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Die neue Macht der Moral

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

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<strong>Moral</strong><br />

Überall wird<br />

Eindeutigkeit<br />

gefor<strong>der</strong>t.<br />

Da ist kein<br />

Platz mehr für<br />

Ambivalenz.<br />

Was darf ich noch sagen?<br />

Das Thema „Was darf man noch sagen?“<br />

ist garantierter Twitter-Trendstoff und<br />

heizt jede Diskussion an. Der Musiker<br />

David Guetta sagt im Zeitungs-Interview:<br />

„Durch Social Media hat nun je<strong>der</strong><br />

Angst, etwas zu sagen, das vielleicht jemanden<br />

beleidigt, <strong>der</strong> es missversteht.<br />

So will am Ende niemand mehr etwas<br />

sagen, aus Furcht vor einem möglichen<br />

Backlash.“ Also lieber schweigen als<br />

einen Shitstorm riskieren? Missverständnisse<br />

sorgen tatsächlich stets für<br />

Irritationen, und damit umzugehen,<br />

will gelernt sein. Eine Tugend, die in<br />

diesen Tagen schwindet. Überall wird<br />

Eindeutigkeit gefor<strong>der</strong>t. Da ist kein<br />

Platz mehr für Ambivalenz. Alles wird<br />

durch Sprachge- und -verbote glattgestrichen.<br />

Eine offene Gesellschaft muss<br />

aber Mehrdeutigkeiten aushalten, findet<br />

Deniz Yücel und warnt vor einer Tipp-<br />

Ex-Kultur.<br />

Der folgende Beitrag gibt essayartig Einblick<br />

in Denkmuster wichtiger Akteure,<br />

ihre Motivationen und daraus abgeleitet<br />

die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Handlungsmöglichkeit,<br />

wenn wir unseren Kopf und nicht<br />

den Bauch entscheiden lassen, und im<br />

Zweifel auch Bauchschmerzen wegen<br />

Mehrdeutigkeiten in Kauf nehmen, wie<br />

Deniz Yücel uns rät. Außen vor bleibt<br />

dabei die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Moral</strong>philosophie,<br />

<strong>der</strong> darüberstehenden Ethik und<br />

das nicht gerade kleine Teilkapitel <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsethik. Stattdessen schauen<br />

wir erst mal auf „klassische Akteure“,<br />

die da sind: Wirtschaft, Politik und<br />

Journalismus. Und dann schauen wir<br />

auf vergleichsweise „<strong>neue</strong> Akteure“ wie<br />

etwa Blogger und Aktivisten. Sie bringen<br />

einen Aspekt in die Diskussion, <strong>der</strong><br />

zwar nicht neu ist, aber so radikal formuliert<br />

wird, dass er fast alles än<strong>der</strong>t:<br />

Der Streit um Identität.<br />

Wirtschaft: <strong>Moral</strong> als Imagefrage<br />

Der britische Rennfahrer Lewis Hamilton<br />

erregte kürzlich beim Großen Preis<br />

<strong>der</strong> Toskana Aufsehen: Erstens gewann<br />

er (mal wie<strong>der</strong>), und zweitens trug er dabei<br />

ein T-Shirt mit <strong>der</strong> Aufschrift „Arrest<br />

the cops who killed Breonna Taylor“.<br />

<strong>Die</strong> Afro-Amerikanerin wurde von Polizisten<br />

erschossen und ist eine <strong>der</strong> Symbolfiguren,<br />

für <strong>der</strong>en Rechte die „Black<br />

Lives Matter“-Bewegung streitet. Lewis<br />

Hamilton hat mit dem Shirt <strong>der</strong> Idee von<br />

Opinion-Wear, also Meinung über Mode,<br />

globale Aufmerksamkeit verschafft und<br />

durch die dazugehörigen Tweeds an<br />

seine fast sechs Millionen Follower die<br />

mediale Verbreitung gleich mitgeliefert.<br />

Hamiltons Aktion ist ein gutes Beispiel<br />

dafür, dass <strong>der</strong> gute alte Satz „Ein Bild<br />

sagt mehr als tausend Worte“ heute eigentlich<br />

lauten sollte: „Ein Bild mit Caption<br />

o<strong>der</strong> besser noch Hashtag sagt mehr<br />

als tausend Worte“. Botschaften, die<br />

selbsterklärend sind, punkten schneller<br />

bei <strong>der</strong> ständig abgelenkten Zielgruppe<br />

junger Menschen.<br />

<strong>Die</strong> Black Lives Matter-Bewegung ist ein<br />

gutes Beispiel dafür, wie in <strong>der</strong> aktuellen<br />

Antirassismus-Debatte nicht nur Politiker,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem auch Unternehmen<br />

(zu Recht) unter Druck geraten: Der<br />

Mars-Konzern benennt seine Reismarke<br />

Uncle Ben’s um in „Ben’s Original“ und<br />

lässt das bekannte Gesicht von <strong>der</strong> Verpackung<br />

verschwinden. <strong>Die</strong> chinesische<br />

Zahnpastamarke „Darkie“ heißt jetzt<br />

„Darlie“. Und wer im Regal nach <strong>der</strong><br />

„Zigeunersauce“ von Knorr sucht, sollte<br />

künftig bei „Paprikasauce Ungarische<br />

Art“ zugreifen.<br />

Das Beispiel „Eskimo Pie“, hierzulande<br />

bekannt als Nogger, zeigt zudem auf,<br />

wie kompliziert Markengestaltung in<br />

mo<strong>der</strong>nen Zeiten werden kann. „Eskimo“<br />

– ein böses Wort? Ja, finden die indigenen<br />

Völker <strong>der</strong> Inuit, Yupik und Inupiat.<br />

Der Begriff sei nämlich dem Wort<br />

für „Rohfleischesser“ entlehnt. Sperrig<br />

wird es in <strong>der</strong> Praxis, weil die Inuit<br />

nicht als Yupik, Inupiat nicht als Inuit<br />

und Yupik nicht wie die beiden an<strong>der</strong>en<br />

genannt werden wollen. Vielfalt ist nicht<br />

einfach. Der Konzern Unilever will sein<br />

Eis verkaufen und wählt deshalb den<br />

Weg des geringsten Wi<strong>der</strong>standes. Auf<br />

Anfrage von ORF.at heißt es: „Wir machen<br />

uns als Unternehmen seit langem<br />

für Vielfalt in all ihren Formen stark.<br />

8 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de

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