-flip_joker_2020-11
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Nachhaltig KULTUR JOKER 25
Jeden Tag 20.000 Autos
Das Projekt „Blühende Industriegebiete“ offenbart Schwächen im Industriegebiet Freiburg Nord
Obwohl Freiburg in Sachen Auto
deutschlandweit einmalig gut dasteht
und bei der Verteilung des Verkehrsaufkommens,
dem sogenannten
„Modal Split“, nur einen Anteil von
21 Prozent Autoverkehr hat, sieht es
im Industriegebiet Freiburg Nord
vollkommen anders aus. 15.000
Menschen arbeiten dort, 80 Prozent
kommen mit dem Auto. Inklusive
Liefer- und Einkaufsverkehr fahren
täglich 20.000 Kraftfahrzeuge. Das
Podiumsgespräch „Transformation
vom Industriegebiet zum Green Industry
Park“, das die Freiburger Innovation
Academy zum Abschluss
ihres Projekts „BIG: Blühende Industriegebiete“
am 25. September
veranstaltete, offenbarte die Problematik:
Es fehlt an vernünftigen Alternativen.
Die Linie 4 beispielsweise endet
derzeit an der Messe. Die Weiterführung
über das neue FWI-Gelände mit
Ringschluss in Gundelfingen würde
Pendlern aus dem Norden den Umstieg
auf den öffentlichen Verkehr
deutlich erleichtern. Heute müssen
sie bis zum Hauptbahnhof fahren,
um dann mit der Straßenbahn zurück
ins Industriegebiet zu kommen. Der
Verkehr ist dabei nicht nur ein zentraler
Klimafaktor, er beansprucht
auch immense Flächen: Rund 56
Hektar sind im Industriegebiet bereits
in Parkplätze verwandelt worden.
Davon abgesehen offenbarte das
Langzeitprojekt die große Bereitschaft
der Unternehmen, etwas für
den Erhalt der Biodiversität zu tun.
Seit Sommer 2018 hat die Innovation
Academy mit 58 Auszubildenden
von der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung
Freiburg, dem Energieversorger
badenova, der Freiburg
Wirtschaft Touristik und Messe
GmbH und dem Autozulieferer
TDK-Micronas nach Möglichkeiten
gesucht, auf dem jeweiligen Firmen-
Exkursion zur Badenova
gelände die Artenvielfalt zu verbessern.
Die einen haben anstelle einer
Bambusmonokultur Blütenstauden
und heimische Sträucher gepflanzt,
andere haben mit Hochbeeten Urban
Gardening auf dem Betriebsgelände
verwirklicht, wieder andere den
englischen Rasen in eine blühende
Wiese verwandelt.
So erfreulich diese Ergebnisse
sind, die Abschlussveranstaltung hat
gezeigt, dass Freiburg bei zentralen
Fragen erst am Anfang steht. Weitere
Infos: www. bluehende-industriegebiete.de
Horst Hamm
Flächenverbrauch und Autoverkehr möglichst reduzieren
Jan Otto zur Verkehrsproblematik im Industriegebiet Nord
Kultur Joker: Herr Otto, ins
Industriegebiet Freiburg-Nord
fahren täglich 20.000 Autos. Wie
lässt sich die Situation verbessern?
Otto: Zunächst müssen wir die
Frage klären, warum die Menschen
mit dem Auto kommen.
Fehlt die ÖPNV-Anbindung?
Oder fahren gerade dann keine
Busse und Bahnen, wenn Schichten
enden oder beginnen? Der
ÖPNV muss so gestaltet werden,
dass das passt.
Kultur Joker: Was halten Sie
von einer Weiterführung der
Stadtbahntrasse 4 mit Ringschluss
in Gundelfingen?
Otto: Es ist tatsächlich unattraktiv
mit dem ÖPNV aus
dem Norden ins Industriegebiet
Freiburg-Nord zu kommen. Ein
Ringschluss an sich ist sicherlich
sinnvoll, Freiburg hat aber wie
alle Kommunen nicht unendlich
viel Geld. Wir ertüchtigen deshalb
gerade den Radweg, damit
sich die Leute zutrauen, aufs Rad
umzusteigen. Und die Autofahrer
von außerhalb könnten zum
Park & Ride-Platz im Norden
von Zähringen fahren und von
dort die öffentlichen Angebote
nutzen.
