05.11.2020 Aufrufe

Sämtliche Juden sind von hier weggebracht worden

Ausstellung zum 80. Jahrestag der Deportation der jüdischen Bevölkerung Brettens nach Gurs am 22. Oktober 1940. Wenn in Bretten der Verfolgung der Juden gedacht wird, steht dies fast immer im Zusammenhang der Erinnerungen an den 22. Oktober 1940, dem letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfests. An diesem Tag vor 80 Jahren wurden in ganz Baden, der Pfalz und im Saarland 6508 Menschen Jüdinnen und Juden nach Gurs deportiert und in Bretten die letzten hier noch lebenden achtzehn Menschen jüdischen Glaubens verschleppt, viele Monate bevor die Deportationszüge nach Riga und später in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor und Treblinka rollten. Die Ausstellung soll zum einen den Deportierten aus Bretten einen Namen und über die erforschten Einzelschicksale Auskunft geben, andererseits über die Täter und Hintergründe informieren und vor allem die Ereignisse ins Bewusstsein bringen, die sich vor 80 Jahren in unserer Stadt vor aller Augen abgespielt haben. Geplant war es die Ausstellung vom 23. Oktober – 12. November 2020 im Melanchthonhaus zu zeigen. Aufgrund der aktuellen Corona-Beschränkungen musste die Ausstellung am 30. Oktober 2020 kurzfristig abgesagt werden. Um der großen Nachfrage gerecht zu werden, haben wir die Ausstellung hier online gestellt.

Ausstellung zum 80. Jahrestag der Deportation der jüdischen Bevölkerung Brettens nach Gurs am 22. Oktober 1940.
Wenn in Bretten der Verfolgung der Juden gedacht wird, steht dies fast immer im Zusammenhang der Erinnerungen an den 22. Oktober 1940, dem letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfests. An diesem Tag vor 80 Jahren wurden in ganz Baden, der Pfalz und im Saarland 6508 Menschen Jüdinnen und Juden nach Gurs deportiert und in Bretten die letzten hier noch lebenden achtzehn Menschen jüdischen Glaubens verschleppt, viele Monate bevor die Deportationszüge nach Riga und später in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor und Treblinka rollten. Die Ausstellung soll zum einen den Deportierten aus Bretten einen Namen und über die erforschten Einzelschicksale Auskunft geben, andererseits über die Täter und Hintergründe informieren und vor allem die Ereignisse ins Bewusstsein bringen, die sich vor 80 Jahren in unserer Stadt vor aller Augen abgespielt haben.
Geplant war es die Ausstellung vom 23. Oktober – 12. November 2020 im Melanchthonhaus zu zeigen. Aufgrund der aktuellen Corona-Beschränkungen musste die Ausstellung am 30. Oktober 2020 kurzfristig abgesagt werden. Um der großen Nachfrage gerecht zu werden, haben wir die Ausstellung hier online gestellt.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KulturStadt Bretten

