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Die neue Macht der Moral

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

Wie vielfältig ist unsere Gesellschaft? Und wie halten wir es mit Ansichten, die uns nicht passen? Und wie steht es um das Verhältnis von Marken und Moral? Moral ist eine der wenigen Dinge, die jeder nur für sich selbst entwickeln kann. Zugleich ist Moral etwas, was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Galt früher der Grundsatz: Alle Menschen sind gleich, so betonen wir heute das Recht auf Anders-sein und den Schutz fragmentierter Lebensentwürfe. Das sorgt regelmäßig für Streit. Medien und Marketing tragen dabei erheblich zur Polarisierung bei: Extreme Positionen sind einfach oft spannender und damit berichtenswerter. In der aktuellen Ausgabe des UmweltDialog-Magazins beleuchten wir auf 80 Seiten zahlreiche Aspekte rund um die Frage, warum gerade heute von uns Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert wird.

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Ausgabe 14<br />

November 2020<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Moral</strong><br />

Warum gerade heute von uns <strong>Moral</strong><br />

und Glaubwürdigkeit eingefor<strong>der</strong>t werden<br />

umweltdialog.de


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lasst uns gemeinsam feiern!<br />

Mit Fairness und mit Heiterkeit,<br />

mit viel Lametta und viel Zeit.<br />

O Tannenbaum, o Tannenbaum,<br />

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<strong>Moral</strong><br />

<strong>Moral</strong> ...<br />

EDITORIAL<br />

... ist eines <strong>der</strong> wenigen Dinge, die je<strong>der</strong> nur für sich selbst entwickeln<br />

kann. Sie ist daher komplett selbstreferenziell. Zugleich ist <strong>Moral</strong> etwas,<br />

was wir vor allen Menschen, quer durch alle Kulturkreise erwarten. Viele<br />

dieser moralischen Werte, die uns alle verbinden, betrachten wir dabei<br />

als universell: Das Verbot <strong>der</strong> Sklaverei und des Sklavenhandels, Verbot<br />

<strong>der</strong> Folter, Anspruch auf faires Gerichtsverfahren und Unschuldsvermutung<br />

usw.<br />

<strong>Die</strong> Gleichheit des Menschen war deshalb für lange Zeit ein Ideal <strong>der</strong><br />

Linken, <strong>der</strong> Aufklärer und all <strong>der</strong>jenigen, die das herrschende System<br />

verän<strong>der</strong>n wollten. Heute scheint genau das Gegenteil <strong>der</strong> Fall: Es geht<br />

um Differenz, um das Recht auf An<strong>der</strong>ssein und den Schutz fragmentierter<br />

Lebensentwürfe. Das Egalitätsprinzip wird als Bedrohung erlebt. Das<br />

sorgt für Rollenwechsel: Systemverän<strong>der</strong>ung drängt heute auf Diversität,<br />

Konservative finden sich plötzlich im Lager <strong>der</strong> Universalisten. Den<br />

schmalen Grat zwischen diesen beiden Polen – Universalismus und Partikularismus<br />

– leuchten wir in dieser Ausgabe aus.<br />

Der zweite Schwerpunkt dieser Ausgabe geht <strong>der</strong> Frage nach, wie wir<br />

diesen gesellschaftlichen Wandel verhandeln und ob wir darüber überhaupt<br />

noch diskutieren (können). In vielen Bereichen ist die öffentliche<br />

Meinung extrem polarisiert. Gerade mo<strong>der</strong>ate Stimmen beteiligen sich<br />

oft nicht mehr am Diskurs, um nicht in eine bestimmte Ecke geschoben<br />

zu werden. So entsteht schnell das Phänomen <strong>der</strong> Präferenzverfälschung:<br />

Was nach außen gesagt wird, spiegelt nicht die innere Haltung. Der Wahlsieg<br />

von Trump 2016 war ein Paradebeispiel für Präferenzverfälschung<br />

und zeigt, wie gefährlich es werden kann, wenn wir alles in Schwarz und<br />

Weiß sehen und die Graustufen aus unserem Leben ausblenden.<br />

Medien und Marketing tragen erheblich zur Polarisierung bei: Extreme<br />

Positionen sind einfach oft spannen<strong>der</strong> und damit berichtenswerter als<br />

mo<strong>der</strong>ate Ansichten. Werbung will auffallen – Rollen und Klischees dürfen<br />

da alles, nur nicht mausgrau sein. Doch zu welchem Preis? Bert Brecht<br />

findet bekanntlich, dass zuerst das Fressen und dann die <strong>Moral</strong> kommt.<br />

Verteilungsgerechtigkeit und <strong>Moral</strong> passen für ihn nicht zusammen. Der<br />

schottische Ökonom Adam Smith sieht das an<strong>der</strong>s. Der Markt führt oftmals<br />

zu Regelungen, die besser sind als die egoistischen Absichten des<br />

Einzelnen. Aber nicht immer: Dann müsse <strong>der</strong> Staat <strong>der</strong> unsichtbaren<br />

Hand des Marktes „in den Arm fallen“. Doch bei <strong>der</strong> Frage, wer wem<br />

wann und warum in den Arm fällt, sind wir auch schon wie<strong>der</strong> mitten<br />

drin im Streit um Gemeinschafts- und Individualinteressen.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht im Namen <strong>der</strong> gesamten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 17.05.2021.


<strong>Moral</strong><br />

Inhalt<br />

6<br />

Menschen, Märkte, <strong>Moral</strong><br />

Der Mensch ist edel und gut. Lei<strong>der</strong><br />

aber auch oft bequem. Kein einfaches<br />

Dilemma. Viele Verbraucher*innen<br />

erwarten heute, dass Unternehmen,<br />

Politiker o<strong>der</strong> auch Aktivisten für Sie<br />

den Mind-Behaviour-Gap lösen und<br />

passende Antworten anbieten. Wir<br />

begeben uns in dieser Ausgabe auf<br />

Spurensuche.<br />

EINFÜHRUNG<br />

<strong>Die</strong> Woke Side Story ............................................................. 6<br />

<strong>Moral</strong> ist zu einem Chiffre urbaner Identität geworden. Für<br />

manche ist sie Sinnstifter, für an<strong>der</strong>e ein Feigenblatt und<br />

für dritte eine Keule.<br />

„Am Ende kämpft man nur noch<br />

um Bil<strong>der</strong> und Symbole“ ................................................... 14<br />

Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit<br />

wi<strong>der</strong>sprechen sich nicht, sagt Dominik Enste vom<br />

Institut <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft in Köln.<br />

Übergriffig ............................................................................20<br />

Werbung und Zeitgeist<br />

AKTIVISTEN<br />

„Kapital und Ressourcen sind heute nicht mehr die<br />

entscheidenden Faktoren für Aufmerksamkeit“ .........24<br />

Jedes Interesse ist legitim, sofern es keine rechtsstaatlichen<br />

Grundsätze verletzt. Warum machen wir moralisch einen<br />

Unterschied zwischen <strong>der</strong> Lobbyarbeit unterschiedlicher<br />

Gruppen?<br />

<strong>Die</strong> empathische Strategin ...............................................26<br />

Leonie Bremer von Fridays For Future über Corona,<br />

Klimaschutz und ihre Wunschgesellschaft<br />

Netz-Aktiv ............................................................................30<br />

Was ist <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch ohne Hashtag? Hier eine<br />

kleine Übersicht wichtiger Kürzel<br />

Das Empörium schlägt zurück .........................................32<br />

Der Trend zur Skandalisierung ist ungebrochen. Durch die<br />

sozialen Medien finden Diskussionen heute in Echtzeit statt.<br />

Foto: ink drop / stock.adobe.com<br />

#ichbinhier ...........................................................................37<br />

<strong>Die</strong> Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier ist die größte<br />

Counterspeech-Initiative Deutschlands.<br />

UNTERNEHMEN<br />

Diversität ist wichtig – aber auch immer richtig? ........38<br />

Vielfältige Teams sind innovativ, aber auch anstrengend.<br />

Und sie sind nicht immer die richtige Lösung.


<strong>Moral</strong><br />

Frauen in Führungspositionen –<br />

Zögernde Fortschritte .......................................................42<br />

Nach wie vor schaffen es in Deutschland nur wenige<br />

Frauen in Führungspositionen.<br />

Team-Diversity als Trumpf? .............................................44<br />

Von wegen „gleich und gleich gesellt sich gern“!<br />

Erfolgreicher sind Unternehmen, die es bunt treiben.<br />

Advertorials:<br />

toom | Nachhaltigkeit als Markenkern ...............................46<br />

toom | Faire Weihnachtsbäume............................................48<br />

Nestlé | Kampf gegen Klimawandel.....................................50<br />

Bantleon | Dilemma (Deutscher) Wertekollaps!? ...............52<br />

30<br />

Aktivisten, Lobbyisten, Protagonisten – <strong>Macht</strong><br />

ist heutzutage eine Frage <strong>der</strong> Deutungshoheit.<br />

MARKETING<br />

Nachhaltiges Marketing ....................................................54<br />

Strategien und Best Practices für Green Marketing<br />

Eine Geschichte von starken Marken .............................58<br />

Welchen moralischen Regeln unterliegen Marken, wenn sie<br />

sich im Wettbewerb behaupten müssen?<br />

Marken im Spagat zwischen Nachhaltigkeit<br />

und Greenwashing .............................................................60<br />

Der ökologische Fußabdruck beschäftigt immer mehr<br />

Menschen. Viele Marken greifen das Thema auf und<br />

versuchen, den Trend mitzugehen.<br />

Green – Blue – Woke Washing: .......................................64<br />

Wenn <strong>Moral</strong> zum Marketingkniff wird<br />

VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT<br />

38<br />

Vielfalt ist anstrengend. Viele gehen da<br />

lieber den bequemen Weg.<br />

Zu Besuch im Club <strong>der</strong> unscheinbaren Erbinnen .........66<br />

Paris Hilton würde hier nicht hinpassen: Im Netzwerk<br />

„Pecunia“ organisieren sich Frauen, die schwer am Reichtum<br />

zu tragen haben. Ein Blick hinter die Kulissen.<br />

Das Manager-Leben ist kein Boni-Hof ........................... 72<br />

Wenn das Gespräch auf Vorstandsgehälter kommt,<br />

geht es schnell hitzig zu. Was ist dran an <strong>der</strong> Kritik?<br />

Sozialunternehmer:<br />

Wo Wirkung wichtiger ist als Rendite ............................ 76<br />

Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die <strong>Moral</strong>? Nicht,<br />

wenn es nach vielen jungen Start-ups geht.<br />

Adam Smiths Ökonomie <strong>der</strong> <strong>Moral</strong> ................................ 78<br />

Der schottische Ökonom plädierte für Ethik, die Menschen<br />

nicht überfor<strong>der</strong>t. Ein Klassiker wie<strong>der</strong>entdeckt.<br />

72<br />

Banker, Wirtschaftsbosse, Top-Manager –<br />

für manche Symbole <strong>der</strong> Gier.


<strong>Moral</strong><br />

6 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

<strong>Die</strong> Woke<br />

Side Story<br />

Über das Verschwinden <strong>der</strong> Eskimos, die Tipp-Ex-Kultur<br />

und die Wächter des Sagbaren.<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Irgendwer ist immer empört: Zum Beispiel eine Kita-Leiterin<br />

in Groß-Flottbek, die in <strong>der</strong> Geschichte von „Jim Knopf“<br />

rassistisches Klischee erkannt zu haben glaubt. O<strong>der</strong><br />

die Aktivisten, die dafür sorgen, dass im Ulmer Münster die<br />

Figur des schwarzen Melchiors rechtzeitig vor Beginn <strong>der</strong><br />

Weihnachtssaison anno 2020 entfernt wird. Attila Hildmann,<br />

<strong>der</strong> sich als veganer Führer <strong>der</strong> Corona-Kritiker in Berlin sieht.<br />

<strong>Die</strong> AfD, weil ein Kin<strong>der</strong>chor im WDR singt, dass die Oma „ne<br />

alte Umweltsau“ ist. O<strong>der</strong> die Twitter-Insurrektionsfront, weil<br />

<strong>Die</strong>ter Nuhr im Fernsehen auftritt. O<strong>der</strong>, o<strong>der</strong>, o<strong>der</strong>…<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

Fotos: pathdoc / stock.adobe.com<br />

Fast scheint es: Der Anlass ist nachrangig, Hauptsache, das<br />

Aggressionsventil wird mal wie<strong>der</strong> voll aufgedreht. Der bekannte<br />

Welt-Korrespondent Deniz Yücel schreibt in seiner<br />

dortigen Kolumne: „In den vergangenen Jahren ist die Häufigkeit<br />

solcher Empörungswellen in dem Maße gestiegen, wie die<br />

Anlässe geringer geworden sind. Oft beruhen sie auf einem<br />

bloßen Verdacht, was dem Rigorismus und Alarmismus aber<br />

keinen Abbruch tut.“<br />

>><br />

7


<strong>Moral</strong><br />

Überall wird<br />

Eindeutigkeit<br />

gefor<strong>der</strong>t.<br />

Da ist kein<br />

Platz mehr für<br />

Ambivalenz.<br />

Was darf ich noch sagen?<br />

Das Thema „Was darf man noch sagen?“<br />

ist garantierter Twitter-Trendstoff und<br />

heizt jede Diskussion an. Der Musiker<br />

David Guetta sagt im Zeitungs-Interview:<br />

„Durch Social Media hat nun je<strong>der</strong><br />

Angst, etwas zu sagen, das vielleicht jemanden<br />

beleidigt, <strong>der</strong> es missversteht.<br />

So will am Ende niemand mehr etwas<br />

sagen, aus Furcht vor einem möglichen<br />

Backlash.“ Also lieber schweigen als<br />

einen Shitstorm riskieren? Missverständnisse<br />

sorgen tatsächlich stets für<br />

Irritationen, und damit umzugehen,<br />

will gelernt sein. Eine Tugend, die in<br />

diesen Tagen schwindet. Überall wird<br />

Eindeutigkeit gefor<strong>der</strong>t. Da ist kein<br />

Platz mehr für Ambivalenz. Alles wird<br />

durch Sprachge- und -verbote glattgestrichen.<br />

Eine offene Gesellschaft muss<br />

aber Mehrdeutigkeiten aushalten, findet<br />

Deniz Yücel und warnt vor einer Tipp-<br />

Ex-Kultur.<br />

Der folgende Beitrag gibt essayartig Einblick<br />

in Denkmuster wichtiger Akteure,<br />

ihre Motivationen und daraus abgeleitet<br />

die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Handlungsmöglichkeit,<br />

wenn wir unseren Kopf und nicht<br />

den Bauch entscheiden lassen, und im<br />

Zweifel auch Bauchschmerzen wegen<br />

Mehrdeutigkeiten in Kauf nehmen, wie<br />

Deniz Yücel uns rät. Außen vor bleibt<br />

dabei die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Moral</strong>philosophie,<br />

<strong>der</strong> darüberstehenden Ethik und<br />

das nicht gerade kleine Teilkapitel <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsethik. Stattdessen schauen<br />

wir erst mal auf „klassische Akteure“,<br />

die da sind: Wirtschaft, Politik und<br />

Journalismus. Und dann schauen wir<br />

auf vergleichsweise „<strong>neue</strong> Akteure“ wie<br />

etwa Blogger und Aktivisten. Sie bringen<br />

einen Aspekt in die Diskussion, <strong>der</strong><br />

zwar nicht neu ist, aber so radikal formuliert<br />

wird, dass er fast alles än<strong>der</strong>t:<br />

Der Streit um Identität.<br />

Wirtschaft: <strong>Moral</strong> als Imagefrage<br />

Der britische Rennfahrer Lewis Hamilton<br />

erregte kürzlich beim Großen Preis<br />

<strong>der</strong> Toskana Aufsehen: Erstens gewann<br />

er (mal wie<strong>der</strong>), und zweitens trug er dabei<br />

ein T-Shirt mit <strong>der</strong> Aufschrift „Arrest<br />

the cops who killed Breonna Taylor“.<br />

<strong>Die</strong> Afro-Amerikanerin wurde von Polizisten<br />

erschossen und ist eine <strong>der</strong> Symbolfiguren,<br />

für <strong>der</strong>en Rechte die „Black<br />

Lives Matter“-Bewegung streitet. Lewis<br />

Hamilton hat mit dem Shirt <strong>der</strong> Idee von<br />

Opinion-Wear, also Meinung über Mode,<br />

globale Aufmerksamkeit verschafft und<br />

durch die dazugehörigen Tweeds an<br />

seine fast sechs Millionen Follower die<br />

mediale Verbreitung gleich mitgeliefert.<br />

Hamiltons Aktion ist ein gutes Beispiel<br />

dafür, dass <strong>der</strong> gute alte Satz „Ein Bild<br />

sagt mehr als tausend Worte“ heute eigentlich<br />

lauten sollte: „Ein Bild mit Caption<br />

o<strong>der</strong> besser noch Hashtag sagt mehr<br />

als tausend Worte“. Botschaften, die<br />

selbsterklärend sind, punkten schneller<br />

bei <strong>der</strong> ständig abgelenkten Zielgruppe<br />

junger Menschen.<br />

<strong>Die</strong> Black Lives Matter-Bewegung ist ein<br />

gutes Beispiel dafür, wie in <strong>der</strong> aktuellen<br />

Antirassismus-Debatte nicht nur Politiker,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem auch Unternehmen<br />

(zu Recht) unter Druck geraten: Der<br />

Mars-Konzern benennt seine Reismarke<br />

Uncle Ben’s um in „Ben’s Original“ und<br />

lässt das bekannte Gesicht von <strong>der</strong> Verpackung<br />

verschwinden. <strong>Die</strong> chinesische<br />

Zahnpastamarke „Darkie“ heißt jetzt<br />

„Darlie“. Und wer im Regal nach <strong>der</strong><br />

„Zigeunersauce“ von Knorr sucht, sollte<br />

künftig bei „Paprikasauce Ungarische<br />

Art“ zugreifen.<br />

Das Beispiel „Eskimo Pie“, hierzulande<br />

bekannt als Nogger, zeigt zudem auf,<br />

wie kompliziert Markengestaltung in<br />

mo<strong>der</strong>nen Zeiten werden kann. „Eskimo“<br />

– ein böses Wort? Ja, finden die indigenen<br />

Völker <strong>der</strong> Inuit, Yupik und Inupiat.<br />

Der Begriff sei nämlich dem Wort<br />

für „Rohfleischesser“ entlehnt. Sperrig<br />

wird es in <strong>der</strong> Praxis, weil die Inuit<br />

nicht als Yupik, Inupiat nicht als Inuit<br />

und Yupik nicht wie die beiden an<strong>der</strong>en<br />

genannt werden wollen. Vielfalt ist nicht<br />

einfach. Der Konzern Unilever will sein<br />

Eis verkaufen und wählt deshalb den<br />

Weg des geringsten Wi<strong>der</strong>standes. Auf<br />

Anfrage von ORF.at heißt es: „Wir machen<br />

uns als Unternehmen seit langem<br />

für Vielfalt in all ihren Formen stark.<br />

8 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

In diesem Zusammenhang verpflichten<br />

wir uns, die Sprache und Ikonographie<br />

von mehr als 400 Unilever-Marken zu<br />

überprüfen.“<br />

Es gibt aber auch Unternehmen, die den<br />

Trend aktiv bespielen und Wi<strong>der</strong>spruch<br />

in Kauf nehmen: Ganz aktuell etwa die<br />

Hamburger Brausebrauer von fritz-kola:<br />

Mit dem Slogan „Zwei Nullen. Eine<br />

schmeckt.“ und einer Karikatur von<br />

US-Präsident Donald Trump bewerben<br />

sie ihr zuckerfreies Getränk. Mit Erfolg:<br />

<strong>Die</strong> Hamburger ernteten im Netz<br />

zunächst Kritik, dann aber viel Lob, das<br />

nennt sich dann „Candystorm“, und viel<br />

wichtiger: reichlich Aufmerksamkeit.<br />

Wo Woke en vogue ist<br />

Damit stellt sich die Frage: Muss ein<br />

Unternehmen überhaupt Haltung bei<br />

gesellschaftspolitischen Fragen zeigen?<br />

Ja, findet <strong>der</strong> Präsident des Österreichischen<br />

Werberats, Michael Straberger:<br />

„Werbung trägt soziale Verantwortung<br />

und muss auf die Rechte, Interessen und<br />

Gefühle von Einzelnen und Gruppen<br />

von Menschen Rücksicht nehmen.“ Experten<br />

sprechen hier von einer Haltung,<br />

die „woke“ ist (woke heißt zu deutsch<br />

wachsam; hier: gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten).<br />

Aber wie ist es dann eigentlich, wenn<br />

Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung<br />

schnöde für ihre Werbung nutzen?<br />

Wenn Empathie als „Conversion<br />

Rate“ im Marketing gemessen wird? In<br />

einem Gastbeitrag im Guardian schreibt<br />

Owen Jones: „Kein Unternehmen wird<br />

eine Werbekampagne starten, wenn es<br />

glaubt, Geld zu verlieren. Daher wird<br />

jedes auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete<br />

Marketing per Definition in erster<br />

Linie von Geld angetrieben.“ Damit<br />

beschreibt Jones sehr gut den schmalen<br />

Grat zwischen „woke“ und „woke washing“.<br />

Journalismus: Vom Beobachter zum<br />

Mitstreiter<br />

Medien berichten bekanntlich gern über<br />

alles und jeden. Eher selten ist dagegen,<br />

dass sie mit Inneneinsichten in die<br />

Öffentlichkeit treten. <strong>Die</strong>sen Sommer<br />

war jedoch <strong>der</strong> Rücktritt des leitenden<br />

Meinungsredakteurs <strong>der</strong> New York<br />

Times, James Bennett, und <strong>der</strong> angesehenen<br />

Journalistin Bari Weiss ein<br />

brancheninternes Beben, das dann doch<br />

auch nach außen drang.<br />

Auch hier ging es wie<strong>der</strong> um die Frage:<br />

Was darf ich noch sagen? Das war,<br />

an<strong>der</strong>s als bei David Guettas Antwort,<br />

keine Frage des Mutes, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> publizierten<br />

Meinung und damit <strong>der</strong> Rolle<br />

des Journalismus. <strong>Die</strong> hat Meredith Haaf<br />

in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung sehr gut seziert:<br />

In den Redaktionen treffen heute<br />

zwei Arten von Journalisten aufeinan<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> einen wollen „die Richtigen“ zu<br />

Wort kommen lassen. Nach dem Motto<br />

„Haltung statt Fakten“ wollen sie aktiv<br />

zu sozialer Verän<strong>der</strong>ung beitragen, indem<br />

sie sozial Benachteiligte und Min<strong>der</strong>heiten<br />

in den Vor<strong>der</strong>grund stellen.<br />

Eine (gen<strong>der</strong>-)sensible Sprache gehört<br />

für sie ebenso dazu wie die gezielte<br />

Konstruktion <strong>der</strong> Kernbotschaften.<br />

„Constructive Journalism“ ist gerade im<br />

Nachhaltigkeitsbereich ein verbreitetes<br />

Phänomen.<br />

<strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e Gruppe wie<strong>der</strong>um setzt auf<br />

das Konzept <strong>der</strong> ausgewogenen Berichterstattung.<br />

Alle Seiten, im Zweifel auch<br />

die unsinnigen, kommen zu Wort, und<br />

das Urteil muss sich <strong>der</strong> Rezipient schon<br />

noch selbst bilden. Der Zeit-Journalist<br />

Jochen Bittner bringt diese Haltung auf<br />

den Punkt, wenn er schreibt: „Der Kampf<br />

von Journalisten – um es pathetischer<br />

zu formulieren – für Freiheit, Wahrheit<br />

und Gerechtigkeit besteht nicht im politischen<br />

Aktivismus für diese Werte, son<strong>der</strong>n<br />

in <strong>der</strong> kritischen Wacht über alle<br />

politisch Aktiven.“<br />

<strong>Die</strong> Gruppe <strong>der</strong> sozialen Mitstreiter, so<br />

Meredith Haaf, ist in <strong>der</strong> Regel nach<br />

1980 geboren. <strong>Die</strong> Gruppe <strong>der</strong> neutralen<br />

Beobachter davor. Der Streit bezieht sich<br />

dabei gar nicht so sehr auf die Nachrichtenselektion<br />

als Prinzip, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en<br />

Weiterverarbeitung. Der Publizistikforscher<br />

Bernd Blöbaum beobachtet,<br />

dass das „Gatekeeping“ – also die >><br />

Muss ein<br />

Unternehmen<br />

überhaupt<br />

Haltung bei<br />

gesellschaftspolitischen<br />

Fragen zeigen?<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Moral</strong><br />

Entscheidung darüber, wer zu welchem<br />

Thema zu Wort kommt – früher einmal<br />

eine ziemlich selbstverständliche und<br />

oft intuitive Praxis war, während es heute<br />

oft unter dem Verdacht potenzieller<br />

Diskriminierung steht. Gerade unter<br />

jüngeren Redakteuren ist ein hyperkritisches<br />

Bewusstsein gewachsen, wer wen<br />

wann zu Wort kommen lässt. Meredith<br />

Haaf schreibt: „Wer wen retweetet o<strong>der</strong><br />

auf seinem Account präsentiert, gilt als<br />

relevantes politisches Signal. Und immer<br />

öfter werden Schmähungen zum<br />

Ausweis <strong>der</strong> eigenen Relevanz herangezogen;<br />

manche heften sie sich als gar<br />

Wichtigkeitsorden ans Twitter-Profil.“<br />

In <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Timeline-Wächter*-<br />

innen<br />

Der Wiener Journalist Anton Kuh stellte<br />

in den 20er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

eine Frage, die damals lustig war<br />

und heute einen bitteren Beigeschmack<br />

hat: „Warum denn sachlich, wenn es<br />

auch persönlich geht?“ Tatsächlich ist<br />

vieles an Kritik und Diskussionskultur<br />

heute eher persönlicher Natur, verletzend<br />

und unsachlich. Treiber <strong>der</strong> Entwicklung<br />

sind die „sozialen Medien“,<br />

die sich längst zu einer wirkmächtigen<br />

digitalen Gegenwelt entwickelt haben.<br />

Oftmals lässt sich nicht immer auf einen<br />

Blick erkennen, wer gerade als Katharina<br />

Blum um die verlorene Ehre kämpft<br />

und wer die Rolle <strong>der</strong> Rufmör<strong>der</strong> spielt<br />

und damit unter Umständen berufliche<br />

Existenzen zerstört.<br />

Dabei geht es vor allem um eins: Um<br />

Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist<br />

die Währung <strong>der</strong> sozialen Medien. Gemessen<br />

wird in Klicks und Likes. Für<br />

Influencer und Netz-Aktivisten ist das<br />

nicht nur eine ökonomische, son<strong>der</strong>n<br />

schlichtweg existenzielle Frage: <strong>Die</strong><br />

moralische <strong>Macht</strong>, welche ihnen die<br />

Netzkampagnen über ihre Mitmenschen<br />

geben, ist gewaltig. Ohne das sind sie dagegen<br />

nichts. Der Einsatz ist also hoch,<br />

10 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

und deshalb werden die Richterposten<br />

hart verteidigt. Mancher nutzt ihre<br />

<strong>Macht</strong> konstruktiv, mancher eher wie<br />

eine Abrissbirne.<br />

In den USA wird das Konzept des „Gerichtshofs<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Vernunft“<br />

(court of public opinion) schon länger<br />

angewandt, aber erst <strong>neue</strong>rdings unter<br />

dem Schlagwort „Cancel Culture“ in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft breit diskutiert. Vorbei<br />

scheinen die Zeiten, als Dissens ertragen<br />

und von manchen sogar als bereichernd<br />

empfunden wurde und als Satire, Ironie<br />

o<strong>der</strong> Polemik noch als stilistische Instrumente<br />

gefeiert und von <strong>der</strong> Redefreiheit<br />

gedeckt wurden. Kontinuierlich wird<br />

<strong>der</strong> gesellschaftliche Diskussionsraum<br />

verkleinert, findet Malte Lehming im<br />

Tagesspiegel. In einer Welt, in <strong>der</strong> einzelne<br />

ihre „Wahrheiten“ als Glaubensartikel<br />

vor sich hertragen, sucht er nach<br />

einem Ort, an dem <strong>der</strong> Zweifel noch einen<br />

Platz hat. Der ehemalige US-Präsident<br />

Barack Obama rät allen Beteiligten<br />

zu mehr Gelassenheit: „<strong>Die</strong>se Idee <strong>der</strong><br />

Unbeflecktheit, dass ihr stets rein bleibt<br />

– lasst das schnell sein. <strong>Die</strong> Welt ist vertrackt<br />

und zweideutig. Leute, die wahrlich<br />

Gutes tun, sind nie ohne Makel.“<br />

Ich mach mir die Welt, wie sie mir<br />

gefällt<br />

<strong>Die</strong> Welt ist in <strong>der</strong> Tat vertrackt. Vernunft<br />

und Wissenschaft gelten seit<br />

alters her als probate Mittel, um hier<br />

Strukturen hineinzubekommen. Fast<br />

möchte man sagen, Vernunft dient dazu,<br />

Dingen einen Sinn zu geben, aber den<br />

finden manche Zeitgenossen heute auch<br />

in Verschwörungstheorien, Irrglauben<br />

und vor allem in <strong>der</strong> eigenen Meinung<br />

als <strong>neue</strong>m Absolutum. „Credo quia absurdum<br />

est“ (Ich glaube es, weil es absurd<br />

ist), lautete eine mittelalterliche<br />

Bekreuzigungsformel gegen die damals<br />

entstehenden Wissenschaften. Wenn<br />

heute die eine Seite ruft „Hört auf die<br />

Wissenschaften“, dann schallt es wie<br />

ein Echo von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zurück<br />

„Credo quia absurdum est.“ <strong>Die</strong> Reihen<br />

sind fest geschlossen, die Lager klar abgegrenzt.<br />

Manche sehen als Ursache <strong>der</strong> Dauerempörung<br />

zwei gegenläufige Trends, die<br />

eben aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit<br />

den gesellschaftlichen Druck erst recht<br />

anheizen: Da ist auf <strong>der</strong> einen Seite die<br />

autoritäre Revolte <strong>der</strong> Rechten gegen die<br />

offene, liberale Gesellschaft und auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite eine Abkehr von Teilen<br />

<strong>der</strong> Linken von universalistischen Werten<br />

hin zu individuellen Identitätsmodellen.<br />

Ralf Fücks, langjähriger Leiter <strong>der</strong> Grünen-nahen<br />

Heinrich-Böll-Stiftung, zeichnet<br />

in einer lesenswerten Publikation<br />

die langen Linien <strong>der</strong> anti-liberalen Revolte<br />

von rechts nach: „<strong>Die</strong> anti-liberalen<br />

Gegenbewegungen sind ein Reflex auf<br />

die Verunsicherung durch fundamentale<br />

Verän<strong>der</strong>ungen: Globalisierung, >><br />

>><br />

Foto: REDPIXEL / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

11


<strong>Moral</strong><br />

We<strong>der</strong><br />

Universalismus,<br />

noch<br />

Partikularismus<br />

alleine sind<br />

erstrebenswert.<br />

Digitalisierung <strong>der</strong> Lebens- und Arbeitswelt,<br />

weltweite Migration, die Erosion<br />

des Nationalstaats und die Auflösung <strong>der</strong><br />

patriarchalen Geschlechterordnung …<br />

<strong>Die</strong> aktuell verwendeten Denkfiguren<br />

und Argumente stehen in <strong>der</strong> Kontinuität<br />

<strong>der</strong> langen Linien <strong>der</strong> Antimo<strong>der</strong>ne:<br />

Gemeinschaft gegen seelenlosen Individualismus,<br />

nationale Identität gegen<br />

liberalen Universalismus, Tradition gegen<br />

zerstörerischen Fortschritt.“ Viele<br />

von ihnen beziehen ihre Informationen<br />

heute ausschließlich aus Sozialen Medien,<br />

sind affin für einfache postfaktische<br />

Erklärmuster und zugleich immun gegen<br />

rationale Argumente.<br />

Wo das Herz mehr zählt als <strong>der</strong><br />

Verstand<br />

Und wie sieht es auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

des Tableaus aus? <strong>Die</strong> Aktivisten <strong>der</strong><br />

Identitätspolitik wollen immer weniger<br />

etwas über Gleichheit hören. Martin<br />

Luther Kings Traum war eine Welt,<br />

die farbenblind sein möge, wo Kin<strong>der</strong><br />

nicht nach Hautfarbe, son<strong>der</strong>n nach Begabung<br />

beurteilt werden. Es ging also<br />

darum, Unterschiede einzuebnen. Heute<br />

ist das genaue Gegenteil Programm:<br />

An<strong>der</strong>ssein und Diversität gilt es zu för<strong>der</strong>n,<br />

zu verstärken und wo immer nötig,<br />

vor Angleichung zu schützen. Nicht Universalismus,<br />

son<strong>der</strong>n Partikularismus<br />

ist erstrebenswert.<br />

Am spitzesten hat diese Position <strong>der</strong><br />

Basler Soziologe Ganga Jey Aratnam<br />

formuliert: „Der Sozialvertrag des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist die Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Vielfalt.“ Sein Rat für all jene, denen<br />

das zu schnell geht, sind Integrationskurse.<br />

„Für Einheimische sind solche<br />

Kurse aber auch nötig, denn sie werden<br />

langsam zu einer Min<strong>der</strong>heit.“<br />

<strong>Die</strong> stärkste Verän<strong>der</strong>ung liegt dabei gar<br />

nicht so sehr in <strong>der</strong> – zugegeben teilweise<br />

radikalen – Sichtweise, son<strong>der</strong>n in<br />

<strong>der</strong> Art <strong>der</strong> nicht min<strong>der</strong> radikalen Begründungsmethodik:<br />

Gefühle ersetzen<br />

Argumente, <strong>der</strong> Bauch (o<strong>der</strong> das Herz,<br />

wenn man es so sehen will) den Verstand.<br />

<strong>Die</strong> eigene Identität ergibt sich<br />

aus <strong>der</strong> eigenen situativen Empfindung,<br />

und die wie<strong>der</strong>um wird mit <strong>der</strong> absoluten<br />

Wahrheit gleichgesetzt. <strong>Die</strong> private<br />

Wahrnehmung ist daher nicht verhandel-<br />

geschweige denn diskutierbar. Der<br />

frühere Grünen-Politiker und Journalist<br />

Thomas Schmid warnt: „Freiheit bedeutet<br />

diesen Demonstranten die Lizenz,<br />

sich auszuleben, koste es, was es wolle.<br />

Und keine Einschränkung zuzulassen.<br />

Das Motto: Ich bin alles und unüberschreitbar.“<br />

Identität funktioniert über<br />

Sozialisation<br />

Problematisch wird es, wenn auf den<br />

Zug <strong>der</strong> ehrlich Empörten die aufspringen,<br />

die immer und zu allem ihren Teil<br />

beisteuern. Daran sind die Sozialen Medien<br />

nicht ganz unschuldig, wie viele<br />

Studien belegen. <strong>Die</strong>se Medienformate<br />

sind nämlich zuallererst Identitätsmaschinen.<br />

„Menschen posten, teilen und<br />

liken nicht, was sie inhaltlich spannend<br />

finden. Son<strong>der</strong>n was sie über sich selbst<br />

sagen wollen, und was sie als Teil einer<br />

sozialen Gruppe erkennbar macht.“ Das,<br />

was ich in Sozialen Medien verbreite,<br />

sagt aus, was ich denke und wie ich<br />

mich sehen möchte. Wenn ich mich also<br />

selbst als Anti-Rassisten sehe, teile ich<br />

entsprechend News, in denen jemand<br />

sich über Rassismus aufregt. Viele<br />

Schneeflocken werden zur Lawine.<br />

Das hat auch David Guetta erfahren:<br />

„Wenn ich einen bösen Kommentar lese,<br />

sehe ich danach 50 weitere Kommentare,<br />

die auf <strong>der</strong>selben Idee basieren.<br />

<strong>Die</strong> Leute spüren nicht nur den Drang,<br />

irgendetwas zu kommentieren, son<strong>der</strong>n<br />

haben nicht mal ihre eigene Idee.“<br />

Mitläufertweets als Bekundung des eigenen<br />

Weltbildes? Hans-Magnus Enzensberger<br />

hat vor 60 Jahren einen Begriff<br />

geprägt, <strong>der</strong> genau das in Worte fasst:<br />

Gratismut. <strong>Die</strong> österreichische Kabarettistin<br />

Lise Eckhart, selbst massiv in<br />

<strong>der</strong> Kritik, sagt: „<strong>Die</strong> Haltung ist aber so<br />

eine Prêt-à-porter-Haltung. <strong>Die</strong> kost’ nix.<br />

<strong>Die</strong> ist schnell angelegt. Aber wenn ich<br />

auf den ersten Blick erkennbar sein und<br />

immer eindeutige Botschaften vermitteln<br />

muss, wird’s schwierig mit Kunst.“<br />

12 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Stellen wir am Ende die falschen<br />

