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MATTHIAS HERRMANN

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Prof. Dr. Matthias Herrmann (Dresden)<br />

Der Prager Komponist Erwin Schulhoff 1919/20 in Dresden und<br />

sein damaliger Briefkontakt zu Arnold Schönberg<br />

Vorbemerkung:<br />

Der folgende Text, der meiner Buchpublikation „Arnold Schönberg in Dresden“<br />

(2001) 1 folgt, widmet sich dem aus Prag stammenden jüdischen Komponisten<br />

Erwin Schulhoff, der 1919/1920 in Dresden wirkte und von der sächsischen<br />

Landeshauptstadt aus mit dem damals in Mödling bei Wien lebenden<br />

„Musikrevolutionär“ Arnold Schönberg sehr streitbar korrespondierte. In diesem<br />

Briefwechsel geht es um Menschheits- und Glaubensfragen wie um Aspekte von<br />

Kunst und Musik nach Beendigung des Ersten Weltkrieges und dem Sturz der<br />

Monarchie.<br />

Die Korrespondenz zwischen den in Alter, Ansicht und Temperament sehr<br />

unterschiedlichen Persönlichkeiten beschränkt sich auf die genannten Jahre<br />

Schulhoffs in Dresden. 2 Die beiden von Schönberg verfassten Briefe an Schulhoff<br />

sind im Jahre 1965 von Ivan Vojtĕch (Prag) veröffentlicht worden 3 und werden<br />

seitdem gern zitiert als Beispiel für die überspitzt-kompromisslose Haltung des<br />

Meisters.<br />

In meinem Buch „Arnold Schönberg in Dresden“ habe ich die dahin allgemein als<br />

verschollen geltenden sechs Schulhoff-Briefe und -Karten an Schönberg erstmals<br />

herausgegeben. Es geht mir nun im vorliegenden Text darum, diese Briefe einem<br />

breiteren Interessentenkreis bekannt zu machen als das über die Buchpublikation<br />

einen regionalen Verlages möglich ist. Denn nicht einmal jüngste Schulhoff-<br />

Veröffentlichungen 4 nahmen diese inhaltsschweren Briefe zur Kenntnis.<br />

Da in den 1995/96 publizierten Verzeichnissen des Washingtoner Schönberg-<br />

Briefnachlasses 5 die Briefe Schulhoffs an Schönberg unter falschem Namen<br />

geführt werden, blieben diese bis zu meinen ausführlichen Recherchen in den<br />

Jahren 2000/01 im gerade neu etablierten Arnold Schönberg Center in Wien<br />

unentdeckt. (1993 teilte Josef Beck mit, „bis heute“ seien die „sehr wichtigen<br />

Briefe von Schulhoff an Schönberg verschollen“ und er fragte: „Wo werden sie<br />

aufbewahrt?“ 6 )<br />

Mit der Bekanntmachung lässt das Rätselraten darüber beenden, warum es<br />

1 Matthias Herrmann, Arnold Schönberg in Dresden, Hellerau-Verlag Dresden 2001, S. 33-51.<br />

2 Vgl. zum Thema „Schulhoff und Dresden“ Josef Bek, Der Dresdner Aufenthalt Erwin Schulhoffs, in:<br />

Beiträge zur Musikwissenschaft 24 (1982), Heft 2, S. 112-122; Reiner Kugele, Erwin Schulhoff und die<br />

„Fortschrittskonzerte“ in Dresden 1919/20, in: Matthias Herrmann / Hanns-Werner Heister, Dresden und die<br />

avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil I: 1900-1933, S. 197-204 (Musik in Dresden, Bd. 4); vgl. auch<br />

Anm. 4.<br />

3 Ivan Vojtĕch, Arnold Schoenberg, Anton Webern, Alban Berg. Unbekannte Briefe an Erwin Schulhoff, in:<br />

Miscellanea Musicologica, Praha XVIII (1965), S. 36-38.<br />

4 Michael Kube, Schulhoff, Ervín, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearbeitete Ausgabe,<br />

Personenteil, Bd. 15, Kassel etc. 2006, Sp. 222-226; ders., Von Prag nach Dresden. Erwin Schulhoff und die<br />

Fortschrittskonzerte, in: Jörn-Peter Hiekel / Elvira Werner, Musikkulturelle Wechselbeziehungen zwischen<br />

Böhmen und Sachsen, Saarbrücken 2006, S. 123-135.<br />

5 Paul Zukofsky / R. Wayne Shoaf u. a., Preliminary Inventory of Schoenberg Correspondence = Journal of<br />

the Arnold Schoenberg Institute 18 (1995), Nr. 1/2, sowie 19 (1996), Nr. 1/2, S. 147.<br />

6 Josef Bek, Erwin Schulhoff – Leben und Werk. Ein Forschungsbericht, in: Gottfried Eberle (Hrsg.), Erwin<br />

Schulhoff. Die Referate des Kolloquiums in Köln am 7. Oktober 1992, Hamburg 1993, S. 15-17 (Verdrängte<br />

Musik. NS-verfolgte Komponisten und ihre Werke, Bd. 5).


Schulhoff so treffsicher vermocht habe, durch seine Schreiben Schönberg „aus der<br />

Fassung“ zu bringen.<br />

2 1<br />

*<br />

Der 1894 in Prag geborene Musiker Erwin Schulhoff erfuhr während seines ersten<br />

kurzen Dresden-Aufenthaltes im Oktober 1918 telegrafisch, dass sein<br />

Streichquartett beim Mendelssohn-Wettbewerb mit dem ersten Preis prämiert<br />

wurde (eine Aufführung fand noch 1918 im Dresdner Tonkünstlerverein statt).<br />

Von Anfang Januar 1919 bis September 1920 lebte er ganz in der Elbestadt 7 ,<br />

zusammen mit seiner an der Kunstgewerbeschule studierenden Schwester Viola. 8<br />

Junge Dresdner Künstler, zum Teil Mitglieder der „Dresdner Sezession Gruppe<br />

1919“ wurden für Schulhoff rasch interessant: Otto Griebel, Lasar Segall,<br />

Alexander Neroslow, Otto Dix und Kurt Günther (Violas späterer Ehemann).<br />

Schulhoffs Umgang galt nicht nur Malern, sondern auch auf dem Schriftsteller<br />

