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20 KULTUR JOKER Interview

gene Lebensweise auf wirklich

nachhaltiges Verhalten überprüfen

kann. Warum das?

Grießhammer: Viele glauben,

dass sie eigentlich recht umweltbewusst

leben, weil sie Müll

trennen, ein paar Energiesparlampen

eingeschraubt haben und

gelegentlich im Bioladen einkaufen.

Aber wer die vier Klimachecks

für Mobilität, Wohnen,

Ernährung und Stromverbrauch

durchgeht, merkt schnell, dass er

beim Ranking nicht bei A oder B

landet, sondern bei E und F.

Kultur Joker: Ein Grund dafür

ist vielleicht, dass vielen klimaschonendes

Verhalten wie ein

Aufruf zur Askese erscheint. Ist

denn Askese wirklich nötig?

Grießhammer: Überhaupt

nicht. Vieles kann man allein

schon mit Effizienz und leicht

verändertem Verhalten erreichen.

Die meisten Maßnahmen

zum Strom- oder Heizenergiesparen

lassen sich ohne jede

Komforteinbuße hinbekommen.

In anderen Bereichen ändert man

sein Verhalten, indem man zum

Beispiel mehr Fahrrad fährt oder

mehr vegetarisch isst. Beides ist

gut für die Gesundheit; und es

gibt äußerst leckere vegetarische

Gerichte. Das ist doch eher ein

Komfortgewinn.

Kultur Joker: In Ihrem Buch zeigen

Sie, dass viele Klimaschutzmaßnahmen

auch finanziell vorteilhaft

sind. Ist den Menschen

der eigene Geldbeutel näher als

das Klima?

Grießhammer: Zumindest reden

sich viele mit dem Argument

heraus, dass sie sich Umwelt-

oder Klimaschutz finanziell

gar nicht leisten können. Das

ist kompletter Unsinn. Wenn

man Strom- oder Heizenergie

spart, ein kleines Auto fährt

oder gar Carsharing nutzt, spart

man sehr viel Geld. Davon kann

man problemlos auch noch den

Mehrpreis von Biolebensmitteln

zahlen. Das Erstaunliche ist vielmehr,

dass die meisten Haushalte

die hohen Einsparungspotentiale

gar nicht nutzen. Zwei Drittel

von befragten Haushalten

konnten weder ihre ungefähren

Stromkosten noch ihren Stromverbrauch

angeben.

Kultur Joker: Aber wo registriert

man dann die höheren Kosten?

Grießhammer: Meistens nur

in der Gesamtsumme. Das Geld

wird irgendwie knapp, und dann

lästert man beispielsweise über

höhere Benzin- oder Strompreise.

Es ist aber tatsächlich

ein Problem, dass man bei einer

Reihe von Klimaschutzmaßnahmen

keine direkte Rückmeldung

bekommt. Wenn Sie ein neues

Gerät kaufen, schlägt sich das

erst in den nächsten Jahren in

der Stromrechnung nieder. Oder

man spart 15% Heizenergie und

es folgt ausgerechnet ein kälterer

Winter und Sie verbrauchen

mehr Heizenergie. Eine direkte

Rückmeldung bekommt man dagegen

beim Betanken eines Autos,

da rattern die Euro-Beträge

richtig hoch.

Kultur Joker: Wie ließen sich

denn solche Rückmeldungen bei

Klimaschutzmaßnahmen einbauen?

Grießhammer: Wenn die Bundesregierung

die CO2-Bepreisung

wie in anderen Ländern auf

100 Euro statt 25 Euro gesetzt

hätte, würde man beim Kauf von

Produkten und Dienstleistungen

eine direkte Rückmeldung bekommen.

Und wenn das Fliegen

nicht so gnadenlos subventioniert

wäre, würde man innerdeutsch

nicht fliegen und sich

jede Ferienreise gut überlegen.

Im Haushalt selbst kann man natürlich

den Strom- und Gasverbrauch

selbst ablesen und beim

Auto die gefahrenen Kilometer

und den Durchschnittsverbrauch.

