DKV - Chronik des Karate
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28<br />
Länder<br />
Stern in Silber für GKV Lotus Eppertshausen<br />
Neue Perspektiven für Flüchtlingskinder Katharina Iskandar<br />
“Egal, woher, in der Halle sind alle gleich”<br />
EPPERTSHAUSEN. Wenn Arshad<br />
Dehqazadah in der Halle steht, den grünen<br />
Gürtel fest um seine Hüften gezurrt, kann er<br />
sie endlich vergessen. Die Bilder, die ihn<br />
noch vor sechs Jahren verfolgt haben, als er<br />
mit seinen Eltern als afghanischer Flüchtling<br />
nach Deutschland kam. Eine Zeit, die der<br />
dreizehn Jahre alte Sportler noch immer mit<br />
Begriffen wie “Fremde” oder “Einsamkeit”<br />
beschreibt. Still ist der schmale, hochgewächsene<br />
Junge, obwohl er Deutsch mittlerweile<br />
fast so gut beherrscht wie seine<br />
Muttersprache. Wenn er aber doch erzählt,<br />
dann davon, daß er in Taekwondo irgendwann<br />
einmal bei den Olympischen Spielen<br />
kämpfen will - für Deutschland. Vor einem<br />
Jahr hörte Arshad Dehqazadah von dem<br />
Verein, der bei der Flüchtlingshilfe<br />
Rödermark unter dem Namen “Gesundheitsund<br />
Kampfsportverein Lotus Eppertshausen<br />
e. V.” um Mitglieder warb und im<br />
Gemeindehaus der evangelischen Kirche in<br />
Urberach Training für Flüchtlingskinder<br />
anbot. Vereinsbeiträge würden erlassen,<br />
hieß, es. Und auch die rund 35 Euro teuren<br />
Anzüge werden vom Verein gekauft.<br />
Dreimal in der Woche mit anderen Jugendlichen<br />
zu trainieren war “cooler, als nach<br />
der Schule durch Urberach zu ziehen und<br />
den Rest <strong>des</strong> Tages in der Wohnung der<br />
Familie zu verbringen”, erinnert sich<br />
Arshad. Schließlich wohnt er in einer<br />
Siedlung, in der fast nur Familien leben, die<br />
wegen Krieg oder Unruhen ihre Heimat verlassen<br />
mußten. Kontakt zu deutschen<br />
Kindern bekam er erst durch den Verein.<br />
Der Sport ist zum Lebensinhalt geworden.<br />
Wenn er nachmittags in seinem reinlich<br />
gepflegten Anzug in der” “Halle” steht, wie<br />
die Kinder das Gemeindehaus nennen,<br />
dann ist er wohl nicht der einzige, der durch<br />
den Sport der Vergangenheit entfliehen<br />
kann, als würden all die grausamen Bilder,<br />
die sich in den Köpfen der Kinder festgesetzt<br />
haben, mit Fausthieben, Tritten und<br />
Drehungen abgeschüttelt.<br />
“In einer fremden Welt muß man Wege finden,<br />
um in der Zukunft zurechtzukommen”,<br />
sagt Ernes Erko Kalac. Der gebürtige<br />
Jugoslawe hat den Verein vor drei Jahren<br />
gegründet und ist deren erster Vorsitzender,<br />
obwohl er gleichzeitig noch Nationaltrainer<br />
der <strong>Karate</strong>-Nationalmannschaft von Serbien<br />
und Montenegro ist und als Sportlehrer in<br />
einer Behindertenschule arbeitet. Integration,<br />
sagt er, sei für ihn ein “Zauberwort”, weil<br />
sich gerade im Sport die Herausforderung<br />
bietet, unterschiedliche Nationalitäten zu<br />
vereinen. “Immer wieder wird über<br />
Integration gesprochen. Das Ziel aber doch<br />
ist es; geeignete Modelle zu finden.” Kalac,<br />
hat eines gefunden, das sich bewährt. Von<br />
Anfang an bekam er Unterstützung von der<br />
Sportjugend Hessen und dem Deutschen<br />
Sportbund (DSB). Erst am Samstag verlieh<br />
der DSB dem Verein bei seinem jährlichen<br />
Nikolaus-Cup die. Auszeichnung “Stern in<br />
Silber”.<br />
Die Idee für die Integration der Urberacher<br />
Flüchtlingskinder kam Kalac 2003. Kurz<br />
nach der Vereinsgründung habe der,<br />
Jugoslawe einen befreundeten Sportler<br />
unterstützt, der sich mit kriminellen<br />
Geschäften sein Leben finanzierte. ;,Das hat<br />
mir die Augen geöffnet”, sagt Kalac, der in<br />
seiner aktiven Zeit als Sportler jeweils den<br />
dritten Platz bei der Europameisterschaft<br />
1987 .und bei der Weltmeisterschaft 1988<br />
im <strong>Karate</strong> errang, außerdem 1991 noch den<br />
Weltcup im Kickboxen gewann. “Ich dachte,<br />
wenn ich ihm helfen konnte, dann doch<br />
Der Lotus Eppertshausen bietet<br />
Flüchtlingskindern ein Stück Normalität<br />
(15.09.2005) - Gut die Hälfte der Kinder<br />
und Jugendlichen in den <strong>Karate</strong>kursen <strong>des</strong><br />
GKV Lotus Eppertshausen sind ausländischer<br />
Herkunft und stammen aus dem<br />
Flüchtlingswohnheim der Stadt. Neben<br />
sozialer Integration bieten die Sportangebote<br />
<strong>des</strong> Vereins den jungen Teilnehmern<br />
auch die Möglichkeit, ihre oftmals traumatischen<br />
Einwanderungssituationen zu verarbeiten.<br />
Die Volksbank eG Eppertshausen<br />
zeichnete den Verein für sein erfolgreiches<br />