Theodor Däubler, dem Kunstwissenschaftler Will Grohmann und dem<br />

Kapellmeister Hermann Kutzschbach. Man traf sich regelmäßig, u. a. im Atelier<br />

der Geschwister Schulhoff auf der Ostbahnstraße (einer von Künstlern bewohnte,<br />

1945 zerbombte Straße am Hauptbahnhof), und diskutierte (laut Griebel) „bis tief<br />

in die Nacht hinein über derzeitige politische und künstlerische Probleme.<br />

Zugleich wurden wir durch Erwin in das Musikschaffen Arnold Schönbergs,<br />

Alban Bergs, Anton von Weberns, Alexander Skrjabins und sein eigenes Schaffen<br />

eingeführt. Nach einem Besuch in Berlin brachte Erwin uns Zeichnungen von<br />

George Grosz mit, die in den Zeitschriften ‚Der blutige Ernst’ und ‚Der Gegner’<br />

abgebildet waren. Anhand des dadaistischen Manifests begannen wir, auch diese<br />

Angelegenheit rege zu diskutieren, und nachdem Otto Dix ebenfalls in Berlin<br />

gewesen war und uns Grüße von George Grosz überbrachte, wendeten wir uns<br />

selbst dem Dadaismus zu.“ 9<br />

Reflexion und Produktion – so könnte das Motto des Kreises um Schulhoff lauten.<br />

Denn aus den vielfältigen Anregungen entstand Neues aus der Begegnung der<br />

Künste. So traten Schulhoff und die Tänzerin Suse Elsler am 10. März 1919 im<br />

Künstlerhaus mit einem „Tanz-Farbe-Töne-Programm“ auf. Mit Griebel wurde<br />

gemeinsam eine Sammlung von handkolorierten Lithographien produziert, die mit<br />

Notenautographen im Dresdner Kaemmerer-Verlag in 50 Exemplaren unter dem<br />

Titel „Zehn Themen“ ediert. Auch das Dresdner Musikleben profitierte von<br />

Schulhoffs Tatendrang. Mit Kutzschbach wurde der Gedanke an<br />

„Fortschrittskonzerte“ geboren, in einem Werbeblatt mottohaft ausformuliert und<br />

von weiteren Mitgliedern des Sächsischen Künstlerfonds unterstützt: Theodor<br />

Däubler und Will Grohmann für die „Literatur“, Architekt Hans Poelzig und<br />

Maler Lasar Segall für die „Bildende Kunst“.<br />

Zwischen 21. Oktober und 29. November 1919 fand tatsächlich vier<br />

„Fortschrittskonzerte“ in der Zeitspanne statt, davor ein Einführungsabend (18.<br />

Oktober). Während Kutzschbach die Unterschiede zwischen Impressionismus und<br />

7 Über den Dresdner Aufenthalt Schulhoffs vgl. Josef Bek, Chronik seines Lebens, in: Eberle, Schulhoff. Die<br />

Referate des Kolloquiums in Köln, S. 15–17, sowie die in Anm. 1-4 genannte Literatur.<br />

8 Zu den Geschwistern Schulhoff wie ihrem Umfeld vgl. Rainer Beck, Otto Dix. Die kosmischen Bilder.<br />

Zwischen Sehnsucht und Schwangerem Weib, Dresden 2003, S. 14, 71, 75, 78, 82, 214f.<br />

9 Zitiert nach einem Brief Otto Griebels, veröffentlicht in: ohne Verfasser, Erwin-Schulhoff-Konzert in<br />

Dresden, Mitteilungen der Akademie der Künste zu Berlin 6 (1968), Heft 3, S. 7.


Expressionismus darlegte, stellte Schulhoff am Klavier Skjabinschen und<br />

Schönbergsche Werkausschnitte vor. 10 Am 9. Januar 1920 dirigierte Kutzschbach<br />

in der Semperoper ein Orchesterkonzert mit Kompositionen von Alexander<br />

Skrjabin, Igor Strawinsky und Nikolai Rimski-Korsakow. Schließlich leitete<br />

Schulhoff am 26. April 1920 ein „Expressionistisches Kammerkonzert“. Im<br />

Rahmen dieser sechs Konzerte erklangen auch Werke des Wiener Schönberg-<br />

Kreises. Ursprünglich hatte Schulhoff weitaus mehr Aufführungen Schönbergs<br />

und Alban Bergs wie Anton von Webern geplant.<br />

In Sachen Notenmaterial, Genehmigungen wie unterschiedlichsten Fragen wandte<br />

sich Schulhoff ab Mai 1919 wiederholt an diese drei Komponisten. Kein anderer<br />

Musiker Dresdens hat so intensiv mit den Vertretern des Wiener Schönberg-<br />

Kreises korrespondiert wie er. Offenbar waren aber die Gräben zu groß, als dass<br />

es zu einer dauerhaften Annäherung hätte kommen können.<br />

Im Brief an Schönberg vom 23. Mai 1919 (zunächst wurde an eine kurze<br />

Begegnung 1913 bei Alexander Zemlinsky in Prag erinnert) stellte Schulhoff das<br />

Projekt der „Fortschrittskonzerte“ vor und lud den Komponisten zur Aufführung<br />

der Kammersymphonie wie des „Pierrot lunaire“ nach Dresden ein und bat um<br />

aufführunspraktische Ratschläge. Am 20. Juni 1919 wies ihn Schönberg auf die<br />

technischen Schwierigkeiten der Werke hin, forderte für „Pierrot“ 20 bis 25<br />

Proben, für die Kammersymphonie etwa acht. Von einer guten Aufführung könne<br />

nur bei klanglicher und stimmführungsmäßiger Klarheit die Rede sein. 11 Beide<br />

Werke seien zu dirigieren, wobei er Hermann Scherchen oder Anton von Webern<br />

vorschlage.<br />

Auf Grund der Schulhoffschen Bemerkung zur Übernationalität der Kunst (eine<br />

für damalige Zeit fortschrittliche Sicht) und dem daraus folgenden Schluss, in<br />

seinen „Fortschrittskonzerten“ Werke vieler Nationen zu berücksichtigen,<br />

kündigte sich eine Kontroverse an, die schließlich eskalierte: Schönberg lehnte<br />

den Internationalismus in der Kunst insofern ab, als bereits vor dem Ersten<br />

Weltkrieg die deutschen Komponisten von ausländischen verdrängt worden seien.<br />

