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THEATER KULTUR JOKER 5

Parallelität von privat und öffentlich

Saint-Saëns‘ Oper „Samson et Dalila“ als Politthriller an der Straßburger Oper

Eigentlich ist Samson ein

Held, der nicht nur erfolgreich

mit einem Löwen kämpfte,

sondern auch die verfeindeten

Philister besiegte. Erst

die schöne Dalila erfuhr das

Geheimnis der Unbesiegbarkeit,

nämlich seine volle

Haarpracht. Diese schnitt sie

ihm ab, so dass er seine Stärke

verlor und von den Philistern

besiegt und geblendet wurde.

Im Straßburger Opernhaus

sitzt Samson im Rollstuhl.

Offensichtlich verfügt der Anführer

der Israeliten nicht über

besondere körperliche Kräfte.

Sein Clownsgesicht, das an

den Joker aus Todd Phillips‘

gleichnamigen Kinofilm erinnert,

verstört. Regisseurin

Marie-Eve Signeyrole erzählt

Camille Saint-Saëns‘ dreiaktige

Oper als modernes Politdrama.

Zum langen Eingangschor,

in dem das israelische

Volk seinen Gott anfleht, findet

auf der Bühne ein Straßenkampf

in Zeitlupe statt.

Pflastersteine werden drohend

in die Luft gehalten, Transparente

entrollt. Wegen der Coronavorschriften

musste die

Regisseurin ihre Inszenierung

ändern und den 52-köpfigen

Chor (Leitung: Alessandro Zuppardo)

auf der Galerie postieren.

16 Statisten übernehmen

deren körperliche Präsenz auf

der Drehbühne (Ausstattung:

Fabien Teigné). Zwei Kameras

filmen unablässig das Geschehen

und übertragen die Live-

Bilder auf die quer über die

Bühne gespannte Leinwand.

Die verfeindeten Philister sind

in Signeyroles Deutung Anhänger

einer konservativen

Partei mit ihrem Spitzenkandidaten

Dagon (Alain Weber), im

Libretto der Gott der Philister.

Seinen Wahlkampfchef Abimélech

(Patrick Bolleire) tötet

Samson nicht selbst, sondern

lässt ihn durch aufgepeitschte

Handlanger mit seinem Stock

exekutieren. Der Machtwechsel

ist da. Das rebellische jüdische

Volk hat nun das Sagen.

Sie tragen Clownsmasken. Die

totale Identifikation der Anhänger

mit ihrem Helden ist

Samsons wahre Stärke.

Massimo Giordano singt die

Partie mit großer Strahlkraft,

aber leider auch mit intonatorischen

Eintrübungen und zu

wenig Zwischentönen. Katarina

Bradić ist als Dalila eine

knallharte Businessfrau, die

vor allem mit ihrer voluminösen

Tiefe punktet. Schon in

ihrer ersten, nur in der Höhe

etwas forcierten Arie „Printemps

qui commence“ betört

sie Samson mit ihrem sinnlichen

Mezzo, nachdem das

Orchestre symphonique de

Mulhouse unter der Leitung

von Ariane Matiakh zuvor dem

„Tanz der Priesterinnen“ orientalisches

Kolorit schenkte. Die

französische Dirigentin heizt

mit ihrer dramatischen Lesart

das Geschehen immer wieder

an, ohne dabei die großen

Melodiebögen zu vernachlässigen.

Der Abend braucht ein

wenig, bis die Bilderflut eine

stärkere Fokussierung erhält.

Die permanenten Videos und

die häufig in Gang gesetzte

Drehbühne laufen mitunter

ins Leere. Aber in starken Momenten

zeigen sie bei diesem

Politthriller die Parallelität von

privat und öffentlich.

Klug inszeniert ist der zweite

Akt, wenn Dalila Samson

Foto: Klara Beck

abschminkt – und ihn somit

seiner Stärke, der Gleichheit

mit dem Volk, beraubt. Nun

feiern wieder die Philister ihren

Wahlsieger Dagon. In dieser

modernen, von den Medien

polarisierten Gesellschaft gibt

es nur Freund und Feind. Jede

Schwäche wird gnadenlos bestraft.

Im dritten Akt lädt der

Oberpriester (mit betörendem,

warmem Bariton: Jean-Sébastian

Bou) zum Bankett, um

Dagons Erfolg zu feiern. Samson

muss dem delikat musizierten

Bacchanal, zu dem die

Partygesellschaft ausgelassen

tanzt, beiwohnen und wird

verspottet. Am Ende setzen

die Kellner Clownsmasken

auf und ziehen Pistolen. Erneut

werden die Rollen getauscht.

Die Gewaltspirale dreht sich

weiter.

Weitere Vorstellungen: Mulhouse/La

Filature: 6./8.11.

www.operanationaldurhin.eu

Georg Rudiger

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