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RA 11/2020 - Entscheidung des Monats

Der BGH befasst sich hier mit der Mittäterschaft. Interessant ist insofern, dass bzgl. des Grunddelikts eine „normale“ Mittäterschaft vorliegt, bzgl. der Qualifikation allerdings eine sukzessive Mittäterschaft.

Der BGH befasst sich hier mit der Mittäterschaft. Interessant ist insofern, dass bzgl. des Grunddelikts eine „normale“ Mittäterschaft vorliegt, bzgl. der Qualifikation allerdings eine sukzessive Mittäterschaft.

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<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2020</strong><br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Strafrecht<br />

605<br />

Problem: Sukzessive Mittäterschaft an einer Qualifikation<br />

Einordnung: Strafrecht AT II/Täterschaft und Teilnahme<br />

BGH, Urteil vom 10.09.<strong>2020</strong><br />

4 StR 14/20<br />

EINLEITUNG<br />

Der BGH befasst sich hier mit der Mittäterschaft. Interessant ist insofern,<br />

dass bzgl. <strong>des</strong> Grunddelikts eine „normale“ Mittäterschaft vorliegt, bzgl. der<br />

Qualifikation allerdings eine sukzessive Mittäterschaft.<br />

SACHVERHALT<br />

Der Angeklagte A und der M begaben sich zum Haus <strong>des</strong> Geschädigten G,<br />

um dort einen Einbruch zu begehen. Einen näheren gemeinsamen Tatplan<br />

gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Besprochen war lediglich, dass G<br />

während der Tatbegehung von einem Täter bewacht werden sollte, damit er<br />

nicht die Polizei alarmieren konnte.<br />

A und M trafen im Wohnzimmer auf G. A brachte G durch einen Schlag auf den<br />

Rücken zu Boden, um erwarteten Widerstand zu brechen. Anschließend wurde<br />

G am Boden liegend von M bewacht. A verließ das Wohnzimmer und durchsuchte<br />

die Wohnung. Während<strong>des</strong>sen fesselte M den G mit einer Kordel, ohne<br />

dass dies zuvor mit A abgestimmt, von diesem gebilligt oder Teil <strong>des</strong> gemeinsamen<br />

Tatplans gewesen wäre. Nach einigen Minuten hatte A die Wohnung<br />

durchsucht und dabei 2.800 € sowie eine Uhr eingesteckt. Zurückgekehrt ins<br />

Wohnzimmer bemerkte A erstmals, dass M den G gefesselt hatte. A informierte<br />

nunmehr den M über seine Beutefunde, worauf beide das Haus verließen.<br />

Hat A sich wegen mittäterschaftlichen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 I<br />