Fragen?<br />

<strong>Die</strong> Soziologin Zeynep Tufekci hat das<br />

Phänomen sehr treffend mit Fanverhalten<br />

im Fußballstadion verglichen: <strong>Die</strong><br />

Fanblöcke <strong>der</strong> Heim- und Gastmannschaften<br />

versammeln sich in „gegnerischen<br />

Ecken.“ Ihre Gesänge, Kommentare,<br />

Buhrufe etc. werden nicht als<br />

Information wahrgenommen, son<strong>der</strong>n<br />

als Provokation, auf die man entsprechend<br />

reagiert. Wird die eine Seite laut,<br />

wird die an<strong>der</strong>e Seite lauter. <strong>Die</strong> Spirale<br />

kennt nur eine Richtung. Thomas<br />

Schmid findet: „Das Ergebnis ist deshalb<br />

auch keine Debatte, son<strong>der</strong>n eine<br />

Art Stammeskrieg: Ständig will belegt<br />

sein, zu welcher Gruppe man gehört,<br />

und dass die an<strong>der</strong>e Gruppe nicht nur<br />

im Unrecht, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Feind ist.“<br />

Aber was heißt überhaupt Identität?<br />

Fragen wir den renommierten Kultursoziologen<br />

Andreas Reckwitz: „Was<br />

Identität zunächst bezeichnet, ist das<br />

Selbstverstehen von Individuen. Das<br />

scheint mir erstmal so ein allgemeines<br />

Phänomen zu sein in <strong>der</strong> spätmo<strong>der</strong>nen<br />

Gesellschaft. Es gibt zwar Klassen,<br />

aber mit dem Klassenbewusstsein, das<br />

heißt, mit dieser kollektiven Identität<br />

als Teil einer Klasse, das ist nicht so<br />

weit verbreitet. Stattdessen spielen<br />

dann teilweise an<strong>der</strong>e Identitätsmarker<br />

eine Rolle.“<br />

Und an <strong>der</strong> Stelle kommen dann auch<br />

wie<strong>der</strong> Unternehmen ins Spiel: Purpose<br />

und progressive Werte sind heute<br />

ein mächtiges Branding- und Rekrutierungsinstrument.<br />

Allein in den USA<br />

beläuft sich das jährliche Volumen für<br />

Diversity-Trainings auf rund acht Milliarden<br />

US-Dollar pro Jahr, wie Iris Bohnet,<br />

Harvard-Professorin für öffentliche<br />

Politik, nachgerechnet hat. Ihr Fazit<br />

fällt allerdings ernüchternd aus: „Ich<br />

habe lei<strong>der</strong> keine einzige Studie gefunden,<br />

in <strong>der</strong> festgestellt wurde, dass<br />

Diversity-Training tatsächlich zu mehr<br />

Vielfalt führt.“ Diversity-Trainings stellen<br />

nach Ansicht von Bohnert nicht die<br />

<strong>Macht</strong>frage im Unternehmen, etwa bei<br />

<strong>der</strong> Teilhabe von Frauen im Vorstand,<br />

son<strong>der</strong>n beschäftigen die Mitarbeiter<br />

damit, die entsprechenden Seminare<br />

durchzustehen.<br />

In die gleiche kritische Richtung argumentiert<br />

auch Willis Krumholz in<br />

seinem frechen Essay „How To Keep<br />

Corporate Wokeness From Destroying<br />

America“. Einige <strong>der</strong> großen Konzerne<br />

heizen demnach den <strong>neue</strong>n Hype<br />

um „Wokeness“ gezielt an. Nike und<br />

die NBA seien Paradebeispiele: <strong>Die</strong> gesamte<br />

Kampagne um den Football-Spieler<br />

Colin Kaepernick, <strong>der</strong> mit seinem<br />

Kniefall bei <strong>der</strong> Hymne zu einem <strong>der</strong><br />

Vorreiter <strong>der</strong> Black Lives Matter-Bewegung<br />

wurde, brachte Nike viel Anerkennung<br />

ein. Das Unternehmen trete<br />

mutig für Menschen- und Bürgerrechte<br />

ein, so <strong>der</strong> breite Tenor in den sozialen<br />

Netzwerken. Zugleich wurde aber jede<br />

Diskussion über Menschenrechtsverletzungen<br />

in den Lieferketten, insbeson<strong>der</strong>e<br />

in China, ausgeblendet. Nike<br />

hat erfolgreich mit Hilfe von <strong>Moral</strong> ein<br />

Thema besetzt, um ein an<strong>der</strong>es zu unterdrücken.<br />

Das sei kein Einzelfall, findet Willis<br />

Krumholz: In den letzten 20 Jahren<br />

sind die Unternehmensgewinne auf<br />

Rekordhöhen geschnellt. Da die Rendite<br />

an die Kapitaleigner in Prozent des<br />

Volkseinkommens (BIP) im Vergleich<br />

zur Geschichte nach wie vor extrem<br />

hoch ist, hat sich <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Arbeit<br />

am Volkseinkommen auf Rekordtiefststände<br />

bewegt. Krumholz: „<strong>Die</strong> Beibehaltung<br />

des Gesprächs über Rasse, weiße<br />

Privilegien, Geschlecht und sexuelle<br />

Min<strong>der</strong>heiten, die allesamt amorph und<br />

schwer lösbar sind, rückt das Gespräch<br />

weg von Klassen- und Wirtschaftsprivilegien.“<br />

Zurück zum Anfang: Irgendwer ist halt<br />

immer aufgeregt. Vielleicht ist diese<br />

Grundanspannung das Merkmal unserer<br />

Zeit. Da hilft eigentlich nur Gelassenheit<br />

und Toleranz. O<strong>der</strong> wie es Kurt<br />

Tucholsky schon in den mindestens<br />

genauso erregten 1920er Jahren richtig<br />

erkannte: „Das Ärgerliche am Ärger ist,<br />

dass man sich schadet, ohne an<strong>der</strong>en<br />

zu nützen.“ f<br />

Wird die eine<br />

Seite laut,<br />

wird die<br />

an<strong>der</strong>e Seite<br />

lauter. <strong>Die</strong><br />

Spirale kennt<br />

nur eine<br />

Richtung.<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

13


„<br />

<strong>Moral</strong><br />

Am Ende kämpft<br />

man nur noch<br />

um Bil<strong>der</strong><br />

“<br />

und Symbole<br />

Von Sonja Scheferling<br />

Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und<br />

Nachhaltigkeit wi<strong>der</strong>sprechen sich nicht, sagt<br />

Prof. Dr. Dominik H. Enste vom Institut <strong>der</strong><br />

deutschen Wirtschaft in Köln. Wir haben uns<br />

mit ihm über aufgeheizte Debatten,<br />

Marktwirtschaft und <strong>Moral</strong> unterhalten.<br />

UmweltDialog: Herr Prof. Enste, viele Grabenkämpfe des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts sind Themen, die mit Nachhaltigkeit und Wirtschaft<br />

zu tun haben. Warum ist das so? Wie viel <strong>Moral</strong>isierung<br />

verträgt Nachhaltigkeit?<br />

Prof. Dr. Enste: Dahinter steckt <strong>der</strong> traditionelle Konflikt<br />

über die unvereinbaren Gegensätze von Ethik und Wirtschaft.<br />

<strong>Die</strong>ser Konflikt zieht sich durch den gesamten wirtschaftsethischen<br />

Diskurs und manifestiert sich in <strong>der</strong> Nachhaltigkeitsthematik.<br />

<strong>Die</strong> aktuelle Debatte zwischen Nachhaltigkeit<br />

und Klimaschutz auf <strong>der</strong> einen Seite und Wohlstand und wirtschaftlichem<br />

Wachstum, das wir benötigen, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite, versinnbildlicht diesen Konflikt.<br />

Wir übersehen dabei häufig, dass es selbstverständlich Ideen<br />

gibt, wie man beide Ebenen miteinan<strong>der</strong> „versöhnen“ und sowohl<br />

ökologische als auch ökonomische Ziele erreichen kann.<br />

Aber dank Social Media und <strong>der</strong> aktuellen Diskussionskultur<br />

ist es heute sehr schwer, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.<br />

<strong>Die</strong>se aufgeheizten Debatten entstehen, weil <strong>der</strong>en Vertreter –<br />

zum Beispiel Fridays for Future einerseits und Unternehmen<br />

an<strong>der</strong>erseits – sich oft keine Verän<strong>der</strong>ungen wünschen und<br />

sich nicht aufeinan<strong>der</strong> zubewegen wollen.<br />

14 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Foto: Dominik Enste<br />

Generell basiert <strong>Moral</strong>isieren immer auf<br />

tugendethischen Ansätzen und Ideen.<br />

Übertragen auf die Nachhaltigkeitsdebatte<br />

bedeutet das, dass etwa Praktiken<br />

wie Fliegen o<strong>der</strong> Fleischessen verboten<br />

werden müssten, weil sich diese<br />

„nicht gehören“.<br />

Filme werden von Streaming-<strong>Die</strong>nsten abgesetzt,<br />

Denkmäler gestürzt: Der Kampf<br />

gegen Rassismus und die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit unserer kolonialen Vergangenheit<br />

hat die Kultur erreicht. Bil<strong>der</strong>stürme<br />

alleine verän<strong>der</strong>n aber keine Gesellschaft.<br />

Was wäre besser?<br />

Durch Social Media hat sich eine Aufgeregtheitskultur<br />

entwickelt, bei <strong>der</strong> man<br />

durch kurze Informationshappen getriggert<br />

und angetrieben wird. Am Ende<br />

versucht man nur noch, um bestimmte<br />

Bil<strong>der</strong> und Symbole zu kämpfen. Viel<br />

wichtiger ist es, im Diskurs darum zu<br />

ringen, welche Verän<strong>der</strong>ungen – auch<br />

im Kleinen – unsere Gesellschaft positiv<br />

weiterentwickeln.<br />

Sie haben die Kultur angesprochen. Auch<br />

<strong>der</strong> Wissenschaftsbetrieb ist von <strong>Moral</strong>isierung<br />

betroffen.<br />

Es gibt Hochschulen, die Professoren<br />

geächtet haben, weil sie sich nicht<br />

entsprechend des gesellschaftlichen<br />

Trends äußerten o<strong>der</strong> auch nur auf bestimmte<br />

Fakten verwiesen, die nicht<br />

dem Mainstream entsprachen. Das<br />

halte ich für sehr bedenklich, weil wir<br />

dann dem <strong>Moral</strong>ismus und nicht den<br />

überprüfbaren Fakten Raum geben und<br />

die Freiheit von Forschung und Lehre<br />

gefährden.<br />

Sie sind Wirtschaftsethiker. Wie sehen<br />

denn Ihrer Meinung nach Lösungen aus,<br />

die die Gesellschaft in Sachen Diversity,<br />

Klimaschutz o<strong>der</strong> nachhaltigem Konsum<br />

etc. nicht weiter spalten?<br />

<strong>Die</strong> Wirtschaftsethik prüft zum Beispiel,<br />

auf welcher Ebene Probleme gelöst werden<br />

können. Wenn zum Beispiel ein<br />

Unternehmen mit nachhaltigem Handeln<br />

am Markt nicht erfolgreich ist und<br />

verdrängt wird, weil es dadurch höhere<br />

Kosten hat, dann kann <strong>der</strong> Staat auf <strong>der</strong><br />

Ordnungsebene demokratisch legitimiert<br />

und unter Abwägung <strong>der</strong> Kosten<br />

eine allgemeine Regel erlassen und<br />

Nachhaltigkeit für alle Unternehmen<br />

verpflichtend machen.<br />

Ein simples Beispiel: Wenn ein Unternehmen<br />

CO 2<br />

-arm produziert, dadurch<br />

aber insgesamt höhere Produktionskosten<br />

hat und im Wettbewerb Nachteile<br />

erleidet, weil an<strong>der</strong>e Unternehmen<br />

nicht ökologisch handeln, können eine<br />

CO 2<br />

-Steuer o<strong>der</strong> Umweltzertifikate >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

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Foto: weedezign / stock.adobe.com<br />

<strong>Moral</strong><br />

auf <strong>der</strong> Ordnungsebene eine Lösung<br />

sein. So wird die Produktion für alle<br />

Unternehmen in gleicher Weise beeinflusst.<br />

Nachhaltige Unternehmen werden<br />

nicht im Wettbewerb benachteiligt<br />

und aus dem Markt gedrängt. <strong>Die</strong> externen<br />

Effekte (Umweltschäden) würden<br />

verursachungsgerecht mit einem Preis<br />

versehen.<br />

Erfolgreich sind dabei die drei „Is“: Neben<br />

dem Incentivieren – wie etwa durch<br />

eine CO 2<br />

-Steuer – ist das Informieren<br />

wichtig, um die Menschen mit notwendigen<br />

Fakten zu versorgen und letztlich<br />

Innovationen, damit wir Wege finden,<br />

wie wir den CO 2<br />

-Fußabdruck reduzieren<br />

und gleichzeitig unseren Wohlstand<br />

wahren können.<br />

Und abseits von staatlichen Eingriffen?<br />

In Ergänzung dazu kann man prüfen, inwiefern<br />

verhaltensethische Maßnahmen<br />

erfolgreich sind, die ohne Staatseingriffe<br />

auskommen. Hierbei verdeutlichen<br />

wir, wie Menschen im Alltag von ihrem<br />

Verhalten abweichen, welches sie eigentlich<br />

für richtig halten.<br />

In <strong>der</strong> Theorie heißt das Mind Behavior<br />

Gap o<strong>der</strong> Attitude Behavior Gap. Bestellen<br />

bei Amazon ist ein schönes Beispiel<br />

dafür: Viele Menschen meckern über<br />

den Erfolg des Onlinehändlers und beschweren<br />

sich, dass er unter Umständen<br />

Einzelhändler und Kleinunternehmen<br />

ruiniert, kaufen aber trotzdem über die<br />

Plattform ein. Der Grund: Menschen ver-<br />

16 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


keinen Schritt weiter und ignorieren<br />

den öffentlichen Druck. Um aber die<br />

Legitimität, also die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz für wirtschaftliches Handeln<br />

zu erhalten, ist es wichtig, auch Interessen<br />

weiterer Stakehol<strong>der</strong> zu berücksichtigen.<br />

Welche langfristigen Gesellschaftstrends<br />

entwickeln sich? Wie kann ich<br />

es vermeiden, dass im Endeffekt wirklich<br />

<strong>der</strong> Staat bestimmte Regeln vorgibt,<br />

die dann möglicherweise dem eigenen<br />

Geschäftsmodell schaden? Dementsprechend<br />

kann man CSR dazu nutzen, als<br />

Unternehmen proaktiv auf solche Strömungen<br />

zu reagieren und genau zu<br />

prüfen, in welchen Kontexten sie im<br />

Wertschöpfungsprozess integriert werden<br />

können, um Nachhaltigkeit voranzutreiben.<br />

Das mag vielleicht eine Zeit<br />

lang bedeuten, dass Aktionäre geringere<br />

Dividenden erhalten, aber langfristig<br />

sichert dieses Vorgehen die eigene Geschäftstätigkeit.<br />

„<br />

<strong>Die</strong> Verhaltensethik<br />

versucht, Menschen<br />

Ideen an die Hand<br />

zu geben, wie sie<br />

häufiger das tun,<br />

von dem sie<br />

eigentlich überzeugt<br />

sind, dass es das<br />

Richtige ist.<br />

<strong>Moral</strong><br />

Sie greifen hier die For<strong>der</strong>ung auf, dass<br />

wirtschaftlicher Erfolg nicht nur den<br />

Aktionären dienen, son<strong>der</strong>n auch Mitarbeitern<br />

und <strong>der</strong> Gesellschaft insgesamt<br />

zugutekommen soll. Manche Wirtschaftsvertreter<br />

sprechen hier von „Inclusive Capitalism“.<br />

folgen langfristig an<strong>der</strong>e Ziele als kurzfristig<br />

und handeln oft spontan.<br />

<strong>Die</strong> Verhaltensethik versucht, Menschen<br />

Ideen an die Hand zu geben, wie sie<br />

häufiger das tun, von dem sie eigentlich<br />

überzeugt sind, dass es das Richtige ist.<br />

Unternehmen sind momentan medienwirksam<br />

Shit Storms und Boykottaufrufen<br />

ausgesetzt. Wie beurteilen Sie den Umgang<br />

<strong>der</strong> Unternehmen mit dem öffentlichen<br />

Druck? Was können sie stattdessen<br />

tun?<br />

Das ist eine wichtige Frage! Manche<br />

Unternehmen warten darauf, welche Regeln<br />

<strong>der</strong> Staat erlassen wird. Sie halten<br />

sich an Recht und Gesetz, gehen aber<br />

Unabhängig davon wie man diesen Ansatz<br />

nennt, haben wir diese For<strong>der</strong>ung<br />

bei <strong>der</strong> IW-Akademie schon vor 15 Jahren<br />

gestellt. Wir sind davon überzeugt,<br />

dass Unternehmen auf Dauer nur Erfolg<br />

haben, wenn Sie nicht nur den Sharehol<strong>der</strong>-Value<br />

stärken. Schauen Sie sich den<br />

Kapitalmarkt an: Zurzeit kann man sich<br />

sehr günstig Geld leihen. Im Gegensatz<br />

dazu wird es aber immer schwieriger,<br />

qualifizierte Fachkräfte zu bekommen.<br />

Das verdeutlicht, warum es aus Unternehmersicht<br />

so wichtig ist, auch die<br />

Interessen <strong>der</strong> Mitarbeiter im Blick zu<br />

haben.<br />

Darüber hinaus sollte man nicht vergessen,<br />

dass Marktwirtschaft in erster Linie<br />

dem Kunden dient und nicht den Aktionären.<br />

Befriedigen Unternehmen >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

17


<strong>Moral</strong>„die Kundenbedürfnisse, erwirtschaften<br />

sie Gewinne und <strong>der</strong> Aktienkurs steigt.<br />

Eine<br />

funktionierende<br />

Markwirtschaft,<br />

eingebettet in eine<br />

Rahmenordnung,<br />

die dafür sorgt,<br />

dass Regeln<br />

eingehalten<br />

werden, sorgt aus<br />

unterschiedlichen<br />

Gründen für<br />

<strong>Moral</strong>.<br />

Bedeutet das im Umkehrschluss auch,<br />

dass Unternehmen, die sich nachhaltig<br />

positionieren und Stakehol<strong>der</strong>-orientiert<br />

sind, vor Shit Storms geschützt sind, wenn<br />

sie mal unkorrekt handeln?<br />

Ja, sofern sie glaubwürdig Corporate Social<br />

Responsibility betreiben und nachweisen,<br />

dass sie bestimmte Maßnahmen<br />

umgesetzt und Ziele erreicht haben, die<br />

eine substanzielle Verän<strong>der</strong>ung bewirken.<br />

CSR verlangt eine langfristige, proaktive<br />

Strategie, die unterschiedliche<br />

Stakehol<strong>der</strong>-Interessen einbezieht. Auf<br />

diese Weise läuft man auch nicht Gefahr,<br />

ad hoc irgendwelche kurzfristigen<br />

Maßnahmen umsetzen zu müssen, weil<br />

eine Situation aus dem Ru<strong>der</strong> gelaufen<br />

ist. Außerdem ist es wichtig, nicht nur<br />

Ökonomen, son<strong>der</strong>n beispielsweise Ethiker<br />

etc. in unternehmerische Entscheidungsprozesse<br />

miteinzubeziehen. Auf<br />

diese Weise wären manche Entscheidungen,<br />

die einen Shit Storm ausgelöst<br />

haben, gar nicht erst getroffen worden.<br />

Ich erinnere nur an eine <strong>der</strong> letzten<br />

Volkswagen-Werbungen ….<br />

Allerdings sollten sich Unternehmen<br />

davor hüten, es jedem recht machen zu<br />

wollen. Das funktioniert nicht.<br />

Zum Boykott einzelner Unternehmen o<strong>der</strong><br />

Produkte aufzurufen, ist einfach, wenn es<br />

genügend Alternativen gibt. Sind sie nicht<br />

vorhanden, werden moralische Bedenken<br />

beim Kaufen schnell beiseite gewischt.<br />

Warum messen Verbraucher hier mit zweierlei<br />

Maß?<br />

Das hat verschiedene Gründe. Neben<br />

<strong>der</strong> bereits angesprochenen Mind Behavior<br />

Gap hat das auch etwas mit Bequemlichkeit<br />

zu tun. Außerdem ist es<br />

leichter, zum Boykott aufzurufen und<br />

damit Aufmerksamkeit zu erzielen, als<br />

wirklich dauerhaft das Verhalten zu<br />

verän<strong>der</strong>n. Solche Boykottaufrufe sind<br />

immer schnell getätigt. Dabei werden<br />

selten die Hintergründe geprüft, warum<br />

ein Skandal aufgetreten ist. Aber Verbraucher<br />

„vergessen“ auch sehr schnell.<br />

Das heißt, dass sie wie<strong>der</strong> in alte Konsummuster<br />

verfallen, auch wenn sie vorher<br />

zu einem Boykott aufgerufen haben.<br />

Allerdings sind drohende, dauerhafte<br />

Reputationsschäden bei Fehlverhalten<br />

ein Warnschuss, mehr Nachhaltigkeit<br />

in Unternehmen zu schaffen. Sie tragen<br />

dazu bei, dass Unternehmen ihrer<br />

gesellschaftlichen Verantwortung über<br />

die gesetzlichen Vorgaben hinaus nachkommen.<br />

Für Sie gilt die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung<br />

nicht nur als Garant für<br />

Freiheit und Wohlstand, son<strong>der</strong>n auch für<br />

<strong>Moral</strong>. Wieso? Was hat das eine mit dem<br />

an<strong>der</strong>en zu tun?<br />

Eine funktionierende Markwirtschaft,<br />

eingebettet in eine Rahmenordnung,<br />

die dafür sorgt, dass Regeln eingehalten<br />

werden, sorgt aus unterschiedlichen<br />

Gründen für <strong>Moral</strong>. Unternehmen etwa,<br />

die einen zu hohen Gewinn erwirtschaften,<br />

können von Nachahmern verdrängt<br />

werden, die versuchen, ebenfalls auf<br />

dem Markt mitzumischen. Der Markt<br />

trägt dazu bei, dass Ressourcen effizient<br />

genutzt werden. So hat ein Unternehmen,<br />

das aus einem Liter Öl doppelt<br />

soviel herstellen kann, auf dem Markt<br />

größere Chancen als <strong>der</strong> Betrieb, <strong>der</strong><br />

nur ein Produkt draus produziert. Wer<br />

also ressourcenschonen<strong>der</strong> wirtschaftet,<br />

ist bei einer richtigen Bepreisung<br />

von Umweltnutzung – will sagen, dass<br />

<strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> die Umwelt schädigt auch<br />

dafür bezahlt – dauerhaft erfolgreicher.<br />

Der Wettbewerb löst einen Innovationsantrieb<br />

aus, <strong>der</strong> zu besseren Produkten<br />

führt und sorgt dafür, dass je<strong>der</strong> Kunde,<br />

<strong>der</strong> den Preis bezahlt, auch die Ware erhält.<br />

Völlig diskriminierungsfrei.<br />

Dem Markt gelingt es somit viel besser,<br />

Menschen mit Gütern und <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

zu versorgen, als es in jedem an<strong>der</strong>en<br />

– zumindest bisher bekannten –<br />

System funktioniert hat.<br />

Vorausgesetzt, dass man sich das leisten<br />

kann.<br />

18 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Die</strong> Marktwirtschaft muss natürlich durch eine Grundsicherung<br />

für sozial Schwache, die im Marktmechanismus nicht<br />

in <strong>der</strong> Lage sind, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, und einem<br />

System aus Unfall-, Arbeitslosen,- Kranken- und Rentenversicherung<br />

flankiert werden. Und in dieser Kombination ist aus<br />

meiner Sicht unsere soziale Marktwirtschaft eine <strong>der</strong> erfolgreichsten<br />

<strong>der</strong>zeit existierenden Wirtschaftsordnungen weltweit.<br />

Werte und Normen werden in Recht übersetzt. Wieso diskutieren<br />

wir immer noch über <strong>Moral</strong> in <strong>der</strong> Wirtschaft, wenn es doch Compliance-Regeln<br />

gibt?<br />

Der Grund ist relativ simpel. Wir werden es nie schaffen, all<br />

das, was wir als legitim erachten, auch in Recht und Gesetz<br />

o<strong>der</strong> in Compliance-Regeln zu packen. Das heißt, es bleibt in<br />

jedem Vertragswerk eine Lücke, die Sie ausnutzen können<br />

und die dann anschließend geschlossen werden muss. Aber<br />

ein Leben, das ausschließlich darauf basiert, dass wir uns an<br />

Compliance-Regeln halten, würde am Ende gar nicht mehr lebenswert<br />

sein, weil die Transaktionskosten so enorm in die<br />

Höhe schössen.<br />

Warum?<br />

Weil wir alle Handlungen erst noch schriftlich festhalten, dokumentieren<br />

und am Ende auch noch überprüfen müssten.<br />

Das Zusammenleben basiert ja gerade eben auf Vertrauen,<br />

und dieses Vertrauen entsteht nur, wenn entsprechend Werte<br />

und Normen des Miteinan<strong>der</strong>s gepflegt und gehegt werden.<br />

Das kann man nicht durch Compliance-Regeln ersetzen.<br />

Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Wir haben<br />

jüngst eine Studie über Vertrauen und Kontrolle in Unternehmen<br />

veröffentlicht. Das Kernergebnis: blinde Kontrolle ist sehr<br />

viel gefährlicher als blindes Vertrauen.<br />

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?<br />

WireCard. Dort gab es offensichtlich eine unendliche Vielzahl<br />

von Kontrollen. Sämtliche Aufsichtsbehörden waren eingebunden.<br />

Und <strong>der</strong> Schaden, <strong>der</strong> dadurch entstanden ist, war um ein<br />

Vielfaches höher, weil die Kontrollen ja suggeriert haben, dass<br />

alles in Ordnung ist. Ich glaube nicht, dass irgendjemand ohne<br />

diese Testate, ohne diese vermeintliche Befolgung von Compliance-Regeln,<br />

jemals so viel Geld in diese Firma investiert<br />

hätte. Eine stärker auf Vertrauen basierte Kultur hätte wahrscheinlich<br />

schon früher Zweifel an <strong>der</strong> Integrität <strong>der</strong> handelnden<br />

Personen gehabt. Am Ende gehören nämlich immer auch<br />

ein Stück weit Menschenverständnis und eine Vertrauenskultur,<br />

Werte, Normen und Integrität mit dazu, ob man mit einem<br />

Menschen Geschäfte machen will o<strong>der</strong> nicht. Und das kann<br />

man nicht in die Compliance-Abteilung delegieren.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

40<br />

IBU<br />

Jahre<br />

1980-2020<br />

„ Guided by<br />

the Future<br />

Frühbucherrabatt<br />

bis zum 04.04.2021 sichern<br />

<strong>Moral</strong><br />

Seit 40 Jahren geht das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU)<br />

fortschrittliches Bauen an<strong>der</strong>s an. Als große Gemeinschaft<br />

aus allen Bereichen <strong>der</strong> Bauprodukte-Industrie orientieren wir<br />

uns heute an den Anfor<strong>der</strong>ungen von Morgen. Und wirken<br />

mit an <strong>der</strong> Entwicklung zukunftsweisen<strong>der</strong> Standards.<br />

Unser Jubiläum nehmen wir zum Anlass mit Ihnen einen Blick<br />

auf die Trends zu werfen, die wegweisend für das Bauen <strong>der</strong><br />

Zukunft sein werden.<br />

n Welche Herausfor<strong>der</strong>ungen verän<strong>der</strong>n die<br />

Bauweisen <strong>der</strong> Zukunft?<br />

n Modular, seriell o<strong>der</strong> klassisch: was braucht<br />

die nachhaltige Stadtplanung?<br />

n Beispiele und Referenzen von Projekten, die<br />

heute schon in <strong>der</strong> Zukunft angekommen sind.<br />

n Marktchancen und Herausfor<strong>der</strong>ungen für<br />

die Baustoffindustrie.<br />

Jetzt Ticket sichern unter:<br />

www.ibu-epd.com/ibu-symposium<br />

Das Detail im Fokus.<br />

Das Ganze im Blick.<br />

”<br />

Symposium zu den<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen +<br />

Chancen für das<br />

nachhaltige<br />

Bauen<br />

31. Mai 2021<br />

in Berlin<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

19


<strong>Moral</strong><br />

Übergriffig<br />

Werbung<br />

und Zeitgeist<br />

Wer wissen will, wie <strong>der</strong><br />

Zeitgeist tickt, <strong>der</strong> sollte<br />

einen Blick auf die<br />

Werbung werfen:<br />

Ob Sexismus, Rassismus<br />

o<strong>der</strong> Chauvinismus –<br />

manche <strong>der</strong> -ismen haben<br />

wir überwunden.<br />

An an<strong>der</strong>en arbeiten<br />

wir noch.<br />

Quelle: Advert for Pears' Soap<br />

Wellcome L0030380/www.commons.wikimedia.org/CC-BY-4.0<br />

https://wellcomeimages.org/<br />

indexplus/obf_images/7a/<br />

d8/abe79a90de-<br />

1700492213779abea5.jpg<br />

Gallery: https://wellcomeimages.<br />

org/indexplus/image/<br />

L0030380.html<br />

Wellcome Collection gallery<br />

(2018-03-23): https://wellcomecollection.org/works/b7cc6f5f<br />

CC-BY-4.0<br />

20 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Quelle: Hardees<br />

Quelle: Hoover<br />

Quelle: Van Heusen<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

21


<strong>Moral</strong><br />

Quelle: Tipalet ®<br />

22 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Quelle: Dr. Oetker<br />

Quelle: IWC<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

23


<strong>Moral</strong><br />

„<br />

Kapital und Ressourcen<br />

sind heute nicht mehr die<br />

entscheidenden Faktoren<br />

für Aufmerksamkeit<br />

Jedes Interesse ist legitim,<br />

sofern es keine rechtsstaatlichen<br />

Grundsätze verletzt.<br />

Warum wir aber moralisch<br />

einen Unterschied zwischen<br />

<strong>der</strong> Lobbyarbeit unterschiedlicher<br />

Gruppen machen, weiß<br />

Cornelius Winter, Foun<strong>der</strong> von<br />

365 Sherpas. Dort hat man<br />

sich auf politisch-strategische<br />

Kommunikationsberatung<br />

spezialisiert.<br />

UmweltDialog: Herr Winter, Sie sind Experte<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Public Affairs.<br />

Zwischen legitimer politischer Einflussnahme,<br />

Vetternwirtschaft und Korruption<br />

ist es oft ein schmaler Grat. Haben Lobbyisten<br />

ein Problem mit Regelkonformität?<br />

Cornelius Winter: Der Grat zwischen<br />

Lobbyismus und Korruption ist genauso<br />

schmal wie zwischen Politik, Medizin<br />

o<strong>der</strong> Journalismus und Korruption.<br />

Korruption ist generell illegal, und es<br />

macht keinen Sinn, hier eine beson<strong>der</strong>e<br />

Anfälligkeit in die politische Interessenvertretung<br />

hineinzudeuten. Vieles<br />

in meinem Beruf basiert auf Vertrauen<br />

und Reputation. Und da kann man sich<br />

illegale Aktivitäten nicht leisten, wenn<br />

man länger als nur zwei Jahre in dem<br />

Job bleiben möchte. Abgesehen davon<br />

gibt es natürlich eine Berufsethik, ähnlich<br />

wie im Journalismus und in an<strong>der</strong>en<br />

Berufen auch.<br />

Jedes Interesse benötigt am Ende für<br />

seine Durchsetzung eine gesellschaftliche<br />

Legitimation. Deswegen sind Transparenz<br />

und öffentlicher Dialog auch in<br />

unserer Branche in den vergangenen<br />

Jahren immer wichtiger geworden. Politische<br />

Entscheidungen können heute<br />

nicht mehr im Geheimen getroffen<br />

werden, son<strong>der</strong>n müssen in Zeiten <strong>der</strong><br />

digitalen Informationsgesellschaft, die<br />

vieles entdeckt und nichts vergisst,<br />

nachvollziehbar sein.<br />

Aber: Transparenz und Diskretion<br />

schließen sich nicht aus. Politische Entscheidungen<br />

benötigen weiterhin auch<br />

geschlossene Räume, in denen Entscheidungsträger<br />

offen Fragen stellen und<br />

diskutieren können, ohne dass ihnen<br />

<strong>der</strong>artige Abwägungen gleich als Tendenz<br />

o<strong>der</strong> Schwäche ausgelegt werden.<br />

Nicht je<strong>der</strong> Gedanke kann und sollte auf<br />

offener Bühne ausgefochten werden. Es<br />

gibt viele Entscheidungen, die langfristig<br />

und gut vorbereitet werden müssen.<br />

Aus diesem Grund sind vertrauensvolle,<br />

diskrete Gespräche während des Entscheidungsprozesses<br />

unabdingbar.<br />

Sie sagen, dass Lobbyismus von Transparenz<br />

lebt. Dennoch wird von Ihrem Job oft<br />

ein gegenteiliges Bild gezeichnet. Warum?<br />

Viele Reaktionen auf unseren Beruf entstehen<br />

reflexartig, weil ein bestimmtes<br />

Bild vom Lobbyismus vorherrscht. Der<br />

Begriff ist aus dem Englischen übernommen<br />

und man verbindet damit<br />

Praktiken, die vermeintlich in den USA<br />

vorkommen: Rauchende Menschen auf<br />

Abendveranstaltungen, die viel Alkohol<br />

trinken und im Hinterzimmer Absprachen<br />

miteinan<strong>der</strong> treffen. Unsere Branche<br />

muss diesbezüglich noch viel mehr<br />

Aufklärungsarbeit leisten, transparent<br />

über den Job sprechen und mit den Vorurteilen<br />

aufräumen.<br />

Welche sind das?<br />

Ein Hauptproblem ist etwa, dass unsere<br />

Arbeit auf die unmittelbaren Gespräche<br />

zwischen Interessenvertreterinnen und<br />

24 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


Foto: Laurin Schmid<br />

<strong>Moral</strong><br />

<strong>Die</strong> Lobbyarbeit <strong>der</strong> Wirtschaft wird gerne<br />

öffentlich als <strong>Macht</strong>missbrauch kritisiert.<br />

Aber Greenpeace und Co. versuchen auch,<br />

die Politik für ihre Zwecke zu beeinflussen;<br />

das Prinzip ist gleich. Warum wird hier<br />

moralisch mit zweierlei Maß gemessen?<br />

Interessenvertretern und Politikerinnen<br />

und Politikern reduziert wird. <strong>Die</strong> Vorarbeit<br />

– Wie erklärt die Politik die Motive<br />

hinter einem Vorhaben? Wie entwickelt<br />

man als Branche Positionen dazu? Welche<br />

wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

können die Argumente aus <strong>der</strong> Wirtschaftsperspektive<br />

stützen? Welche<br />

gesellschaftlichen Kontexte sind zu berücksichtigen?<br />

– wird ausgeblendet.<br />

Was auch viele vergessen: Am Ende<br />

sitzen nicht wir im Plenum und treffen<br />

eine politische Entscheidung, son<strong>der</strong>n<br />

gewählte Politikerinnen und Politiker.<br />

<strong>Die</strong>se müssen alle Interessen im Blick<br />

haben und daraus die bestmögliche Entscheidung<br />

treffen. Zudem sind die einzelnen<br />

Politikerinnen und Politiker Teil<br />

eines komplexen Abwägungsprozesses<br />

in ihren Parteien, Fraktionen und Koalitionen.<br />

Einsame o<strong>der</strong> einseitige Entscheidungen<br />

gibt es da nicht.<br />

Kritiker merken an, dass Wirtschaftslobbyisten<br />

sich leichter Zugang zu Politikern<br />

verschaffen können als an<strong>der</strong>e Interessenvertreter,<br />

weswegen die Anliegen ungleich<br />

gewichtet sind.<br />

Dem möchte ich wi<strong>der</strong>sprechen, denn<br />

Kapital und Ressourcen sind heute<br />

längst nicht mehr die entscheidenden<br />

Faktoren für Aufmerksamkeit und politische<br />

Wirkmächtigkeit – gerade in Zeiten<br />

von Social Media und Chat-Gruppen.<br />

Egal, ob es sich um Interessenvertretung<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft, <strong>der</strong> Kirchen o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

