Buchrezension Hannes Rhiner (PDF 91 KB) - dwbox.ch
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<strong>Bu<strong>ch</strong>rezension</strong><br />
<strong>Hannes</strong> <strong>Rhiner</strong><br />
Praxis für Coa<strong>ch</strong>ing & Organisationsentwicklung<br />
hannes.rhiner@visias.<strong>ch</strong><br />
www.visia.<strong>ch</strong><br />
April 2007<br />
Rezensiertes Bu<strong>ch</strong>:<br />
Hans-Peter Unger, Carola Kleins<strong>ch</strong>midt:<br />
Bevor der Job krank ma<strong>ch</strong>t.<br />
Wie uns die heutige Arbeitswelt in die seelis<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>öpfung treibt und was man dagegen tun<br />
kann.<br />
Kösel-Verlag, Mün<strong>ch</strong>en, 2006<br />
ISBN: 978-3-466-30733-3<br />
„Es sind ni<strong>ch</strong>t mehr die Mas<strong>ch</strong>inen, die zusammenbre<strong>ch</strong>en, sondern die Mens<strong>ch</strong>en“, zitieren die<br />
Autoren in der Einleitung den internationalen Metallgewerks<strong>ch</strong>aftsbund (2001) und diagnostizieren<br />
depressive Erkrankungen als „Arbeitsunfall der Moderne“ (S. 33). Die si<strong>ch</strong> verändernde Arbeitswelt<br />
sowie die Zunahme depressiver Ers<strong>ch</strong>öpfungsers<strong>ch</strong>einungen sind denn au<strong>ch</strong> die thematis<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>werpunkte, wel<strong>ch</strong>e die beiden Autoren und Fa<strong>ch</strong>experten in ihrem Sa<strong>ch</strong>bu<strong>ch</strong> kompetent und<br />
fundiert, aber denno<strong>ch</strong> in einfa<strong>ch</strong> lesbarer und verständli<strong>ch</strong>er Form zu einander in Bezug bringen.<br />
Hans-Peter Unger (1955, Dr. med., Chefarzt für Psy<strong>ch</strong>iatrie und Psy<strong>ch</strong>otherapie) befasst si<strong>ch</strong> mit<br />
Depressionen aus psy<strong>ch</strong>otherapeutis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t und insbesondere mit den Zusammenhängen zur<br />
Arbeitswelt. Carola Kleins<strong>ch</strong>midt (1968, Diplombiologin und Journalistin) setzt si<strong>ch</strong> seit Jahren mit<br />
dem Thema Gesundheit und Arbeitswelt auseinander und gibt Seminare zum Thema Work-Life-<br />
Balance. Entspre<strong>ch</strong>end dem breiten fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Hintergrund der Autoren beruht der Bu<strong>ch</strong>inhalt auf<br />
fundierten theoretis<strong>ch</strong>en und erfahrungsbezogenen Grundlagen. Dieser Eindruck wird dur<strong>ch</strong> die<br />
umfangrei<strong>ch</strong>en Quellenverweise und ein sehr umfassendes Literaturverzei<strong>ch</strong>nis zusätzli<strong>ch</strong> verstärkt.<br />
Das Bu<strong>ch</strong> ist übersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> in se<strong>ch</strong>s aufeinander aufbauende Hauptkapitel unterteilt und wird dur<strong>ch</strong><br />
fünf vertiefende Exkurse zu den Themenberei<strong>ch</strong>en Depressionen und Stress ergänzt.<br />
Im Gegensatz zur inzwis<strong>ch</strong>en kaum übers<strong>ch</strong>aubaren Vielzahl von Fa<strong>ch</strong>- und Selbsthilfebü<strong>ch</strong>ern zu<br />
diesem Themenberei<strong>ch</strong>, hängen die Autoren ihr Werk ni<strong>ch</strong>t am überstrapazierten Begriff „Burnout“<br />
auf, sondern stellen diesen sorgfältig in einen weiteren Bezugsrahmen zwis<strong>ch</strong>en Arbeitswelt und<br />
seelis<strong>ch</strong>en Ers<strong>ch</strong>öpfungssymptomen. (Der Begriff der „seelis<strong>ch</strong>en“ Ers<strong>ch</strong>öpfung mag auf den ersten<br />
Blick etwas irritierend wirken und esoteris<strong>ch</strong>e Hintergründe vermuten lassen. Dem ist jedo<strong>ch</strong> kei-<br />
neswegs so. Damit wird ledigli<strong>ch</strong> die tiefe psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Betroffenheit gegenüber den besser erkenn-<br />
