

war das Thema abgehakt.<br />

Weder die Aufenthalte in den<br />

Kliniken noch die Psychopharmaka,<br />

die ich irgendwann mit<br />

viel Widerwillen genommen<br />

habe, haben etwas gebracht. Ich<br />

wollte einfach nur noch, dass<br />

das aufhört! Die Ärzte haben<br />

mir geraten, das Snowboarden<br />

an den Nagel zu hängen und<br />

Trauerarbeit zu leisten. Kalter<br />

Entzug, sozusagen. Es war wirklich<br />

eine hoffnungslose Situation.<br />

Aus heutiger Sicht, wo ich etwas<br />

mehr von Hochbegabung<br />

weiß und verstanden habe, bin<br />

ich ehrlicherweise schockiert,<br />

wie wenig in der Psychiatrie darauf<br />

eingegangen wurde.<br />

Was meinst du: Inwiefern<br />

hat deine Hochbegabung<br />

eine Rolle gespielt?<br />

Ich denke mittlerweile, dass<br />

meine extrem intensive Wahrnehmung<br />

der Depression nicht<br />

Teil der psychiatrischen Diagnose,<br />

sondern meiner besonderen<br />

Wahrnehmung als Hochbegabte<br />

geschuldet war. Wenn man eine<br />

hohe geistige und emotionale<br />

Kapazität hat, kann das eben<br />

auch voll nach hinten los gehen.<br />

Da hätte man bestimmt besser<br />

darauf eingehen und meinen<br />

Leidensweg so vielleicht verkürzen<br />

können.<br />

Letztendlich hast du dich in<br />

Eigenregie aus diesem tiefen Loch<br />

befreit. Wie hast du das geschafft?<br />

Als ich im Dezember 2018 aus<br />

der Klinik kam, habe ich beschlossen:<br />

„Ich geh zurück in<br />

die USA, da ist es mir immer<br />

gut gegangen!“ Natürlich gab es<br />

dort auch keine Wunderheilung,<br />

aber schon ein paar Wochen<br />

später bin ich körperlich stärker<br />

geworden, habe angefangen,<br />

Snowboard zu fahren.<br />

Langsam ging es mir dann<br />

auch psychisch besser. Ich hatte<br />

endlich wieder Endorphine und<br />

Adrenalin im Blut. Für die Leute<br />

dort war ich immer noch die<br />

„alte“ Silvia, die Snowboarderin.<br />

Und da habe ich realisiert, dass<br />

es mir so schlecht ging, weil ich<br />

meine Identität verloren hatte.<br />

In den USA habe ich diese Stück<br />

für Stück zurückerobert. Ich<br />

fühlte mich im wahrsten Sinne<br />

des Wortes wie neu geboren,<br />

plötzlich war alles wieder schön<br />

und bunt in so unglaublich vielen<br />

Facetten.<br />

Bei mir ist es wohl einfach<br />

so, dass ich, bedingt durch die<br />

Hochbegabung, in beide Extreme<br />

ausschlagen kann. Und 2018<br />

ist eben einfach zu viel zusammen<br />

gekommen.<br />

Nach sechs Monaten bin ich<br />

mit gemischten Gefühlen nach<br />

„Ich bin Realistin, aber<br />

zugleich auch Träumerin.<br />

Das Leben bietet mir<br />

genügend Grauzonen, um<br />

mir meine eigene Träumer-<br />

Realität zu schaffen und<br />

ganz oft bringt mich diese<br />

Realität, wie ich sie mir<br />

vorstelle, zum Lachen.“<br />

SILVIA MITTERMÜLLER<br />

Deutschland zurückgekommen,<br />

ich hatte schon Bammel,<br />

dass es dann wieder in die andere<br />

Richtung kippt. Aber meine<br />

Befürchtungen waren umsonst.<br />

Ich habe mich allerdings<br />

auch sofort darum gekümmert,<br />

dass ich gleich wieder irgendwo<br />

snowboarden gehen kann.<br />

Das größte Learning aus dieser<br />

Zeit ist, dass mir meine Identität<br />

keiner nehmen kann; kein<br />

Verband dieser Welt, kein Arzt,<br />

kein noch so gut gemeinter Ratschlag.<br />

Im Februar diesen Jahres erschien<br />

ein Spiegel-Artikel, in dem Du<br />

offen über Deine Depression und<br />

das schwierige Verhältnis zum<br />

Snowboard-Verband sprichst.<br />

Warum bist du diesen Schritt an<br />

die Öffentlichkeit gegangen?<br />

Ich möchte meine Stimme dafür<br />

nutzen, dass sich meine Geschichte<br />

nicht wiederholt. Ich<br />

bin ja nicht die erste Athletin,<br />

die durch eine solche Phase<br />

geht. Bis zu 80 Prozent der<br />

Athleten erleiden post-olympische<br />

Depressionen. Auch das<br />

Karriereende ist für extrem viele<br />

Sportler eine überwältigende<br />

Situation; die wenigsten haben<br />

ein Sicherheitsnetz für die Zeit<br />

„danach“. Solange die Karriere<br />

noch läuft, gibt es ganz viel Förderung,<br />

damit es möglichst viele<br />

Medaillen regnet.<br />

Ich möchte, dass sich die Verbände<br />

und Funktionäre ihrer<br />

Verantwortung bewusst werden<br />

und die Sportler auch nach dem<br />

Karriereende nicht einfach fallen<br />

lassen wie eine heiße Kartoffel!<br />

Ich bin mir sicher, dass du mit<br />

deiner Geschichte auch vielen<br />

mind magazin <strong>139</strong>/dezember 2020 | 13

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