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Die neue Macht der Moral

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

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<strong>Moral</strong><br />

man viel Gegenwind in Form von Hatespeech.<br />

Am besten ist es, man liest es<br />

sich gar nicht erst durch“, spricht Leonies<br />

introvertierte Seite. Wer viel erlebt,<br />

muss viel verarbeiten. Doch bereuen tut<br />

sie nichts. „<strong>Die</strong> Zeiten, dass ich mir viel<br />

aus an<strong>der</strong>en Meinungen mache, sind<br />

vorbei“, stellt sie nüchtern fest. Früher<br />

hätte sie den medialen Druck wohl nicht<br />

so gut verkraftet. In Momenten wie in<br />

solchen im Dezember setzt sie auf den<br />

Rückhalt ihrer Eltern, von engen Freunden<br />

und ihrem Freund. Und obwohl Leonie<br />

keine scheue Person ist, benötigt sie<br />

manchmal die komplette Isolation von<br />

allem.<br />

„Ich könnte niemals darauf verzichten,<br />

Zeit ganz für mich alleine zu haben. Das<br />

Nachdenken kommt im Zuge <strong>der</strong> Ereignisse<br />

ab und an zu kurz“, gibt sie zu. Es<br />

braucht einen Spaziergang in <strong>der</strong> Natur<br />

o<strong>der</strong> sportliche Aktivitäten wie Joggen.<br />

Der Rückzug ist Leonies große Kraftquelle.<br />

Engagierter Aktivismus for<strong>der</strong>t<br />

nicht bloß Zeit, son<strong>der</strong>n viel<br />

Energie. <strong>Die</strong> zahlreichen Treffen<br />

mit an<strong>der</strong>en Aktivisten sind<br />

hierfür tragend.<br />

Während wir mit dem Auto durch ein<br />

regnerisches Hamburg fahren, bleibt<br />

Zeit für einen philosophischen Gedankenaustausch.<br />

Leonie hat bereits viel erlebt<br />

und gesehen. Wir fragen sie, wie ein<br />

mögliches Buch heißen würde, welches<br />

ihr Leben beschreibt. Leonie überlegt.<br />

Ihr Engagement ist breitgefächert. Sozialpolitik,<br />

Bildungspolitik, Diversitäten.<br />

Leonies Vorstellung von Zukunft ist eine<br />

gesamtgesellschaftliche.<br />

Es ist das Äußern vom Wunsch einer<br />

an<strong>der</strong>en Gemeinschaft. Vielleicht sogar<br />

einer Utopie. <strong>Die</strong> anfängliche Rationalität<br />

ist im Gesprächsfluss wie verflogen.<br />

Dann geht es auf die Autobahnabfahrt<br />

Richtung Fotostudio und wie<strong>der</strong> um<br />

den Klimawandel. Keine Zeit für Deep<br />

talk. Es sind wissenschaftliche Analysen.<br />

<strong>Die</strong> Lage <strong>der</strong> Welt ist ernster, als<br />

wir glauben.<br />

Was zunächst frustriert klingt, untermauert<br />

die Wahlkölnerin mit Fakten.<br />

<strong>Die</strong>se braucht sie auch auf dem Weg<br />

zu ihrem Ziel, die globale Er<strong>der</strong>wärmung<br />

auf 1,5 Grad zu reduzieren. So<br />

wird am Ende des Tages klar, dass <strong>der</strong><br />

Umschwung gerade erst beginnt. Leonie<br />

muss weiter. Ein Termin am späten<br />

Nachmittag.<br />

Und dann kommt Corona.<br />

O<strong>der</strong> auch: „<strong>Die</strong> Aufgabe, beide<br />

Krisen zusammenzubringen.<br />

Sowohl die Klimakrise als auch<br />

die Pandemie.“<br />

Im Juli 2020 gibt es dann die ersten<br />

Coronalockerungen seitens <strong>der</strong> einzelnen<br />

Län<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Pandemie hat wirtschaftliche<br />