baren physis<strong>ch</strong>en Symptomen hervorgehoben.)<br />
Na<strong>ch</strong> einer ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Einführung in die Thematik wird in kompakt gehaltenen Kapiteln auf die<br />
folgenden Themens<strong>ch</strong>werpunkte eingegangen: Depression als Arbeitsunfall der Moderne, Auswir-<br />
kungen der Individualisierung und Globalisierung auf die heutigen Arbeitsbedingungen, Differenzie-<br />
rung zwis<strong>ch</strong>en gesundem und krankma<strong>ch</strong>endem Stress, die Ers<strong>ch</strong>öpfungsspirale (als Kernmodelle<br />
des Bu<strong>ch</strong>es), der Balanceakt zur Erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden sowie Aspekte eines<br />
gesunden Unternehmens. Die zusätzli<strong>ch</strong>en Exkurse vertiefen folgende Themen: die Erkennung von<br />
Depressionen (unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>weregrade anhand körperli<strong>ch</strong>er und seelis<strong>ch</strong>er Primär- und Se-<br />
kundärsymptome), die historis<strong>ch</strong>e Entwicklung und Bedeutung von Depressionen (mit der originel-
<strong>Hannes</strong> <strong>Rhiner</strong> – Praxis für Coa<strong>ch</strong>ing & Organisationsentwicklung<br />
len Fragestellung und na<strong>ch</strong>vollziehbaren Begründung, ob Steinzeitmens<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on depressiv<br />
waren), Ursa<strong>ch</strong>en und Behandlungsmögli<strong>ch</strong>keiten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Stresstypen sowie Mögli<strong>ch</strong>kei-<br />
ten zum Umgang mit und zur Behandlung von depressiven Erkrankungen.<br />
Bis vor wenigen Jahren standen unfallbedingte Risiken und physis<strong>ch</strong>e Belastungen (Muskel- und<br />
Skeletterkrankungen) im Vordergrund gesundheitli<strong>ch</strong>er Aspekte der Arbeitswelt. Mit den heutigen<br />
Arbeitsbedingungen, die geprägt sind dur<strong>ch</strong> Tempo, permanente Veränderung, Verdi<strong>ch</strong>tung, Flexi-<br />
bilität (Deregulation von Zeit und Raum), Unsi<strong>ch</strong>erheit und hohe soziale Ansprü<strong>ch</strong>e, nehmen seeli-<br />
s<strong>ch</strong>e Belastungen und Erkrankungen markant zu. Die Autoren belegen dies glaubwürdig anhand<br />
vers<strong>ch</strong>iedenster Erhebungen und folgern daraus: „Alle Zei<strong>ch</strong>en deuten darauf hin, dass die moder-<br />
ne Gesells<strong>ch</strong>aft, und vor allem die heutige Arbeitswelt, immer mehr Mens<strong>ch</strong>en aus dem seelis<strong>ch</strong>en<br />
Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t bringt“ (S. 15). Ohne in eine tendenziöse Polemik zu verfallen, werden vers<strong>ch</strong>iedene<br />
wirts<strong>ch</strong>afts- und insbesondere Kapitalismus-kritis<strong>ch</strong>e Aussagen zitiert, wie z.B.: „Diktat der Öko-<br />
nomie, Ohnma<strong>ch</strong>t der Politik gegenüber einer globalen Wirts<strong>ch</strong>aft“ (S. 15 f., G. Grass) oder „Ohne<br />
den Kapitalismus können wir ni<strong>ch</strong>t leben, aber mit ihm können wir es kaum aushalten“ (S. 16, K.<br />
Marx). Einhergehend mit den erhöhten Anforderungen bietet die moderne Arbeitswelt dagegen<br />
au<strong>ch</strong> ganz neue Mögli<strong>ch</strong>keiten und Freiheiten für die berufli<strong>ch</strong>e und persönli<strong>ch</strong>e Entwicklung und<br />
Entfaltung. Diese neu gewonnenen Freiheiten erhöhen jedo<strong>ch</strong> die Selbstverantwortung jedes Ein-<br />
zelnen, bringen oft Verunsi<strong>ch</strong>erung und Orientierungslosigkeit mit si<strong>ch</strong> und können si<strong>ch</strong> damit zu-<br />
sätzli<strong>ch</strong> belastend auf das psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wohlbefinden auswirken. All diese Aussagen zeigen deutli<strong>ch</strong><br />