„Sämtliche Juden sind von hier weggebracht worden“

Ausstellung zum 80. Jahrestag der Deportation der jüdschen

Bevölkerung Brettens nach Gurs am 22. Oktober 1940

Wann? 23. Oktober - 12. November 2020

Wo? Gedächtnishalle im Melanchthonhaus


¡¢££ ¥£ ¦§¨©¢¨¢£¨ ¨¢ ¢£ ¨¢ ¨¢£ ¢¨ ©¥¨ ¢ ¨¥¢ ¥¢

¥ ¢££ ¨¢ ¥££¢£¢£ £ ¨¢£ ¢ !"# £ ¨¢ $§¨¥¢£

%¢£¨¢ ¨¢£ # &¥¥ '(# )£ ¨¥¢¢ & ©¨¢£ £¢* +¥¢ ¨¢£ ,¨¢£ ¨¢

-* £¨ ¨¢ ¦£¨¢ ¥¢ .¢¥ ¢¢¥¢£ /¥¢¢ 0£¢ ¢/ ¨¥¢

1¢2¥£*§¢ ¡§¢¢ £¨ ¨¢£ £¨¢¢£ 3+£¨¢£ ¨¢ 1¢¢£ 4¢¥ £

4¥ £¨ 2+¢ ¥£ ¨¥¢ ¢£¥£¢ )©¥* ¦¥ £¨ &¢¥£ ¢£

1¢ ,¢¢ ¢ £2+¥¢£ ¨¢£ ,¨¢£ ¨¢ -* £¨ ¨¢ ¦£¨¢ £

5£¢¥ *¥¢¢£ /£ )¨ .¥¢ ¢¥¢ ¨ ¨¥¢ 4¢¥§£ ¨¢ ¦¦

£¢ .¢¥£¥ .¥¢ £¨ ¨¢ 3¢¥¢ ¨¢ ¦¥¢¢¥¨¥¢£¢ 4¢¥£¨ .¢6¨¥ ¢*¢£

¨¢ ¨¥¢ 7¢¥¢ 4¢ ¡£¢ £¨ ¨¢ -+*¢ 7¢¥¢ ¢ ,§¢ ¨¢£

5§¢¢¢ ¥ ¢¥¢£¨¢£ 7¢

8 ¢£ ¨¢ )£¢¥£¨£ )¢£*£ £¨ ,¢£¢¥¥£ ¥ £¥£*¥¥¥¢£

1¢£¨ ©¨¢ ¨¥¢ $§¨¥¢ ,¢/9¢£ ¢ !"# ¥£ §¢£ £ ¨¥¢

1¢¥£¥£¥¢ *©¥¢£ ¨¢ ¢¥ ¦¢ !"# ¨¢ ¢¢*¢£ 8¨¢£ £¨ ¨¢

£¢¢*¢£ ¦§¨¢£ 5£¢¥ ¢¢£ 5§ ¨¢£ &£2 ¨¢ ¥£¢ :';< -¢£¢£

¨/£ ¢© ''!# ,¨¢£ <' ¨¢ -* £¨ ;" ¨¢ ¦£¨ ¢¢ ¨¥¢

4¢¥£ £¢£ ¦£¨¢*§¢ ¢¢¥ ¨¥¢ ¢¥ 0§¢£ => ¨¢£ 4¢¥£ £¨ ¢¥ ?£@

@¦A£¢ ¨¥¢ 7¢£*¢ * £¢¢*¢£ 5£¢¥ 2¥¢¢£ 1¥¢¢ )¥£ ©¨¢ /£

)¨ ¥££ 2¢9£¥ §¢©

8¨¢ ¨¥¢ §¢ ¨¥¢ 7¢£*¢ 2¥¢ ¢£ ¢¥¢¢£ £*9¥¢ ,¢9¨¢£ ¥¢ ©¢¥¢

4¥£ )£¥ B£ ¨¢ 8+¢ ¨¢ ¢¥£¢£ 1¢ 7 5C¢ ¨¢ -6¢£+¢£ © !;! ¢¥£

3¢ § 5§¥£¢ ¨¢ ¦2£¥¢£ ,§¢¥¢ £¨ 0¥¥¢¨¢ ¨¢ B£¢£¥£¢£

,¥¨¢ ¢¥¢ ©¨¢£ ¥£ ¨¢ ¨¥¢ )¢©¥¢¢£¢£ ££ £¢¢ ©¨¢£

0¥£¨¢¢£ *©¢¥ 1¥¢ ¨¢ 1¢2¥¢¢£ ¢£ ¥£ ¨¢£ ¢£¨¢£ ¢£ £¨ ¨¢

,¢¨¥££¢£ ¨¥¢ ¥£ 7 ©¥¢ ¥£ £¨¢¢£ £*9¥¢£ 3¢£ ¨¢ D£¢§£¢£ §

E)+£¨¢F ¢¢£ ¨¢ ©¨¢£ £ ©¢¥¢¢£ 1¢2¥£¢£ ¥£ ¨¢£ 8¦@

¢£¥£¢£ ¢¨¢


Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ist die Geschichte dieses Unrechts vergleichsweise

gut erforscht. In den vergangenen 20 Jahren wurden viele neue Erkenntnisse über die

aus Bretten deportierten Juden recherchiert und zusammengetragen. Die Ausstellung lehnt

sich inhaltlich eng an die Ausarbeitungen der Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Pflege

des Deportiertenfriedhofs in Gurs an, die unter Federführung der Stadt Karlsruhe in Zusammenarbeit

mit den Mitgliedsstädten und -gemeinden initiiert und angedacht war und aufgrund

der anhaltenden Corona-Pandemie nicht wie geplant verwirklicht werden konnte.

Daher hat sich die Stadt Bretten dazu entschlossen, diesem Thema pünktlich zum 80. Jahrestag,

eine eigene, kleine Ausstellung zu widmen, die die sogenannte „Oktober-Deportation“ in

den Fokus nimmt unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Ereignisse und Quellen im

Hinblick auf die Einzelschicksale der letzten achtzehn Jüdinnen und Juden, die am 22. Oktober

von Bretten verschleppt wurden.

Die nachfolgende Ausstellung soll zum einen den Deportierten aus Bretten einen Namen geben,

über die erforschten Einzelschicksale Auskunft geben, andererseits über die Täter und

Hintergründe informieren und vor allem die Ereignisse ins Bewusstsein bringen, die sich vor

80 Jahren in unserer Stadt vor aller Augen abgespielt haben.

Die nachfolgende Ausstellung wurde von Frau Heidemarie Leins und Herrn Alexander Kipphan,

Leiter des Stadtarchivs Bretten, umgesetzt und Dank der freundlichen Unterstützung

durch die Sparkasse Kraichgau verwirklicht.

Literatur & Quellen

Katja Limbächer: 20. Tishri 5701 – Sukkoth – 22. Oktober 1940 – Laubhüttenfest, „Ich weiß nicht, ob wir nochmals

schreiben können“, Die Deportation der badischen, saarpfälzischen Juden in das Internierungslager Gurs in den

Pyrenäen, Materialien, herausgegeben von der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart

2010.

„20. Oktober 1940: Deportation der Jüdinnen und Juden aus Baden, Pfalz und Saarland nach Gurs – Bausteine für

ein lebendiges Gedenken in Gemeinde und Gesellschaft, herausgegeben von der Evangelischen Landeskirche in

Baden und Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), Karlsruhe 2010.

Rolf-Ulrich Kunze: „Möge Gott unserer Kirche helfen“, Theologiepolitik, Kirchenkampf und Auseinandersetzung

mit dem NS-Regime: Die Evangelische Landeskirche Badens 1933-1945, Stuttgart 2015.

Hans-Jörg Ebert: Die Machtergreifung in der badischen Kleinstadt Bretten, 1984.

Maria Halbritter: Die Jüdische Gemeinde in Bretten. Einblicke in ihre Geschichte, erschienen in Brettener Jahrbuch

für Kultur und Geschichte Neue Folge 1, Bretten 1999 S. 113 ff.

Quellen aus den Archiven: Generallandesarchiv Karlsruhe, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Stadtarchiv Karlsruhe,

Archives Départementales de Pyrénées Atlantiques Pau, Stadtarchiv Bretten.


„WAGNER-BÜRCKEL-AKTION“

Als sogenannte „Wagner-Bürckel-Aktion“ wird die Deportation von 6538 Jüdinnen und Juden

aus Baden, der Pfalz und des Saarlandes in das südfranzösische „Camp de Gurs“ von

Historikern bezeichnet, die in der Nacht vom 21. und 22. Oktober 1940 begann. Ziel dieser

Aktion war, die südwestdeutschen Gebiete als erste im Reich „judenrein“ zu machen.

