<strong>Moral</strong> Selbsthilfegruppe für reiche Frauen Zu Besuch im Club <strong>der</strong> unscheinbaren Erbinnen 66 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de
<strong>Moral</strong> Foto: Alina Rosanova / stock.adobe.com Von Susanne Kippenberger Paris Hilton würde hier nicht hinpassen: Im Netzwerk „Pecunia“ organisieren sich Frauen, die schwer am Reichtum zu tragen haben. Ein Blick hinter die Kulissen. <strong>Die</strong> wenigsten wissen, dass Sophie Haupt Millionärin ist. Sie arbeitete Jahrzehnte in einem bodenständigen Beruf und befindet sich jetzt im Ruhestand, die meisten ihrer Freunde hatten wenig Geld. Als ihr Vater, ein Mann „mit Händchen für die Börse“ und großem Sicherheitsbedürfnis Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre starb, erbten sie und ihr Bru<strong>der</strong> Aktien, Immobilien und Bares. Ihr Bru<strong>der</strong> hatte keine Probleme damit. Sie schon. <strong>Die</strong> Anfang 70-Jährige sitzt im Esszimmer ihrer Berliner Altbauwohnung, wo sie seit fast 40 Jahren lebt. Im Zimmer nebenan liegt das Spielzeug <strong>der</strong> Enkelkin<strong>der</strong> herum, keine Designermöbel, keine Spur von Luxus, außer <strong>der</strong> großen Wohnung selbst. <strong>Die</strong> gängigen Vorstellungen von Reichtum sind geprägt von Hollywood, <strong>der</strong> Klatschpresse und Werbeanzeigen für protzige Uhren. Dass er auch im alten Golf, in Kiefermöbeln Marke Achtziger o<strong>der</strong> Reihenhaushälften erscheint und von fleißigen Handwerkern erarbeitet und vererbt wird, kommt vielen nicht in den Sinn. Oft nicht einmal, dass er ein weibliches Gesicht haben kann. Auf <strong>der</strong> Forbes-Liste <strong>der</strong> zehn reichsten Menschen <strong>der</strong> Welt vom April steht eine einzige Frau: Walmart-Erbin Alice Walton. Nie zuvor wurde soviel vererbt Es wird so viel Geld weitergegeben wie nie. Schätzungsweise ein Drittel des Milliardärsreichtums, heißt es im Bericht zur sozialen Ungleichheit in <strong>der</strong> Welt, den Oxfam im Januar vorgelegt hat, ist geerbt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2018 werden bis 2024 geschätzte 31,1 Billionen Vermögen – Geld, Immobilien, Aktien, Firmen und was es sonst noch an Werten gibt – vermacht. Deutschland ist ein reiches Land: <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> Dollar-Millionäre ist 2019 auf 1,46 Millionen Menschen gestiegen. In vielen Familien aber gibt es nichts zum Weiterreichen, höchstens Schulden. Was bedeutet, dass die Gesellschaft sich weiter spaltet, die Kluft auch zwischen Ost und West noch tiefer wird. In <strong>der</strong> DDR gab’s we<strong>der</strong> ein Wirtschaftswun<strong>der</strong> noch florierende Familienunternehmen. Jahrhun<strong>der</strong>telang erbten Frauen wenig bis gar nichts. Es waren die Söhne, vor allem die Erstgeborenen, die Haus, Hof, Gut und Titel übernahmen, während Frauen selbst in <strong>der</strong> Nachkriegszeit kein Konto ohne Einwilligung des Mannes eröffnen durften, <strong>der</strong> im Zweifelsfalle über das Vermögen <strong>der</strong> Gattin verfügte. „Paris Hilton würde nicht zu uns kommen“ „Frauen erben an<strong>der</strong>s“, lautet <strong>der</strong> Titel eines Buchs von Marita Haibach, Mitinitiatorin des Vereins „Pecunia“, dem Sophie Haupt 2003 beigetreten ist: ein Netzwerk von Erbinnen im deutschsprachigen Raum. Einzige Bedingung für eine Mitgliedschaft ist es, mindestens eine halbe Million Euro geerbt zu haben. Und es gibt ein Vorgespräch, bei dem beide Seiten schnell merken, ob man zueinan<strong>der</strong> passt. „Paris Hilton würde nicht zu uns kommen“, sagt Sophie Haupt und lacht. Wer kommt, sind diejenigen mit Fragen, Zweifeln, Nöten. Jene, für die <strong>der</strong> geerbte Reichtum ein Problem ist. Für Außenstehende mag das absurd klingen. Was denn für Probleme! <strong>Die</strong> sind doch alle finanziellen Sorgen los! Aber Geld verän<strong>der</strong>t. Vor allem das Verhältnis zu an<strong>der</strong>en. Manchmal verwechseln Interessierte Pecunia mit einer Finanzberatung. „Aber das sind wir nicht“, erklärt Sophie Haupt, in <strong>der</strong>en Redefluss das Berlinerische immer wie<strong>der</strong> durchschlägt. „Wir sind eine Selbsthilfegruppe für Erbinnen.“ Wie bei je<strong>der</strong> Selbsthilfegruppe ist es <strong>der</strong> Leidensdruck, <strong>der</strong> sie dort hintreibt. Der Wunsch, sich endlich über das auszutauschen, worüber in vielen Familien geschwiegen wurde: Geld. >> Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de 67