Auch bezögen sich viele „Modernisten“ lieber auf Claude Debussy denn auf<br />

Gustav Mahler oder auf ihn selbst. Deutschland dürfe seine Dominanz als<br />

Musiknation nicht verlieren. Wenn er an Musik denke, falle ihm nur die deutsche<br />

ein!<br />

Hieran knüpfte Schulhoff am 29. Juni 1919 an, wurde eindeutiger, ja aggressiver<br />

im Tonfall. Er kenne keine Sieger und Besiegte, keine nationale Kunst usw.: nur<br />

Menschen, von denen Kunst komme und die für diese entstehe. Als Komponist sei<br />

er radikal, scheue vor Terror nicht zurück. Er verstehe die ihm geltenden<br />

Ratschläge nicht, sei er doch an Schönbergs Musik gewöhnt. Natürlich würde er<br />

selbst dirigieren, sein Tun sei von hohem Ethos getragen, nicht vom Streben nach<br />

Sensation. Dass er zudem bekannte, Schönberg sei als Musiker „entschieden der<br />

Stärkere“ denn als Maler, vergrößerte die Gräben zwischen beiden und trug wohl<br />

10 Dokumentation mit Rezensionen durch Jeanpaul Goergen, Dadaisierte Musik in Zürich, Berlin und<br />

Dresden, in: Eberle, Schulhoff. Die Referate des Kolloquiums in Köln, S. 60-64, sowie Kugele, Schulhoff<br />

und die „Fortschrittskonzerte“, S. 200-202.<br />

11 In einem handschriftlichen Briefkonzept Arnold Schönbergs an Emil Hertzka (UE Wien) vom 28. Mai<br />

1914 findet sich eine Präzisierung: „Kammersymph: die Partitur für Orchester kann ich solange nicht zur<br />

allgemeinen Benutzung hergeben, als ich sie nicht mindestens in 2-3 Aufführungen, die ich selbst leite, aufs<br />

genaueste ausprobiert habe, so dass dann alles klingen muss. Ich will mir nicht fortwährend durch schlechte<br />

Aufführungen Feinde erwerben! Die meinen dann, meine Musik muss unklar klingen. Und das gefällt ihnen.<br />

Ich will dagegen, dass meine Feinde eine klare Sache hören [...]“ (Washington, Library of Congress / Wien,<br />

Arnold Schönberg Center [Kopie]).<br />

3


zum endgültigen Zerwürfnis bei, das Schönberg mit seiner kurzen Nachricht vom<br />

9. Juli 1919 besiegelte: Schulhoff sei jung, von daher bringe er wenig Erfahrung<br />

mit, seine Kompositionen zu dirigieren. Es fehle ihm zudem an einer<br />

Grundbedingung des Verständnisse für sein Werk: „sittlicher Ernst und der daraus<br />

sich ergebende Respekt“. Er entziehe ihm von daher die Erlaubnis zur Aufführung<br />

seiner Werke.<br />

Zwei Mal appellierte Schulhoff (am 26. Juli 1919 und am 22. März 1920) an<br />

Schönberg, versuchte ihn zu überzeugen, dass sein Bild von ihm falsch sei.<br />

Offenbar brach dann sein Temperament durch, als er Schönberg mit einer<br />

„kuriosen Zeiterscheinung“ in Verbindung brachte, wenn dieser weiterhin das<br />

Ästhetisieren in der Kunst über das Genießen stelle und dies gar von der „Masse“<br />

fordere. Er glaube nicht, dass Schönbergs Schülerschaft hinter ihm stehe. Ein<br />

Arnold Schönberg konnte eine solche Bewertung nicht tolerieren. Darüber halfen<br />

auch Schulhoffs Beteuerungen vom 22. März 1920 nicht hinweg, dem<br />

Komponisten nicht feindlich gegenüber zu stehen. Andererseits sei ihm das Recht<br />

wichtig, seine Ansichten deutlich zu artikulieren. So bekenne er offen, kein Jude,<br />

kein Christ, kein Bürger zu sein, dafür Proletarier! Er wünsche sich von<br />

Schönberg eine vollständige Anerkennung als Mensch, fühle er sich ihm doch<br />

kosmisch verbunden. Daher sei er veranlasst, Schönbergs Werk zur Aufführung<br />

zu bringen (im Falle der Klavierstücke op. 19 mit glänzendem Erfolg). Er müsse<br />

generell eine Einheit finden, ja denke dreidimensional.<br />

Was mag einen stark rationalen Menschen wie Arnold Schönberg beim Lesen<br />

dieser Zeilen bewegt haben? Er hat nie auf diese Schulhoff-Äußerungen reagiert.<br />

Trotz allen Widersprüchlichkeiten, an denen sicherlich Schulhoffs spontanes<br />

Wesen eine große Aktie hatte, zeichnete sich während des Wirkens des Prager<br />

Komponisten für die Stadt Dresden ein Wendepunkt in der Pflege und Rezeption<br />

Schönbergs ab. Das trat noch weitaus plastischer im Falle Alban Bergs zu Tage,<br />

mit dem Schulhoff von Dresden aus intensiv korrespondierte. Diese Schreiben 12<br />

kreisen um Aufführungsprojekte mit eigenen und Werken anderer Wiener<br />

Komponisten, um Empfehlungen unbekannter Stücke, um Verlags- und zu<br />

erstellende Aufführungsmaterialien, um beider Verhältnis zum Ersten Weltkrieg,<br />

um stattgefundene und nicht stattgefundene Aufführungen in Dresden. Während<br />

zu letzteren leider die für Dezember 1919 geplante Uraufführung der<br />

Orchesterstücke op. 6 13 gehörte, erklangen einige frühe Werke doch.<br />

Seinem Tagebuch vertraute Schulhoff am 15. August 1919 an: „Alban Berg nennt<br />

sich mein neuer Freund, ich habe ihn nie gesehen und er schreibt mir, wie ich ihm<br />

1-2 mal jede Woche! Dieser Mensch, obzwar er mir völlig unbekannt vom sehen<br />

[sic!] ist, strömt für mich unerhört viel Sympathie aus und könnte mir Wohltat<br />

bedeuten.“ 14<br />

12 Vgl. Bergs Briefe an Schulhoff nach Dresden (1919/20), in: Vojtĕch, Schoenberg, Webern, Berg, S. 41-66.<br />

Die Schulhoffs Briefe an Berg waren lange Zeit und befinden sich heute im Berg-Nachlass in der<br />

Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Musiksammlung (Sign. F 21 Berg 1333). Sie wurden zusammen<br />

mit denjenigen Bergs veröffentlicht, in: Katrin Bösch / Ivan Vojtĕch (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen<br />

