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Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH

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information & wissenschaft<br />

Simulation versus Realität:<br />

Leben wir alle in derselben Welt?<br />

UNSER GEHIRN KONSTRUIERT FÜR JEDEN SEINE ODER IHRE GANZ INDIVIDUELLE<br />

WELT<br />

Thomas Kolbe<br />

Fachwissenschaftler<br />

für Versuchstierkunde,<br />

Ao. Prof. für die<br />

Service-Plattform<br />

Biomodels Austria<br />

Veterinärmedizinische<br />

Universität Wien<br />

Schon in der Antike rätselten Philosophen<br />

wie Platon darüber, wie<br />

real die von uns erlebte Welt wirklich<br />

ist (siehe Höhlengleichnis).<br />

Neurophysiologen sind heute mit modernsten<br />

Methoden der Lösung auf der<br />

Spur, haben aber noch keine endgültige<br />

Erklärung. Wenn wir einen Gegenstand<br />

wahrnehmen und die Farbe als ›rot‹ bezeichnen,<br />

dann wird eine andere Person<br />

das vermutlich bestätigen können. Aber<br />

nur aufgrund der Konvention, dass wir<br />

beide damit aufgewachsen sind, dass<br />

alle genau diese Farbe als ›rot‹ bezeichnet<br />

haben. Ich weiß überhaupt nicht, wie<br />

mein Gegenüber diese Farbe wirklich<br />

wahrnimmt. Wir haben uns nur beide<br />

darauf geeinigt, diese Farbe mit ›rot‹ zu<br />

bezeichnen.<br />

Tatsächlich fängt mein Auge elektromagnetische<br />

Wellen einer bestimmten<br />

Wellenlänge auf und mein Gehirn stellt<br />

diese Wahrnehmung mit einer Farbe dar.<br />

Dabei kann mein Auge – im Unterschied<br />

zu manchen Tieren - nur einen sehr<br />

kleinen Bereich des elektromagnetischen<br />

Spektrums wahrnehmen. Alles andere<br />

meiner Umwelt bleibt mir verschlossen.<br />

Im hinteren Teil meines Großhirns<br />

bastelt mein Bewusstsein aus allem<br />

sensorischen Input nun ein Abbild<br />

meiner Welt zusammen. Mit optischen<br />

Täuschungen können wir es dabei<br />

leicht überlisten. Wenn wir jedem Auge<br />

ein unterschiedliches Bild anbieten<br />

(verschiedene Personen oder Gegenstände),<br />

bekommt unser Bewusstsein<br />

verschiedenen Input, kann sich nicht für<br />

eine Variante entscheiden und wechselt<br />

ständig zwischen den beiden Bildern hin<br />

und her. Aufgrund dieser ›binokularen<br />

Rivalität‹ sehen wir abwechselnd mal<br />

das eine Bild, dann das andere.<br />

Unser Gehirn kann auch andere Szenerien<br />

für uns entwerfen. Wenn wir<br />

schlafen ist das Bewusstsein ausgeschaltet,<br />

aber das Gehirn ist hochgradig<br />

aktiv. Wir nennen das ›Träumen‹. Dabei<br />

simuliert das Gehirn ausgehend von<br />

früheren Erfahrungen und Erlebnissen<br />

ganz eigene Szenen und Begebenheiten,<br />

teilweise ausgesprochen realistisch, teilweise<br />

ausgesprochen phantastisch. Die<br />

Psychologen erklären das damit, dass<br />

das Gehirn frisch erlebte Dinge zuordnen<br />

und verarbeiten muss.<br />

Es gibt sogar noch einen dritten Zustand,<br />

in dem das Gehirn Umwelt darstellt. Bei<br />

Halluzinationen, bedingt durch Drogen,<br />

Medikamente oder Beschädigungen des<br />

Gehirns, stellt uns das Gehirn eine Welt<br />

dar, wie es sie in der Realität so nicht<br />

gibt. So wird aus einem Autobus z.B.<br />

plötzlich ein rosa Elefant. Für das Gehirn,<br />

für diese Person ist diese Wahrnehmung<br />

in dem Augenblick real. Für alle anderen<br />

Personen bleibt das Objekt dagegen ein<br />

Autobus.<br />

Natürlich sind diese Bewusstseinszustände<br />

kein entweder - oder, sondern es gibt<br />

fließende Übergänge von leicht unterschiedlicher<br />

selektiver Wahrnehmung<br />

(„so habe ich das nicht ausgedrückt“)<br />

bis zu als eindeutig abweichend wahrge-<br />

Foto: © galaxy-610663 | pixabay.com<br />

20 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>

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