NGOs handelt – je<strong>der</strong> hat sein spezifisches<br />

Geschäfts- und Existenzmodell,<br />

mit dem er sich auf die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

dieser Zeit einstellen muss. Darüber<br />

hinaus geht es nicht selten um kommunikative<br />

Kompetenz und Kampagnenfähigkeit.<br />

Und ich behaupte: Hier kann<br />

so manch ein Dax 30-Konzern noch viel<br />

von einigen NGOs lernen.<br />

Es geht ja am Ende um Inhalte, relevante<br />

Argumente, Dialogbereitschaft,<br />

den Willen aufeinan<strong>der</strong> zuzugehen,<br />

Gesellschaftsfähigkeit und Verantwortung.<br />

Daran müssen sich die Interessen<br />

aller Lobbygruppen messen lassen. Das<br />

ist, meiner Meinung nach, eine sehr<br />

gute Entwicklung und eine ebensolche<br />

Grundlage, um darauf basierend<br />

politische Entscheidungen treffen zu<br />

können.<br />

Weil ein Fehler gemacht wird, indem<br />

man von „guten“ und „schlechten“ Interessen<br />

ausgeht. Jedes Interesse ist aber<br />

gleichermaßen legitim, sofern es keine<br />

rechtsstaatlichen Grundsätze verletzt.<br />

Deswegen kann es auch keine guten<br />

o<strong>der</strong> schlechten Interessen geben und<br />

kein gutes o<strong>der</strong> böses Lobbying. Nur<br />

handwerklich richtig o<strong>der</strong> falsch ausgeführte<br />

Interessenvertretung.<br />

Das richtige Vorgehen ist so reflektiert<br />

wie möglich und hat den gesellschaftlichen<br />

Nutzen immer im Blick – bei<br />

gleichzeitigem Bewusstsein, dass man<br />

ein Partikularinteresse vertritt, das neben<br />

an<strong>der</strong>en Partikularinteressen steht.<br />

Es geht nicht um das stumpfe Vortragen<br />

von immer demselben Interesse,<br />

bis es sich irgendwann durchsetzt. <strong>Die</strong><br />

Politikerinnen und Politiker sind eingebunden<br />

in ein komplexes System<br />

gesellschaftlicher Gruppen, in parlamentarische<br />

und politische Abläufe, in<br />

öffentliche Debatten, und müssen alle<br />

unterschiedlichen Perspektiven berücksichtigen,<br />

bevor sie entscheiden, was<br />

gesellschaftlich am durchsetzungsfähigsten<br />

ist. Dabei ist <strong>der</strong> Absen<strong>der</strong> des<br />

Interesses zweitrangig.<br />

Da Lobbying oft moralisch negativ besetzt<br />

ist, versuchen Gruppen, die sich<br />

bewusst aus dem Feld <strong>der</strong> Interessenvertretung<br />

ausklammern wollen, nicht<br />

mit dem Begriff in Verbindung gebracht<br />

zu werden. Aber: Jede NGO, jede Kirchenorganisation,<br />

jede Gewerkschaft<br />

o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Sportverein ist ein Teil von<br />

Interessenvertretung, wenn es darauf<br />

ankommt.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

25


<strong>Moral</strong><br />

26 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

<strong>Die</strong> empathische Strategin:<br />

Leonie Bremer<br />

Text: Alex Matzkewitz<br />

Fotos: Simon Heydorn<br />

„Behaltet diese lockere Art, Fragen zu<br />

stellen, unbedingt bei“, sagt Leonie Bremer<br />

(22) und lächelt, während sie sich<br />

auf dem Beifahrersitz wie<strong>der</strong> nach vorne<br />

dreht. Sie weiß, wovon sie spricht, denn<br />

als eines <strong>der</strong> bekanntesten Gesichter von<br />

„Fridays for Future Deutschland“ organisierte<br />

die junge Aktivistin im letzten<br />

Jahr nicht nur zahlreiche Klimaproteste,<br />

son<strong>der</strong>n war ebenfalls ein gefragter Gast<br />

in Polittalkshows. In TV-Formaten wie<br />

„Hart aber fair“ (ARD) mit Frank Plasberg<br />

saß sie neben dem Bundesminister<br />

für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier<br />

und debattierte konsequent über<br />

Klimaschutz, warf ihm vor, dass es die<br />

Bewegung nicht gebraucht hätte, wenn<br />

Politiker wie er klimafreundlich statt<br />

profitorientiert für die Wirtschaft arbeiten<br />

würden. Das Medienecho ließ nicht<br />

lange auf sich warten: Sie wirke kühl,<br />

unbequem und uneinsichtig. Reaktionen,<br />

die niemanden kalt lassen und sich<br />

vor allem nicht um den Inhalt drehen.<br />

„Ein Wissenschaftler, mit dem ich eng<br />

im Austausch stehe, meinte letztens zu<br />

mir, dass mich mittlerweile so schnell<br />

nichts mehr aus <strong>der</strong> Ruhe bringt. Dabei<br />

bin ich gerade für die Rationalität an mir<br />

dankbar“, resümiert Leonie. Vielleicht<br />

braucht es eben diese rationalere Seite,<br />

wenn Emotionen durch die Öffentlichkeit<br />

verstärkt werden.<br />

Heute geht es in kein TV-Studio. Wir<br />

sind unterwegs in Hamburg. Ein kühler,<br />

windiger Donnerstag. Erster Halt: Boberger<br />

Dünen. Fotoshooting, Kaffee und ein<br />

Gespräch. Welches am Ende des Tages<br />

ein ganz an<strong>der</strong>es Bild auf Leonie werfen<br />

wird.<br />

„Wenn ich eine Sache auf <strong>der</strong><br />

Welt verän<strong>der</strong>n könnte, ich würde<br />

die Prioritäten von Menschen in<br />

<strong>Macht</strong>positionen an<strong>der</strong>s setzen.“<br />

Leonies Ton wird schroffer. Dabei wirkt<br />

die Masterstudentin <strong>der</strong> er<strong>neue</strong>rbaren<br />

Energien anfangs eher introvertiert.<br />

„In großen Diskussionsrunden presche<br />

ich nie unüberlegt vor. Ich gucke, wer<br />

teilnimmt, und versuche, die jeweiligen<br />

Positionen zu verstehen. Wenn alles an<br />

Inhalten gesagt ist, ist eben alles gesagt.“<br />

Leonie ist keiner dieser Menschen, die<br />

das Rampenlicht suchen o<strong>der</strong> gar brauchen.<br />

Es geht ihr um die Botschaft. Um<br />

ihr Thema. Klimaschutz und die dazugehörigen<br />

politischen Verän<strong>der</strong>ungen,<br />

die weit über das Thema Umweltpolitik<br />

hinausgehen. Schon immer sei sie empathisch<br />

gewesen und sehr tierlieb.<br />

<strong>Die</strong> überzeugte Veganerin bemerkt bereits<br />

in ihren frühen Jahren, dass sie<br />

gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen herbeiführen<br />

wolle. Ellenbogenmentalität und<br />

vor allem <strong>der</strong> steigende Konkurrenzsowie<br />

Leistungsdruck in <strong>der</strong> Schule<br />

waren ihr zuwi<strong>der</strong>. Feiern gehen, Drogen,<br />

Alkohol – es ist bis heute nicht ihre<br />

Welt. Schminktipps o<strong>der</strong> Modetrends:<br />

Fehlanzeige. Leonie sucht Gleichgesinnte,<br />

findet diese im Rahmen <strong>der</strong> Proteste<br />

im Hambacher Forst (von den Aktivistinnen<br />

und Aktivisten „Hambi“ genannt).<br />

Von hier aus gelangt sie zu „Fridays for<br />

Future“ und engagiert sich auf bundesweiten<br />

Demonstrationen. „<strong>Die</strong> Diskussionen,<br />

das gegenseitige Skill-Sharing und<br />

<strong>der</strong> ständige Austausch mit den Leuten<br />

gefällt mir am besten. Es geht aber >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

27


<strong>Moral</strong><br />

nicht um den Spaß, den wir häufig miteinan<strong>der</strong><br />

haben, son<strong>der</strong>n ums Erreichen<br />

<strong>der</strong> Ziele“. Dafür gilt es, kommunikative<br />

und inhaltliche Aspekte zu bündeln.<br />

Denn in Zukunft zieht es die Bewegung<br />

zu den großen, globalen Playern. <strong>Die</strong><br />

Entschei<strong>der</strong> sollen unter Druck gesetzt<br />

werden. Leonie will handfeste Ergebnisse<br />

in Sachen Klimapolitik. Popularität<br />

ist ein Mittel hierzu. Nicht das Ziel. Ihre<br />

Strategie erbaut sich aus ihren Idealen.<br />

Klimaschutz, Tierschutz und Sozialpolitik.<br />

„Fridays for Future“ zielt auf den<br />

nächsten Step.<br />

„Ich mag es sehr, innerhalb<br />

von Fridays for Future an <strong>der</strong><br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu arbeiten. <strong>Die</strong> strategische Planung<br />

samt Durchführung ist genau<br />

mein Ding. Letzten Endes ist<br />

FFF aber keine Marke, denn dann<br />

wären wir käuflich. Es geht um<br />

den Planeten, statt um Profit.“<br />

<strong>Die</strong> Wunschgesellschaft von Leonie<br />

sieht an<strong>der</strong>s aus als die aktuelle. „Es<br />

sollte nicht mehr je<strong>der</strong> zuallererst an<br />

sich selbst denken. Wenn je<strong>der</strong> an die<br />

Person neben sich denken würde, wäre<br />

viel erreicht“, sagt sie energisch. <strong>Die</strong> politische<br />

Lage besorgt sie, lässt ihr keine<br />

Ruhe und muss ihrer Meinung nach verän<strong>der</strong>t<br />

werden. <strong>Die</strong> zahlreichen öffentlichen<br />

Auftritte sind es wert.<br />

Könnte man sich zweiteilen,<br />

Leonie würde es wahrscheinlich<br />

tun. Und nebenbei: Bachelor-<br />

Arbeit in 10 Tagen. Ihre beste<br />

Entscheidung im letzten Jahr.<br />

Doch im Dezember, in <strong>der</strong> besinnlichen<br />

Weihnachtszeit, heißt es für Leonie erstmalig<br />

innehalten. Ein kurzer Rückzug<br />

aus <strong>der</strong> Öffentlichkeit ist notwendig.<br />

<strong>Die</strong> ständigen Anfeindungen sowie die<br />

sexistischen Anspielungen durch private<br />

Nachrichten in den sozialen Netzwerken<br />

geben <strong>der</strong> jungen Frau zu denken.<br />

„Es gibt auch schwierige Zeiten. Wenn<br />

man in <strong>der</strong> Öffentlichkeit steht, kriegt<br />

28 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

man viel Gegenwind in Form von Hatespeech.<br />

Am besten ist es, man liest es<br />

sich gar nicht erst durch“, spricht Leonies<br />

introvertierte Seite. Wer viel erlebt,<br />

muss viel verarbeiten. Doch bereuen tut<br />

sie nichts. „<strong>Die</strong> Zeiten, dass ich mir viel<br />

aus an<strong>der</strong>en Meinungen mache, sind<br />

vorbei“, stellt sie nüchtern fest. Früher<br />

hätte sie den medialen Druck wohl nicht<br />

so gut verkraftet. In Momenten wie in<br />

solchen im Dezember setzt sie auf den<br />

Rückhalt ihrer Eltern, von engen Freunden<br />

und ihrem Freund. Und obwohl Leonie<br />

keine scheue Person ist, benötigt sie<br />

manchmal die komplette Isolation von<br />

allem.<br />

„Ich könnte niemals darauf verzichten,<br />

Zeit ganz für mich alleine zu haben. Das<br />

Nachdenken kommt im Zuge <strong>der</strong> Ereignisse<br />

ab und an zu kurz“, gibt sie zu. Es<br />

braucht einen Spaziergang in <strong>der</strong> Natur<br />

o<strong>der</strong> sportliche Aktivitäten wie Joggen.<br />

Der Rückzug ist Leonies große Kraftquelle.<br />

Engagierter Aktivismus for<strong>der</strong>t<br />

nicht bloß Zeit, son<strong>der</strong>n viel<br />

Energie. <strong>Die</strong> zahlreichen Treffen<br />

mit an<strong>der</strong>en Aktivisten sind<br />

hierfür tragend.<br />

Während wir mit dem Auto durch ein<br />

regnerisches Hamburg fahren, bleibt<br />

Zeit für einen philosophischen Gedankenaustausch.<br />

Leonie hat bereits viel erlebt<br />

und gesehen. Wir fragen sie, wie ein<br />

mögliches Buch heißen würde, welches<br />

ihr Leben beschreibt. Leonie überlegt.<br />

Ihr Engagement ist breitgefächert. Sozialpolitik,<br />

Bildungspolitik, Diversitäten.<br />

Leonies Vorstellung von Zukunft ist eine<br />

gesamtgesellschaftliche.<br />

Es ist das Äußern vom Wunsch einer<br />

an<strong>der</strong>en Gemeinschaft. Vielleicht sogar<br />

einer Utopie. <strong>Die</strong> anfängliche Rationalität<br />

ist im Gesprächsfluss wie verflogen.<br />

Dann geht es auf die Autobahnabfahrt<br />

Richtung Fotostudio und wie<strong>der</strong> um<br />

den Klimawandel. Keine Zeit für Deep<br />

talk. Es sind wissenschaftliche Analysen.<br />

<strong>Die</strong> Lage <strong>der</strong> Welt ist ernster, als<br />

wir glauben.<br />

Was zunächst frustriert klingt, untermauert<br />

die Wahlkölnerin mit Fakten.<br />

<strong>Die</strong>se braucht sie auch auf dem Weg<br />

zu ihrem Ziel, die globale Er<strong>der</strong>wärmung<br />

auf 1,5 Grad zu reduzieren. So<br />

wird am Ende des Tages klar, dass <strong>der</strong><br />

Umschwung gerade erst beginnt. Leonie<br />

muss weiter. Ein Termin am späten<br />

Nachmittag.<br />

Und dann kommt Corona.<br />

O<strong>der</strong> auch: „<strong>Die</strong> Aufgabe, beide<br />

Krisen zusammenzubringen.<br />

Sowohl die Klimakrise als auch<br />

die Pandemie.“<br />

Im Juli 2020 gibt es dann die ersten<br />

Coronalockerungen seitens <strong>der</strong> einzelnen<br />

Län<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Pandemie hat wirtschaftliche<br />

und gesellschaftliche Risse<br />

herbeigeführt. Leonie erzählt, dass sich<br />

auch ihr Alltag verän<strong>der</strong>t hat. „Zwar war<br />

Fridays for Future immer schon auch<br />

zu einem großen Teil digital organisiert,<br />

allerdings spielt sich <strong>der</strong> Alltag,<br />

welcher aus viel Reisen und persönlichem<br />

Austausch bestand, nun stets in<br />

einem Raum ab“, berichtet Leonie. Das<br />

hat die Arbeit sehr verän<strong>der</strong>t – jedoch<br />

nicht das Ziel. Inhaltlich bleibt es das<br />

Gleiche. „Wir sehen unsere Aufgabe nun<br />

darin, beide Krisen zusammenzubringen.<br />

Denn gesellschaftlich betrachtet<br />

haben nur die Fronten gewechselt. Wir<br />

Jungen for<strong>der</strong>n im Rahmen <strong>der</strong> Klimakatastrophe<br />

Dinge von den Älteren. Bei<br />

Corona ist es an<strong>der</strong>sherum. Wir Jungen<br />

nehmen Rücksicht auf die Älteren, die<br />

häufiger zur Risikogruppe gehören.“ Demonstrationen<br />

und Klimastreiks waren<br />

während des bundesweiten Lockdowns<br />

nicht möglich. „Mittlerweile können wir<br />

die Menschen langsam wie<strong>der</strong> auf die<br />

Straße bewegen – selbstverständlich Corona-konform.“<br />

Doch auch wenn Leonie und ihre Mitstreiterinnen<br />

und Mitstreiter mittlerweile<br />

wie<strong>der</strong> demonstrieren und ihre<br />

Themen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit platzieren<br />

können, macht es Leonie Angst, dass<br />

das Coronavirus samt globaler Folgen<br />

das Thema Nummer eins im öffentlichen<br />

Diskurs bleibt.<br />

„Es ist einfach nicht richtig, dass Klimaschutz<br />

in seiner Priorität zurücksteckt.<br />

Da das Pariser Abkommen mit den <strong>der</strong>zeitigen<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

nicht eingehalten werden wird,<br />

habe ich Angst davor, dass die Spirale<br />

des Klimawandels zukünftig noch weiter<br />

nach unten gehen wird“. Und dann<br />

das Kohleausstiegsgesetz am 3.7. – ein<br />

rabenschwarzer Tag für das Klima, welcher<br />

laut Leonie dramatische Folgen hat.<br />

„Es macht mich so wütend,<br />

dass ich nun die Aufgabe<br />

habe, Aktivistinnen und<br />

Aktivisten aus beispielsweise<br />

Uganda zu sagen, dass<br />

Deutschland sich für die<br />

dortigen Natur- und Hungerkatastrophen<br />

nicht<br />

verantwortlich fühlt.“<br />

Es wird also weitergehen. Auf die Straße,<br />

zu Klimastreiks, Demonstrationen,<br />

in Zoom-Calls und mit vielen, vielen<br />

weiteren Telefonaten und Gesprächen.<br />

Fridays for Future hat die Coronazeit<br />

überstanden und sich weiterentwickelt.<br />

<strong>Die</strong> Ziele haben sich verfestigt, und die<br />

Bewegung organisierte sich ebenfalls in<br />

Zeiten von Lockdowns und den damit<br />

verbundenen Unsicherheiten. Und auch<br />

Leonies Leben nimmt langsam wie<strong>der</strong><br />

die gewohnten Formen an. <strong>Die</strong> Antwort<br />

auf die Frage nach dem Titel des Buches,<br />

welches ihr Leben umschreiben würde,<br />

bleibt Leonie uns allerdings bis heute<br />

schuldig. Im Nachgang irgendwie logisch.<br />

Hat sie ihre Geschichte doch noch<br />

lange nicht zu Ende geschrieben. f<br />

Weitere Infos dazu vom kompetenten<br />

Redaktions- und Fotografenteam:<br />

www.medienkapitän.de<br />

www.simonheydorn.de<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

29


<strong>Moral</strong><br />

Netz-Aktiv<br />

LGBT<br />

#BLM<br />

Black Lives Matter (BLM, englisch für<br />

Schwarze Leben zählen) ist eine internationale<br />

Bewegung, die innerhalb <strong>der</strong><br />

afroamerikanischen Gemeinschaft in<br />

den Vereinigten Staaten entstanden ist<br />

und sich gegen Gewalt gegen Schwarze<br />

bzw. People of Color einsetzt. Black<br />

Lives Matter organisiert regelmäßig Proteste<br />

gegen die Tötung Schwarzer durch<br />

Polizeibeamte und zu breiteren Problemen<br />

wie Racial Profiling, Polizeigewalt<br />

und Rassismus. <strong>Die</strong> Bewegung begann<br />

2013 mit <strong>der</strong> Benutzung des Hashtags<br />

#BlackLivesMatter in den sozialen Medien<br />

nach dem Freispruch von George<br />

Zimmerman nach dem Todesfall des<br />

afroamerikanischen Teenagers Trayvon<br />

Martin. Black Lives Matter erlangte nationale<br />

Bekanntheit durch Demonstrationen,<br />

die auf die Todesfälle zweier Afroamerikaner<br />

2014 folgten: Michael Brown,<br />

nach dessen Tod es zu Unruhen in Ferguson,<br />

Missouri, kam, und Eric Garner in<br />

New York City.<br />

#QAnon<br />

QAnon o<strong>der</strong> kurz Q ist das Pseudonym<br />

einer mutmaßlich US-amerikanischen<br />

Person o<strong>der</strong> Personengruppe, die auf<br />

Imageboards (auf die Diskussion von<br />

Bil<strong>der</strong>n ausgerichteten Internetforen)<br />

Verschwörungstheorien mit teilweise<br />

rechtsextremem Hintergrund verbreitet.<br />

Sie gibt dabei vor, Zugang zu geheimen<br />

Informationen über US-Präsident Donald<br />

J. Trump, seine Präsidentschaft,<br />

seinen Kampf gegen einen vorgeblichen<br />

„Deep State“ sowie seine Wi<strong>der</strong>sacher<br />

zu haben. QAnon ist mittlerweile auch zu<br />

einer Bezeichnung für die verbreitetsten<br />

verschwörungstheoretischen Ansichten<br />

selbst geworden.<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Foto: shaunl / iStockphoto.com<br />

#BLM<br />

#QAnon<br />

#LGBTQIA+<br />

#OWS<br />

Foto: Coast-to-Coast / iStockphoto.com<br />

Foto: Motortion / iStockphoto.com<br />

#LGBTQIA+<br />

ist eine aus dem englischen Sprachraum<br />

übernommene Abkürzung für Lesbian,<br />

Gay, Bisexual and Transgen<strong>der</strong> (lesbisch,<br />

schwul, bisexuell, transgen<strong>der</strong>).<br />

Zunächst kam im Englischen LGB auf<br />

als Zusammenschluss von Personen mit<br />

den entsprechenden sexuellen Orientierungen<br />

im Kampf gegen Diskriminierungen.<br />

<strong>Die</strong>ser Sammelbewegung schlossen<br />

sich bald Gruppen von Transgen<strong>der</strong>-Personen<br />

an, die sich nicht mit dem ihnen<br />

bei Geburt zugewiesenen Geschlecht<br />

identifizierten. Da sich mit einem Wechsel<br />

<strong>der</strong> geschlechtlichen Zuordnung auch<br />

die Einordnung <strong>der</strong> sexuellen Orientierung<br />

än<strong>der</strong>t, wurde gemeinsam mit <strong>der</strong><br />

LGB-Bewegung das freie Ausleben <strong>der</strong><br />

eigenen Sexualität gefor<strong>der</strong>t, über Homosexualität<br />

hinausgehend. So wurde die<br />

Abkürzung um das „T“ ergänzt. Mit dem<br />

Aufkommen <strong>der</strong> Queer-Theorie schlossen<br />

sich queere Personen <strong>der</strong> Sammelbewegung<br />

an (LGBTQ). Im Folgenden<br />

wurde die Bezeichnung ergänzt mit „I“ für<br />

intersexuelle Personen, dann mit „A“ für<br />

asexuelle Personen und schließlich mit<br />

einem öffnenden „+“-Zeichen für weitere<br />

Geschlechtsidentitäten (LGBTQIA+).<br />

#OWS<br />

Occupy Wall Street (englisch für „Besetzt<br />

die Wall Street“; abgekürzt OWS)<br />

war ab dem 15. Oktober 2011 die größte<br />

Protestbewegung in Nordamerika, die<br />

angeregt durch die sich rasch verbreitenden<br />

weltweiten Aufrufe im Internet<br />

entstanden ist. Kalle Lasn, Grün<strong>der</strong> von<br />

Adbusters, und sein Chefredakteur Micah<br />

White initiierten erste Aktionen über<br />

soziale Netzwerke im Juni 2011. <strong>Die</strong><br />

zentralen For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Bewegung<br />

waren eine stärkere Kontrolle des Banken-<br />

und Finanzsektors durch die Politik,<br />

die Verringerung des Einflusses <strong>der</strong><br />

Wirtschaft auf politische Entscheidungen<br />

und die Reduzierung <strong>der</strong> sozialen<br />

Ungleichheit zwischen arm und reich.<br />

<strong>Die</strong> Parkbesetzung hatte wie die Bewegung<br />

von Beginn an einflussreiche Fürsprecher,<br />

so etwa Nancy Pelosi, Michael<br />

Bloomberg und die Ökonomen Jeffrey<br />

Sachs und Joseph E. Stiglitz.<br />

30 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Foto: Rawpixel Ltd. / stock.adobe.com<br />

#MeToo und #Aufschrei<br />

#MeToo ist ein Hashtag, das seit Mitte Oktober 2017 im Zuge<br />

des Weinstein-Skandals Verbreitung in den sozialen Netzwerken<br />

erfährt. <strong>Die</strong> Phrase „Me too“ (zu Deutsch „ich auch“) geht<br />

auf die Aktivistin Tarana Burke zurück und wurde als Hashtag<br />

durch die Schauspielerin Alyssa Milano populär, die betroffene<br />

Frauen ermutigte, mit Tweets auf das Ausmaß sexueller Belästigung<br />

und sexueller Übergriffe aufmerksam zu machen.<br />

Seitdem wurde dieses Hashtag millionenfach verwendet.<br />

Quelle: Wikipedia<br />

Ausgabe 14 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Das Empörium<br />

schlägt zurück<br />

Der Trend zur Skandalisierung ist ungebrochen. Durch die sozialen<br />

Medien finden Diskussionen heute in Echtzeit statt. Da bleibt oft wenig<br />

Zeit zum Nachdenken. Schnell wird aus Empfindlichkeit Empörung<br />

und aus Schelte ein Shitstorm.<br />

32 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


Foto: psychoshadow / stock.adobe.com<br />

<strong>Moral</strong><br />

„Für manche <strong>Moral</strong>apostel beginnt die<br />

Gürtellinie bereits am Hals.“ An diesen<br />

Satz des österreichischen Dichters Ernst<br />

Ferstl mag sicher mancher denken, <strong>der</strong><br />

dieser Tage in den Strudel <strong>der</strong> ewig Empörten<br />

gerät. Dabei ist es völlig egal, ob<br />

man jetzt Christian Drosten heißt und<br />

eigentlich nur sachlich über eine Pandemie<br />

informieren will o<strong>der</strong> ob man als<br />

Unternehmen mit voller Absicht seine<br />

Kunden schädigt. Wenn sich daraufhin<br />

in den Sozialen Medien eine entsprechende<br />

Welle des Wi<strong>der</strong>stands aufbaut,<br />

spricht man von einem sogenannten<br />

„Shitstorm“. Der Begriff klingt zwar etwas<br />

fäkal, hat es aber mittlerweile offiziell<br />

in den Duden geschafft und wurde<br />

2011 zum Anglizismus des Jahres gekürt.<br />

Als Urheber des Begriffes bezeichnet<br />

sich <strong>der</strong> Blogger Sascha Lobo.<br />

2010 berichtete er in einem Vortrag<br />

mit dem Titel „How to survive a shitstorm“<br />

auf <strong>der</strong> Internetkonferenz re:-<br />

publica über seine eigenen leidvollen<br />

Erfahrungen. Im Jahr zuvor hatte<br />

Lobo nämlich Werbung für Vodafone<br />

gemacht. Zeitgleich erklärte <strong>der</strong> Telekommunikationskonzern,<br />

dass man das<br />

geplante Gesetz zu Netzsperren unterstütze.<br />

Lobo ist hier bekanntlich an<strong>der</strong>er<br />

Meinung. Doch Werbung auf <strong>der</strong> einen<br />

und Haltung auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite war<br />

dann ein Spannungsbogen, <strong>der</strong> vielen zu<br />

viel war. Über Lobo zog ein Sturm <strong>der</strong><br />

Empörung hinweg.<br />

Allerdings sollte man nicht den Fehler<br />

machen, bei einem Shitstorm die Opfer<br />

und Täterrollen pauschal zu verteilen.<br />

Sascha Lobo hat in einem guten Beitrag<br />

in „Spiegel Online“ ganz zu Recht darauf<br />

hingewiesen, dass viele in einer solche<br />

Situation erst mal denken: Wer mit<br />

Schmutz wirft, muss unrecht haben. Der<br />

Beworfene ist also das Opfer und die Ankläger<br />

sind eine Art digitaler Mob. Das<br />

ist auch oft so. Aber eben nicht immer.<br />

Und nicht jede Ansammlung von Kritik<br />

eignet sich, auch gleich als Shitstorm<br />

bezeichnet zu werden. Manchmal ist es<br />

schlichtweg aufgestaute Wut.<br />

<strong>Die</strong> Schweizer Social-Media-Experten<br />

Barbara Schwede und Daniel Graf definieren<br />

einen Shitstorm so: „Ungebremster<br />

Schnellball-Effekt mit aufgepeitschtem<br />

Publikum. Der Tonfall ist<br />

mehrheitlich aggressiv, beleidigend,<br />

bedrohend.“ Medien – print wie online<br />

– greifen das gern und intensiv auf.<br />

Letzteres gießt sicher weiteres Öl ins<br />

Feuer. Ein Medienereignis mit intensiver<br />

Berichterstattung. Dabei gilt die Erfahrung:<br />

Je länger <strong>der</strong> Shitstorm unwi<strong>der</strong>sprochen<br />

tobt, desto schlimmer wird<br />

er. Klug ist, wer frühzeitig einschreitet.<br />

Aber auch dabei gilt es, einiges zu beachten,<br />

denn sonst wird alles nur noch<br />

schlimmer.<br />

Warum Unternehmen oft<br />

überfor<strong>der</strong>t sind<br />

Kritik ist ja eigentlich nichts Schlechtes.<br />

Im Gegenteil. Bei einem Shitstorm<br />

kommen allerdings ein paar Dinge zusammen,<br />

die schnell zu Überfor<strong>der</strong>ung<br />

führen. Das weiß auch die Gegenseite.<br />

Wenn es also eine Kampagne ist, dann<br />

wird genau an diesen Bruchstellen angesetzt:<br />

Da ist zunächst und vor allem die schiere<br />

Masse an Posts, Tweeds und Kommentaren,<br />

die in sehr kurzer Zeit eintreffen<br />

und – seien wir ehrlich – jede Organisation<br />

von den personellen Kapazitäten<br />

her überfor<strong>der</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> Akteure setzen dabei meist auf eine<br />

extrem aggressive und for<strong>der</strong>nde Sprache.<br />

Manchmal ist es die Art, manchmal<br />

aber auch nur ein Test, um die Kommunikationsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Betroffenen auf<br />

die Probe zu stellen.<br />

Manche Kampagnen stellen sich übrigens<br />

als Computer-Programme her- >><br />

33


<strong>Moral</strong><br />

Ausländische<br />

Ideologie<br />

Nicht<br />

zuzuordnen8%<br />

Religiöse<br />

Ideologie 3%<br />

3%<br />

Politisch motivierte<br />

Kriminalität links<br />

9%<br />

Onlinehass ist vor<br />

allem rechtsradikal<br />

Verteilung <strong>der</strong> polizeilich<br />

erfassten Hasskommentare<br />

in Deutschland 2018<br />

77%<br />

Politisch motivierte<br />

Kriminalität rechts<br />

1.472 strafbare Hasspostings<br />

wurden von <strong>der</strong> Polizei<br />

insgesamt erfasst.<br />

Quelle: BKA<br />

aus und sind keine echten Anliegen. Das<br />

gilt insbeson<strong>der</strong>e, wenn über Anfragen<br />

die Belastungsgrenzen <strong>der</strong> Server ausgetestet<br />

werden sollen.<br />

Beim Thema Unternehmen unter Dauerfeuer<br />

denken die meisten wahrscheinlich<br />

an Nestlé. Tatsächlich erregt <strong>der</strong><br />

Schweizer Nahrungsmittelkonzern wie<br />

kaum ein an<strong>der</strong>es Unternehmen die<br />

Gemüter. Das liegt an seiner Marktposition,<br />

aber auch an ungeschicktem Verhalten<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit. Einen <strong>der</strong><br />

ersten großen Shitstorms inszenierte<br />

Greenpeace 2010 gegen Nestlé: <strong>Die</strong> Kritik<br />

war, dass bei <strong>der</strong> Palmöl-Gewinnung<br />

für Nestlés KitKat-Riegel große Flächen<br />

des indonesischen Regenwaldes gerodet<br />

und dadurch die Heimat <strong>der</strong> Orang<br />

Utans zerstört werde.<br />

In dem Video, dass damals viral ging,<br />

biss ein ahnungsloser Büroangestellter<br />

in den Schokoriegel, <strong>der</strong> sich als bluten<strong>der</strong><br />

Affenfinger herausstellte. Bis hierhin<br />

war das klassisches Guerilla-Marketing.<br />

Was dann allerdings<br />

folgte, war für die damals<br />

junge Netzcommunity einmalig:<br />

Nestlé ließ das Video<br />

über seine Anwälte bei Greenpeace<br />

sperren, woraufhin es millionenfach<br />

von an<strong>der</strong>en gepostet wurde<br />

und die Kommentare weit über die Anliegen<br />

<strong>der</strong> Umweltschützer hinausschossen.<br />

Merke: Informationen unterdrücken<br />

funktioniert im Internet (fast) nie.<br />

Schlauer wollte BP sein, das nach <strong>der</strong><br />

Ölpest im Golf von Mexiko – damals<br />

geriet die Bohrplattform Deepwater<br />

Horizon in Brand und das Bohrloch am<br />

Meeresgrund schlug leck – die Katastrophe<br />

mit heilen PR-Bil<strong>der</strong>n zu kaschieren<br />

versuchte. BP zeigte tolle Bil<strong>der</strong> von den<br />

Aufräumarbeiten und buchte massiv bei<br />

Google & Co. die betreffenden Schlüsselwörter<br />

in den Suchmaschinen, um<br />

Interessierte auf ihre eigenen Seiten zu<br />

lenken. <strong>Die</strong> „Operation Gegenöffentlichkeit“<br />

stellte sich dann doch nicht als so<br />

schlau heraus, denn Aktivisten, Journalisten<br />

und auch Regierungsvertreter<br />

wurden so allesamt hinter die Fichte geführt<br />

und entdeckten dort ihre Gemeinsamkeiten.<br />

Wie soll man sich verhalten?<br />

Wie soll sich ein Unternehmen in einem<br />

Shitstorm verhalten? Wer in einen<br />

34 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Shitstorm gerät, sollte die fundamentale<br />

Grundregel <strong>der</strong> sozialen Medien verstehen.<br />

Und die lautet: Es kommt nicht darauf<br />

an, Recht zu haben o<strong>der</strong> die Wahrheit<br />

zu sagen, son<strong>der</strong>n es kommt darauf an,<br />

die Neigung <strong>der</strong> Öffentlichkeit, sich ein<br />

(vor)schnelles Urteil zu bilden, für das<br />

eigene Anliegen zu nutzen. Da sind wir<br />

in den meisten Fällen wie<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />

Überfor<strong>der</strong>ung (siehe oben). In manchen<br />

Fällen kann hier auch <strong>der</strong> Verein ichbinhier<br />

e.V. helfen (siehe Seite 37).<br />

Vor dem Sturm<br />

•<strong>Die</strong> Erwartungen <strong>der</strong> eigenen Stakehol<strong>der</strong><br />

kennen. Hierbei gilt es, beson<strong>der</strong>s<br />

die Dialoge mit kritischen Partnern/Gegnern<br />

zu pflegen.<br />

• Ein glaubwürdiges gesellschaftliches<br />

und / o<strong>der</strong> ökologisches Engagement:<br />

Wer vor <strong>der</strong> Krise beweist, dass sein<br />

Unternehmen Gutes tut, kann nicht so<br />

leicht mit Schmutz beworfen werden.<br />

• Sich für Krisen rüsten: Szenarien<br />

entwickeln, welche Konflikte auftreten<br />

könnten und dafür einen Standard-Krisenkommunikationsplan<br />

entwickeln<br />

und die Mitarbeiter schulen.<br />

Der Witz ist dabei oft: Der Shitstorm<br />

kommt dann sowieso aus einer ganz<br />

an<strong>der</strong>en, unerwarteten Ecke. Aber Sie<br />

haben zumindest Ablaufpläne, die Sie<br />

adaptieren können, aber nicht neu<br />

entwickeln müssen.<br />

Während des Sturms<br />

Zunächst einmal beherzigen Sie unbedingt<br />

den Satz von Friedrich Wilhelm<br />

von <strong>der</strong> Schulenburg-Kehnert: Ruhe ist<br />

die erste Bürgerpflicht. Und dann halten<br />

Sie sich an den Ratschlag Ihrer Mutter<br />

/ Oma / Tante / Wer auch immer: Gib<br />

immer eine freundliche Antwort. Bewerten<br />

Sie die Situation angemessen: Was<br />

ist an <strong>der</strong> Kritik dran? Handelt es sich<br />

um eine Kampagne o<strong>der</strong> um die aufgestaute<br />

Wut eines o<strong>der</strong> mehrerer Kunden?<br />

Welche Absicht bzw. welches Motiv<br />

steckt dahinter? Identifizieren Sie dabei<br />

insbeson<strong>der</strong>e jene Akteure, die viele<br />

Follower haben und häufig eine bestimmte<br />

Agenda verfolgen.<br />

Time matters: Reagieren Sie schnell.<br />

Wenn Sie für manche Antwort länger<br />

brauchen, dann sagen Sie klar, wann die<br />

Information geliefert wird.<br />

Machen Sie gute Mine zu bösem Spiel.<br />

Im Sturm gilt die „3-R-Regel“: react,<br />

regret, re-inform. Achten Sie dabei auf<br />

empathische Sprache und vermeiden<br />

Sie unbedingt standardisierte Antworten<br />

o<strong>der</strong> Copy-and-Paste aus PR-Texten.<br />

Das offene Gespräch anbieten und sich<br />

zur Not einfach mal entschuldigen. Sich<br />

zurückzunehmen und gegebenenfalls<br />

auch die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Kröte zu<br />

schlucken, ist häufig die beste Idee.<br />

Nach dem Sturm<br />

• Analyse des Shitstorms: Wie war das<br />

eigene Verhalten? Wie war das Verhalten<br />

<strong>der</strong> „Angreifer“? Was heißt<br />

das organisatorisch wie auch inhaltlich<br />

für die Planung kommen<strong>der</strong><br />

Krisen?<br />

• Sich ein dickes Fell zulegen. Ähnlich<br />

wie Politiker und Prominente müssen<br />

heutzutage auch Unternehmen, ja sogar<br />

Privatpersonen lernen, dass die<br />

Anonymität des Netzes von gewissen<br />

Menschen missbraucht wird.<br />

• Sich nicht alles gefallen lassen: Viele<br />

neigen dazu, Konflikte um des lieben<br />

Friedens willen zu vermeiden. Das ist<br />

nicht immer richtig und spornt einige<br />

Irrlichter nur noch weiter an. Tatsache<br />

ist, dass man auch im Internet<br />

nicht alles sagen darf und Äußerungen<br />

rechtliche Konsequenzen haben<br />

können. f<br />

Merke:<br />

Informationen<br />

unterdrücken<br />

funktioniert<br />

im Internet<br />

(fast) nie.<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

35


<strong>Moral</strong><br />

Kli. ma . schutz . sys . tem =<br />

klimafreundlich drucken<br />

und kopieren<br />

Klimaschutz ist wichtiger denn je. Kyocera hilft Ihnen dabei, Ihren Büroalltag klima- und umweltfreundlicher<br />

zu gestalten. Rohmaterial, Produktion, Transport und Entsorgung <strong>der</strong> Basissysteme werden<br />