Erwin Schulhoff und Alban Berg; in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft. Annales Suisses de<br />

Musicologie 13/14 (1993/94), S. 27-74.<br />

13 Die Uraufführung sollte Mitte Dezember 1919 stattfinden. Vgl. Anm. 2 zum XII. Brief Schulhoffs an Berg<br />

von 1919, in: Vojtĕch, Schoenberg, Webern, Berg, S. 81. Ein weiterer Anlauf wurde für Herbst 1920 in einem<br />

Orchesterkonzert in der Staatsoper unter Kutzschbach unternommen (ebenda, S. 56f.)<br />

14 Zitiert nach Kugele, Schulhoff in Dresden, S. 26. Tobias Widmaier, „In meinen Eingeweiden kräuseln<br />

süsse Kakophonien“. Erwin Schulhoffs Dadatöne, in: Eberle, Schulhoff. Die Referate des Kolloquiums in<br />

4 1


So kommt es nicht von ungefähr, dass Schulhoff im Februar 1921 Berg „in<br />

herzlicher Freundschaft“ seine „Invention“ widmete. Dieses Werk wie die<br />

Klavierfassung des 5. Orchesterliedes nach Peter Altenberg „Hier ist Friede“ op.<br />

4, Nr. 5 erschienen im gleichen Jahr im „Zweiten Dresdner Sonderheft ‚Junge<br />

Tonkunst’“. 15 Folgt man den Schulhoff-Briefen an die Wiener Komponisten und<br />

dem zitierten Tagebucheintrag, so scheint der Kontakt zwischen Schulhoff und<br />

Berg ungetrübt herzlich gewesen zu sein. Die unveröffentlichte Berg-Webern-<br />

Korrespondenz jener Zeit spricht dagegen eine andere Sprache!<br />

Gegenüber Webern ging Berg am 18. Juni 1919 davon aus, dass aus den geplanten<br />

Schulhoff-Aufführungen in Dresden ohnehin nichts werde. Ihm missfalle, dass<br />

Schulhoff neben dem Schönberg-Kreis auch Werke von Josef Matthias Hauer,<br />

Eduard Erdmann und Egon Wellesz vorzustellen gedenke. Offenbar spielte<br />

unterschwellig der Gedanke an die eigene Exklusivität mit: „Die Gesellschaft ist<br />

mir ja nicht sehr sympat[h]isch, so nach den Briefen und Urteilen zu schließen.“ 16<br />

Auch Webern stimmte in die Kritik an Schulhoff ein, schrieb unverblümt am 23.<br />

Juni 1919 an Berg: „Daß dieses Leute in Dresden ‚Schwätzer’ sind, das glaube ich<br />

auch.“ 17 Und Berg am 29. Juli 1919 Webern gegenüber: „Aber der Schulhoff wird<br />

mir mit jedem Brief unsympathischer.“ 18 Am gleichen Tag tat Alban Berg seinem<br />

Lehrer kund, dass Schulhoff trotz Warnung seine Drei Orchesterstücke op. 6 zur<br />

Uraufführung bringen wolle: „Auch sonst sehe ich diesem Cyklus von 6<br />

Konzerten mit Zweifel, ob er überhaupt zustandekommt, und Bedenken, wie er<br />

zustandekommt, entgegen. Der Schulhoff macht mir, nach seinen geschickten<br />

Briefen u. den geschwätzig-seichten [Kompositionen] zu schließen gar keinen<br />

guten Eindruck.“ 19<br />

Offenbar verkannte Schulhoff die innere und äußere Hingabe Alban Bergs an<br />

seinen Lehrer, wenn er sich als Reflexion auf die briefliche Kontroverse mehr als<br />

abfällig über Schönberg artikulierte – am 13. August 1919 hinsichtlich der<br />

Diskrepanz zwischen Fortschritt im Schaffen und realem Gedankenleben: Da<br />

bezeichnete er Schönberg als „ganz grosse[n] – Hanswurst!!!“ 20 Zwei Tage später<br />

avancierte dieser gar zum „Imperialisten und Offiziersanbeter“: im gegenwärtigen<br />

„revolutionären Zeitalter eine lächerliche Figur“. Er würde „sich manches vom<br />

eigenen Munde absparen“, um Schönberg „eine Kur in einer Nervenheilanstalt zu<br />

ermöglichen!!!“ Das Zerwürfnis sei ihm aber persönlich „eine jämmerliche<br />

Qual“. 21<br />

Alban Berg antwortete sachlich: „Was Sie über Schönberg sagen ist – – – gottlob<br />

ganz falsch. Sie kennen ihn eben nicht. Sie würden ihn, so wie es jeder<br />

warmblütigere junge Musiker u. Künstler heute tut u. tun muß verehren u. lieben.<br />

Trotz all dem, was zwischen Ihnen u. ihm vorgefallen ist.“ Berg schlug bis zu<br />

einem persönlichen Treffen Stillschweigen über die Kontroverse Schulhoff –<br />

Köln, S. 85, Anm. 59: Es entsteht der Eindruck, dass beide Komponisten, „bei allen Bemühungen, einen<br />

näheren Kontakt aufzubauen (an dem vor allem Schulhoff gelegen war), sich einander doch sehr fremd<br />

blieben“.<br />

15 Vgl. Faksimile des Schlusses, in: Matthias Herrmann, „Sinn der Kunst ist nicht, Übereinstimmung<br />

hervorzurufen, sondern zu erschüttern!“ Zur Pflege Neuer Musik nach dem Ersten Weltkrieg, in: Dresdner<br />

Hefte 9 (1991), H. 1, S. 5.<br />

16 Brief Bergs an Webern vom 18. Juni 1919 (Abschrift im Arnold Schönberg Center Wien).<br />

17 Brief Weberns an Berg vom 23. Juni 1919 (Abschrift im Arnold Schönberg Center Wien).<br />

18 Brief Bergs an Webern vom 29. Juli 1919 (Abschrift im Arnold Schönberg Center Wien).<br />

19 Brief Bergs an Schönberg vom 29. Juli 1919 (Abschrift im Arnold Schönberg Center Wien).<br />

20 Bösch / Vojtĕch, Briefwechsel Schulhoff und Berg, S. 41.<br />

21 Bösch / Vojtĕch, Briefwechsel Schulhoff und Berg, S. 43.<br />

5


Schönberg vor. 22<br />

Ein solches Treffen hat nie stattgefunden: Berg starb 15 Jahre später, am 24.<br />

