Neue Szene Augsburg 2020-11
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung
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Gästeblog
Nein, das wird jetzt kein Artikel darüber,
dass es inzwischen gefühlt im August schon
Lebkuchen, Dominosteine und Schoko-Nikoläuse
gibt. Das gehört zu den Dingen, von denen ich
ausgehe, dass die der Markt regeln kann. Und
wenn es keine Nachfrage gäbe, würde das auch
nicht angeboten. Also ich kauf so was nie vor
Dezember.
Warum ich trotzdem weihnachtliche Gefühle
habe? Irgendwie habe ich gerade das Gefühl,
beschenkt zu werden vom Schicksal, denn Anfang
November wird ein großer Traum in Erfüllung
gehen und das Hotel einsmehr seine Pforten
öffnen. Dort, im Augsburger Westen auf dem
Gelände der ehemaligen Flak-Kaserne, werden
zwölf Menschen mit Beeinträchtigung eine
Arbeitsstelle auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt
antreten.
Der Verein einsmehr, und da vor allem eine
kleine Gruppe, hat sich über Jahre dafür stark
engagiert. Und trotz all der Anstrengung fühlt
sich das an wie ein großes hübsch verpacktes
Paket mit roten Schleifchen dran, vor dem man
mit großen Augen steht und hoff, dass der Inhalt
das Glück bringt, das man sich davon verspricht.
Ich würde mir das so erklären: Die Idee, ein
Hotel zu gründen und zu betreiben ist zunächst
schlicht größenwahnsinnig für einen kleinen
Verein mit 150 Familien. Obwohl wir das Hotel
„nur“ mieten, mussten wir 1,5 Millionen Euro für
die Vorkosten aufbringen, Anträge schreiben, Veranstaltungen
durchführen, eine gGmbH gründen,
uns etwas Hotelsachverstand aneignen, Mietverhandlungen
führen und fast das Wichtigste: gutes
Personal finden.
„Die Türen gehen auf,
bevor wir angeklopft
haben.“
Dass das geklappt hat, ist mit viel Herzblut
und großem Einsatz zu erklären, aber vor allem
mit der Unterstützung, die es von allen Seiten
für das Projekt gab. Die Politik unterstützte nach
Kräften und mit hohen Beträgen, Künstlerinnen
und Künstler traten kostenlos oder zu sehr günstigen
Konditionen auf, eine Neunjährige schneiderte
mit ihrer Mutter Masken und spendete uns
den Erlös; Leute, die nichts mit dem Verein zu
tun haben, spendeten uns ihre Geburtstagsgeschenke
… Diese anrührende Liste ließe sich endlos
fortsetzen und hat uns oft sprachlos gemacht.
Das war sehr hilfreich, weil wir so unsere
finanzielle Basis verbessern konnten und das
jeweils überzeugend auf die anderen potentiellen
Spenderinnen und Spender wirkte. Spenden oder
Aktionen hatten aber auch oft den Effekt, dass
wir darüber reden konnten, dass Menschen mit
einer geistigen Beeinträchtigung nach wie vor so
gut wie keine Zugänge zu einer Beschäftigung auf
dem Allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Eindrücklich
war eine Runde beim Rotary-Club Augsburg,
die uns durch ihr Benefizkonzert großartig unterstützt
hat und wo sehr genau nachgefragt wurde,
wo wir Potentiale für Menschen mit Beeinträchtigung
sehen und wie sie im Hotel mitarbeiten
sollen.
„Sie lernen gerade, (mit
Recht) stolz auf sich zu
sein.“
Vielleicht fühlt sich das alles als Geschenk
an, weil wir auch viel Glück hatten. Wir konnten
zum Beispiel nur so weit kommen, weil uns mit
dem Westhouse ein Ort vor die Füße gefallen ist,
in dem die Idee Hotel Wirklichkeit werden kann.
Nach zwei Gesprächen mit hilfsbereiten Leuten
aus der Szene hatten wir innerhalb von zwei
Tagen ein Beraterteam an der Hand, das uns quasi
durch den ganzen Gründungsprozess lotste. Und
wir sind eher zufällig auf die Augsburger Innenarchitekten
von DREIMETA gestoßen, die sich
bereit erklärten, für uns und mit uns zu arbeiten
und jetzt nach Hotelprojekten in Wien, Hamburg
und Paris sowie auf Mallorca ihr erstes Hotel in
Augsburg realisieren.
Das größte Geschenk sind aber die Erfahrungen
mit unseren Beschäftigten. Alle sind sehr
gespannt vor dem Start und wie wir es schaffen,
mit einem sehr bunten Team ein gut funktionierendes
Hotel aufzubauen, bei dem die Gäste keinen
Unterschied zu einem anderen Hotel erkennen.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass das klappen
wird, weil sich unser Team vor allem durch eine
extrem hohe Motivation auszeichnet. Für unsere
Menschen mit Beeinträchtigung ist es die Chance,
sich eine eigene Existenz und eine Alternative zur
Werkstatt aufzubauen. Deshalb glänzen sie alle
mit großem Willen und waren stolz wie Bolle,
dass sie unser Programm der Beruflichen Qualifizierung
geschaff haben und einen Arbeitsvertrag
unterschreiben durften. Und sie lernen gerade
(mit Recht), stolz auf sich zu sein.
Dass wir da einiges richtig machen, wird auch
aus den Rückmeldungen unserer Kooperationsbetriebe
deutlich, bei denen die Menschen mit
Beeinträchtigung ihre ersten Erfahrungen sammeln
durften. Die zeigten sich alle positiv überrascht
über den großen Willen „unserer“ jungen
Leute. Einige signalisierten schon, dass sie sich
durchaus vorstellen könnten, ebenfalls Menschen
mit einer Beeinträchtigung zu beschäftigen, wenn
sie eine Begleitung an ihrer Seite wüssten. Das
können wir bieten – dank der Aktion Sternstunden
des BR, die uns eine Stelle einer Pädagogin
für zwei Jahre finanzieren.
Dass es ein angenehmeres Eröffnungsjahr
für ein Hotel gibt als 2020, ist auch klar. Aber so
viel Rückenwind wir bis jetzt hatten, werden wir
auch durch eine magerere erste Phase kommen.
Vor allem werden wir jetzt erstmal auch unter
den besonderen Umständen feiern und hoffen auf
eine Normalisierung der allgemeinen Lage.
Mir geht es so, dass ich immer etwas ungläubig
vor dem Gebäude mit unserem Logo stehe.
Und ich bleibe dabei, das fühlt sich schon ähnlich
an wie damals, als unter dem Christbaum große
Pakete lagen. Ich glaube, ich kauf mir doch jetzt
gleich ein Paket Dominosteine. Und trink einen
Glühwein. Oder zwei. Das mache ich sonst nie im
Oktober. Ich schwör’s!
Das Hotel einsmehr eröffnet Anfang November
und bietet 73 Zimmer sowie Frühstück. Es wird
betrieben von einsmehr, der Initiative Down-
Syndrom für Augsburg und Umgebung. Von den
24 Beschäftigten hat die Hälfte eine (geistige)
Beeinträchtigung.
Weitere Infos: www.hotel-einsmehr.de.