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begründeten Lieferverpflichtungen.<br />

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36 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

<strong>Die</strong> Facebook-Aktionsgruppe<br />

#ichbinhier ist die größte<br />

Counterspeech-Initiative<br />

Deutschlands. Unzählige<br />

Mitglie<strong>der</strong> schreiben täglich<br />

sachliche und menschenfreundliche<br />

Kommentare, um<br />

dem oft einseitigen Meinungsbild<br />

in den Kommentarspalten<br />

großer Medien entgegenzuwirken.<br />

Somit zeigen sie<br />

Haltung und setzen zugleich<br />

ein Statement für Demokratie,<br />

Toleranz, Vernunft und eine<br />

liberale, weltoffene<br />

Gesellschaft.<br />

#ichbinhier<br />

Hate Speech und koordinierte Online-Attacken<br />

sind längst und lei<strong>der</strong><br />

keine Seltenheit mehr, immer häufiger<br />

scheinen Menschen und Initiativen, die<br />

sich politisch engagieren o<strong>der</strong> für demokratische<br />

Werte öffentlich einstehen,<br />

Zielscheibe von Hass und Menschenfeindlichkeit<br />

zu sein. Aber ist es echte<br />

Wut, die Politiker und NGOs im Netz<br />

mehrheitlich aus <strong>der</strong> rechten Szene abbekommen?<br />

O<strong>der</strong> handelt es sich eher<br />

um gezielte Kampagnen, die vor allem<br />

eines erreichen wollen: Engagierte einzuschüchtern?<br />

Haben wir es mit einer<br />

breiten gesellschaftlichen Bewegung zu<br />

tun o<strong>der</strong> doch vielmehr mit einer lauten<br />

Min<strong>der</strong>heit? Was macht <strong>der</strong> Hass mit<br />

den Betroffenen, wie können<br />

wir ihnen helfen?<br />

Der Verein ichbinhier e.V.<br />

unterstützt Betroffene und<br />

Aktionsgruppen mit einer<br />

breiten Palette an Aktivitäten:<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />

Aufklärung durch Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Teilnahme an Konferenzen<br />

und Veranstaltungen<br />

von Workshops; die Vernetzung<br />

und Kooperation mit Akteuren;<br />

das<br />

Betreiben<br />

und Unterstützen<br />

von Forschungsprojekten<br />

und<br />

proaktiv das Umsetzen eines<br />

eigenen Bildungsprojektes,<br />

das im Umgang mit Hassrede schult<br />

und Meinungsvielfalt erlebbar macht.<br />

No Hate Speech Movement<br />

Das No Hate Speech Movement ist eine<br />

Initiative des Europarats, die 2012 als<br />

Reaktion auf die Attacken in Norwegen<br />

ins Leben gerufen wurde. Ziel <strong>der</strong> internationalen<br />

Bewegung war es, insbeson<strong>der</strong>e<br />

junge Menschen zu mobilisieren,<br />

um sich für Menschenrechte im digitalen<br />

Raum stark zu machen. Seit 2016<br />

wird das No Hate Speech Movement<br />

in Deutschland von Neue deutsche<br />

Medienmacher e.V. auf nationaler Ebene<br />

umgesetzt: Ging es anfangs vor allem darum,<br />

Aufmerksamkeit für das Thema zu<br />

schaffen und zu sensibilisieren, werden<br />

seit 2017 Instrumente und Materialien<br />

für Medienschaffende entwickelt, um<br />

diese beim Umgang mit Hass im Netz zu<br />

unterstützen: Neben einem Helpdesk,<br />

<strong>der</strong> Strategien <strong>der</strong> Hater*innen sowie<br />

effektive Gegenredestrategien vorstellt,<br />

gibt es außerdem einen praktikablen<br />

Leitfaden sowie Train-the-Trainer-Seminare.<br />

Das No Hate Speech Movement ist<br />

in Deutschland die zentrale Anlaufstelle<br />

für das Thema Hass im Netz.<br />

Foto: ijacky / stock.adobe.com<br />

#ichbinhier hat 2017 den GRIMME ON-<br />

LINE Award gewonnen, 2018 den Smart<br />

Hero Award und den S.E.N.N.S. Award<br />

für Streitkultur, die Aktionsgruppe wurde<br />

zum Bürgerfest des Bundespräsidenten<br />

eingeladen. Im Mai 2018 wurde <strong>der</strong><br />

Initiator Hannes Ley mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

geehrt. Auch Bundesminister<br />

Heiko Maas und TV-Mo<strong>der</strong>atorin<br />

Dunja Hayali unterstützen die Arbeit<br />

des Vereins. f<br />

37


<strong>Moral</strong><br />

Illustration: Good Studio / stock.adobe.com<br />

DIVERSITÄT<br />

38 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

ist wichtig –<br />

„Ich<br />

aber auch immer richtig?<br />

Von Zoé Baches und Vanessa Möller<br />

Vielfältige Teams sind innovativ, aber auch anstrengend.<br />

Und sie sind nicht immer die richtige Lösung. Ein Aspekt<br />

zeigt allerdings, wann und in welchem Maß Diversität für<br />

Unternehmen notwendig ist.<br />

habe schon oft Situationen erlebt,<br />

in denen sich Kunden während eines<br />

Geschäftsessens negativ über Frauen<br />

o<strong>der</strong> Schwule geäußert haben“, erzählt<br />

Samuel Rensing. Der Projektleiter <strong>der</strong><br />

Boston Consulting Group (BCG) hat<br />

sich am Arbeitsplatz als schwul geoutet.<br />

Seitdem legt er seine sexuelle Orientierung<br />

meist zu Beginn einer Kundenbeziehung<br />

offen. Das unterbindet<br />

unangebrachte Kommentare, auch gegenüber<br />

Frauen, so sagt Rensing (siehe<br />

Interview).<br />

Seitdem die „Black Lives Matter“-Bewegung<br />

jüngst einen massiven Auftrieb<br />

erlebt hat, müssen Firmen weltweit<br />

vermehrt erklären, wie sie gegen Diskriminierung<br />

von Mitarbeitern wegen<br />

Alter, Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe,<br />

sexueller Orientierung o<strong>der</strong> Religion<br />

vorgehen. BCG beispielsweise engagiert<br />

sich seit Jahren gegen solche Benachteiligungen.<br />

Dass es zu solchen kommt, ist auch im<br />

hiesigen Arbeitsalltag keine Ausnahme.<br />

Betroffene und Beobachter berichten erschreckend<br />

oft von fremdenfeindlichen,<br />

sexistischen und homophoben Sprüchen<br />

gegenüber Auslän<strong>der</strong>n, Frauen<br />

und Schwulen. O<strong>der</strong> davon, dass ältere<br />

Mitarbeiter belächelt und jüngere nicht<br />

ernst genommen würden. Für Firmen<br />

öffnet sich hier ein Minenfeld. Denn<br />

nur selten melden die Mitarbeiter solche<br />

Vorfälle. Und es ist stets schwierig<br />

zu eruieren, was genau vorgefallen ist.<br />

Wurde jemand wirklich wegen individueller<br />

Merkmale diskriminiert? O<strong>der</strong> gab<br />

es an<strong>der</strong>e Gründe?<br />

Der „arrogante Deutsche“<br />

Wohlgemerkt, einige Fallen bei <strong>der</strong> Vielfalt<br />

in Unternehmen sind rasch geortet:<br />

<strong>Die</strong> Chefs predigen diese, leben sie aber<br />

nicht. Diversität wird angeordnet, doch<br />

es fehlen die Instrumente, und die Umsetzung<br />

wird nicht kontrolliert. Einige<br />

Mitarbeiter fühlen sich benachteiligt<br />

o<strong>der</strong> bedroht durch Menschen, die „an<strong>der</strong>s“<br />

sind als sie o<strong>der</strong> die von ihnen akzeptierte<br />

Norm. In einem Team werden<br />

Vorurteile geduldet o<strong>der</strong> gar geför- >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

39


<strong>Moral</strong><br />

<strong>der</strong>t. O<strong>der</strong> Vertreter einer Gruppe (Quote)<br />

genügen fachlich nicht.<br />

Weitere Fälle sind komplexer. Eine Firma<br />

hat zum Beispiel einen deutschen<br />

Experten als Chef für einen <strong>neue</strong>n Bereich<br />

geholt. Im Ausland habe er Großes<br />

geleistet, weshalb er perfekt sei für den<br />

„Knochenjob“, wurde <strong>der</strong> Belegschaft<br />

freudig verkündet. Im Alltag fiel die<br />

Fachkraft dann aber durch einen ruppigen<br />

Umgangston, ausgeprägtes Hierarchiedenken<br />

und einen unzimperlichen<br />

Umgang mit Angestellten auf, die es<br />

wagten, Aussagen von ihm zu hinterfragen.<br />

Nach kurzer Zeit schimpften viele<br />

nur noch über den „arroganten Deutschen“.<br />

Wurde <strong>der</strong> Neue wegen seiner<br />

Nationalität diskriminiert? O<strong>der</strong> funktionierte<br />

die Besetzung aus an<strong>der</strong>en<br />

Gründen nicht?<br />

In einem weiteren Fall in einer an<strong>der</strong>en<br />

Firma wurde eine 33-jährige Frau als<br />

<strong>neue</strong> Chefin des Digitalbereichs eingestellt.<br />

Sie stammte aus <strong>der</strong> Beratungsbranche<br />

und hatte sich mit Vorträgen<br />

zum Thema digitale Innovationen einen<br />

guten Ruf erworben. In ihrem noch kurzen<br />

Berufsleben konnte sie aber nur<br />

wenig Führungserfahrung sammeln,<br />

auch waren die zwischenmenschlichen<br />

Kompetenzen noch unausgereift. Es gelang<br />

ihr deshalb nicht, die erfahrenen<br />

Mitarbeiter auf einen gemeinsamen<br />

Kurs einzuschwören. <strong>Die</strong>se trugen die<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> Chefin nicht mit. Das<br />

Urteil <strong>der</strong> Mitarbeiter fiel hart aus: <strong>Die</strong><br />

Neue sei „zu jung“ und „zu unerfahren“.<br />

Wurde die junge Chefin von den „Alten“<br />

diskriminiert? O<strong>der</strong> war sie die Falsche<br />

für den Job?<br />

Diversität ist nicht alles<br />

Headhunter Bjørn Johansson urteilt:<br />

„Diversität ist wichtig, aber viel wichtiger<br />

ist, dass die Zusammenführung von<br />

Individuen zu einem Team funktioniert.<br />

Wenn jemand nicht die Kultur o<strong>der</strong> die<br />

Werte mit den an<strong>der</strong>en Teammitglie<strong>der</strong>n<br />

teile, bringe Diversität nichts. „Holt sich<br />

eine Firma einen Auslän<strong>der</strong> ins Team,<br />

<strong>der</strong> keine Ahnung hat von <strong>der</strong> Schweizer<br />

Kultur o<strong>der</strong> den herrschenden Usancen,<br />

sind Konflikte programmiert“, sagt Johansson.<br />

Auch Marion Fengler-Veith, Spezialistin<br />

für Diversität und Inklusion bei Heidrick<br />

& Struggles in <strong>der</strong> Schweiz, betont,<br />

dass die Vorgesetzten in beiden Fällen<br />

hätten erkennen müssen, dass die Neuen<br />

Probleme im Alltag hatten. „Oft merken<br />

Menschen nicht, dass sie mit ihrer<br />

Art anecken“, sagt Fengler-Veith. Hier<br />

brauche es eine offene Diskussionskultur<br />

und ein Coaching <strong>der</strong> betroffenen<br />

Person.<br />

Schwierig ist auch die Situation, wenn<br />

Mitarbeiter bei Kritik an ihrer Leistung<br />

die „Opferkarte“ zücken. Als <strong>der</strong> frühere<br />

Chef <strong>der</strong> Credit Suisse, Tidjane Thiam,<br />

während <strong>der</strong> Beschattungsaffäre immer<br />

stärker kritisiert wurde, wiesen die hiesigen<br />

Medien oft auf seine afrikanische<br />

Herkunft hin. Thiam sprach deshalb von<br />

Rassismus. Steckt ein Funke Wahrheit<br />

hinter diesem Vorwurf? O<strong>der</strong> war es<br />

bloß journalistisch korrekt, Thiams Herkunft<br />

zu erwähnen, um den Lesern ein<br />

vollständiges Bild zu vermitteln?<br />

Einfache Antworten gibt es selbst bei<br />

glasklaren Fällen nicht. Bei einer weiteren<br />

Bank stellte <strong>der</strong> Teamchef eine<br />

Fachfrau für die Kundenbetreuung ein.<br />

In <strong>der</strong> Folge äußerten sich die Teamkollegen<br />

verletzend über <strong>der</strong>en Aussehen,<br />

Geschlecht und Charakter. Nach wenigen<br />

Monaten kündigte die Frau, da sie<br />

keinen an<strong>der</strong>en Ausweg mehr sah. Eine<br />

Führungskraft des Finanzinstituts, die<br />

zum ersten Mal von diesem Vorfall hört,<br />

urteilt: Eine solche Situation verstoße<br />

klar gegen die Richtlinien und die Kultur<br />

<strong>der</strong> Firma. Der Teamchef hätte die<br />

Mitarbeiter <strong>der</strong> entsprechenden bankinternen<br />

Stelle melden müssen, bei Diskriminierung<br />

herrsche Nulltoleranz.<br />

Nur: Hätte <strong>der</strong> Chef seine Angestellten<br />

wegen diskriminieren<strong>der</strong> Bemerkungen<br />

intern gemeldet, wäre die weitere<br />

Zusammenarbeit unmöglich geworden.<br />

Hätte die Frau die „Kollegen“ gemeldet,<br />

wäre sie in die Opferrolle gerutscht.<br />

Vielleicht war es für sie tatsächlich das<br />

Beste, die Firma zu verlassen. Gibt es<br />

also nicht auch Grenzen für Vielfalt?<br />

Muss einem erfolgreichen Diversität<br />

ist nicht alles-Team von Versicherungsagenten<br />

– alle männlich, heterosexuell,<br />

Schweizer – unbedingt eine Frau, ein offen<br />

schwuler Mann o<strong>der</strong> ein Auslän<strong>der</strong><br />

zur Seite gestellt werden? Steigt damit<br />

nicht das Risiko, dass die Zusammenarbeit<br />

im Team gestört wird?<br />

40 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Abgewürgte Diskussion<br />

Oliver Berger, Teilhaber bei <strong>der</strong> Rekrutierungsfirma<br />

Witena, betont, es sei<br />

nicht immer gut für eine Firma, Diversität<br />

in allen Aspekten auszuschöpfen.<br />

„Wenn Mitarbeiter nicht mehr sagen<br />

können, was sie denken, stoppt das auch<br />

die Innovation, den Dialog und die Kreativität“,<br />

so sagt Berger. Werde jede kritische<br />

Diskussion abgewürgt, würden sich<br />

die Mitarbeiter im Plenum zu gewissen<br />

Themen nicht mehr äußern. Das heiße<br />

aber nicht, dass sie darüber untereinan<strong>der</strong><br />

nicht mehr reden. Der Team-Konflikt<br />

sei programmiert. „Bei einer Fußballmannschaft<br />

würde ich ausdrücklich von<br />

nach Geschlecht durchmischten Teams<br />

abraten“, sagt Berger. Das könne auch<br />

in <strong>der</strong> Wirtschaft gelten, etwa wenn<br />

Teams geschlechterspezifische Produkte<br />

entwickeln, testen o<strong>der</strong> vermarkten<br />

wie Kosmetika für die Frau o<strong>der</strong> wie<br />

beim Barber-Shop für den Mann. Aber:<br />

Homogene Teams funktionierten nur<br />

dann, wenn sie die Kundschaft spiegelten,<br />

betont Berger. Sobald breitere Kundengruppen<br />

angepeilt würden, müsse<br />

sich eine Firma diverser aufstellen. Das<br />

bestätigt auch die Führungskraft <strong>der</strong><br />

Bank: „Unsere Mitarbeiter müssen unsere<br />

Kunden abbilden. Und diese sind<br />

äußerst divers.“<br />

Und hier findet sich letztlich das Killerargument<br />

für alle Kritik an <strong>der</strong> Diversität:<br />

Eine Firma sollte so vielfältig sein,<br />

wie es ihr Kundenstamm ist. Ist also zum<br />

Beispiel das Management <strong>der</strong> Versicherung<br />

zufrieden mit den Ergebnissen des<br />

homogenen Verkaufsteams, muss nichts<br />

geän<strong>der</strong>t werden. Sollen aber weitere<br />

Kundengruppen angesprochen werden,<br />

sollte in letzter Konsequenz auch das<br />

Team vielfältiger sein. Vielleicht freuen<br />

sich die jungen Verkäufer über ein <strong>neue</strong>s<br />

Teammitglied. Reagieren sie feindselig,<br />

sind kreative Lösungen gefragt.<br />

Denn Vorurteilen ist nicht einfach mit<br />

Anordnungen von <strong>der</strong> Chefetage beizukommen.<br />

Gegen Diskriminierung hilft<br />

letztlich nur eines: Leistung. Wird diese<br />

erbracht, kommt <strong>der</strong> gegenseitige Respekt,<br />

und die Diskriminierung schwindet.<br />

Anstrengende Vielfalt<br />

<strong>Die</strong> Führung ist auf allen Stufen gefor<strong>der</strong>t.<br />

Und sie muss zusätzlich transparent<br />

machen, warum eine Stelle mit einem<br />

Auslän<strong>der</strong> und keinem Schweizer<br />

o<strong>der</strong> mit einer jüngeren statt einer erfahrenen<br />

Person besetzt worden ist.<br />

Betroffene müssen sich aber auch selbst<br />

wehren. In jener Bank, wo die Teamkollegen<br />

dauernd verletzende Sprüche<br />

fallen ließen, hätte sich die Frau aktiv<br />

in ein an<strong>der</strong>es Team versetzen lassen<br />

können.<br />

Vielfalt ist natürlich anstrengend. Sitzt<br />

neu eine Person mit am Tisch, die über<br />

einen an<strong>der</strong>en Hintergrund verfügt als<br />

die Kollegen, wird verschieden und oft<br />

länger diskutiert als vorher. Das bestätigen<br />

Verwaltungsräte, und dies dürfte<br />

sich eins zu eins auf jedes Team übertragen<br />

lassen. Wenn aber Unternehmen<br />

konsequent ein tolerantes Arbeitsumfeld<br />

bieten, haben sie Vorteile bei <strong>der</strong> Rekrutierung,<br />

und die Mitarbeiter bleiben<br />

dem Unternehmen länger treu. f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

41


<strong>Moral</strong><br />

Frauen<br />

in Führungspositionen<br />

– Zögernde Fortschritte<br />

Nach wie vor schaffen es<br />

in Deutschland nur wenige<br />

Frauen in Führungspositionen.<br />

Auch nach Jahren<br />

<strong>der</strong> hitzigen Debatte än<strong>der</strong>te<br />

sich kaum etwas<br />

Grundlegendes an dieser<br />

Tatsache. Zumindest einzelne<br />

Branchen sind nun dazu in<br />

<strong>der</strong> Lage, dem etwas<br />

entgegenzusetzen. Sie<br />

könnten zu einem Vorbild für<br />

an<strong>der</strong>e Bereiche <strong>der</strong> freien<br />

Wirtschaft werden, in denen<br />

Führungspositionen bis heute<br />

eine rein männliche<br />

Domäne sind.<br />

Ein Instrument, welches scheinbar zur<br />

schnellen Auflösung <strong>der</strong> Unterschiede<br />

führen könnte, ist die Frauen- beziehungsweise<br />

Geschlechterquote. Sie soll<br />

einen Mindestanteil an Frauen in Gremien<br />

wie dem Vorstand o<strong>der</strong> dem<br />

Aufsichtsrat eines Unternehmens vorschreiben.<br />

Jene Firmen, welche sich<br />

nicht an diese Vorgaben halten, müssten<br />

mit strengen Sanktionen rechnen.<br />

Zwar gilt in Deutschland seit 2016 eine<br />

Quote von 30 Prozent für die Aufsichtsräte<br />

von börsennotierten und paritätisch<br />

mitbestimmten Unternehmen. Doch<br />

über diesen klar definierten Bereich<br />

von etwa 100 Unternehmen hinaus sind<br />

bislang kaum Effekte zu verzeichnen.<br />

Pionier in diesem Bereich ist das Land<br />

Norwegen, welches schon 2003 eine<br />

Frauenquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte<br />

festsetzte. Mit dazu gehören<br />

harte Sanktionen, welche sich gegen alle<br />

Firmen richten, die diesen Wert nicht<br />

erreichen.<br />

Positive Beispiele bezeugen die<br />

Möglichkeiten<br />

Beson<strong>der</strong>s die Spielindustrie konnte<br />

sich zuletzt als Vorreiter in Sachen<br />

42 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

So wäre ein Einlenken großer Firmen,<br />

die in dieser Debatte mit gutem Beispiel<br />

vorangehen möchten, <strong>der</strong> mit Abstand<br />

einfachste Lösungsweg. Noch ist jedoch<br />

nicht klar, wie gut sich dieser in die Tat<br />

umsetzen lässt.<br />

Gehaltslücke kaum auszugleichen<br />

Gleichberechtigung hervortun. Hier gibt<br />

es viele prominente Beispiele für Frauen<br />

in Führungspositionen, die ihre Firmen<br />

zuletzt in einer Phase des stetigen<br />

Wachstums geführt haben. Sie müssen<br />

nun unter Beweis stellen, dass sie auch<br />

mit schärferem Konkurrenzkampf zurechtkommen<br />

können. Denn noch immer<br />

konkurrieren Online Casinos mit<br />

aller Härte um die Gunst ihrer Spieler.<br />

Foto: Wolfilser / stock.adobe.com<br />

Experten hoffen, dass sich solch positive<br />

Beispiele auch in an<strong>der</strong>en Bereichen<br />

<strong>der</strong> freien Wirtschaft spiegeln können.<br />

Auch das Ziel <strong>der</strong> Politik scheint es zu<br />

sein, eine höhere Frauenquote in wichtigen<br />

Gremien ohne eine gesetzliche<br />

Vorschrift zu erreichen. <strong>Die</strong>se könnte<br />

wie<strong>der</strong>um harsche Kritik und hitzige<br />

Debatten über die Gerechtigkeit bei <strong>der</strong><br />

Besetzung <strong>der</strong> Posten nach sich ziehen.<br />

<strong>Die</strong> aktuelle Situation bei <strong>der</strong> Besetzung<br />

von Führungspositionen zieht noch ein<br />

weiteres Problemfeld nach sich. Nur<br />

langsam und zögerlich sind die Fortschritte<br />

im Gebiet Gen<strong>der</strong> Pay Gap. Nach<br />

wie vor verdienen Frauen auch nach<br />

Bereinigung zentraler Unterschiede<br />

bei <strong>der</strong> Beschäftigung etwa 5,5 Prozent<br />

weniger als ihre männlichen Kollegen.<br />

Entscheidend dabei ist auch die Frage,<br />

welche Positionen Frauen im Unternehmen<br />

erreichen können. Sofern leitende<br />

Positionen kaum mit Kandidatinnen besetzt<br />

werden, bleibt die Konsequenz ein<br />

durchschnittlich deutlich niedrigeres<br />

Gehalt. Denn jede Studie muss sogleich<br />

die genaue Position <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

im Unternehmen berücksichtigen.<br />

Zumindest international ist Deutschland<br />

auf einem guten Weg, wie zum<br />

Beispiel die am Equal Pay Day veröffentlichten<br />

Zahlen deutlich machen. In an<strong>der</strong>en<br />

OECD-Staaten liegt die unbereinigte<br />

Lücke demnach bei 19,2 Prozent.<br />

Trotzdem wird es in den kommenden<br />

Jahren notwendig sein, dieses Thema<br />

mit noch größerer Anstrengung anzugehen,<br />

um den Blick nach vorn richten zu<br />

können. f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

43


<strong>Moral</strong><br />

Foto: Rawpixel Ltd. / stock.adobe.com<br />

TEAM-DIVERSITY<br />

alsTRUMPF?<br />

„Bei gleicher Qualifikation werden<br />

Bewerbungen von Frauen bevorzugt“<br />

– diesen o<strong>der</strong> einen ähnlichen Satz haben<br />

wahrscheinlich die meisten bereits<br />

einmal gelesen. Studien zeigen dennoch<br />

immer wie<strong>der</strong>, dass insbeson<strong>der</strong>e in<br />

Führungsriegen beispielsweise Frauen<br />

noch immer unterrepräsentiert sind. Dabei<br />

kennen Unternehmen meist die Vorteile<br />

eines vielfältigen Teams. Trotzdem<br />

überlassen sie die Zusammensetzung<br />

häufig dem Zufall.<br />

Zwar behauptet <strong>der</strong> Volksmund „Gleich<br />

und gleich gesellt sich gern“, jedoch sollten<br />

Unternehmen häufiger auf Diversität<br />

setzen. Das bedeutet nicht nur, Frauen<br />

in vermeintlichen „Männerberufen“ zu<br />

för<strong>der</strong>n und an<strong>der</strong>sherum. Ein diverses<br />

Team besteht unter an<strong>der</strong>em aus Mitglie<strong>der</strong>n<br />

unterschiedlicher Berufs- o<strong>der</strong><br />

Schulbildung, verschiedenen Alters<br />

sowie kulturellen Hintergrundes o<strong>der</strong><br />

auch Menschen mit Behin<strong>der</strong>ungen. Das<br />

Konzept des Diversity-Managements<br />

versteht sich dabei als Teilbereich des<br />

Personalmanagements und befasst sich<br />

mit dem bestmöglichen Einsatz sozialer<br />

Vielfalt. Ursprünglich stammt die Idee<br />

aus den USA und galt als Maßnahme zur<br />

Gleichberechtigung. Diverse Teams stellen<br />

somit nur die logische Konsequenz<br />

aus <strong>der</strong> wachsenden Pluralität <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

dar. Aber nicht nur offensichtliche<br />

Unterschiede im Lebenslauf<br />

spielen dabei eine Rolle, son<strong>der</strong>n auch<br />

verschiedene Persönlichkeitstypen. So<br />

kann es immer wie<strong>der</strong> zu Reibungen<br />

zwischen Kollegen kommen, wenn etwa<br />

beson<strong>der</strong>s detailgetreue Mitarbeiter auf<br />

an<strong>der</strong>e treffen, für die das große Ganze<br />

im Fokus steht. Beide Sichtweisen gilt<br />

es einzubeziehen, wenn das Team nach<br />

<strong>der</strong> bestmöglichen Lösung des Problems<br />

strebt. „Auch wenn es schwerfällt, müssen<br />

Angestellte lernen, anfängliche Uneinigkeiten<br />

auszuhalten und Konflikte<br />

als Teil des Prozesses anzuerkennen.<br />

Schließlich bringt Konsens selten das<br />

beste Ergebnis“, erklärt Christian Rampelt,<br />

Grün<strong>der</strong> und Geschäftsführer von<br />

dfind.com.<br />

Vorurteile abbauen<br />

Viele Führungskräfte zeigen sich aber<br />

weiterhin skeptisch. Forscher fanden<br />

bereits in den 70er-Jahren heraus, dass<br />

Menschen beson<strong>der</strong>s gern mit Personen<br />

agieren, die ihnen in bestimmten Merkmalen<br />

ähneln. Daher liegt es nahe, dass<br />

Chefs im Bewerbungsverfahren Kandidaten<br />

auswählen, <strong>der</strong>en Lebenslauf<br />

dem eigenen beson<strong>der</strong>s ähnelt. Manager<br />

müssen sich dessen bewusst sein und<br />

sich ihre Vorurteile vor Augen führen.<br />

44 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Nur so können sie die sprichwörtliche<br />

Schublade öffnen – damit besetzen sie<br />

die Stellen in ihrem Unternehmen nicht<br />

nur mit ihren Ebenbil<strong>der</strong>n. Regelmäßige<br />

Schulungen sowie Team-Building-Maßnahmen<br />

für Führungskräfte und Mitarbeiter<br />

öffnen den Horizont und helfen,<br />

die an<strong>der</strong>en Positionen besser nachzuvollziehen.<br />

Zudem bringt Diversität im<br />

aktuellen War for Talents einen Attraktivitätsvorteil<br />

für einen Arbeitgeber, da er<br />

für eine tolerante und integrative Personalpolitik<br />

steht.<br />

Je diverser, desto besser?<br />

Allerdings sollten Manager darauf achten,<br />

nicht kopflos nach dem Mitarbeiter<br />

zu suchen, <strong>der</strong> sich in möglichst vielen<br />

Punkten von den übrigen Kollegen unterscheidet.<br />

Auch die Zusammenstellung<br />

eines Teams, das aus Mitglie<strong>der</strong>n<br />

unterschiedlicher Abteilungen besteht,<br />

kann sich in einigen Fällen als sinnvoll<br />

erweisen. <strong>Die</strong>ses Konzept entspricht<br />

dem sogenannten crossfunktionalen<br />

Team. Soll die Arbeit gelingen, stellt<br />

sich eine offene Kommunikation aber<br />

als essenziell heraus. Angestellte müssen<br />

dabei nicht auf privater Ebene zusammenpassen,<br />

son<strong>der</strong>n gegenseitigen<br />

Respekt für die jeweiligen Fähigkeiten<br />

und Kompetenzen des an<strong>der</strong>en aufbringen.<br />

Es gilt für sie deshalb als beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig, sich darauf einzustellen,<br />

dass aufgrund unterschiedlicher<br />

Sichtweisen eventuell Schwierigkeiten<br />

auf sie zukommen. Chefs sollten daher<br />

ihre Mitarbeiter daran erinnern, dass<br />

sie durch die Vielfalt im Job auch viel<br />

voneinan<strong>der</strong> lernen können und die dafür<br />

nötige Toleranz und <strong>der</strong> respektvolle<br />

Umgang ein angenehmes Arbeitsklima<br />

erzeugen. f<br />

Gutes Zeichen.<br />

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis ist Europas größte<br />

Auszeichnung für ökologisches und soziales Engagement.<br />

Das Siegel dokumentiert die Spitzenposition <strong>der</strong> Besten<br />

gegenüber Kund/innen, Lieferanten, Medien und Finanzwelt.<br />

<strong>Die</strong> renommierte Anerkennung macht die Vorreiter erkennbar<br />

und gibt Konsument/innen Orientierung auf <strong>der</strong><br />

Suche nach nachhaltigen Alternativen.<br />

www.nachhaltigkeitspreis.de<br />

Live aus Düsseldorf am 3. und 4. Dezember 2020:<br />

Der 13. Deutsche Nachhaltigkeitstag<br />

auf DNP.TV<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

45


Advertorial<br />

<strong>Moral</strong><br />

„Unser Markenkern ist,<br />

alles etwas<br />

besser zu machen“<br />

Verbraucher for<strong>der</strong>n von<br />

Unternehmen immer stärker<br />

verantwortungsvolles und<br />

nachhaltiges Handeln ein. Für<br />

toom Baumarkt ist das Teil<br />

<strong>der</strong> Unternehmens-DNA, sagt<br />

Dominique Rotondi,<br />

Geschäftsführer im Bereich<br />

Einkauf und Logistik.<br />

Er und Kai Battenberg,<br />

Fachbereichsleiter<br />

Nachhaltigkeit Ware, erklären<br />

im UmweltDialog-Interview,<br />

was das für toom bedeutet.<br />

Wir befinden uns <strong>der</strong>zeit in einem moralisch<br />

aufgeladenen gesellschaftlichen Umfeld.<br />

So achten Verbraucher zunehmend<br />

darauf, ob ein Unternehmen sozial und<br />

ökologisch nachhaltig handelt, Verfehlungen<br />

werden schnell mit Boykott bestraft.<br />

Was heißt es für toom Baumarkt, in so einem<br />

Umfeld zu wirtschaften?<br />

Dominique Rotondi: Glaubwürdigkeit<br />

spielt hier natürlich eine große Rolle.<br />

Bei toom ist Nachhaltigkeit in <strong>der</strong> Unternehmens-DNA<br />

fest verankert. Unsere<br />

Strategie fußt dabei auf den vier Säulen<br />

„Grüne Produkte“, „Energie, Klima und<br />

Umwelt“, „Mitarbeiter“ und „gesellschaftliches<br />

Engagement“. In jedem dieser<br />

Bereiche haben wir entsprechende<br />

Maßnahmen für ökologisches und soziales<br />

Handeln verankert. Und trotzdem<br />

werden uns auch Fehler passieren, und<br />

einige Probleme sind vielleicht auch<br />

noch nicht zu 100 Prozent lösbar. Wir<br />

setzen daher auf viele Instrumente, wie<br />

zum Beispiel auf Zertifizierungen o<strong>der</strong><br />

Audits, um die Neutralität gegenüber<br />

Dritten zu wahren und absolut transparent<br />

zu sein. Darüber hinaus muss man<br />

auch seine Mitarbeiter mitnehmen und<br />

für das Thema Nachhaltigkeit begeistern.<br />

Wenn man Maßnahmen und Themen<br />

zunächst einmal intern kommuniziert<br />

und erklärt, was man eigentlich<br />

erreichen will, ist es später umso einfacher,<br />

auch die Kunden damit abzuholen.<br />

Unser Markenkern ist, alles etwas besser<br />

zu machen und für die Umwelt und<br />

für die Nachhaltigkeit einzustehen.<br />

46 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Für toom sind nachhaltige Produkte ein<br />

beson<strong>der</strong>es Differenzierungsmerkmal.<br />

Gleichzeitig verbindet toom diese mit einem<br />

Dreifachversprechen. Bitte erläutern<br />

Sie das.<br />

Kai Battenberg: Wir haben den Dreifachnutzen<br />

„Gut für mich, gut für die<br />

Umwelt, gut für mein Portemonnaie“ formuliert.<br />

Denn immer mehr Verbraucher<br />

beschäftigen sich mit <strong>der</strong> Frage, wie<br />

sie ihr Konsumverhalten mit aktuellen<br />

Themen wie Umwelt- o<strong>der</strong> Klimaschutz<br />

in Einklang bringen können. Auch das<br />

Bewusstsein für schadstoffarmes Wohnen<br />

und Energiesparen in den eigenen<br />

vier Wänden wird im gesellschaftlichen<br />

Kontext immer wichtiger – gleichzeitig<br />

steht <strong>der</strong> Wunsch nach qualitativ hochwertigen<br />

Produkten zu einem guten<br />

Preis-Leistungsverhältnis im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Der Nachhaltigkeitsgedanke ist<br />

hier ein zentraler Bestandteil. Das spiegelt<br />

nochmal wi<strong>der</strong>, was Herr Rotondi<br />

gesagt hat, Nachhaltigkeit ist ein wichtiger<br />

Teil von toom. Aber es ist natürlich<br />

nicht <strong>der</strong> einzige. Für unsere Kunden<br />

spielen eben auch an<strong>der</strong>e Aspekte eine<br />

große Rolle, wie zum Beispiel <strong>der</strong> Preis.<br />

Auch bei nachhaltigeren Produkten darf<br />

man sich preislich nicht zu weit von den<br />

konventionellen Produkten entfernen.<br />

Und „gut für mich“ spricht für Qualität<br />

und auch die Services sowie die Beratung,<br />

die wir als toom bieten. Man muss<br />

alle Punkte mitdenken.<br />

Früher reichte es, „gute Produkte“ im Sinne<br />

von Qualität und Kundensicherheit<br />

anzubieten. Heute geht es aber auch um<br />

„gut gemacht“ mit Blick auf den Herstellungsprozess.<br />

<strong>Die</strong> Verantwortung beginnt<br />

also eigentlich schon am Anfang <strong>der</strong> Lieferkette<br />

– bei denen, die die Rohstoffe abbauen,<br />

herstellen usw. Was bedeutet das<br />

für toom?<br />

„Gut für mich,<br />

gut für die<br />

Umwelt, gut<br />

für mein<br />

Portemonnaie“<br />

Dominique Rotondi<br />

Kai Battenberg<br />

Battenberg: Beson<strong>der</strong>s wichtig ist die<br />

Transparenz in den Lieferketten. Wir<br />

haben schon früh angefangen, hier entsprechende<br />

Maßnahmen für die Einhaltung<br />

von Sozial- und Umweltstandards<br />

zu implementieren. Zum Beispiel im Bereich<br />

Natursteine, wo es gerade in den<br />

Steinbrüchen oft Menschenrechtsverletzungen<br />

gibt. Hier arbeiten wir mit <strong>der</strong><br />

Organisation „Xertifix“ zusammen, die<br />

unsere Natursteine zertifiziert. Gemeinsam<br />

haben wir <strong>der</strong>en Standard erweitert,<br />

damit dieser auch wirklich unseren<br />

Ansprüchen genügt. Vorher konnten wir<br />

Natursteine nicht bis in den Steinbruch<br />

zurückverfolgen, son<strong>der</strong>n nur bis zum<br />

Verarbeiter. Doch auch im Steinbruch<br />

treten für uns relevante kritische Punkte<br />

auf. Jetzt können wir mit Xertifix die<br />

Naturstein-Lieferkette vom Steinbruch<br />

über die Produktion bis in unsere Märkte<br />

nach Deutschland zurückverfolgen<br />

und zertifizieren und so das Risiko für<br />

Menschenrechtsverletzungen minimieren.<br />

Rotondi: Wir bei toom sind außerdem<br />

absolute Befürworter des Lieferkettengesetzes.<br />

Damit gibt es dann einen gesetzlichen<br />

Standard in Deutschland und<br />

vielleicht auch in <strong>der</strong> EU, an den sich<br />

alle halten müssen. Unabhängig davon<br />

sind vor allem kleinere Unternehmen<br />

darauf angewiesen, dass die großen<br />

Unternehmen die Vorreiterrolle einnehmen.<br />

Wenn sich ein großes Unternehmen<br />

seiner sozialen Verantwortung<br />

nicht bewusst ist, wird und kann sich<br />

nichts verän<strong>der</strong>n.<br />

Darüber hinaus for<strong>der</strong>n aber auch große<br />

Teile <strong>der</strong> Gesellschaft (zum Beispiel die<br />

Fridays for Future-Bewegung) Unternehmen<br />

dazu auf, Verantwortung für die<br />

Umwelt und den Klimaschutz zu übernehmen.<br />

toom gilt hier als Vorreiter <strong>der</strong><br />

Baumarktbranche. Wie trägt toom zum<br />

Umwelt- und Klimaschutz bei?<br />

Battenberg: Klima- und Umweltschutz<br />

muss man ganzheitlich denken. Auf<br />

<strong>der</strong> einen Seite haben wir natürlich die<br />

nachhaltigeren Produkte. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite optimieren wir unter an<strong>der</strong>em<br />

unsere Verpackungen. 2011 haben wir<br />

zum Beispiel bei den Dispersionsfarben<br />

die Eimer auf Rezyklat umgestellt.<br />

Dadurch konnten wir mittlerweile<br />

über die Verkaufszahlen schon mehr<br />

als 1.000 Tonnen CO 2<br />

einsparen. Für<br />

toom gilt auch das große Klimaziel <strong>der</strong><br />

Rewe Group: Bis 2022 wollen wir die<br />

CO 2<br />

-Emissionen im Vergleich zu 2006<br />

und bezogen auf die Quadratmeter <strong>der</strong><br />

Verkaufsfläche halbieren. Um das zu<br />

erreichen, greifen ganz viele verschiedene<br />

Maßnahmen. So wurden über<br />

150 toom-Märkte auf LED-Beleuchtung<br />

umgerüstet, <strong>neue</strong> Märkte werden alle<br />

nach dem Gold-Standard <strong>der</strong> Deutschen<br />

Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen<br />

(DGNB) gebaut.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Fotos: toom<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

