42zOOmWeihnachtliche GefühleVon Jochen Mack, Vorsitzender der Initiative einsmehrNSeit 2006 berät und begleitet der selbständige PR-Berater Jochen MackInstitutionen und Organisationen in Fragen der Kommunikation. Derzeitist er unter anderem als Vorsitzender der Initiative einsmehr aktiv, diesich für Menschen mit Down-Syndrom engagiert. Im November eröffneter mit seinen Mitstreitern ein Hotel mit 73 Zimmern. Die Hälfte allerBeschäftigten hat eine geistige Beeinträchtigung.
zOOm43GästeblogNein, das wird jetzt kein Artikel darüber,dass es inzwischen gefühlt im August schonLebkuchen, Dominosteine und Schoko-Nikoläusegibt. Das gehört zu den Dingen, von denen ichausgehe, dass die der Markt regeln kann. Undwenn es keine Nachfrage gäbe, würde das auchnicht angeboten. Also ich kauf so was nie vorDezember.Warum ich trotzdem weihnachtliche Gefühlehabe? Irgendwie habe ich gerade das Gefühl,beschenkt zu werden vom Schicksal, denn AnfangNovember wird ein großer Traum in Erfüllunggehen und das Hotel einsmehr seine Pfortenöffnen. Dort, im Augsburger Westen auf demGelände der ehemaligen Flak-Kaserne, werdenzwölf Menschen mit Beeinträchtigung eineArbeitsstelle auf dem Allgemeinen Arbeitsmarktantreten.Der Verein einsmehr, und da vor allem einekleine Gruppe, hat sich über Jahre dafür starkengagiert. Und trotz all der Anstrengung fühltsich das an wie ein großes hübsch verpacktesPaket mit roten Schleifchen dran, vor dem manmit großen Augen steht und hoff, dass der Inhaltdas Glück bringt, das man sich davon verspricht.Ich würde mir das so erklären: Die Idee, einHotel zu gründen und zu betreiben ist zunächstschlicht größenwahnsinnig für einen kleinenVerein mit 150 Familien. Obwohl wir das Hotel„nur“ mieten, mussten wir 1,5 Millionen Euro fürdie Vorkosten aufbringen, Anträge schreiben, Veranstaltungendurchführen, eine gGmbH gründen,uns etwas Hotelsachverstand aneignen, Mietverhandlungenführen und fast das Wichtigste: gutesPersonal finden.„Die Türen gehen auf,bevor wir angeklopfthaben.“Dass das geklappt hat, ist mit viel Herzblutund großem Einsatz zu erklären, aber vor allemmit der Unterstützung, die es von allen Seitenfür das Projekt gab. Die Politik unterstützte nachKräften und mit hohen Beträgen, Künstlerinnenund Künstler traten kostenlos oder zu sehr günstigenKonditionen auf, eine Neunjährige schneidertemit ihrer Mutter Masken und spendete unsden Erlös; Leute, die nichts mit dem Verein zutun haben, spendeten uns ihre Geburtstagsgeschenke… Diese anrührende Liste ließe sich endlosfortsetzen und hat uns oft sprachlos gemacht.Das war sehr hilfreich, weil wir so unserefinanzielle Basis verbessern konnten und dasjeweils überzeugend auf die anderen potentiellenSpenderinnen und Spender wirkte. Spenden oderAktionen hatten aber auch oft den Effekt, dasswir darüber reden konnten, dass Menschen miteiner geistigen Beeinträchtigung nach wie vor sogut wie keine Zugänge zu einer Beschäftigung aufdem Allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Eindrücklichwar eine Runde beim Rotary-Club Augsburg,die uns durch ihr Benefizkonzert großartig unterstützthat und wo sehr genau nachgefragt wurde,wo wir Potentiale für Menschen mit Beeinträchtigungsehen und wie sie im Hotel mitarbeitensollen.„Sie lernen gerade, (mitRecht) stolz auf sich zusein.“Vielleicht fühlt sich das alles als Geschenkan, weil wir auch viel Glück hatten. Wir konntenzum Beispiel nur so weit kommen, weil uns mitdem Westhouse ein Ort vor die Füße gefallen ist,in dem die Idee Hotel Wirklichkeit werden kann.Nach zwei Gesprächen mit hilfsbereiten Leutenaus der Szene hatten wir innerhalb von zweiTagen ein Beraterteam an der Hand, das uns quasidurch den ganzen Gründungsprozess lotste. Undwir sind eher zufällig auf die Augsburger Innenarchitektenvon DREIMETA gestoßen, die sichbereit erklärten, für uns und mit uns zu arbeitenund jetzt nach Hotelprojekten in Wien, Hamburgund Paris sowie auf Mallorca ihr erstes Hotel inAugsburg realisieren.Das größte Geschenk sind aber die Erfahrungenmit unseren Beschäftigten. Alle sind sehrgespannt vor dem Start und wie wir es schaffen,mit einem sehr bunten Team ein gut funktionierendesHotel aufzubauen, bei dem die Gäste keinenUnterschied zu einem anderen Hotel erkennen.Ich bin sehr zuversichtlich, dass das klappenwird, weil sich unser Team vor allem durch eineextrem hohe Motivation auszeichnet. Für unsereMenschen mit Beeinträchtigung ist es die Chance,sich eine eigene Existenz und eine Alternative zurWerkstatt aufzubauen. Deshalb glänzen sie allemit großem Willen und waren stolz wie Bolle,dass sie unser Programm der Beruflichen Qualifizierunggeschaff haben und einen Arbeitsvertragunterschreiben durften. Und sie lernen gerade(mit Recht), stolz auf sich zu sein.Dass wir da einiges richtig machen, wird auchaus den Rückmeldungen unserer Kooperationsbetriebedeutlich, bei denen die Menschen mitBeeinträchtigung ihre ersten Erfahrungen sammelndurften. Die zeigten sich alle positiv überraschtüber den großen Willen „unserer“ jungenLeute. Einige signalisierten schon, dass sie sichdurchaus vorstellen könnten, ebenfalls Menschenmit einer Beeinträchtigung zu beschäftigen, wennsie eine Begleitung an ihrer Seite wüssten. Daskönnen wir bieten – dank der Aktion Sternstundendes BR, die uns eine Stelle einer Pädagoginfür zwei Jahre finanzieren.Dass es ein angenehmeres Eröffnungsjahrfür ein Hotel gibt als 2020, ist auch klar. Aber soviel Rückenwind wir bis jetzt hatten, werden wirauch durch eine magerere erste Phase kommen.Vor allem werden wir jetzt erstmal auch unterden besonderen Umständen feiern und hoffen aufeine Normalisierung der allgemeinen Lage.Mir geht es so, dass ich immer etwas ungläubigvor dem Gebäude mit unserem Logo stehe.Und ich bleibe dabei, das fühlt sich schon ähnlichan wie damals, als unter dem Christbaum großePakete lagen. Ich glaube, ich kauf mir doch jetztgleich ein Paket Dominosteine. Und trink einenGlühwein. Oder zwei. Das mache ich sonst nie imOktober. Ich schwör’s!Das Hotel einsmehr eröffnet Anfang Novemberund bietet 73 Zimmer sowie Frühstück. Es wirdbetrieben von einsmehr, der Initiative Down-Syndrom für Augsburg und Umgebung. Von den24 Beschäftigten hat die Hälfte eine (geistige)Beeinträchtigung.Weitere Infos: www.hotel-einsmehr.de.