-flip_joker_2020-11
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20 KULTUR JOKER Interview
gene Lebensweise auf wirklich
nachhaltiges Verhalten überprüfen
kann. Warum das?
Grießhammer: Viele glauben,
dass sie eigentlich recht umweltbewusst
leben, weil sie Müll
trennen, ein paar Energiesparlampen
eingeschraubt haben und
gelegentlich im Bioladen einkaufen.
Aber wer die vier Klimachecks
für Mobilität, Wohnen,
Ernährung und Stromverbrauch
durchgeht, merkt schnell, dass er
beim Ranking nicht bei A oder B
landet, sondern bei E und F.
Kultur Joker: Ein Grund dafür
ist vielleicht, dass vielen klimaschonendes
Verhalten wie ein
Aufruf zur Askese erscheint. Ist
denn Askese wirklich nötig?
Grießhammer: Überhaupt
nicht. Vieles kann man allein
schon mit Effizienz und leicht
verändertem Verhalten erreichen.
Die meisten Maßnahmen
zum Strom- oder Heizenergiesparen
lassen sich ohne jede
Komforteinbuße hinbekommen.
In anderen Bereichen ändert man
sein Verhalten, indem man zum
Beispiel mehr Fahrrad fährt oder
mehr vegetarisch isst. Beides ist
gut für die Gesundheit; und es
gibt äußerst leckere vegetarische
Gerichte. Das ist doch eher ein
Komfortgewinn.
Kultur Joker: In Ihrem Buch zeigen
Sie, dass viele Klimaschutzmaßnahmen
auch finanziell vorteilhaft
sind. Ist den Menschen
der eigene Geldbeutel näher als
das Klima?
Grießhammer: Zumindest reden
sich viele mit dem Argument
heraus, dass sie sich Umwelt-
oder Klimaschutz finanziell
gar nicht leisten können. Das
ist kompletter Unsinn. Wenn
man Strom- oder Heizenergie
spart, ein kleines Auto fährt
oder gar Carsharing nutzt, spart
man sehr viel Geld. Davon kann
man problemlos auch noch den
Mehrpreis von Biolebensmitteln
zahlen. Das Erstaunliche ist vielmehr,
dass die meisten Haushalte
die hohen Einsparungspotentiale
gar nicht nutzen. Zwei Drittel
von befragten Haushalten
konnten weder ihre ungefähren
Stromkosten noch ihren Stromverbrauch
angeben.
Kultur Joker: Aber wo registriert
man dann die höheren Kosten?
Grießhammer: Meistens nur
in der Gesamtsumme. Das Geld
wird irgendwie knapp, und dann
lästert man beispielsweise über
höhere Benzin- oder Strompreise.
Es ist aber tatsächlich
ein Problem, dass man bei einer
Reihe von Klimaschutzmaßnahmen
keine direkte Rückmeldung
bekommt. Wenn Sie ein neues
Gerät kaufen, schlägt sich das
erst in den nächsten Jahren in
der Stromrechnung nieder. Oder
man spart 15% Heizenergie und
es folgt ausgerechnet ein kälterer
Winter und Sie verbrauchen
mehr Heizenergie. Eine direkte
Rückmeldung bekommt man dagegen
beim Betanken eines Autos,
da rattern die Euro-Beträge
richtig hoch.
Kultur Joker: Wie ließen sich
denn solche Rückmeldungen bei
Klimaschutzmaßnahmen einbauen?
Grießhammer: Wenn die Bundesregierung
die CO2-Bepreisung
wie in anderen Ländern auf
100 Euro statt 25 Euro gesetzt
hätte, würde man beim Kauf von
Produkten und Dienstleistungen
eine direkte Rückmeldung bekommen.
Und wenn das Fliegen
nicht so gnadenlos subventioniert
wäre, würde man innerdeutsch
nicht fliegen und sich
jede Ferienreise gut überlegen.
Im Haushalt selbst kann man natürlich
den Strom- und Gasverbrauch
selbst ablesen und beim
Auto die gefahrenen Kilometer
und den Durchschnittsverbrauch.
