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Leseprobe CONNEXI 2020-05 SCHMERZ Palliativmedizin

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Schmerz- und <strong>Palliativmedizin</strong><br />

5-<strong>2020</strong>


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EDITORIAL<br />

Liebe Leser,<br />

zunächst als Präsenzkongress gedacht, musste<br />

der für das Frühjahr in Leipzig geplante Deutsche<br />

Schmerz- und Palliativtag <strong>2020</strong> abgesagt werden.<br />

Innerhalb weniger Wochen haben die Organisatoren<br />

ein virtuelles Alternativprogramm als Online-<br />

Konferenz auf die Beine gestellt (Seite 6). Das ist<br />

bemerkenswert. Schwerpunktthema des Kongresses<br />

war die schmerz- und palliativmedizinische<br />

Versorgung älterer Menschen.<br />

Die Gruppe der geriatrischen Patienten gelangt<br />

mehr und mehr ins Blickfeld der Schmerz- und <strong>Palliativmedizin</strong>.<br />

Noch wird nicht ausreichend bedacht,<br />

dass für die medikamentöse Schmerztherapie<br />

altersspezifische Besonderheiten gelten. So sollte<br />

die Indikation zum mittel- oder längerfristigen Einsatz<br />

von nichtsteroidalen Antirheumatika streng<br />

gestellt werden (Seite 7ff). Andererseits ergibt sich<br />

für viele geriatrische Patienten eine gute Rationale<br />

für den Einsatz von Hydromorphon zur Behandlung<br />

opiatsensibler Schmerzen (Seite 16ff).<br />

Beim Sterbeprozess werden vom Körper oder<br />

körpereigene stimmungsaufhellende Endorphine<br />

ausgeschüttet, die das Sterben für die Patienten<br />

erträglicher machen. Weshalb eine unreflektierte<br />

Fortführung einer künstlich zugeführten Flüssigkeit-<br />

und Ernährungstherapie diesen Serotonin-<br />

Effekt gefährdet, lesen Sie auf Seite 12ff.<br />

Das Postulat, wonach Rückenschmerzen nicht diagnostiziert<br />

werden können, erscheint veraltet. Vorausgesetzt,<br />

die entsprechenden Untersuchungen<br />

werden diszipliniert durchgeführt, kann die Ursache<br />

von Rückenschmerzen heutzutage in den meisten<br />

Fällen gefunden werden, schreibt Prof. Klessinger<br />

auf Seite 24ff. Über eine neue, vielversprechende<br />

interventionelle Form der symptomatischen Therapie<br />

bei Gonarthrose lesen Sie auf Seite 20ff.<br />

Wussten Sie, dass – obwohl schon lange klar formulierte<br />

Handlungsempfehlungen existieren – nur<br />

zirka ein Drittel der Patienten mit mindestens einer<br />

vorbestehenden osteoporoseassoziierten Fraktur<br />

eine spezifische Therapie erhalten (Seite 28)?<br />

Einen Überblick über die Verordnung von Cannabis<br />

zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen finden<br />

Sie auf Seite 32ff. Moderne neurostimulatorische<br />

Verfahren helfen nicht nur dabei, Schmerzmedikamente<br />

zu reduzieren, sie können die Lebensqualität<br />

der Betroffenen nachweislich verbessern (Seiten<br />

38ff und 42ff).<br />

In einem hybriden Format wird der Schmerzkongress<br />

<strong>2020</strong> vom 21.–24.10.<strong>2020</strong> sowohl digital als<br />

auch vor Ort in Mannheim stattfinden. Diesjähriges<br />

Schwerpunktthema ist die personalisierte<br />

Schmerzmedizin.<br />

Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse bei der<br />

Lektüre.<br />

Berlin, Oktober <strong>2020</strong><br />

Anja Lamprecht<br />

anja.lamprecht@thepaideiagroup.com<br />

Herzlichst Anja Lamprecht<br />

Verlegerin, Chefredakteurin<br />

3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Editorial 3<br />

Anja Lamprecht<br />

Virtuell erfolgreich 6<br />

Deutscher Schmerz- und Palliativtag erstmals<br />

als Online-Kongress<br />

Hydromorphon in 24-Stunden-Galenik 16<br />

Schmerzmedizin bis ins hohe Alter<br />

News 19<br />

Vier von fünf COVID-19-Patienten entwickeln<br />

neurologische Beschwerden<br />

Palliativversorgung 7<br />

Palliation in der Geriatrie<br />

Barbara Schubert<br />

Gonarthrose 20<br />

Radiologisch interventionelle Therapie<br />

der Kniegelenksarthrose<br />

Peter Minko und Patrick Orth<br />

<strong>Palliativmedizin</strong> 12<br />

Hunger und Durst am Lebensende<br />

Norbert Schürmann<br />

Leitlinien 24<br />

Spezifischer Kreuzschmerz – Gibt es auch<br />

spezifische Therapieoptionen?<br />

Stephan Klessinger<br />

4


Update <strong>2020</strong> 28<br />

Therapeutische Entscheidungen bei der<br />

Osteoporose: antiresorptiv oder osteoanabol?<br />

Alexander Defèr<br />

Neuromodulative Therapie 38<br />

Neuromodulation bei älteren Patienten:<br />

Operative Optionen, Chancen und<br />

Herausforderungen<br />

Georgios Matis<br />

Cannabinoide 32<br />

Verordnung zu Lasten der gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen<br />

Eberhard Albert Lux<br />

LeseZeichen 36<br />

Mitochondriale Dysfunktion der<br />

Skelettmuskulatur bei Patienten mit CKD<br />

Bernd Winterberg<br />

HF10-Stimulation 42<br />

Hochfrequente Rückenmarkstimulation:<br />

Evidenz, Einsatzgebiet und die Rolle des<br />

Schmerzmediziners<br />

Thorsten Luecke<br />

Cogitatio-Lösung 47<br />

Impressum/Pro domo 47<br />

5


VIRTUELL ERFOLGREICH<br />

Deutscher Schmerz- und Palliativtag<br />

erstmals als Online-Kongress<br />

Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag fand vom 21.–25.07.<strong>2020</strong> mit knapp 2.700 Teilnehmern (und mit<br />

bis zu 639 Besuchern in einer Sitzung) erstmals online statt. Viele haben zum Erfolg der virtuellen Tagung<br />

beigetragen, darunter die Deutsche Schmerzliga als Mitgestalterin des Kongresses und die Deutsche Gesellschaft<br />

für Geriatrie (DGG), Kooperationspartnerin beim Schwerpunktthema des Online-Kongresses – die<br />

schmerzmedizinische Versorgung älterer Menschen.<br />

CONFERENCES<br />

Die Qualität der Vorträge war hervorragend, der<br />

Zuspruch und die Unterstützung vieler, aus Partnergesellschaften,<br />

von Mitgliedern und Nichtmitgliedern<br />

der DGS, auch der Industrie, war<br />

beeindruckend, freut sich Dr. Johannes Horlemann,<br />

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin<br />

e. V.: „Die Schmerzmediziner in Deutschland<br />

haben mit ihrer Teilnahme am virtuellen<br />

Deutschen Schmerz- und Palliativtag bewiesen,<br />

dass sie aufgrund der COVID-19-Pandemie in großer<br />

Zahl neuen Kongressformaten gegenüber sehr<br />

aufgeschlossen sind.“<br />

Schmerzmedizinische Versorgung<br />

älterer Menschen<br />

Ältere Menschen leiden häufig unter zahlreichen<br />

chronischen Erkrankungen und nehmen<br />

deshalb verschiedene Medikamente ein. Um das<br />

Interaktionspotenzial gering zu halten, empfiehlt<br />

Horlemann daher, „Medikamente durch nichtmedikamentöse<br />

Verfahren wie Physiotherapie, verschiedene<br />

Gruppenangebote des körperlichen oder<br />

mentalen Trainings, physikalische Maßnahmen<br />

oder nebenwirkungsarme und organschonende<br />

Medikamente zu ersetzen.“ Da viele Behandlungssituationen<br />

im Alter als palliativ zu bezeichnen<br />

seien, müsse die Leidenslinderung im Vordergrund<br />

stehen. Dabei gehe es nicht allein um die Schmerzreduktion,<br />

sondern die Verwirklichung einer selbstbestimmten<br />

Lebensqualität.<br />

Ein häufig vernachlässigter Aspekt, so Horlemann,<br />

sei in diesem Zusammenhang die Schlafqualität<br />

älterer Patienten. „Wir können von einem<br />

alten Menschen nicht erwarten, dass er ausreichend<br />

trainiert oder kommuniziert, wenn er nicht<br />

erholsam schläft. Mehr als die Hälfte der älteren<br />

Patienten mit Schmerzen leiden unter einer stark<br />

gestörten Schlafarchitektur. Der Erhalt bzw. die<br />

Wiederherstellung des gesunden Schlafes ist daher<br />

ebenso wichtig wie die Sicherung der Mobilität,<br />

der Stimmungsstabilität und der Schmerzfreiheit.“<br />

Interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

gefragt<br />

Beide Fachgesellschaften betonen, dass eine<br />

interdisziplinäre Zusammenarbeit die Basis ist, um<br />

den Herausforderungen in der Schmerztherapie<br />

älterer Menschen zu begegnen. Das betreffe einerseits<br />

die Zusammenarbeit von Fachärzten, Physiotherapeuten,<br />

Apothekern etc. bei der Behandlung<br />

einzelner Patienten. Andererseits sei auch die<br />

bundesweite Kooperation von Fachgesellschaften<br />

wichtig, um die Qualität der Therapie voranzubringen.<br />

„Wir ‚Fachleute‘ aus verschiedenen Fachrichtungen<br />

sind die, die eng zusammenarbeiten müssen<br />

um die Therapien für die geriatrischen Patienten mit<br />

chronischen Schmerzen nachhaltig zu verbessern“,<br />

so Prof. Dr. Hans Jürgen Heppner, Präsident der DGG.<br />

Die DGS will auch in Zukunft mit Veranstaltungen<br />

jenseits des Jahreskongresses online präsent<br />

sein. Mehr als 80 Vorträge der Tagung stehen bis<br />

zum <strong>05</strong>.11.<strong>2020</strong> für registrierte Teilnehmer über die<br />

virtuelle Plattform zur Verfügung.<br />

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.<br />

6


PALLIATIVVERSORGUNG<br />

Palliation in der Geriatrie<br />

Barbara Schubert, Dresden<br />

© vengorosa/photo case.de<br />

Nachdem lange Zeit vor allem die onkologischen Palliativpatienten im Mittelpunkt der hospizlichen und<br />

palliativen Fürsorge standen, gelangt mehr und mehr die Gruppe der geriatrischen Patienten mit komplexen<br />

Beschwerden und Belastungen durch eine sich verschlechternde medizinische Situation, die meist<br />

von Multimorbidität gekennzeichnet ist, ins Blickfeld der <strong>Palliativmedizin</strong>. Nicht alle Erfahrungen aus der<br />

Symptomkontrolle bei onkologischen Patienten sind eins zu eins übertragbar. So will dieser Beitrag für die<br />

besonderen Aspekte der Palliativversorgung geriatrischer Patienten sensibilisieren.<br />