NSDAP-Gauleiter Robert Wagner

Im Rahmen der Waffenstillstandsvereinbarung mit Frankreich

wurde am 22. Juni 1940 vereinbart, dass alle Juden aus den

deutschen Besatzungsgebieten in das Landesinnere von Frankreich

deportiert werden sollten. Die NSDAP-Gauleiter Robert

Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Pfalz) waren am 2. August

1940 von Adolf Hitler zu Chefs der Zivilverwaltung im Elsass

beziehungsweise in Lothringen ernannt worden. Für ihren

Auftrag, die annektierten Gebiete schnellstmöglich ins Deutsche

Reich einzugliedern, wurden ihnen nahezu unbeschränkte

Vollmachten erteilt. Bis Mitte September 1940 wurden so über

23.000 Juden und missliebige Franzosen aus den besetzten Gebieten

deportiert. Im Zuge dieser Aktion brachten lokale

NSDAP-Organisationen in Kehl und in Breisach im August auf

eigene Initiative ebenfalls Juden mit Lastwagen in das unbesetzte

Frankreich. Hitler gingen diese Aktionen noch nicht weit

genug. Ende September 1940 forderte er Wagner und Bürckel dazu auf, ihre Gebiete „judenfrei“

zu machen. Die beiden Gauleiter nutzten Hitlers Einverständnis, um nicht nur die Juden

aus den ihnen unterstellten Gebieten Elsass und Lothringen, sondern darüber hinaus im

Oktober 1940 auch deutsche Juden aus Baden und der Saarpfalz in Zusammenarbeit mit dem

Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in den unbesetzten Teil Frankreichs abzuschieben.

Während die Landratsämter bereits am 15. Oktober vom badischen

Innenministerium über die bevorstehende Aktion informiert

worden waren, traf die Anweisung zur sofortigen Ausreise

die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung völlig unerwartet.

Die Vorbereitungen der Deportation waren mit strenger Geheimhaltung

getroffen worden.

In den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 wurden die

Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland mit dem Befehl

zur Deportation aus ihren Wohnungen getrieben, gesammelt

und abtransportiert. Gestattet war lediglich die Mitnahme von

50 kg Gepäck und einer Barschaft von 100 Reichsmark. Das Reiseziel

wurde den meisten verschwiegen. Die hinterlassenen

Wohnungen mussten verschlossen und versiegelt, Strom und

Josef Bürckel 1937 Quelle:

Stadtarchiv Neustadt

Gas abgestellt und die Schlüssel der Gestapo- bzw. den Polizeibeamten ausgehändigt werden.


In sieben Eisenbahnzügen aus Baden und insgesamt zwei Zügen aus der Pfalz und dem

Saarland fuhren die Deportierten über Chalon-sur-Saône ins unbesetzte Frankreich. Die

Fahrt über Lyon, Avignon und Toulouse dauerte drei Tage und vier Nächte, bis die

Vertriebenen schließlich am Fuße der Pyrenäen in Oloron-Sainte-Marie auf Lastwagen

verladen und die meisten in das französische Internierungslager Gurs verbracht wurden.

In Bretten war man spätestens seit dem 15. Oktober 1940 über die bevorstehende Aktion

informiert. Laut eines Eintrags im Polizeiwachbuch der Stadtgemeinde Bretten war

Schutzwachmann Adolf Mayer am Morgen des 22. Oktober 1940 um 5.30 Uhr nach

Karlsruhe gereist, um dort von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) letzte Anweisungen zur

bevorstehenden „Festnahme der Juden in Bretten“ zu erhalten:

Quelle: Wachbuch der Schutzpolizeidienstabteilung Bretten Stadtarchiv Bretten Signatur A 4009


Die „Oktober-Deportation in Bretten“ –

Vorladung und Festnahme auf dem Rathaus

In den Morgenstunden des 22. Oktobers 1940 wurden ab 8.00 Uhr die letzten Jüdinnen und

Juden in ihren Wohnungen und Häusern aufgesucht und ihnen befohlen, sich spätestens bis

12.00 Uhr mittags auf dem Rathaus zur „Ausreise“ einzufinden. Wer nicht Folge leistete,

wurde von der Polizei abgeholt. Sie durften nicht mehr als 50 kg Gepäck und nicht mehr als

100 Reichsmark Bargeld mitnehmen. Außerdem hatten sie in ihren Häusern und

Wohnungen Strom und Gas abzudrehen, diese verschlossen zu hinterlassen und die

Schlüssel auf dem Rathaus abzugeben.

Achtzehn Menschen jüdischen Glaubens, darunter 12 Frauen, fünf Männer und ein Kind

wurden an diesem Tag aus ihrer Heimat herausgerissen und nachmittags gegen 15.30 Uhr

vor aller Augen auf dem Marktplatz mit dem Lastwagen „nach unbekannt“ abtransportiert.

Liste der im Oktober verhafteten und abtransportierten Juden, Stadtarchiv Bretten Signatur A 4445

Niemand wagte es, ihnen zu Hilfe zu eilen oder die Deportation zu hinterfragen. Dennoch

gab es einen Mutigen, der die Verschleppung der Brettener Juden an diesem Tag mit seiner

Kamera festgehalten hat. Der evangelische Pfarrer Otto Leiser machte damals heimlich die

nachfolgenden Aufnahmen von der Deportation in Bretten. Er war Angehöriger der

Bekennenden Kirche Badens, die sich gegen nationalsozialistische Eingriffe in die Kirche und

gegen das unchristliche Menschenbild des Nationalsozialismus wandte. Wäre Otto Leiser

damals beim Fotografieren entdeckt worden, hätte ihm Gefängnis oder KZ gedroht.


Sofie Erlebacher, Julius und Irma Erlebacher mit ihrem fünfjährigen Kind Albert. Albert gelang

mit Hilfe des jüdischen Kinderhilfswerk O.S.E. 1943 die Flucht in die USA. Seine Eltern und

Großtante Sofie wurden in Auschwitz ermordet.


