13.11.2020 Aufrufe

Die neue Macht der Moral

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Moral</strong><br />

Foto: Alina Rosanova / stock.adobe.com<br />

Von Susanne Kippenberger<br />

Paris Hilton würde hier nicht<br />

hinpassen: Im Netzwerk<br />

„Pecunia“ organisieren sich<br />

Frauen, die schwer am<br />

Reichtum zu tragen haben.<br />

Ein Blick hinter die Kulissen.<br />

<strong>Die</strong> wenigsten wissen, dass Sophie<br />

Haupt Millionärin ist. Sie arbeitete Jahrzehnte<br />

in einem bodenständigen Beruf<br />

und befindet sich jetzt im Ruhestand,<br />

die meisten ihrer Freunde hatten wenig<br />

Geld. Als ihr Vater, ein Mann „mit Händchen<br />

für die Börse“ und großem Sicherheitsbedürfnis<br />

Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

starb, erbten sie und ihr Bru<strong>der</strong> Aktien,<br />

Immobilien und Bares. Ihr Bru<strong>der</strong> hatte<br />

keine Probleme damit. Sie schon.<br />

<strong>Die</strong> Anfang 70-Jährige sitzt im Esszimmer<br />

ihrer Berliner Altbauwohnung, wo<br />

sie seit fast 40 Jahren lebt. Im Zimmer<br />

nebenan liegt das Spielzeug <strong>der</strong> Enkelkin<strong>der</strong><br />

herum, keine Designermöbel,<br />

keine Spur von Luxus, außer <strong>der</strong> großen<br />

Wohnung selbst.<br />

<strong>Die</strong> gängigen Vorstellungen von Reichtum<br />

sind geprägt von Hollywood, <strong>der</strong><br />

Klatschpresse und Werbeanzeigen für<br />

protzige Uhren. Dass er auch im alten<br />

Golf, in Kiefermöbeln Marke Achtziger<br />

o<strong>der</strong> Reihenhaushälften erscheint und<br />

von fleißigen Handwerkern erarbeitet<br />

und vererbt wird, kommt vielen nicht in<br />

den Sinn. Oft nicht einmal, dass er ein<br />

weibliches Gesicht haben kann. Auf <strong>der</strong><br />

Forbes-Liste <strong>der</strong> zehn reichsten Menschen<br />

<strong>der</strong> Welt vom April steht eine einzige<br />

Frau: Walmart-Erbin Alice Walton.<br />

Nie zuvor wurde soviel vererbt<br />

Es wird so viel Geld weitergegeben wie<br />

nie. Schätzungsweise ein Drittel des Milliardärsreichtums,<br />

heißt es im Bericht<br />

zur sozialen Ungleichheit in <strong>der</strong> Welt,<br />

den Oxfam im Januar vorgelegt hat, ist<br />

geerbt. Nach Angaben des Statistischen<br />

Bundesamtes von 2018 werden bis 2024<br />

geschätzte 31,1 Billionen Vermögen –<br />

Geld, Immobilien, Aktien, Firmen und<br />

was es sonst noch an Werten gibt – vermacht.<br />

Deutschland ist ein reiches Land:<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> Dollar-Millionäre ist 2019<br />

auf 1,46 Millionen Menschen gestiegen.<br />

In vielen Familien aber gibt es nichts<br />

zum Weiterreichen, höchstens Schulden.<br />

Was bedeutet, dass die Gesellschaft sich<br />

weiter spaltet, die Kluft auch zwischen<br />

Ost und West noch tiefer wird. In <strong>der</strong><br />

DDR gab’s we<strong>der</strong> ein Wirtschaftswun<strong>der</strong><br />

noch florierende Familienunternehmen.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>telang erbten Frauen wenig<br />

bis gar nichts. Es waren die Söhne,<br />

vor allem die Erstgeborenen, die Haus,<br />

Hof, Gut und Titel übernahmen, während<br />

Frauen selbst in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

kein Konto ohne Einwilligung des<br />

Mannes eröffnen durften, <strong>der</strong> im Zweifelsfalle<br />

über das Vermögen <strong>der</strong> Gattin<br />

verfügte.<br />

„Paris Hilton würde nicht zu uns<br />

kommen“<br />

„Frauen erben an<strong>der</strong>s“, lautet <strong>der</strong> Titel<br />

eines Buchs von Marita Haibach, Mitinitiatorin<br />

des Vereins „Pecunia“, dem<br />

Sophie Haupt 2003 beigetreten ist: ein<br />

Netzwerk von Erbinnen im deutschsprachigen<br />

Raum. Einzige Bedingung<br />

für eine Mitgliedschaft ist es, mindestens<br />

eine halbe Million Euro geerbt zu<br />

haben. Und es gibt ein Vorgespräch,<br />

bei dem beide Seiten schnell merken,<br />

ob man zueinan<strong>der</strong> passt. „Paris Hilton<br />

würde nicht zu uns kommen“, sagt Sophie<br />

Haupt und lacht. Wer kommt, sind<br />

diejenigen mit Fragen, Zweifeln, Nöten.<br />

Jene, für die <strong>der</strong> geerbte Reichtum ein<br />

Problem ist.<br />

Für Außenstehende mag das absurd<br />

klingen. Was denn für Probleme! <strong>Die</strong><br />

sind doch alle finanziellen Sorgen los!<br />

Aber Geld verän<strong>der</strong>t. Vor allem das Verhältnis<br />

zu an<strong>der</strong>en.<br />

Manchmal verwechseln Interessierte<br />

Pecunia mit einer Finanzberatung.<br />

„Aber das sind wir nicht“, erklärt Sophie<br />

Haupt, in <strong>der</strong>en Redefluss das Berlinerische<br />

immer wie<strong>der</strong> durchschlägt.<br />

„Wir sind eine Selbsthilfegruppe für<br />

Erbinnen.“ Wie bei je<strong>der</strong> Selbsthilfegruppe<br />

ist es <strong>der</strong> Leidensdruck, <strong>der</strong> sie<br />

dort hintreibt. Der Wunsch, sich endlich<br />

über das auszutauschen, worüber<br />

in vielen Familien geschwiegen wurde:<br />

Geld.<br />

>><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

67

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!