Wir verstehen unter Palliativversorgung die<br />

aktive und umfassende Versorgung von Menschen<br />

jeden Alters mit schwerem, gesundheitsbezogenem<br />

Leiden infolge schwerer Erkrankung und insbesondere<br />

von Menschen nahe am Lebensende. Sie<br />

zielt auf eine Verbesserung der Lebensqualität von<br />

Patienten, deren Familien und pflegenden Zugehörigen<br />

[1].<br />

In diesem Jahr hat die Internationale Vereinigung<br />

für Hospiz- und <strong>Palliativmedizin</strong> (IAHPC) diese Definition<br />

um wesentliche charakterisierende Aspekte<br />

erweitert. Sie stellt heraus, dass palliative care<br />

CONFERENCES<br />

7


PALLIATIVVERSORGUNG<br />

CONFERENCES<br />

• Prävention, frühe Identifizierung, umfassende<br />

Erfassung und Behandlung belastender<br />

Beschwerden und<br />

• effektive Kommunikation während des gesamten<br />

Krankheitsverlaufs beinhaltet,<br />

• parallel zu krankheitsspezifischer Behandlung<br />

stattfinden und den Krankheitsverlauf positiv<br />

beeinflussen kann,<br />

• den Tod weder beschleunigt noch ihn hinauszögert,<br />

• Familien und pflegende Zugehörige in die Fürsorge<br />

einbezieht,<br />

• kulturelle Werte des Betroffenen und seiner<br />

Zugehörigen respektiert,<br />

• als Basismaßnahme an jedem Behandlungsort<br />

stattfinden und<br />

• durch spezialisierte multiprofessionelle Teams<br />

für komplexe Behandlungssituationen umgesetzt<br />

werden kann.<br />

Nachdem zunächst vorrangig spezialisierte palliativmedizinische<br />

Unterstützungsangebote etabliert<br />

worden waren, wird in den letzten Jahren<br />

mehr und mehr Aufmerksamkeit auf die Förderung<br />

der allgemeinen Palliativversorgung gelegt. Dies<br />

zeigt sich nicht zuletzt im ambulanten Versorgungssektor,<br />

indem die Hausärzte und ambulanten<br />

Pflegedienste die zentrale Rolle in der Patientenbetreuung<br />

spielen. So veröffentlichte unlängst die<br />

Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Informationsbroschüre<br />

zur Palliativversorgung [2].<br />

Der geriatrische Patient<br />

Was unterscheidet nun den geriatrischen Pa tienten<br />

von Palliativpatienten in anderem Lebensalter?<br />

Generell sprechen wir bei Patienten jenseits des<br />

70. Lebensjahres von geriatrischen Patienten.<br />

Diese zeichnen sich meist durch eine Geriatrietypische<br />

Multimorbidität aus. Sowohl ihnen als<br />

auch hochbetagten Patienten, etwa jenseits des<br />

80. Lebensjahres ist gemeinsam, dass sie gehäuft<br />

Komplikationen und Folgeerkrankungen aus akuten<br />

Gesundheitsstörungen nach sich ziehen. Es<br />

besteht stets die Gefahr der Chronifizierung von<br />

Akutproblemen. Viele akute Krankheitsbilder zeigen<br />

untypische Symptome und bedürfen einer „atypischen“<br />

Diagnostik: So zeigen alte Menschen mit<br />

einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung oft<br />

nicht die eigentlich charakteristischen Beschwerden<br />

wie Fieber, Husten, Auswurf, Luftnot, sondern<br />

eher eine unspezifische Vigilanzminderung. Durch<br />

Akuterkrankungen drohen Verlust von Autonomie<br />

und Verschlechterung der Funktionalität, was die<br />

Selbstversorgungskompetenzen vermindert und<br />

dem Wunsch, möglichst lange in der vertrauten<br />

Häuslichkeit zu bleiben, entgegensteht.<br />

Viele akute Krankheitsbilder<br />

zeigen untypische<br />

Symptome und bedürfen<br />

einer „atypischen“<br />

Diagnostik.<br />

Multimorbidität führt nicht selten zu Polypragmasie<br />

und Polypharmazie mit negativen Folgen<br />

durch Arzneimittelinteraktionen und unerwünschte<br />

Arzneimittelwirkungen. Nicht selten führen diese<br />

zu Stürzen und damit zu einem wesentlichen prognostischen<br />

Faktor für die verbleibende Lebenszeit.<br />

Alte Menschen weisen oft eine nicht geringe<br />

Zahl „unbehandelbarer“ Risikofaktoren für erneute<br />

Akutkomplikationen auf: So stellen kognitive Defizite<br />

einen Risikofaktor für Ernährungsstörungen<br />

dar oder Harninkontinenz und Diabetes mellitus<br />

für rezidivierende Harnwegsinfektionen. Kommen<br />

betagte Menschen auf Grund einer akuten Gesund-<br />

8


PALLIATIVVERSORGUNG<br />

heitsstörung ins Krankenhaus, so äußern sie sich<br />

oft in der Weise, eigentlich lebenssatt zu sein und<br />

keine Ausweitung ihrer Behandlung zu wünschen.<br />

Trotzdem werden sie oft wiederholt akutmedizinisch<br />

versorgt, obwohl sie lieber sterben möchten.<br />

Geriatrische Syndrome<br />

In höherem Lebensalter spielen bestimmte<br />

Beschwerdekomplexe, die in sich, in ihrer Kombination<br />

und im Zusammentreffen mit der Verschlechterung<br />

chronischer Erkrankungen eine<br />

zunehmende prognostische Relevanz erlangen,<br />

eine große Rolle. Hervorzuheben sind insbesondere<br />

Harninkontinenz und Immobilität, intellektueller<br />

Abbau und körperliche Instabilität, Arzneimittelinteraktionen<br />

und iatrogene Schädigungen wie etwa<br />

die Verschlechterung von Organfunktionen durch<br />

diagnostische oder therapeutische Interventionen.<br />

Aber auch soziale Isolation und Schlafstörungen,<br />

Beeinträchtigungen der Seh- und Hörfähigkeit,<br />

eine verzögerte Passage insbesondere im Kolon<br />

und die zu erwartende zunehmende Altersarmut<br />

spielen eine bedeutende Rolle.<br />

Wann ist ein geriatrischer Patient<br />

palliativ?<br />

Wann jedoch ist ein geriatrischer Patient ein Palliativpatient?<br />

Wie lässt sich die Prognose bei Multimorbidität<br />

ermitteln und wie erkennen wir, dass<br />

das Lebensende des betagten Patienten nahe ist?<br />

Typisch ist der Verlauf mit langsamer aber stetiger<br />

Verschlechterung der funktionellen Fähigkeiten,<br />

mit wiederholter und zum Lebensende hin an Häufigkeit<br />

zunehmender Zahl an akuten medizinischen<br />

Problemen, von der es keine vollständige Erholung<br />

gibt. Insbesondere eine zunehmende Infekthäufigkeit<br />

kennzeichnet das nahende Lebensende.<br />

Selbst der Einsatz akutmedizinischer, insbesondere<br />

Insbesondere eine<br />

zunehmende Infekthäufigkeit<br />

kennzeichnet das nahende<br />

Lebensende.<br />

lebenserhaltender Intensivmaßnahmen kann eine<br />

Verbesserung der körperlichen Verfasstheit meist<br />

nicht mehr erbringen. Umso wichtiger sind Überlegungen<br />

zur gewünschten Behandlungsintensität in<br />

dieser Lebenssituation. Im Hospiz- und Palliativgesetz<br />

von 2015 wurde der Anspruch auf Beratungsleistungen<br />

für gesetzlich Krankenversicherte zum<br />

Thema „Vorausschauende Behandlungsplanung“<br />

bei Einzug in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung<br />

fixiert. Auch wenn diesbezügliche Angebote vielerorts<br />

noch nicht zum Betreuungsstandard der<br />

Pflegeeinrichtungen gehören, so kann die Formulierung<br />

wohlbedachter Behandlungsentscheidungen<br />

zu einer den Wünschen der Betroffenen<br />

besser gerecht werdenden Behandlung am Lebensende<br />

beitragen. Dafür wünschen sich betagte<br />

Menschen, dass sie so lange es irgend geht selbstständig<br />

leben können, dass sie weiterhin Kontakte<br />

zu ihnen nahestehenden Personen haben können<br />

und verstanden werden. Sie wünschen sich Teilhabe,<br />

solange sie diese als positiv empfinden und<br />

die notwendige Unterstützung dafür bekommen.<br />

Und wenn sie satt an Leben sind, dann wünschen<br />

sie sich, dass das Leben leicht von ihnen geht.<br />

S3-Leitlinie <strong>Palliativmedizin</strong><br />

Im August 2019 wurde die erweiterte S3-Leitlinie<br />

<strong>Palliativmedizin</strong> für Patienten mit einer nicht<br />

heilbaren Krebserkrankung veröffentlicht. Diese<br />

CONFERENCES<br />

9


PALLIATIVVERSORGUNG<br />

beinhaltet neben tumorspezifischen Themen der<br />

<strong>Palliativmedizin</strong> auch Themen, die in der palliativen<br />

Geriatrie Bedeutung haben, wie Kommunikation,<br />

Symptomkontrolle in der Sterbephase, Versorgungsstrukturen<br />

in der Hospizarbeit und <strong>Palliativmedizin</strong>,<br />

die Therapiezielfindung und Kriterien der<br />

Entscheidungsfindung, schlafbezogene Erkrankungen<br />

und nächtliche Unruhe, Linderung von Angst<br />

und Umgang mit Todeswünschen [3].<br />

Symptome bei geriatrischen<br />

Palliativpatienten<br />

CONFERENCES<br />

Welche Symptome spielen nun in der Palliativbetreuung<br />

geriatrischer Patienten eine besondere<br />

Rolle? Neben Schmerzen, die je nach Studiengruppe<br />

zwischen 40 % und 86 % der Betroffenen beklagen,<br />

tritt Luftnot bei 11–75 % auf. Ernährungsprobleme<br />

finden sich bei 28–70 % der betagten<br />

Palliativpatienten. Für 29–47 % der Patienten wird<br />

ein Delir verzeichnet. Nahezu 60 % der Betroffenen<br />

leiden unter Harn- oder Stuhlinkontinenz. Darüber<br />

hinaus spielen Atemstörungen, Schwindel, Sturzsyndrom<br />

und Schlafstörungen eine Rolle.<br />

Schmerztherapie im Alter<br />

Besondere Defizite zeigen sich in der algesiologischen<br />

Betreuung geriatrischer Patienten. In einer<br />

Studie von Wulff, Kalinowski und Dräger aus dem<br />

Jahr 2010 zeigte sich, dass 59 % der Bewohner von<br />

Pflegeheimen in Berlin und Brandenburg mit einer<br />

gesicherten Schmerzdiagnose an unbehandelten<br />

Schmerzen litten [4]. Bei geriatrischen Patienten<br />

überwiegen chronische gegenüber den akuten<br />

Schmerzursachen. Neben degenerativen Knochenund<br />

Gelenkerkrankungen spielen Gefäßleiden als<br />

schmerzauslösende Ursachen eine besondere Rolle.<br />

Die Prinzipien der Ursachenabklärung, Anamneseerhebung,<br />

Ermittlung der Schmerzursachen, des<br />

Dr. med. Barbara Schubert<br />

schubert@josephstift-dresden.de<br />

Schmerzcharakters, lindernder und verstärkender<br />

Faktoren bedürfen der Berücksichtigung altersspezifischer<br />

Besonderheiten. Neben kognitiven<br />

Beeinträchtigungen beeinflussen Kommunikationsstörungen,<br />

neurologische und psychiatrische<br />

Störungen die Diagnostik und Therapiebewertungen.<br />

Dazu haben sich verschiedene Instrumente zur<br />

Krankenbeobachtung und Schmerzermittlung wie<br />

etwa der BESD, BISAD oder DOLO-PLUS-2-Short<br />

bewährt.<br />

Für die medikamentöse Schmerztherapie ergeben<br />

sich altersspezifische Besonderheiten: Die<br />

Indikation zum mittel- oder längerfristigen Einsatz<br />

von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), auch<br />

der Coxibe, sollte streng gestellt werden. Patienten<br />

mit Niereninsuffizienz und unter Diuretikatherapie<br />

zeigen auch unter kurzzeitigem Einsatz<br />

von NSAR eine Verschlechterung der Nierenfunktion.<br />

Für viele geriatrische Schmerzpatienten kann<br />

Metamizol unter den Nichtopioiden das Mittel der<br />

Wahl sein. Opioide zeigen delirogenes Potenzial.<br />

Für den differentialtherapeutischen Einsatz gelten<br />

die gleichen Gründe wie in jüngerem Lebensalter.<br />

10


PALLIATIVVERSORGUNG<br />

So ergibt sich für viele geriatrische Patienten eine<br />

gute Rationale für den Einsatz von Hydromorphon<br />

oder Buprenorphin zur Behandlung opiatsensibler<br />

Schmerzen. Die Titration unter Start mit der<br />

geringstmöglichen Dosis und die sehr langsame<br />

Dosissteigerung sind Grundprinzipien in der Opiattherapie<br />

bei älteren Patienten. Neuropathische<br />

Schmerzen werden im geriatrischen Patientengut<br />

häufig gesehen. Ko-Analgetika kommen zum<br />

Einsatz, jedoch gibt es kaum belastbare Daten zu<br />

Patienten jenseits des 80. Lebensjahrs.<br />

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

in der Schmerztherapie<br />

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen treten<br />

in diesem Patientengut häufiger als bei jüngeren<br />

Patienten auf (Schwindel, Vigilanzminderung,<br />

Ödeme, Blutdruckschwankungen etc.). Eine insgesamt<br />

seltene, gefürchtete und wahrscheinlich oft<br />

nicht diagnostizierte Arzneimittelinteraktion ist<br />

das Serotonin-Syndrom. Es entsteht durch Verstärkung<br />

Serotonin-agonistischer Wirkungen in Folge<br />

Interaktion von einzelnen Opioiden, Antidepressiva<br />

und MAO-Hemmern. Geriatrische Patienten zeigen<br />

nicht selten das Zusammentreffen von Krankheitsbildern,<br />

die diese Medikation erforderlich machen<br />

können. Ein medikamentös induzierter Serotoninüberschuss<br />

führt zu Tachykardie und Hypertonie,<br />

Schüttelfrost, Schwitzen, Fieber und Hyperthermie,<br />

Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Pupillenerweiterung,<br />

Myoklonie, Muskelrigidität, Hyperreflexie und Ataxie,<br />

Agitation, Delir, Halluzinationen, Krampfanfällen,<br />

Rhabdomyolyse, Nierenfunktionsstörungen<br />

und metabolischer Azidose. Neben der Beendigung<br />

der auslösenden Medikamente sind eine symptomatische<br />

Therapie und der Einsatz von Setronen<br />

angezeigt.<br />

Insbesondere bei geriatrischen Patienten ist<br />

die Verstärkung unerwünschter Nebenwirkungen<br />

problematisch. So wird die sedierende Wirkung<br />

der Opioide durch Alkohol, Benzodiazepine, Barbiturate,<br />

dämpfende Antidepressiva, Neuroleptika,<br />

Antiepileptika und Antihistaminika verstärkt.<br />

Die opiatassoziierte Obstipation wird auch durch<br />

Anticholinergika, Betablocker, Diuretika, Antidepressiva,<br />

Antazida, Steroide und Anticholinergika<br />

verstärkt. Unter der Medikation mit Opioiden wird<br />

deren emetogene Potenz beispielsweise durch<br />

Digitalis intensiviert. Und ebenso wie Methadon<br />

können Amiodaron, Gyrasehemmer, Makrolide,<br />

Domperidon und Haloperidol zu einer QT-Zeit-Verlängerung<br />

führen [5].<br />

Referenzen<br />

1. Weltgesundheitsorganisation, Definition palliative care,<br />

2002. https://www.who.int/cancer/palliative/definition/<br />

en [Abruf 10.09.<strong>2020</strong>].<br />

2. https://www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Palliativversorgung.pdf<br />

[Abruf 08.09.<strong>2020</strong>].<br />

3. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/<strong>Palliativmedizin</strong>/Version_2/LL_<strong>Palliativmedizin</strong>_2.1_Langversion.pdf<br />

[Abruf 16.09.<strong>2020</strong>].<br />

4. Kölzsch M, Könner F, Kalinowski S et al. Qualität und<br />

Angemessenheit der Schmerzmedikation – Instrument zur<br />

Einschätzung bei Pflegeheimbewohnern. Schmerz 2013;<br />

27(5): 497–5<strong>05</strong>.<br />

5. Wehling, Martin, Burkhardt, Heinrich (Hrsg.). Arzneitherapie<br />

für Ältere, 3. Auflage, Springer 2019.<br />

Dr. med. Barbara Schubert<br />

Klinik für Innere Medizin<br />

Krankenhaus St. Joseph-Stift Dresden<br />

Wintergartenstraße 15/17, 01307 Dresden<br />

CONFERENCES<br />

11


PALLIATIVMEDIZIN<br />

Hunger und Durst am Lebensende<br />

Norbert Schürmann, Moers<br />

© vwillma.../photocase.de<br />

CONFERENCES<br />

Essen und Trinken sind essenzielle Bedürfnisse<br />

unseres Lebens. Veränderungen der alltäglichen<br />

Lebens gewohnheiten sind bei Patienten und<br />

Angehörigen oftmals hochgradig emotional und<br />

mit diffusen Ängsten besetzt. Zunächst gilt es<br />

Hunger und Durst zu definieren, bevor wir auf die<br />

speziellen Bedürfnisse am Lebensende eingehen.<br />

Durst meldet sich als Existenzbedürfnis an. Ihm<br />

folgt die Handlungsbereitschaft des (gesunden)<br />

Menschen zu trinken. Sinkt der Wasseranteil des<br />

Körpers um zirka 0,5 %, signalisiert das Gehirn Durst.<br />

Bei einem Verlust von 10 % kommt es zu einem Trockenheitsgefühl<br />

im Mund und zu Sprechstörungen.<br />

Der tägliche Flüssigkeitsbedarf liegt beim gesunden<br />

Erwachsenen bei zirka zwei Liter, er unterliegt starken<br />

Variablen. Das Fehlen des Durstgefühls wird als<br />

Adipsie bezeichnet. Ab dem 50. Lebensjahr nimmt<br />

mit zunehmendem Alter das Durstgefühl ab [1, 2].<br />

Hunger tritt in der Folge von Nahrungsmangel<br />

auf. Hunger bezeichnet aber auch eine subjektiv<br />

wahrgenommene körperliche Empfindung. Hierbei<br />

handelt es sich um ein physisches, soziales, gesellschaftspolitisches,<br />

psychologisches Phänomen, das<br />

je nach Betrachtungsweise unterschiedlich dargestellt<br />

wird. Die biologische Funktion des Hungerreizes<br />

besteht darin, die ausreichende Versorgung<br />

mit Nährstoffen und Energie sicherzustellen.<br />

Der Zustand der Mundhöhle (Mundtrockenheit,<br />

Ulzerationen, Infektionen etc.) triggert das Durstgefühl<br />

mehr als der Volumenzustand. Die gute<br />

Mundpflege wird bei auftretendem Durst vorausgesetzt<br />

[2, 3].<br />

Ursachen einer verminderten<br />

Nahrungsaufnahme<br />

Die Ursachen einer verminderten oralen Nahrungs-<br />

und Flüssigkeitsaufnahme können vielschichtig<br />

sein. Zunächst sollte abgeklärt werden,<br />

ob es sich um eine reversible oder irreversible<br />

Störung im Zusammenhang mit der Tumorerkrankung<br />

handelt. Des weiteren sollte eine symptomkontrollierte<br />

Therapie nach Rücksprache mit dem<br />

Patienten erfolgen. Auch invasive Verfahren sind<br />

dabei zu berücksichtigen. Die Tabelle 1 listet die<br />

vielfältigen Ursachen einer verminderten Nahrungsaufnahme<br />

auf.<br />

12


PALLIATIVMEDIZIN<br />

Tabelle 1: Ursachen einer verminderten Nahrungsaufnahme<br />

[2, 4, 5, 7, 8].<br />

Mund-Schleimhaut-Entzündung (Stomatitis, Soor )<br />

Geschmacksstörung, Zinkmangel, brennende Zunge<br />

trockener Mund (Xerostomie), Dehydrierung<br />

Schluckstörung<br />

Hypersalivation<br />

Kaustörungen<br />

Dysphagie, Odynophagie, Soorösophagitis<br />

Refluxkrankheit<br />

chronische Nausea, frühes Sättigungsgefühl, autonome<br />

gastrointestinale Dysmotilität<br />

akute Nausea, Erbrechen (auch durch Chemotherapie, Radiotherapie)<br />

schwere Verstopfung<br />

gastrointestinale Obstruktion<br />

Angst vor Stuhlinkontinenz nach dem Essen<br />

schwere Symptome und Syndromkomplexe (Schmerz, Husten,<br />

Atemnot, Depression usw.)<br />

Verwirrung, Demenz<br />

soziale und finanzielle Hindernisse<br />

Essenspräsentation und unangepasste Umgebung<br />

Diätfehler: „zu gesund“ essen, mit zu wenig Proteinen und Fett<br />

alternative Krebsdiäten (Hungerkuren)<br />

psychische Ursachen<br />

Pathophysiologie Voraussetzungen bei<br />

fortgeschrittenen Tumorerkrankungen<br />

Die Ausgangsbasis bei fortgeschrittenen tumorösen<br />

Erkrankungen ist gegenüber Gesunden eine völlig<br />

andere. Die Patienten haben häufig einen schweren<br />

Gewichtsverlust insbesondere bei gastrointestinalen<br />

Tumoren, sie sind abgemagert, zum Teil kachektisch.<br />

Durch Hypoproteinämie haben sie periphere Ödeme<br />

oder Lungenödeme, ihr Hautturgor ist stark reduziert,<br />

und die Patienten sind anfälliger für Dekubitus. Die<br />

Frage der hochkalorischen Ernährung sollte ab dem<br />

Zeitpunkt des Gewichtsverlustes gestellt werden,<br />

nicht erst im katabolen Ernährungszustand. Schwere<br />

Gewichtsverluste lassen sich durch hochkalorische<br />

Ernährung nicht mehr kompensieren (Tabelle 2).<br />

Tabelle 2: Folgen der Ernährung im fortgeschrittenen<br />

Tumorstadium.<br />

Es handelt sich um eine katabole Stoffwechsellage ohne<br />

einen positiven Effekt der hyperkalorischen Ernährung.<br />

Ein Gewichtsverlust ist nicht zu verhindern.<br />

Bereits kleinste Nahrungsmengen reichen aus um den Hunger<br />

und/oder den Durst zu stillen.<br />

Behandlungsziele<br />

• Respekt vor Wünschen, Bedürfnissen und Ablehnungen<br />

des Patienten,<br />

• Linderung von Begleitsymptomen wie Völlegefühl,<br />

Übelkeit, Erbrechen,<br />

• Stillen des subjektiven Durst- und Hungergefühls,<br />

• zwangloser Genuss, mengenunabhängig,<br />

• appetitsteigernde Angebote machen,<br />

• Ängste des Patienten und der Angehörigen ernst<br />

nehmen und beachten.<br />

Handlungsleitend sollte das Bewahren des subjektiven<br />

Wohlbefindens und das Stillen von Hunger<br />

und Durstgefühl sein. Entsprechend hat sich<br />

die Bundesärztekammer 2004 und 2011 geäußert<br />

(Hilfe in palliativmedizinischer Versorgung).<br />

Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr,<br />

da sie für Sterbende eine schwere<br />

Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger<br />

und Durst als subjektive Empfindungen gestillt<br />

werden (Grundsätze der Bundesärztekammer zur<br />

ärztlichen Sterbebegleitung) [4].<br />

Noch eindeutiger positioniert sich der Bayerische<br />

Landespflegeausschuss zum Thema Essen und Trinken<br />

am Lebensende: „Schwerkranke und sterbende<br />

Menschen haben deutlich weniger das Bedürfnis<br />

zu essen und zu trinken. Ein Mensch kann nicht<br />

qualvoll verhungern und verdursten, wenn er Hunger<br />

und Durst gar nicht verspürt.“ Schlussendlich<br />

kann man nur verhungern, wenn man Hunger hat<br />

[5] oder wie Cicely Saunders treffend sagt: „Men-<br />

CONFERENCES<br />

13


PALLIATIVMEDIZIN<br />

schen sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern<br />

sie essen nicht, weil Sie sterben.“<br />

Theorie und Praxis<br />

Doch im täglichen Klinikalltag stellt sich vieles<br />

leider genau anders dar. Der Hang zur Übertherapie<br />

am Lebensende ist ein Phänomen, das wir nicht nur<br />

bei der Ernährung finden, sondern auch bei therapeutischen<br />

Behandlungsansätzen wie Chemo- und/<br />

oder Strahlentherapie, Beatmungszeiten auf Intensivstationen,<br />

Ernährung über die PEG bei demenziellen<br />

oder stark ZNS-geschädigten Patienten.<br />

© Jochen Tack/Alamy Stock Photo<br />

nicht mehr das Gefühl ertragen müssen, der Patient<br />

müsste verhungern oder verdursten.<br />

Auch der Übereifer oder die Unkenntnis mancher<br />

Behandler verbessert nicht, sondern verschlechtert<br />

die Situation der Patienten im Sterben. Professor<br />

Borasio aus München bemerkt zutreffend: „Es wird<br />

derzeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen vieles<br />

in bester Absicht getan, was die Menschen – ungewollt<br />

– aktiv am friedlichen Sterben hindert.“ [4].<br />

Das freiwillige Beenden der Nahrungsaufnahme<br />

bei fortgeschrittenen tumorösen Erkrankungen<br />

schwerstkranker Patienten gehört zum natürlichen<br />

Sterbeprozess und kann Ausdruck der Autonomie<br />

und der Würde des Patienten sein [2].<br />

Es ist wichtig, stets festzustellen, ob die Appetitlosigkeit<br />

und die verminderte orale Nahrungs- und<br />

Flüssigkeitsaufnahme allein mit dem Sterbeprozess in<br />

Zusammenhang stehen. Eine Flüssigkeitsmenge von<br />

500 ml/24 Stunden ist in der Regel in dieser Lebensphase<br />

völlig ausreichend, um beispielsweise einen<br />

Dekubitus zu verhindern [2]. Bei Fieber oder Durchfall<br />

ist die Flüssigkeitsmenge anzupassen [6] (Tabelle 3).<br />

Abbildung 1: Eine Flüssigkeitsmenge von 500 ml/24 Stunden ist in der Regel bei Sterbenskranken<br />