47


Advertorial<br />

<strong>Moral</strong><br />

Bereits seit drei Jahren<br />

unterstützt toom die dänische<br />

Stiftung Fair Trees dabei,<br />

eine faire Ernte <strong>der</strong><br />

Nordmanntannen-Samen im<br />

georgischen Kaukasus<br />

voranzutreiben. Seitdem bietet<br />

toom faire Tannen zur<br />

Weihnachtszeit an. <strong>Die</strong><br />

Erntehelfer und ihre Familien<br />

profitieren von dem<br />

Engagement aber nicht nur<br />

an Weihnachten. Denn mit<br />

dem Erlös aus den Verkäufen<br />

finanziert toom diverse<br />

soziale Projekte in <strong>der</strong><br />

Ernteregion – und das<br />

365 Tage im Jahr.<br />

Ein besseres Leben<br />

dank fairer<br />

Weihnachtsbäume<br />

Weniger Familienbesuche, Gottesdienste<br />

im Freien und als Livestream, abgesagte<br />

Weihnachtsmärkte o<strong>der</strong> nur mit<br />

strengen Hygieneregeln: Weihnachten<br />

wird dieses Jahr durch die Corona-Pandemie<br />

an<strong>der</strong>s als sonst. Halt geben<br />

in solchen turbulenten Zeiten Rituale<br />

und Traditionen. In vielen deutschen<br />

Haushalten darf daher eines nicht fehlen<br />

– <strong>der</strong> Weihnachtsbaum. Mit einem<br />

Marktanteil von 75 Prozent ist die Nordmanntanne<br />

<strong>der</strong> beliebteste Weihnachtsbaum<br />

in Deutschland. <strong>Die</strong> Zapfen, in<br />

denen sich die Samen für die Anzucht<br />

<strong>der</strong> Nordmanntanne befinden, stammen<br />

allerdings zum Großteil aus Georgien<br />

und werden von Zapfenpflückern unter<br />

gefährlichen Bedingungen geerntet.<br />

Um die Tannenzapfen zu erreichen,<br />

klettern die Pflücker ohne Sicherung in<br />

die bis zu 30 Meter hohen Baumwipfel.<br />

Gemeinsam mit <strong>der</strong> dänischen Stiftung<br />

Fair Trees setzt sich toom Baumarkt nun<br />

bereits im dritten Jahr für bessere und<br />

sichere Arbeitsbedingungen ein und<br />

versorgt die Zapfenpflücker unter an<strong>der</strong>em<br />

mit professioneller Kletterausrüstung<br />

und regelmäßigen Kletterschulungen.<br />

Sie erhalten außerdem faire Löhne,<br />

eine ganzjährige Krankenversicherung<br />

48 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Fotos: toom<br />

für die gesamte Familie und eine Unfallversicherung<br />

während <strong>der</strong> Erntesaison.<br />

Das Engagement von toom Baumarkt<br />

geht aber weit über den Erntevorgang<br />

hinaus. Mit dem Erlös aus dem Verkauf<br />

<strong>der</strong> fairen Nordmanntannen finanziert<br />

das Unternehmen zahlreiche regionale<br />

Projekte, um die Lebensbedingungen in<br />

<strong>der</strong> gesamten Ernteregion ganzjährig zu<br />

verbessern. „Indem wir Fair Trees unterstützen,<br />

verbessern wir nicht nur die Arbeitsbedingungen<br />

<strong>der</strong> Erntehelfer, son<strong>der</strong>n<br />

för<strong>der</strong>n auch die Bildungschancen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen und leisten<br />

einen Beitrag zur wirtschaftlichen und<br />

sozialen Entwicklung <strong>der</strong> Region“, erklärt<br />

Kai Battenberg, Fachbereichsleiter<br />

Nachhaltigkeit Ware bei toom.<br />

Für bessere Bildung und gegen<br />

Vorurteile<br />

So vergibt Fair Trees zum Beispiel Stipendien<br />

an Kin<strong>der</strong> und Jugendliche und<br />

stattet die Schulen mit <strong>neue</strong>n Computern<br />

sowie Sportgeräten aus. 2019 gab es außerdem<br />

<strong>neue</strong> Physik- und Chemielabore,<br />

die durch Spenden von toom finanziert<br />

werden konnten. „Unsere Labore wurden<br />

mit mo<strong>der</strong>ner Technik ausgestattet,<br />

die für unsere Schule schwer zu bekommen<br />

wäre. Mit den <strong>neue</strong>n Laboren<br />

wurden viel bessere Möglichkeiten geschaffen,<br />

sich beispielsweise mit Elektrizität<br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Unsere<br />

Schülerinnen und Schüler lernen zum<br />

Beispiel, wie auf verschiedenen Wegen<br />

Strom erzeugt werden kann. Durch die<br />

praktischen Übungen in <strong>der</strong> Schule wird<br />

das Interesse wachsen, welches für die<br />

Zukunft sehr nützlich und hilfreich sein<br />

wird“, sagt Sopio Kobakhidze, Physiklehrerin<br />

an <strong>der</strong> Schule in Nikortsminda.<br />

Darüber hinaus initiierte Fair Trees die<br />

Gründung des Mädchenfußballs in <strong>der</strong><br />

Region. Gemeinsam mit dem regionalen<br />

und nationalen Fußballverband hat sich<br />

die Stiftung dazu verpflichtet, mit Stereotypen<br />

zu brechen und Fußball für alle<br />

erlebbar zu machen. <strong>Die</strong> Mädchen-Trainerin<br />

Keso Metreveli wird außerdem<br />

von <strong>der</strong> Stiftung bezahlt.<br />

Eine Zahnarztpraxis und Krebs-<br />

Screenings<br />

<strong>Die</strong> regionale Gesundheitsversorgung<br />

hat sich ebenfalls deutlich verbessert.<br />

In einer <strong>der</strong> Grundschulen wurde eine<br />

Zahnarztpraxis eingerichtet, in <strong>der</strong> die<br />

Kin<strong>der</strong> kostenlose Zahnbehandlungen<br />

bekommen. Seit August dieses Jahres<br />

nimmt die Zahnarztpraxis auch junge Patientinnen<br />

und Patienten aus einer weiteren<br />

Region auf. Dadurch erhalten zusätzlich<br />

mehr als 500 Kin<strong>der</strong> Zugang zur<br />

medizinischen Zahnversorgung. Erwachsene<br />

und Kin<strong>der</strong> können außerdem zu regelmäßigen<br />

Krebs-Screenings gehen, um<br />

eine eventuelle Erkrankung frühzeitig zu<br />

erkennen und zu behandeln. <strong>Die</strong> Frauen<br />

aus <strong>der</strong> Region erhalten die Möglichkeit,<br />

an einem kostenlosen hochtechnologischen<br />

Mammographie-Screening teilzunehmen.<br />

Hierfür veranstaltet Fair Trees<br />

regelmäßig die Brustscreening-Wochen,<br />

die sogar während <strong>der</strong> Corona-Pandemie<br />

durchgeführt wurden. Nur so lässt<br />

sich eine Kultur <strong>der</strong> regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen<br />

bei Frauen etablieren.<br />

Traditionell folgen auf die Brustscreening-Wochen<br />

dann Ausstellungen<br />

von lokalen Künstlerinnen im örtlichen<br />

Museum. Um noch mehr Kin<strong>der</strong> für<br />

Kunst zu begeistern, finanziert Fair Trees<br />

zudem lokale Kunstschulklassen.<br />

Gemeinsam durch Krisenzeiten<br />

<strong>Die</strong> Unterstützung von toom half vielen<br />

Familien Anfang 2020 auch durch die<br />

Corona-Krise. Da das Gebiet ohnehin<br />

schon wirtschaftlich schwach ist, war<br />

die Bevölkerung auf eine grundlegende<br />

Versorgung angewiesen. Gemeinsam mit<br />

dem georgischen Roten Kreuz konnten<br />

toom und Fair Trees entsprechende Hilfe<br />

gewährleisten. „In Krisen sind es vor allem<br />

jene, die es auch sonst schwer haben,<br />

die am meisten leiden. Wir freuen uns,<br />

mit <strong>der</strong> Fair Trees Stiftung und toom so<br />

starke Partner an unserer Seite zu haben.<br />

Gemeinsam können wir die Familien, die<br />

von <strong>der</strong> aktuellen Situation beson<strong>der</strong>s<br />

betroffen sind, effektiv unterstützen“, so<br />

Irina Kereselidze, Projektkoordinatorin,<br />

Georgisches Rotes Kreuz. f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

49


Advertorial<br />

<strong>Moral</strong><br />

Advertorial<br />

Kampf gegen<br />

Klimawandel als<br />

Eckpfeiler ethischen<br />

Wirtschaftens<br />

Überflutungen, Starkregen o<strong>der</strong> Dürreperioden: Extreme<br />

Wetterereignisse bedrohen schon jetzt vielerorts die Ernten.<br />

Darüber hinaus hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie krisenanfällig<br />

die weltweite Lebensmittelversorgung und -sicherheit<br />

sind. Bei Nestlé ist man davon überzeugt, dass eine Transformation<br />

<strong>der</strong> globalen Ernährungssysteme unabdingbar<br />

ist. Daher setzt sich das Unternehmen für eine konsequente<br />

Klimapolitik ein, um die Umweltrisiken <strong>der</strong> Ernährungssysteme<br />

zu reduzieren und den Klimawandel zu bekämpfen.<br />

Lieferanten unter die Arme<br />

greifen, Produktumstellungen<br />

o<strong>der</strong> Home Office: Auch wenn<br />

das gesamte Ausmaß <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Folgen <strong>der</strong> Corona-Pandemie<br />

schwer abzuschätzen<br />

ist, hat die Krise dennoch<br />

gezeigt, wie schnell etwa Unternehmen<br />

– mit Hilfe ihrer<br />

Mitarbeiter und politischer<br />

Unterstützung – auf die aktuelle<br />

Krise reagieren konnten.<br />

Vermehrt for<strong>der</strong>n nun Vertreter<br />

aus Wirtschaft, Politik<br />

und NGOs, die gemeinsame<br />

Corona-Erfahrung als Chance<br />

zu nutzen, um das Wirtschaftssystem<br />

insgesamt nachhaltiger<br />

und solidarischer zu gestalten.<br />

Nach ethischen Prinzipien also,<br />

für die sich etwa die Generation<br />

Greta seit nunmehr zwei Jahren einsetzt.<br />

Auch Nestlé sieht die Notwendigkeit<br />

einer Transformation <strong>der</strong> bisherigen Ernährungssysteme,<br />

um gesellschaftliche<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen wie den Klimawandel<br />

zu adressieren. So arbeitet Nestlé<br />

seit etlichen Jahren daran, nachhaltiger<br />

zu produzieren. Beispielsweise, indem<br />

<strong>der</strong> Wasserverbrauch o<strong>der</strong> <strong>der</strong> CO 2<br />

-Fußabdruck<br />

<strong>der</strong> Werksstandorte schrittweise<br />

weiter reduziert wird. Darüber hinaus<br />

setzt sich Nestlé auch für eine konsequente<br />

Nachhaltigkeitspolitik in <strong>der</strong><br />

Lebensmittelindustrie ein. „Covid-19<br />

hat uns allen die Bedeutung alltäglicher<br />

Dinge gezeigt, die wir in unserer Gesellschaft<br />

für selbstverständlich hielten:<br />

die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln,<br />

Lebensmittelsicherheit und robuste<br />

Lebensmittellieferketten“, sagt Marco<br />

Settembri, Executive Vice President and<br />

Chief Executive Officer Zone Europe,<br />

Middle East and North Africa Nestlé<br />

und Präsident des europäischen Lebensmittelverbands.<br />

„Um die europäische<br />

Lebensmittel- und Getränkeindustrie<br />

zum Benchmark für Nachhaltigkeit zu<br />

machen, müssen wir weiter an Themen<br />

arbeiten, die wir bereits vor Covid-19<br />

adressiert haben: Klimawandel, Übergewicht<br />

und nachhaltige Ernährungssysteme.“<br />

50 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Synergieeffekte: Weniger tierische<br />

Proteine helfen Umwelt und<br />

Gesundheit<br />

Alleine in Deutschland sind die Herstellung<br />

und <strong>der</strong> Verbrauch von Nahrungsmitteln<br />

für zirka 20 bis 30 Prozent <strong>der</strong><br />

hierzulande entstehenden Umweltauswirkungen<br />

verantwortlich, wie das Umweltbundesamt<br />

angibt. Dazu zählen die<br />

Emission von Treibhausgasen, die Versauerung<br />

<strong>der</strong> Böden und des Wassers<br />

und die Zerstörung <strong>der</strong> Ozonschicht. Den<br />

Hauptanteil daran tragen die Fleischund<br />

Milcherzeugung. Um die SDGs und<br />

die Ziele des Pariser Klimaabkommens<br />

zu erreichen, for<strong>der</strong>n Experten deswegen<br />

eine radikale Transformation weltweiter<br />

Ernährungssysteme. Denn, wie<br />

Lebensmittel angebaut und verarbeitet<br />

werden und was wir essen, beeinflusst<br />

den Planeten und unsere Gesundheit<br />

gleichermaßen.<br />

Dabei umfassen nachhaltige Ernährungssysteme<br />

zahlreiche, eng miteinan<strong>der</strong><br />

verzahnte Aspekte wie etwa gute<br />

landwirtschaftliche Praktiken, Vermeidung<br />

von Lebensmittelverlusten o<strong>der</strong><br />

eine ausgewogene Ernährung. „Es gibt<br />

Synergien. So hat etwa <strong>der</strong> vermehrte<br />

Einsatz von pflanzlichem Eiweiß eine<br />

positive Auswirkung auf die CO 2<br />

-Bilanz<br />

unserer Produkte und entspricht gleichzeitig<br />

den Ernährungsempfehlungen“,<br />

sagt Nestlé.<br />

Globales Klimaversprechen<br />

Nestlé unterstützt „Green Deal“ und „Farm to Fork“-Strategie <strong>der</strong><br />

Europäischen Union<br />

Als Teil des Green Deals hat die Europäische Union in diesem Jahr die<br />

„Farm to Fork“-Strategie veröffentlicht. Ihr Ziel ist es, das europäische<br />

Lebensmittelsystem nachhaltiger aufzustellen und seine Umweltrisiken<br />

für Drittlän<strong>der</strong> zu verringern. „Auch für eine nachhaltige und umfassende<br />

Erholung von COVID-19 ist es von grundlegen<strong>der</strong> Bedeutung, die bestehenden<br />

Ernährungssysteme zu überdenken und zu transformieren“, so Nestlé.<br />

<strong>Die</strong> Klimamaßnahmen im Fokus<br />

Um die Ziele des Klimaversprechens zu erreichen, setzt Nestlé unter<br />

an<strong>der</strong>em folgende Maßnahmen um:<br />

• Entwicklung <strong>neue</strong>r, pflanzenbasierter Produkte<br />

• <strong>Die</strong> Verwendung von Ökostrom für alle Unternehmensprozesse<br />

• Schutz von Wäl<strong>der</strong>n sowie Renaturierung und Transformation zu<br />

gesunden Böden<br />

• Einsatz von umweltfreundlicheren Verpackungslösungen<br />

Bil<strong>der</strong>: Nestlé<br />

Deutlich zeigen sich die Zusammenhänge<br />

in Bezug auf den Klimawandel,<br />

von dessen Auswirkungen wie extremen<br />

Wetterereignissen o<strong>der</strong> knapper<br />

Ressourcenverfügbarkeit die Lebensmittelbranche<br />

beson<strong>der</strong>s betroffen ist:<br />

„Nur gemeinsam werden wir es schaffen,<br />

den mit den Folgen des Klimawandels<br />

verbundenen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu begegnen. Deshalb haben wir uns<br />

im vergangenen Jahr dazu verpflichtet,<br />

unsere Netto-Treibhausgasemissionen<br />

bis 2050 auf null zu senken“, erklärt<br />

Nestlé. „Bereits bis 2030 wollen wir<br />

unsere Emissionen um die Hälfte reduzieren.“<br />

Mit seinem Klima-Committment ist das<br />

Unternehmen somit im Einklang mit<br />

dem 1,5 Grad Celsius-Ziel des Pariser<br />

Klimaabkommens. Neben den eigenen<br />

Unternehmensprozessen schließt die<br />

Klimapolitik des Unternehmens seine<br />

gesamte vorgelagerte Wertschöpfungskette<br />

sowie wichtige nachgelagerte<br />

Prozesse wie Produkttransport und die<br />

Entsorgung <strong>der</strong> Verpackungen mit ein:<br />

„Wir wollen unsere komplette globale<br />

Lieferkette so anpassen, dass durch<br />

unsere Aktivitäten in <strong>der</strong> Summe keine<br />

Treibhausgase mehr entstehen. Das<br />

erfor<strong>der</strong>t eine genaue Planung, denn<br />

die Verän<strong>der</strong>ungen können wir nur mit<br />

<strong>der</strong> Unterstützung unserer Lieferanten<br />

durchführen.“<br />

Darüber hinaus muss die gesamte<br />

Wertschöpfungskette im Hinblick auf<br />

ihre Umweltauswirkungen analysiert<br />

werden. Es gilt zu ermitteln, welche<br />

CO 2<br />

-Einsparpotenziale in welchen Bereichen<br />

vorliegen und wie diese optimal<br />

ausgeschöpft werden können.<br />

„Dafür nutzen wir einen ganzheitlichen<br />

Ansatz und erarbeiten <strong>der</strong>zeit<br />

einen genauen Zeitplan mit konkreten<br />

Zwischenzielen.“ f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

51


Advertorial<br />

<strong>Moral</strong><br />

Dilemma<br />

(Deutscher)<br />

Wertekollaps!?<br />

Klimawandel, ein radikaler Mobilitätskurs,<br />

Corona Krise samt mittel- und unmittelbarer<br />

Begleiterscheinungen und zahlreiche an<strong>der</strong>e<br />

offene Baustellen. Versäumnisse in den<br />

Bereichen soziale Sicherheit, Bildung, zunehmendes<br />

Verbürokratisieren etc. Hinzu kommt<br />

die scheinbar bröckelnde europäische<br />

Wertegemeinschaft. Bei allem Wohlstand, den<br />

viele von uns in Deutschland genießen dürfen,<br />

herrscht zunehmend Nachdenklichkeit –<br />

gepaart mit Sorge und Unverständnis.<br />

Akzeptanz und Anreiz schaffen, statt Maßregeln und<br />

Verbote<br />

Vor allem im Bereich Klimaschutz versucht die Politik zunehmend,<br />

durch Verbote und Maßregelung eigene Versäumnisse zu<br />

korrigieren. Oftmals sehr kurzfristig und auf dem Rücken von<br />

Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft. Man vermisst Weitsicht<br />

und Beständigkeit. So jedenfalls macht es oftmals den Anschein.<br />

Natürlich ist Deutschland als Land <strong>der</strong> Tüftler und Macher prädestiniert,<br />

innovative Technologien und Konzepte für nachhaltige<br />

Lösungen zu entwickeln und zu etablieren; die <strong>der</strong>zeit eingeschlagene<br />

Richtung birgt die große Gefahr, genau diesen Status<br />

zu verlieren. Um dies zu verhin<strong>der</strong>n bedarf es unterstützen<strong>der</strong><br />

politischer Rahmenbedingungen. Schnell, unbürokratisch und<br />

langfristig orientiert. Genau diese Balance aus Nehmen und<br />

Geben bildet einen wichtigen Anker für die Akzeptanz, die notwendigen<br />

Dinge zu tun, und zwar richtig. Letztlich geht es doch<br />

darum, Verständnis und die damit verbundene Verantwortung<br />

für den Erhalt unserer Erde zu schaffen.<br />

„Wenn wir die Herausfor<strong>der</strong>ungen nachhaltig lösen wollen, erfor<strong>der</strong>t<br />

dies ein Zweisäulenkonzept. Zum einen die Schaffung<br />

von Werten und Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft<br />

in <strong>der</strong> Bevölkerung, zum an<strong>der</strong>en die Entwicklung und Bereitstellung<br />

entsprechen<strong>der</strong> Technologien.“<br />

Nationale Ansätze für globale Lösungen<br />

<strong>Die</strong> <strong>der</strong>zeit proklamierte Radikalität rund um Antriebstechnologie<br />

und Mobilität schafft zunehmend Fronten. Wir benötigen<br />

hier dringend Lösungen, welche im Einklang sozialethischer<br />

Standards, gesellschaftlicher Werteordnung und wirtschaft-<br />

52 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

licher Entwicklung stehen. Das System<br />

droht zu kippen, wir erleben auch in<br />

Deutschland eine zunehmende gesellschaftliche<br />

Spaltung. <strong>Die</strong> Folgen daraus<br />

sind täglich durch negative Schlagzeilen<br />

belegt.<br />

„Der aktuelle politisch eingeschlagene<br />

Kurs verlagert Probleme in an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>,<br />

insbeson<strong>der</strong>e in Schwellenlän<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Allianz für Entwicklung & Klima,<br />

aufgehängt im Bundesministerium für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />

Entwicklung (BMZ), ist ein beispielhaftes<br />

Projekt, um Klimaschutz auf <strong>der</strong><br />

einen und soziale Benefits auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite zu verzahnen. Wir dürfen<br />

uns nicht vor Investitionen im Ausland<br />

scheuen!“<br />

Alle Branchen sind gefor<strong>der</strong>t<br />

Ein sachbezogenes Lösungskonzept<br />

erfor<strong>der</strong>t nicht nur das Mit- son<strong>der</strong>n<br />

explizit das Zusammenwirken von Wirtschaft,<br />

Industrie und Politik. Bei allem<br />

Ruf nach <strong>neue</strong>n Technologien darf das<br />

Augenmerk für den Werte- und Zeiterhalt<br />

von Sach- und Gebrauchsgütern<br />

nicht verloren gehen. Hier steckt ein hohes<br />

ökologisches Kapital, denn „neu“ ist<br />

nicht gleichzusetzen mit „besser für die<br />

Umwelt“.<br />

Qualitätsmerkmal Nachhaltigkeit<br />

Qualität und Langlebigkeit sind wesentliche<br />

Nachhaltigkeitstreiber. Der Aspekt<br />

<strong>der</strong> Produktnachhaltigkeit muss zunehmend<br />

als Qualitätsmerkmal in Lastenhefte<br />

und Ausschreibungen Einzug<br />

finden. Hier agiert <strong>der</strong> Markt, aber auch<br />

die öffentliche Hand noch viel zu sehr<br />

preis- und kostengetrieben. Letzteres erfor<strong>der</strong>t<br />

ein rasches Umdenkproze<strong>der</strong>e,<br />

vor allem in Gesetz und Verfahren, will<br />

man den eigens ausgelobten Ansprüchen<br />

Rechnung tragen.<br />

Allein durch diese neu zu verankerte<br />

Herangehensweise in <strong>der</strong> Auftragsvergabe<br />

werden zum einen nachhaltige<br />

Produkte präferiert und Unternehmen<br />

werden zunehmend angehalten, entsprechende<br />

Produktstrategien zu verfolgen.<br />

Nachhaltigkeit als Ganzes muss ein<br />

signifikanter Bestandteil von Innovation<br />

darstellen – und umgekehrt.<br />

Unternehmerische Handlungs- und<br />

Spannungsfel<strong>der</strong><br />

Als Mitinitiator <strong>der</strong> Nachhaltigkeitsinitiative<br />

<strong>der</strong> deutschen Schmierstoffindustrie<br />

(NaSch), aufgehängt beim Verband<br />

Schmierstoff-Industrie (VSI), vor knapp<br />

drei Jahren, hat sich die Hermann Bantleon<br />

GmbH klar zum Thema „ganzheitliche<br />

Verantwortung“ positioniert. Philosophie,<br />

Produkte und <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

unterliegen schon weit vorher einer<br />

ökonomischen, ökologischen und sozialethischen<br />

Grundausrichtung. Hinzu<br />

kommen Aktivitäten in den Bereichen<br />

Blühflächen, Erhalt <strong>der</strong> Artenvielfalt,<br />

Klimaneutralität sowie Projekte mit sozialem<br />

und charitativem Charakter. Regional,<br />

national und international.<br />

<strong>Die</strong> jüngste Vergangenheit zeigt deutlich,<br />

dass die Anspruchs- und Interessengruppen<br />

im Kontext „Welt & Klima“<br />

einen enormen Wandel vollzogen haben.<br />

Vertikal und horizontal. Entsprechend<br />

wurden im Hause des Ulmer Entwicklungs-<br />

und Produktionsunternehmens<br />

für Hochleistungsschmierstoffe schon<br />

frühzeitig die Weichen für Weiterbildung,<br />

Qualifizierung, Kommunikation<br />

und Dialog gesetzt. Das Bantleon Forum<br />

hat hierbei eine zentrale Rolle eingenommen<br />

und dient als innovative Wissensplattform.<br />

Branchen- und themenübergreifend,<br />

auch für die Entschei<strong>der</strong>Innen<br />

und/o<strong>der</strong> potenziellen MitarbeiterInnen<br />

von morgen und übermorgen. f<br />

Im Gegenteil, ganzheitliche Ökobilanzen<br />

sind ein Beleg dafür. Es lohnt sich also<br />

häufig, für Bewährtes zu kämpfen. Wir<br />

benötigen klimataugliche Kraftstoffe,<br />

welche es ermöglichen, den weltweiten<br />

Flottenbestand zu erhalten. Eine Kompatibilität<br />

<strong>der</strong> Kraftstoffe für bestehende<br />

und zukünftige Motorengenerationen<br />

vorausgesetzt ist eine positive Anrechnung<br />

sogenannter E- o<strong>der</strong> Re-Fuels (aus<br />

er<strong>neue</strong>rbarem Strom, Wasserstoff und<br />

CO 2<br />

) in <strong>der</strong> Flottenbilanz zwingend. Daraus<br />

abgeleitet könnten diese alternativen<br />

Kraftstoffe nahezu klimaneutral,<br />

zu akzeptablen Preisen bereitgestellt,<br />

zudem <strong>der</strong> Flottenbestand erhalten werden.<br />

Das viel gescholtene CO 2<br />

kann somit<br />

als wichtiger Rohstoff genutzt werden.<br />

Hier ist umgehend eine Anpassung<br />

<strong>der</strong> politischen Rahmenbedingungen<br />

notwendig.<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

Rainer Janz, Hermann Bantleon GmbH,<br />

Bereichsleiter Produkt- und Qualitätsmanagement<br />

53<br />

Fotos: Bantleon


Nachhaltiges Marketing<br />

Strategien und Best Practices<br />

für Green Marketing<br />

Von Katja Schulz<br />

Foto: pogonici / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 14 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Green Marketing o<strong>der</strong> Nachhaltigkeitsmarketing ist nicht erst<br />

seit Fridays for Future <strong>der</strong> Megatrend schlechthin. Also: alles<br />

auf Grün? Eignet sich Deine Marke für Green Marketing?<br />

Welche Strategien sind sinnvoll, um glaubwürdig zu sein?<br />

Grün, grün, grün sind alle meine<br />

Klei<strong>der</strong>: Green Marketing vs.<br />

Greenwashing<br />

Nachhaltigkeit ist im Trend. Gefühlt werben<br />

inzwischen fast jedes Unternehmen<br />

und jede Marke mit nachhaltiger und<br />

fairer Produktion – selbst für erhebliche<br />

Mengen an CO 2<br />

-Ausstoß verantwortliche<br />

Energieunternehmen, Fast-Food-Giganten<br />

und Mineralölkonzerne. Von <strong>der</strong><br />

Automobilindustrie ganz zu schweigen.<br />

Grün wirkt – so einfach scheint die dahinterliegende<br />

Marketingstrategie zu<br />

sein.<br />

Bloßes Greenwashing ist in aller Regel<br />

allerdings leicht durchschaubar und<br />

keine Strategie, die langfristigen Erfolg<br />

verspricht. Beim Grünen Marketing geht<br />

es nämlich um die Kunst, als tatsächlich<br />

nachhaltiges Unternehmen die eigenen<br />

Produkte glaubwürdig zu vermarkten.<br />

Gerade in <strong>der</strong> jüngeren Generation lässt<br />

sich ein tiefgreifen<strong>der</strong> Wertewandel<br />

beobachten, <strong>der</strong> von einem Nachhaltigkeitsgedanken<br />

durchsetzt ist.<br />

Willst du mit deiner Marke noch breite<br />

Teile des Marktes erreichen, musst du<br />

also nicht nur mit Preis und Qualität,<br />

son<strong>der</strong>n auch mit ökologischem Bewusstsein<br />

überzeugen.<br />

Was ist Green Marketing?<br />

Es geht beim Green Marketing nicht<br />

nur um die Produkte, son<strong>der</strong>n um das<br />

gesamte Unternehmen. Nachhaltigkeitsmarketing<br />

o<strong>der</strong> nachhaltiges Marketing<br />

als Weiterentwicklung des Öko-Marketings<br />

verbindet den wirtschaftlichen<br />

Erfolg eines Unternehmens mit einem<br />

ökologischen und sozialen Mehrwert für<br />

Mitarbeiter, Kunden und die gesamte<br />

Gesellschaft.<br />

Ein grüner Anstrich und eine illustre<br />

Auswahl an Gütesiegeln und Zertifikaten<br />

auf <strong>der</strong> Verpackung reichen also<br />

bei Weitem nicht aus. <strong>Die</strong> Green-Marketing-Definition<br />

beinhaltet von Produktion<br />

über Verpackung und Werbung<br />

bis hin zum Vertrieb jeden einzelnen<br />

Aspekt rund um jedes Produkt. Das umfasst<br />

beispielsweise:<br />

• Nachhaltige Herstellung<br />

• CO 2<br />

-neutraler Fußabdruck<br />

• Wasserschonende Produktion<br />

• Verwendung recycelter<br />

Materialien<br />

• Er<strong>neue</strong>rbare Rohstoffe /<br />

Materialien<br />

• Produkt ist nach dem Gebrauch<br />

recycelbar<br />

• Zero-Waste- o<strong>der</strong> Zero-Plastic-<br />

Produktion und -Verpackung<br />

• Lokale o<strong>der</strong> regionale Produktion<br />

• Fair produziert zu fairen Löhnen,<br />

frei von Kin<strong>der</strong>arbeit<br />

Tatsächliche ökologische Verantwortung<br />

ist für authentisches Green Marketing<br />

also ein Muss. Außerdem sollten die<br />

folgenden Konzepte idealerweise zur gelebten<br />

Unternehmensrealität gehören:<br />

• Corporate Social<br />

• Corporate Responsibility<br />

• Sustainable Development<br />

• Corporate Citizenship<br />

Und nicht zuletzt sollten hohe menschenrechtliche,<br />

soziale und umweltschutzrelevante<br />

Standards für jedes<br />

einzelne Glied <strong>der</strong> Wertschöpfungskette<br />

gelten. Nur dann kannst Du sie im Sinne<br />

des Green Marketing glaubwürdig und<br />

für die Zielgruppe überzeugend kommunizieren<br />

– und das solltest Du auch!<br />

Was habe ich davon? Wie zahlt sich<br />

Green Marketing aus?<br />

Bereits jetzt achten 33 Prozent <strong>der</strong><br />

Käufer bewusst auf Kriterien <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

bei <strong>der</strong> Entscheidung für ein<br />

Produkt – Tendenz steigend. <strong>Die</strong> Anzahl<br />

<strong>der</strong>er, die unterbewusst diese Kriterien<br />

in die Kaufentscheidung einfließen lassen,<br />

ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.<br />

Wer nicht auf Green Marketing setzt,<br />

verpasst also nicht nur die Chance, <strong>neue</strong><br />

Kunden zu gewinnen, son<strong>der</strong>n läuft Gefahr,<br />

bestehende zu verlieren. >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

55


<strong>Moral</strong><br />

3 Strategien fürs Green Marketing<br />

So vielfältig Marketing sein kann, so vielfältig sind auch<br />

mögliche Strategien fürs Green Marketing. Hier kommen<br />

drei beliebte Strategien:<br />

#1 Cause-Related Marketing (CrM)<br />

Für jedes verkaufte Produkt fließt ein Geldbetrag o<strong>der</strong><br />

ein Produkt einer NGO o<strong>der</strong> einem fest definierten ökologischen<br />

o<strong>der</strong> sozialen Zweck zu. Um eine klar erkennbare<br />

Verbindung zur eigenen Marke herzustellen, sollten<br />

<strong>der</strong> Kooperationspartner und Wohltätigkeitszweck zum<br />

eigenen Portfolio passen und das Engagement transparent<br />

dokumentiert und kommuniziert werden. Nur so<br />

baut die Marke Vertrauen auf.<br />

Jedem dürfte noch die Krombacher-Kampagne im Kopf<br />

sein: Ein Quadratmeter Regenwald für den Kauf eines<br />

Kasten Krombacher. Ein weiteres Beispiel ist Pampers:<br />

Das Unternehmen spendierte für jede verkaufte Windelpackung<br />

eine Tetanus-Impfung – Green Marketing in<br />

Reinkultur.<br />

#2 Transparenz und Verantwortung<br />

Getreu diesem Motto sorgt ein Unternehmen über die<br />

gesetzlichen Vorgaben hinaus für transparente Nachhaltigkeitsberichte<br />

und legt beispielsweise offen, mit welchen<br />

Lieferanten es zusammenarbeitet o<strong>der</strong> wo und wie<br />

die Rohstoffe für seine Produkte gewonnen werden. Das<br />

schafft das Vertrauen seitens <strong>der</strong> Kunden sowohl in das<br />

Unternehmen als auch in seine Produkte. Wer ein reines<br />

Gewissen hat, hat nichts zu vertuschen – und wirkt kundennah<br />

und vertrauenswürdig.<br />

#3 Kampagnen und Initiativen ohne Branding<br />

<strong>Die</strong> Strategie zielt darauf ab, eine gemeinwohlför<strong>der</strong>nde<br />

o<strong>der</strong> nachhaltigkeitsför<strong>der</strong>nde Kampagne zu initiieren,<br />

die auf den ersten Blick nichts mit dem Unternehmen<br />

zu tun hat, dem Absatz seiner Produkte vielleicht sogar<br />

schaden könnte. <strong>Die</strong> Outdoor-Bekleidungs-Marke Patagonia<br />

beispielsweise setzt sich für nachhaltigen Umgang<br />

mit Bekleidung ein, indem sie für die Reparatur kaputter<br />

Kleidung wirbt und getragene Kleidung weiterverkauft.<br />

Ein solches Vorgehen schafft Sympathie und Glaubwürdigkeit,<br />

was letztendlich zur Gewinnung und langfristigen<br />

Bindung <strong>neue</strong>r Kunden beiträgt. Darüber hinaus bietet<br />

eine solche Kampagne jede Menge an Gelegenheiten,<br />

persönliche Touchpoints mit <strong>der</strong> Zielgruppe zu kreieren.<br />

Best Practices im Green Marketing: Glaubwürdigkeit ist<br />

Trumpf!<br />

Der Grat zum Greenwashing ist schmal. Selbst wenn dies gar<br />

nicht beabsichtigt ist, kann <strong>der</strong> leichteste Fehler in <strong>der</strong> Markenkommunikation<br />

einen erheblichen Vertrauensverlust bei<br />

<strong>der</strong> Zielgruppe verursachen. Daher gibt es einige Faktoren zu<br />

beachten, damit nachhaltiges Marketing richtig ankommt.<br />

Wahrhaftigkeit ist Grundlage: Handelt Dein Unternehmen<br />

wirklich nachhaltig? Prüfe, wo eventuell noch Verbesserungsbedarf<br />

besteht und sorge zuallererst dafür, dass Dein Umgang<br />

mit Ressourcen wirklich den Anfor<strong>der</strong>ungen an nachhaltige<br />

Produktion und nachhaltiges Wirtschaften gerecht wird. In <strong>der</strong><br />

gesamten Wertschöpfungskette müssen soziale, menschenrechts-<br />

und umweltschutzrelevante Maßstäbe nachweisbar<br />

eingehalten werden.<br />

Practice what you preach: Nachhaltigkeit darf kein selbst aufgedrückter<br />

Stempel sein, nur um schnell auf den Green-Marketing-Trend<br />

aufspringen zu können. Vielmehr muss sie zum<br />

integralen Bestandteil <strong>der</strong> Unternehmensphilosophie werden,<br />

die sämtliche Mitarbeiter tragen und nach innen wie außen<br />

vertreten können. Dazu musst du Deine Nachhaltigkeitsstrategie<br />

intern kommunizieren und bestenfalls gemeinschaftlich<br />

intern erarbeiten.<br />

Offen kommunizieren: Kommuniziere die Werte Deines Unternehmens<br />

und fülle sie mit Inhalten und anschaulichen Beispielen<br />

aus <strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong> Produkte o<strong>der</strong> sonstigen relevanten<br />