Beim Fahrradfahren merkt man
schnell, wieviel Benzingeld man
spart, indem man das Auto stehen
lässt.
Kultur Joker: Und wie sieht es
mit Ihrer Lebensweise aus?
Grießhammer: Meine Devise
war schon immer, nur Maßnahmen
zu empfehlen, die ich auch
selbst einhalte. Um es konkret
zu machen: Wir haben zu zweit
eine sehr kleine Wohnung mit
67 qm.Wir haben kein Auto,
nutzen Carsharing, aber radeln
meistens. Unser Stromverbrauch
liegt bei 900 KWh (der eines
vergleichbaren Zwei-Personen-
Durchschnittshaushalts liegt bei
3.500 KWh). Und wir essen wenig
Fleisch. Innerdeutsch oder
auf kurzen Strecken fliege ich
überhaupt nicht. Meine Schwägerin
mit Familie wohnt aber in
Kalifornien, da sind wir schon
hingeflogen. Von daher ist meine
Lebensweise also nicht zu hundert
Prozent „Öko“, aber wenn
sich alle so verhalten würden wie
ich, wären die CO2-Emissionen
nur halb so hoch.
Kultur Joker: Aber wie ist es,
wenn die Radwege gefährlich
sind oder man auf dem Land
wohnt, oder wenn die Bahnfahrt
nach Berlin teurer ist als der
Flug?
Grießhammer: Nicht so leicht.
Gerade deshalb lege ich im Buch
den Schwerpunkt auf Politik und
passende Rahmenbedingungen.
Der öffentliche Nahverkehr
muss besser und billiger werden
und auch die Region besser einbinden.
Die Radwege müssen
ausgebaut werden, breiter und
sicherer werden – deshalb unterstütze
ich auch den Freiburger
Fuß- und Radentscheid. Und die
hohen Subventionen beim Fliegen
müssen gekappt werden. Es
ist ja leider so, dass beim Fliegen
die Kerosinsteuer bzw. Mineralölsteuer,
nicht bezahlt werden
muss, bei internationalen Flügen
auch die Mehrwertsteuer
nicht. Jeder Bahnreisende, jeder
Autofahrer, bezahlt das, nur der
Flugpassagier nicht. Deshalb ist
Fliegen auch so billig, deshalb
sind innerdeutsche Flüge häufig
günstiger als die Bahnfahrt.
Würde das ordentlich besteuert,
so sähe das komplett anders aus.
Dann würde man nicht übers
Wochenende mal schnell nach
Barcelona fliegen, weil das einfach
zu teuer wäre.
Ein anderes Beispiel ist das
Dienstwagenprivileg, durch das
ein Arbeitgeber seinen Angestellten
sehr kostengünstig ein
Auto zur Verfügung stellen kann
und dafür minimal Steuern zahlt.
Zum einen bevorzugt das Dienstwagenprivileg
also diejenigen,
die sowieso mehr Geld haben
(denn die anderen bekommen in
der Regel keinen Dienstwagen).
Zum anderen dominiert es den
Automobilmarkt, denn schließlich
würden sonst längst nicht
so viele große Autos gebaut und
verkauft. Also wie ich im Buch
schon gesagt habe: Man muss
Verhalten und Verhältnisse ändern.
Das bedingt sich gegenseitig.
Ohne das eine wird es das
andere nicht geben.
Kultur Joker: Aufklärung ist
wohl das einzige Mittel, in den
Köpfen etwas zu bewegen. Dafür
bietet Ihr Buch eine tolle Grundlage,
eine Art „Gebrauchsanleitung“
für alle, sind die Zusammenhänge
unseres Ökosystems
und des Klimawandels doch sehr
komplex. Aber nun heißt es Leute
dazu zu bewegen, das Buch auch
zur Hand zu nehmen. Die aber
haben in der Regel wenig Lust,
sich nach Feierabend noch mit
so komplexen Zusammenhängen
auseinanderzusetzen. Welche
Wege gibt es noch die Leserschaft
zu erreichen?