völlig ausreichend, um beispielsweise einen Dekubitus zu verhindern.<br />

CONFERENCES<br />

Die Interessen sind dabei unterschiedlich, dennoch<br />

stellt sich doch die Frage: Aus welchem Grunde werden<br />

gerade auch von Angehörigen am Lebensende<br />

bestimmte Therapien gefordert, die zum Teil vorher<br />

keine oder nur geringe Beachtung fanden. Ein<br />

Grund ist sicherlich die schlechte oder ungenügende<br />

Aufklärung, der geringe Informationsfluss an Angehörige.<br />

Nur eine frühzeitige und gute Informationspolitik<br />

an die Angehörigen kann dazu beitragen, dass<br />

physiologische Prozesse bei Sterbenskranken besser<br />

verstanden sowie akzeptiert werden und Angehörige<br />

Tabelle 3: Vorteile einer verminderten Flüssigkeitszufuhr<br />

am Lebensende.<br />

weniger Erbrechen<br />

weniger Husten, Verschleimung<br />

weniger Ödeme<br />

weniger Schmerzen<br />

erhöhte Endomorphinkonzentration<br />

Hautturgor verbessert: Verhinderung von Dekubitus<br />

Haben Sterbende Hunger?<br />

Künstliche Ernährung<br />

Unumstritten ist die Sinnhaftigkeit des Einsatzes<br />

dieser supportiven Maßnahme bei reversiblen<br />

Organfunktionsstörungen. Anders sieht es aus,<br />

wenn die Funktionsstörung mit einer nicht heilbaren<br />

fortgeschrittenen Erkrankung einhergeht.<br />

Die unreflektierte Fortführung von subkutaner<br />

14


PALLIATIVMEDIZIN<br />

Flüssigkeitsgabe bis in die Terminalphase ist kontraproduktiv,<br />

sie erhöht das Risiko von peripheren<br />

Ödemen, Aszites, Pleuraergüssen und Lungenödemen!<br />

Die subkutane Flüssigkeitsgabe sollte individuell<br />

erfolgen. Die Vermeidung „belastender“<br />

künstlich zugeführter Flüssigkeit und Ernährung<br />

bedeutet für die meisten Sterbenden mehr Lebensqualität.<br />

Die PEG-Ernährung ist unter anderem ein<br />

bedeutender Risikofaktor für Aspiration, zumal<br />

durch die PEG-Ernährung Infektionen eher gefördert<br />

als verhindert werden. Ein Vorteil für eine Verlängerung<br />

der Lebenszeit bei Patienten mit PEG<br />

konnte nicht festgestellt werden [4].<br />

Entscheidend für unser<br />

palliatives Handeln ist der<br />

Wille des Patienten.<br />

Bei anhaltender Nahrungskarenz wird eine<br />

Reihe von Stresshormonen ausgeschüttet, gleichzeitig<br />

werden auch stimmungsaufhellende Hormone<br />

gebildet, vor allem Serotonin. Wenn der<br />

Nahrungsverzicht gewollt und geplant ist, entfällt<br />

der psychische Stress. Dies führt dazu, dass mehr<br />

Endorphine gebildet werden, die auf Grund des verlangsamten<br />

Stoffwechsels lange im Blut bleiben.<br />

Solche Reaktionen und Abläufe sind in der <strong>Palliativmedizin</strong><br />

keine Seltenheit, beim Sterben unter<br />

erhöhtem Stress werden Endorphine ausgeschüttet,<br />

die das Sterben für die Patienten erträglicher<br />

machen. Erst durch vermehrte Volumengaben werden<br />

diese Effekte wieder aufgehoben.<br />

Entscheidend für unser palliatives Handeln ist<br />

der Wille des Patienten. Keine Leitlinien, keine<br />

Eminenzen entscheiden über Behandlungsformen,<br />

sondern alleine und ausschließlich der Patient,<br />

möglicherweise sogar zu seinem Schaden. Wir können<br />

und sollten Ratgeber unserer Patienten sein,<br />

Norbert Schürmann<br />

schmerzambulanz@st-josef-moers.de<br />

nicht weniger, aber auch nicht mehr. Frühzeitige<br />

Aufklärung des Patienten und deren Angehörigen<br />

über die Besonderheiten der letzten Lebensphase<br />

sind Pflichtaufgaben jedes Mediziners.<br />

Referenzen<br />

1. Durst; Wikipedia online<br />

2. Leitlinien der DGP Sektion Pflege: Ernährung und Flüssigkeit<br />

in der letzten Lebensphase, Juni 2014.<br />

3. Hunger; Wikipedia online<br />

4. Borasio GB. Wir können Ihn doch nicht verdursten lassen...“<br />

https://gohrbandt.files.wordpress.com/2017/09/<br />

fakten-und-mythen-zur-ernc3a4hrung-und-flc3bcssigkeit-am-lebensende-borasio.pdf<br />

[Abgerufen am 5.10.20]<br />

5. Remane UK, Fringer A. Freiwilliger Verzicht auf Nahrung<br />

und Flüssigkeit in der Palliative Care: ein Mapping Review.<br />

Pflege 2013; 26: 411–20.<br />

6. Brantzen K-B. Künstliche Ernährung am Lebensende. Ja<br />

oder Nein? Der Allgemeinarzt 2017; 39(12): 18–22.<br />

7. Thöns M, Halt B. Ernährungsmedizinische Aspekte in der<br />

Palliativversorgung. Schmerzmedizin 2017; 33(3): 28–32.<br />

8. Thöns M. Ernährung am Lebensende. Witten Transparent,<br />

2014.<br />

Norbert Schürmann<br />

Niederrheinisches Zentrum für Schmerz-und <strong>Palliativmedizin</strong>,<br />

St. Josef Krankenhaus GmbH Moers<br />

Asberger Straße 4, 47441 Moers<br />

CONFERENCES<br />

15


HYDROMORPHON IN 24-STUNDEN-GALENIK<br />

Schmerzmedizin bis ins hohe Alter<br />

Schwerpunktthema des Deutschen Schmerz- und Palliativtages <strong>2020</strong>, der in diesem Jahr virtuell stattfand,<br />

war die schmerzmedizinische Versorgung älterer Menschen, die in Deutschland trotz aller Bemühungen in den<br />

vergangenen Jahren strukturell weder quantitativ noch qualitativ sichergestellt ist. Die Prävalenz chronischer<br />

Schmerzen nimmt im höheren Lebensalter zu. Je nach Quelle leiden 25 % bis zu 75 % der älteren Patienten an<br />

chronischen Schmerzen, bis zu 93 % sind es in Alters- und Pflegeheimen [1]. Die medikamentöse Therapie ist<br />

ein Baustein in der Schmerztherapie, aber auch nichtpharmakologische Interventionen wie Bewegungstherapie<br />

und psychotherapeutische Angebote gehören zu einer hilfreichen und wirksamen multimodalen Schmerzmedizin.<br />

Die Praxisleitlinie Tumorschmerz der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) empfiehlt<br />

Hydromorphon als Präferenzsubstanz [2]. Womit sich Hydromorphon im Vergleich zu vielen anderen Opioiden<br />

bei multimorbiden und älteren Patienten auszeichnet, erläuterte der Präsident der DGS Dr. Johannes Horlemann.<br />

