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Das Nichts zieht ein

Theater/KUNST KULTUR JOKER 9

Obgleich Florian Zellers Stück

„Vater“ 2012 uraufgeführt wurde,

ist es nicht das Schlechteste,

es in diesem Jahr zu sehen. Denn

die Erfahrung, dass Sicherheiten

schwinden und sich Dinge in

einer Weise verändern, die man

nicht für möglich gehalten hätte,

ist eine gute Übung darin,

wie sich Demenz anfühlen mag.

Sozusagen von innen. „Vater“

beschreibt, wie ein alter Mann

langsam in eine eigene Wirklichkeit

abdriftet. Das klingt

versöhnlich, irgendwie tröstlich.

Nach gut eineinhalb Stunden

glaubt man das nicht mehr. Und

nur weil Perfidie besser auszuhalten

wäre als der Verlust des

Ichs, glaubt man einen Moment,

alles könnte ein Komplott der

Tochter und ihres Freunds sein,

sich endlich Andrés Wohnung in

Paris unter den Nagel zu reißen.

Das ist natürlich Quatsch. In Andrés

schlechtesten Momenten,

gelingt es Stefan Viering so etwas

wie Panik zu erzeugen.

In Hans Poeschls Inszenierung,

die die Außenspielstätte

einweiht, markieren Regalwände

und Backsteinwände den

Lebensraum des ehemaligen Ingenieurs.

Modernistische Stühle

zeigen, wer er mal war. Akten,

Katzenbilder, Kerzen, ein Globus

sind neben den Büchern auf

das weiße Blatt mit schwarzen

Linien gezeichnet. Man muss

sich das vergangene Leben

als gelungen vorstellen. Jetzt

ist jedoch alles im Alarmzustand.

„Was ist passiert?“, fragt

die Tochter (Regine Effinger).

„Nichts“, antwortet beschwich-

Das Wallgraben

Theater weiht seine

Corona-Außenspielstätte

mit einer sehenswerten

Inszenierung ein

Stefan Viering als Vater Foto: Wallgraben Theater

tigend der Vater. Doch die Rollen

haben ja längst gewechselt.

Der Vater vergisst, dass seine

Lieblingstochter bei einem Unfall

ums Leben kam. Nun muss

er sich mit der anderen, der mit

der besorgten Sicht auf die Welt

begnügen. Und sie hält mühsam

alles aufrecht, sich selbst, die

Haare streng nach hinten gebunden,

rote Strickjacke, schwarze

Hose. Man ist sich schließlich

etwas schuldig. Doch alle bis

auf den Vater wissen, so geht es

nicht weiter. Und dass er seiner

Tochter vermittelt, lediglich die

schlechtere Wahl zu sein, macht

es für Anna nicht besser, zudem

die Krankheit das eigene Leben

verdammt eng werden lässt.

Die Innensicht stellt sich dann

so dar: da wechselt die Tochter

die Gestalt (Sybille Denker),

nur die Kleidung ist beinahe

identisch und die Stellwände

verändern sich, der Raum wird

kleiner, André stößt an Wände.

Und dann sind da noch die

Partner (Peter Haug-Lamersdorf/Christian

Theil), der eine

verständnisvoller, der andere

kompromissloser. Hans Poeschl

hält sich an die vom Autor vorgesehene

Doppelbesetzungen,

die wesentlich dazu beitragen,

dass man die zunehmende Verzweiflung

des alten Mannes

mitfühlt. Stefan Viering, der

seit 50 Jahren auf der Bühne

steht, lässt allmählich Risse in

die Fassade Andrés sickern. Er

zeigt den Undank, der mit der

Krankheit einher geht und die

kaum mehr erwarteten Höhen

als die junge Hilfe Laura (Katharina

Rauenbusch) das erste

Mal vorbeischaut. Es ist ein Kabinettstückchen

mit viel reifem

Charme, das auch etwas von anderen

möglichen Lebenswegen

erzählt. Statt einschüchternder

Ingenieurkenntnisse die Freude,

andere mit Kunststückchen zu

unterhalten.

Florian Zeller hat klug beobachtet

und Hans Poeschl dies

mit viel Vertrauen in das gut

aufgelegte Ensemble umgesetzt.

Angehörige werden sich hier in

vielem wiederfinden, allen anderen

gibt es einen Einblick in eine

fremde und doch so nahe Welt.

Das Wallgraben Theater hat

nicht nur mit der Stückauswahl

ein Händchen bewiesen, es profitiert

auch von den Erfahrungen

mit früheren Außenspielstätten.

Es hat aus den gegebenen Umständen

viel gemacht.

Weitere Vorstellungen: Bis 29.

November, außer montags. Wallgraben

Südwest, Munzingerstr.

2, Freiburg.

Annette Hoffmann

„Offensichtlich“: trotz allem ein Erfolg Künstler-Ateliers gut besucht

Am 17./18. Oktober fanden

die turnusgemäß in jedem

zweiten Jahr veranstalteten

„Offenen Ateliers“ in Freiburg

statt – der Kultur Joker ist Medienpartner.

Die berechtigte

Frage blieb diesmal, ob das

Angebot angesichts der Pandemie

vom Publikum wahrgenommen

wurde. Wir waren

vor Ort und fragten nach.

Um 17 Uhr am Samstag, also

schon kurz vor Ende, traf ich

eine zufriedene Beatrice Adler,

die Trägerin des Reinhold

Schneider-Förderpreises 2010

und Absolventin der (seinerzeit

noch existierenden) Karlsruher

Akademie-Außenstelle

in Freiburg. Ich war für einige

Minuten allein in ihrem eher

abseitig gelegenen Einzelatelier

in der Fabrikstraße am

Ostrand des Ganter-Areals.

Es hat tagsüber viel Besuch

gegeben, sagt Adler, und tatsächlich

kommen gerade schon

die nächsten Gäste. Wenig später

fand ich mich bei Konrad

Wallmeier, dem Lichtkünstler,

in seiner Wiehremer Werkstatt

in der Konradstraße ein. Hier

war noch richtig Betrieb, so

dass Wallmeier pausenlos Führungen

geben konnte.

Michael Ott, Vorstand des

Veranstalters BBK-Südbaden,

zieht die offizielle Bilanz: „Es

waren einige Events geplant

und verschiedene Begleit-

Touren, die mussten ausfallen:

schade. Trotzdem hat sich die

Arbeit gelohnt.So groß war

die Beteiligung noch nie!“

Tatsächlich nahmen etwa 200

Künstler*innen teil – und

freuten sich über die Beachtung

ihrer Werke. Ein Beispiel:

Kirti Ingerfurth meldet

im Nachgang euphorisch aus

dem gemeinschaftlichen „Atelier

im Hinterhof“ in der Oberwiehre:

„Es war ein toller Tag;

von 14.30 bis 18.30 Uhr ging

die Post ab; bei uns viele, viele

Besucher.“ Also wünscht man

sich für die Zukunft auch eine

entsprechend angemessene Beachtung

der Bildenden Kunst

in der Stadtpolitik: zusätzliche

Atelierräume sind der vordringliche

Bedarf. Das erhofft

sich auch der BBK-Südbaden.

Martin Flashar

Richtigstellung:

Der Bildnachweis zum Text „Bis sich die Bühne

wieder mit Leben füllt…“ aus dem Oktober-Joker

ist leider inkorrekt. Tatsächlich ist das Bild, auf dem

man die Tänzer*innen Hélène Bouchet und Jacobo

Bellussi sieht, von Kiran West, seinerseits Hausfotograf

des John Neumeier Hamburg-Ballett.

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21.11. - 28.11.2020

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