auf, in wel<strong>ch</strong>em Dilemma si<strong>ch</strong> die Diskussion bewegt, die im vorliegenden Bu<strong>ch</strong> in sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Form<br />
aus primär gesundheits-psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Perspektive weiter untersu<strong>ch</strong>t wird.<br />
Vor diesem Hintergrund gehen die Autoren weiter auf soziale und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>en von<br />
Depressionen ein und heben diese gegenüber den zumeist in den Mittelpunkt gestellten individuel-<br />
len Veranlagungen hervor. In einem kurzen historis<strong>ch</strong>en Rückblick werden die zunehmenden Ten-<br />
denzen der Individualisierung einerseits und der Globalisierung andrerseits untersu<strong>ch</strong>t und belegt.<br />
Sie prägen unser Alltagsleben und insbesondere die Arbeitswelt. Dur<strong>ch</strong> den Wegfall klarer äusserer<br />
Strukturen und Normen entsteht eine Verunsi<strong>ch</strong>erung oder gar eine Orientierungslosigkeit. Dies<br />
erfordert die Definition eigener Referenzwerte und die immer wiederkehrende Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einer<br />
eigenen Orientierung in einem si<strong>ch</strong> permanent wandelnden Umfeld. Darin kann zuglei<strong>ch</strong> eine neue<br />
Form der persönli<strong>ch</strong>en Souveränität gesehen werden. Diese erfordert jedo<strong>ch</strong> einen Zustand ständi-<br />
ger Aufmerksamkeit, ein hohes Mass an Eigeninitiative, Kreativität und Flexibilität - die wiederum<br />
einen hohen Stresspegel auslösen können und oft den Einstieg in die Ers<strong>ch</strong>öpfungsspirale bilden.<br />
Am Arbeitsplatz werden diese Auswirkungen der neu gewonnen Souveränität, die si<strong>ch</strong> aus der Par-<br />
allelität von Individualisierung und glei<strong>ch</strong>zeitiger Globalisierung ergibt, besonders stark spürbar.<br />
Den Autoren gelingt es auf prägende Veränderungen der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Strukturen und die dar-<br />
aus resultierende Diskrepanz zu den beständigen Orientierungsbedürfnissen des Individuums hin-<br />
zuweisen und den Bezug zu den depressiven Erkrankungen herzustellen, ohne dabei die „guten<br />
alten Zeiten“ zu idealisieren.<br />
Eine zentrale Rolle als Verursa<strong>ch</strong>er depressiver Symptome wird dem Thema Stress eingeräumt. In<br />
sehr kompakter Form bes<strong>ch</strong>reiben die Autoren die zentralen physiologis<strong>ch</strong>en Prozesse, wel<strong>ch</strong>e in<br />
Stresssituationen automatis<strong>ch</strong> in Gang gesetzt werden und nehmen eine Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en<br />
gesunden und krank ma<strong>ch</strong>enden Stressreaktionen vor. Der Laie mag an dieser Stelle mit den bio-<br />
<strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Einzelheiten etwas überfordert sein, die Kernprozesse kommen dabei aber genügend<br />
klar zum Ausdruck: Der Mens<strong>ch</strong> ist mit einem überlebenswi<strong>ch</strong>tigen biologis<strong>ch</strong>en Regelsystem für<br />
kurzfristige Stresssituationen ausgerüstet (Gefahren), das bei Normalisierung na<strong>ch</strong> kurzer Zeit<br />
wieder in eine natürli<strong>ch</strong>e Homöostase zurückgeführt wird. Bei Dauerstress hingegen, wie er gerade<br />
in der Arbeitswelt immer häufiger auftritt, kann diese Rückführung in ein gesundes Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr stattfinden und führt zu längerfristigen Ers<strong>ch</strong>öpfungs- und Erkrankungssymptomen. Das<br />
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<strong>Hannes</strong> <strong>Rhiner</strong> – Praxis für Coa<strong>ch</strong>ing & Organisationsentwicklung<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Stressbewältigungsvermögen ist ni<strong>ch</strong>t für Dauerstress ausgelegt, und die für eine Re-<br />