Engagement nun mit dem “Großen Stern <strong>des</strong><br />
Sports” in Bronze aus. Das Trainingszentrum<br />
<strong>des</strong> Gesundheits- und Kampfsportvereins<br />
Lotus Eppertshausen befindet sich in einem<br />
evangelischen Gemeindehaus. Hier treffen<br />
sich regelmäßig mehr als 50 begeisterte<br />
Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen<br />
Training. Etwa 20 der jungen Teilnehmer<br />
sind deutscher Herkunft, die weiteren 30<br />
kommen aus dem Flüchtlingswohnheim.<br />
Mit großem Erfolg gelingt es dem Verein in<br />
Kooperation mit der Flüchtlingshilfe Rödermark<br />
e.V., der evangelischen Kirche Urberach<br />
sowie dem Programm “Integration<br />
durch Sport” der Sportjugend Hessen sogar,<br />
eine Vielzahl von Flüchtlingskinder aus dem<br />
islamischen Kulturkreis für das Training im<br />
evangelischen Gemeindehaus zu gewinnen.<br />
Inzwischen haben sich auch einige Kontakte<br />
zwischen den Flüchtlingskindern und<br />
den jugendlichen Mitgliedern der Kirchengemeinde<br />
ergeben, die sich öfter zu den<br />
gemeinsamen Tischtennisspielen treffen.<br />
Zudem zeigt sich die große Beliebtheit <strong>des</strong><br />
Angebots auch darin, dass sich viele der<br />
Teilnehmer schon lange vor Trainingsbeginn<br />
bereits vor der Halle treffen. Sport für ein<br />
Stück Normalität im Leben Ziel der Kurse<br />
ist, das Selbstbewusstsein der Jugendlichen<br />
zu steigern und ihre körperliche Fitness zu<br />
steigern.<br />
Hessen<br />
auch allen anderen, die durch die<br />
Lebensumstände als Flüchtling keine<br />
Perspektive sehen.” Durch die Einbindung<br />
in den Verein wolle er es den Kindern einfacher<br />
machen, sich zurechtzufinden.<br />
“Einfacher jedenfalls, als ich es selbst gehabt<br />
habe”, sagt der, 41 Jahre alte Athlet, der vor<br />
sieben Jahren nach Deutschland kam und<br />
trotz Unterstützung <strong>des</strong> Deutschen <strong>Karate</strong><br />
Verbands lange gebraucht hat, um sein<br />
Leben jenseits <strong>des</strong> Spitzensports in der<br />
neuen “Heimat zu arrangieren. Im Sport,<br />
sagt er, setze er auf Gleichheit. Es sei<br />
schwierig genug, den Kindern zu vermitteln,<br />
warum die deutschen nach dem Training<br />
von ihrem Vater im Merce<strong>des</strong> abgeholt werden<br />
und die ausländischen Kinder mit dem<br />
Fahrrad oder gar zu Fuß. “Das ist ungerecht,<br />
aber kein Grund, Neid oder Verzweiflung<br />
zuzulassen.” In der Halle jedenfalls seien<br />
alle gleich. “Egal, aus welchem land, alle<br />
stehen in einem weißen Anzug vor mir und<br />
müssen denselben Regeln folgen. Das ist<br />
doch schon ein guter Ansatz.” Kalac ist zum<br />
Vorbild für die Kinder geworden - für die<br />
ausländischen wie auch die 'deutschen.<br />
“Wahrscheinlich sehen sie in mir ein<br />
Beispiel dafür, daß man mit Fleiß und<br />
Disziplin weiterkommt, egal in welchem<br />
Land”, meint der Jugoslawe. “Wenn die<br />
Kinder merken, daß sie ernst genommen<br />
werden, horchen sie auf.” Auch Arshad<br />
Dehqazadah hat in Ernes Erko Kalac einen<br />
Zuhörer gefunden. Oft erzähle er ihm von<br />
seinem Wunsch; irgendwann einmal groß'<br />
rauszukommen und bei internationalen<br />
Wettkämpfen dabeizusein. “Am Anfang sind<br />
es nur Träume”, sagt Kalac. “Aber den gleichen<br />
Traum hatte ich auch, und er hat sich<br />
erfüllt. Warum also sollte es bei den Kindern<br />
in Urberach anders sein?”<br />
Die Kinder und Jugendlichen der Flüchtlingswohnheime<br />
leben in der Regel in sehr beengten<br />
Verhältnissen und haben kaum<br />
finanzielle Mittel. Kulturelle Hürden und<br />
auch eine oftmals traumatisch erlebte<br />
Einwanderungssituation kennzeichnen ihr<br />
Leben. Der Sport bietet ihnen ein Stück<br />
Normalität und die Möglichkeit zu<br />
Kontakten mit einheimischen Jugendlichen.<br />
Um die Barrieren so gering wie möglich zu<br />
gestalten, sind die Bewohner <strong>des</strong> Flüchtlingswohnheims<br />
von der Zahlung eines Mitgliedsbeitrages<br />
befreit. Dennoch werden sie<br />
als reguläre Mitglieder <strong>des</strong> Vereins geführt<br />
und haben auch die üblichen Rechte aller<br />
anderen Vereinsmitglieder. Gemeinsam mit<br />
einem Sponsor ist es darüber hinaus gelungen,<br />
für alle Kinder und Jugendlichen aus<br />
dem Flüchtlingsheim, <strong>Karate</strong>anzüge kostenlos<br />
zur Verfügung zu stellen. Dadurch konnte<br />
ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung<br />
der Gruppe erreicht und die Bindung der<br />
Jugendlichen an das <strong>Karate</strong>training erhöht<br />
werden.