Johanna Koppel, geb. Kramer, gelang es mit Hilfe ihrer in Frankreich lebenden Kinder am 5.

April 1941 aus dem Außenlager Noé frei zu kommen. Bis zur Befreiung Frankreichs lebte sie

mit Teilen ihrer Familie im Untergrund und emigrierte 1948 in die USA.


Die Eheleute Jakob und Berta Veis vor dem Melanchthonhaus. Von Gurs aus kamen sie am

24. August 1942 über Drancy nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden.


Mathilde Erlebacher beim Einsteigen in einen der LKW vor dem Rathaus. Ihr Mann Gustav

Erlebacher steht auf der Laderampe des LKW mit einem Paket in der Hand. Mathilde Erlebacher

überlebte die Deportation, ihr Mann Gustav starb in Gurs.


Die Enteignung der jüdischen Bevölkerung

Mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung ging ihrer völlige Beraubung einher. Bereits

seit 1937 war die wirtschaftliche Verdrängung der deutschen Juden das zentrale Thema der

deutschen Judenpolitik. Eine Vielzahl ab 1938 erlassener Verordnungen diente dazu, Tausenden

von jüdischen Gewerbebetrieben und Handwerkern die berufliche und damit materielle

Existenz zu entziehen. Ab dem 1. Januar 1939 durften Juden keine Einzelhandelsgeschäfte

und kein Handwerk mehr betreiben, was das wirtschaftliche Ende der letzten fünf

von ehemals ca. 50 jüdischen Betrieben in Bretten bedeutete.

Bereits einen Tag nach der Deportation erklärte Gauleiter Robert Wagner, dass der jüdische

Besitz und das Vermögen für das Land beschlagnahmt seien. Unmittelbar nach der Deportation

kam es in Bretten zu einer spontanen Plünderung. Am helllichten Tag stiegen damals

Leute mit einer Leiter in das Anwesen der deportierten Familie Veis in der Melanchthonstraße

80 ein, um zu plündern, noch bevor die öffentliche Versteigerung begann.

Nach der Deportation: Plünderung in der Melanchthonstraße 80. Wer erkennt die Personen wieder?

Die Versteigerungen wurden in der Presse angekündigt. Der Verkauf des Hausrates weit

unter seinem tatsächlichen Wert bot für Viele einen großen Anreiz. Besonders groß war der

Andrang um die frei gewordenen Wohnungen und Häuser.

Ankündigung im Brettener Tagblatt

Menschenansammlung vor der Versteigerung


Die Fahrt nach Gurs – 1316 km, 3 Tage, 4 Nächte

In Lastwagen wurden die Juden

von Bretten nach Karlsruhe an einen

Sammelplatz gebracht. Erst am

späten Abend wurden sie gezwungen

in geschlossene Viehwaggons

zu steigen. Die Züge waren überfüllt,

den Menschen fehlten Nahrungsmittel,

ihre Notdurft mussten

sie auf engstem Raum im Beisein

der Mitfahrenden verrichten. In

sieben Eisenbahnzügen aus Baden

und insgesamt zwei aus der Pfalz

und dem Saarland setzte sich am späten Abend die Eisenbahnkolonne in Bewegung.

Notdürftig ausgestattet mit Gepäck, Bargeld und Proviant für ein paar Tage, begannen die

Verschleppten damit ihr Essen zu tauschen. Erleichterung machte sich breit, als sich herausstellte,

dass der Zug in den Westen und nicht in den Osten fuhr. Am Bahnhof von Mühlhausen

(Elsass) war der Sammelpunkt für die Deportationszüge. Auf Anweisung der mitfahrenden

Gestapobeamten und SS-Männer musste hier das mitgebrachte Geld, 100 RM, in französische

Francs gewechselt werden. In Chalon-sur-Saône, der ersten Station an der Grenze zum

unbesetzten Teil Frankreichs, wurden die Züge an das französische Bahnpersonal übergeben,

das den unangekündigten Personentransport zunächst nicht übernehmen wollte.

Doch die Deutschen machten Druck: Unter der persönlichen Leitung des anwesenden SS-

Obersturmbannführers Adolf Eichmann, des damaligen Leiters des Referats IV D 4 (Räumungsangelegenheiten

und Reichszentrale für jüdische Auswanderung) beim Reichssicherheitshauptamt

(RSHA) gaben die französischen Grenzbehörden nach und leiteten den Zug

weiter Richtung Atlantik. Über Lyon, Avignon und Toulouse gelangten die Vertriebenen

nach insgesamt drei Tagen und vier Nächten Zugfahrt an ihr Ziel. Am Fuße der Pyrenäen in

Oloron-Sainte-Marie, wo sie auf Lastwagen verladen wurden, erreichten sie das französische

Internierungslager GURS am 25. Oktober 1940.


Le Camp de Gurs – Das Lager Gurs

Das Lager Gurs, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Signatur: EA 99/001 Bü 304 Nr. 1

Das Lager Gurs war von der französischen

Regierung bereits 1939

zur Aufnahme geflüchteter Spanienkämpfer

und französischer

Kommunisten errichtet worden.

Unter dem Vichy-Regime war es

das größte Internierungslager von

insgesamt rund 100 weiteren innerhalb

der unbesetzten Zone Frankreichs.

Es befand sich am Fuße der

Pyrenäen südlich von Pau, etwa 50

km von der spanischen Grenze entfernt.

Das Lager bestand aus 13 sogenannten „Îlots“ (frz. „Inselchen“). Hierbei handelte es sich um

eingezäunte und bewachte Bereiche mit 25 Baracken für jeweils bis zu 60 Personen. Die primitiven

Holzhütten hatten weder Einrichtung noch Fenster, nur Klappen aus Holz. Waren

die Klappen geschlossen, war es dunkel, waren sie offen, kam u.a. Regen herein. Im Sommer

herrschte sengende Hitze, im Winter klirrende Kälte.