Dezember 1935, in Wien, und Schulhoff ging an Tuberkulose in einem<br />

bayerischen Kriegsgefangnenlager in Wülzburg zu Grunde. Dort starb er am 18.<br />

August 1942. Im Jahr zuvor war der jüdische Komponist aus Prag, inzwischen<br />

Inhaber der sowjetischen Staatsbürgerschaft, von der deutschen Besatzungsmacht<br />

inhaftiert worden.<br />

Der Briefwechsel zwischen Erwin Schulhoff und Arnold Schönberg 23 :<br />

1. Handschriftlicher Brief Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom 23. Mai 1919:<br />

»Sehr geehrter Herr Schönberg,<br />

ich weiß nicht, vielleicht werden Sie sich noch meiner ganz dunkel entsinnen,<br />

als ich im Jahre 1913 einmal zu Herrn Kapellmeister Zemlinsky in Prag kam und<br />

etwas meiner Compositionen vorspielte, ich hatte damals das Vergnügen Sie auch<br />

kennen zu lernen, es dürfte ungefähr im Herbst gewesen sein. –<br />

Ich erlaube mir Ihnen mitzuteilen, daß ich in Gemeinschaft mit Kapellmeister<br />

Hermann Kutzschbach von der hiesigen Landesoper (ehem. Hofoper) in der<br />

kommenden Saison (also nächsten Winter) 6 zeitgemäße Konzerte veranstalte und<br />

zwar je einen Klavierabend, Liederabend, Kammermusik, Kammerorchester,<br />

Orchester, und eventuell ein Bühnenwerk mit Musik expressionistischen<br />

Einschlags. Es steht uns die hiesige Theaterorchestervereinigung, glänzende<br />

Sänger, ein gutes Ensemble für Kammermusik und die Bühne zur Verfügung,<br />

auch dürfte voraussichtlich der Zuspruch ein starker sein, da das Interesse für die<br />

Veranstaltungen die bereits angezeigt wurden sehr groß ist. –<br />

Wir gehen von dem Grundsatze aus, daß die Kunst Gemeingut der Menschheit<br />

ist, nicht aber der Nation, die zur Aufführung gelangenden Werke sind<br />

zeitgemässe Äußerung einer jeden Nation, es kommen also Vokal[-] und<br />

Instrumentalwerke aller Nationen in Betracht! – Außerdem kommen Broschüren<br />

heraus, die Aufrufe und näheres über die Persönlichkeit des aufgeführten<br />

Componisten und sein Werk enthalten werden! –<br />

Ich möchte Ihnen also auch mitteilen, daß wir unter anderem auch Ihre<br />

„Kammersymphonie“ op. 9 und Ihr op. 21 „Pierrot lunaire“ zur Aufführung<br />

bringen werden. Zur Rezitation werden wir entweder Frau Steuermann, die<br />

Gemahlin Ihres Schülers vom Leipziger Schauspielhaus 24 oder Alice Verden vom<br />

Dresdner Schauspielhause heranziehen. – Es würde uns ungemein freuen, wenn<br />

Sie der Aufführung persönlich beiwohnen werden und uns eventuell einige<br />

Ratschläge erteilen würden. – Außerdem ist mir noch sehr viel daran gelegen Ihre<br />

Schüler bei dieser Gelegenheit mit herausbringen zu können, wie Anton v.<br />

Webern, Alban Berg u.s.w. (von dem Letzteren spiele ich die Klaviersonate op. 1).<br />

22 Bösch / Vojtĕch, Schulhoff und Berg, S. 48.<br />

23 Erstveröffentlichung (2001) der sechs handschriftlichen Schulhoff-Briefe (darunter eine Postkarte) nach<br />

den Kopien im Arnold Schönberg Center Wien (die Originale befinden sich in der Library of Congress in<br />

Washington), in: Herrmann, Schönberg in Dresden, S. 42-51. Die Schulhoff-Briefe habe ich nach den Kopien<br />

des Arnold Schönberg Centers Wien für diesen Text neu durchgesehen und kleine Irrtümer korrigiert! Die im<br />

Jahre 1965 erstmals publizierten beiden Schönberg-Briefe werden wiedergegeben nach Vojtĕch, Schoenberg,<br />

Webern, Berg, S. 36-38.<br />

24 Rosa Steuermann, verheiratete Gielen, Schwester von Eduard Steuermann.<br />

6 1


Es kommt also wie gesagt jede Art von Musik in Betracht! –<br />

In der Hoffnung Ihnen eine besondere Freude bereiten zu können, bin ich<br />

Ihr stets ergebener<br />

Erwin Schulhoff<br />

Dresden, 23. V. 1919<br />

Ostbahnstr. 28 (Atelier)«<br />

2. Handschriftliche Postkarte Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom 15. Juni 1919:<br />

»Herrn Arnold Schönberg<br />

Mödling b/Wien<br />

Bernhardgasse 6<br />

(Mödling 118)<br />

Sehr geehrter Herr Schönberg,<br />

Vor etwa einem Monate schrieb ich Ihnen einen Brief, in dem ich Ihnen<br />

mitteilte, daß ich im kommenden Winter u. zw. am 17. Nov. den „Pierrot lunaire“<br />

und am 2. Dezember Ihre Kammersymph. in Dresden aufführen will und bat Sie<br />

um Ihre Anwesenheit bei den Proben, da wir stilgerechte und gute Aufführungen<br />

in Ihrem Sinne bringen wollen. Den „Pierrot“ macht hier Alice Verden vom<br />

Schauspielhause. Leider habe ich Ihrerseits bis dato keine Nachricht und muß<br />

annehmen, daß mein Schreiben gar nicht womöglich in Ihren Besitze gelangt ist,<br />

nun schreibe ich dies nochmals mit dieser Karte!<br />

Auf baldige Antwort von Ihnen hoffend bin ich<br />

Ihr ganz ergebenster<br />

Erwin Schulhoff<br />

Dresden, 15. VI. 19<br />

Ostbahnstr. 28, Atelier«<br />

3. Handschriftlicher Brief Arnold Schönbergs an Erwin Schulhoffs<br />

vom 20. Juni 1919:<br />

»Arnold Schönberg<br />

Mödling bei Wien<br />

Bernhardg. 6 – Tel. 118 20. VI. 1919<br />

Sehr geehrter Herr,<br />

erst heute (Stunden, Proben und Konzerte füllten meine Zeit vollständig aus)<br />

komme ich dazu Ihren Brief vom 23. Mai zu beantworten.<br />

Ihre Absichten für die nächste Saison finde ich sehr gut. Obwohl ich nicht<br />

verschweigen kann, dass ich, was den unseligen [?] Internationalismus der Kunst<br />

anbelangt, ich nicht Ihre Meinung teile. Schon vor dem Krieg mussten sich die<br />

grössten deutschen Komponisten von den Ausländern verdrängen 25 lassen und fast<br />

jeder „Modernist“ ist stolz darauf seine Modernität von Debussy bezogen zu<br />

haben, während er um keinen Preis etwas von mir oder Mahler annehmen möchte.<br />

