-flip_joker_2020-11
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Das Nichts zieht ein
Theater/KUNST KULTUR JOKER 9
Obgleich Florian Zellers Stück
„Vater“ 2012 uraufgeführt wurde,
ist es nicht das Schlechteste,
es in diesem Jahr zu sehen. Denn
die Erfahrung, dass Sicherheiten
schwinden und sich Dinge in
einer Weise verändern, die man
nicht für möglich gehalten hätte,
ist eine gute Übung darin,
wie sich Demenz anfühlen mag.
Sozusagen von innen. „Vater“
beschreibt, wie ein alter Mann
langsam in eine eigene Wirklichkeit
abdriftet. Das klingt
versöhnlich, irgendwie tröstlich.
Nach gut eineinhalb Stunden
glaubt man das nicht mehr. Und
nur weil Perfidie besser auszuhalten
wäre als der Verlust des
Ichs, glaubt man einen Moment,
alles könnte ein Komplott der
Tochter und ihres Freunds sein,
sich endlich Andrés Wohnung in
Paris unter den Nagel zu reißen.
Das ist natürlich Quatsch. In Andrés
schlechtesten Momenten,
gelingt es Stefan Viering so etwas
wie Panik zu erzeugen.
In Hans Poeschls Inszenierung,
die die Außenspielstätte
einweiht, markieren Regalwände
und Backsteinwände den
Lebensraum des ehemaligen Ingenieurs.
Modernistische Stühle
zeigen, wer er mal war. Akten,
Katzenbilder, Kerzen, ein Globus
sind neben den Büchern auf
das weiße Blatt mit schwarzen
Linien gezeichnet. Man muss
sich das vergangene Leben
als gelungen vorstellen. Jetzt
ist jedoch alles im Alarmzustand.
„Was ist passiert?“, fragt
die Tochter (Regine Effinger).
„Nichts“, antwortet beschwich-
Das Wallgraben
Theater weiht seine
Corona-Außenspielstätte
mit einer sehenswerten
Inszenierung ein
Stefan Viering als Vater Foto: Wallgraben Theater
tigend der Vater. Doch die Rollen
haben ja längst gewechselt.
Der Vater vergisst, dass seine
Lieblingstochter bei einem Unfall
ums Leben kam. Nun muss
er sich mit der anderen, der mit
der besorgten Sicht auf die Welt
begnügen. Und sie hält mühsam
alles aufrecht, sich selbst, die
Haare streng nach hinten gebunden,
rote Strickjacke, schwarze
Hose. Man ist sich schließlich
etwas schuldig. Doch alle bis
auf den Vater wissen, so geht es
nicht weiter. Und dass er seiner
Tochter vermittelt, lediglich die
schlechtere Wahl zu sein, macht
es für Anna nicht besser, zudem
die Krankheit das eigene Leben
verdammt eng werden lässt.
Die Innensicht stellt sich dann
so dar: da wechselt die Tochter
die Gestalt (Sybille Denker),
nur die Kleidung ist beinahe
identisch und die Stellwände
verändern sich, der Raum wird
kleiner, André stößt an Wände.
Und dann sind da noch die
Partner (Peter Haug-Lamersdorf/Christian
Theil), der eine
verständnisvoller, der andere
kompromissloser. Hans Poeschl
hält sich an die vom Autor vorgesehene
Doppelbesetzungen,
die wesentlich dazu beitragen,
dass man die zunehmende Verzweiflung
des alten Mannes
mitfühlt. Stefan Viering, der
seit 50 Jahren auf der Bühne
steht, lässt allmählich Risse in
die Fassade Andrés sickern. Er
zeigt den Undank, der mit der
Krankheit einher geht und die
kaum mehr erwarteten Höhen
als die junge Hilfe Laura (Katharina
Rauenbusch) das erste
Mal vorbeischaut. Es ist ein Kabinettstückchen
mit viel reifem
Charme, das auch etwas von anderen
möglichen Lebenswegen
erzählt. Statt einschüchternder
Ingenieurkenntnisse die Freude,
andere mit Kunststückchen zu
unterhalten.