Die fast 2 km lange Lagerstraße war der einzige befestigte

Weg. Er teilte das Areal in zwei Hälften. Der ton- und

lehmhaltige Boden verwandelte sich in der gewitterreichen

Gegend in Sumpf. Für Alte und Kranke war es ein

Martyrium, die Latrinen bei Sturm und Regen in der

Nacht zu erreichen. Der älteste Deportierte war 98 Jahre

alt.

Auf die unvermittelte Aufnahme der 6504 badischen und

saarpfälzischen Juden am 25. Oktober 1940 war die Infrastruktur

des Lagers Gurs nicht eingerichtet. Innerhalb

kürzester Zeit stieg die Zahl der Internierten sprunghaft

an, so dass die neu Angekommenen auf nacktem, verdrecktem

Boden schlafen mussten. Nach einigen Tagen

stand Stroh zur Verfügung. Männer und Frauen wurden

getrennt, Ehepaare und Familien auseinandergerissen.

Kinder bis zu 12 Jahren durften bei ihren Müttern bleiben.

Frau im Morast im Lager Gurs,

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Signatur: EA 99/001 Bü 304 Nr. 12


Lageralltag und Lagerbedingungen in Gurs

Warten bei der Essensausgabe,

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Signatur: EA 99/001 Bü 304 Nr. 13

Bei der Ankunft der badischen Juden waren die Reglements

im Lager sehr streng. Die Internierten durften

sich zwar innerhalb der Îlots bewegen, aber diese

nicht verlassen. Die Kommunikation mit Angehörigen

und Bekannten aus anderen Îlots war äußerst

schwierig. Erst nach einiger Zeit wurde diese Regelungen

gelockert und Besuche zugelassen. Im November

1940 befanden sich nach einer Statistik des

Lagerdirektors mehr als 12.000 Internierte in Gurs,

davon mehr als 9400 deutsche und italienische Männer,

Frauen und Kinder, zu denen auch die deportierten

deutschen Juden zählten. Infolge der unhaltbaren

Zustände war die Sterberate im Winter 1940/41

sehr hoch. Zeitweilig starben zwischen 15-20 Menschen

an einem Tag.

Leo Breuer „Camp der Gurs 1941“, Stadtarchiv Karlsruhe

Signatur PBS oVI 460

Im Laufe des Jahres 1941 besserten

sich die Verhältnisse in Gurs leicht,

nachdem eine Reihe von jüdischen,

christlichen und nicht-konfessionellen

Hilfsorganisationen ihre Unterstützung

angeboten hatten. Ein Teil

der Internierten wurde in andere

Lager verlegt. Familien mit Kindern

kamen in das Familienlager Rivesaltes,

kranke und ältere Menschen in

die Lager Noé und Récébédou. Nach

einiger Zeit wurde in jedem Îlot eine

sogenannte „Kulturbaracke“ eingerichtet,

in der die Internierten kulturelle Veranstaltungen, wie zum Beispiel Theateraufführungen

und Konzerte, organisierten. Diese Aktivitäten boten Ablenkung von Hunger, Kälte,

Isolation und Tod. Auch betätigten sich viele künstlerisch mit der Herstellung praktischer

Gegenstände für den Lageralltag oder hielten ihre Eindrücke in Bildern fest. Die Kommunikation

mit der Außenwelt war angesichts der Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal für

viele Internierte überlebenswichtig. Sie durften Postkarten, Briefe und Telegramme schicken,

für die oft nur eine bestimmte Wortanzahl erlaubt war.


Deportation in die Vernichtungslager

Zwei Monate nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942, begannen die Deportationen von

Juden aus Frankreich in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten. Der Leiter des

Judenreferats der Gestapo in Frankreich, Theo Danneker, fuhr persönlich in das Lager Gurs

und stellte die ersten Transportlisten zusammen.

Am 6. August verließ der erste Transport das Lager Gurs mit „unbekanntem Ziel“. Das Lager

wurde dafür von der französischen Polizei umstellt. Ihr Erscheinen löste eine Selbstmordwelle

unter den Internierten aus. Menschen, die beim Abtransport fehlten, wurden erbarmungslos

mit Hunden gesucht. Frauen und Männer wurden getrennt abtransportiert,

Ehepartner und Familienangehörige ohne Rücksicht auseinandergerissen.

Die Route nach Bretten-Gurs-Drancy-Auschwitz Sammellager Drancy 1941: Quelle Bundesarchiv B 183 10919

Die im Lager tätigen Hilfsorganisationen versuchten zu intervenieren, wo es möglich war.

Die Transporte gingen über das Sammellager Drancy, bei Paris, in die Vernichtungslager.

Insgesamt wurden 3907 Menschen aus dem Lager Gurs deportiert, die meisten von ihnen

waren Juden.

Im Rückblick ist die Deportation der mehr als 6500 badischen und saarpfälzischen Juden

nach Gurs als Vorstufe zu den Deportationen in die Vernichtungslager ab 1941 zu sehen. Die

Überlebenschancen der nach Südfrankreich Verschleppten waren indes wesentlich größer.

Einem Teil der Deportierten, die im Besitz von Auswanderungspapieren waren, gelang es

bis zum Sommer 1942 legal auszuwandern, allerdings nur in solche Länder, die nicht oder

noch nicht in den Krieg eingetreten waren. Anderen gelang es, mit Hilfe von Widerstandsgruppen

und Hilfsorganisationen aus den Lagern zu fliehen und im Untergrund die Verfolgungszeit

zu überleben. Schätzungsweise knapp ein Drittel der 1940 in das Lager Gurs deportierten

Badener und Pfälzer Juden überlebte so den Zweiten Weltkrieg.