Nr. 1b), 25 II StGB strafbar gemacht?<br />

PRÜFUNGSSCHEMA: MITTÄTERSCHAFTLICHER BESONDERS<br />

SCHWERER <strong>RA</strong>UB, §§ 249 I, 250 I Nr. 1b), 25 II StGB<br />

A. Tatbestand<br />

I. Grunddelikt: §§ 249 I, 25 II StGB<br />

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

2. Fremde bewegliche Sache<br />

3. Wegnahme<br />

4. Mittäterschaft, § 25 II StGB<br />

5. Vorsatz bzgl. 1. bis 4.<br />

6. Finalzusammenhang<br />

7. Absicht rechtswidriger Zueignung<br />

II. Qualifikation: § 250 I Nr. 1b) StGB<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

LEITSÄTZE DER REDAKTION<br />

1. Sukzessive Mittäterschaft, die<br />

sich auch auf die Verwirklichung<br />

von qualifizierenden Merkmalen<br />

beziehen kann, liegt vor, wenn<br />

in Kenntnis und mit Billigung<br />

<strong>des</strong> bisher Geschehenen in eine<br />

bereits begonnene Ausführungshandlung<br />

als Mittäter eingetreten<br />

wird; das Einverständnis bezieht<br />

sich dann auf die Gesamttat<br />

mit der Folge, dass diese strafrechtlich<br />

zugerechnet wird; nur<br />

für das, was vollständig abgeschlossen<br />

vorliegt, vermag das<br />

Einverständnis die strafrechtliche<br />

Verantwortlichkeit nicht zu<br />

begründen, selbst wenn die hinzutretende<br />

Person <strong>des</strong>sen Folgen<br />

kennt, billigt und ausnutzt.<br />

2. Ein die Mittäterschaft begründender<br />

Eintritt kann vor der Vollendung<br />

der Tat erfolgen, etwa<br />

indem eine auf die Vollendung<br />

der geplanten Tat abzielende<br />

Handlung in Kenntnis <strong>des</strong> bisher<br />

Geschehenen vorgenommen<br />

oder fortgesetzt wird; sie ist aber<br />

auch noch nach der strafrechtlichen<br />

Tatvollendung möglich,<br />

solange der zunächst allein Handelnde<br />

die Tat noch nicht beendet<br />

hat.<br />

3. Die Zurechnung einer vom<br />

ursprünglichen Tatplan nicht<br />

umfassten Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals<br />

kann auch dann<br />

noch erfolgen, wenn der qualifizierende<br />

Umstand nach der Tatvollendung<br />

noch vorliegt und von<br />

dem Hinzutretenden in <strong>des</strong>sen<br />

Kenntnis und unter Ausnutzung<br />

<strong>des</strong> Erschwerungsgrun<strong>des</strong> noch<br />

auf die Sicherung <strong>des</strong> Taterfolges<br />

gerichtete Handlungen vorgenommen<br />

werden.<br />

LÖSUNG<br />

Durch den Schlag und das Mitnehmen <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> und der Uhr könnte A sich<br />

wegen mittäterschaftlichen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b),<br />

25 II StGB strafbar gemacht haben.<br />

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606 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2020</strong><br />

A. Tatbestand<br />

I. Grunddelikt: §§ 249 I, 25 II StGB<br />

Gewalt gegen eine Person ist<br />

der unmittelbar oder mittelbar auf<br />

den Körper <strong>des</strong> Opfers bezogene,<br />

körperlich wirkende Zwang zur<br />

Überwindung geleisteten oder<br />

erwarteten Widerstands.<br />

Sache ist jeder körperliche Gegenstand.<br />

Beweglich ist eine Sache, die fortgeschafft<br />

werden kann.<br />

Fremd ist eine Sache, die zumin<strong>des</strong>t<br />

auch im Eigentum einer anderen<br />

Person steht.<br />

Spezialitätstheorie: BGH, Beschluss<br />

vom 24.04.2018, 5 StR 606/17, <strong>RA</strong> 2018,<br />

557<br />

Exklusivitätstheorie: Schönke/<br />

Schröder, StGB, § 253 Rn 3, 8<br />

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

Durch den Schlag hat A Gewalt gegen eine Person angewendet. Eine<br />

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben lässt sich dem<br />

Sachverhalt nicht entnehmen, jedoch ist aufgrund der Personengewalt ein<br />

qualifiziertes Nötigungsmittel gegeben.<br />

2. Fremde bewegliche Sache<br />

Die Geldscheine und die Uhr standen im Eigentum <strong>des</strong> G und waren somit<br />

für A fremde bewegliche Sachen.<br />

3. Wegnahme<br />

A müsste diese Gegenstände weggenommen haben, d.h. er müsste<br />

fremden Gewahrsam daran gebrochen und neuen, nicht unbedingt eigenen,<br />

Gewahrsam begründet haben.<br />

Da sich die Wertsachen in der Wohnung <strong>des</strong> G befanden, hatte dieser<br />

ursprünglich Gewahrsam daran; es bestand also für A fremder Gewahrsam.<br />

Durch das Einstecken der Wertsachen hat A eine Gewahrsamsenklave<br />

geschaffen und dadurch neuen Gewahrsam begründet. Für das Vorliegen<br />

<strong>des</strong> Gewahrsamsbruchs ist nach der Spezialitätstheorie bei § 249 I StGB<br />

das äußere Erscheinungsbild maßgeblich, nach der Exklusivitätstheorie die<br />

innere Willensrichtung <strong>des</strong> Opfers. Das Geschehen sah aus wie ein Nehmen<br />

<strong>des</strong> A und da der Gewahrsamsinhaber G beim Gewahrsamswechsel gar nicht<br />

mitgewirkt hat, hielt er seine Mitwirkung beim Gewahrsamswechsel nicht für<br />

erforderlich, sodass auch nach der inneren Willensrichtung <strong>des</strong> Opfers ein<br />

Gewahrsamsbruch vorliegt.<br />

4. Mittäterschaft, § 25 II StGB<br />

A und M handelten in arbeitsteiliger Begehung auf Grundlage eines gemeinsamen<br />

Tatplans, wobei beide die Tatherrschaft innehatten und auch Täterwillen<br />

besaßen. Die Voraussetzungen für eine mittäterschaftliche Begehung<br />

i.S.v. § 25 II StGB sind somit gegeben.<br />

5. Vorsatz bzgl. 1. bis 4.<br />

A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.<br />

6. Finalzusammenhang<br />

A hat die Gewalt eingesetzt, um die Wegnahme zu ermöglichen. Der erforderliche<br />

Finalzusammenhang ist somit gegeben.<br />

7. Absicht rechtswidriger Zueignung<br />

A hatte die Absicht, die Wertsachen seinem Vermögen einzuverleiben<br />

(Aneignungsabsicht) und den Willen, den Berechtigten G dauerhaft aus<br />

seiner Eigentümerposition zu verdrängen (Enteignungswille) und hatte<br />

somit Zueignungsabsicht. A hatte auf die beabsichtigte Zueignung keinen<br />

Anspruch, sodass die beabsichtigte Zueignung rechtswidrig war. Dies<br />

war A bewusst, sodass er auch mit Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der<br />

beabsichtigten Zueignung handelte. A hat somit in der Absicht rechtswidriger<br />

