LERNEN MIT ZUKUNFT September 2020
Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH
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information & bewusstsein<br />
Nicht zu vergleichen:<br />
Kindheit früher und heute<br />
DIE EINDRÜCKE DER KINDHEIT WURZELN AM TIEFSTEN<br />
(Karl Emil Franzos)<br />
Babette Reineke<br />
Hannover, Deutschland<br />
1946 aus der russischen in die amerikanische<br />
Besatzungszone geflohen. In einem Samtkleid<br />
und Schuhen aus einem Care-Paket aus<br />
Amerika.<br />
Ich bin 1932 in Mühlhausen/Thüringen<br />
geboren. Vater war Böttcher in<br />
der alteingesessenen Brauerei unseres<br />
Städtchens. Mutter war Hausfrau.<br />
Politik spielte bei uns kaum eine<br />
Rolle, hier spielte eher die Blasmusik.<br />
Nämlich im “Bayernverein“, den mein<br />
Vater, aus Bayern stammend, zusammen<br />
mit Landsleuten gegründet<br />
hatte. Dort wurde das bayrische<br />
Brauchtum incl. Trachtentänze<br />
und zünftigem Bauerntheater,<br />
gepflegt. Auch eine Kindertanzgruppe<br />
gab es, und ich war mit<br />
meinen fünf Jahren, die Jüngste.<br />
Unsere Veranstaltungen, die im<br />
Sommer auch im Freien stattfanden,<br />
waren in der thüringischen<br />
Provinz echt exotisch und immer<br />
ausverkauft. Irgendwie war es<br />
eine wunderbare Welt für sich<br />
und die glücklichste Zeit meiner<br />
Kindheit.<br />
Als der zweite Weltkrieg begann,<br />
war ich sieben Jahre alt<br />
und gerade ein Jahr lang “ABC<br />
Schütze“. Da wehte ein anderer<br />
Wind! Dennoch ging ich gern zur<br />
Schule, nur die Rechenstunde<br />
war mir höchst zuwider! Kam<br />
das daher, weil Vater mit mir,<br />
schon als Kleinkind, das kleine<br />
Einmaleins übte? Schließlich<br />
sollte mal was werden aus mir!<br />
Kapierte ich, bekam ich einen<br />
Groschen für ne Zuckerstange, wenn nicht,<br />
gab es Schmisse. Damals nichts Besonderes,<br />
auch in der Schule ging der Rohrstock<br />
um. Wir Kinder, gingen damit, wie auch mit<br />
anderen unangenehmen Gegebenheiten,<br />
gelassen um und glaubten das müsse so<br />
sein! Ebenso glaubten wir, was man uns<br />
lehrte: Dass wir die Guten und die ganze<br />
Welt schlecht sei! Wir glaubten an den<br />
Weihnachtsmann, den Osterhasen und den<br />
Klapperstorch. Dem musste man nur ein<br />
Stückchen Zucker aufs Fensterbrett legen,<br />
damit er ein Brüderchen oder Schwesterchen<br />
brachte. Das Wie und Wo, tat nichts zur<br />
Sache, das war tabu! Und die Sache mit der<br />
Liebe? Trotz der hässlichen Kritzelein an den<br />
Wänden unserer Plumpsklos, stellten wir<br />
sie uns einfach himmlisch vor und träumten<br />
davon, hinein zu tanzen, grad wie Marika<br />
Rökk: In den “Siebenten Himmel der Liebe“!<br />
Dabei waren wir noch viel zu jung und der<br />
Hölle so viel näher! Die Angst ging um,<br />
doch das Leben ging weiter und wir hatten<br />
unseren Spaß, unsere Freude, an Kreis- und<br />
Geländespielen in Wald und Flur, wo man<br />
so herrlich Laubhütten bauen und “Indianer“<br />
spielen konnte. Wir spielten “Kreiselpeitschen“<br />
auf dem Fußweg und Bälle<br />
fangen an der Hauswand. Nicht zu vergessen<br />
“ Vater, Mutter, Kind“, oder “Kaspertheater“.<br />
Wir hatten niemals Langeweile!<br />
Später hatten wir die Aufgabe Heilkräuter zu<br />
sammeln, sogar Lumpen Knochen Eisen und<br />
Papier. Das fing mit dem zehnten Lebensjahr<br />
an, wo man ganz automatisch “Jungmädel“<br />
war! Nun ging es im Marschschritt, mit<br />
fröhlichem Gesang durch die Straßen, und<br />
wir hatten sogar Spaß daran! Heute erinnert<br />
mich das stark an den “Rattenfänger<br />
von Hameln“! Wir strickten Socken und<br />
Fotos: © Babette Reineke<br />
24 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>