Grießhammer: Das Lesen von
Umweltbüchern hat leider stark
nachgelassen, gerade bei den
jungen Leuten. Deshalb haben
wir uns überlegt, 20 Klimaschutzvideos
zu machen, die
von Moritz Bross mit den beiden
Darstellern Anna Nell und
Simon Sumbert auf der Grundlage
des Buches „#klimaretten“
produziert und von der Freiburger
Bürgerstiftung finanziert
wurden. Behandelt werden alle
Themen in Verbindung mit Klimaschutz
nach den 17 Umweltzielen
der UN, die in der Agenda
2013 verabschiedet wurden. Die
Clips dauern immer zwischen
einer und zwei Minuten und bieten
sehr schnell einen Einblick
auf ein Thema. Verbreitet werden
die Low-Cost-Videos hauptsächlich
in sozialen Medien wie
YouTube und Instagram. Dazu
gibt es noch Verweise auf eine
Website, wo man genaue Hintergrundinfos
zum Thema findet.
Das ist eine Art gestufte Herangehensweise,
mit der man sicher
viel mehr Leute erreicht als mit
dem Buch. Die Videos wurden
schon in den ersten drei Wochen
10.000-20.000 Mal angeschaut,
das Buch hat sich nach einem
Dreivierteljahr etwa 2500 Mal
verkauft. Je mehr Videos veröffentlicht
werden, desto mehr
pushen sie sich auch gegenseitig.
Kultur Joker: Sie schreiben in
Ihrem Buch, Sie „schwanken
zwischen Zuversicht und Frust“.
Dass Klimaretten nun mal auch
bedeutet, uns selbst zu retten, ist
offenbar immer noch nicht überall
angekommen?
Grießhammer: Es ist tatsächlich
so, dass die Klimaerhitzung
auf die nächsten Jahrzehnte und
erst recht darüber hinaus viel
bedrohlicher ist als alles, was es
je zuvor an Umweltbedrohung
gab. Auf der anderen Seite sind
viele Maßnahmen schon eingeleitet,
die Erneuerbaren hatten
im ersten Halbjahr 2020 schon
einen Anteil von 50% an der
Stromproduktion und auch bei
der Mobilität und Ernährung
beginnt die Transformation. Ich
glaube nicht, dass das 1,5-Grad-
Limit noch eingehalten werden
kann. Aber mit starken Klimaschutzmaßnahmen
kann die
Klimaerhitzung noch erheblich
abgeschwächt werden. Mit jeder
0,1-Grad-Erhitzung, die noch
verhindert wird, können wir
vieles retten.
Kultur Joker: Aber reversibel ist
der Klimawandel nicht?
Grießhammer: Man wird es
vielleicht in 100 Jahren oder später
schaffen, tatsächlich wieder
auf die alten CO2-Werte zurückzukommen,
aber ohne starken
Klimaschutz sind die Gletscher
weg, die Meere gestiegen, viele
Wälder gestorben, die Permafrostböden
aufgetaut. Mit hohem
Engagement können wird diese
Kipppunkte hoffentlich noch
verhindern. Denn diese wirken
wie Multiplikatoren, deren Kettenreaktion
man gar nicht absehen
kann.
Kultur Joker: Es lohnt sich also
zu kämpfen?
Grießhammer: Auf jeden Fall.
Und klar ist: Unsere Enkel werden
uns sonst sicher fragen, warum
habt ihr nichts gegen die
Klimaerhitzung gemacht?
Kultur Joker: Herr Grießhammer,
wir danken Ihnen für das
Gespräch und wünschen Ihnen
weiterhin viel Erfolg!
Rainer Grießhammer: #klimaretten.
Jetzt Politik und Leben
ändern. Lambertus Verlag, Freiburg
i.B., 20202, 19,90 Euro.
Klimaschutzvideos: www.
freiburger-buergerstiftung.
de/2020/07/21/klimaschutzvideos/
oder www.youtube.com/
channel/UC79qgXPQVE9EohEFpKAEmxw/videos