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4 KULTUR JOKER THEATER Theater
Schublade auf, Schublade zu.
Im Kleinen Haus des Theater
Freiburg mangelt es nicht etwa
grundsätzlich an Türen. Regisseur
Eike Weinreich will uns
zusammen mit Bühnenbildnerin
Milagros Pia Del Pilar Salecker
damit etwas sagen. Denn auf der
Bühne steht eine Art Schrankwandlandschaft,
die mal erklommen
werden kann, mal wie ein
Küchenbüffet aussieht, die aber
aus unzähligen Schubladen besteht.
Und da Weinreichs Inszenierung
eine Orgie an Kostümen
und Requisiten ist, verschwinden
Perücken, Hochzeitskleid,
Häkelumhang, Fatsuit, Lichterketten,
Desinfektionsspray und
Lampions in den Schubladen
und manchmal auch die beiden
Schauspieler selbst. Der Witz von
Samantha Ellis‘ Stück „How to
date a feminst“ besteht also nicht
eigentlich darin, immer wieder
neue Situationen hervorzurufen,
indem jemand vor der Tür steht,
der ganz bestimmt alles sofort ins
Chaos stürzt. Er besteht vielmehr
darin, dass Kate (Laura Friedmann)
und Steve (Moritz Peschke)
nicht eigentlich füreinander geschaffen
sind und sie sich gegenseitig
in so manche Schublade
stecken. Und dass sie eine Weile
brauchen bis sie verstehen, wie
unwichtig es für ihre Liebe ist,
ob Steve als Feminist erzogen
wurde und Kate mit eher konventionellen
Vorstellungen, wie
Männer und Frauen sein sollten.
Haltungen machen den Charakter
Eike Weinreich inszeniert am Theater Freiburg die Komödie
Vor zwei Jahren hatte die Komödie
von Samantha Ellis, die 1975
in London als Tochter irakischjüdischer
Eltern geboren wurde,
in Karlsruhe ihre deutsche Erstaufführung.
Dass sie jetzt während
der Pandemie in vielen Theatern zu
sehen ist, hat durchaus praktische
Gründe. Zwei Darsteller teilen sich
sechs Rollen. Das bringt erheblichen
Mehrwert auf die Bühne,
wenn dort Abstandspflicht herrscht.
„How to date a feminist“ ist zwar
anschlussfähig an so manchen gesellschaftlichen
Diskurs, das Stück
Samstagabend im Werkraum
des Theater Freiburg. Ganz
frisch sind die neuen Corona-
Verordnungen der Stadt Freiburg
und so sitzt man nun mit Mund-
Nasenschutz bei der Premiere
des Tanztheaterstücks „2 Glorreiche
Halunken“ von und mit
Graham und Simão Smith, das
auch den Start des Jungen Theaters
in die neue Spielzeit markiert.
Es ist die „Annäherung an
einen Spielplan“ – so ehrlich wie
charmant betitelt Leiter Michael
Kaiser nämlich das Programm,
das dieses Mal in einem transparenten
Umschlag steckt. Man
fährt auf Sicht bis Jahresende,
hat aber im Falle eines Falles
auch Plan B und C in der Tasche.
Begonnen wird mit der kleinsten
Einheit: der Familie. Sechs
Meter Corona-Abstand zwischen
Tänzern – das braucht es
bei Vater und Sohn nicht, die
eine intensive Probephase im
wochenlangen Lockdown hatten.
Seit über zehn Jahren stehen
Graham und Simão Smith
immer wieder gemeinsam auf
der Bühne, erst 2018 entwickelte
die ganze Familie Pires-Smith
die Performance Family Affairs.
Auch jetzt geht es um Aufbrechen
und Loslassen – aber erst
einmal um Männlichkeit. Der
Einstieg ist witzig: Winnetou-
Sound tönt melodramatisch aus
dem Off, eine kleine Türe in der
Rollwand öffnet sich, Im Türrahmen
lungern, posen, drängeln
und schubsen sich Vater
und Sohn im gleichen Western-
Outfit mit Schiebermützen und
Hosenträgern. Clownerie à la
Väter der Klamotte, wenn einer
dem anderen die Türe vor der
Nase zuschlägt und die Bühne
für sich alleine haben will.
Rivalen – die mit schlenkerndem
Macho-Gang und
Riesenschritten synchron ihre
Bahnen ziehen, kraftvoll beide
und doch mit ganz unterschiedlichen
Körper-Schwerpunkten
und Sprachen: Langgliedrig, geschmeidig,
elegant der großgewachsene,
sehr schlanke Simão,
ausdauernd, präzise und sehr
viel erdiger sein Vater, der den
Sohn mühelos wie ein Kleinkind
schnappt und auf den Arm
nimmt. Die folgende Schlägerei
hat Schmackes und Stummfilm-
Komik: Mehlwolken stoben bei
jedem Hau und Stoß auf, man
wirft sich gegenseitig zu Boden
und rollt dann meterlang. Da
„How to date a feminist“
Moritz Peschke/Laura Friedmann
Eindringlicher Vater-Sohn-Dialog
Mit „2 Glorreiche Halunken“ startet das Junge Theater Freiburg in die neue Spielzeit
gibt es viel Gefühl und Ausdruck
– gebrochen von einer
launigen Mitmach-Choreografie
und einer Diskussion um Klimawandel
und Kohle-Ausstieg.
Die wirkt wie am familiären Küchentisch,
parallel wird aber von
beiden ein dynamischer Synchron-Bewegungsloop
getanzt.