Aspekten des Unternehmensalltags. Deine Website bietet<br />

den Raum, um Dein Verständnis nachhaltigen Wirtschaftens<br />

ohne unnötige Selbstbeweihräucherung zu präsentieren.<br />

<strong>Moral</strong>keule im Sack lassen: Nachhaltige Unternehmenskultur<br />

und Wertschöpfung dürfen nicht Gegenstand einer moralischen<br />

Überhöhung über an<strong>der</strong>e Unternehmen o<strong>der</strong> kommentierende<br />

User im Netz sein. Versuche nicht, an<strong>der</strong>e zu<br />

bekehren o<strong>der</strong> Diskussionen anzustoßen, son<strong>der</strong>n beziehe<br />

klare Position, kommuniziere diese und beantworte Fragen in<br />

diesem Sinn. f<br />

Katja Schulz arbeitete bis<br />

vor kurzem als Redaktionsleiterin<br />

bei <strong>der</strong> Content-<br />

Marketing-Agentur<br />

textbest in Berlin.<br />

56 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Wieso? Weshalb?<br />

Warum? Wer nicht<br />

fragt, bleibt dumm!<br />

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Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

57


<strong>Moral</strong><br />

Illustration: Aurielaki / stock.adobe.com<br />

Eine Geschichte<br />

von starkenMarken<br />

Von Nadine Dlouhy<br />

Märkte sind heute in vielen<br />

Segmenten durch weitgehende<br />

Austauschbarkeit<br />

<strong>der</strong> funktionalen Leistungsmerkmale<br />

konkurrieren<strong>der</strong><br />

Angebote gekennzeichnet: Es<br />

stellt sich eine zunehmende<br />

Produktgleichheit ein! Und in<br />

einem Markt mit steigen<strong>der</strong><br />

Preis- und Produktgleichheit<br />

wird die Identität einer<br />

Marke zunehmend zur alles<br />

entscheidenden Wirtschaftskraft.<br />

Welchen moralischen<br />

Grundsätzen unterliegen<br />

jedoch Marken, wenn sie sich<br />

im Wettbewerb um die Gunst<br />

<strong>der</strong> Zielgruppen behaupten<br />

müssen?<br />

Starke Marken<br />

Marken sind stark, wenn sie die Leistungen<br />

<strong>der</strong> Organisation konzentriert<br />

und über einen großen Zeitraum erlebbar<br />

machen und ihre Einzigartigkeit an<br />

allen Markenkontaktpunkten authentisch<br />

darstellen. Eine starke Marke hat<br />

klare Markenwerte, eine eindeutige Positionierung<br />

und eine langfristig definierte<br />

Markenstrategie. Um eine konsequente<br />

Markenführung zu erreichen, braucht<br />

es die Befolgung <strong>der</strong> definierten Markenregeln<br />

und die stringente Umsetzung<br />

<strong>der</strong> Markenstrategie: So wird vermieden,<br />

dass die Marke ihre Glaubwürdigkeit<br />

verliert. Einfach gesprochen: Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

müssen vermieden werden.<br />

Starke Marken verfügen dabei über<br />

genaue Abgrenzungs- und Emotionskompetenzen,<br />

und diese agieren im Einklang<br />

mit Markt, Ziel- und Bezugsgruppen<br />

sowie dem Wettbewerb. Elementar<br />

für Marken, sie…<br />

• erzählen eine Story – entfalten entsprechende<br />

Assoziationen in den Köpfen,<br />

• sind authentisch,<br />

• sind unverwechselbar und prägnant<br />

in ihrer Wahrnehmung,<br />

• sind verständlich und lassen keine<br />

Fragen offen,<br />

• verfügen über einen starken Trust-<br />

Factor, <strong>der</strong> loyale Kunden schafft,<br />

und bieten einen Mehrwert sowie Orientierung,<br />

Vertrauen und Sicherheit.<br />

Identität und Image<br />

Identität und Image sind Grundlage<br />

jeglicher Interaktion sowohl auf personeller<br />

als auch organisatorischer und<br />

institutioneller Ebene. Ohne eine Vorstellung,<br />

wer ein Akteur (Organisation,<br />

Person etc.) ist und ohne Wahrnehmung<br />

durch Ziel- und Bezugsgruppen ist eine<br />

erwartungssichernde Interaktion nicht<br />

möglich. Identität beruht auf Attributionen<br />

und bringt die Unverwechselbarkeit<br />

eines Akteurs zum Ausdruck. Identität<br />

ist in Folge das Produkt geplanter und<br />

58 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

ungeplanter (=informeller) Kommunikation,<br />

woraus sich wie<strong>der</strong>um das Image<br />

konstruiert. <strong>Die</strong>s resultiert aus <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> Identität durch interne<br />

und externe Bezugsgruppen.<br />

Images wirken für Ziel- und Bezugsgruppen<br />

komplexitätsreduzierend. Sie<br />

sind gerade dort beson<strong>der</strong>s relevant, wo<br />

unmittelbare Erfahrungen seitens Zielund<br />

Bezugsgruppen nicht o<strong>der</strong> nur unter<br />

erschwerten Bedingungen möglich<br />

sind. Wichtig: Marken sehen sich mit<br />

einem fortlaufenden Entwicklungsprozess<br />

<strong>der</strong> eigenen Identität und des eigenen<br />

Images konfrontiert. Im Kontext <strong>der</strong><br />

Umwelt sollte immer wie<strong>der</strong> die Frage<br />

gestellt werden: Entspricht das Unternehmen<br />

– mit Blick auf Identität und<br />

Image – noch den gesellschaftlichen<br />

sowie sozial-moralischen Normen und<br />

Werten?<br />

Image ist auch mehr als Sichtbarkeit.<br />

Image ist emotionale Identität. Es ist<br />

die Sehnsucht nach einem emotionalen<br />

Mehrwert, <strong>der</strong> über Kauf und Nichtkauf<br />

entscheidet. Das Image hat die<br />

<strong>Macht</strong> über den Erfolg – somit werden<br />

Soft-Facts zu Hard-Facts. Unternehmen<br />

ignorieren im Zeitalter <strong>der</strong> Schmerzthemen<br />

Employer-Branding und Kundenbindung<br />

noch immer die naheliegenden<br />

Entscheidungsparameter <strong>der</strong> Menschen.<br />

So ist beispielsweise <strong>der</strong> Faktor<br />

Trust-Building essenziell, wenn es um<br />

Kaufentscheidungen geht.<br />

<strong>Moral</strong> in <strong>der</strong> Markenbildung<br />

Identität und Image von Organisationen<br />

müssen <strong>der</strong> sozial-moralischen<br />

Vorstellung <strong>der</strong> jeweiligen Gesellschaft<br />

entsprechen – gerade darum kann <strong>der</strong><br />

Prozess des Identitäts- und Imagewachstums<br />

und <strong>der</strong>en Inszenierung niemals<br />

als abgeschlossen betrachtet werden.<br />

Genauso wie sich Umwelten, Gesellschaften,<br />

Systeme und Strukturen verän<strong>der</strong>n<br />

und neu definieren, än<strong>der</strong>n sich<br />

auch die organisatorischen Identitätsund<br />

Image-Inszenierungen. Somit kann<br />

davon gesprochen werden, dass Organisationen<br />

entlang sozial-moralischen<br />

Erwartungen innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

und Kultur wachsen und sich entsprechend<br />

inszenieren müssen, um <strong>der</strong>en<br />

Vorbild von <strong>Moral</strong> zu entsprechen. <strong>Die</strong><br />

Frage sollte wohl lauten: Was sind die<br />

sozial-moralischen Vorstellungen und<br />

Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft, in <strong>der</strong> die<br />

Marke agiert?<br />

Anglo-amerikanische Märkte unterscheiden<br />

sich in vielerlei Hinsicht von<br />

mitteleuropäischen Märkten o<strong>der</strong> gar<br />

asiatischen Märkten – wir sehen uns<br />

also in einem globalen Markt mit verschiedensten<br />

sozial-moralischen, wirtschaftlichen<br />

und kulturellen Vorstellungen<br />

und Strukturen konfrontiert.<br />

Entscheidend ist die ziel- und bezugsgruppen-relevante<br />

Adaption und Umsetzung<br />

von Strömungen, Trends und<br />

Erwartungen für die Generierung von<br />

Identität und Image entlang moralischer<br />

Vorstellungen, um so Vertrauen aufzubauen.<br />

Vertrauen – Orientierung –<br />

Sicherheit<br />

Zentral für eine starke Marke ist die<br />

Minimierung von Wi<strong>der</strong>sprüchen zwischen<br />

<strong>der</strong> Unternehmensidentität und<br />

dem Profil, das nach außen an die Zielund<br />

Bezugsgruppen getragen wird –<br />

Vertrauen muss geschaffen werden. Authentizität<br />

ist dabei die <strong>neue</strong> Ehrlichkeit,<br />

denn es geht darum, Vertrauen, Orientierung<br />

und Sicherheit für Ziel- und<br />

Bezugsgruppen zu stiften. Der Vertrauensaufbau<br />

ist dabei gleichzusetzen mit<br />

dem Identitätsaufbau <strong>der</strong> Marke. Beides<br />

muss in harmonischer Synergie zueinan<strong>der</strong>stehen,<br />

wenn eine nachhaltige und<br />

authentische Markenidentität und das<br />

damit verbundene Markenimage aufgebaut<br />

werden sollen.<br />

Marken erzeugen einen ökonomischen<br />

Wert für ihre Besitzer, indem sie in<br />

komplexen, dynamischen und internationalen<br />

Märkten auf sich aufmerksam<br />

machen. Mit starken Marken lassen sich<br />

zudem <strong>neue</strong> Absatzmöglichkeiten generieren,<br />

und letztlich schaffen sie durch<br />

ihren emotionalen Wert loyale Abnehmer,<br />

wodurch auch das Risiko wechselwilliger<br />

Kunden minimiert wird. Marken<br />

müssen sich dabei immer wie<strong>der</strong><br />

ihrer sozial-moralischen Verantwortung<br />

bewusst werden.<br />

Markenmacht = Marktmacht<br />

<strong>Macht</strong> kann als die Kraft verstanden<br />

werden, die das Auslösen von Kaufentscheidungen<br />

o<strong>der</strong> eines Konsumverhaltens<br />

hervorruft. <strong>Macht</strong> in diesem Kontext<br />

beruht nicht allein auf finanzieller<br />

<strong>Macht</strong> o<strong>der</strong> technologischer <strong>Macht</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

auch auf <strong>der</strong> emotionalen <strong>Macht</strong><br />

– <strong>der</strong> <strong>Macht</strong> <strong>der</strong> Marke. Markenmacht<br />

ist <strong>der</strong> entscheidende Einflussfaktor auf<br />

die Meinungen, Gefühle, Wahrnehmungen<br />

und letztlich Kaufentscheidungen<br />

von Kunden. Starke Marken schaffen<br />

eine identische und kollektive Wahrnehmung<br />

bei ihren Kunden. Eine Kaufentscheidung<br />

ist aber keine leichte Entscheidung<br />

– darum orientieren sie sich<br />

an starken Marken. Menschen fühlen<br />

diese Stärke auch.<br />

Starke Marken besitzen folglich <strong>Macht</strong>.<br />

Aber auch die Konsumenten besitzen<br />

<strong>Macht</strong> – durch digitale Plattformen vielleicht<br />

sogar mehr, als je<strong>der</strong> einzelne<br />

weiß. <strong>Die</strong> Wirkungsweisen von Markenmacht<br />

sind heute zu einer doppeldeutigen<br />

Angelegenheit geworden. Darum<br />

befinden sich Marken auch im ständigen<br />

Wandel. Nur in ihrer Dynamik kann<br />

Markenmacht als solche verstanden<br />

werden. Markenmacht bedarf zudem<br />

auch einer strategischen Führung, Sensibilität<br />

für den kontinuierlichen Wandel<br />

sowie das richtige „Gespür“ für die Implementierung<br />

von Innovation und Kreativität.<br />

Eine erfolgreiche Marke ist nicht<br />

nur sichtbar, son<strong>der</strong>n auch erlebbar und<br />

schafft eine hohe Identifikation. f<br />

Nadine Dlouhy ist<br />

mehrfach ausgezeichnete<br />

Expertin für strategische<br />

Markenentwicklung und<br />

Positionierung. Sie<br />

führt seit 20 Jahren die<br />

BrandLite GmbH und<br />

begleitet mit ihrer Arbeit<br />

über 40 Unternehmen in<br />

mehr als 30 Län<strong>der</strong>n.<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

59


Foto: Andrey Kuzmin / stock.adobe.com<br />

Marken<br />

im Spagat<br />

zwischen<br />

Nachhaltigkeit<br />

und Greenwashing<br />

Von Jana Fischer<br />

<strong>Die</strong> Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz wurden lange<br />

belächelt. „Grüne“ Marken wie Frosch, Alnatura und Demeter<br />

wurden als reine Öko-Marken abgestempelt und als Nischenmarken<br />

für Öko-Hardliner abgetan. <strong>Die</strong>s hat sich geän<strong>der</strong>t. Durch<br />

Umweltverschmutzung und Klimakrise ist Nachhaltigkeit heute<br />

ein zentrales Thema. Der persönliche ökologische Fußabdruck<br />

beschäftigt immer mehr Menschen. Auch viele Marken greifen<br />

das Thema auf und versuchen, den Trend mitzugehen.<br />

60 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


Doch was bedeutet das Thema<br />

Nachhaltigkeit für die Welt <strong>der</strong><br />

Marken?<br />

Etablierte Marken reagieren höchst<br />

unterschiedlich auf die damit einhergehenden<br />

verän<strong>der</strong>ten Erwartungen <strong>der</strong><br />

Konsumenten. Einige haben früh das<br />

Potenzial erkannt und sich zum Vorreiter<br />

ihrer Branche entwickelt. <strong>Die</strong> Rügenwal<strong>der</strong><br />

Mühle hat es geschafft, sich vom<br />

traditionellen Wursthersteller zu DER<br />

Marke für Bio- und Fleischersatzprodukte<br />

zu wandeln. <strong>Die</strong>s hat das Traditionsunternehmen<br />

einer konsequenten<br />

Geschäftsmodellerweiterung und Markenführung<br />

zu verdanken. Eine Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Produktpalette um Fleischersatzprodukte<br />

war dabei nur <strong>der</strong> erste<br />

Schritt. Auch bei Fleischprodukten wurde<br />

eine größere Transparenz geschaffen.<br />

Bei allen Produkten wird streng auf<br />

eine nachhaltige Produktion geachtet.<br />

So werden Fleischersatzprodukte zum<br />

Beispiel mit Soja aus Europa hergestellt.<br />

Zudem setzt sich das Unternehmen<br />

über das eigene Produktportfolio<br />

hinaus für die Umwelt ein. Es wurden<br />

Bienenstöcke auf dem Werksgelände<br />

aufgestellt und Verpackungen reduziert<br />

bzw. auf recycelbare Materialien umgestellt.<br />

<strong>Die</strong> gesamte Strategie <strong>der</strong> Marke<br />

wurde ganzheitlich umgestellt und wird<br />

nun ganz im Zeichen <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

gelebt. Nur so konnte ein stimmiges<br />

und vor allem authentisches Bild beim<br />

Kunden entstehen. Das Beispiel zeigt,<br />

dass eine Marke nur dann glaubwürdig<br />

für Themen wie Nachhaltigkeit und<br />

Umweltschutz stehen kann, wenn sie<br />

dies auch konsequent in allen Unternehmensbereichen<br />

umsetzt und damit<br />

Proof Points gegenüber den Kunden<br />

schafft. Glaubwürdigkeit ist hier das A<br />

und O.<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Kein Platz für<br />

Greenwashing<br />

Laut einer Studie<br />

<strong>der</strong> GroupM-<br />

Forschungsunit M<br />

Science finden es 49<br />

Prozent <strong>der</strong> Befragten<br />

positiv, wenn<br />

Marken das Thema<br />

Nachhaltigkeit in<br />

<strong>der</strong> Werbung aufgreifen.<br />

52 Prozent<br />

sind <strong>der</strong> Meinung,<br />

dass Werbung dieser<br />

Art jedoch zur<br />

Marke passen muss.<br />

Genau hieran scheitern<br />

die meisten Marken: Nur 23 Prozent <strong>der</strong><br />

Befragten empfinden Werbung mit dem<br />

Thema Nachhaltigkeit als glaubwürdig.<br />

Reines Greenwashing ist offensichtlich<br />

fehl am Platz. So wirkt es wenig authentisch,<br />

wenn Coca-Cola eine groß angelegte<br />

Kampagne zum Recycling <strong>der</strong> eigens<br />

produzierten Flaschen in Italien und<br />

den Benelux-Staaten fährt, jedoch nach<br />

eigenen Angaben zur Herstellung eines<br />

halben Liters des beliebten Getränks 35<br />

Liter Wasser benötigt. Auch die gut gemeinte,<br />

aber nicht konsequent durchgezogene<br />

Conscious Collection von H&M<br />

steht nun zum wie<strong>der</strong>holten Mal in <strong>der</strong><br />

Kritik, Greenwashing zu sein. Bereits<br />

zum 8. Mal bringt H&M die Conscious<br />

Collection auf den Markt und setzt dabei<br />

dieses Jahr auf außergewöhnliche Materialien<br />

aus Ananas und Algen sowie auf<br />

recyceltes Polyester und Materialen aus<br />

biologischem Anbau. H&M selbst macht<br />

nur generelle Angaben zur Nachhaltigkeit<br />

<strong>der</strong> Kollektion. Schaut man >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Moral</strong><br />

genauer<br />

hin, stellt<br />

man fest,<br />

dass das Unternehmen<br />

zwar<br />

gewisse Standards<br />

bei <strong>der</strong> Biobaumwollproduktion<br />

einbezieht, jedoch keine<br />

Zertifizierung besitzt. Auch wird nicht<br />

spezifiziert, wieviel recyceltes Material<br />

in den Kleidungsstücken verwendet<br />

wird. <strong>Die</strong> Conscious Collection macht<br />

zudem nur einen höchst niedrigen Anteil<br />

an den Verkäufen von H&M aus.<br />

Zwar sind Initiativen wie jene von H&M<br />

wichtig und lobenswert. Es ist aber ein<br />

Tropfen auf den heißen Stein, wenn sich<br />

die Haltung eines Unternehmens nicht<br />

än<strong>der</strong>t und durchgängig an dem Thema<br />

gearbeitet wird.<br />

Kampagnen, die auf den Trend <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

aufspringen, jedoch nicht die<br />

echte Haltung des Unternehmens wi<strong>der</strong>spiegeln,<br />

sind unglaubwürdig, wirken<br />

aufgesetzt und nicht authentisch. Hilft<br />

das <strong>der</strong> Marke wirklich?<br />

Wir glauben, dass Nachhaltigkeit für<br />

viele Marken bald so notwendig wird<br />

wie die Erfüllung von Qualitätsstandards.<br />

Es wird allerdings nur für wenige<br />

ein echter Wettbewerbsvorteil, nämlich<br />

für solche Marken, die es wirklich ernst<br />

meinen und ihren Fokus auf diesem<br />

Thema haben.<br />

Eine Marke, die das Thema Nachhaltigkeit<br />

ganzheitlich auf soziale, ökologische<br />

und ökonomische Weise verfolgt,<br />

ist share. Bei dem Kauf eines share-Produktes<br />

wird ein Teil des Geldes für soziale<br />

und ökologische Zwecke genutzt. <strong>Die</strong><br />

Marke steht zudem offen und ehrlich<br />

dazu, dass die Produkte im Hinblick auf<br />

Verpackung und Prozesse noch nicht<br />

vollkommen nachhaltig sind, jedoch<br />

kontinuierlich daran gearbeitet wird,<br />

das zu än<strong>der</strong>n. Offen und ehrliche Kommunikation<br />

mit zugleich authentischem<br />

Einsatz für Mensch und Natur machen<br />

share zu einem starken Vorbild für an<strong>der</strong>e<br />

Marken.<br />

<strong>Die</strong> Beispiele zeigen: Einen echten Wandel<br />

zu schaffen, erfor<strong>der</strong>t mehr als nur<br />

guten Willen, das gilt für Marken ebenso<br />

wie für jeden einzelnen Konsumenten,<br />

<strong>der</strong> in Zeiten <strong>der</strong> Klimakrise nachhaltig<br />

leben möchte. f<br />

Foto: Daniela Haupt / share<br />

Jana Fischer:<br />

Jana Fischer ist Senior<br />

Associate bei <strong>der</strong> Beratungsfirma<br />

ESCH, die auf Markenkommunikation<br />

spezialisiert<br />

ist. Mit Erfahrung aus mehr<br />

als 700 Projekten zählt ESCH<br />

heute hierzulande zu den<br />

erfahrensten Markenberatern.<br />

Groß geworden ist die Firma<br />

übrigens 2001 mit dem<br />

weltweiten Roll-out <strong>der</strong><br />

Unternehmensmarkenstrategie<br />

für die BASF.<br />

62 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Pfusch mit roter Soße<br />

Mirácoli von Mars ist zur „Mogelpackung<br />

des Jahres 2019" gewählt<br />

worden. <strong>Die</strong> „Auszeichnung" ging<br />

an das Nudelfertiggericht, das seit<br />

letztem Jahr ohne Käse verkauft wird.<br />

<strong>Die</strong> Politik muss Verbraucherinnen<br />

und Verbraucher endlich besser vor<br />

den Tricksereien <strong>der</strong> Unternehmen<br />

schützen, for<strong>der</strong>t deshalb die Verbraucherzentrale<br />

Hamburg. Hersteller<br />

Mars spart nicht nur am Käse,<br />

son<strong>der</strong>n auch an Tomatensauce und<br />

Würzmischung. Doch <strong>der</strong> Handel<br />

verkauft das Nudelgericht nach wie<br />

vor zum alten Preis. Einen geson<strong>der</strong>ten<br />

Hinweis auf den reduzierten<br />

Inhalt sucht man vergebens auf dem<br />

Mirácoli-Karton.<br />

Wie wär's mit Tee in<br />

homöopathischer Dosis?<br />

Danone Waters verspricht einen Bio-Rooibos-Tee für „Teeverehrer“.<br />

Doch in Wahrheit besteht <strong>der</strong> „Tee“ nur zu 0,26<br />

Prozent aus Rooibos-Aufguss – und zu 92 Prozent aus<br />

aromatisiertem Mineralwasser. <strong>Die</strong> rötliche Farbe kommt<br />

hauptsächlich durch eine entsprechend eingefärbte Verpackung<br />

– damit es auch fast ohne Rooibos nach einem<br />

echten Tee aussieht. Insgesamt enthält <strong>der</strong> Volvic-Bio-<br />

Rooibos Tee nicht einmal einen halben Teelöffel Tee pro<br />

750 ml Flasche. Dafür gab es den 2. Platz beim Goldenen<br />

Windbeutel 2020!<br />

Nestlé lässt Riegel verschwinden<br />

Erst 50, dann 40 Gramm. Nun vier statt fünf Riegel. Vom<br />

KitKat Chunky Schokoriegel bekommen Verbraucher<br />

immer weniger für ihr Geld. „Weniger drin, Preis gleich“ ist<br />

wie<strong>der</strong> einmal das aktuelle Motto im Hause Nestlé. Still<br />

und heimlich hat <strong>der</strong> Konzern einen Schokoriegel aus seiner<br />

Sammelpackung mit Kitkat Chunky stibitzt: Waren bis<br />

vor Kurzem noch fünf Schokoriegel in einer Verpackung,<br />

sind es jetzt nur vier Stück. Der Preis bleibt mit meist 1,99<br />

Euro fast überall im Handel gleich hoch. Nestlé verweist in<br />

einer Stellungnahme darauf, dass an<strong>der</strong>e Sorten von Kit-<br />

Kat seit ihrer Markteinführung in Mehrfachpackungen mit<br />

je vier Riegeln verkauft würden. Deshalb setze man das<br />

jetzt auch bei den Varianten Chunky Classic und Chunky<br />

White um.<br />

Glücklich sind Kühe<br />

nur in <strong>der</strong> Werbung<br />

Grünlän<strong>der</strong> von Hochland<br />

verspricht „Milch von Freilaufkühen“,<br />

wirbt mit einer „grünen<br />

Seele“ und einer wie eine<br />

Wiese gestalteten Verpackung.<br />

Tatsächlich stehen die „Freilaufkühe“<br />

aber im Stall. <strong>Die</strong> Tierhaltungslüge<br />

von Hochland ist<br />

somit die dreisteste Werbelüge<br />

des Jahres und erhielt dafür<br />

jetzt den Goldenen Windbeutel<br />

2020 von foodwatch. „Freilaufkühe<br />

ist ein reiner Fantasiebegriff<br />

– Hochland täuscht<br />

ausgerechnet diejenigen, die<br />

bewusst Produkte auswählen,<br />

von denen sie sich eine bessere<br />

Tierhaltung versprechen", beklagt<br />

zurecht Manuel Wiemann,<br />

<strong>der</strong> in diesem Jahr den Wettbewerb<br />

betreute.<br />

Fotos: Marion Lenzen<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

Quelle: Mogelpackung des Jahres; Goldener Windbeutel<br />

63


<strong>Moral</strong><br />

Green – Blue – Woke Washing:<br />

Greenwashing<br />

Greenwash ist keine aktuelle Nomenklatur,<br />

son<strong>der</strong>n reicht zurück in die Zeit des<br />

Umweltaktivismus <strong>der</strong> 70er und 80er<br />

Jahre. So behauptete <strong>der</strong> Energiekonzern<br />

Exxon, dass Tiefseebohrungen gut<br />

seien, da sie Riffe hervorbringen, die als<br />

Lebensraum für Fische fungieren. <strong>Die</strong>ser<br />

rhetorische Missbrauch ethischer<br />

Botschaften schließlich führte findige<br />

NGOs dazu, Kampagnen dieser Art als<br />

Greenwash zu bezeichnen ...<br />

So naheliegend es ist, von Greenwash<br />

zu sprechen, so wenig bekannt ist <strong>der</strong><br />

Begriff in <strong>der</strong> Literatur <strong>der</strong> Wirtschaftsund<br />

Unternehmensethik. Eine aufschlussreiche,<br />

wenn auch vielleicht in<br />

<strong>der</strong> Grundfarbe etwas defätistische Definition<br />

stammt von Andy Rowell. Greenwash<br />

ist demnach, wenn man die Liegestühle<br />

auf <strong>der</strong> Titanic grün anstreicht.<br />

Das Beispiel zeigt die Emotionalität und<br />

Dramatik, mit <strong>der</strong> ethische Kommunikation<br />

behaftet ist und die mit dem<br />

oben erwähnten Misstrauen vielleicht<br />

zu erklären ist. Als Begriff in die Debatte<br />

gebracht wurde Greenwash 1992 im<br />

„Greenpeace Book on Greenwash“, das<br />

anlässlich des „Earth Summit in Rio de<br />

Janeiro“ veröffentlicht wurde und 1996<br />

eine Überarbeitung erfuhr. <strong>Die</strong> wohl seriöseste<br />

Definition stammt aus dem Jahr<br />

1999 und ist im Oxford Dictionary zu<br />

finden. Dort heißt es: „Greenwash: disinformation<br />

disseminated by an organization<br />

so as to present an environmentally<br />

responsible public image”.<br />

Bluewashing<br />

Ist Greenwash <strong>der</strong> Umweltbewegung <strong>der</strong><br />

70er und 80er geschuldet und zugleich<br />

eine gelungene Strategie <strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />

Friedensbewegung hervorgegangenen<br />

Nichtregierungsorganisation Greenpeace,<br />

das Thema Umwelt über die Farbe<br />

Grün zu kommunizieren, so haben<br />

sich die Verhältnisse seit den frühen<br />

90ern massiv gewandelt. <strong>Die</strong> Globalisierung<br />

beherrschte die Debatten über<br />

Nachhaltigkeit, Glocalisierung, sozialer<br />

Gerechtigkeit und schließlich globaler<br />

Governance, die mit <strong>der</strong> Initiative <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen korreliert.<br />

<strong>Die</strong> Vereinten Nationen etablierten sich<br />

als moralische Autorität für globale Werte<br />

und Gerechtigkeit, und die Aktivitäten<br />

<strong>der</strong> UN präsentierten sich <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

in einem einheitlichen Blau, das<br />

die Flagge <strong>der</strong> UN ebenso dominiert wie<br />

die sprichwörtlichen Blauhelme. So geht<br />

die Erfindung des Bluewash-Begriffs zunächst<br />

auf humanitäre Interventionen<br />

zurück, wurde jedoch mit Einführung<br />

des Global Compact, einer von <strong>der</strong> UN<br />

gestarteten Initiative einer globalen<br />

Wertekultur, auch für wirtschaftsethische<br />

Zwecke relevant.<br />

Durch den Beitritt zum Global Compact,<br />

so nun die gängige Interpretation von<br />

Bluewash, schmücken sich einzelne Unternehmen<br />

mit dem guten und integren<br />

Image <strong>der</strong> UN, ohne unter <strong>der</strong> Oberfläche<br />

die Werte zu leben, die in den Prinzipien<br />

festgeschrieben sind.<br />

Quelle: Prof. Dr. Ludger Heidbrink, Prof. Dr. Dr.<br />

Peter F. Seele: Greenwash, Bluewash und die<br />

Frage nach <strong>der</strong> weißen Weste. Begriffsklärung<br />

zum Verhältnis von CSR, PR und inneren Werten<br />

Working Papers des CRR (Center for Responsibility<br />

Research) Kulturwissenschaftliches Institut, Essen<br />

64 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Wenn <strong>Moral</strong> zum Marketingkniff wird<br />

Foto: stockphoto-graf / stock.adobe.com<br />

Foto: Serghei Platonov / stock.adobe.com<br />

Woke washing<br />

„Woke washing“ ist nichts weiteres als<br />

<strong>der</strong> Gebrauch von sozialen Themen zu<br />

Marketingzwecken. Durch den Zugang<br />

zu Neuigkeiten 24/7 ist die Möglichkeit<br />

des Teilens von Informationen auf sozialen<br />

Medien höher denn je zuvor. Als<br />

Folge sind immer mehr Leute am aktuellen<br />

Geschehen interessiert, werten<br />

diese und nehmen aktiv an Diskussionen<br />

teil.<br />

<strong>Die</strong> Kampagne von Nike zeigt unter dem<br />

Slogan „Just do it“ keine Sportartikel,<br />

son<strong>der</strong>n bekannte und teils polarisierende<br />

Personen, welche als Markenbotschafter/in<br />

auftreten. Der ehemalige<br />

NFL Spieler Colin Kaepernick ist<br />

dabei wohl das umstrittenste Gesicht,<br />

da sich auf dessen Werbeanzeige hin<br />

sogar US-Präsident Donald Trump in<br />

die Thematik eingemischt hat. Der Footballspieler<br />

war <strong>der</strong> erste Athlet, welcher<br />

bei <strong>der</strong> US Nationalhymne nie<strong>der</strong>kniete<br />

und nicht stand. Nike’s Message auf<br />

dem Bild von Kaepernick: „Believe in<br />

something. Even if it means sacrificing<br />

everything” (dt. Glaube an etwas. Auch<br />

wenn es bedeutet, alles zu opfern).<br />

<strong>Die</strong> kontroverse Anzeige – kontrovers<br />

im Sinne von, dass Werbung in den USA<br />

mit einem Spieler gemacht wird, <strong>der</strong> die<br />

US-Hymne und so aus Sicht vieler die<br />

USA respektlos behandle – hat einen<br />

Boykott von Nike Artikeln verursacht,<br />

aber dem Unternehmen auch 6 Milliarden<br />

Dollar eingebracht.<br />

Um beim Beispiel Nike zu bleiben. Das<br />

Unternehmen hat nichts an<strong>der</strong>es gemacht,<br />

als sich eines sozial diskutierten<br />

Themas zu bedienen und in aller Munde<br />

zu gelangen („woke washing“). Hört sich<br />

einfach an, ist es aber bei weitem nicht.<br />

An<strong>der</strong>e Marken wie Pepsi haben dies zuvor<br />

auch bereits versucht und sind daran<br />

gescheitert. Denn Nike hat sich nicht<br />

von heute auf morgen in dieses Image<br />

<strong>der</strong> Sportmarke für die Kämpfer gestellt,<br />

son<strong>der</strong>n steht seit Jahren zu Athleten,<br />

welche in <strong>der</strong> Gesellschaft kontrovers<br />

diskutiert werden.<br />

Müssen Sie nun Ihre Werbeanzeigen<br />

überarbeiten und soziale Themen in Ihren<br />

Kampagnen ansprechen? Nein. Seien<br />

Sie sich jedoch bewusst, dass in wenigen<br />

Jahren die Generationen Y und Z die<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Arbeitstätigen sein wird.<br />