Zueignung gehandelt.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2020</strong><br />

Strafrecht<br />

607<br />

II. Qualifikation: § 250 I Nr. 1b) StGB<br />

„[5] a) Die Annahme <strong>des</strong> Landgerichts, ein gemeinschaftlich begangener<br />

schwerer Raub im Sinne <strong>des</strong> § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB liege nicht vor, weil<br />

nicht habe festgestellt werden können, dass der Angeklagte von dem<br />

Einsatz der Kordel als Fesselungswerkzeug Kenntnis gehabt und deren<br />

Verwendung gebilligt habe, schöpft die Feststellungen nicht aus. Danach<br />

bemerkte der Angeklagte, als er mit der Beute in das Wohnzimmer zurückkehrte,<br />

dass der gesondert verfolgte M den Geschädigten gefesselt hatte.<br />

[6] b) Durch die zu diesem Zeitpunkt erlangte Kenntnis und sein nachfolgen<strong>des</strong><br />

Verhalten kann der Angeklagte auch noch sukzessiver Mittäter<br />

eines schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB geworden sein,<br />

<strong>des</strong>sen Tatbestand der anderweitig verfolgte M durch den Einsatz eines<br />

ihm zur Verfügung stehenden Fesselungswerkzeuges (Kordel) verwirklicht<br />

hat.<br />

[7] aa) Sukzessive Mittäterschaft, die sich auch auf die Verwirklichung<br />

von qualifizierenden Merkmalen beziehen kann, liegt vor, wenn in<br />

Kenntnis und mit Billigung <strong>des</strong> bisher Geschehenen – auch wenn dies<br />

von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in eine<br />

bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eingetreten<br />

wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der<br />

Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was<br />

vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die<br />

strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen, selbst wenn<br />

die hinzutretende Person <strong>des</strong>sen Folgen kennt, billigt und ausnutzt.<br />

Ein die Mittäterschaft begründender Eintritt kann vor der Vollendung<br />

der Tat erfolgen, etwa indem eine auf die Vollendung der geplanten<br />

Tat abzielende Handlung in Kenntnis <strong>des</strong> bisher Geschehenen vorgenommen<br />

oder fortgesetzt wird. Sie ist aber auch noch nach der strafrechtlichen<br />

Tatvollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde<br />

die Tat noch nicht beendet hat. Deshalb kann die Zurechnung<br />

einer vom ursprünglichen Tatplan nicht umfassten Erfüllung eines<br />

Qualifikationsmerkmals auch dann noch erfolgen, wenn der qualifizierende<br />

Umstand nach der Tatvollendung noch vorliegt und von<br />

dem Hinzutretenden in <strong>des</strong>sen Kenntnis und unter Ausnutzung<br />

<strong>des</strong> Erschwerungsgrun<strong>des</strong> noch auf die Sicherung <strong>des</strong> Taterfolges<br />

gerichtete Handlungen vorgenommen werden.“<br />

Vgl. BGH, Urteil vom 04.08.2016,<br />

4 StR 195/16, NStZ-RR 2016, 339<br />

BGH, Urteil vom 24.04.1952, 3 StR<br />

48/52, NJW 1952, <strong>11</strong>46<br />

Zur sukzessiven Mittäterschaft:<br />

Schweinberger, JU<strong>RA</strong> INTENSIV,<br />

Strafrecht AT II, Rn 69 ff.<br />

BGH, Beschluss vom 20.03.2019,<br />

2 StR 594/18, NStZ 2019, 513<br />

BGH, Urteil vom 25.04.2017, 5 StR<br />

433/16, NStZ-RR 2017, 221<br />

BGH, Beschluss vom 18.07.2000,<br />

5 StR 245/00, NStZ 2000, 594<br />

A hatte nach dem Einstecken der Wertsachen aber vor Verlassen der Wohnung,<br />

also zwischen Vollendung und Beendigung der Wegnahme, Kenntnis von<br />

der Fesselung <strong>des</strong> G durch M erlangt und damit auch davon, dass M mit der<br />

Kordel ein sonstiges Werkzeug mit Verwendungsabsicht bei der Tat bei sich<br />

führte. Da A die Fesselung mit der Kordel auch bewusst ausnutzte, um die<br />

Beendigung <strong>des</strong> Raubes zu erleichtern, ist ihm die Verwirklichung der Qualifikation<br />

gem. § 250 I Nr. 1b) StGB durch M zuzurechnen.<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.<br />

C. Ergebnis<br />

A ist strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b), 25 II StGB.<br />

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