Von den achtzehn Deportierten aus Bretten, überlebten fünf das Lager Gurs. Zwei von ihnen

starben in Gurs und wurden dort beerdigt, zwei Deportierte starben im Krankenhaus in Pau.

Neun Menschen wurden im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.


Einzelschicksale von Deportierten aus Bretten

Berta und Jakob Veis (*1898 *1892) – Melanchthonstraße 80

Berta Veis wurde am 6. April

1898 in Grosszimmern geboren

und war die Ehefrau des

Kaufmanns Jakob Veis. Zusammen

mit ihrem blinden

Ehemann wurde sie am 22.

Oktober 1940 von Bretten

nach Gurs deportiert. Ihr einziges

Kind Bruno konnten sie

bereits zwei Jahre zuvor mit

einem Kindertransport über England in die USA in Sicherheit

bringen. Alle Versuche, seine Eltern in die USA nachzuholen,

blieben vergeblich.

In einem Schreiben an den Lagerkommandanten

vom 15. Februar 1941 bat Berta Veis um

ihre Freilassung zur Ausreise in die USA. Die

notwendigen Papiere zur Ausreise sowie eine

Bescheinigung der amerikanischen Botschaft

von Marseille lagen vor, Bürgen und Geld für

die Überfahrt waren vorhanden.

Doch es kam alles zu spät: Berta und Jakob Veis

wurden mit dem dritten Transport am 24. August

1942 von Gurs über Drancy nach

Auschwitz gebracht, wo sie ermordet wurden.

Einen Tag vor ihrer Abfahrt schrieben sie noch

eine letzte Postkarte an ihren Sohn Bruno in die

USA:

„23. 8. 42 Unser innigst geliebter Bruno! Und unsere

Lieben alle! Hoffe Euch im Besitze unseres Telegramms

und senden Euch noch kurz vor unserer

Abreise ein recht herzliches Lebe Wohl zu…“


Einzelschicksale von Deportierten aus Bretten

Johanna Koppel (*1875) – Weißhofer Straße 42

Johanna Koppel, geborene Kramer, war mit dem Brettener Viehhändler

und Synagogenrat Joseph Koppel verheiratet. Aufgrund ihres resoluten

Wesens von den Kindern ihrer verstorbenen Schwester liebevoll „Tante

Hans“ genannt, zählte sie und ihre Familie zu den angesehenen und zugleich

wohlhabenden jüdischen Familien Brettens.

Bereits im Frühjahr 1940 war ihr Ehemann an den Folgen eines Herzleidens

im Krankenhaus in Karlsruhe verstorben. Drei ihrer Kinder waren

zuvor schon nach Frankreich ausgewandert. Johanna Koppel war eine

der Wenigen aus Bretten, welche die Deportation überlebten. Als ihr Zug

auf dem Weg nach Gurs am Bahnhof von Toulouse einen längeren Halt

machte, hielt sich ihr Sohn Rudolf zufällig dort auf. Als er auf die Viehwaggons,

voll mit Menschen, in denen Deutsch gesprochen wurde, aufmerksam wurde, trat

er näher und fragte: „Woher kommt ihr?“, „Aus Baden“, „sind auch Laute aus Bretten dabei?“

So fragte er sich durch und fand, wie durch ein Wunder, seine Mutter in einem der Viehwaggons,

die ihm dann mitteilte, dass sie in ein „Vichy-Camp bei Gurs“ kämen. Daraufhin setzte

er alle Hebel in Bewegung, seine Mutter zu befreien. Mit Hilfe seines Cousins Herbert, einem

hohen Offizier in der Fremdenlegion, und mittels einer enormen Geldsumme, sollte dieser

Coup ein halbes Jahr später gelingen: Herbert schickte ein Telegramm aus Marokko an die

zuständigen Behörden und pochte auf ihre sofortige Freilassung. Rudolf und seine Schwester

Gertrud zahlten für die Freilassung der Mutter ein „Lösegeld“ von rund 50.000 Francs. Johanna

Koppel wurde daraufhin am 5. April 1941 aus dem Außenlager Noé freigelassen und

tauchte mit Teilen ihrer Familie in Frankreich unter, bis sie schließlich 1948 von Paris aus in

die USA zu ihrem Sohn Rudolf auswandern konnte.

Johanna Koppel (2. von rechts), genannt „Tante Hans“, im Garten in der Weißhofer Str. 42 in Bretten um 1925.

Joseph (1. von links) und Isidor Koppel (1. von rechts) waren Brüder und unterhielten in Bretten das drittgrößte

Vieh- und Pferdehandelsunternehmen Südwestdeutschlands.


Einzelschicksale von Deportierten aus Bretten

Irma, Julius und Albert

Erlebacher (*1902 *1888 *1935) – Melanchthonstraße 49

Die Familie Irma, Julius und

Albert Erlebacher lebte in

Bretten in der Melanchthonstraße

49. Nach ihrer Deportation

nach Gurs wurden sie

alle am 10.03.1941 in das Lager

Rivesaltes bei Perpignan

verlegt, das auf die Internierung

von Familien ausgelegt

war. Julius und Irma ließen

ihr Kind „los“ und übergaben

ihren Sohn dem jüdischen

Kinderhilfswerk O.S.E., das 1943

seine Flucht in die Schweiz organisierte.

Kurz nach Kriegsende wanderte er zu seinem Bruder Günther in die USA aus, der

schon seit 1937 dort lebte. Albert Erlebacher studierte und wurde Professor in Chicago. Seine

Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Mit dabei war auch Sofie Erlebacher (*1868 im Bild

ganz links mit der hellen Tasche), die Tante von Julius. Sie blieb in Gurs und wurde in

Auschwitz ermordet.