Kultur Joker: Ein großes Problem
ist der Flächenverbrauch
durch ebenerdige Parkplätze
wie jetzt beim neuen SC-Stadion
in Sichtweite der Messe. Wäre da
nicht eine begrünte Hochgarage
für beide die bessere Lösung gewesen?
Otto: Vollkommen richtig! Die
Parkplätze beim Stadion werden
alle zwei Wochen für rund vier
Stunden gebraucht, mehr nicht.
Kultur Joker: Können Sie sich
zu ebenerdigem Parken eine Initiative
im Gemeinderat vorstellen?
Otto: Wir haben bereits Verschiedenes
versucht. Aber die
Bodenpreise im Industriegebiet
sind einfach zu niedrig, um den
Anreiz zu bieten, beim Parken
in die Höhe zu gehen. Wenn
man die Flächenversiegelung
in der Rechnung mit abgebildet
hätte, dann hätte sich diese Art
der Landschaftszerstörung ganz
schnell erledigt.
Kultur Joker: Herr Otto, wir
danken Ihnen für das Gespräch.
Jan Otto ist seit 2019 für
Bündnis 90/Die Grünen Mitglied
im Freiburger Stadtrat
Foto: promo
„Oft bedarf es nur eines leichten Anstoßes“
Alexander Bonde zum Ziel, Wirtschaft und Artenschutz unter einen Hut zu bekommen
Foto: promo
Kultur Joker: Herr Bonde, die
DBU hat das Projekt „Blühende
Industriegebiete“ gefördert. Was
ist dabei herausgekommen?
Bonde: Das Bildungsprojekt
hatte zum Ziel, junge Menschen
weiterzubilden und das Industriegebiet
Freiburg Nord naturnaher
zu gestalten. Beides ist sehr erfolgreich
gelungen! Besonders erfreulich
finde ich, wie interessiert
die Unternehmen an der Potenzialanalyse
und den Kartierungen
waren. Sie wissen jetzt, dass
Eidechsen, Brutvögel und Wildbienen
auf ihrem Gelände vorkommen
und wollen diese Arten
bei ihren zukünftigen Planungen
berücksichtigen. Damit wurde das
Projekt zum Modell für andere Industriegebiete.
Wie groß das Potenzial
allein in Baden-Württemberg
ist, lässt sich daran ermessen,
dass ein Prozent der Landesfläche
aus Industrie- und Gewerbegebieten
besteht. Das entspricht ungefähr
50.000 Fußballfeldern.
Kultur Joker: Wie teuer ist es
für Unternehmen, in dieser Richtung
aktiv zu werden?
Bonde: Das muss überhaupt
nicht teuer sein: Eine Blühwiese
anzulegen, war mit wenigen
hundert Euros umzusetzen.Einen
Außensitzplatz für eine Kantine
mit einer GreenCity Wall mit
tausenden Pflanzen zu erweitern,
ging dagegen in Richtung 200.000
Euro, wobei die Erweiterung früher
oder später ohnehin gekommen
wäre, aber eben nicht mit
einer derartigen Begrünung.
Kultur Joker: Müsste nicht jedes
Unternehmen Abstandsgrün
Alexander Bonde, seit 2018
Generalsekretär der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Foto: promo
in Blühstreifen verwandeln?
Bonde: Klimawandel und Artenrückgang
zwingen uns zu
einem grundlegenden gesellschaftlichen
Wandel, wobei sich
Klimaanpassungen und Artenschutz
gut vereinen lassen. Bäume
könnnen als Schattenspender und
zur Kühlung wichtig sein. Dachund
Fassadenbegrünung haben
ähnliche Effekte. All das dient
immer auch dem Artenschutz.
Kultur Joker: Herr Bonde, wir
danken Ihnen für das Gespräch.
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