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Die neue Macht der Moral

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

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<strong>Moral</strong><br />

In diesem Zusammenhang verpflichten<br />

wir uns, die Sprache und Ikonographie<br />

von mehr als 400 Unilever-Marken zu<br />

überprüfen.“<br />

Es gibt aber auch Unternehmen, die den<br />

Trend aktiv bespielen und Wi<strong>der</strong>spruch<br />

in Kauf nehmen: Ganz aktuell etwa die<br />

Hamburger Brausebrauer von fritz-kola:<br />

Mit dem Slogan „Zwei Nullen. Eine<br />

schmeckt.“ und einer Karikatur von<br />

US-Präsident Donald Trump bewerben<br />

sie ihr zuckerfreies Getränk. Mit Erfolg:<br />

<strong>Die</strong> Hamburger ernteten im Netz<br />

zunächst Kritik, dann aber viel Lob, das<br />

nennt sich dann „Candystorm“, und viel<br />

wichtiger: reichlich Aufmerksamkeit.<br />

Wo Woke en vogue ist<br />

Damit stellt sich die Frage: Muss ein<br />

Unternehmen überhaupt Haltung bei<br />

gesellschaftspolitischen Fragen zeigen?<br />

Ja, findet <strong>der</strong> Präsident des Österreichischen<br />

Werberats, Michael Straberger:<br />

„Werbung trägt soziale Verantwortung<br />

und muss auf die Rechte, Interessen und<br />

Gefühle von Einzelnen und Gruppen<br />

von Menschen Rücksicht nehmen.“ Experten<br />

sprechen hier von einer Haltung,<br />

die „woke“ ist (woke heißt zu deutsch<br />

wachsam; hier: gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten).<br />

Aber wie ist es dann eigentlich, wenn<br />

Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung<br />

schnöde für ihre Werbung nutzen?<br />

Wenn Empathie als „Conversion<br />

Rate“ im Marketing gemessen wird? In<br />

einem Gastbeitrag im Guardian schreibt<br />

Owen Jones: „Kein Unternehmen wird<br />

eine Werbekampagne starten, wenn es<br />

glaubt, Geld zu verlieren. Daher wird<br />

jedes auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete<br />

Marketing per Definition in erster<br />

Linie von Geld angetrieben.“ Damit<br />

beschreibt Jones sehr gut den schmalen<br />

Grat zwischen „woke“ und „woke washing“.<br />

Journalismus: Vom Beobachter zum<br />

Mitstreiter<br />

Medien berichten bekanntlich gern über<br />

alles und jeden. Eher selten ist dagegen,<br />

dass sie mit Inneneinsichten in die<br />

Öffentlichkeit treten. <strong>Die</strong>sen Sommer<br />

war jedoch <strong>der</strong> Rücktritt des leitenden<br />

Meinungsredakteurs <strong>der</strong> New York<br />

Times, James Bennett, und <strong>der</strong> angesehenen<br />

Journalistin Bari Weiss ein<br />

brancheninternes Beben, das dann doch<br />

auch nach außen drang.<br />

Auch hier ging es wie<strong>der</strong> um die Frage:<br />

Was darf ich noch sagen? Das war,<br />

an<strong>der</strong>s als bei David Guettas Antwort,<br />

keine Frage des Mutes, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> publizierten<br />

Meinung und damit <strong>der</strong> Rolle<br />

des Journalismus. <strong>Die</strong> hat Meredith Haaf<br />

in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung sehr gut seziert:<br />

In den Redaktionen treffen heute<br />

zwei Arten von Journalisten aufeinan<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> einen wollen „die Richtigen“ zu<br />

Wort kommen lassen. Nach dem Motto<br />

„Haltung statt Fakten“ wollen sie aktiv<br />

zu sozialer Verän<strong>der</strong>ung beitragen, indem<br />

sie sozial Benachteiligte und Min<strong>der</strong>heiten<br />

in den Vor<strong>der</strong>grund stellen.<br />

Eine (gen<strong>der</strong>-)sensible Sprache gehört<br />

für sie ebenso dazu wie die gezielte<br />

Konstruktion <strong>der</strong> Kernbotschaften.<br />

„Constructive Journalism“ ist gerade im<br />

Nachhaltigkeitsbereich ein verbreitetes<br />

Phänomen.<br />

<strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e Gruppe wie<strong>der</strong>um setzt auf<br />

das Konzept <strong>der</strong> ausgewogenen Berichterstattung.<br />

Alle Seiten, im Zweifel auch<br />

die unsinnigen, kommen zu Wort, und<br />

das Urteil muss sich <strong>der</strong> Rezipient schon<br />

noch selbst bilden. Der Zeit-Journalist<br />

Jochen Bittner bringt diese Haltung auf<br />

den Punkt, wenn er schreibt: „Der Kampf<br />

von Journalisten – um es pathetischer<br />

zu formulieren – für Freiheit, Wahrheit<br />

und Gerechtigkeit besteht nicht im politischen<br />

Aktivismus für diese Werte, son<strong>der</strong>n<br />

in <strong>der</strong> kritischen Wacht über alle<br />

politisch Aktiven.“<br />

<strong>Die</strong> Gruppe <strong>der</strong> sozialen Mitstreiter, so<br />

Meredith Haaf, ist in <strong>der</strong> Regel nach<br />

1980 geboren. <strong>Die</strong> Gruppe <strong>der</strong> neutralen<br />

Beobachter davor. Der Streit bezieht sich<br />

dabei gar nicht so sehr auf die Nachrichtenselektion<br />

als Prinzip, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en<br />

Weiterverarbeitung. Der Publizistikforscher<br />

Bernd Blöbaum beobachtet,<br />

dass das „Gatekeeping“ – also die >><br />

Muss ein<br />

Unternehmen<br />

überhaupt<br />

Haltung bei<br />

gesellschaftspolitischen<br />

Fragen zeigen?<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

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