Die Servilität der deutschen Musiker wird aber jetzt zunehmen, wie die<br />

Grossmäuligkeit und hemmungslose Geschäftstüchtigkeit der ausländischen.<br />

Wär’s mir wegen des „Geschäfts“: das Geschäft, das mit unserer Kunst zu machen<br />

ist, überlasse ich für meine Person ihnen gerne. Aber es geht um unsren Stil! In<br />

der Literatur haben wir ihn verloren, in der Malerei noch nicht gewonnen, weil wir<br />

immer vor den Ausländern gekrochen sind. Sollen wir auch die Hegemonie in der<br />

25 Bei Vojtĕch, Schoenberg, Webern, Berg, S. 36: „verdringen“. Korrigiert in „verdrängen“.<br />

7


Musik verlieren? Gewiss ist die Kunst Gemeingut aller Nationen. Aber wenn dies<br />

Gemeingut somit gleichmässig auf die Nationen verteilt werden sollte, dann haben<br />

wir Deutschen in der Musik eher etwas abzulegen, als anzunehmen. Aber die<br />

Sieger haben uns schon vor dem Krieg anders behandelt: sie haben von 26 uns<br />

angenommen das Viele, das ihnen fehlt, uns aber zehnmal soviel dafür angehängt,<br />

von dem Überflüssigen, das auch wir nicht brauchen. Ich bin nicht für<br />

Kunstpolitik; aber ich muss wiederholen, was ich seit Langem oft gesagt habe:<br />

Wenn ich an Musik denke, so fällt mir nur die deutsche ein!<br />

Was nun meinen Pierrot und die Kammersymphonie (Solobesetzung)<br />

anbelangt, so möchte ich Sie an die sehr grosse Schwierigkeit dieser Werke<br />

aufmerksam machen und Sie bitten, diese Werke nur dann aufzuführen, wenn sie<br />

gut studiert sind. Pierrot erfordert cca 20–25 Ensembleproben, die Kammersymph.<br />

ca 8; beide müssen dirigiert werden. Wenn Sie jemanden haben, der in meine<br />

Musik eingelebt ist, so ist mir’s recht. Wenn nicht, so schlage ich Ihnen Herrn<br />

Hermann Scherchen aus Berlin vor. Eventuell 27 käme auch Webern in Betracht.<br />

Und wenn Sie mich ausreichend entschädigen können, wäre es nicht unmöglich,<br />

dass ich selbst komme. Unter einer guten Aufführung verstehe ich vor Allem:<br />

(nebst richtigem Charakter, Intensität, Präzision, Sauberkeit): K l a r h e i t ! Man<br />

meint, meine Musik, weil sie einem unklar ist, wenn sie gut gespielt wird, müsste<br />

sie auch unklar aufgeführt werden! Ich muss aber sagen: äusserste Klarheit des<br />

Klanges und der Stimmführung ist das Wichtigste! – Von könnten<br />

(Orchesterwerke bringen Sie wahrscheinlich nicht von Ausländern?) Quartette,<br />

Lieder, Orchesterlieder, Orchesterstücke gebracht werden. Von Berg: Lieder,<br />

Orchesterstücke, ein Streichquartett. Das hiesige Streichquartett Feist (Prof. an d.<br />

Akademie), das hervorragend gut ist, wird im nächsten Jahr folgende moderne<br />

Kammermusiken studiert haben (unter Weberns und meiner Leitung): Zemlinsky<br />

op. 15; Webern Str. Qu.; Berg: Str. Qu.; Bartók Str. Qu.; Ravel: Str. Qu.;<br />

Strawinsky: Str. Qu.; Schönberg: op. 7 und 10; Reger: Klavier-Quartett. 28<br />

Vielleicht könnten Sie dieses Quartett für einen Abend engagieren, was<br />

insbesondere wegen der Werke von Webern und Berg gut wäre, die ja doch so<br />

leicht nicht jemand anständig machen wird.<br />

Besten Dank also für Ihren freundlichen Brief. Dass wir uns in Prag 1913<br />

gesehen haben, ist mir leider nicht mehr in Erinnerung. Was 1913 war, habe ich<br />

über dem, was 1914–1918 war, oder was jetzt ist, vollständig vergessen.<br />

Hochachtungsvoll<br />

Arnold Schönberg«<br />

4. Handschriftlicher Brief Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom 29. Juni 1919:<br />

[29. Juni 1919]<br />

»Sehr geehrter Herr Schönberg,<br />

26 Ergänzt „von“.<br />

27 Bei Vojtĕch, Schoenberg, Webern, Berg, S. 37: „eventuel“. Ergänzt in „eventuell“.<br />

28 Anmerkung von Vojtĕch, Schoenberg, Webern, Berg, S. 75: „Von den hier aufgezählten Werken wurden<br />

vom Feist Quartett in dieser Zeit für den Verein für musikalische Privataufführungen das Streichquartett von<br />

M. Ravel, Trois pièces pour quator à cordes von I. Strawinsky, I. Streichquartett op. 7 von Béla Bartók und<br />

II. Streichquartett von A. Zemlinsky einstudiert. Das Streichquartett op. 3 von Alban Berg wurde zwar<br />

studiert und dreimal aufgeführt [...] das 1. Quartett d-moll op. 7 von A. Schoenberg, op. 5 und op. 9 von A.<br />

Webern dem ersten Kolisch-Ensemble zu, das als Quartett des Vereines für musikalische Privataufführungen<br />