„Es tut mir wahnsinnig leid für
dich und deine Generation“, so
Graham Smith am Ende.
Das ist hier bei aller thematischen
Dringlichkeit auch ein
wenig lapidar – richtig stark
wird die 50-minütige Performance
dann wieder im Tanz.
Mit einem Schlag zerfallen die
zwei Holzklötze auf der Bühne
in viele Scheiben. Erst tanzt
Graham Smith im runden Spots
wie ein Rock-Derwisch bis zur
Erschöpfung, dann balanciert
Simão auf allen Vieren über
den Scheiben-Parcours. Wo es
nicht weitergeht, legt der Vater
eine neue Spur. Wann fängt das
an, das „Busy, Happy?“, fragt
der Sohn bei seinem Solo. Mit
nacktem und bunt tätowiertem
Oberkörper und in ständiger
Bewegung erzählt er auf Englisch
eine berührende Liebesgeschichte.
- Nicht alles packt und
Foto: Rainer Muranyj
genügt aber auch dem derzeitigen
Bedürfnis nach Zerstreuung.
Was macht es mit der Paardynamik,
wenn ein Mann und eine
Frau sich auf einer Kostümparty
treffen? Wo sie in knappsten goldfarbenen
Hotpants Wonderwoman
gibt, was ihrem Chef Ross
zu denken geben sollte, der sie
jüngst mit der Praktikantin betrogen
hat. Steve aber in einem grünen
Wams und mit Strumpfhosen
Robin Hood gibt (Vordenker in
Sachen modernem Steuersystem
und Sozialstaat sowie der Umweltbewegung).
Man verlässt die
Party zusammen, um im nächsten
Fish and Chips-Laden Pommes zu
essen. Wie sollte das gut gehen, er
ist Bäcker, dem seine Knetmaschine
ebenso wie seine Kalkulation
in den Rücken gefahren ist
und der vor allem der Sohn einer
Mutter ist, die mehrere Jahre auf
einem Frauen-Friedens camp in
der Nähe eines militärischen Flugplatzes
gelebt hat und so den dritten
Weltkrieg verhindert hat. Sie
ist mit einem Vater aufgewachsen,
einem jüdischen Geschäftsmann,
auch der Spannungsbogen hängt
mal durch, der Sound ist fast zu
viel, trotzdem ist „2 Glorreiche
Halunken“ ein eindrücklicher,
und sehr offener Vater-Sohn-
Dialog, grandios getanzt. Wie
Simão zu Pandemie-Zeiten in
die Welt ziehen soll und die
Ablösung funktionieren kann,
Im Waldhof 16
79117 Freiburg-Littenweiler
der auch in einem Camp gelebt
hat, nur nicht ganz freiwillig. Die
Trennung von seiner Frau, nach
der Lektüre feministischer Literatur
verbrannte sie ihr Hochzeitskleid
und ging einfach, hat er nie
so richtig überwunden. Dass just
diese beiden auf der Hochzeit
ihrer Kinder, er im Fatsuit, sie
im hässlichen braunen Poncho,
auch erotisch zueinander finden,
spricht für die alte boy meets girl-
Geschichte.
Doch Ellis‘ Figuren haben weniger
Charakter als Haltungen.
Weinreichs Inszenierung überzeugt
dann, wenn sie geradezu
überdreht, wenn sie sich für die
Klamotte nicht zu schade ist.
Dann tragen Friedmann und
Peschke die Kostüme von allen ihrer
drei Figuren übereinander und
auch das Begehren geht durcheinander.
So sehr, dass aus dem Text
nur noch ein unverständliches Gemurmel
wird. Oder gleich Musik.
Weinreich zeigt hier mit Nena
und The Human League eine
überraschende Vorliebe für die
80er Jahre, vor allem jedoch zeigt
Laura Friedmann eine richtig gute
Stimme.
Ernsthafte Diskurse streift dieses
Stück eher. Macht nichts, die
Auseinandersetzung um die richtige
Haltung kann man ja woanders
führen.
Weitere Vorstellung: 8. November,
18 Uhr, Kleines Haus, Theater
Freiburg.
Annette Hoffmann
steht allerdings wie bei Millionen
anderer junger Leute in den
Sternen…
Weitere Aufführungen: 8.11;
15.11. jew. 19 Uhr im Werkraum,
Theater Freiburg. Tickets: www.
theater.freiburg.de
Marion Klötzer
VERANSTALTUNGSPROGAMM Nov. / Dez. 2020
06.11.: Flüsse als Spiegelbild der Gesellschaft - mit Prof. Dr. Andreas Fath
13.11. - 15.11.: Farbpsychologie - mit Hanna Maria Ludwig
16.11.: Neuguinea - mit Bernd Schindler
19.11.: Kernenergie - eine Technik für die Zukunft? Mit Dr. Christoph Pistner
27.11. - 29.11.: Wie viel ist mir genug? Persönlichkeitsbildung - mit Judith Matern
27.11. - 28.11.: Schwarze Löcher - die Schwerkraftmonster des Alls - mit Dr. Martin Federspiel
28.11. - 29.11.: Klimawandel, Globalisierung und Digitalisierung - mit Prof. Dr. Regine Kather
05.12. - 06.12.: Der Nikolaus als „global player“? Mit Prof. Dr. Sabine Wienker-Piepho
09.12.: Schulcoaching für Eltern - mit Lisa Reinheimer
Info und Anmeldung:
www.waldhof-freiburg.de