Albert Erlebacher (links) mit

Spielkameraden in Bretten

Louis Ettlinger (*1873) – Zähringerstraße 3

Louis Ettlinger war Wirt vom Gasthaus „Zur Blume“ am Marktplatz 5, das seit 1864 bis zur

„Arisierung“ in Familienbesitz war. Als einzige jüdische Gastwirtschaft in Bretten betrieb er

zudem eine „Wurstlerei“, die koschere Wurstwaren deutschlandweit verschickte. Louis Ettlinger

war nicht nur in Gurs, sondern auch in weiteren französischen Arbeitslagern. Trotzdem

gelang es ihm, 1946 zu seiner Tochter Ruth nach Buenos Aires in Argentinien auszuwandern.

Johanna Heli (*1891) – Zähringerstraße 3

Johanna Heli stammte aus Vallendar (Rheinland-Pfalz) und arbeitete als Haushälterin bei

Louis Ettlinger am Marktplatz 5. Nach der Arisierung des Gasthauses „Zur Blume“ zog sie

mit Louis und Jettchen, der kranken Frau Ettlinger, am 1. September 1937 in die Zähringerstraße

um. Sie kam von Gurs nach Rivesaltes und wurde in Auschwitz ermordet.


Einzelschicksale von Deportierten aus Bretten

Lina Federer (*1881) – Promenadenweg 15

Lina Federer arbeitete bis zur Zerstörung der Brettener

Synagoge am 10. November 1938 als Synagogendienerin. Als

sie am 22. Oktober 1940 von der Polizei abgeholt wurde, soll

sie geschrien haben: „Hilft mir denn niemand?“. Ihr letztes

Lebenszeichen waren Glückwünsche zum Geburtstag

vom 14. September 1941- an ihre Brettener Nachbarin Ruth

Firnkäs. Dafür verwendete sie genau 25 Wörter, wie es auf

den vorgedruckten Briefen des Roten Kreuzes in Gurs

erlaubt war. Auch sie wurde über Drancy nach

Auschwitz verschleppt, wo sie ermordet wurde.

Chil Ignatz Helbarth, (*1866)

Lina und Meta Schmulewitz (*1891, *1918) – Weißhofer Straße 96

Chil Ignatz Helbarth stammte aus Polen und kam im Februar 1940 von Konstanz zur Familie

seiner Tochter Lina Schmulewitz nach Bretten. Als „polnischer Jude“ zählte er zu den

staatenlosen Ausländern. Zusammen mit seiner Tochter und Enkelin Meta wurde er nach

Gurs deportiert. Dort muss er sehr krank geworden sein, denn er wurde ins 47 km entfernte

Krankenhaus in Pau gebracht, wo er am 29. September 1941 starb. An der Beerdigung in Pau

konnten seine Tochter Lina und Enkelin Meta mit einer Sondergenehmigung von Gurs

teilnehmen. Lina und Meta Schmulewitz wurden in Auschwitz ermordet.

Isak und Pauline Wertheimer (*1867, *1877) – Melanchthonstraße 70

Isak und Pauline Wertheimer führten in Bretten ein

Manufakturwaren-Geschäft, das sich an der Ecke Hirsch-

/Melanchthonstraße 70 befand. Dieses hatten sie schon

frühzeitig ihrem Schwiegersohn Fritz Michelson

überlassen. Isak Wertheimer starb am 19.06.1941 in Gurs,

sein Grabstein steht auf dem Deportiertenfriedhof. Seine

Frau Pauline starb wenige Wochen vor ihm, am 30. April

1941, im Krankenhaus Pau. Wo sie beerdigt wurde, ist

nicht bekannt.


Einzelschicksale von Deportierten aus Bretten

Gustav und Mathilde Erlebacher (*1869 *1865) - Melanchthonstraße 80

Gustav und Mathilde Erlebacher kamen

ebenfalls am 25. Oktober von Bretten

über Karlsruhe in Gurs an. Auch sie

unternahmen alles, um von dort in die

USA ausreisen zu können und hatten

bereits alle erforderlichen Papiere und

Visa zusammen. Dann starb Gustav

Erlebacher am 13. Juli 1941 in Gurs.

Seine Frau Mathilde überlebte und

war nachweislich spätestens ab 1943

in verschiedenen französischen

Krankenhäusern gemeldet, bis sie

schließlich untertauchen konnte.

1946 reiste sie zu ihrem Sohn Julius

nach Jersey in die USA, wo sie im hohen

Alter von über 100 Jahren 1969 starb.

Regine Wertheimer (*1891) – Pforzheimer Straße 31

Regine Wertheimer wurde

am 28. Oktober 1891 in Bretten

geboren und litt seit ihrer

Kindheit unter Kinderlähmung

und war seitdem

auf eine Gehhilfe angewiesen.

1941 wurde sie von

Gurs nach Noé verlegt. Von

dort aus schrieb sie am 10.

März 1941 an das Standesamt

Bretten: „Ich bitte das

Standesamt höflich mir folgende

Papiere in doppelter Ausfertigung zwecks Auswanderung auszufertigen

und dieselben an die Jüdische Flüchtlingshilfe Basel

zu senden“. Trotz ihrer Behinderung gelang es ihr zu

überleben und auszuwandern.


Erinnerung und Gedenken an die Deportation

1. Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Pflege des Deportiertenfriedhofs in Gurs

Im Jahr 1957 ergriff der Karlsruher Oberbürgermeister Günther

Klotz nach der Veröffentlichung eines Zeitungsberichts über

den Verfall des Friedhofs die Initiative zu dessen Instandsetzung

und Pflege. Unterstützt wurde er vom Oberrat der Israelitischen

Religionsgemeinschaft Baden (IRG-Baden). Die badischen

Städte, Gemeinden und Kreise, aus denen jüdische

Bürger nach Gurs deportiert und dort begraben wurden, brachten

durch eine Umlage die Gesamtkosten für die Neugestaltung

auf. Der Friedhof, den die Gemeinde Gurs dem Oberrat für 99 Jahre

verpachtet hatte, wurde am 26. März 1963 feierlich eingeweiht.