EDUCATION<br />

Im Laufe des Lebens ändern sich viele physiologische<br />

Variablen, dazu zählen die Aufnahme von<br />

Arzneistoffen, deren Verteilung im Körper, der biochemische<br />

Um- und Abbau sowie die Ausscheidung.<br />

Die Stoffwechselrate der Leber, der renale Blutfluss<br />

und die glomeruläre Filtrationsrate der Niere nehmen<br />

mit dem Alter ab. Die Körperzusammensetzung<br />

verändert sich zu Gunsten des Fett gewebes. Eine<br />

verzögerte Magenentleerung und eine reduzierte<br />

Darmmotilität verändern die Resorption von Arzneimitteln<br />

und erhöhen das Risiko für gastrointestinale<br />

Nebenwirkungen. Auch die Konzentrationen<br />

von Serumalbumin und anderen Transportproteinen<br />

nehmen mit zunehmendem Alter ab.<br />

Gleichzeitig steigt das Risiko an einer chronischen<br />

Krankheit zu erkranken. Mehrfacherkrankungen bei<br />

älteren Patienten sind häufig, bei Hochbetagten die<br />

Regel. Nach Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI)<br />

betrug der Anteil der 65–74-Jährigen, die an fünf und<br />

mehr chronischen Erkrankungen leiden, bei Frauen<br />

27,3 % und bei Männern 19,6 %; in der Altersgruppe<br />

ab 75 Jahren waren 34,6 % der Frauen und 25,9 %<br />

der Männer betroffen [3]. Multimorbidität ist dabei<br />

nahezu immer mit chronischen Schmerzen assoziiert.<br />

Zu den Erkrankungen, die mit erheblichen Schmerzen<br />

einhergehen und die im Alter häufig sind, gehören<br />

Postzosterneuralgie, diabetische Polyneuropathie,<br />

degenerative Erkrankungen des Muskel-, Sehnenoder<br />

Skelettapparates und Tumorerkrankungen.<br />

Mit den Jahren nimmt die Polymedikation dramatisch<br />

zu. Mehr als 40 % der Über-65-Jährigen<br />

nehmen fünf oder mehr rezeptpflichtige Arzneimittel<br />

ein [3]; noch nicht berücksichtigt ist hierbei<br />

die Selbstmedikation durch den Patienten. Mit der<br />

Anzahl der täglich einzunehmenden Medikamente<br />

steigt das Risiko von klinisch relevanten Interaktionen,<br />

die Adhärenz nimmt ab und Verordnungsfehler<br />

werden wahrscheinlicher. Nicht selten ist die<br />

Nierenfunktion älterer Patienten eingeschränkt, so<br />

dass reguläre Verordnungen zu Überdosierungen<br />

führen können, Kontraindikationen und Medikamenteninteraktionen<br />

werden übersehen oder missachtet,<br />

und da in der Regel verschiedene Ärzte in<br />

die Versorgung eines älteren Menschen involviert<br />

sind, kann es zu Doppelverordnungen kommen.<br />

NSAR – im Alter problematisch<br />

Bei den häufigen Gelenk- und Muskelbeschwerden<br />

im Alter werden in Deutschland vor allem<br />

nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) verschrieben.<br />

Präparate mit Wirkstoffen wie Ibuprofen oder<br />

Diclofenac finden sich in nahezu jedem Seniorenhaushalt<br />

und das, obwohl sie aufgrund des komplexen<br />

Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils zur<br />

Therapie dauerhafter Schmerzen nach Möglichkeit<br />

vermieden werden sollten. Die kardiovaskulären,<br />

nephrologischen sowie gastrointestinalen<br />

16


HYDROMORPHON IN 24-STUNDEN-GALENIK<br />

Nebenwirkungen der NSAR führen nicht selten<br />

zu Verordnungskaskaden mit Magenschutz und<br />

Blutdrucksenkern. Leitlinien empfehlen daher,<br />

dass NSAR im Alter, insbesondere bei moderater<br />

bis schwerer Hypertonie, bei Herzinsuffizienz, bei<br />

Langzeitkoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten<br />

und bei chronischer Niereninsuffizienz (GFR<br />

20–50 ml/min), abgesetzt werden sollten [4].<br />

Schmerztherapie mit Opioiden<br />

Mit Beginn der 1990er-Jahre wurden Opioide<br />

zunehmend in der Therapie chronischer Schmerzen<br />

eingesetzt. Mittlerweile ist die Behandlung<br />

schwerer Schmerzzustände mit Opioid-Analgetika<br />

im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie<br />

auch bei chronischen nichttumorbedingten<br />

Schmerzen unbestritten. Eine Opioid-Therapie sei<br />

im Alter nicht nur möglich, sondern sehr oft auch<br />

nötig, sagte Horlemann. Das Spektrum der unerwünschten<br />

Arzneimittelwirkungen der Opioide<br />

unterscheide sich deutlich von dem der NSAR.<br />

Aufgrund der fehlenden Organtoxizität haben<br />

Opioide einen hohen Stellenwert in der Langzeittherapie<br />

chronischer Schmerzen. Weitere Vorteile<br />

sind die Wirksamkeit auch bei starken Schmerzen,<br />

ein großer Dosierungsspielraum und die gute Kombinierbarkeit.<br />

Wichtiges Ziel einer Opioid-Therapie im Alter ist<br />

eine konstante Analgesie über 24 Stunden (steady<br />

state), nur so lässt sich einer Schmerzchronifizierung,<br />

die häufig eine Folge von Angst, Depression,<br />

Stress, Mobilitätsverlust oder Schlafstörungen ist,<br />

effektiv entgegenwirken. Da sie besser steuerbar<br />

sind, sollten orale Präparate bevorzugt werden.<br />

Eine einmal tägliche Einnahme trägt zur Verbesserung<br />

der Compliance bei. Bei der Wahl des Opioids<br />

müssen Leber- und Niereninsuffizienz berücksichtigt<br />

werden. Bezüglich der Dosierung gilt die Devise<br />

start low and go slow. Dabei sei es vorteilhaft, so<br />

Horlemann, stärker wirksame Opioide zu wählen<br />

und sie in niedriger Dosierung einzusetzen. Eine<br />

regelmäßige Kontrolle von Wirkung und Nebenwirkungen<br />

sind obligat. Opiattypischen Nebenwirkungen,<br />

wie zum Beispiel der Obstipation, sollte<br />

frühzeitig prophylaktisch begegnet werden.<br />

Da bei einer Schmerztherapie oftmals zum Ende<br />

eines Einnahmeintervalls, kurz vor der nächsten Einnahme<br />

der Basismedikation verstärkt Schmerzen<br />

auftreten (End-of-Dose-Failure), sollten die verordneten<br />

Präparate zuverlässig effektive Wirkspiegel<br />

über 24 Stunden ermöglichen und statt hoher Peak-<br />

Konzentrationen eher plateauartige Konzentrationsverläufe<br />

aufweisen. Auch eine Wirksamkeit über die<br />

gesamte Schlafdauer ist wegen der häufig nachtbetonten<br />

Schmerzmechanismen mit schmerzhaftem<br />

Erwachen von besonderer Bedeutung.<br />

Besondere Stellung des<br />

Hydromorphons<br />

Hydromorphon ist aufgrund seiner pharmakologischen<br />

Vorteile eine präferierte Substanz der Praxisleitlinie<br />

Tumorschmerz der Deutschen Gesellschaft<br />

für Schmerzmedizin [2]. Hydromorphon wirkt aufgrund<br />

seiner hohen Affinität zu den µ-Rezeptoren<br />

bei neuropathischen, nozizeptiven und viszeralen<br />

Schmerzen. Zu den entscheidenden Vorteilen, die<br />

Hydromorphon zu einem empfohlenen Opioid bei<br />

multimorbiden und geriatrischen Patienten oder<br />

Patienten unter Polymedikation machen, zählen:<br />

• Hydromorphon zeichnet sich durch eine hohe<br />

orale Bioverfügbarkeit aus.<br />

• Die geringe Plasmaeiweißbindung und eine<br />

Metabolisierung, die weitgehend über Glucuronidierung<br />

und unabhängig vom Cytochrom-P450-Enzymsystem<br />

erfolgt, sorgt für ein<br />

geringes Interaktionspotenzial.<br />

• Im Unterschied zu Morphin wird kein 6-Glucoronid<br />

gebildet, welches nach Akkumulation bei<br />

EDUCATION<br />

17


HYDROMORPHON IN 24-STUNDEN-GALENIK<br />

MOR<br />

5.415<br />

OXY<br />

3.152<br />

HYD SR<br />

9.707<br />

HAL 24h<br />

7.420<br />

OTH<br />

6.644<br />

ALL<br />

31.842<br />

21,6 26,1<br />

43,4 53,1 46,9 34,7 38,4<br />

78,4 73,9 56,6<br />

65,3 61,6<br />

p


NEWS<br />

Vier von fünf COVID-19-Patienten<br />

entwickeln neurologische Beschwerden<br />

COVID-19 geht sehr häufig mit neurologischen<br />

Beschwerden einher. Wie häufig, zeigt eine aktuell<br />

publizierte Arbeit [1]: Insgesamt beträgt die<br />

Prävalenz mehr als 80 % und fast jeder dritte<br />

Patient erleidet eine mehr oder weniger stark<br />

ausgeprägte Enzephalopathie.<br />

Eine Arbeitsgruppe der Charité und des Deutschen<br />

Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen<br />

(DZNE) liefert dafür eine einleuchtende Hypothese<br />

[2]: Sie zeigte, dass einige SARS-CoV-2-Antikörper<br />

aus dem Blut von COVID-19-Patienten nicht nur an<br />

das Virus binden, um es zu neutralisieren, sondern<br />

auch an Strukturen des Gehirns und des Nervensystems.<br />

Neuro-COVID<br />

COVID-19 kann zu vielen verschiedenen neurologischen<br />

Manifestationen und Komplikationen<br />

führen – und zwar unabhängig von der Schwere<br />

der Atemwegsinfektion oder anderen Organbeteiligungen.<br />

Die Vielzahl an Veröffentlichungen<br />

von Fallserien und Studien führte daher zur<br />

Bezeichnung „Neuro-COVID“. Das neurologische<br />

Beschwerdespektrum reicht dabei von Riech- und<br />

Geschmacksstörungen über Schlaganfälle, Epilepsie<br />

und Lähmungen bis zu Verwirrtheit und MSähnlichen<br />

Bildern. Auffällig ist außerdem, dass sehr<br />

viele Betroffene nach Abklingen der akuten Erkrankung<br />

nicht beschwerdefrei werden, man spricht<br />

dann von einem „Post-COVID-Syndrom“. Im Vordergrund<br />

stehen dabei Müdigkeit bzw. Fatigue und<br />

reduzierte Belastbarkeit; in einigen Fällen bleiben<br />

aber auch neurologische Symptome und Ausfälle<br />

zurück.<br />

Eine aktuelle Studie aus Chicago [1] hat die<br />

Bandbreite der neurologischen Beschwerden im<br />

Kontext einer COVID-19-Erkrankung zusammengetragen<br />

und deren Häufigkeit evaluiert: Fast die<br />

Hälfte der Patienten zeigten zu Beginn der Erkrankung<br />

(42,2 %) neurologische Beschwerden, bei den<br />

Patienten, die wegen COVID-19 in ein Krankenhaus<br />

aufgenommen werden mussten, waren es sogar<br />

fast zwei Drittel (62,7 %). Noch höher war der<br />

Anteil der Patienten, die insgesamt im Verlauf der<br />

COVID-19-Erkrankung neurologische Beschwerden<br />

entwickelten (also nicht nur zum Zeitpunkt des<br />

Krankheitsbeginns): das waren 82,3 %, also vier<br />

von fünf Patienten. Besonders häufig waren Muskelschmerzen<br />

(44,8 %), Kopfschmerzen (37,7 %)<br />

und Enzephalopathien (31,8 %).<br />

Einladung zum DGN-Kongress <strong>2020</strong>:<br />

live, interaktiv und digital<br />

Der 93. Kongress der Deutschen Gesellschaft für<br />

Neurologie findet am 4.–7.11.<strong>2020</strong> virtuell statt.<br />

Neben über 300 Vorträgen, die als Webcasts zur<br />

Verfügung stehen, bietet der Kongress ein Liveprogramm<br />

auf drei (am Freitag sogar auf vier) parallelen<br />

Kanälen. Highlight-Themen werden auf den<br />

Punkt aufbereitet: Jeden Abend diskutieren neurologische<br />

Top-Experten die wichtigsten Inhalte des<br />

Tages.<br />

Referenzen<br />

1. Liotta E, Batra A, Clark JR et al. Frequent neurologic manifestations<br />

and encephalopathy-associated morbidity in<br />

Covid-19 patients. Annals of Clinical and Translational<br />

Neurology. First published: <strong>05</strong> October <strong>2020</strong>. https://doi.<br />

org/10.1002/acn3.51210<br />

2. Kreye J, Reincke SM, Kornau HC et al. A therapeutic nonself-reactive<br />

SARS-CoV-2 antibody protects from lung<br />

pathology in a COVID-19 hamster model. Cell <strong>2020</strong>; Open<br />

Access Published: September 23 https://www.cell.com/<br />

cell/fulltext/S0092-8674(20)31246-0<br />

Quelle: DGN<br />

EDUCATION<br />

19


GONARTHROSE<br />

Radiologisch interventionelle Therapie<br />

der Kniegelenksarthrose<br />

Peter Minko und Patrick Orth, Homburg/Saar<br />

© javiindy/photocase.de<br />

Die Arthrose des Kniegelenks (Gonarthrose) ist eine degenerative Erkrankung, deren Verlauf nicht umkehrbar<br />

ist und die mit deutlicher Einschränkung der physischen Aktivität und Lebensqualität aufgrund chronischer<br />

Schmerzen einhergehen kann. Die bis dato klinisch etablierten Behandlungskonzepte beinhalten neben<br />

der konservativen medikamentösen Therapie auch Operationen bis hin zum künstlichen Kniegelenk (Kniegelenkprothese),<br />

abhängig von Schweregrad der Arthrose und Intensität der Schmerzen. Eine Vielzahl von<br />

Patienten sprechen – vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung – auf konservative Therapien<br />

nicht mehr an und können oder wollen nicht dauerhaft Schmerzmittel einnehmen.<br />

CONFERENCES<br />

Des Weiteren sind einige Patienten noch zu jung<br />

oder andere zu krank, um eine Kniegelenkprothese<br />

zu erhalten. Außerdem klagen bis zu 10 % der<br />

Patienten über weiterhin bestehende Schmerzen<br />

nach einem künstlichen Kniegelenk. Die Ursachen<br />

hierfür sind vielfältig, in einigen Fällen liegt eine<br />

geringradige (low-grade) Entzündungsreaktion<br />

zugrunde.<br />

Geniculararterienembolisation<br />

Die interventionelle Schmerztherapie in Form<br />

der temporären Embolisation der Arteria (A.)<br />

genicularis (Kniegelenksarterie; Geniculararterienembolisation<br />

[GAE] oder auch transarterielle<br />

periartikuläre Embolisation [TAPE]) stellt eine neue<br />

Form der symptomatischen Therapie bei der Gonar-<br />

20


GONARTHROSE<br />

throse dar. Die initialen Ergebnisse dieser Methode<br />

sind seit den ersten veröffentlichten Studien 2015<br />

vielversprechend [1]. Größere Patientenzahlen<br />

folgten und zeigen bis dato aussichtsreiche Ergebnisse<br />

[2–6]. Hierbei konnte eine Reduzierung des<br />

WOMAC-Schmerz-Index um 50 % bei 86,3 % der<br />

Patienten nach sechs Monaten und bei 79,8 % der<br />

Patienten nach drei Jahren erzielt werden [1–3].<br />

Nach einer lokalen Betäubung in der Leiste wird<br />

ein kleiner Katheter in die Hauptschlagader des<br />

Beins (A. femoralis communis) eingebracht und<br />

unter Röntgenkontrolle (Angiographie) zu den<br />

kniegelenkversorgenden Gefäßen vorgeführt. Die<br />

einzelnen kleinen Gefäße, welche das Kniegelenk<br />

versorgen, werden gezielt (superselektiv) mittels<br />

eines Mikrokatheters (Durchmesser 0,51 mm)<br />

sondiert (Abbildungen 1a, 2a). Lässt sich eine<br />

Entzündungsreaktion durch eine vermehrte Kontrastmittelaufnahme<br />

(blush) darstellen (Abbildungen<br />

1a, 2a), wird ein Medikament gespritzt,<br />

welches die kleinsten Gefäße verschließt (Embolisation)<br />

(Abbildungen 1, 2b, c). Bei vielen Patienten<br />

wird der ihnen bekannte Schmerzreiz bei der<br />

Sondierung und Applikation von Kontrastmittel<br />

ausgelöst, was für eine erfolgreiche Therapie ein<br />

guter prognostischer Faktor sein kann. Für den<br />

Verschluss der Gefäße wird als Embolisat entweder<br />

ein Gemisch eines Antibiotikums (Imipenem/<br />

Cilastatin) und Kontrastmittel oder kleine normierte<br />

Partikel (Mikrosphären) verwendet. Nach<br />

der Embolisation werden die Katheter wieder entfernt<br />

und die Punktionsstelle mittels manueller<br />

Kompression verschlossen. Eine Bettruhe von mindestens<br />

sechs Stunden und ein Druckverband für<br />

24 Stunden sind nach dem Eingriff notwendig. Aus<br />

diesem Grund ist ein stationärer Krankenhausaufenthalt<br />

mit einer Übernachtung vorgesehen. Körperliche<br />

Einschränkungen sind – abgesehen von<br />

zwei Tagen Sportkarenz – nach dem Eingriff nicht<br />

erforderlich.<br />

Diskussion<br />

Prof. Dr. med. Peter Minko, MBA<br />

peter.minko@uks.eu<br />

Prof. Dr. med. Patrick Orth<br />

patrick.orth@uks.eu<br />

Der genaue Wirkungsmechanismus dieser neuen<br />

Methode ist bislang noch nicht gänzlich bekannt.<br />

Ausgehend von der Hypothese, dass es durch die<br />

Arthrose zu einer Inflammationsreaktion kommt,<br />

wird eine synoviale Angiogenese ausgelöst, was<br />

CONFERENCES<br />

21


GONARTHROSE<br />

a<br />

Abbildung 1: DSA nach selektiver Sondierung der A. genicularis sup. med. vor (a) und nach<br />

Medikamentengabe (b). Die zuvor abgrenzbaren hypervaskularisierten Anteile am Knie<br />

lassen sich nach der Gabe des Medikaments in der DSA sowie ohne Subtraktion nicht mehr<br />

abgrenzen (b und c).<br />

a<br />

CONFERENCES<br />

b<br />

b<br />

Abbildung 2: Gefäßdarstellung nach selektiver Sondierung der A. genicularis lat. sup. vor<br />

(a) und nach Medikamentengabe (b). Die zuvor abgrenzbaren hypervaskularisierten Anteile<br />

am Knie lassen sich nach der Gabe des Medikaments in der DSA sowie ohne Subtraktion<br />

nicht mehr abgrenzen (b und c).<br />

c<br />

c<br />

zu einem Gefäß- und Nervenwachstum sowie zu<br />

einem strukturellen Schaden bei der Osteoarthrose<br />

und damit zu Schmerzen führt [7]. In tierexperimentellen<br />

Studien konnte gezeigt werden,<br />

dass es durch die Gabe von Angiogeneseinhibitoren<br />

zu einer signifikanten Reduktion der synovialen<br />

Inflammation und damit Schmerzreduktion<br />

gekommen ist [8]. Hier setzt die oben genannte<br />

Embolisation der A. genicularis an, bei der es durch<br />

die superselektive Embolisation der zur Inflammation<br />

zuführenden Gefäße zu einer Reduktion der<br />

Entzündungsreaktion und damit klinisch zu einer<br />

Schmerzreduktion kommen soll.<br />

Der Vorteil der oben beschriebenen radiologisch<br />

interventionellen Methode der Embolisation<br />

ist, dass diese Prozedur wiederholt werden kann,<br />

falls die gewünschte Schmerzreduktion nicht<br />

ausreichen sollte und/oder nach Jahren wieder<br />

Beschwerden auftreten. Zudem verhindert dieser<br />

Eingriff nach unseren Erfahrungen, sowie den<br />

beschriebenen Daten in der Literatur [1–6], keine<br />

gegebenenfalls nachfolgenden orthopädischen<br />

Operationen; es sind diesbezüglich in der Literatur<br />

keine Komplikationen wie beispielsweise Osteonekrosen<br />

beschrieben [1–6].<br />

Die Planung der Embolisation sollte stets in<br />

enger Kooperation mit den orthopädischen Kollegen<br />

erfolgen. Generell kommen Patienten für solch<br />

einen Eingriff in Frage, die an einer Kniegelenkarthrose<br />

– Kellgren-Lawrence-Grad 1 bis 3 – leiden,<br />

die jedoch vom Lebensalter prinzipiell zu jung<br />

für einen Kniegelenksersatz sind oder deren Kniegelenk<br />

radiologisch noch vergleichsweise wenig<br />

degenerative Schäden aufweist und somit einen<br />

endoprothetischen Ersatz nicht rechtfertigt. Ferner<br />

eignen sich für das Verfahren auch Patienten mit<br />

Kontraindikationen für eine offene Operation (z. B.<br />

duale Plättchenaggregation, Multimorbidität) oder<br />

solche, die bereits mit einem Knie gelenksersatz<br />

versorgt sind, aber über persistierende Schmerzen<br />

klagen. Aufgrund dieser Komplexität ist eine<br />

interdisziplinäre orthopädische Evaluation dieses<br />

Patientenguts essenziell.<br />

Ausblick<br />

Neben der Indikation zur Behandlung der Kniegelenksarthrose<br />

kommen mit der oben beschriebenen<br />

radiologisch interventionellen Methode in<br />

Zukunft weitere Indikationen wie die Behandlung<br />

22


GONARTHROSE<br />

der Frozen Shoulder, lateralen Epikondylitis, AC-<br />

Gelenksarthrose, plantaren Fasziitis, OSG- und<br />

USG-Arthrose sowie Post-Mastectomy-Pain-Syndrome<br />

(PMPS) in Betracht.<br />

Referenzen<br />

1. Okuno Y, Korchi AM, Shinjo T, Kato S. Transcatheter arterial<br />

embolization as a treatment for medial knee pain in<br />

patients with mild to moderate osteoarthritis. Cardiovasc<br />

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s00270-014-0944-8. Epub 2014 Jul 4.<br />

2. Okuno Y, Iwamoto W, Matsumura N, Oguro S, Yasumoto T,<br />

Kaneko T, Ikegami H. Clinical Outcomes of Transcatheter<br />

Arterial Embolization for Adhesive Capsulitis Resistant<br />

to Conservative Treatment. J Vasc Interv Radiol 2017<br />

Feb;28(2):161-167.e1. doi: 10.1016/j.jvir.2016.09.028.<br />

Epub 2016 Dec 19<br />

3. Okuno Y, Korchi AM, Shinjo T, Kato S, Kaneko T. Midterm<br />

Clinical Outcomes and MR Imaging Changes after Transcatheter<br />

Arterial Embolization as a Treatment for Mild<br />

to Moderate Radiographic Knee Osteoarthritis Resistant<br />

to Conservative Treatment. J Vasc Interv Radiol 2017<br />

Jul;28(7):995-1002. doi: 10.1016/j.jvir.2017.02.033. Epub<br />

2017 Mar 30.<br />

4. Barrientos C, Barahona M, Cermenati T, Wulf R, Hinzpeter<br />

J. Successful Selective Embolization for Recurrent<br />

Hemarthrosis after Knee Arthroplasty. Case Rep Orthop<br />

2019 Dec 5;2019:8374709. doi: 10.1155/2019/8374709.<br />

eCollection 2019.<br />

5. Bagla S, Piechowiak R, Hartman T, Orlando J, Del Gaizo D,<br />

Isaacson A. Genicular Artery Embolization for the Treatment<br />

of Knee Pain Secondary to Osteoarthritis. J Vasc<br />

Interv Radiol 2019 Dec 11. pii: S1<strong>05</strong>1-0443(19)30821-8.<br />

doi: 10.1016/j.jvir.2019.09.018. [Epub ahead of print]<br />

6. Lee SH, Hwang JH, Kim DH, So YH, Park J, Cho SB, Kim<br />

JE, Kim YJ, Hur S, Jae HJ. Clinical Outcomes of Transcatheter<br />

Arterial Embolisation for Chronic Knee Pain:<br />

Mild-to-Moderate Versus Severe Knee Osteoarthritis.<br />

Cardiovasc Intervent Radiol. 2019 Nov;42(11):1530-1536.<br />

doi: 10.1007/s00270-019-02289-4. Epub 2019 Jul 23<br />

7. Mapp PI, Walsh DA. Mechanism and targets of angiogenesis<br />

and nerve growth in osteoarthritis. Nat Rev Rheumatol<br />

2012 May 29;8(7):390-8. doi: 10.1038/nrrheum.2012.80<br />

8. Ashraf S, Mapp PI, Walsh DA. Contributions of angiogenesis<br />

to inflammation, joint damage, and pain in a rat model<br />

of osteoarthritis. Arthritis Rheum 2011 Sep;63(9):2700-<br />

10. doi: 10.1002/art.30422<br />

Prof. Dr. med. Peter Minko, MBA<br />

Diagnostische und Interventionelle Radiologie<br />

Universitätsklinikum des Saarlandes<br />

Kirrbergerstraße 100, 66424 Homburg/Saar<br />

Prof. Dr. med. Patrick Orth<br />

Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie<br />

Universitätsklinikum des Saarlandes<br />

Kirrbergerstraße 100, 66424 Homburg/Saar<br />

Welche Aussage bezüglich der Therapie der Kniegelenksarthrose trifft zu?<br />

1. Das Kniegelenkersatzverfahren (Knie-TEP) ist immer das erste Mittel der Wahl bei Schmerzen im Rahmen<br />

einer Kniegelenksarthrose.<br />

2. Die Embolisation der kniegelenkversorgenden Gefäße erfolgt mittels Spiralen (Coils).<br />

3. Die Geniculararterienembolisation führt zu Osteonekrosen.<br />

4. Die transarterielle periartikuläre Embolisation (TAPE) stellt eine alternative Behandlungsoption für Kniegelenksarthrosen<br />

im Stadium Kellgren-Lawrence 1 bis 3 dar.<br />

Die Lösung finden Sie auf Seite 47.<br />

CONFERENCES<br />

23


LEITLINIEN<br />

Spezifischer Kreuzschmerz – Gibt es auch<br />

spezifische Therapieoptionen?<br />

Stephan Klessinger, Biberach an der Riß<br />

©Shutterstock/Josep Curto<br />

Seit Dezember 2017 gibt es die Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“. Es sind dort „morphologische Entitäten“<br />

aufgeführt, die ursächlich sein können für Kreuzschmerzen. Neben bekannten Erkrankungen wie der<br />

axialen Spondylarthritis und der Spinalkanalstenose werden aber auch das lumbale Facettensyndrom und das<br />

discogene Lumbalsyndrom genannt. Die beiden letztgenannten Entitäten sind es wert, bezüglich Diagnostik<br />

und Therapie näher betrachtet zu werden.<br />

CONFERENCES<br />

Bei Friedrich Nietzsche wird Nihilismus als<br />

Glaube an die absolute Wertlosigkeit oder Sinnlosigkeit<br />

definiert. Diesen Begriff verwendet dePalma<br />

in einem Artikel über diagnostischen Nihilismus<br />

bei Rückenschmerzen [1]. Er sagt, dass vor zirka<br />

50 Jahren ein Postulat veröffentlicht wurde,<br />

wonach Rückenschmerzen nicht diagnostiziert<br />

werden können. Dieser Eindruck von damals sei<br />

aber nicht korrekt. Bogduk und Stojanovic ergänzen<br />

diese Sichtweise und schreiben [2], dass die<br />

Ursache von Rückenschmerzen in den meisten Fällen<br />

gefunden werden kann, vorausgesetzt, die entsprechenden<br />

Untersuchungen werden diszipliniert<br />

durchgeführt. Welche Strukturen als spezifische<br />

Wahrscheinlichkeit<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0,0<br />