generation erforderli<strong>ch</strong>en Entspannungsphasen fehlen in der Regel. Trotz der gemeinsamen biologi-<br />
s<strong>ch</strong>en Grundlagen reagieren Mens<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong> sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> auf Stresssituationen. Das<br />
Stresssystem wird zuglei<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> individuelle genetis<strong>ch</strong>-biologis<strong>ch</strong>e Faktoren sowie dur<strong>ch</strong> die per-<br />
sönli<strong>ch</strong>e psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Entwicklung geprägt. Entspre<strong>ch</strong>end lassen si<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Stresstypen<br />
unters<strong>ch</strong>eiden. Die Erläuterungen dazu ermögli<strong>ch</strong>en es dem Leser, si<strong>ch</strong> in der einen oder anderen<br />
Ausprägung wiederzufinden und sein persönli<strong>ch</strong>es Stressveralten zu hinterfragen und besser zu<br />
verstehen – ein wi<strong>ch</strong>tiger S<strong>ch</strong>ritt zur Prävention, wel<strong>ch</strong>e die Autoren mit ihrem Bu<strong>ch</strong> explizit an-<br />
streben.<br />
Im Zusammenhang mit dem Thema Dauerstress bringen die Autoren nun au<strong>ch</strong> den „Burnout“-<br />
Begriff ein, nehmen eine Differenzierung vor und stellen dabei klar, dass Burnout trotz hoher Popu-<br />
larität kein wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> definierter Begriff und kein offizielles Krankheitsbild ist. Sie halten si<strong>ch</strong><br />
an eine Definition von H. Kolitzus und ums<strong>ch</strong>reiben Burnout als einen si<strong>ch</strong> langsam entwickelnden<br />
Prozess, „der geprägt ist von starker körperli<strong>ch</strong>er und/oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er Ers<strong>ch</strong>öpfung, von Negati-<br />
vismus und Zynismus gegenüber si<strong>ch</strong> selbst, den Mitmens<strong>ch</strong>en und der eigenen Arbeit – und einem<br />
Gefühl von Sinnlosigkeit und Ineffektivität“ (s. 76). Das Auftreten von Burnout ist weniger von der<br />
Art der Arbeit, als von der persönli<strong>ch</strong>en Haltung, der inneren Motivation und von Blockaden abhän-<br />
gig. Trotzdem gibt es Arbeitsformen, wel<strong>ch</strong>e die Gefahr des Burnouts verstärken. Analog zur<br />
Stressthematik werden au<strong>ch</strong> hier unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Burnout-Typen grob ums<strong>ch</strong>rieben. Zusätzli<strong>ch</strong><br />
erfolgt eine Unterteilung des Burnout-Prozesses in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Phasen mit zugehörigen Erken-<br />
nungsmerkmalen. Typis<strong>ch</strong>e Burnout-Symptome sind jenen der Depressionen sehr ähnli<strong>ch</strong>, wie z.B.<br />
Antriebsmangel, Energie- und Motivationsverlust, körperli<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>werden, niedergedrückte bis<br />
verzweifelte Stimmung bis hin zu Suizidgedanken (S. 80). Während Depressionen in jedem Le-<br />
benskontext auftreten können, wir Burnout hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit dem Arbeits- bzw. Berufsumfeld in<br />
Verbindung gebra<strong>ch</strong>t. An dieser Stelle gehen die Autoren au<strong>ch</strong> kurz auf die Thematik „Mobbing“<br />
ein, was im ersten Moment etwas irritierend ers<strong>ch</strong>einen mag. Mobbing ist ebenfalls ein in der Ar-<br />
beitswelt oft angetroffenes Phänomen, das zu sehr ähnli<strong>ch</strong>en Symptomen wie Depressionen oder<br />
Burnout führen kann, als Ursa<strong>ch</strong>e jedo<strong>ch</strong> eine Konfliktsituation (im Arbeitsumfeld) hat.<br />
Die Kernaussage des Bu<strong>ch</strong>es geht dahin, dass sowohl Ers<strong>ch</strong>öpfungsdepressionen, Burnout, als au<strong>ch</strong><br />