Beim Fahrradfahren merkt man

schnell, wieviel Benzingeld man

spart, indem man das Auto stehen

lässt.

Kultur Joker: Und wie sieht es

mit Ihrer Lebensweise aus?

Grießhammer: Meine Devise

war schon immer, nur Maßnahmen

zu empfehlen, die ich auch

selbst einhalte. Um es konkret

zu machen: Wir haben zu zweit

eine sehr kleine Wohnung mit

67 qm.Wir haben kein Auto,

nutzen Carsharing, aber radeln

meistens. Unser Stromverbrauch

liegt bei 900 KWh (der eines

vergleichbaren Zwei-Personen-

Durchschnittshaushalts liegt bei

3.500 KWh). Und wir essen wenig

Fleisch. Innerdeutsch oder

auf kurzen Strecken fliege ich

überhaupt nicht. Meine Schwägerin

mit Familie wohnt aber in

Kalifornien, da sind wir schon

hingeflogen. Von daher ist meine

Lebensweise also nicht zu hundert

Prozent „Öko“, aber wenn

sich alle so verhalten würden wie

ich, wären die CO2-Emissionen

nur halb so hoch.

Kultur Joker: Aber wie ist es,

wenn die Radwege gefährlich

sind oder man auf dem Land

wohnt, oder wenn die Bahnfahrt

nach Berlin teurer ist als der

Flug?

Grießhammer: Nicht so leicht.

Gerade deshalb lege ich im Buch

den Schwerpunkt auf Politik und

passende Rahmenbedingungen.

Der öffentliche Nahverkehr

muss besser und billiger werden

und auch die Region besser einbinden.

Die Radwege müssen

ausgebaut werden, breiter und

sicherer werden – deshalb unterstütze

ich auch den Freiburger

Fuß- und Radentscheid. Und die

hohen Subventionen beim Fliegen

müssen gekappt werden. Es

ist ja leider so, dass beim Fliegen

die Kerosinsteuer bzw. Mineralölsteuer,

nicht bezahlt werden

muss, bei internationalen Flügen

auch die Mehrwertsteuer

nicht. Jeder Bahnreisende, jeder

Autofahrer, bezahlt das, nur der

Flugpassagier nicht. Deshalb ist

Fliegen auch so billig, deshalb

sind innerdeutsche Flüge häufig

günstiger als die Bahnfahrt.

Würde das ordentlich besteuert,

so sähe das komplett anders aus.

Dann würde man nicht übers

Wochenende mal schnell nach

Barcelona fliegen, weil das einfach

zu teuer wäre.

Ein anderes Beispiel ist das

Dienstwagenprivileg, durch das

ein Arbeitgeber seinen Angestellten

sehr kostengünstig ein

Auto zur Verfügung stellen kann

und dafür minimal Steuern zahlt.

Zum einen bevorzugt das Dienstwagenprivileg

also diejenigen,

die sowieso mehr Geld haben

(denn die anderen bekommen in

der Regel keinen Dienstwagen).

Zum anderen dominiert es den

Automobilmarkt, denn schließlich

würden sonst längst nicht

so viele große Autos gebaut und

verkauft. Also wie ich im Buch

schon gesagt habe: Man muss

Verhalten und Verhältnisse ändern.

Das bedingt sich gegenseitig.

Ohne das eine wird es das

andere nicht geben.

Kultur Joker: Aufklärung ist

wohl das einzige Mittel, in den

Köpfen etwas zu bewegen. Dafür

bietet Ihr Buch eine tolle Grundlage,

eine Art „Gebrauchsanleitung“

für alle, sind die Zusammenhänge

unseres Ökosystems

und des Klimawandels doch sehr

komplex. Aber nun heißt es Leute

dazu zu bewegen, das Buch auch

zur Hand zu nehmen. Die aber

haben in der Regel wenig Lust,

sich nach Feierabend noch mit

so komplexen Zusammenhängen

auseinanderzusetzen. Welche

Wege gibt es noch die Leserschaft

zu erreichen?