<strong>Die</strong>se Generationen wollen Produkte<br />

und Service, hinter <strong>der</strong>en Ideen sie stehen<br />

können. Heißt, sie achten beim Kauf<br />

von Produkten und <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

auf das Image des Unternehmens und<br />

wägen dieses ab. Für Sie bedeutet dies,<br />

dass Sie bei sozial diskutierten Themen<br />

einen klaren Standpunkt vertreten sollten<br />

und diesen auch gegen Außen wahren<br />

müssen.<br />

Von Peter Haas, Tree Stones (treestones.ch)<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

65


<strong>Moral</strong><br />

Selbsthilfegruppe für reiche Frauen<br />

Zu Besuch<br />

im Club <strong>der</strong><br />

unscheinbaren<br />

Erbinnen<br />

66 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Foto: Alina Rosanova / stock.adobe.com<br />

Von Susanne Kippenberger<br />

Paris Hilton würde hier nicht<br />

hinpassen: Im Netzwerk<br />

„Pecunia“ organisieren sich<br />

Frauen, die schwer am<br />

Reichtum zu tragen haben.<br />

Ein Blick hinter die Kulissen.<br />

<strong>Die</strong> wenigsten wissen, dass Sophie<br />

Haupt Millionärin ist. Sie arbeitete Jahrzehnte<br />

in einem bodenständigen Beruf<br />

und befindet sich jetzt im Ruhestand,<br />

die meisten ihrer Freunde hatten wenig<br />

Geld. Als ihr Vater, ein Mann „mit Händchen<br />

für die Börse“ und großem Sicherheitsbedürfnis<br />

Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

starb, erbten sie und ihr Bru<strong>der</strong> Aktien,<br />

Immobilien und Bares. Ihr Bru<strong>der</strong> hatte<br />

keine Probleme damit. Sie schon.<br />

<strong>Die</strong> Anfang 70-Jährige sitzt im Esszimmer<br />

ihrer Berliner Altbauwohnung, wo<br />

sie seit fast 40 Jahren lebt. Im Zimmer<br />

nebenan liegt das Spielzeug <strong>der</strong> Enkelkin<strong>der</strong><br />

herum, keine Designermöbel,<br />

keine Spur von Luxus, außer <strong>der</strong> großen<br />

Wohnung selbst.<br />

<strong>Die</strong> gängigen Vorstellungen von Reichtum<br />

sind geprägt von Hollywood, <strong>der</strong><br />

Klatschpresse und Werbeanzeigen für<br />

protzige Uhren. Dass er auch im alten<br />

Golf, in Kiefermöbeln Marke Achtziger<br />

o<strong>der</strong> Reihenhaushälften erscheint und<br />

von fleißigen Handwerkern erarbeitet<br />

und vererbt wird, kommt vielen nicht in<br />

den Sinn. Oft nicht einmal, dass er ein<br />

weibliches Gesicht haben kann. Auf <strong>der</strong><br />

Forbes-Liste <strong>der</strong> zehn reichsten Menschen<br />

<strong>der</strong> Welt vom April steht eine einzige<br />

Frau: Walmart-Erbin Alice Walton.<br />

Nie zuvor wurde soviel vererbt<br />

Es wird so viel Geld weitergegeben wie<br />

nie. Schätzungsweise ein Drittel des Milliardärsreichtums,<br />

heißt es im Bericht<br />

zur sozialen Ungleichheit in <strong>der</strong> Welt,<br />

den Oxfam im Januar vorgelegt hat, ist<br />

geerbt. Nach Angaben des Statistischen<br />

Bundesamtes von 2018 werden bis 2024<br />

geschätzte 31,1 Billionen Vermögen –<br />

Geld, Immobilien, Aktien, Firmen und<br />

was es sonst noch an Werten gibt – vermacht.<br />

Deutschland ist ein reiches Land:<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> Dollar-Millionäre ist 2019<br />

auf 1,46 Millionen Menschen gestiegen.<br />

In vielen Familien aber gibt es nichts<br />

zum Weiterreichen, höchstens Schulden.<br />

Was bedeutet, dass die Gesellschaft sich<br />

weiter spaltet, die Kluft auch zwischen<br />

Ost und West noch tiefer wird. In <strong>der</strong><br />

DDR gab’s we<strong>der</strong> ein Wirtschaftswun<strong>der</strong><br />

noch florierende Familienunternehmen.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>telang erbten Frauen wenig<br />

bis gar nichts. Es waren die Söhne,<br />

vor allem die Erstgeborenen, die Haus,<br />

Hof, Gut und Titel übernahmen, während<br />

Frauen selbst in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

kein Konto ohne Einwilligung des<br />

Mannes eröffnen durften, <strong>der</strong> im Zweifelsfalle<br />

über das Vermögen <strong>der</strong> Gattin<br />

verfügte.<br />

„Paris Hilton würde nicht zu uns<br />

kommen“<br />

„Frauen erben an<strong>der</strong>s“, lautet <strong>der</strong> Titel<br />

eines Buchs von Marita Haibach, Mitinitiatorin<br />

des Vereins „Pecunia“, dem<br />

Sophie Haupt 2003 beigetreten ist: ein<br />

Netzwerk von Erbinnen im deutschsprachigen<br />

Raum. Einzige Bedingung<br />

für eine Mitgliedschaft ist es, mindestens<br />

eine halbe Million Euro geerbt zu<br />

haben. Und es gibt ein Vorgespräch,<br />

bei dem beide Seiten schnell merken,<br />

ob man zueinan<strong>der</strong> passt. „Paris Hilton<br />

würde nicht zu uns kommen“, sagt Sophie<br />

Haupt und lacht. Wer kommt, sind<br />

diejenigen mit Fragen, Zweifeln, Nöten.<br />

Jene, für die <strong>der</strong> geerbte Reichtum ein<br />

Problem ist.<br />

Für Außenstehende mag das absurd<br />

klingen. Was denn für Probleme! <strong>Die</strong><br />

sind doch alle finanziellen Sorgen los!<br />

Aber Geld verän<strong>der</strong>t. Vor allem das Verhältnis<br />

zu an<strong>der</strong>en.<br />

Manchmal verwechseln Interessierte<br />

Pecunia mit einer Finanzberatung.<br />

„Aber das sind wir nicht“, erklärt Sophie<br />

Haupt, in <strong>der</strong>en Redefluss das Berlinerische<br />

immer wie<strong>der</strong> durchschlägt.<br />

„Wir sind eine Selbsthilfegruppe für<br />

Erbinnen.“ Wie bei je<strong>der</strong> Selbsthilfegruppe<br />

ist es <strong>der</strong> Leidensdruck, <strong>der</strong> sie<br />

dort hintreibt. Der Wunsch, sich endlich<br />

über das auszutauschen, worüber<br />

in vielen Familien geschwiegen wurde:<br />

Geld.<br />

>><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

67


<strong>Moral</strong><br />

Den eigenen Weg finden, ist nicht<br />

leicht<br />

Pecunia-Frauen fühlen sich oft überwältigt<br />

von ihrem Erbe, auf das sie nicht<br />

vorbereitet wurden, über das sie mit niemandem<br />

reden können. Nicht mit Freunden,<br />

nicht mal mit <strong>der</strong> Familie, gerade<br />

nicht mit <strong>der</strong>, nicht mit dem Partner.<br />

An<strong>der</strong>swo, in den USA beispielsweise,<br />

zeigt man, was man hat, tut Gutes und<br />

redet darüber. <strong>Die</strong> rund 140 Mitglie<strong>der</strong><br />

von Pecunia sind Lehrerinnen, Anwältinnen,<br />

Künstlerinnen, Unternehmerinnen,<br />

Sozialarbeiterinnen, hauptamtliche<br />

Philantropinnen von unterschiedlicher<br />

politischer Couleur. Bürgerlich, gebildet<br />

trifft es vielleicht am ehesten. „Unscheinbar“,<br />

sagt eine von ihnen.<br />

Bei den Jahrestagungen von Pecunia fahren<br />

die wenigsten im Porsche vor. Und<br />

wenn, so die Botschaft – ist auch das<br />

okay. „Bei Pecunia geht es um Selbstermächtigung“,<br />

hat Gründungsmitglied<br />

Ise Bosch, Enkelin des Boschgrün<strong>der</strong>s,<br />

erklärt. „Den eigenen Weg zu finden“,<br />

so beschreibt Jessica Mutter, die <strong>der</strong>zeit<br />

im regelmäßig rotierenden Vereins-Vorstand<br />

sitzt, das Ziel.<br />

Nach Angaben von Oxfam besitzen Männer<br />

weltweit 50 Prozent mehr Vermögen<br />

als Frauen. <strong>Die</strong> wie<strong>der</strong>um leisten nach<br />

Angaben <strong>der</strong> Organisation jeden Tag<br />

über zwölf Milliarden Stunden unbezahlter<br />

Arbeit im häuslichen Bereich.<br />

Frauen sind noch immer die Kümmerinnen,<br />

so das Rollenklischee. Das Bild<br />

einer reichen Frau passt da nicht rein,<br />

ja, hat fast etwas Anrüchiges. Für sich<br />

selbst und für an<strong>der</strong>e.<br />

Oft machen sie die Erfahrung, nicht<br />

ernst genommen zu werden<br />

Wie es um die Quote in Führungsetagen<br />

bestellt ist und die Gleichberechtigung<br />

bei <strong>der</strong> Bezahlung, kann man jeden Tag<br />

in <strong>der</strong> Zeitung lesen. Vielen Frauen fehlen<br />

immer noch die Möglichkeiten, ein<br />

Vermögen aufzubauen, <strong>der</strong> Umgang damit.<br />

Der Erfolg einer Finanz-Bloggerin<br />

wie Miss Moneypenny zeigt, wie groß<br />

<strong>der</strong> Nachholbedarf ist. Oft machen Pecunia-Erbinnen<br />

die Erfahrung, in <strong>der</strong><br />

männerdominierten Finanz- und Wirtschaftswelt<br />

nicht ernst genommen zu<br />

werden.<br />

Und so einfach wie auf dem Bild von<br />

Sterntaler, das sein Hemdchen aufhält<br />

und es regnet Bares rein, ist es beim<br />

Erben selten. Oft geht es um Häuser,<br />

die womöglich verschuldet und renovierungsbedürftig<br />

sind, Firmenanteile,<br />

die gebunden sind und um die gestritten<br />

wird, um verstecktes Vermögen. Erben<br />

ist ein langwieriger, komplizierter,<br />

hochemotionaler und häufig mit Streit<br />

verbundener Prozess. An dessen Anfang<br />

<strong>der</strong> Tod eines Menschen steht.<br />

<strong>Die</strong> schwäbische Unternehmerstochter<br />

Sabine Ellwanger hat das schmerzhaft<br />

erlebt. Sie war eine junge Frau, als bei<br />

ihrem Vater, zu dem sie ein enges Verhältnis<br />

hatte, ein aggressiver Tumor<br />

festgestellt wurde. Eine Woche verging<br />

zwischen Diagnose und möglicherweise<br />

tödlicher Operation, in <strong>der</strong> die Familie<br />

kaum Zeit hatte, den Schock zu verarbeiten,<br />

weil so viele Entscheidungen getroffen<br />

werden mussten. Ein paar Monate<br />

später war er tot und die 29-Jährige Betriebswirtin<br />

Mehrheitsgesellschafterin.<br />

Jetzt musste sie die Firma ihres Vaters<br />

leiten. „Anfangs hatte ich gar nicht das<br />

Gefühl, ein Vermögen geerbt zu haben,<br />

son<strong>der</strong>n nur Verantwortung“, sagt sie<br />

am Telefon.<br />

„Das steht mir doch gar nicht zu!“<br />

Sabine Ellwanger war verzweifelt. <strong>Die</strong><br />

Millionen empfand sie als Bürde. Sie<br />

war sparsam aufgewachsen, alle Erträge<br />

wurden wie<strong>der</strong> in die Firma gesteckt,<br />

die auch schwierige Zeiten erlebt hatte.<br />

Sie ha<strong>der</strong>te mit <strong>der</strong> Vorstellung, dass ihr<br />

<strong>der</strong> Reichtum in den Schoß gefallen war,<br />

wie sie erzählt. „Dafür habe ich doch<br />

nichts getan, das steht mir gar nicht zu!“<br />

Und was sollte sie damit machen? Hätte<br />

sie ihren Mann gefragt, <strong>der</strong> Landwirt ist,<br />

hätte er wohl gesagt: Kaufen wir noch<br />

ein paar Äckerle. Aber die Betriebswirtin<br />

wollte ihren eigenen Weg suchen.<br />

Erben ist ein<br />

langwieriger,<br />

komplizierter,<br />

hochemotionaler<br />

und häufig mit<br />

Streit verbundener<br />

Prozess.<br />

Dass sie ihn gefunden hat, das hat ihrer<br />

Überzeugung nach viel mit Pecunia zu<br />

tun.<br />

Das Netzwerk war für sie gerade in <strong>der</strong><br />

Frühzeit des Erbes „<strong>der</strong> einzige Raum,<br />

wo ich mich offen mit meinen Fragen<br />

zum Vermögen besprechen konnte. <strong>Die</strong><br />

Dramen, die persönliche Not. Ich merkte:<br />

Ich bin nicht allein.“ Sie schwärmt<br />

vom Respekt, <strong>der</strong> Empathie in den Gruppen,<br />

die sich mehrmals im Jahr regional<br />

und einmal bundesweit treffen und über<br />

einen Newsletter verbunden sind.<br />

68 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Es ist selten, dass Pecunia-Mitglie<strong>der</strong><br />

überhaupt mit Journalisten reden. Alle<br />

Frauen, die in diesem Text zu Wort kommen,<br />

heißen in Wirklichkeit an<strong>der</strong>s.<br />

In <strong>der</strong> Frühzeit des Vereins hatte eine<br />

Reporterin sich bei einer Jahrestagung<br />

eingeschlichen und hinterher, wie die<br />

Frauen sagen, reißerisch, ja, hämisch<br />

darüber geschrieben.<br />

<strong>Die</strong> Armen müssen überall die Hosen<br />

runterlassen<br />

Seitdem müssen alle <strong>neue</strong>n Mitglie<strong>der</strong><br />

eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen.<br />

Intern redet man sich nur mit<br />

Vornamen an. Vertrauen und Diskretion<br />

sind die wichtigsten Pfeiler des Vereins.<br />

Doch das ist schwer. Ein Pecunia-<br />

Mitglied hat mal gesagt, sich als Lesbe<br />

zu outen sei leichter für sie gewesen<br />

denn sich als reiche Frau zu outen. Es<br />

gibt Linke im Verein, die damit kämpfen,<br />

plötzlich <strong>der</strong> eigene Klassenfeind<br />

zu sein, wenn sie sich in linken Kreisen<br />

bewegen – und keiner weiß, dass sie vermögend<br />

sind. Das Schweigen, Verheimlichen,<br />

glaubt Sabine Ellwanger, „ist fatal.<br />

Weil man nicht in seiner Ganzheit gesehen<br />

wird.“<br />

Aber wie soll man noch normal leben,<br />

wenn alle wissen, dass man so viel mehr<br />

auf dem Konto hat, als man zum Leben<br />

eigentlich braucht? <strong>Die</strong> Geschichten von<br />

unglücklichen Lottomillionären, die am<br />

Ende womöglich einsam und verarmt<br />

sterben, hat man schon oft gelesen. Vor<br />

zwei Jahren verzichtete eine Amerikanerin<br />

auf ihren Lottogewinn von 560 Millionen<br />

Dollar, weil sie Namen, Wohnort<br />

Hinter dem Schweigen <strong>der</strong> Pecunia-<br />

Erbinnen steckt neben <strong>der</strong> Scham Angst:<br />

Angst vor Neid, davor, ausgenutzt und<br />

angebettelt zu werden, davor, dass<br />

Freundschaften aus <strong>der</strong> Balance geraten.<br />

Auch Angst vor Bedrohung. Als <strong>der</strong><br />

Sohn von Sabine Ellwanger einmal nicht<br />

zur erwarteten Zeit aus <strong>der</strong> Schule kam,<br />

fürchtete sie, er wäre entführt worden.<br />

In <strong>der</strong> „Bild“-Zeitung, erzählt sie, die einen<br />

einstelligen Millionenbetrag geerbt<br />

hat, hatte da gerade gestanden, sie sei<br />

500 Millionen schwer.<br />

Im geschützten Raum von Pecunia geht<br />

es um sehr intime Dinge, um Scheidungen<br />

etwa, „die oft fürchterlich sind“,<br />

wie Sophie Haupt sagt. Partnerschaften<br />

sind ein Dauerthema bei den Treffen.<br />

Einmal, erzählt Haupt, konnte nur eine<br />

einzige Frau von einer positiven Beziehung<br />

erzählen. „Ihr Mann war Wissenschaftler<br />

und hat seine Erfüllung in<br />

Foto: golubovy / stock.adobe.com<br />

Ise Bosch, das bekannteste Pecunia-Mitglied,<br />

ist eine <strong>der</strong> wenigen, die regelmäßig<br />

Interviews gibt, weil sie das als<br />

Verpflichtung betrachtet. „<strong>Die</strong> Armen<br />

müssen überall die Hose runterlassen,<br />

vor dem Amt zum Beispiel“, hat sie <strong>der</strong><br />

Zeit erklärt. „<strong>Die</strong> Reichen behalten im<br />

Normalfall die Hosen fein oben.“<br />

und Summe nicht bekanntgeben wollte.<br />

Das war die gesetzliche Bedingung, gegen<br />

die sie erfolglos klagte. Sie wusste,<br />

dass die Öffentlichkeit ihres Glücks die<br />

Lizenz zum Unglücklichsein war.<br />

Als <strong>der</strong> Sohn nicht nach Hause<br />

kommt, fürchtet sie, er sei entführt<br />

seiner Arbeit gefunden.“ Viele seiner<br />

Geschlechtsgenossen haben offenbar<br />

Schwierigkeiten damit, dass die Partnerin<br />

reicher ist als sie. An<strong>der</strong>e, ebenfalls<br />

ein Dauerthema, machen sich an<br />

Frauen ran, um an ihr Geld zu kommen.<br />

Auch Sophie Haupt hat das erlebt. Der<br />

finanzielle Schaden <strong>der</strong> Affäre hielt<br />

sich in Grenzen, „ich habe es früh genug<br />

bemerkt“. Der seelische war weit<br />

größer.<br />

„Eine schreckliche Erfahrung“, sagt<br />

Haupt, die nicht in die Details ge- >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

69


<strong>Moral</strong><br />

Verantwortung,<br />

erzählt Jessica<br />

Mutter aus dem<br />

Vorstand, ist ein<br />

zentrales Thema<br />

bei Pecunia.<br />

hen mag. Das Erlebnis hat sie nicht nur<br />

krank gemacht hat, son<strong>der</strong>n misstrauisch.<br />

„Das Geld, das ich habe, übersteigt<br />

das Maß dessen, was ich für gesund<br />

halte“<br />

<strong>Die</strong> Ellwangers mussten ihr Unternehmen<br />

verkaufen, weil es angesichts von<br />

Globalisierung und Konzentration auf<br />

dem Markt keine Chance mehr hatte.<br />

Eine schreckliche Entscheidung, wie Sabine<br />

Ellwanger erzählt. Das Lebenswerk<br />

ihres Vaters! Viele Jahre fühlte sie sich<br />

schuldig, das Erbe nicht würdig vertreten<br />

zu haben, auch wenn sie heute sagt:<br />

„Im Rückblick war das die einzig richtige<br />

Entscheidung.“<br />

Ihr Vermögen war für sie lange Zeit<br />

abstrakt. Selbst nach dem Verkauf <strong>der</strong><br />

Firma, weil die Käufer klagten, das Geld<br />

drei Jahre lang auf einem Treuhän<strong>der</strong>konto<br />

festlag. „Als es dann konkret wurde,<br />

wusste ich gar nicht, was ich damit<br />

machen sollte.“ Auf jeden Fall nicht horten.<br />

„Das Geld, das ich habe, übersteigt<br />

das Maß dessen, was ich für gesund halte“,<br />

sagt sie. Sie merkte auch, dass sie<br />

das Geld nicht bei <strong>der</strong> Deutschen Bank<br />

lassen wollte. „Ich konnte das doch nicht<br />

in das Wirtschaftssystem geben, das das<br />

Unternehmen kaputt gemacht hatte!“<br />

Im Waldorfkin<strong>der</strong>garten ihrer Kin<strong>der</strong><br />

stieß sie auf einen Flyer <strong>der</strong> GLS, <strong>der</strong> Gemeinschaftsbank<br />

für Leihen und Schenken,<br />

die nach sozialen und ökologischen<br />

Kriterien arbeitet. „Gegen den Rat aller<br />

männlichen Berater und Besserwisser<br />

habe ich mein Geld da angelegt.“<br />

Sie bucht jetzt Business Class<br />

Verantwortung, erzählt Jessica Mutter<br />

aus dem Vorstand, ist ein zentrales<br />

Thema bei Pecunia. „<strong>Die</strong> Frage: Was ist<br />

meine Aufgabe in dieser Welt? Wie will<br />

ich sie verlassen?“ Oft geht es um die Erkenntnis,<br />

das unverdiente Vermögen als<br />

Chance zu begreifen: etwas nach eigenen<br />

Vorstellungen bewegen und gestalten<br />

zu können.<br />

Einige haben ihren Beruf aufgegeben,<br />

um sich, wie Ise Bosch, ganz <strong>der</strong> Stiftungsarbeit<br />

zu widmen. Auch Sabine Ellwanger<br />

gründete eine – anonyme – Stiftung,<br />

mit <strong>der</strong> sie för<strong>der</strong>t, was ihr gefällt.<br />

„Ich will Menschen unterstützen, <strong>der</strong>en<br />

Herz für eine Sache brennt.“<br />

Sophie Haupt wie<strong>der</strong>um spendet regelmäßig<br />

für drei Organisationen, die sich<br />

um Frauen und Gewaltopfer kümmern.<br />

<strong>Die</strong> Nähe und eine übersichtliche Zahl<br />

<strong>der</strong> Empfänger sind ihr wichtig. „Da<br />

kann ich noch lesen, was die mir schicken,<br />

und reagieren.“ Gerade jetzt, in<br />

Zeiten von Corona.<br />

Statt einer Villa hat Sophie Haupt sich<br />

mit ihrem Erbe Freiheit gekauft: Teilzeit<br />

zu arbeiten und sich ehrenamtlich zu<br />

engagieren, eine altersgerechte Wohnung<br />

zu kaufen – und auf dem Flug<br />

nach Südamerika für sich und ihren<br />

Partner Business Class zu buchen.<br />

<strong>Die</strong> Berliner Gruppe ist stark<br />

gewachsen<br />

Haupt gehört zu denen, die Vorgespräche<br />

mit jenen führen, die sich für Pecunia<br />

interessieren. <strong>Die</strong> Berliner Gruppe,<br />

die sich fünf, sechs Mal im Jahr trifft, ist<br />

gewachsen, von vier auf 30 Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Inzwischen sind auch Jüngere darunter.<br />

Manche haben von den Eltern schon zu<br />

<strong>der</strong>en Lebzeiten größere Summen übertragen<br />

bekommen. Aber wenn <strong>der</strong> Vater<br />

dann sagt, das leg ich für Dich an, sagen<br />

sie oft: Nein! „Das find’ ich gut“, sagt<br />

Haupt.<br />

Eine Teilnehmerin hat bei einem Treffen<br />

von ihrer Klimastiftung erzählt, eine<br />

Anwältin über Gen<strong>der</strong>aspekte international<br />

geredet. <strong>Die</strong> nächste Generation,<br />

sagt Haupt, ist selbstbewusster in punkto<br />

Geld, legt auch an<strong>der</strong>e Kriterien an<br />

die Anlagen an. Ökologisch und sozial<br />

sollen diese sein. Keine Waffen, keine<br />

Kin<strong>der</strong>arbeit.<br />

Noch etwas än<strong>der</strong>t sich, sagt die Pensionärin:<br />

„<strong>Die</strong> jungen Leute wollen<br />

mehr Struktur.“ Früher erzählte am<br />

Anfang eines Treffen jede, was sie gerade<br />

bewegt, und oft ergab sich daraus<br />

ein Thema. „Das ist jetzt an<strong>der</strong>s.“ <strong>Die</strong><br />

Nachwachsenden wünschen sich eine<br />

straffere Organisation, auch weniger<br />

Aufwand bei <strong>der</strong> Verköstigung. Um die<br />

Vertraulichkeit zu wahren, fanden die<br />

Begegnungen bisher immer reihum zu<br />

Hause statt.<br />

„Sie sind aber großzügig“<br />

Nicht nur das Erben, auch das Vererben<br />

ist ein großes Thema bei Pecunia. <strong>Die</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> wollen es an<strong>der</strong>s machen als<br />

ihre Eltern, die nächste Generation besser<br />

vorbereiten. Sophie Haupt, die schon<br />

immer mal wie<strong>der</strong> Freunde unterstützt<br />

hat, ist gerade dabei, ihr Testament zu<br />

machen. Nicht-Verwandten kann sie<br />

20.000 Euro steuerfrei vermachen,<br />

also hat sie eine entsprechende Liste<br />

von Menschen zusammengestellt. „Da<br />

freuen sich ein paar Leute, das ist doch<br />

schön.“<br />

„Sie sind aber großzügig“, hat <strong>der</strong> Anwalt<br />

zu ihr gesagt. „Ja“, hat Sophie<br />

Haupt geantwortet. „Ich bin ja auch eine<br />

vermögende Frau.“ f<br />

70 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Wo Geld fehlt<br />

Globale Vermögensverteilung<br />

Wo Geld fehlt<br />

<br />

67%<br />

Quelle: Diakonie Braunschweig<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Wir verzichten auf<br />

Wir verzichten auf<br />

<br />

67% 70%<br />

67% 70%<br />

67%<br />

79%<br />

79%<br />

94%<br />

88% 94%<br />

1%<br />

100%<br />

80%<br />

<br />

87% 88%<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

65%<br />

58% 65%<br />

79% 87%<br />

79%<br />

<br />

<br />

56% 58%<br />

52% 56%<br />

50%<br />

60%<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

35%<br />

33% 35%<br />

31% 33%<br />

25% 31%<br />

52%<br />

<br />

<br />

<br />

19% 25%<br />

18% 19%<br />

18%<br />

40%<br />

Anteil am<br />

Gesamtvermögen 20%<br />

Anteil des jeweiligen Zehntels <strong>der</strong><br />

Weltbevölkerung am Gesamtvermögen<br />

Quelle: Oxfam<br />

Anteil des reichsten 1 Prozent <strong>der</strong><br />

Weltbevölkerung am Gesamtvermögen<br />

Ärmstes<br />

Zehntel<br />

Reichstes<br />

Zehntel<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

71


<strong>Moral</strong><br />

Foto: deagreez / stock.adobe.com<br />

DAS MANAGER-LEBEN IST KEIN<br />

72 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Wenn das Gespräch auf<br />

Vorstandsgehälter kommt,<br />

geht es schnell hitzig zu.<br />

Unmoralisch seien die<br />

millionenschweren Bezüge<br />

und Boni. Und bei Versagen<br />

kommen die Manager mit<br />

einem goldenen<br />

Handschlag davon.<br />

Was ist dran an <strong>der</strong> Kritik?<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Im Schnitt verdient ein Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong><br />

eines Dax-Konzerns<br />

hierzulande nur 5,3 Millionen Euro<br />

im Jahr. Nur? Richtig gelesen. Denn in<br />

an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n geht es um ganz an<strong>der</strong>e<br />

Summen. In den USA etwa kommen<br />

die CEOs <strong>der</strong> Topkonzerne im Schnitt<br />

auf knapp 19,5 Millionen Euro. 15,6<br />

prozentige Gehaltssteigerungen im Jahr<br />

sind dort üblich, aber es können im Einzelfall<br />

auch mal 881 Prozent sein, wie<br />

2016 im Fall von Expedia-Vorstand Dara<br />

Khosrowshahi. Damit verdiente <strong>der</strong> heutige<br />

Uber-Chef das 2.564-Fache seiner<br />

Mitarbeiter.<br />

Kann das noch richtig sein? Das fragen<br />

sich längst nicht mehr nur gestrenge<br />

<strong>Moral</strong>isten. Viele Menschen empfinden<br />

die Gehälter und Boni <strong>der</strong> Vorstände<br />

als unfair und ungerecht, weil Erfolge<br />

großzügig belohnt werden, aber Fehlverhalten<br />

o<strong>der</strong> Missmanagement häufig<br />

ungeahndet bleibt. Warum kehren wir<br />

also nicht zum reinen Fixgehalt zurück?<br />

O<strong>der</strong>, wenn schon Boni, dann doch bitte<br />

solche, die an Nachhaltigkeit und Klimaschutz<br />

gekoppelt sind.<br />

Alles gute Ideen, aber um hier zu Lösungen<br />

jenseits von Stammtischparolen zu<br />

kommen, muss man einen genaueren<br />

Blick auf Gehälter, Gesetze und Gewohnheiten<br />

werfen:<br />

Wachsende Kluft bei „Manager to<br />

Worker Pay Ratio“<br />

„Im Schnitt verdienen Vorstände das<br />

49-Fache ihrer Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter, im Vorjahr war es sogar<br />

noch das 52-Fache“, sagt Professor Dr.<br />

Gunther Friedl von <strong>der</strong> TU München im<br />

Tagesschau-Interview. Er ist Autor einer<br />

aktuellen Studie zu Vorstandsgehältern.<br />

<strong>Die</strong> größte Schere gab es demnach<br />

bei Zalando: <strong>Die</strong> drei Vorstände Robert<br />

Gentz, David Schnei<strong>der</strong> und Rubin Ritter<br />

erhielten 252-mal mehr als ihre Angestellten.<br />

Das erregt nicht nur die Gemüter von<br />

Angestellten. <strong>Die</strong> gewerkschaftsnahe<br />

Böckler Stiftung hat nachgerechnet:<br />

Der Volkswagen-Konzern muss alleine<br />

Christine Hohmann-Dennhardt, die gerade<br />

einmal zwölf Monate Vorstandsmitglied<br />

für Integrität und Recht war, fast<br />

12 Mio. Euro Abfindung plus 8.000 Euro<br />

Betriebsrente monatlich bezahlen.<br />

„Wir wollen Höchstgrenzen und nachhaltige<br />

Kriterien für Managergehälter“,<br />

sagt deshalb IG Metall-Chef Jörg Hofmann.<br />

<strong>Die</strong> Gewerkschaft will die Managergehälter<br />

begrenzen und stärker an<br />

den nachhaltigen Unternehmenserfolg<br />

koppeln. Mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung stoßen sie<br />

auch bei vielen in <strong>der</strong> Politik auf offene<br />

Ohren: „Freiwillige Empfehlungen<br />

wirken nicht“, sagen etwa die Grünen.<br />

„Mit den freiwilligen Empfehlungen<br />

des Deutschen Corporate Governance<br />

Kodex ist es nicht gelungen, überhöhte<br />

Managerbezüge wirksam zu begrenzen<br />

und am langfristigen Erfolg des Unternehmens<br />

auszurichten. Zurzeit steckt<br />

<strong>der</strong> Kodex in einer Krise, und seine<br />

Relevanz wird selbst von Wirtschaftsvertreter*innen<br />

hinterfragt. Wir finden:<br />

Ohne Verpflichtung wird es im Bereich<br />

Vergütungspolitik keine Bewegung geben.“<br />

Vor allem die fehlenden Sanktionen<br />

bei Misserfolg ärgern die Ökopartei:<br />

„Dazu sollen Erfolgsbeteiligungen<br />

auf ein Viertel des Gesamtgehalts begrenzt,<br />

generell langfristig ausgerichtet<br />

und immer auch durch Beteiligungen<br />

an Verlusten ergänzt werden. Bis hin<br />

zu Rückzahlungen von bereits gezahlten<br />

Boni, für den Fall, dass Ziele massiv<br />

verfehlt werden.“<br />

<strong>Die</strong> Corona-Krise macht die Diskussion<br />

beson<strong>der</strong>s heikel: Da nur etwa ein<br />

Drittel <strong>der</strong> Vorstandsgehälter an kurzfristige<br />

Geschäftszahlen gekoppelt sind,<br />

wird man „da oben“ wahrscheinlich<br />

kaum etwas von den Verwerfungen <strong>der</strong><br />

Pandemie mitbekommen. DSW-Experte<br />

Marc Tüngler plädiert im Handelsblatt<br />

deshalb für einen Gehaltsverzicht: „<strong>Die</strong><br />

Enttäuschung wird bei vielen Menschen<br />

groß sein, die durch die Coronakrise<br />

ihren Job verloren haben o<strong>der</strong> durch<br />

Kurzarbeit erhebliche Gehaltseinbußen<br />

hatten.“<br />

Einige Topmanager wie Siemens-Chef<br />

Joe Kaeser o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vorstandsvorsitzende<br />

und CEO <strong>der</strong> Wilo Gruppe, Oliver<br />

Hermes, verzichten deshalb bereits auf<br />

Teile ihres Gehaltes. <strong>Die</strong> Beträge werden<br />

gespendet. Hermes etwa zahlt in<br />

einen eigens gegründeten Wilo-Solidaritäts-Fonds<br />

ein. „<strong>Die</strong>ser Fonds soll insbeson<strong>der</strong>e<br />

den Berufsgruppen in <strong>der</strong> Wilo<br />

Mitarbeiterschaft als Prämie zu Gute<br />

kommen, die in <strong>der</strong> Corona-Krise beson<strong>der</strong>en<br />

Risiken ausgesetzt sind“, erläutert<br />

Oliver Hermes.<br />

>><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

73


<strong>Moral</strong><br />

Vorstandsvergütung <strong>der</strong> Dax-30-Chefs<br />

in Millionen Euro<br />

Durchschnitt: 5,3 Mio. Euro<br />

Motivationsfaktor Gehalt<br />

Herbert <strong>Die</strong>ss Volkswagen 9,851<br />

Stefan Oschman Merck 8,451<br />

Joe Kaeser Siemens 7,152<br />

Timotheus Höttges Deutsche Telekom 6,617<br />

Oliver Bäte Allianz 6,616<br />

Frank Appel Deutsche Post 6,487<br />

Hans van Bylen Henkel 6,483<br />

Bernd Scheifele HeidelbergCement 6,297<br />

Werner Baumann Bayer 6,218<br />

Rice Powell Fresenius Medical Care 5,798<br />

Stephan Sturm Fresenius 5,521<br />

Kasper Rorsted Adidas 5,512<br />

Theodor Weimer Deutsche Börse 5,442<br />

J. Morgan / C. Klein SAP 5,429<br />

Johannes Teyssen E.ON 4,998<br />

Martin Bru<strong>der</strong>müller BASF 4,975<br />

Christian Sewing Deutsche Bank 4,801<br />

Joachim Wenning Munich RE 4,691<br />

Oliver Zipse * BMW 4,426<br />

Stefan De Loecker Beiersdorf 4,399<br />

Carsten Spohr Deutsche Lufthansa 4,328<br />

Elmar Degenhart Continental 4,291<br />

Rolf Martin Schmitz RWE 4,215<br />

Ola Källenius ** Daimler 4,117<br />

Rolf Buch Vonovia 3,903<br />

Reiner Winkler MTU 3,058<br />

Markus Steilemann Covestro 2,632<br />

Reinhard Ploss Infineon 2,610<br />

Quelle: Kölner Stadtanzeiger; *Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong> (VV) seit 16.08.2019; **VV seit 22.05.2019; ***keinen<br />

Geschäftsbericht vorgelegt<br />

Jetzt ist aber auf Seiten des Gesetzgebers<br />

Bewegung in die Vergütungsfrage<br />

gekommen: Nach zähen Diskussionen<br />

und mehr als reichlich Verspätung haben<br />

Bundestag und Bundesrat im November<br />

2019 ein Gesetz zur Umsetzung<br />

<strong>der</strong> zweiten Aktionärsrechterichtlinie<br />

(ARUG II) beschlossen. Im Mittelpunkt<br />

stehen die Einführung eines „<strong>neue</strong>n“<br />

Vergütungsberichts sowie eines Vergütungsvotums<br />

durch die Hauptversammlung<br />

(„Say on Pay“). Zudem hat sich <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber endlich durchgerungen, die<br />

Höhe und Struktur <strong>der</strong> Vorstandsbezüge<br />

zu regulieren. „Das Gesetz zieht die richtigen<br />

Schlüsse aus <strong>der</strong> Finanzkrise und<br />

unterstreicht einmal mehr die Bedeutung<br />

einer fest im Prinzip <strong>der</strong> sozialen<br />

Marktwirtschaft verankerten Unternehmensverfassung<br />

für den Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland“, erklärte Justizministerin<br />

Christine Lambrecht (SPD).<br />

<strong>Die</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie schaffe<br />