Mobbing unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>en von Dauerstress zugrunde liegen, dass sie aber ähnli<strong>ch</strong>e Ent-<br />
wicklungsverläufe haben und alle drei s<strong>ch</strong>lussendli<strong>ch</strong> zu einer manifesten Depression führen kön-<br />
nen. Als gemeinsamer Nenner wird somit der (Dauer-) Stress identifiziert, der beim Fehlen geeig-<br />
neter Verhaltensstrategien zu depressiven Erkrankungen führen kann. Die Autoren fassen diese<br />
Zusammenhänge unter dem Begriff „Ers<strong>ch</strong>öpfungsdynamik“ zusammen (S. 84), die sie im Modelle<br />
der „Ers<strong>ch</strong>öpfungsspirale“ systematis<strong>ch</strong> und einfa<strong>ch</strong> verständli<strong>ch</strong> illustrieren (S. 96 ff.). Über drei<br />
ineinander übergehende Stufen hinweg (erste Ers<strong>ch</strong>öpfungssymptome, Verhaltensänderungen,<br />
Ers<strong>ch</strong>öpfung) werden die zunehmend gravierenden Ers<strong>ch</strong>einungsbilder der Ers<strong>ch</strong>öpfungsspirale bis<br />
hin zur manifestierten Depression ausführli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieben. Sie können bis zu einem gewissen Grad<br />
als Selbstdiagnoseinstrument verwendet werden. Die sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-theoretis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>reibungen wer-<br />
den mit Fallbeispielen aus der eigenen Beratungspraxis verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t und damit gut na<strong>ch</strong>voll-<br />
ziehbar.<br />
Die Autoren weisen wiederholt darauf hin, dass die Ers<strong>ch</strong>öpfungsdynamik ni<strong>ch</strong>t nur ein Thema be-<br />
reits erkrankter Mens<strong>ch</strong>en ist, sondern dass si<strong>ch</strong> jeder in diesem Spannungsfeld von konstruktiver<br />
Herausforderung (neu gewonnene Souveränität!) und krankma<strong>ch</strong>endem Dauerstress befindet. So<br />
werden si<strong>ch</strong> denn au<strong>ch</strong> die meisten Leser bei einigen der bes<strong>ch</strong>riebenen Symptomen und Verhal-<br />
tensmustern wiedererkennen! Der Ers<strong>ch</strong>öpfungsspirale ist man jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hilflos ausgeliefert.<br />
Dur<strong>ch</strong> bewusste Reflexion über das eigene Arbeitsverhalten und dur<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tzeitige Aneignung pas-<br />
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<strong>Hannes</strong> <strong>Rhiner</strong> – Praxis für Coa<strong>ch</strong>ing & Organisationsentwicklung<br />
sender Verhaltensstrategien kann dem Abwärtssog entgegen gewirkt werden – je früher, desto<br />
besser!<br />
In einem Exkurs wird auf die vielfältigen Ursa<strong>ch</strong>en von Depressionen (genetis<strong>ch</strong>e Disposition, „bio-<br />
logis<strong>ch</strong>e Narben“ bedingt dur<strong>ch</strong> belastende Kindheits-/Jugenderlebnisse, körperli<strong>ch</strong>e/organis<strong>ch</strong>e<br />
Ursa<strong>ch</strong>en, psy<strong>ch</strong>osoziale Stressoren) und auf deren Behandlungsmögli<strong>ch</strong>keiten eingegangen. Dabei<br />
betonen die Autoren, dass au<strong>ch</strong> Depressionen mit guten Erfolgs<strong>ch</strong>ancen behandelt werden können.<br />
Je na<strong>ch</strong> Ursa<strong>ch</strong>e und S<strong>ch</strong>were der Depression stehen medikamentöse und/oder psy<strong>ch</strong>otherapeuti-<br />
s<strong>ch</strong>e Methoden im Vordergrund. Die wi<strong>ch</strong>tigsten psy<strong>ch</strong>otherapeutis<strong>ch</strong>en Ansätze werden kurz be-<br />
s<strong>ch</strong>rieben und vor allem als Mittel gegen Rückfälle empfohlen. Aber au<strong>ch</strong> die Bedeutung des sozia-<br />
len Umfelds, insbesondere die Rolle der Partners<strong>ch</strong>aft, wird hervorgehoben. Da in der Arbeitswelt<br />