und gesellschaftliche Risse<br />

herbeigeführt. Leonie erzählt, dass sich<br />

auch ihr Alltag verän<strong>der</strong>t hat. „Zwar war<br />

Fridays for Future immer schon auch<br />

zu einem großen Teil digital organisiert,<br />

allerdings spielt sich <strong>der</strong> Alltag,<br />

welcher aus viel Reisen und persönlichem<br />

Austausch bestand, nun stets in<br />

einem Raum ab“, berichtet Leonie. Das<br />

hat die Arbeit sehr verän<strong>der</strong>t – jedoch<br />

nicht das Ziel. Inhaltlich bleibt es das<br />

Gleiche. „Wir sehen unsere Aufgabe nun<br />

darin, beide Krisen zusammenzubringen.<br />

Denn gesellschaftlich betrachtet<br />

haben nur die Fronten gewechselt. Wir<br />

Jungen for<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Klimakatastrophe<br />

Dinge von den Älteren. Bei<br />

Corona ist es an<strong>der</strong>sherum. Wir Jungen<br />

nehmen Rücksicht auf die Älteren, die<br />

häufiger zur Risikogruppe gehören.“ Demonstrationen<br />

und Klimastreiks waren<br />

während des bundesweiten Lockdowns<br />

nicht möglich. „Mittlerweile können wir<br />

die Menschen langsam wie<strong>der</strong> auf die<br />

Straße bewegen – selbstverständlich Corona-konform.“<br />

Doch auch wenn Leonie und ihre Mitstreiterinnen<br />

und Mitstreiter mittlerweile<br />

wie<strong>der</strong> demonstrieren und ihre<br />

Themen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit platzieren<br />

können, macht es Leonie Angst, dass<br />

das Coronavirus samt globaler Folgen<br />

das Thema Nummer eins im öffentlichen<br />

Diskurs bleibt.<br />

„Es ist einfach nicht richtig, dass Klimaschutz<br />

in seiner Priorität zurücksteckt.<br />

Da das Pariser Abkommen mit den <strong>der</strong>zeitigen<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

nicht eingehalten werden wird,<br />

habe ich Angst davor, dass die Spirale<br />

des Klimawandels zukünftig noch weiter<br />

nach unten gehen wird“. Und dann<br />

das Kohleausstiegsgesetz am 3.7. – ein<br />

rabenschwarzer Tag für das Klima, welcher<br />

laut Leonie dramatische Folgen hat.<br />

„Es macht mich so wütend,<br />

dass ich nun die Aufgabe<br />

habe, Aktivistinnen und<br />

Aktivisten aus beispielsweise<br />

Uganda zu sagen, dass<br />

Deutschland sich für die<br />

dortigen Natur- und Hungerkatastrophen<br />

nicht<br />

verantwortlich fühlt.“<br />

Es wird also weitergehen. Auf die Straße,<br />

zu Klimastreiks, Demonstrationen,<br />

in Zoom-Calls und mit vielen, vielen<br />

weiteren Telefonaten und Gesprächen.<br />

Fridays for Future hat die Coronazeit<br />

überstanden und sich weiterentwickelt.<br />

<strong>Die</strong> Ziele haben sich verfestigt, und die<br />

Bewegung organisierte sich ebenfalls in<br />

Zeiten von Lockdowns und den damit<br />

verbundenen Unsicherheiten. Und auch<br />

Leonies Leben nimmt langsam wie<strong>der</strong><br />

die gewohnten Formen an. <strong>Die</strong> Antwort<br />

auf die Frage nach dem Titel des Buches,<br />

welches ihr Leben umschreiben würde,<br />

bleibt Leonie uns allerdings bis heute<br />

schuldig. Im Nachgang irgendwie logisch.<br />

Hat sie ihre Geschichte doch noch<br />

lange nicht zu Ende geschrieben. f<br />

Weitere Infos dazu vom kompetenten<br />

Redaktions- und Fotografenteam:<br />

www.medienkapitän.de<br />

www.simonheydorn.de<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

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