(Rudolf Kolisch, Othmar Steinbauer, Jaroslav Czerny, Erich Skeel-Giörling) in der Hälfte d. J. gegründet<br />

worden ist. Von Reger wurden zwar in dieser Zeit Klavierquartette op 113 und 134 in das Programm<br />

eingereiht, nicht aber studiert.“<br />

8 1


Ihr Schreiben erhielt ich erst heute in der Frühe und freue mich sehr, die<br />

Genehmigung zur Aufführung „Pierrot“ und Kammersymphonie von Ihnen zu<br />

haben, – meinen besten Dank! Ich danke Ihnen auch für Ihre Vorschläge betreffs<br />

Direktion, doch teile ich Ihnen mit, daß ich selber dirigieren werde!<br />

Möglicherweise werden Sie denken, daß ich Ihre Werke der Sensation halber<br />

aufführe, doch befinden Sie sich da in einem krassen Irrtume, erstens bin ich<br />

Musiker und zweitens denke ich nicht daran mit Musik „Geschäfte“ zu machen,<br />

ganz abgesehen davon, daß ich leider überhaupt nicht Besitzer jeglicher<br />

Geschäftstalente bin, auch sonst bin ich nicht Commerzialrat, (daher unbegründet<br />

Ihre Furcht) obzwar ich gebürtiger Prager bin (Sie verstehen?!) die geschäftlichen<br />

Angelegenheiten liegen in anderen Händen, in meinen aber der künstlerische Teil.<br />

Ansonsten teile ich Ihnen mit, daß ich in der Kunst (selber Componist) radikal bin<br />

und auch vor Terror nicht scheue. – Herr Schönberg, mir ist es nämlich<br />

vollständig einerlei, ob das wirkliche, das Wahrhaftige in der Kunst deutsch,<br />

englisch, französisch oder hottentottisch ist, ich kenne keine Sieger und Besiegten,<br />

ich erkenne kein Deutsch, kein Französisch etc. an, ich lasse keine „nationale<br />

Kunst“ gelten, – ich kenne nur Menschen und letzten Endes Kunst die von solchen<br />

kommt, einerlei ob dieser Debussy, Reger, Picasso, Chagall, Däubler, Strindberg<br />

u.s.w. heißt, fragen Sie aber nur einen von denen, ob er wissen kann was Mensch<br />

ist, da ich vermute, daß Sie in Literatur bewandert sind, werden Sie wohl auch<br />

wissen, daß der schlagendste Beweis dessen Strindberg ist! – –<br />

Herr Schönberg, ich wundere mich sehr darüber, daß gerade Sie, von dem ich<br />

aus am wenigsten dachte, von „nationaler Kunst“ sprechen, denn ich möchte Sie<br />

daraufhin fragen, ist Ihr „Pierrot lunaire“ oder Ihre Kammersymphonie, sowie Ihre<br />

anderen Werke aus nationalem Bedürfnis entstanden oder ist dies Intuition??? – –<br />

Wenn das Erstere der Fall sein sollte, kann ich Ihnen tatsächlich darauf nur<br />

erwidern: welch’ merkwürdige Paradoxie, daß Sie, der Sie dann Cheruskernatur<br />

hätten gerade einen französischen Text von Albert Giraud dazu nehmen mußten,<br />

analog dieser Art wäre ja unser deutscher Christian Morgenstern auch gewesen,<br />

also warum gerade Albert Giraud? – ! Nun, dies wäre ja nur eine einzige kleine,<br />

kleine Gewissensfrage, die ich Ihnen hier stellen möchte, die aber doch sehr<br />

relevant zu sein scheint! –<br />

Sie sind Musiker und Maler, (als Musiker sind Sie entschieden der Stärkere)<br />

ich kenne auch Bilder von Ihnen! Sie sagen: „Wenn ich an Musik denke, fällt mir<br />

nur die Deutsche ein!“ – Ich gestehe Ihnen offen und ehrlich, daß ich an so etwas<br />

in der Tat niemals dachte und wenn ich dies denke, dann: „wenn ich an Kunst<br />

denke, so fällt mir stets menschliches Erleben ein!“ – Herr Schönberg, ich möchte<br />

Ihnen sagen, daß ich jünger bin als Sie, ich bin am 8. Juni, 1894 geboren, also<br />

genau 25 Jahre, ich habe den ganzen Feldzug in der k. u. k. Armee als schlechter<br />

Soldat und schlechter Offizier mitgemacht, war krank, verwundet, schüttelte mich<br />

im Nervenchoc, da wußte ich, es gibt nur Menschen, sehende und verblendete, ich<br />

schätzte die Revolution, denn ich litt wie viele meinesgleichen unter der Militaria<br />

lächelnd [?], doch geschwiegen habe ich nie!!! – Genug davon, ich glaube Herr<br />

Schönberg, auch Sie haben sich einmal irren können! –<br />

Was die Aufführung Ihrer Werke anbelangt, möchte ich Ihnen sagen, daß ich<br />

vollständig in Ihre Musik eingelebt bin und wohl weiß, daß hier Klarheit<br />

Hauptsache ist! Was „Man“ darüber meint, meine ich glücklicherweise darüber<br />

nicht! Bei den Veranstaltungen ist es mir rein um ein hohes Ethos zu tun, ich will<br />

9


dies ausdrücklich nochmals betonen. „Pierrot“ wird am 17. November 29 , die<br />

Kammersymphonie am 2. Dezember aufgeführt. Es würde mir aufrichtige Freude<br />

bereiten, wenn Sie anwesend sein werden. Es stehen uns leider, wie es ja in diesen<br />

Fällen gewöhnlich immer ist, nicht viel Geldmittel zur Verfügung, aber gerade<br />

soviel, daß es für Anschaffung von Material und für ausreichende Honorierung der<br />

zu engagierenden Kräfte vollständig ausreicht. Leider wissen wir nicht im<br />

Vorhinein, ob wir etwas überflüssig haben werden. Von Webern werden außer<br />

dem Quartett, 3 Orchesterstücke von Alban Berg aus Ihrem Schülerkreise<br />

aufgeführt, zusammen mit Eduard Erdmann (Balte) und Skrjabin (Russe). Sie<br />

sehen also, es ist mit Nationalität vollständig einerlei!<br />

Ich möchte hoffen, sehr geehrter Herr Schönberg, daß wir uns nun jetzt<br />

verstanden haben! Mit den Proben zu Pierrot beginne ich schon jetzt und die<br />

Kammersymphonie proben wir mindestens 2 Monate vorher und machen mehr als<br />

8 Proben! –<br />

Mit ergebensten Grüßen<br />

immer Ihr<br />

Erwin Schulhoff<br />

Dresden, 29. VI. 19<br />

Ostbahnstr. 28, Atelier.« 30<br />

5. Handschriftlicher Brief Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom Juli 1919 (ohne Datum, vermutlich Mitte Juli):<br />