Mittlerweile sind es 17 badische Städte und Gemeinden sowie der

Bezirksverband Rheinland-Pfalz, die dieser Arbeitsgemeinschaft

beigetreten sind und auch den notwendigen finanziellen Beitrag für

den Erhalt aufbringen. Auf Antrag der damaligen Stadträtin

Enthüllung der Gedenkplatte

1963, Günther Klotz 2.v.r.

Heidemarie Leins wurde die Stadt Bretten 2016 Mitglied. Seither sind Vertreter der Stadt

und Schüler zur jährlichen Gedenkveranstaltung in Gurs, die gemeinsam von der AG-Gurs

und der IRG-Baden veranstaltet wird. Für die Teilnehmer ist ein bleibendes, anrührendes

Erlebnis, den Friedhof zu sehen und über das ehemalige Lagergelände zu gehen und

überlebenden Zeitzeugen zu zuhören. Gemäß einem traditionellen jüdischen Brauch werden

bei dieser Gelegenheit auch kleine Steine aus der Heimat Bretten auf die Grabsteine der

ehemaligen Mitbürger gelegt.


2. Kontaktpflege mit den ehemaligen jüdischen Bürgern und ihren Nachfahren

Seit Jahrzehnten pflegt die Stadt Kontakte zu ehemaligen jüdischen Mitbürgern und ihren

Nachfahren. Bis heute besuchen die Nachfahren ehemaliger Mitbürger die

Melanchthonstadt, um sich auf die Spuren ihrer Vorfahren zu begeben. Gemeinsam mit

Heidemarie Leins, die seit vielen Jahren diese Kontakte ehrenamtlich pflegt, ergründen die

Besucher, wie ihre Familien hier früher gelebt haben. Durch diese Begegnungen sind

inzwischen freundschaftliche Kontakte zum Beispiel zu den Familien Veis, Koppel,

Bodenheimer und Wertheimer nach Großbritannien, USA, Australien, Israel und

Südamerika entstanden. Allen Besuchern ist es jedes Mal eine große Freude, wenn sie bei

ihrem Besuch in Bretten vom Oberbürgermeister empfangen werden und noch Zeit bleibt für

einen Besuch im Stadtarchiv und auf dem jüdischen Friedhof.

Siegfried Herrmann und Beate Wallheimer, geb.

Herrmann, zu Besuch in Bretten 1986

3. Denkmalpflege

Familie Pereles-Veis in Bretten anlässlich der

Stolpersteinverlegung für Bruno Veis 2017

Im Stadtpark „Alter Friedhof“ stehen eine Tafel mit 18

Namen und dahinter eine große Skulptur. Skulptur

und Tafel ergeben ein Ganzes. Die jüdische Gemeinde

in Bretten war ein Teil eines Ganzen, und durch die

Deportation ist das Ganze auseinandergebrochen.

Diesem Thema stellte sich der Künstler Karl Vollmer

und schuf 2001 das Denkmal mit dem Titel „das

gebrochene Rad – Gurs“. Die Skulptur soll beim

Vorbeigehen die Menschen an die Deportation der

letzten in Bretten lebenden Juden erinnern.


4. Stolpersteinprojekt des Melanchthon-Gymnasiums (2004-2020)

Das Projekt „Stolpersteine“ wurde 2003 vom

Kölner Künstler Gunter Demnig ins Leben

gerufen. Ein Stein soll an einen Menschen

erinnern, der unter der Nazi-Herrschaft

ausgegrenzt, verfolgt oder ermordet wurde. In

Gedenken an die Brettener Opfer des

Nationalsozialismus wurden am 18. November

2004 von den Geschichtskursen des Melanchthon-

Gymnasiums die ersten zwölf „Stolpersteine“

verlegt, um auf den Gehwegen vor den letzten

frei gewählten Wohnsitzen an das Leben und ihr

Schicksal zu erinnern. Hierbei recherchierten

Schülerinnen und Schüler die Biographien der

verfolgten und deportierten Juden in Bretten anhand von Literatur, Zeitzeugengesprächen und

Besuchen im Stadtarchiv Bretten und im Generallandesarchiv Karlsruhe. Neben den Biografien der

achtzehn Deportierten aus Bretten wurden damals die Lebensdaten und Schicksale von fünf

weiteren jüdischen Opfern von Schülerinnen und Schülern intensiv recherchiert. Unter der Leitung

der Geschichtslehrer Dirk Lundberg und Volker Adam sind somit in den vergangenen 16 Jahren

mittlerweile 34 Stolpersteine in Bretten verlegt worden.

5. Mahnmal-Projekt des Edith-Stein-Gymnasiums (2005-2007)

Zum 65. Jahrestag der Deportation der badischen Juden und Jüdinnen nach Gurs wurde auf dem

Tagungsgelände der Evangelischen Jugend in Neckarzimmern ein Mahnmal in Form eines

Davidsterns der Öffentlichkeit übergeben. In Bretten wurde dieses ökumenische Projekt vom Edith-

Stein-Gymnasium und der Max-Planck-Realschule 2004/05 aufgegriffen. Begleitet von der

Geschichtslehrerin Eva Obbarius und der

Künstlerin Rosemarie Vollmer schufen die

Schüler und Schülerinnen einen gegossenen

Betonquader, der symbolisch mit seiner grauen

Farbe auf die Massenabfertigung,

Massenvernichtung hinweist. Die Zahl 18 steht

für die 18 Brettener Bürger, die am 22.10.1940

deportiert wurden. Im Jahr 2007 ergänzte die

gleiche Arbeitsgruppe das Mahnmal mit einer

Tafel mit Schienen von Bretten nach Gurs, die

nicht gerade liegen, versehen mit 18

Bahnschwellen, jede mit einem Namen. Neben

den Schwellen liegt eine tote Taube mit einer

Träne am Auge.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!