Discogen<br />

20 30 40 50 60<br />

Sonstige<br />

Facettengelenke<br />

SIG<br />

Alter (Jahre)<br />

70 80 90<br />

Abbildung 1: Mögliche Schmerzursachen und deren Häufigkeit<br />

in Abhängigkeit vom Alter (nach [3]).<br />

24


LEITLINIEN<br />

Schmerzursache in Frage kommen, zeigt die Grafik<br />

in Abbildung 1. Bei jungen Patienten ist demnach<br />

der discogene Schmerz die häufigste Ursache, dann<br />

kommen zunehmend Gelenke (Facettengelenke,<br />

ISG) als Möglichkeit in Frage (Arthrose). In höherem<br />

Alter sind dann osteoporotische Frakturen<br />

und andere Ursachen zu bedenken. Die häufigsten<br />

Schmerzursachen, der discogene Schmerz und der<br />

Facettengelenkschmerz sind in die Leitlinien „spezifischer<br />

Kreuzschmerz“ aufgenommen worden.<br />

Facettengelenkschmerz<br />

So wie viele andere Gelenke im menschlichen<br />

Körper sind auch die kleinen Wirbelgelenke eine<br />

häufige Schmerzursache. Vom Aufbau her sind es<br />

echte synoviale Gelenke. Leider gibt es keinen klinischen<br />

Test, der zuverlässig auf einen Facettengelenkschmerz<br />

hindeutet, und auch die bildgebende<br />

Diagnostik ist diesbezüglich nicht hilfreich [4]. Der<br />

Nachweis eines Facettengelenkschmerzes gelingt<br />

aber, indem die das Gelenk versorgenden Nerven<br />

durch ein Lokalanästhetikum blockiert werden<br />

(Medial Branch Block). Die Abbildung 2 zeigt die<br />

Nervenversorgung der Gelenke. Jedes Gelenk wird<br />

von einem auf- und einem absteigenden Medial<br />

Branch (aus dem Ramus dorsalis des Spinalnerven)<br />

versorgt.<br />

Da es eine hohe Rate falsch positiver Ergebnisse<br />

gibt, sollten vergleichende Medial Branch Blocks zu<br />

zwei unterschiedlichen Zeitpunkten am besten mit<br />

zwei verschieden lang wirksamen Lokalanästhetika<br />

durchgeführt werden. Wird die Diagnostik auf diese<br />

Art und Weise diszipliniert durchgeführt, kann eine<br />

diagnostische Sicherheit von 79 % erreicht werden<br />

[5]. Die Validität dieses Vorgehens wurde eindrücklich<br />

gezeigt [6].<br />

Ist ein Facettengelenkschmerz durch kontrollierte<br />

Medial Branch Blocks nachgewiesen, kommt als<br />

therapeutische Maßnahme eine Radiofrequenz-<br />

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Nervenversorgung<br />

der lumbalen Facettengelenke. Ein gezielter Medial Branch<br />

Block erfolgt unter Durchleuchtung mit Kontrastmittel<br />

(Abbildung 3).<br />

Abbildung 3: Darstellung eines Medial Branch Block der das<br />

Gelenk Lw5/Sw1 versorgenden Nerven.<br />

CONFERENCES<br />

25


LEITLINIEN<br />

CONFERENCES<br />

Abbildung 4: High-Intensity-Zone (HIZ) in Höhe Lw4/5.<br />

Facettendenervation unter Durchleuchtung in Frage.<br />

Diese auch als perkutane Neurotomie bezeichnete<br />

Maßnahme wird in den Leitlinien empfohlen (100 %<br />

Konsens). Ziel ist es hierbei, die Schmerzweiterleitung<br />

zu unterbrechen. Bei sorgfältiger Diagnostik<br />

und technisch korrekter Durchführung konnte eine<br />

wesentliche Schmerzreduktion bei zirka 60 % der<br />

Patienten erreicht werden mit einer Wirkdauer von<br />

über einem Jahr [7, 8]. Mit ungenauer Indikation und<br />

inkorrekter Technik lassen sich diese guten Ergebnisse<br />

nicht erreichen [9]. Wie wichtig eine genaue<br />

Diagnostik und die korrekte Technik sind, zeigt eine<br />

aktuelle Untersuchung [10].<br />

Ein Facettengelenkschmerz als spezifische<br />

Schmerzursache bei chronischen Lumbalgien lässt<br />

sich somit durch invasive Techniken diagnostizieren<br />

und dann auch leitlinienkonform behandeln.<br />

Discogener Schmerz<br />

Ganz anders sieht es beim discogenen Schmerz<br />

aus. Eine Diagnose ist möglich, allerdings existiert<br />

momentan keine ausreichende Evidenz für eine<br />

Therapie des discogenen Schmerzes.<br />

Die Bandscheibe ist die häufigste Schmerzursache<br />

bei jüngeren Erwachsenen. Ein discogener<br />

Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung und<br />

nicht mit einem Bandscheibenvorfall gleichzusetzten,<br />

denn auch ohne einen Vorfall oder eine<br />

Protrusion können Bandscheiben weh tun: Es existiert<br />

eine Nervenversorgung und die Provokation<br />

der Bandscheibe bei Gesunden verursacht Schmerzen<br />

[11]. Die Diszitis ist beispielsweise eine sehr<br />

schmerzhafte Erkrankung der Bandscheibe, aber<br />

auch die Osteochondrose und die internal disc<br />

disruption sind schmerzhaft. Anders als bei den<br />

Facettengelenkschmerzen kann die Bildgebung<br />

(MRT, Discographie) durchaus hilfreich sein.<br />

Es stellt sich aber die berechtigte Frage, ob es<br />

klinisch nützlich ist, die Diagnose eines discogenen<br />

Schmerzes zu sichern. Da keine evidenzbasierte Therapie<br />

vorhanden ist, ist ein positiver therapeutischer<br />

Nutzen eher fraglich. Es existiert aber ein negativer<br />

therapeutischer Nutzen [11], was bedeutet, dass<br />

bei einer gesicherten spezifischen Schmerzursache<br />

weitere Diagnostik vermieden werden kann.<br />

In der Bildgebung kann eine High-Intensity-<br />

Zone (HIZ) (Abbildung 4) auf einen discogenen<br />

Schmerz hinweisen. Es gibt Literatur, die zeigt,<br />

dass ein HIZ gut mit einer Schmerzreproduktion in<br />

der Discographie korreliert [12], insgesamt ist die<br />

Evidenz, ob HIZ tatsächlich symptomatisch sind,<br />

aber schlecht [13].<br />

Mit Hilfe der Provokations-Diskographie lässt<br />

sich ein discogener Schmerz diagnostizieren. Bei<br />

leitliniengerechtem Vorgehen beträgt die Falschpositiv-Rate<br />

lediglich 9,3 % pro Patient bzw. 6 %<br />

pro behandelter Bandscheibe [14]. Nach positiver<br />

Discographie zeigt sich eine dreimal so hohe<br />

Erfolgsrate einer nachfolgenden Spondylodese<br />

[14]. Allerdings sind die möglichen Komplikationen<br />

(Spondylodiszitis, vermehrte Degeneration) zu<br />

berücksichtigen, insbesondere da kaum evidente<br />

Therapien des discogenen Schmerzes existieren.<br />

26


LEITLINIEN<br />

Gerade weil etablierte Verfahren zur Behandlung<br />

discogener Schmerzen fehlen, sind die Therapieoptionen<br />

vielfältig und reichen von Medikamenten-<br />

Injektionen (Glucocorticoide, Methylenblau, Ozon,<br />

Ethanol, Wachstumsfaktoren, Antikörper) über<br />

regenerative Medizin (platelet rich plasma, Chondrozyten-Transplantation,<br />

Stammzellen) hin zu<br />

perkutanen minimalinvasiven Operationen (Laser,<br />

IDET, nucleoplasty), endoskopischen Verfahren und<br />

bis hin zur Spondylodese.<br />

Zusammenfassung<br />

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger<br />

klessinger@neurochirurgie-bc.de<br />

Spezifische Schmerzursachen sind sehr häufig für<br />

chronische Rückenschmerzen verantwortlich. Bei<br />

jungen Erwachsenen kommen vor allem discogene<br />

Schmerzen in Betracht, später sind die Facettengelenke<br />

und das ISG eine typische Schmerzursache. Der<br />

Nachweis dieser Ursachen kann durchaus aufwendig<br />

sein, ist aber wichtig, um nicht fälschlich von einem<br />

nichtspezifischen oder gar psychogenen Schmerz<br />

auszugehen und um gegebenenfalls (Facettengelenkschmerzen)<br />

eine spezifische Therapie einzuleiten.<br />

Referenzen<br />

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once was accepted, should no longer be. PainMed 2015; 16:<br />

1453–4.<br />

2. Bogduk N, Stojanovic MP. Progress in evidence-based interventional<br />

pain medicine: highlights from the spine section of<br />

pain medicine. Pain Med 2019; 20(7): 1272–4.<br />

3. DePalma MJ, Ketchum JM, Saullo T. What is the source of<br />

chronic low back pain and does age play a role? PainMed<br />

2011; 12(2): 224–33.<br />

4. Klessinger S, Freund W. Association between magnetic resonance<br />

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5. Barnsley L, Lord SM, Wallis BJ, Bogduk N. The prevalence<br />

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7. MacVicar J, Borowczyk JM, MacVicar AM et al. Lumbar<br />

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Pain Med 2013; 14(5): 639–45.<br />

8. Conger A, Burnham T, Salazar F et al. The Effectiveness of<br />

radiofrequency ablation of medial branch nerves for chronic<br />

lumbar facet joint syn-drome in patients selected by guideline-concordant<br />

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9. Juch JNS, Maas ET, Ostelo RWJG et al. Effect of radiofrequency<br />

denervation on pain intensity among patients with<br />

chronic low back pain: the mint randomized clinical trials.<br />

JAMA 2017; 318: 68–81.<br />

10. Schneider BJ, Doan L, Maes MC et al. Systematic review of<br />

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neurotomy, stratified for diagnostic methods and<br />

procedural technique. Pain Med <strong>2020</strong>; 21(6),1122–41.<br />

11. Bogduk N, April C, Derby R. Review article. lumbar discogenic<br />

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12. Fang C, Zhang W, Chen L, Li H. The correlation between the<br />

high-intensity zone on a T2-weighted MRI and positive outcomes<br />

of discography: a meta-analysis. J Orthop Surg Res<br />

2017; 12(1): 26.<br />

13. Cheung JPY, Luk KDK. The relevance of high-intensity zones<br />

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(SICOT) 2019; 43: 861–7.<br />

14. McCormick ZL, DeFrancesch F, Loomba V et al. Diagnostic<br />

value, prognostic value, and safety of provocation discography.<br />

PainMed 2018; 19(1): 3–8.<br />

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger<br />

Neurochirurgie Biberach<br />

Eichendorffweg 5, 88400 Biberach<br />

CONFERENCES<br />

27


UPDATE <strong>2020</strong><br />

Therapeutische Entscheidungen bei der<br />

Osteoporose: antiresorptiv<br />

oder osteoanabol?<br />

Alexander Defèr, Dresden<br />

© Science Photo Library/Alfred Pasieka<br />

In der im Januar <strong>2020</strong> in Archives of Osteoporosis veröffentlichten Arbeit „Estimated epidemiology of osteoporosis<br />

diagnoses and osteoporosis-related high fracture risk in Germany“ [1], welche Daten der AOK Plus<br />

von 2010 bis 2016 auswertet, kommen die Autoren P. Hadji et al. zum Schluss, dass nur 36,88 % des<br />

betrachteten Klientel mit mindestens einer vorbestehenden osteoporoseassoziierten Fraktur eine spezifische<br />

Therapie erhielten. Diese ganz aktuellen epidemiologischen Daten zeigen eine erhebliche Behandlungslücke<br />

in der Therapie der Osteoporose in Deutschland auf. Dabei existieren schon lange klar formulierte Handlungsempfehlungen<br />

zur Diagnostik und Therapie der Osteoporose.<br />

CONFERENCES<br />

Der Dachverband Osteologie hat bereits im Jahr<br />

2003 die erste nationale Leitlinie „zur Prophylaxe,<br />

Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ [2] auf der<br />

Basis der zu dieser Zeit verfügbaren Studiendaten<br />

veröffentlicht. Seit dieser Zeit wird die Leitlinie im<br />

Wesentlichen im 3-Jahres-Rhythmus überarbeitet.<br />

Die aktuelle Version datiert aus dem Jahr 2017 und<br />

gibt evidenzbasierte Empfehlungen für die Prophylaxe,<br />

Diagnostik und Therapie der postmenopausalen<br />

Osteoporose und der Osteoporose bei Männern.<br />

Basis der Empfehlungen ist das jeweilige 10-Jahres-Frakturrisiko.<br />

Bei einem Risiko von mehr als 20 %<br />

für eine osteoporoseassoziierte Fraktur wird die Einleitung<br />

einer Diagnostik und bei Überschreitung der<br />

Risikoschwelle von 30 % wird die Einleitung einer spezifischen<br />

Therapie empfohlen. Die Abschätzung des<br />

Risikos erfolgt anhand des Alters, des Frakturstatus<br />

und weiterer Risikofaktoren. Die Messung der Knochendichte<br />

ist dabei ein wichtiger Surrogatparameter,<br />

aber niemals das alleinige diagnostische Kriterium.<br />

Die Entscheidung welche spezifische Therapie für<br />

die Patientin, den Patienten die richtige ist, leitet<br />

sich also immer aus der Summe der vorhandenen<br />

Risikofaktoren ab, wobei die inzidente Fraktur das<br />

wichtigste Indiz darstellt.<br />

Primär osteoanabol oder<br />

antiresorptiv?<br />

Die Frage primär osteoanabol oder antiresorptiv<br />

zu therapieren wird in der Leitlinie des DVO 2017<br />

nur bei Patienten mit Glukokortikoid-induzierter<br />

Osteoporose dezidiert besprochen. Bei diesen<br />

Patienten wird primär eine Therapie mit Teriparatid<br />

28


UPDATE <strong>2020</strong><br />

(TPTD) mit einer antiresorptiven Anschlusstherapie<br />

empfohlen.<br />

Grundlage dafür war die von Kenneth G. Saag<br />

et al. 2007 im New England Journal of Medicine<br />

veröffentlichte Studie „Teriparatide or alendronate<br />

in glucocorticoid-induced osteoporosis“ [3], in<br />

der eine Überlegenheit von Teriparatid gegenüber<br />

Alendronat hinsichtlich der Senkung der Frakturraten<br />

bei Patientinnen mit glukokortikoidinduzierter<br />

Osteoporose nachgewiesen wurde.<br />

Für alle anderen Patientinnen und Patienten gab es<br />

bisher die Empfehlung der Leitliniengruppe, das entsprechende<br />

Spezifikum aus der Gruppe der Medikamente<br />

mit hoher Empfehlungsstärke auszuwählen,<br />

unter Beachtung von Neben- und Zusatzwirkungen,<br />

Kontraindikationen und Kosten. Im Kapitel Differentialtherapie<br />

der DVO-Leitlinie 2017 wird allerdings<br />

auf die in Calcif Tissue Int 2014 veröffentlichte<br />

Arbeit von Oswald AJ et al. „Teriparatide treatment<br />

of severe osteoporosis reduces the risk of vertebral<br />

fractures compared with standard care in routine<br />

clinical practice“ [4] verwiesen. Die Autoren dieser<br />

Studie kommen in der Auswertung ihrer Daten zu<br />

dem Schluss: „Die Behandlung schwerer Osteoporose<br />

mit Wirbelkörperfrakturen mit TPTD reduziert das<br />

Risiko von Wirbelkörperfrakturen im Vergleich zur<br />

Standardbehandlung erheblich und könnte in dieser<br />

Patientengruppe die bevorzugte Behandlung sein.“ In<br />

der Bewertung der Ergebnisse kommt es in der aktuellen<br />

DVO-Leitlinie aber nicht zu einer eindeutigen<br />

Empfehlung für eine primäre osteoanabole Therapie.<br />

Überlegenheit einer osteoanabolen<br />

Therapie im Hochrisikobereich<br />

Bahnbrechend für die Entscheidung zu einer<br />

primären osteoanabolen Therapie im Hochrisikobereich<br />

ist die im November 2017 von David L.<br />

Kendler et al. In Lancet publizierte Arbeit „Effects<br />

of teriparatide and risedronate on new fractures<br />

Dr. med. Alexander Defèr<br />

adefer@t-online.de<br />

in post-menopausal women with severe osteoporosis<br />

(VERO): a multicentre, double-blind, doubledummy,<br />

lendronat controlled trial.“ [5]. In dieser<br />

Studie wurden erstmals zum primären Endpunkt<br />

„Wirbelkörperfraktur“ die Wirksamkeit von Risedronat<br />

und Teriparatid Head to Head verglichen.<br />

Die Ergebnisse sind eindrucksvoll und bestätigen<br />

unsere klinische Erfahrung einer deutlichen Überlegenheit<br />

von Teriparatid gegenüber einer Bisphosphonat-Therapie<br />

bei Patienten mit schwerer<br />

manifester Osteoporose und hohem Frakturrisiko.<br />

Selbst bei einer relativ kleinen Gruppengröße von<br />

jeweils 683 Patienten und der Testung gegen eine<br />

hochwirksame Substanz war das Ergebnis überaus<br />

überzeugend. In der Teriparatid-Gruppe traten<br />

im Beobachtungszeitraum von 24 Monaten<br />

mit 28 neuen Frakturen mehr als 50 % weniger<br />

Frakturen auf als in der Risedronat-Gruppe mit<br />

64 neuen Frakturen. Dieses Ergebnis ist natürlich<br />

hochsignifikant. Auch bei der Verhinderung von<br />

nonverte bralen Frakturen ist Teriparatid überlegen,<br />

allerdings war hier die bereits benannte Gruppengröße<br />

zu klein um ein signifikantes Ergebnis zu<br />

erreichen. Die Metaanalyse „Effects of teriparatide<br />

CONFERENCES<br />

29


UPDATE <strong>2020</strong><br />

Patienten mit moderatem Frakturrisiko nach DVO-LL 2017<br />

Orales Bisphosphonat plus orale Kalzium-Vitamin-D-Basistherapie*<br />

Beachte: Kontraindikationen, Unverträglichkeit, Malassimilation, fragliche Compliance<br />