„einen ausgewogenen Ausgleich <strong>der</strong> Arbeitnehmer-<br />

und Aktionärsrechte“.<br />

Marion Weckes, Expertin für Vorstandsvergütungen<br />

in <strong>der</strong> Hans-Böckler-Stiftung,<br />

plädiert dafür, dass weiterhin<br />

allein die Aufsichtsräte über die Managergehälter<br />

entscheiden sollten. „Man<br />

sollte da nicht von einer Art Schwarm-Intelligenz<br />

<strong>der</strong> Hauptversammlung ausgehen“,<br />

sagt sie. In <strong>der</strong> Hauptversammlung<br />

würden letztlich überwiegend Großaktionäre<br />

– wie etwa die gut bezahlten Manager<br />

<strong>der</strong> großen Fondsgesellschaften<br />

– die Stimmenmehrheit haben.<br />

Wie setzen sich Vorstandsbezüge<br />

überhaupt zusammen?<br />

Um die gesetzlichen Än<strong>der</strong>ungen zu<br />

verstehen, werfen wir am besten einen<br />

näheren Blick auf die Zusammensetzung<br />

von Vorstandsbezügen: Professor<br />

Gunther Friedl von <strong>der</strong> TU München<br />

fand heraus, dass die meisten Modelle<br />

so aufgebaut sind, dass im Schnitt ein<br />

74 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Drittel als Fixgehalt (33,5 Prozent), ein<br />

weiteres Drittel als Bonus (35,6 Prozent)<br />

und ein Drittel (30,9 Prozent) als<br />

aktienkursorientierte Vergütung ausbezahlt<br />

werden. <strong>Die</strong>ser Mix führt zu skurrilen<br />

Blüten, wie Friedl in seiner Studie<br />

aufzeigte: So sanken nämlich im letzten<br />

Jahr die Gewinne <strong>der</strong> Dax-Konzern, was<br />

sich sofort auf die Boni auswirkte. <strong>Die</strong>se<br />

sanken ebenfalls um 3,5 Prozent. Zugleich<br />

wurden die Fixgehälter um 1,9<br />

Prozent und die aktienkursorientierte<br />

Vergütung um 1,2 Prozent erhöht. Wer<br />

jetzt mitrechnet, merkt: Hier wurde<br />

Geld von <strong>der</strong> einen in die an<strong>der</strong>e Tasche<br />

verschoben.<br />

Was sind die Alternativen? <strong>Die</strong> Bilanzexpertin<br />

Dr. Carola Rinker schlägt die<br />

sogenannte „Claw-back-Klausel“ als<br />

eine sinnvolle Alternative vor. Im Gegensatz<br />

zu Boni, die im Falle von Misserfolg<br />

nur entfallen, handelt es sich bei<br />

Claw-back-Klauseln um Regelungen<br />

zur Rückzahlung bereits ausgezahlter<br />

Beträge. Rinker ist überzeugt, dass die<br />

drohende Gefahr einer Rückzahlung die<br />

Manager diszipliniere. „Im Gegensatz zu<br />

Schadensersatzansprüchen erfor<strong>der</strong>n<br />

Claw-back-Klauseln keinen Nachweis<br />

des Schadens, um den Anspruch geltend<br />

machen zu können. Sie können auch<br />

beim Auftreten negativer Ereignisse anknüpfen,<br />

ohne dass dies eines persönlichen<br />

Fehlverhaltens bedarf.”<br />

Nachhaltigkeit als Erfolgsindikator<br />

Neben <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Haftung wird immer<br />

öfter auch Nachhaltigkeit zur Bemessung<br />

von Vorstandsvergütungen<br />

eingeführt. <strong>Die</strong> Idee dahinter: Anreizsysteme<br />

sollen weg vom kurzfristigen<br />

Erfolg hin zu einer langfristigeren Perspektive<br />

gesetzt werden. Vor allem Klimaschutz<br />

ist hier ein wichtiger Faktor.<br />

Zum einen, weil das über den CO 2<br />

-Ausstoß<br />

konkret messbar und damit auch<br />

nachvollziehbar ist und zum an<strong>der</strong>en<br />

natürlich, weil Klimaschutz zu den Jahrhun<strong>der</strong>taufgaben<br />

gehört.<br />

„Uns war es dabei<br />

wichtig, dass wir<br />

das Erreichen von<br />

Nachhaltigkeitszielen<br />

mit <strong>der</strong> variablen<br />

Vergütung<br />

koppeln.“<br />

Klaus Rosenfeld,<br />

Vorstandschef Schaeffler<br />

Zahlreiche Konzerne haben das Thema<br />

deshalb für sich entdeckt. „Derzeit arbeiten<br />

wir an den detaillierten Konzepten<br />

dafür und planen, die CO 2<br />

-Reduktion ab<br />

2021 in <strong>der</strong> Vergütung zu berücksichtigen“,<br />

teilte etwa <strong>der</strong> Kölner Chemie-Konzern<br />

Lanxess auf Anfrage von Business<br />

Insi<strong>der</strong> mit. Ähnliches kommt auch aus<br />

Ludiwgshafen von <strong>der</strong> BASF. Der Bayer-Konzern<br />

schreibt: „In die Entscheidungsprozesse<br />

des Unternehmens werden<br />

die Nachhaltigkeitsziele genauso<br />

integriert wie in die Vergütungssysteme<br />

des Vorstands und des Managements.“<br />

Bekanntestes Gesicht ist hier Joe Kaeser<br />

von Siemens, <strong>der</strong> ja unlängst auch Luisa<br />

Neubauer von Fridays for Future einen<br />

Sitz im Vorstand angeboten hatte. Auf<br />

<strong>der</strong> diesjährigen Hauptversammlung<br />

regte Kaeser an, Teile <strong>der</strong> Vorständsgehälter<br />

an den CO 2<br />

-Ausstoß zu binden.<br />

Und selbst <strong>der</strong> Autozulieferer Schaeffler<br />

verknüpft trotz schwerem Geschäftsumfeld<br />

die Vergütung an Nachhaltigkeitsziele.<br />

Vorstandschef Klaus Rosenfeld<br />

sagte <strong>der</strong> Deutschen Presse-Agentur am<br />

Rande <strong>der</strong> Schaeffler-Hauptversammlung:<br />

„Uns war es dabei wichtig, dass<br />

wir das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen<br />

mit <strong>der</strong> variablen Vergütung koppeln.“<br />

Dem schließt sich auch BMW-Vorstand<br />

Oliver Zipse an. Gegenüber dem<br />

BR sagte er jetzt: „Das ist wie beim Autofahren,<br />

wo Sie hinschauen, da fahren<br />

Sie auch hin, und so ähnlich wird es<br />

bei den Vergütungssystemen zumindest<br />

für alle Führungskräfte sein, dass dort<br />

die entsprechenden Nachhaltigkeitselemente<br />

drin sind. Das ist die CO 2<br />

-Zielerreichung,<br />

ob wir mit unserem Produktportfolio<br />

die Regulation schaffen, ohne<br />

Strafen zu zahlen. Wir haben einen eigenen<br />

Nachhaltigkeitsindex geschaffen,<br />

wo verschiedene dieser Kriterien, über<br />

die wir heute gesprochen haben, zusammen<br />

gefasst sind.“<br />

Aber auch Aufsichtsräte sind hier gefragt<br />

und tun klug daran, ihre eigene<br />

Nachhaltigkeitsexpertise auszubauen.<br />

Denn immer konkretere Auflagen <strong>der</strong><br />

Regulierer (EU-Kommission, EZB und<br />

BaFin) sowie die Erwartungen <strong>der</strong> Kunden,<br />

Mitarbeiter und Investoren lösen<br />

deutlichen Handlungsdruck aus. <strong>Die</strong><br />

österreichische Arbeiterkammer (AK)<br />

schlägt deshalb vor, dass in jedem Aufsichtsrat<br />

künftig ein Nachhaltigkeitsexperte<br />

sitzen sollte. <strong>Die</strong> AK ist die<br />

gesetzliche Interessenvertretung <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

in Österreich. Für die meisten<br />

Arbeitnehmer besteht eine Pflichtmitgliedschaft<br />

in <strong>der</strong> Kammer.<br />

Doch wie groß ist eigentlich <strong>der</strong> Hebel<br />

von solchen CO 2<br />

-Auflagen für das Managergehalt?<br />

Der Journalist Josh Groeneveld<br />

hat am Beispiel von Joe Kaesers<br />

Gehalt das <strong>neue</strong> Siemens-Vergütungsmodell<br />

nachgerechnet: Sollte Kaeser<br />

die CO 2<br />

-Ziele des Konzerns komplett<br />

erreichen, winken ihm 540.000 Euro<br />

Prämie. Das ist aber nur ein Bruchteil<br />

seiner jährlichen Gesamtvergütung von<br />

ca. sieben Millionen Euro. Sollte er das<br />

Ziel nur in Teilen erreichen – sagen wir<br />

zu 60 Prozent – dann bedeuten das für<br />

ihn „nur“ 216.000 Euro Einbußen. Damit<br />

kann Kaeser sicher leben. Ob es das<br />

Weltklima auch kann, steht auf einem<br />

an<strong>der</strong>en Blatt Papier. Übrigens ist selbst<br />

die Frage <strong>der</strong> Zielerreichung gar nicht so<br />

einfach zu bestimmen: <strong>Die</strong> drei Nachhaltigkeitskriterien<br />

bei Siemens sind die<br />

geleisteten Lernstunden pro Mitarbeiter,<br />

Umfrageergebnissen bei <strong>der</strong> Kundenzufriedenheit<br />

und nur als dritter Punkt die<br />

tatsächliche Reduktion <strong>der</strong> Treibhausgasemissionen.<br />

f<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

75


<strong>Moral</strong><br />

Sozialunternehmer:<br />

Wo Wirkung<br />

wichtiger ist als<br />

Rendite<br />

Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die <strong>Moral</strong>?<br />

Nicht, wenn es nach vielen jungen Start-ups geht: Für<br />

eine enkeltaugliche Zukunft zu arbeiten ist <strong>der</strong> wichtigste<br />

Treiber für Sozialunternehmer.<br />

In den kommenden Jahren sind große<br />

gesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu lösen: <strong>der</strong> Klimawandel,<br />

die gesellschaftliche Spaltung, die<br />

Umbrüche <strong>der</strong> digitalen Transformation<br />

o<strong>der</strong> unsere alternde Gesellschaft. Dass<br />

Social Entrepreneurs diese Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

ins Zentrum ihres Handelns<br />

stellen, zeigt die im Februar erschienene<br />

Studie, für die Sozialunternehmerinnen<br />

und -unternehmer zum Status ihrer Organisation<br />

befragt wurden.<br />

Unter den vielfältigen Wirkungsbereichen<br />

dominieren Bildung, nachhaltiger<br />

Konsum und Gesundheit. Neun von<br />

zehn Social Entrepreneurs entwickeln<br />

eine deutschlandweite Marktneuheit<br />

und zeigen damit die hohe Innovationskraft<br />

des Sektors. Fast die Hälfte <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong>innen und Grün<strong>der</strong> sind weiblich.<br />

Zu diesen Ergebnissen kommt <strong>der</strong><br />

zweite Deutsche Social Entrepreneurship<br />

Monitor (DSEM).<br />

„Immer mehr Menschen in Deutschland<br />

gründen Unternehmen für eine sozialnachhaltige<br />

Zukunft.<br />

76 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Im DSEM zeigen wir, was diese Unternehmen<br />

so beson<strong>der</strong>s macht und<br />

welchen Herausfor<strong>der</strong>ungen sie gegenüberstehen“,<br />

sagt Katrin Elsemann,<br />

Geschäftsführerin vom Social Entrepreneurship<br />

Netzwerk Deutschland<br />

(SEND). Um mit ihren Unternehmungen<br />

eine größtmögliche Wirkung zu erzielen,<br />

werden die Gewinne im Wesentlichen<br />

für den Zweck <strong>der</strong> Organisation<br />

reinvestiert und es wird auf ganzheitliche<br />

Ansätze geachtet. „Wertschätzung<br />

ist ein prägen<strong>der</strong> Bestandteil unseres<br />

Unternehmens und betrifft alle Instanzen.<br />

Auch den Bereich unserer Lieferkette“,<br />

sagt Samuel Waldeck von Shiftphones.<br />

Des Weiteren spielt New Work eine<br />

große Rolle: Themen wie transparente<br />

Gehälter o<strong>der</strong> Einbindung <strong>der</strong> Mitarbeitenden<br />

in strategische Entscheidungen,<br />

werden von den Teilnehmenden <strong>der</strong><br />

Studie gelebt. „Wir verstehen uns als<br />

Versuchslabor, dafür wie die Wirtschaft<br />

eigentlich sein sollte“, findet Elisa<br />

Naranjo von einhorn.<br />

Hürden des Social Entrepreneurships<br />

<strong>Die</strong> größten Hürden für Social Entrepreneurs<br />

sind eine schwache Lobby, zu wenig<br />

gezielte Anschlussfinanzierung für<br />

erfolgreiche Projekte sowie eine schwer<br />

nachvollziehbare Vergabe von öffentlichen<br />

Finanzmitteln. Das Fehlen einer<br />

passenden Rechtsform wird von jedem<br />

zweiten Teilnehmer als relevante Hürde<br />

eingestuft. <strong>Die</strong> Unterstützung durch die<br />

Politik wird erneut schlecht benotet.<br />

„Eine strukturelle Herausfor<strong>der</strong>ung wird<br />

in <strong>der</strong> Corona-Krise beson<strong>der</strong>s sichtbar:<br />

Dass es für Social Entrepreneurs keine<br />

wirkliche Zuständigkeit gibt, we<strong>der</strong> in<br />

Politik noch in Verwaltung. Wir sind gewohnt<br />

in Wirtschaft zu denken o<strong>der</strong> in<br />

sozialen <strong>Die</strong>nstleistungen unter dem Sozialgesetzbuch<br />

o<strong>der</strong> in Ehrenamt. Aber<br />

wir sind nicht gewohnt Innovation, unternehmerisches<br />

Handeln und Gemeinwohlorientierung<br />

zusammen zu denken<br />

und eine Infrastruktur für gesellschaftliche<br />

Innovation aufzubauen“, so SEND<br />

Vorstandsmitglied Laura Haverkamp<br />

von Ashoka.<br />

„Sozialunternehmerinnen und -unternehmer<br />

bieten Lösungen für gesellschaftliche<br />

Probleme und wollen ihren<br />

Beitrag dazu leisten, damit Deutschland<br />

aus <strong>der</strong> Krise kommt. Der Bedarf für Lösungen,<br />

zum Beispiel in den Bereichen<br />

Nachbarschaftshilfe, Gesundheit o<strong>der</strong><br />

dem digitalen Arbeiten, wurde in den<br />

letzten Wochen noch sehr viel deutlicher.<br />

Für den Aufbau einer nachhaltigen<br />

Zukunft benötigen wir ein Umdenken in<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>logik – weg von reinen Rendite-Kriterien<br />

hin zu Wirkungskriterien“,<br />

sagt Markus Sauerhammer, erster Vorstand<br />

bei SEND. „Im Koalitionsvertrag<br />

haben Union und SPD klargestellt, dass<br />

‚Social Entrepreneurship bei <strong>der</strong> Lösung<br />

aktueller gesellschaftlicher und sozialer<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen eine zunehmend<br />

wichtige Rolle spielt.‘ Sie wollten Social<br />

Entrepreneurship deshalb ‚noch stärker<br />

als bisher för<strong>der</strong>n und unterstützen‘.<br />

Nun ist die Zeit dafür gekommen“, so<br />

Sauerhammer. f<br />

Illustration: IRStone / stock.adobe.com<br />

Es zeigt sich aber auch, dass solch ein<br />

„Versuchslabor“ Herausfor<strong>der</strong>ungen mit<br />

sich bringt.<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

77


Buch-Cover: <strong>der</strong> blaue reiter Verlag für Philosophie / macondo publishing GmBH<br />

78 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

Adam<br />

Smiths<br />

Ökonomie<br />

<strong>der</strong> <strong>Moral</strong><br />

Von Otto-Peter Obermeier<br />

Adam Smiths wissenschaftliches<br />

Ansehen basiert<br />

auf seinem Buch „Wohlstand<br />

<strong>der</strong> Nationen“. Weniger<br />

bekannt ist seine Ethik:<br />

„The Theory of <strong>Moral</strong><br />

Sentiments“. <strong>Die</strong>se Arbeit ist<br />

schon deshalb sehr<br />

interessant, da sie eine<br />

Verhaltenslehre präsentiert,<br />

die auf einem realistischen<br />

Blick des Menschen basiert<br />

und nicht ethische Regeln<br />

propagiert, die den Menschen<br />

schlichtweg überfor<strong>der</strong>n.<br />

Nachfolgend die<br />

wesentlichsten Säulen<br />

seiner Ethik.<br />

1. Unsere Bedürfnisse,<br />

Neigungen und Emotionen sind<br />

die Basis menschlichen Handelns<br />

Adam Smith war Anhänger einer sogenannten<br />

reflektierten Gefühlsethik<br />

o<strong>der</strong>, wie man das auch ausdrückt, er<br />

war ethischer „Sentimentalist“ (sentiments<br />

= Gefühle). <strong>Die</strong> überaus einflussreichen<br />

theologischen Gebotsethiken<br />

(Beispiel: die Gebote, welche Gott Moses<br />

und seinen Stämmen in <strong>der</strong> Wüste Sinai<br />

verkündete) führen ihren Ursprung auf<br />

göttliche Autorität zurück, die ebenso<br />

bedeutsamen rationalistischen Ethiken<br />

auf die Herrschaft und die Einsicht <strong>der</strong><br />

– angeblich – ewigen, gleichbleibenden<br />

und überall gültigen Vernunft (Beispiel:<br />

Kants Ethik).<br />

Dagegen behaupteten die „sentimentalists“,<br />

dass wir Menschen primär von<br />

unseren Trieben, Bedürfnissen, Neigungen<br />

und unseren Gefühlen zum Handeln<br />

getrieben werden. Zwar konnten<br />

sich diese am realen Menschen und seinen<br />

Bedürfnissen orientierten Ethiken<br />

we<strong>der</strong> mit göttlichen Fe<strong>der</strong>n noch mit<br />

ewigen, gleichbleibenden Gesetzen <strong>der</strong><br />

Vernunft schmücken. Sie haben jedoch<br />

zwei Vorteile vorzuweisen: Erstens akzeptieren<br />

sie, dass <strong>der</strong> Mensch aus Haut,<br />

Fleisch und Knochen besteht und eine<br />

Mischung ist aus verschiedenen Neigungen,<br />

Leidenschaften und Bedürfnissen,<br />

und dass es „dieser“ Mensch ist, <strong>der</strong><br />

einer Ethik bedarf. Eine Unzahl von moralischen<br />

Regeln, die für religiöse und/<br />

o<strong>der</strong> geistige Highflyer bestimmt sind,<br />

zielen allzu häufig an dem vorbei, was<br />

<strong>der</strong> Mensch tatsächlich leben kann. Das<br />

Resultat: Heuchelei wird die wichtigste<br />

Maske des Menschen. Zweitens erlassen<br />

diese Ethiken keine Gebote, ohne<br />

sich darum zu kümmern – wie Freud<br />

das ausdrückte – ob diese so verordneten<br />

moralischen Regeln vom Menschen<br />

überhaupt eingehalten werden können<br />

und seinen psychischen Möglichkeiten,<br />

seinen konstitutionellen Neigungen<br />

angemessen sind (Beispiel: Zölibat).<br />

Was nun die Bedeutung <strong>der</strong> Vernunft<br />

im Kontext menschlicher Handlungen<br />

anbelangt, so wird diese keinesfalls geleugnet,<br />

sie kann jedoch nur die Mittel<br />

zur Verwirklichung <strong>der</strong> aus unserem<br />

Gefühlshaushalt stammenden Ziele bereitstellen.<br />

2. Zwei wesentliche Gefühlsklassen<br />

bestimmen unser Handeln, unsere<br />

Egoismen und unsere sozialen<br />

Gefühle<br />

Eine fundamentale Smith'sche Einsicht<br />

besteht darin, dass sich, erstens, je<strong>der</strong><br />

erwachsene und gesunde Mensch primär<br />

und grundsätzlich um seine eigenen<br />

Belange kümmern soll und muss,<br />

und dass, zweitens, <strong>der</strong> Mensch normalerweise<br />

vor allem an seine Interessen<br />

denkt und dann erst an die seiner<br />

Mitmenschen (vergleiche TMS , p. 82,<br />

219, 272). Smith präsentiert damit zwei<br />

grundlegende Annahmen über die Natur<br />

des Menschen. Zum einen besitzt<br />

<strong>der</strong> Mensch sehr wohl ausgeprägte, egoistische<br />

Neigungen, zum an<strong>der</strong>en ist er,<br />

gerade wegen dieser Ichzentriertheit,<br />

primär für sich selbst und seine Belange<br />

verantwortlich und nicht die Mitmenschen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staat. So gesehen ist >><br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

79


<strong>Moral</strong><br />

Markt und <strong>Moral</strong> –<br />

ein Dilemma?<br />

Spätestens seit <strong>der</strong> Finanzkrise ist<br />

verantwortungsvolles Handeln in<br />

Wirtschaftskreisen aktuell und eine<br />

Wirtschaftsethik unverzichtbar.<br />

Bedürfnisse und Wünsche sind <strong>der</strong><br />

Motor menschlichen Handelns,<br />

stellte <strong>der</strong> schottische <strong>Moral</strong>philosoph<br />

Adam Smith (1723-1790)<br />

fest. Er gilt als ein genialer lllustrator<br />

menschlicher Gefühle, ihrer<br />

Stärken und ihrer Schwächen.<br />

Wie wirklichkeitsnah, nützlich und<br />

menschlich ist Adam Smiths Ethik<br />

<strong>der</strong> moralischen Gefühle? Fundiert<br />

und unterhaltsam beleuchtet<br />

Otto-Peter Obermeier diese Aspekte<br />

in <strong>Moral</strong>isch fühlen, gierig handeln?<br />

Zur Aktualität von Adam Smiths<br />

„Theorie <strong>der</strong> moralischen Gefühle“.<br />

Darin stellt er Adam Smiths Ethik<br />

umfassend und kritisch auch im<br />

Kontext seiner Zeit und <strong>der</strong> dazugehörigen<br />

Kritik vor, knüpft Bezüge zu<br />

aktuellen Fragen und überrascht mit<br />

<strong>neue</strong>n Aspekten <strong>der</strong> Smith'schen<br />

Ethik. So diskutiert <strong>der</strong> ausgewiesene<br />

Smith-Kenner die vielen<br />

individuellen und gesellschaftlichen<br />

Paradoxa in dessen Werk, zum<br />

Beispiel die Unvereinbarkeit von<br />

menschlichem Unendlichkeitswahn<br />

und Wachstumsstreben mit unserer<br />

Sterblichkeit und beschränkten<br />

Ressourcen.<br />

Adam Smiths Theorie <strong>der</strong> ethischen<br />

Gefühle ist eine Fundgrube nicht<br />

nur für individualpsychologische,<br />

son<strong>der</strong>n auch sozialpsychologische<br />

und politische Einsichten. Klar<br />

formuliert und aufgebaut, führt das<br />

Buch erklärend in das Denken des<br />

im deutschen Sprachraum vernachlässigten<br />

Philosophen ein. Eine<br />

Pflichtlektüre für alle, die sich für die<br />

Rolle von Ethik in <strong>der</strong> Ökonomie und<br />

für die Theorie des menschlichen<br />

Zusammenlebens interessieren.<br />

ein bedeutsamer Gefühlskomplex im Menschen auf seine eigenen<br />

Belange und Interessen fokussiert. <strong>Die</strong>ser „konstitutionelle<br />

Egoismus des Menschen“, dieser im Wesen des Menschen<br />

verankerte Egoismus, wird jedoch ergänzt durch altruistische,<br />

soziale Gefühle: „Wie egoistisch wir die Natur des Menschen<br />

auch immer annehmen, es gibt Grundzüge in seinem Wesen,<br />

welche ihn am Schicksal an<strong>der</strong>er teilnehmen lassen. <strong>Die</strong>se Gefühle<br />

legen uns das Glück an<strong>der</strong>er Menschen zwingend ans<br />

Herz, obgleich wir davon nicht mehr haben, als uns am Glück<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu freuen“ (TMS, p. 9).<br />

Der Mensch ist daher schlicht und ergreifend sehr wohl egoistisch,<br />

sprich „selfish“, daran ist nicht zu rütteln. Er ist aber<br />

auch, und daran gibt es ebenfalls nichts zu deuteln, altruistisch,<br />

sprich am Wohl an<strong>der</strong>er Menschen interessiert. Denken<br />

wir nur an unsere Kin<strong>der</strong>, Freunde, Bekannten. Wie weit<br />

dieses Interesse an an<strong>der</strong>en reicht o<strong>der</strong> reichen sollte, ob es<br />

über die eigene Nation hinausgeht, ob es sich auf die ganze<br />

Menschheit o<strong>der</strong> gar auf alle Lebewesen erstrecken soll, bleibt<br />

wohl immer eine Frage <strong>der</strong> Einsicht und unserer Möglichkeiten.<br />

Der Mensch ist also ein emotionaler Mischling mit zwei<br />

bedeutsamen Gefühlskomplexen. Zum einen wird er von seinen<br />

Egoismen beherrscht, etwa Ehrgeiz, Hab-, Erfolgs- und<br />

Reputationssucht und zum an<strong>der</strong>en von einer Vielzahl an sozialen<br />

Gefühlen, etwa <strong>der</strong> Liebe zu an<strong>der</strong>en Menschen, die man<br />

antiquiert mit Wohlwollen und Wohltun o<strong>der</strong> Nächstenliebe<br />

umschreiben kann. Mischlinge sind lei<strong>der</strong> we<strong>der</strong> bei den Philosophen<br />

noch in <strong>der</strong> realen Welt allzu beliebt. Wir lieben das<br />

Reine, die Philosophen die reine <strong>Moral</strong>, die Theologen den reinen<br />

Glauben und, trotz alledem: In uns herrscht die „unreine“<br />

Wirklichkeit unserer Bedürfnisse, Neigungen und Gefühle.<br />

3. <strong>Moral</strong> o<strong>der</strong> Unmoral? Smiths Akzeptanz und<br />

Verwerfungsschema <strong>der</strong> <strong>Moral</strong><br />

Smith glaubt auch ein „feeling“ nennen zu können, das für unsere<br />

Anteilnahme an an<strong>der</strong>en Menschen steht, nämlich Sympathie.<br />

Sympathie bedeutet Mitfühlen, Mitfreuen, Mitleiden,<br />

schlicht: <strong>der</strong> Versuch die Gefühlswelt des Mitmenschen zu<br />

„erfühlen und zu verstehen“. Denn, dass die Welt von Egoisten<br />

bevölkert wurde und wird, die rücksichtslos ihren Interessen<br />

nachjagen, war für Smith und die nicht an Realitätsverlust leidenden<br />

Zeitgenossen eine ausgemachte Sache. <strong>Die</strong> Smith'sche<br />

Sympathie spielt daher eine zentrale Rolle bei unseren ethischen<br />

Urteilen.<br />

Wenn wir das Verhalten o<strong>der</strong> Handeln von Mitmenschen als angemessen<br />

o<strong>der</strong> unangemessen, in klassischer Ausdrucksweise<br />

als gut o<strong>der</strong> böse, beurteilen, ist, erstens, die Situation, also <strong>der</strong><br />

Rahmen, in dem die Handlung stattfand, zu beschreiben und<br />

festzulegen. Dazu bedarf es, zweitens, <strong>der</strong> situativ-imaginativen<br />

Sympathie und <strong>der</strong> Vernunft. Der Beurteilende fühlt sich in<br />

80 Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Moral</strong><br />

die Situation des zu Beurteilenden hinein,<br />

er versucht quasi einen emotionalen<br />

Rollentausch. Er vergleicht diese Situation<br />

und Handlung mit seinen eigenen Erfahrungen<br />

und den damit verbundenen<br />

Gefühlen. Kann er die Gefühlswelt des<br />

an<strong>der</strong>en als <strong>der</strong> Situation angemessen<br />

identifizieren, fällt sein Urteil positiv<br />

aus, empfindet er Wi<strong>der</strong>willen o<strong>der</strong> gar<br />

Ekel, etwa bei einem grässlichen Kindsmord,<br />

dann war diese Handlung selbstredend<br />

unangemessen. Der Beurteilende<br />

hat jedoch, drittens, auch die Pflicht zu<br />

Distanz und Engagement. Er muss sich<br />

als distanzierter und wohlinformierter<br />

Zuschauer – Smiths berühmte Figur des<br />

„impartial spectator“ – sowohl in die<br />

Situation, die Motivlage und die Folgen<br />

<strong>der</strong> zu beurteilenden Handlung „hineinphantasieren“<br />

und einfühlen: das ist<br />

sein Engagement. Er hat aber auch die<br />

Handlung des an<strong>der</strong>en ohne Parteilichkeit<br />

zu betrachten: das ist seine Pflicht<br />

zur Distanz. Erst dann fällt er das Urteil,<br />

ob diese Handlung angemessen o<strong>der</strong><br />

unangemessen war, für die entsprechende<br />

Situation passte („fit“) o<strong>der</strong> sich als<br />

unpassend erwiesen hat („unfit“). Dass<br />

hierbei auch die Folgen zu berücksichtigen<br />

sind, war für Smith klar. Wobei er<br />

bei seinem moralischen Urteil die Betonung<br />

auf die Motive <strong>der</strong> Handelnden<br />

legte. Smith erkennt jedoch an, dass die<br />

Welt vor allem nach den Folgen und beson<strong>der</strong>s<br />

nach den „Erfolgen“ moralisch<br />

urteilt. Kurz: Auch von miesen Motiven<br />

angetriebene Handlungen, falls sie für<br />

den Handelnden und seine Anhänger<br />

positive Folgen zeitigen, werden häufig<br />

moralisch positiv beurteilt.<br />

4. Über intakte und pervertierte<br />

Gefühle<br />

Es liegt auf <strong>der</strong> Hand: Wenn unsere Gefühlsbasis<br />

die eigentliche Quelle des moralischen<br />

Urteils darstellt, wenn Sympathie<br />

und Phantasie in die Gefühlswelt<br />

des an<strong>der</strong>en Menschen führt, wenn <strong>der</strong><br />

unparteiische Zuschauer über die Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> zu beurteilenden Situation<br />

sehr wohl auf die Vernunft, hier<br />

als Lieferant des Sachwissens und <strong>der</strong><br />

logischen Vorgehensweise verstanden,<br />

zurückgreifen muss, dann erhält auch<br />

die Vernunft ihren gebührenden Platz<br />

bei unserem moralischen Urteil. Smiths<br />

„moral sentimentalism“ ist kein Konzept<br />

<strong>der</strong> reinen Gefühlsduselei, son<strong>der</strong>n eine<br />

reflektierte, gefühlsbasierte Ethik.<br />

Es ist aber ebenfalls offenbar: Wenn unsere<br />

Gefühlsbasis von fanatischen Ideologien<br />

beherrscht wird, seien diese religiös,<br />

politisch o<strong>der</strong> ökonomisch gefärbt,<br />

wenn diese „Wahnvorstellungen“ zu<br />

„artificial lives of manners“, zu überaus<br />

gestörten und sehr zurechtkonstruierten<br />

Verhaltensmustern führen, dann ist<br />

diese Gefühlsbasis nicht nur verstümmelt<br />

und schwer beschädigt, son<strong>der</strong>n<br />

auch das daraus resultierende moralische<br />

Urteil. <strong>Die</strong> berühmt-berüchtigten<br />

Heiligen, die fanatischen, politischen<br />

Welt- und Systemverbesserer, die von<br />

Erfolg und Selbstbereicherung getriebenen<br />

Manager, sie alle können nach <strong>der</strong><br />

Smith'schen Auffassung kaum ein korrektes,<br />

moralisches Urteil fällen. Kurz:<br />

Eine pervertierte Gefühlsbasis erzwingt<br />

pervertierte moralische Urteile.<br />

5. Ethik benötigt eine Ökologie<br />

<strong>der</strong> Gefühle<br />

Schon deshalb ist, nach Smith, ein ausgeglichener,<br />

nachhaltig strukturierter<br />

Gefühlshaushalt, eine Ökologie <strong>der</strong><br />

Gefühle, für moralisch angemessenes<br />

Handeln und Urteilen notwendig. Das<br />

gilt sowohl für den Einzelnen als auch<br />

für die ganze Gesellschaft. <strong>Die</strong> daher<br />

etwas überraschende Kernbotschaft<br />

<strong>der</strong> Smith'schen Ethik lautet: Nicht das<br />

Erfinden immer <strong>neue</strong>r, moralinsaurer<br />

Regeln und Vorschriften ist das Wesentliche<br />

<strong>der</strong> <strong>Moral</strong>, son<strong>der</strong>n die Arbeit an<br />

einem individuell und gesellschaftlich<br />

ausgeglichenen Gefühlshaushalt. Das<br />

würde uns vielleicht auch davor bewahren,<br />

alle paar Wochen hysterisch-kreischend<br />

ein <strong>neue</strong>s Thema durchs Land<br />

zu treiben. Nicht nur Engagement ist<br />

gefragt, son<strong>der</strong>n auch Distanz. f<br />

<strong>der</strong> blaue reiter<br />

Verlag für Philosophie<br />

Siegfried Reusch e. K.<br />

Göttinger Chaussee 115<br />

30459 Hannover,<br />

Deutschland<br />

Ausgabe 14 | November 2020 | Umweltdialog.de<br />

81


<strong>Moral</strong><br />

guter<br />

Letzt<br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Grafik: strichfiguren.de/stock.adobe.com<br />

/ stock.adobe.com<br />

Ethik<br />

mit Erbsen<br />

Betriebswirte argumentieren gern:<br />

Statt auf <strong>Moral</strong> sollten wir auf<br />

Marktanreize setzen, um ein bestimmtes<br />

Verhalten zu för<strong>der</strong>n. Wo<br />

es nämlich nur auf das Ergebnis<br />

ankommt, sei <strong>der</strong> Weg egal. Stimmt<br />

das? Am Wissenschaftszentrum in Berlin gab es dazu<br />

ein Experiment mit Kichererbsen. Ziel war es herauszufinden,<br />

wie Menschen sich in einem Zielkonflikt zwischen<br />

Gewinnmaximierung und <strong>Moral</strong> entscheiden.<br />

<strong>Die</strong> Versuchsteilnehmer wurden dazu in zwei Gruppen<br />

aufgeteilt. Es galt, bestimmte Aufgaben zu meistern. Je<br />

schneller man war, desto mehr Geld bekam man dafür.<br />

Proband Amusstein<strong>der</strong>A ersten Runde einfache Mathematikaufgaben<br />

lösen. Proband BmussteB dagegen Geschicklichkeit<br />

beweisen und Kichererbsen in ein Gefäß<br />

werfen. Wie zu erwarten war, fielen dabei die meisten<br />

Erbsen daneben.<br />

In <strong>der</strong> zweiten Runde wurde Proband BindenB von ihm<br />

mit Kichererbsen „vermüllten“ Raum zurückgebracht.<br />

<strong>Die</strong>smal standen die Rechenaufgaben an. Zunächst<br />

aber müsse Proband Ao<strong>der</strong>A Proband BdasB Zimmer<br />

aufräumen. Zwei Än<strong>der</strong>ungen gab es jetzt: Proband<br />

BwürdeB doppelt so viel Geld pro richtig gelöster Rechenaufgabe<br />

bekommen. Zeitverschwendung für das<br />

Aufräumen würde also echten finanziellen Verlust bedeuten.<br />

An<strong>der</strong>erseits würden die Gewinne dieses Mal<br />

gleichmäßig verteilt, unabhängig von <strong>der</strong> Performance<br />

<strong>der</strong> Probanden.<br />

Damit hatte das Experiment für Proband BeinB schönes<br />

Dilemma konstruiert: Sollte er die Unordnung selbst<br />

aufräumen, die er in <strong>der</strong> ersten Runde verursacht hatte<br />

und damit für beide auf Geld verzichten, o<strong>der</strong> sollte er<br />

den maximalen Profit für beide im Blick behalten? Tatsächlich<br />

haben beim Berliner Experiment 60 Prozent<br />

<strong>der</strong> Teilnehmenden am Ende selbst aufgeräumt und damit<br />

auf Gewinn verzichtet. Im Nachgang erklärten sie<br />

ihr Verhalten damit, dass individuelle Verantwortung<br />

für sie eine beson<strong>der</strong>s wichtige Rolle spiele. f<br />

IMPRESSUM<br />

UmweltDialog ist ein unabhängiger Nachrichtendienst<br />

rund um die Themen Nachhaltigkeit und CorporateSocial<br />

Responsibility.<strong>Die</strong> Redaktion vonUmweltDialog berichtet<br />

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Redaktion dieser Ausgabe:<br />

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Elena Köhn, Ulrich Klose<br />

Bildredaktion:<br />

Marion Lenzen<br />

Gestaltung:<br />

Gesa Weber<br />

Lektorat:<br />

Marion Lenzen, Bettina Althaus<br />

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82 Ausgabe 14 |November| 2020 |Umweltdialog.de|


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