30.10.2020 Aufrufe

Neue Szene Augsburg 2020-11

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

zOOm

43

Gästeblog

Nein, das wird jetzt kein Artikel darüber,

dass es inzwischen gefühlt im August schon

Lebkuchen, Dominosteine und Schoko-Nikoläuse

gibt. Das gehört zu den Dingen, von denen ich

ausgehe, dass die der Markt regeln kann. Und

wenn es keine Nachfrage gäbe, würde das auch

nicht angeboten. Also ich kauf so was nie vor

Dezember.

Warum ich trotzdem weihnachtliche Gefühle

habe? Irgendwie habe ich gerade das Gefühl,

beschenkt zu werden vom Schicksal, denn Anfang

November wird ein großer Traum in Erfüllung

gehen und das Hotel einsmehr seine Pforten

öffnen. Dort, im Augsburger Westen auf dem

Gelände der ehemaligen Flak-Kaserne, werden

zwölf Menschen mit Beeinträchtigung eine

Arbeitsstelle auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt

antreten.

Der Verein einsmehr, und da vor allem eine

kleine Gruppe, hat sich über Jahre dafür stark

engagiert. Und trotz all der Anstrengung fühlt

sich das an wie ein großes hübsch verpacktes

Paket mit roten Schleifchen dran, vor dem man

mit großen Augen steht und hoff, dass der Inhalt

das Glück bringt, das man sich davon verspricht.

Ich würde mir das so erklären: Die Idee, ein

Hotel zu gründen und zu betreiben ist zunächst

schlicht größenwahnsinnig für einen kleinen

Verein mit 150 Familien. Obwohl wir das Hotel

„nur“ mieten, mussten wir 1,5 Millionen Euro für

die Vorkosten aufbringen, Anträge schreiben, Veranstaltungen

durchführen, eine gGmbH gründen,

uns etwas Hotelsachverstand aneignen, Mietverhandlungen

führen und fast das Wichtigste: gutes

Personal finden.

„Die Türen gehen auf,

bevor wir angeklopft

haben.“

Dass das geklappt hat, ist mit viel Herzblut

und großem Einsatz zu erklären, aber vor allem

mit der Unterstützung, die es von allen Seiten

für das Projekt gab. Die Politik unterstützte nach

Kräften und mit hohen Beträgen, Künstlerinnen

und Künstler traten kostenlos oder zu sehr günstigen

Konditionen auf, eine Neunjährige schneiderte

mit ihrer Mutter Masken und spendete uns

den Erlös; Leute, die nichts mit dem Verein zu

tun haben, spendeten uns ihre Geburtstagsgeschenke

… Diese anrührende Liste ließe sich endlos

fortsetzen und hat uns oft sprachlos gemacht.

Das war sehr hilfreich, weil wir so unsere

finanzielle Basis verbessern konnten und das

jeweils überzeugend auf die anderen potentiellen

Spenderinnen und Spender wirkte. Spenden oder

Aktionen hatten aber auch oft den Effekt, dass

wir darüber reden konnten, dass Menschen mit

einer geistigen Beeinträchtigung nach wie vor so

gut wie keine Zugänge zu einer Beschäftigung auf

dem Allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Eindrücklich

war eine Runde beim Rotary-Club Augsburg,

die uns durch ihr Benefizkonzert großartig unterstützt

hat und wo sehr genau nachgefragt wurde,

wo wir Potentiale für Menschen mit Beeinträchtigung

sehen und wie sie im Hotel mitarbeiten

sollen.

„Sie lernen gerade, (mit

Recht) stolz auf sich zu

sein.“

Vielleicht fühlt sich das alles als Geschenk

an, weil wir auch viel Glück hatten. Wir konnten

zum Beispiel nur so weit kommen, weil uns mit

dem Westhouse ein Ort vor die Füße gefallen ist,

in dem die Idee Hotel Wirklichkeit werden kann.

Nach zwei Gesprächen mit hilfsbereiten Leuten

aus der Szene hatten wir innerhalb von zwei

Tagen ein Beraterteam an der Hand, das uns quasi

durch den ganzen Gründungsprozess lotste. Und

wir sind eher zufällig auf die Augsburger Innenarchitekten

von DREIMETA gestoßen, die sich

bereit erklärten, für uns und mit uns zu arbeiten

und jetzt nach Hotelprojekten in Wien, Hamburg

und Paris sowie auf Mallorca ihr erstes Hotel in

Augsburg realisieren.

Das größte Geschenk sind aber die Erfahrungen

mit unseren Beschäftigten. Alle sind sehr

gespannt vor dem Start und wie wir es schaffen,

mit einem sehr bunten Team ein gut funktionierendes

Hotel aufzubauen, bei dem die Gäste keinen

Unterschied zu einem anderen Hotel erkennen.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass das klappen

wird, weil sich unser Team vor allem durch eine

extrem hohe Motivation auszeichnet. Für unsere

Menschen mit Beeinträchtigung ist es die Chance,

sich eine eigene Existenz und eine Alternative zur

Werkstatt aufzubauen. Deshalb glänzen sie alle

mit großem Willen und waren stolz wie Bolle,

dass sie unser Programm der Beruflichen Qualifizierung

geschaff haben und einen Arbeitsvertrag

unterschreiben durften. Und sie lernen gerade

(mit Recht), stolz auf sich zu sein.

Dass wir da einiges richtig machen, wird auch

aus den Rückmeldungen unserer Kooperationsbetriebe

deutlich, bei denen die Menschen mit

Beeinträchtigung ihre ersten Erfahrungen sammeln

durften. Die zeigten sich alle positiv überrascht

über den großen Willen „unserer“ jungen

Leute. Einige signalisierten schon, dass sie sich

durchaus vorstellen könnten, ebenfalls Menschen

mit einer Beeinträchtigung zu beschäftigen, wenn

sie eine Begleitung an ihrer Seite wüssten. Das

können wir bieten – dank der Aktion Sternstunden

des BR, die uns eine Stelle einer Pädagogin

für zwei Jahre finanzieren.

Dass es ein angenehmeres Eröffnungsjahr

für ein Hotel gibt als 2020, ist auch klar. Aber so

viel Rückenwind wir bis jetzt hatten, werden wir

auch durch eine magerere erste Phase kommen.

Vor allem werden wir jetzt erstmal auch unter

den besonderen Umständen feiern und hoffen auf

eine Normalisierung der allgemeinen Lage.

Mir geht es so, dass ich immer etwas ungläubig

vor dem Gebäude mit unserem Logo stehe.

Und ich bleibe dabei, das fühlt sich schon ähnlich

an wie damals, als unter dem Christbaum große

Pakete lagen. Ich glaube, ich kauf mir doch jetzt

gleich ein Paket Dominosteine. Und trink einen

Glühwein. Oder zwei. Das mache ich sonst nie im

Oktober. Ich schwör’s!

Das Hotel einsmehr eröffnet Anfang November

und bietet 73 Zimmer sowie Frühstück. Es wird

betrieben von einsmehr, der Initiative Down-

Syndrom für Augsburg und Umgebung. Von den

24 Beschäftigten hat die Hälfte eine (geistige)

Beeinträchtigung.

Weitere Infos: www.hotel-einsmehr.de.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!