Grießhammer: Das Lesen von

Umweltbüchern hat leider stark

nachgelassen, gerade bei den

jungen Leuten. Deshalb haben

wir uns überlegt, 20 Klimaschutzvideos

zu machen, die

von Moritz Bross mit den beiden

Darstellern Anna Nell und

Simon Sumbert auf der Grundlage

des Buches „#klimaretten“

produziert und von der Freiburger

Bürgerstiftung finanziert

wurden. Behandelt werden alle

Themen in Verbindung mit Klimaschutz

nach den 17 Umweltzielen

der UN, die in der Agenda

2013 verabschiedet wurden. Die

Clips dauern immer zwischen

einer und zwei Minuten und bieten

sehr schnell einen Einblick

auf ein Thema. Verbreitet werden

die Low-Cost-Videos hauptsächlich

in sozialen Medien wie

YouTube und Instagram. Dazu

gibt es noch Verweise auf eine

Website, wo man genaue Hintergrundinfos

zum Thema findet.

Das ist eine Art gestufte Herangehensweise,

mit der man sicher

viel mehr Leute erreicht als mit

dem Buch. Die Videos wurden

schon in den ersten drei Wochen

10.000-20.000 Mal angeschaut,

das Buch hat sich nach einem

Dreivierteljahr etwa 2500 Mal

verkauft. Je mehr Videos veröffentlicht

werden, desto mehr

pushen sie sich auch gegenseitig.

Kultur Joker: Sie schreiben in

Ihrem Buch, Sie „schwanken

zwischen Zuversicht und Frust“.

Dass Klimaretten nun mal auch

bedeutet, uns selbst zu retten, ist

offenbar immer noch nicht überall

angekommen?

Grießhammer: Es ist tatsächlich

so, dass die Klimaerhitzung

auf die nächsten Jahrzehnte und

erst recht darüber hinaus viel

bedrohlicher ist als alles, was es

je zuvor an Umweltbedrohung

gab. Auf der anderen Seite sind

viele Maßnahmen schon eingeleitet,

die Erneuerbaren hatten

im ersten Halbjahr 2020 schon

einen Anteil von 50% an der

Stromproduktion und auch bei

der Mobilität und Ernährung

beginnt die Transformation. Ich

glaube nicht, dass das 1,5-Grad-

Limit noch eingehalten werden

kann. Aber mit starken Klimaschutzmaßnahmen

kann die

Klimaerhitzung noch erheblich

abgeschwächt werden. Mit jeder

0,1-Grad-Erhitzung, die noch

verhindert wird, können wir

vieles retten.

Kultur Joker: Aber reversibel ist

der Klimawandel nicht?

Grießhammer: Man wird es

vielleicht in 100 Jahren oder später

schaffen, tatsächlich wieder

auf die alten CO2-Werte zurückzukommen,

aber ohne starken

Klimaschutz sind die Gletscher

weg, die Meere gestiegen, viele

Wälder gestorben, die Permafrostböden

aufgetaut. Mit hohem

Engagement können wird diese

Kipppunkte hoffentlich noch

verhindern. Denn diese wirken

wie Multiplikatoren, deren Kettenreaktion

man gar nicht absehen

kann.

Kultur Joker: Es lohnt sich also

zu kämpfen?

Grießhammer: Auf jeden Fall.

Und klar ist: Unsere Enkel werden

uns sonst sicher fragen, warum

habt ihr nichts gegen die

Klimaerhitzung gemacht?

Kultur Joker: Herr Grießhammer,

wir danken Ihnen für das

Gespräch und wünschen Ihnen

weiterhin viel Erfolg!

Rainer Grießhammer: #klimaretten.

Jetzt Politik und Leben

ändern. Lambertus Verlag, Freiburg

i.B., 20202, 19,90 Euro.

Klimaschutzvideos: www.

freiburger-buergerstiftung.

de/2020/07/21/klimaschutzvideos/

oder www.youtube.com/

channel/UC79qgXPQVE9EohEFpKAEmxw/videos

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