Bisphosphonat i. v. (statt oral) plus orale Basistherapie*<br />

Beachte: Kontraindikationen, Unverträglichkeit, Kreatinin-Clearance


UPDATE <strong>2020</strong><br />

rien T-Wert, Alter, Geschlecht, Frakturstatus und<br />

eine Reihe von möglichen Risikofaktoren berücksichtigt<br />

(siehe DVO-Leitlinie 2017).<br />

• Leitsubstanzen für Patienten mit einem moderaten<br />

Frakturrisiko von >30 % sind orale Bisphosphonate,<br />

Alendronsäure und Risedronsäure,<br />

gemäß § 12 SGB V Wirtschaftlichkeitsgebot.<br />

Bei Kontraindikationen für eine orale Therapie<br />

Zoledronat i.v., Ibandronat i.v. beziehungsweise<br />

Denosumab s.c.<br />

• Eine Therapiepause, sogenannte „Drug-Holidays“<br />

sind nur nach Verwendung von Bisphosphonaten<br />

möglich. Der Wiedereinstieg in eine<br />

Therapie sollte über die Verlaufskontrolle der<br />

Umbaumarker, am sichersten bei Anstieg des<br />

Anbaumarkers P1NP, erfolgen.<br />

• Bezüglich der Verordnungsfähigkeit der spezifischen<br />

Medikation zu Lasten der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) sind zusätzlich die<br />

Unterschiede in den zugelassenen Indikationen<br />

zu beachten.<br />

• Für Hochrisikopatienten mit multiplen Frakturen<br />

ist first line eine osteoanabole Therapie mit Teriparatid<br />

oder Romosozumab, gefolgt von einer<br />

antiresorptiven Therapie zu wählen. Ebenso soll<br />

bei nachgewiesenem Versagen einer antiresorptiven<br />

Vortherapie eine osteoanabole Therapie<br />

eingesetzt werden.<br />

• Ein Substanzwechsel oder eine Wiederaufnahme<br />

der medikamentösen Behandlung nach<br />

abgeschlossener Therapie mit einem First-Line-<br />

Antiosteoporotikum ist bei Folgefrakturen, bei<br />

neuerlichem deutlichem Knochendichteabfall oder<br />

bei neu aufgetretenen Risikofaktoren sinnvoll.<br />

• Eine Basistherapie mit Vitamin D und gegebenenfalls<br />

mit zusätzlicher Kalzium-Supplementierung<br />

soll in jedem Fall erfolgen. Bezüglich der<br />

Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV sind die<br />

Regelungen der Arzneimittel-Richtlinie (OTC-<br />

Ausnahmeliste) zu beachten.<br />

• Neben der medikamentösen Antiosteoporose-Therapie<br />

sind gegebenenfalls schmerztherapeutische,<br />

orthopädisch-orthetische und physiotherapeutische<br />

Behandlungskonzepte bei entsprechenden<br />

osteoporoseassoziierten Beschwerdebildern sinnvoll.<br />

Ebenso ist die Mitarbeit der Patienten zu einer<br />

knochengesunden Ernährung und knochengesunden<br />

Lebensweise einzufordern.<br />

Referenzen:<br />

1. Hadji P, Hardtstock F, Wilke T et al. Estimated epidemiology<br />

of osteoporosis diagnoses and osteoporosis-related high<br />

fracture risk in Germany: a German claims data analysis.<br />

Arch Osteoporos <strong>2020</strong>; 15, 127.<br />

2. DVO-Leitlinie 2017 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie<br />

der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen<br />

und bei Männern. https://www.awmf.org/fileadmin/<br />

user_upload/Leitlinien/183_Osteologie/183-001kt_S3_<br />

Osteoporose-Prophylaxe-Diagnostik-Therapie_2018-04.<br />

pdf [Zugriff am 5.10.20]<br />

3. Saag KG, Shane E, Boonen S, Marín F et al. Teriparatide<br />

or alendronate in glucocorticoid-induced osteoporosis. N<br />

Engl J Med 2007; 357(20): 2028–39.<br />

4. Oswald AJ, Berg J, Milne G, Ralston SH. Teriparatide treatment<br />

of severe osteoporosis reduces the risk of vertebral<br />

fractures compared with standard care in routine clinical<br />

practice. Calcif Tissue Int 2014; 94(2): 176–82.<br />

5. Kendler DL, Marin F, Zerbini CAF et al. Effects of teriparatide<br />

and risedronate on new fractures in post-menopausal<br />

women with severe osteoporosis (VERO): a multicentre,<br />

double-blind, double-dummy, randomised controlled trial.<br />

Lancet 2018; 391(10117): 230–240.<br />

6. Díez-Pérez A, Marin F, Eriksen EF et al. Effects of teriparatide<br />

on hip and upper limb fractures in patients with<br />

osteoporosis: A systematic review and meta-analysis.<br />

Bone. 2019; 120: 1–8.<br />

7. Saag KG, Petersen J, Brandi ML et al. Romosozumab or<br />

alendronate for fracture prevention in women with osteoporosis.<br />

N Engl J Med 2017; 377(15): 1417–27.<br />

8. Kanis JA, Harvey NC, McCloskey E et al. Algorithm for the<br />

management of patients at low, high and very high risk of<br />

osteoporotic fractures. Osteoporos Int <strong>2020</strong>; 31(1): 1–12.<br />

Erratum in: Osteoporos Int <strong>2020</strong>; 31(4): 797–8.<br />

Dr. med. Alexander Defèr<br />

Ambulantes Osteologisches Zentrum DVO<br />

Großenhainer Straße 129, 01129 Dresden<br />

CONFERENCES<br />

31


CANNABINOIDE<br />

Verordnung zu Lasten der gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen<br />

Eberhard Albert Lux, Lünen<br />

CONFERENCES<br />

© Shutterstock/HQuality<br />

Seit 19.01.2017 ist die Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durch<br />

den Gesetzgeber geregelt worden (Drucksache des Deutschen Bundestages 18-8965). Die Zugangsvoraussetzungen<br />

für eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen wurden in § 31 (6) beschrieben:<br />

• Der Versicherte leidet unter einer schwerwiegenden Erkrankung.<br />

• Eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht im Einzelfall nicht zur Verfügung.<br />

• Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den<br />

Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome.<br />

• Der Versicherte verpflichtet sich, an einer nicht interventionellen Begleiterhebung zum Einsatz dieser<br />

Cannabismedikation teilzunehmen.<br />

Mit diesem Gesetzesvorhaben soll sichergestellt<br />

werden, dass Patienten Cannabis in gesicherter<br />

Qualität zur Verfügung gestellt wird und Cannabis<br />

in der Zukunft zu medizinischen Zwecken auch in<br />

Deutschland angebaut wird. Das Bundesinstitut für<br />

Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übernimmt<br />

dabei die Aufgabe der Kontrolle und Überwachung<br />

in Deutschland.<br />

32


CANNABINOIDE<br />

Cannabinoide<br />

Cannabis spielte in der Medizin der vergangenen<br />

Jahrhunderte eine wesentliche Rolle und wurde<br />

unter ganz unterschiedlicher Indikation von Ärzten<br />

eingesetzt (Krämpfe, Chorea Huntington, Hysterie,<br />

Depression, Neuralgie, Gicht, Rheuma etc.).<br />

Unter dem Einfluss der Prohibition und der weltweiten<br />

Einführung einer gesetzlichen Regelung<br />

zum beschränkten Verkehr von Betäubungsmitteln<br />

verschwand Cannabis an der Wende vom 19. zum<br />

20. Jahrhundert zunehmend aus dem Arzneimittelrepertoire.<br />

Mit der Isolierung von THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol)<br />

am Weitzmann-Institut durch Raphael<br />

Mechoulam und Kollegen 1964 und der Entdeckung<br />

der Cannabinoidrezeptoren durch Hoelett<br />

und Devane im Jahr 1988 erhielt der therapeutische<br />

Einsatz der Cannabinoide neue Nahrung. Bis<br />

heute sind Nutzen und Schaden des Einsatzes der<br />

Cannbinoide nicht endgültig geklärt.<br />

Im Rohcannabis sind es im Wesentlichen zwei<br />

Moleküle, nämlich das THC und das CBD (Cannabidiol),<br />

welche als Hauptcannabinoide auch<br />

pharmazeutisch rein, auch in Kombination, zur<br />

Verfügung stehen. Während THC antiemetisch,<br />

analgetisch, muskelrelaxierend, appetitsteigernd<br />

und psychoaktiv wirkt, wirkt CBD eher analgetisch,<br />

antikonvulsiv, antipsychotisch, anxiolytisch<br />

und neuroprotektiv. Darüber hinaus sind<br />

aber eine Reihe weiterer Cannabinoide bekannt,<br />

und die Diskussion ist nicht abgeschlossen, ob der<br />

Einsatz einzelner Cannabinoide von wesentlichem<br />

Vorteil gegenüber der Einnahme der Rohsubstanz<br />

mit einer Kombination unterschiedlichster Cannabinoide<br />

und weiterer Substanzen ist. Offensichtlich<br />

ist jedoch, dass Cannabinoide systemmodulierend<br />

auf neuronale Erregung im Sinne einer Filterfunktion<br />

gegen zu starke synaptische Prozesse<br />

(Exitation wie Inhibition) wirksam sind, wobei die<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Eberhard Albert Lux<br />

drlux@web.de<br />

Cannabinoidrezeptoren im zentralen Nervensystem<br />

in unterschiedlichsten Regionen vorkommen.<br />

Es bestehen unter anderem Einflüsse auf Koordination,<br />

Schmerzverarbeitung, Wahrnehmung,<br />

Urteilsfähigkeit, Gedächtnis, Emotion und Appetit.<br />

Nach meinem Dafürhalten waren es Patienten, die<br />

unter multipler Sklerose (MS) leiden, welche die<br />

positiven Wirkungen des Cannabiskonsums über<br />

Jahrzehnte hinweg auf schmerzhafte Spastik, auch<br />

neuropathische Schmerzen, beschrieben und wohl<br />

wesentlich zur Wiederverbreitung von Cannabis im<br />

medizinischen Alltag beigetragen haben.<br />

Zu rezeptieren sind heute THC, die Kombination<br />

von THC und CBD als Tropfen, Kapseln etc. – gleichsam<br />

aber auch das Verordnen von alkoholischen<br />

Auszügen aus Rohcannabis, wobei hier weitere<br />

Cannabinoide, Terpene etc. zur Anwendung kommen<br />

können. Aber auch Rohcannabis zur inhalativen<br />

Anwendung (Rauchen, Vaporisieren) kann<br />

verordnet werden.<br />

Wir Ärzte sind gewohnt, nach Indikationen zu<br />

verordnen. Dies ist im Bereich der Cannabismedikation<br />

nur sehr eingeschränkt möglich. Unter der<br />

CONFERENCES<br />

33


CANNABINOIDE<br />

CONFERENCES<br />

Indikation einer schmerzhaften Spastik bei der<br />

multiplen Sklerose kann das als Spray zu verordnende<br />

Sativex® – eine Kombination aus CBD und<br />

THC – oder bei Chemotherapie induzierter Übelkeit<br />

und Erbrechen das Medikament Canemes® (THC)<br />

verordnet werden. Alle anderen Verordnungen<br />

müssen den in den Eingangssätzen beschriebenen<br />

Voraussetzungen entsprechen und somit bei der<br />

gesetzlichen Krankenkasse beantragt werden.<br />

Der Gesetzgeber hat für die Bearbeitung der<br />

Anträge Fristen gesetzt. Diese betragen drei<br />

Wochen ohne und fünf Wochen mit Einschaltung<br />

des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />

(MDK). Befindet sich der Patient in der SAPV<br />

(spezialisierte ambulante Palliativversorgung),<br />

bleiben der Krankenkasse nur drei Tage zur Entscheidungsfindung.<br />

Einer Applikation in Form von oralen<br />

Zubereitungen ist gegenüber der<br />

inhalativen Applikation der Vorzug zu<br />

geben.<br />

Studienlage<br />

Welche Gründe sind es nun, in denen eine nicht<br />

ganz fernliegende Erwartung geäußert werden<br />

kann, dass ein positiver Effekt einer Cannabis-<br />

Medikation eintritt? Dies sind nach Literaturlage<br />

mit belastbaren Studienergebnissen:<br />

• im Bereich der Betreuung onkologischer Patienten<br />

die Symptome Übelkeit, Appetitlosigkeit und<br />

Kachexie,<br />

• im Bereich der Schmerzmedizin neuropathische<br />

Schmerzen,<br />

• im Bereich der Epilepsiebehandlung spezielle<br />

Epilepsieformen und<br />

• im Bereich MS die schmerzhafte Spastik.<br />

Zu diesen Symptomen existieren noch am ehesten<br />

belastbare Studienergebnisse, wobei mehr oder<br />

minder belastbare Studien zu einer großen Anzahl<br />

sonstiger Symptome vorliegen. Aufgrund des Mangels<br />

guter, der heutigen Forderung nach evidenzbasierter<br />

Medizin genügender Studien nimmt es<br />

nicht Wunder, dass die Einstellung gegenüber der<br />

Medikation mit Cannabis bei Ärzten sehr unterschiedlich<br />

ausfällt. Beim heutigen Wissensstand<br />

wird man wohl alle Vorurteile gegenüber einer<br />

Cannabismedikation (Freizeitdroge, Junkie, Missbrauch<br />

in jeglicher Form) über Bord werfen müssen,<br />

wenn man dem Patienten in einem ehrlichen<br />

und vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis<br />

begegnen will. Hat man sich zur Medikation<br />

mit Cannabis entschlossen und wurde der Antrag<br />

durch die Krankenkasse genehmigt, so gelten allgemeine<br />

Regeln für die Behandlung: Beginn mit<br />

niedriger Dosis und langsames, schrittweises Aufdosieren<br />

mit regelmäßiger Überprüfung der möglichen<br />

positiven Wirkungen und Nebenwirkungen.<br />

Der Applikation in Form von oralen Zubereitungen<br />

ist gegenüber der inhalativen Applikation der Vorzug<br />

zu geben – mit dem Ziel, zusätzliche Komplikationen<br />

durch das Einatmen von Nebenprodukten<br />

des „Verbrennungsprozesses“ zu vermeiden.<br />

Bei der Verordnung sind Höchstmengenregelungen<br />

zu beachten. Cannabisextrakte dürfen bis<br />

100 mg reines THC und Cannabisblüten bis 100 g<br />

pro 30 Tage auf BTM-Rezept verordnet werden.<br />

Welche Gründe können gegen eine<br />

Verordnung sprechen?<br />

Gegen eine Verordnung können sprechen:<br />

schwere Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und<br />

Schizophrenie in der Vorerkrankung, Depression<br />

34


CANNABINOIDE<br />

und manisch-depressive Erkrankungen, Bluthochdruck,<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schwangerschaft<br />

und Stillzeit oder eine Überempfindlichkeit<br />

gegenüber Cannabinoiden.<br />

Besteht Fahrtüchtigkeit unter der<br />

Einnahme von Cannabinoiden?<br />

Dies ist nicht endgültig geklärt, kann jedoch in<br />

Analogie zu den Regelungen der Fahrtüchtigkeit<br />

unter Opioidmedikation gesehen werden. Ganz<br />

sicher ist eine Fahruntüchtigkeit dem Patienten<br />

gegenüber in der Einstellungsphase bei schlechtem<br />

Allgemeinzustand und der Anwendung schnell<br />

wirksamer Anwendungsformen definitiv aufklärungspflichtig.<br />

Reisen ins Ausland<br />

Bei Reisen ins Ausland sind die Regelungen<br />

analog der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung.<br />

Reist der Patient im Bereich des „Schengener<br />

Abkommens“, kann eine Verordnung für<br />

30 Tage erfolgen, welche durch die Landesgesundheitsbehörde<br />

zu beglaubigen ist. Für sonstige Länder<br />

bestehen sehr uneinheitliche Regelungen, zu<br />

denen sich jedoch der Verordner – vor allen Dingen<br />

aber der Patient – z. B. auf der Website des BfArM<br />

(www.bfarm.de) oder unter der Telefonnummer<br />

0228/993075138 erkundigen kann.<br />

In der Summe sind also für die Antragstellung<br />

einschließlich der Begleiterhebung 27,71 Euro zu<br />

erzielen.<br />

Die Begleiterhebung ist verpflichtend für Ärzte,<br />

die zu Lasten der GKV verordnen. Mit seiner BtM-<br />

Nummer muss sich der entsprechende Arzt unter<br />

www.begleiterhebung.de auf dem Online-Portal<br />

des BfArM anmelden. Inhalte der Begleiterhebung<br />

sind Diagnose, Alter, Geschlecht des Patienten, die<br />

verordnete Cannabis-Art, Therapiedauer, Auswirkung<br />

auf den Erkrankungsverlauf, Nebenwirkungen<br />

und auch die Gründe für Abbruch der Behandlung<br />

mit Cannabis.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Hat man sich zur Therapie mit Cannabis für<br />

einen Patienten entschlossen, sollte man die<br />

genannten Hinweise durchgehend beachten, um<br />

eine Therapie sicher und den gesetzlichen Vorgaben<br />

entsprechend zu gestalten. Zunehmende<br />

Erfahrungen werden sicher unser Verordnungsverhalten<br />

und unsere Erkenntnisse zur Therapie in<br />

der Zukunft stärken. Längst sind nicht alle Fragen<br />

hinsichtlich der „Indikation“ von Cannabis-Präparaten<br />

geklärt.<br />

Verordnung<br />

Eine Antragstellung an die Krankenkasse bzw.<br />

Verordnung kann von uns Ärzten nach EBM abgerechnet<br />

werden, wobei die Nummern 01460 für<br />

Aufklärung und Begleiterhebung, die Nummer<br />

01461 für die Datenerfassung und Übermittlung<br />

an BfArM und die Nummer 01626 für die Beantragung<br />

bei der Krankenkasse genutzt werden kann.<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Eberhard Albert Lux<br />