Depressionen weitgehend ein Tabu-Thema sind, werden Anregungen gegeben, wie sie angemessen<br />
thematisiert werden können.<br />
„Damit der Job ni<strong>ch</strong>t krank ma<strong>ch</strong>t“, geben die Autoren dem Leser persönli<strong>ch</strong>e Leitfragen zu seiner<br />
Lebens- und Arbeitseinstellung mit und illustrieren anhand von Interviews mit vier völlig unter-<br />
s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Persönli<strong>ch</strong>keiten aus vers<strong>ch</strong>iedensten Berufen, wie individuell der Umgang mit diesen<br />
Fragen ausfallen kann. Zusammenfassend betonen die Autoren die Fähigkeit zur Selbstreflexion,<br />
wel<strong>ch</strong>e viel wi<strong>ch</strong>tiger ist als das alleinige Erlernen von Kompetenzen für Zeit-, Stress- oder Selbst-<br />
management, die letztli<strong>ch</strong> zu einer weiteren Verdi<strong>ch</strong>tung der Arbeit und zu einer verstärkten An-<br />
passung an diese führen.<br />
Ergänzend zu den gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und individuellen Betra<strong>ch</strong>tungen der arbeitsbedingten seeli-<br />
s<strong>ch</strong>en Ers<strong>ch</strong>öpfung, wird im letzten Kapitel auf die Verantwortung der Unternehmen eingegangen,<br />
denn „gesunde Unternehmen sind die Basis einer gesunden Gesells<strong>ch</strong>aft“ (S. 159). Wo es bezügli<strong>ch</strong><br />
gesunder Arbeitsbedingungen in vielen Unternehmen kränkelt und mit wel<strong>ch</strong>en Ansätzen zu einer<br />
Gesundung der Unternehmen beigetragen werden kann, wird au<strong>ch</strong> an dieser Stelle in sorgfältig<br />
re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>ierter und statistis<strong>ch</strong> abgestützter Form erörtert. Neben kritis<strong>ch</strong>en Arbeitsbedingungen<br />
werden au<strong>ch</strong> positive Firmenbeispiele erwähnt. S<strong>ch</strong>lussendli<strong>ch</strong> kann die Problematik im Unterneh-<br />
men aber nur mit einem abgestimmten Gesundheitsmanagement-Programm und ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong><br />
punktuelle Einzelmassnahmen wirksam angegangen werden. Erst dann wirkt si<strong>ch</strong> der Nutzen na<strong>ch</strong>-<br />
haltig für die einzelnen Mitarbeitenden, aber au<strong>ch</strong> für das Unternehmen als ganzes aus.<br />
Angewandte Theorie, Erfahrungswissen, thematis<strong>ch</strong>e Verknüpfungen sowie auflockernde Beispiele<br />
führen zu einer gelungenen Balance zwis<strong>ch</strong>en wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> fundiertem Wissen, praktis<strong>ch</strong>er An-<br />
wendung und originellen Seitensprüngen zum Tabu-Thema „arbeitsbedingte Depressionen“. Das<br />
Bu<strong>ch</strong> soll ein Präventionsbu<strong>ch</strong> sein und ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> somit an eine breite Lesers<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> mit<br />
dem Trendthema „Burnout“ in einem breiten und fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gut fundierten Rahmen auseinander set-<br />
zen will oder muss. Wirts<strong>ch</strong>afts- und gesells<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>e sowie unternehmeris<strong>ch</strong>e Aspekte wer-<br />
den mit psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en Erkenntnissen zu Depression und Stress in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t und auf<br />
deren Abhängigkeit hin beurteilt. Das Bu<strong>ch</strong> vermittelt wi<strong>ch</strong>tige Hintergrundinformationen, die einen<br />
kompetenteren Umgang mit dieser komplexen Thematik ermögli<strong>ch</strong>en, ohne dabei illusoris<strong>ch</strong>e Pa-<br />
tent- und S<strong>ch</strong>nelllösungen zu verspre<strong>ch</strong>en.<br />
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