Florian Zeller hat klug beobachtet
und Hans Poeschl dies
mit viel Vertrauen in das gut
aufgelegte Ensemble umgesetzt.
Angehörige werden sich hier in
vielem wiederfinden, allen anderen
gibt es einen Einblick in eine
fremde und doch so nahe Welt.
Das Wallgraben Theater hat
nicht nur mit der Stückauswahl
ein Händchen bewiesen, es profitiert
auch von den Erfahrungen
mit früheren Außenspielstätten.
Es hat aus den gegebenen Umständen
viel gemacht.
Weitere Vorstellungen: Bis 29.
November, außer montags. Wallgraben
Südwest, Munzingerstr.
2, Freiburg.
Annette Hoffmann
„Offensichtlich“: trotz allem ein Erfolg Künstler-Ateliers gut besucht
Am 17./18. Oktober fanden
die turnusgemäß in jedem
zweiten Jahr veranstalteten
„Offenen Ateliers“ in Freiburg
statt – der Kultur Joker ist Medienpartner.
Die berechtigte
Frage blieb diesmal, ob das
Angebot angesichts der Pandemie
vom Publikum wahrgenommen
wurde. Wir waren
vor Ort und fragten nach.
Um 17 Uhr am Samstag, also
schon kurz vor Ende, traf ich
eine zufriedene Beatrice Adler,
die Trägerin des Reinhold
Schneider-Förderpreises 2010
und Absolventin der (seinerzeit
noch existierenden) Karlsruher
Akademie-Außenstelle
in Freiburg. Ich war für einige
Minuten allein in ihrem eher
abseitig gelegenen Einzelatelier
in der Fabrikstraße am
Ostrand des Ganter-Areals.
Es hat tagsüber viel Besuch
gegeben, sagt Adler, und tatsächlich
kommen gerade schon
die nächsten Gäste. Wenig später
fand ich mich bei Konrad
Wallmeier, dem Lichtkünstler,
in seiner Wiehremer Werkstatt
in der Konradstraße ein. Hier
war noch richtig Betrieb, so
dass Wallmeier pausenlos Führungen
geben konnte.
Michael Ott, Vorstand des
Veranstalters BBK-Südbaden,
zieht die offizielle Bilanz: „Es
waren einige Events geplant
und verschiedene Begleit-
Touren, die mussten ausfallen:
schade. Trotzdem hat sich die
Arbeit gelohnt.So groß war
die Beteiligung noch nie!“
Tatsächlich nahmen etwa 200
Künstler*innen teil – und
freuten sich über die Beachtung
ihrer Werke. Ein Beispiel:
Kirti Ingerfurth meldet
im Nachgang euphorisch aus
dem gemeinschaftlichen „Atelier
im Hinterhof“ in der Oberwiehre:
„Es war ein toller Tag;
von 14.30 bis 18.30 Uhr ging
die Post ab; bei uns viele, viele
Besucher.“ Also wünscht man
sich für die Zukunft auch eine
entsprechend angemessene Beachtung
der Bildenden Kunst
in der Stadtpolitik: zusätzliche
Atelierräume sind der vordringliche
Bedarf. Das erhofft
sich auch der BBK-Südbaden.
Martin Flashar
Richtigstellung:
Der Bildnachweis zum Text „Bis sich die Bühne
wieder mit Leben füllt…“ aus dem Oktober-Joker
ist leider inkorrekt. Tatsächlich ist das Bild, auf dem
man die Tänzer*innen Hélène Bouchet und Jacobo
Bellussi sieht, von Kiran West, seinerseits Hausfotograf
des John Neumeier Hamburg-Ballett.
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21.11. - 28.11.2020
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