Altstadtstraße 23, 44534 Lünen<br />

CONFERENCES<br />

35


LESEZEICHEN<br />

Mitochondriale Dysfunktion der<br />

Skelettmuskulatur bei Patienten mit CKD<br />

Bernd Winterberg, Bochum<br />

©Shutter-stock/3d_man,<br />

Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CKD) weisen häufig eine Skelettmuskelatrophie und -schwäche<br />

auf. Diese Faktoren tragen zur körperlichen Gebrechlichkeit bei, die mit Müdigkeit, Muskelschwäche<br />

und geringer körperlicher Aktivität assoziiert ist. Über 70 % der CKD-Patienten sollen zum Zeitpunkt des<br />

Hämodialysebeginns gebrechlich sein. Diese Fragilität und die koexistierende Sarkopenie sind bei diesen<br />

Patienten mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden.<br />

EDUCATION<br />

Mitochondrien sind wichtig für die Muskelfunktion.<br />

Eine mitochondriale Dysfunktion trägt zur<br />

Sarkopenie und Fragilität bei und ist bei älteren<br />

Erwachsenen ohne CKD mit Verlangsamung, geringer<br />

körperlicher Aktivität und Ermüdung assoziiert.<br />

Die Autoren dieser Studie haben in einer früheren<br />

Arbeit mitochondriale Anomalien in der Muskulatur<br />

von Dialyse-Patienten beschrieben (verminderter<br />

Mitochondriengehalt, erhöhte Mitophagie und<br />

falsche mitochondriale Biogenese).<br />

In der vorliegenden Querschnittsstudie [1] prüften<br />

die Autoren nun die Hypothese, dass eine mitochondriale<br />

Dysfunktion mit dem Schweregrad der CKD<br />

assoziiert ist. Ferner wurden die Wechselwirkungen<br />

zwischen der mitochondrialen Funktion und koexistierenden<br />

Komorbiditäten untersucht: beeinträchtigte<br />

körperliche Leistungsfähigkeit, intermuskuläre Fettgewebsinfiltration,<br />

Inflammation und oxidativer Stress.<br />

An dieser Studie nahmen teil: Patienten mit CKD<br />

Stadium 3–5, n=20, Hämodialysepatienten n=22<br />

und 21 Kontrollpersonen. Es wurde die mitochondriale<br />

Funktion der Knieextensoren in vivo mittels<br />

31P-Magnetresonanz-Spektroskopie untersucht,<br />

um die Phosphokreatin-Wiederherstellungszeitkonstante<br />

(ein Maß für die mitochondriale Funktion)<br />

zu erhalten. Die Autoren maßen die körperliche<br />

Leistungsfähigkeit mit dem 6-Minuten-Gehtest, die<br />

intramuskuläre Infiltration durch Fettgewebe mit<br />

der Magnetresonanztomographie sowie die Marker<br />

für Inflammation und oxidativen Stress im Plasma.<br />

36


LESEZEICHEN<br />

Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse der Messungen waren eine verlängerte<br />

Phosphokreatin-Erholungskonstante bei Hä -<br />

mo dialysepatienten (53,3 [43,4–70,1] sec., Median<br />

[Interquartilbereich]) und bei Patienten mit CKD<br />

3–5 (41,5 [35,4–49,1] sec.) im Vergleich zu Kontrollen<br />

(38,9 [32,5–46,0] sec.; p=0,001 unter den<br />

Gruppen).<br />

Die mitochondriale Dysfunktion war mit<br />

schlechter körperlicher Leistungsfähigkeit (r=0,62;<br />

p=0,001), größerem Anteil intermuskulären Fettgewebes<br />

(r=0,44; p=0,001) und erhöhten Markern<br />

für Inflammation und oxidativen Stress (r=0,60;<br />

p=0,001) assoziiert.<br />

In der Muskulatur von Hämodialyse-Patienten<br />

fanden die Autoren außerdem einen erhöhten<br />

Spiegel des Markers der mitochondrialen Spaltung<br />

(Dynamin-related Protein 1) und eine vermehrte<br />

mitochondriale Fragmentation im Vergleich zu den<br />

Kontrollpersonen.<br />

Kommentar<br />

Gamboa et al. geben uns eine neue Einsicht in<br />

die mitochondriale Funktion von Skelettmuskeln<br />

bei Patienten mit CKD. Sie zeigen uns, dass sich die<br />

mitochondriale Funktion mit zunehmender Niereninsuffizienz<br />

verschlechtert. Da die Mitochondrien<br />

als „Kraftwerke der Zellen“ ATP produzieren, das<br />

für die Kontraktion und den Zellmetabolismus der<br />

Muskelzellen benötigt wird, ist deren Funktionsstörung<br />

eine mögliche Erklärung für Sarkopenie<br />

und den Verlust funktionaler Fähigkeiten bei niereninsuffizienten<br />

Patienten. Es gibt allerdings noch<br />

viele weitere Faktoren, die dazu beitragen können<br />

wie z. B. Hemmung der Proteinsynthese und Stimulation<br />

des Proteinabbaus.<br />

Als mögliche Ursache dieser Mitochondriendysfunktion<br />

bei niereninsuffizienten Patienten vermuten<br />

die Autoren den Einfluss von Inflammation,<br />

oxidativem Stress und von Urämietoxinen. Eine<br />

Querschnittsuntersuchung wie diese ist allerdings<br />

zur Erhellung pathophysiologischer Zusammenhänge<br />

wenig geeignet. Sie mag aber Ansporn sein,<br />

neue therapeutische Ziele zu formulieren in Bezug<br />

auf Gebrechlichkeit (Frailty) und Sarkopenie bei<br />

niereninsuffizienten Patienten. Darüber hinaus<br />

ergeben sich auch Aspekte für Zellen weiterer<br />

Organe (z. B. Herz, Niere, Immunsystem), deren<br />

(mitochondriale?) Funktion durch die Niereninsuffizienz<br />

beeinträchtigt wird.<br />

Referenz:<br />

1. Gamboa JL, Roshanravan B, Towse T et al. Skeletal muscle<br />

mitochondrial dysfunction is present in patients with CKD<br />

before initiation of maintenance hemodialysis. Clin J Am<br />

Soc Nephrol <strong>2020</strong>; 15(7): 926–36.<br />

Dr. med. Bernd Winterberg<br />

KfH-Nierenzentrum Bochum<br />

Cruismannstr. 37, 44807 Bochum<br />

Dr. med. Bernd Winterberg<br />

bernd.winterberg@kfh-dialyse.de<br />

EDUCATION<br />

37


NEUROMODULATIVE THERAPIE<br />

Neuromodulation bei älteren Patienten:<br />

Operative Optionen, Chancen und<br />

Herausforderungen<br />

Georgios Matis, Köln<br />

Der Anteil der älteren Bevölkerung (>65 Jahren) nimmt stark zu. Während im Jahr 2014 fast 6,8 Millionen<br />

ältere Patienten in Deutschland operiert wurden [1], waren es im Jahr 2017 bereits mehr als 7 Millionen<br />

[2]. Dem Bericht des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2015 zufolge wird im Jahr 2060 ein Drittel<br />

der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein [3].<br />

Schmerzen führen bei älteren Menschen zu mehreren<br />

nachteiligen Begleiterscheinungen: geringe<br />

Lebensqualität, schlechtere Gesundheit, vermehrte<br />

Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten,<br />

Depressionen, Suizidrisiko, Angstzustände,<br />

soziale Isolation, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit,<br />

Gewichtsverlust, kognitive Beeinträchtigungen und<br />

Einschränkungen bei alltäglichen Aktivitäten [4].<br />

Neuromodulation<br />

Neuromodulation wird von der International<br />

Neuromodulation Society (INS) als ein Gebiet der<br />

Wissenschaft, Medizin und Biotechnik definiert,<br />

das implantierbare und nicht implantierbare Technologien<br />

(elektrische oder chemische Stimulation)<br />

umfasst, die sich auf Neuronen auswirken [5].<br />

Funktionelle neurochirurgische<br />

Eingriffe<br />

CONFERENCES<br />

Rückenmarkstimulation (Spinal Cord Stimulation,<br />

SCS): Der Hinterstrang des Rückenmarks wird mittels<br />

einer oder mehrerer in den Epiduralraum eingebrachten<br />

Elektroden durch geringe elektrische Ströme<br />

stimuliert. Dieses Verfahren kommt zur Anwendung<br />

bei folgenden Schmerzerkrankungen: chronischer<br />

Beinschmerz nach vorangegangenen Bandscheiben-<br />

oder Wirbelsäulenoperationen (failed back surgery<br />

syndrome), CRPS-Typ I und II, Phantom- oder<br />

Stumpfschmerzen, therapierefraktäre Angina pectoris<br />

und therapierefraktäre arterielle Verschlusskrankheit<br />

(pAVK). Auch bei Patienten im höheren<br />

Lebensalter mit multifaktoriellen chronischen lumbalen<br />

und nicht radikulären Beinschmerzen kann<br />

Abbildung 1: Intraoperatives Imaging – AP-Bild: Eine 8-polige<br />

SCS-Elektrode bei einem Patienten mit neuropathischen Beinschmerzen.<br />

die SCS-Therapie eine deutliche Schmerzlinderung<br />

bewirken (>50 %) [6] (Abbildung 1).<br />

Dorsal Root Ganglionstimulation (DRG): Die Operation<br />

entspricht der Implantation einer Elektrode<br />

38


NEUROMODULATIVE THERAPIE<br />

Abbildung 2: Röntgen-Kontrolle – AP-Bild: Eine 4-polige DRG-<br />

Elektrode (L5 links) bei einem Patienten mit Fußschmerzen.<br />

zur spinalen epiduralen Stimulation, allerdings ist<br />

die Platzierung der Elektrode aufwändiger. So wird<br />

eine feine Elektrode durch das Foramen extraforaminal<br />

platziert, und man kann eine Stimulation<br />

des betroffenen spinalen Ganglions durchführen.<br />

Die Hauptindikationen sind Knieschmerzen, Fußschmerzen<br />

sowie Schmerzen nach Leisten hernien-<br />

Operationen. In höherem Lebensalter ist die<br />

Platzierung der Elektroden deutlich anspruchsvoller<br />

im Vergleich zu jüngeren Patienten (schwierigere<br />

Anatomie, mehrere spinale Operationen in der<br />

Vorgeschichte) (Abbildung 2).<br />

Periphere Nervenfeldstimulation (PNFS): Es handelt<br />

sich um eine Implantation von einer oder mehreren<br />

Elektroden subkutan an die äußerste Grenze<br />

des Schmerzareales. Die Methode ist sehr einfach,<br />

ohne Risiken und bei älteren Patienten mit Spinalstenose,<br />

Osteoporose und Skoliose bestens indiziert,<br />

da aufwändige Operationen in diesem Alter<br />

nicht ohne Risiken durchgeführt werden können.<br />

Zu den Indikationen zählen umschriebene Schmerzen<br />

im Nacken, Rücken sowie im Brust- und Lendenwirbelsäulen-Bereich<br />

[7] (Abbildung 3).<br />

Periphere Nervenstimulation (PNS): Über die<br />

Anlage einer Elektrode auf einen teilweise verletzten<br />

peripheren Nerven können durch die Gabe von<br />

Stromimpulsen Kribbelempfindungen im schmerzhaften<br />

Areal ausgelöst werden und dadurch die<br />

eigentlichen Schmerzen verringert werden. Zu den<br />

Indikationen zählen chronische, auf ein bestimmtes<br />

Abbildung 3: Röntgen-Kontrolle – AP-Bild: Vier 8-polige subkutane<br />

Elektroden lumbal und Neurostimulator gluteal rechts<br />

bei einem Patienten mit Rückenschmerzen.<br />

Abbildung 4: Röntgen-Kontrolle – AP-Bild: Zwei 8-polige<br />

sakrale Elektroden bei einem Patienten mit chronischem<br />

Schmerzsyndrom genito-anal.<br />

Areal beschränkte Lumbalgien, chronische Leistenschmerzen,<br />

chronische Arm- und Beinschmerzen<br />

nach Verletzungen, Stuhl- und Harninkontinenz<br />

(z.B. Nervus (N.) ulnaris, N. radialis). Studien haben<br />

gezeigt, dass auch die älteren Patienten mit Stuhlinkontinenz<br />

von einer sakralen Neuromodulation<br />

profitieren [8] (Abbildung 4).<br />

Intrathekale (ITK) Medikamententherapie bei<br />

chronischen Schmerzen und Spastik: Nach Implantation<br />

eines Katheters in den Liquor an der Lendenwirbelsäule<br />

wird zunächst über eine externe Pumpe<br />

CONFERENCES<br />

39


NEUROMODULATIVE THERAPIE<br />

CONFERENCES<br />

Abbildung 5: Röntgen-Kontrolle – AP-Bild: eine programmierbare<br />

Medikamentenpumpe abdominell links bei einem Patienten<br />

mit Tetraspastik (Zustand nach Subarachnoidalblutung).<br />

Abbildung 6: Intraoperatives Imaging – AP-Bild:<br />

Die Punktionskanüle im Ganglion gasseri.<br />

die Wirkung von verschiedenen Medikamenten<br />

(Morphin, Zikonotide, Baclofen) ausgetestet. Bei<br />

einer guten Linderung und fehlenden Nebenwirkungen<br />

wird dann der Katheter in einer zweiten<br />

Operation an eine in das Unterhautfettgewebe des<br />

Bauches implantierte elektronische oder gasdruckbetriebene<br />

Pumpe angeschlossen (Abbildung 5).<br />

Die Pumpenbefüllung erfolgt durch ein Septum in<br />

der implantierten Pumpe durch die Haut je nach<br />

benötigter Dosis in regelmäßigen Abständen. Studien<br />

haben den Erfolg dieser Therapie auch bei<br />

älteren Patienten gezeigt [9]. Die Schmerzintensität<br />

wird reduziert, Nebenwirkungen (z. B. Verstopfung,<br />

Übelkeit, Harnverhalt) sind allerdings häufig.<br />

Gepulste Radiofrequenztherapie (PRF): Unter<br />

örtlicher Betäubung wird eine Multifunktionselektrode<br />

über eine Kanüle epidural platziert. Durch<br />

Anschluss der Elektrode an einen Radiofrequenz-<br />

Generator können Stimulationen durchgeführt<br />

werden, um die Schmerzquelle bzw. die betroffene<br />

Nervenwurzel genau zu lokalisieren. Anschließend<br />

erfolgt die gepulste Radiofrequenzbehandlung<br />

(Temperaturerhöhung auf 42 °C für jeweils vier<br />

Minuten). Dazu können noch entzündungshemmende<br />

Medikamente eingebracht werden (z. B.<br />

Dexamethason). Zu den Indikationen zählen radikuläre<br />

Schmerzen, Occipitalneuralgie, postherpetische<br />

Neuralgie. Kim et al. (2008) fanden eine<br />

Schmerzlinderung von 55 % drei Monate nach der<br />

Durchführung einer PRF in der Nähe der entsprechenden<br />

DRG bei älteren Patienten mit postherpetischer<br />

Neuralgie [10].<br />

Facetten-/ISG-Denervierungen: Bei der Hochfrequenz<br />

Denervation (70–90 °C, zwei Minuten) der<br />

Facettengelenke oder des ISG werden Nerven, die von<br />

den Gelenken ausgehende Schmerzsignale transportieren,<br />

vorübergehend unterbrochen oder zerstört.<br />

Zu den Indikationen zählen Facettenschmerzen<br />

und ISG-Schmerzen. Eine Studie bei älteren Patienten<br />

hat gezeigt, dass es auch nach zwölf Monaten<br />

eine gute Schmerzlinderung und einen verbesserten<br />

Oswestry-Disability-Index (ODI)-Wert gibt. Als<br />

Komplikationen wurden transientes Unwohlsein und<br />

brennende Schmerzen genannt [11].<br />

Fraktionierte Thermokoagulation im Ganglion<br />

Gasseri: Hierbei erfolgt durch eine perkutane<br />

Punktion nach Austestung der richtigen Lage der<br />

40


NEUROMODULATIVE THERAPIE<br />

Kanüle mittels 2Hz- und 75Hz-Stimulation und<br />

Lokalisation des betroffenen Nervs eine fraktionierte<br />

Thermokoagulation mit 60 °C, 70 °C und<br />

90 °C. Die schmerzleitenden Fasern werden so<br />

ausgeschaltet. Alpha-Fasern, die die Berührung<br />

leiten, werden dabei, soweit wie möglich, erhalten.<br />

Zu den Indikationen zählen Trigeminusneuralgie.<br />

Auch bei Patienten >70 Jahre kann eine ausreichende<br />

Schmerzlinderung von 75 % (drei Jahre<br />

nach der Operation), 71 % (fünf Jahre später) und<br />

49 % (zehn Jahre danach) erreicht werden. Zu den<br />

Komplikationen gehören Taubheit, Anaesthesia<br />

dolorosa und Konjunktivitis [12] (Abbildung 6).<br />

Fazit<br />

Dr. med. (GR) Georgios Matis, MSc, PhD<br />

georgios.matis@uk-koeln.de<br />

Die funktionelle Neurochirurgie muss sich heutzutage<br />

mit komplexen chronischen Zuständen<br />

auseinandersetzen. Bei einer therapeutischen Entscheidung<br />

müssen nicht nur die neurologischen<br />

Aspekte, sondern auch sämtliche Vorerkrankungen,<br />

die das Alter mit sich bringt, berücksichtigt werden.<br />

Gegenwärtig besteht die Tendenz, im höheren<br />

Alter bevorzugt minimalinvasive Verfahren<br />

wie PRF, PNFS oder Denervierungs-Operationen<br />

durchzuführen. Die individuellen Therapiekonzepte<br />

im Rahmen einer multimodalen Therapie sind eine<br />

Conditio sine qua non für eine gute Prognose.<br />

Referenzen<br />

1. Mende A, Riegel AK, Plümer L et al. Gebrechliche ältere<br />

Patienten. Dtsch Arztbl Int 2019; 116(5): 73–82.<br />

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Altersmedizin. Dtsch Arztbl Int 2019; 116(5): 63–9.<br />

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for neuropathic pain. Neurosurg Clin N Am 2014;<br />

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9. Raffaeli W, Righetti D, Caminiti A et al. Implantable intrathecal<br />

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10. Kim YH, Lee CJ, Lee SC et al. Effect of pulsed radiofrequency<br />

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12. Tang YZ, Jin D, Bian JJ et al. Long-term outcome of computed<br />

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thermocoagulation for classic trigeminal neuralgia patients<br />

older than 70 years. J Craniofac Surg 2014; 25(4):<br />

1292–5.<br />

Dr. Georgios Matis, MSc, PhD<br />

Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie<br />

Kerpener Straße 62, 50937 Köln<br />

CONFERENCES<br />

41


HF10-STIMULATION<br />

Hochfrequente Rückenmarkstimulation:<br />

Evidenz, Einsatzgebiet und die Rolle des<br />

Schmerzmediziners<br />

Thorsten Luecke, Linz am Rhein<br />

© Shutterstock/ESB Profes-sional<br />

Es ist es wichtig, zu verstehen, was chronischer Schmerz ist. Der chronische Schmerz führt zu neuropathischen<br />

Veränderungen, die Lernvorgängen des Gehirns ähneln, die zu einer eigenständigen Erkrankung<br />

werden. Dabei spielen somatische, psychologische und soziale Faktoren in gleichberechtigter Verwobenheit<br />

eine bedeutsame Rolle. Der aktuelle Therapieansatz in der Schmerzmedizin ist multimodal. „Der größte<br />

Fehler bei der Behandlung von Krankheiten ist, dass es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt,<br />

wobei das doch nicht getrennt werden kann.“ Dieser Satz stammt von Platon und ist viele Jahre alt, er hat<br />

allerdings nichts von seiner Aktualität verloren.<br />

CONFERENCES<br />

Man geht davon aus, dass der Wirkmechanismus<br />

der Rückenmarksstimulation (engl. Spinal Cord Stimulation,<br />

SCS) nur entfaltet werden kann, wenn<br />

die sensiblen und sensorischen Hinterstränge des<br />

Rückenmarks intakt oder weitgehend intakt sind.<br />

Neben den segmentalen spinalen Effekten wird<br />

ein supraspinaler modellierender inhibitorischer<br />

Mechanismus über deszendierende Bahnen angenommen.<br />

Die epidurale Rückenmarksstimulation führt<br />

zu einer Aktivierung GABAerger Interneurone die<br />

eine Inhibition der Wirkung auf tiefer gelegene<br />

spinothalamische Neurone ausübt, es kommt zu<br />

einer Erhöhung der Konzentration der Substanz P<br />

42


HF10-STIMULATION<br />

oberen Extremität und auch die Stimulation bei<br />

singulären Nervenverletzungen oder peripherer<br />

Polyneuropathie angewendet. Weitere Indikationen<br />

sind postoperative Schmerzen, Complex<br />

Regional Pain Syndrome (CRPS), der neuropathische<br />

Virgin-Back-Schmerz und nicht operationspflichtige<br />

Spinalkanalstenosen.<br />

Die Studienevidenz in unterschiedlichen<br />

Schmerzbereichen ist breit, es gibt hochwertige<br />

prospektive Studien dazu, veröffentlicht anlässlich<br />

des 2019 NANS (North American Neuromodulation<br />

Society) annual meeting. Dort sind die<br />

Indikationsfelder der peripheren Polyneuropathie<br />

des Beckenschmerzes, der oberen Extremität,<br />

der chirurgischen Schmerzen, bei mononeuronaler<br />

Verletzung, der Brustschmerz beispielsweise<br />

nach Mastektomie, chronische Migräne, Abdo-<br />

Abbildung 1: Failed Back Surgery Syndrome: Hier finden wir<br />

eine typische Situation nach mehrfachen Wirbelsäulenoperationen,<br />

in diesem Falle 20 Voroperationen.<br />

und von Serotonin. Es erfolgt eine Freisetzung von<br />

Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) und damit<br />

eine periphere Vasodilatation. Wir finden einen<br />

supprimierenden Effekt auf die Übererregbarkeit<br />

von Wide-Dynamic-Range-Neuronen und beeinflussen<br />

damit den neuropathischen Schmerz.<br />

Die klassische Indikation für die Neurostimulation<br />

stellt das Failed back surgery syndrome (FBSS) dar<br />

(Abbildung 1). Es handelt sich um einen mixed pain<br />

(nozizeptiv und neuropathisch), der einer Rückenmarkstimulation<br />

zugänglich gemacht werden kann.<br />

Abbildung 2 zeigt die deutlich erweiterte Indikationsstellung<br />

für die Hochfrequenz-Rückenmarksstimulation.<br />

Mittlerweile wird die cervikale<br />

Stimulation, die Extremitätenstimulation der<br />

Abbildung 2: Radikuläre SCS bei einer Patientin mit einem<br />

traumatischen Plexusschaden.<br />

CONFERENCES<br />

43


HF10-STIMULATION<br />

CONFERENCES<br />

minalchirurgie mit entsprechendem abdominellen<br />

Schmerzsyndrom und Schmerzen der oberen<br />

Extremität und als Rescue-Therapie bei Plexus-<br />

Läsionen. Hier verweise ich insbesondere auf die<br />

Verwendung in der oberen Halswirbelsäule mit cervikalen<br />

SCS-Anwendungen. Retrospektive Studien<br />

zeigen die Wirksamkeit der tonischen Stimulation.<br />

Die tonische Stimulation zeigt jedoch Phänomene<br />

von Über- und Unterstimulationseffekten. Positionelle<br />

Stimulationseffekte aufgrund der Nähe des<br />

Rückenmarks zur Dura sowie der hohen Beweglichkeit<br />

der Halswirbelsäule führen zu einer eingeschränkten<br />

Akzeptanz bei den Patienten.<br />

Eine sehr gute Studienlage zur Hochfrequenzstimulation<br />

des Rückenmarks existiert auch bei<br />

kombiniertem Nacken- und Armschmerz. In einer<br />

prospektiven Multicenterstudie waren 95 % der<br />

Patienten „zufrieden“ bis „sehr zufrieden“ mit der<br />

Therapie, 30 % der Patienten reduzierten ihre Opioid-Medikation<br />

oder setzen sie komplett ab.<br />

Es gibt einige Ausschlusskriterien zum Eingriff<br />

eines SCS. Der Eingriff ist minimalinvasiv,<br />

nichtsdestotrotz gilt auch hier, dass schwere<br />

Koagulopathien, vorhandene Implantate mit Sensing-Eigenschaften<br />

(automatische Defibrillator<br />

ICD-, CRDT-Therapie) oder monopolar eingestellte<br />

Schrittmacher eine Kontraindikation darstellen.<br />

Weitere Kontraindikationen sind psychologische,<br />

psychiatrische oder psychosomatische Risiken,<br />

Substanzabusus und Abhängigkeit oder die Unfähigkeit<br />

das Stimulationssystem zu bedienen. Eine<br />

eingeschränkte Lebenserwartung und fortgeschrittene<br />

chronische oder maligne Erkrankungen sind<br />

relative Indikationen. Der älteste von uns implantierte<br />

Patient war 92 Jahre alt. Eine absolute Kontraindikation<br />

zum Eingriff stellen die Infektionen<br />

im Implantationsbereich dar.<br />

Bereits ältere Verlaufsstudien an über 70 Patienten<br />

mit einem medianen Follow-up von 26 Monaten<br />

zeigten, dass bei über 60 % der Patienten eine<br />

Abbildung 3: Orthotope Lage der Thorakalelektrode Übergang<br />

T8/T9 strikt in der Mittellinie dorsal. Es handelt sich um ein<br />

Patienten mit einem peripheren CRPS des Fußes nach komplexer<br />

Trümmerfraktur mit sekundärer Arthodese.<br />

mehr als 50%ige Schmerzreduktion erzielt werden<br />

konnte. Mehr als die Hälfte der Patienten (53 %)<br />

benötigten keine Analgetika mehr, 40 % kehrten<br />

an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Komplikationsrate<br />

über alle Komplikationen hinweg betrug 18 %<br />

pro Jahr. Über folgende Risiken sollte entsprechend<br />

der Häufigkeit aufgeklärt werden:<br />

• Infektionen, je nach Studien und Literaturrecherche<br />

3,7–11 %,<br />

• Elektrodenmigration 11–34 %,<br />

• Elektrodenbruch 0,8–13,4 %,<br />

• Schmerzen im Bereich des Impulsgebers 3 %,<br />

• neurologische Defizite etwa 1 %.<br />

Die in unseren Augen einzige wirklich gravierende<br />

Komplikation ist der Infekt. Insbesondere während<br />

44


HF10-STIMULATION<br />

der Testphase, in der die Elektrode durch die Haut<br />

nach außen ausgeleitet ist, besteht ein erhöhtes<br />

Infektionsrisiko abhängig von der Zeit der Testung.<br />

Hält man die Testphase vergleichsweise kurz, in<br />

unserem Zentrum 7–10 Tage, und führt eine entsprechende<br />

antibiotische Abdeckung des Patienten<br />

durch, geht das Infektionsrisiko gegen 0 %.<br />

Abbildung 3 zeigt einen Patienten mit einem<br />

peripheren CRPS des Fußes nach komplexer Trümmerfraktur<br />

mit sekundärer Arthodese. Dieser Patient<br />

ist insoweit interessant, da er als Dachdecker<br />

das Gerät bedarfsweise, besonders zu schweren<br />

körperlichen Belastungen, nutzt und ansonsten auf<br />

eine Stimulation verzichtet.<br />

Der Effekt der HF-10-Stimulation beruht auf<br />

einer direkten Hemmung von Spinalneuronen.<br />

Dabei zeigt sich bei experimentellen Untersuchungen<br />

die direkte Abhängigkeit der Schmerzreduktion<br />

von der Frequenz, sodass bei höheren Frequenzen<br />

eine noch weiter zunehmende Schmerzreduktion<br />

erwartbar erscheint. Die konventionelle SCS benötigt<br />

kein regelmäßiges Aufladen des Generators.<br />

Der Patient spürt die durch die Stimulation vermittelte<br />

Parästhesie und weiß, dass der Generator<br />

aktiv ist. Die Nachteile liegen darin, dass axiale<br />

Schmerzen schlecht zu beeinflussen sind. Die Rate<br />

der Gewöhnung liegt vergleichsweise höher bei<br />

Gegenüberstellung traditionelle SCS<br />

und Hochfrequenzverfahren<br />

Die herkömmliche Elektrodenplatzierung erfordert<br />

ein intraoperatives Parästhesie-Mapping.<br />

Ziel ist die Überlagerung des Schmerzbereiches<br />

durch die Parästhesie. Die auf Parästhesien beruhende<br />

Elektrodenplatzierung zur Rücken- und<br />

Bein-Schmerzbehandlung liegt zwischen T6 und<br />

T10. Zur Durchführung dieses Verfahrens ist ein<br />

kooperativer Patient und das Patientenfeedback<br />

erforderlich. Dadurch kommt es zu einer erheblichen<br />

Schwankung der Verfahrensdauer. Im Gegensatz<br />

dazu erfolgt die Elektrodenplatzierung für<br />

die HF10-Therapie nach anatomischen Gesichtspunkten.<br />

Ein Parästhesie-Mapping ist nicht erforderlich.<br />

Die auf anatomischen Gesichtspunkten<br />

beruhende Elek tro denplatzierung für Rücken- und<br />

Beinschmerzen liegt bei T8 bis T11. Eine intraoperative<br />

Programmierung ist nicht erforderlich. Das<br />

in Narkose durchführbare Verfahren ermöglicht<br />

eine einheitliche Verfahrensdauer. Studienergebnisse<br />

zeigen, dass die HF10-Therapien nicht nur<br />

parästhesie frei ist, sondern auch parästhesieunabhängig.<br />

Die Lebensqualität zeigt sich durch die<br />

HF-Stimulation deutlich verbessert insbesondere<br />

die Mobilität der Betroffenen.<br />

etwa 29 %. Die Parästhesien werden von 20 % der<br />

Anwender als unangenehm empfunden. Patienten<br />

dürfen kein Fahrzeug steuern. Die OP-Dauer ist<br />

schwer kalkulierbar und daher sehr variabel.<br />

Zum Vergleich die Vorteile der Hochfrequenz:<br />

Die Stimulation erfolgt parästhesiefrei. Dadurch<br />

ergeben sich insgesamt geringere Einschränkungen<br />

im Alltag. Es ist keine Anpassung der Impulsstärke<br />

abhängig von der Position erforderlich. Die<br />

Operation erfolgt in Narkose, ein intraoperatives<br />

Mapping ist nicht erforderlich. Die Verfahrensdauer<br />

ist einheitlich, damit ist die OP-Zeit kürzer,<br />

das Verfahren weniger belastend. Die Hochfrequenztherapie<br />

zeigt eine gute Wirkung auch auf<br />

axialen Rückenschmerz. Der Nachteil der Hochfrequenztherapie<br />

ist das tägliche Aufladen des Gene-<br />

CONFERENCES<br />

45


HF10-STIMULATION<br />

Schlussfolgerungen<br />

CONFERENCES<br />

Dr. med. Thorsten Luecke<br />

t.luecke@krankenhaus-linz.de<br />

rators. Trotz MRT-Tauglichkeit ergeben sich häufig<br />

Schwierigkeiten bei der MRT-Diagnostik durch<br />

Ablehnung seitens der Radiologie.<br />

Eine Studie von Al-Kaisy et al. (2018) zeigt die<br />

Überlegenheit der Hochfrequenztherapie. Darüber<br />

hinaus zeigt sich ein eindeutiger Cut-off-Wert bei<br />

5.000 kHz. Hier findet sich eine deutliche Zunahme<br />

der Schmerzreduktion im Vergleich zu den tonischen<br />

Verfahren.<br />

In einer Studie von Kapural et al. (Neurosurgery<br />

2016) zeigt sich eine deutliche Schmerzreduktion<br />

und vor allem eine gleichbleibend nachhaltige Linderung<br />

der Rückenschmerzen nach 24 Monaten<br />

mit einer um etwa 20 % höheren Schmerzreduktion<br />

im Vergleich zur konventionellen SCS.<br />

Real-World-Daten von acht Zentren aus den<br />

USA, England und Deutschland mit 1660 eingeschlossenen<br />

Patienten aus den Jahren 2014–2018<br />

berichten von einer Responderrate von 78 % mit<br />

90%iger Patientenzufriedenheit. Etwa ein Drittel<br />

der Patienten konnte ihre Medikation verringern.<br />

Der Explantationsrate war mit zirka 3,5 % sehr<br />

niedrig (1,2 % wegen Verlust der Wirksamkeit).<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch<br />

die hochfrequente Stimulation keine signifikanten<br />

Nebenwirkungen zu befürchten sind bei deutlicher<br />

Schmerzreduktion und sehr hoher Responderrate.<br />

Es kommt in aller Regel zu einer deutlichen Reduktion<br />

von Medikamenten, insbesondere Opiaten. Die<br />

Lebensqualität zeigt sich deutlich verbessert insbesondere<br />

die Mobilität der Betroffenen.<br />

Die Frage bleibt natürlich, wo der Schmerztherapeut<br />

in diesem Rahmen angesiedelt ist? Wir sehen<br />

die Neurostimulation als ein Tool im multimodalen<br />

interdisziplinären Setting zur Behandlung des<br />

chronischen Schmerzpatienten. Hier ist eine enge<br />

interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Koordination<br />

des Algesiologen essenziell. Dazu gehört<br />

auch eine validierte qualitätsgesicherte Betreuung<br />

des Patienten vor und nach dem Eingriff. Eine<br />

rein mechanistische Sicht des Verfahrens ist nicht<br />

angemessen und wird dem Patienten und dem operativen<br />

Verfahren in keiner Weise gerecht.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Dr. med. Thorsten Luecke<br />

Verbundkrankenhaus Linz-Remagen<br />

Standort Franziskus Krankenhaus Linz<br />

Magdalena-Daemen-Straße 20, 53545 Linz am Rhein<br />

46


IMPRESSUM<br />

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47


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