»Sehr verehrter Herr Schönberg,<br />

bitte verzeihen Sie doch tausendmal, dass ich nicht bei Ihnen draussen war, –<br />

es war einfach nicht denkbar Sie telefonisch zu erreichen (das Telefonieren in<br />

Wien ist eine Strafe, namentlich aber das Telefonieren nach Mödling). Ich konnte<br />

absolut keinen Anschluss erlangen, so machte ich Sonntag vor 14 Tagen den<br />

kühnen Versuch unangesagt bei Ihnen zu erscheinen und ging zur Südbahn, aber –<br />

o, wehe, – die Qualen einer Folterkammer können nicht ärger gewesen sein wie<br />

dieser entsetzlichste Andrang und so musste ich wohl oder übel mein Projekt Sie<br />

aufzusuchen fallen lassen und bitte Sie nochmals um Entschuldigung, es ging aber<br />

partout nicht, – vielleicht aber sind Sie auch gar nicht mal darüber so böse!? –<br />

In Wien sprach ich mit Prof. Feist und besprach mit ihm das Programm des<br />

Abends: Quartette von Scherchen, Wellesz, Webern.<br />

Augenblicklich spanne ich aus und bin 3 31 Wochen zur Erholung in Bad<br />

Königswart 32 . Am 1. August aber bin ich wieder in Dresden und studiere dann<br />

weiter mit den Solisten. Haben Sie doch übrigens noch vielen herzlichen Dank für<br />

die Zusendung des Telegramms welches mir die Fahrt nach Wien ermöglichte. –<br />

Sehr zu Dank verpflichtet wäre ich Ihnen für eventuelle weitere Erteilung von<br />

Ratschlägen zur Aufführung Ihres „Pierrot“ und der „Kammersymphonie“,<br />

ausserdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir noch ein Werk für<br />

Kammerorchester empfehlen würden welches dem Ihrigen gleichkäme und mit<br />

diesem zusammen aufgeführt werden könnte, am liebsten wäre mir eines aus<br />

Ihrem Schülerkreise! –<br />

Mit ergebensten Grüssen,<br />

29 „2. Dezember“ durchgestrichen.<br />

30 Washington, Library of Congress / Wien, Arnold Schönberg Center (Kopie), Hs. Brief Erwin Schulhoffs an<br />

Arnold Schönberg vom 29. Juni 1919 (vier Seiten).<br />

31 Zahl vermutlich „3“, nicht genau zu entziffern.<br />

32 Láznĕ Kynžvart im westböhmischen Bädereck.<br />

10 1


stets Ihr<br />

E Schulhoff<br />

Dresden-A.<br />

Ostbahnstr. 28. Atelier« 33<br />

6. Handschriftlicher Brief Arnold Schönbergs an Erwin Schulhoff<br />

vom 9. Juli 1919:<br />

»Arnold Schönberg<br />

Mödling bei Wien<br />

Bernhardg. 6 – Tel. 118 9. VII. 1919.<br />

Herrn Otto Schulhoff, 34<br />

ein junger Musiker, dessen Studien bis höchstens in sein 21. Jahr reichen,<br />

dürfte im allgemeinen nicht die Erfahrung und Technik besitzen, so schwere<br />

Dinge zu gestalten, wie es die Musik von mir bietet; aber er könnte einen<br />

eventuell davon überzeugen, dass er begabt ist und könnte Vertrauen erwecken.<br />

Wer aber einen Ton gegen mich anschlägt, wie Sie es in Ihrem Brief tun, dem<br />

fehlt die erste Bedingung zum Verständnis meiner Werke: sittlicher Ernst und der<br />

daraus sich ergebende Respekt.<br />

Ich kann Ihnen daher die Erlaubnis meine Werke aufzuführen nicht erteilen<br />

und habe meinen Verleger in diesem Sinne verständigt.<br />

Hochachtungsvoll<br />

Arnold Schönberg«<br />

7. Handschriftlicher Brief Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom 26. Juli 1919:<br />

»26. VII. 19.<br />

Sehr geehrter Herr Schönberg,<br />

Ihre Zeilen vom 9. VII. erhielt ich nach Königswart 35 nachgesendet und ich<br />

muss Ihnen offen gestehen, – ich freue mich, Ihnen beweisen werden zu können,<br />

dass ich derjenige nicht bin für den Sie mich zu halten scheinen – deshalb 36 für<br />

dieses Compliment meinen ergebensten Dank, – ich möchte aber darauf<br />

aufmerksam machen, dass ich nicht der Wiener Pianist Otto Schulhof bin sondern<br />

Erwin Schulhoff heisse, ich tue dies einfach aus den Gründen, dass ich in erster<br />

Linie jedem eine Erklärung deswegen abgebe, da ich mit diesem Herrn stets<br />

verwechselt werde. –<br />

Sie machen um die Musik wie es mir scheint viel aesthetischen Klimbim und<br />

wollen wohl diesen gleichzeitig der Masse erklären, die Masse soll also nicht<br />

mehr Musik absolut geniessen, sondern auch „[…]“ 37 . Wahrhaftig, kürzlich als ich<br />

einen „Dada“-Aufsatz gelesen habe – „Abschaffung der Kunst“ – da fiel mir ein,<br />

dass diese Menschen so etwas nur in Verzweiflung behaupten können, wenn man<br />

verlangt, dass sie immer an den aesthetischen Klimbim glauben sollen und der<br />

absolute Genuss quasi – verboten wird. Dieser Standpunkt aber den Sie, verehrter<br />

Herr Schönberg vertreten, – muss überwunden werden von anderen, von Ihren<br />

eigenen Schülern. Denn von diesen denkt sicher keiner so, wenn Sie aber trotzdem<br />

33 Washington, Library of Congress / Wien, Arnold Schönberg Center (Kopie), Hs. Brief Erwin Schulhoffs an<br />

Arnold Schönberg vom ? Juli 1919 (drei Seiten).<br />

34 Verwechslung mit dem Prager Pianisten Otto Schulhof.<br />

35 Láznĕ Kynžvart im westböhmischen Bädereck.<br />

36 Unleserlich!<br />

37 Wort unleserlich!<br />

11


dabei bleiben sollten, wenn Sie tatsächlich noch ernsthaft daran glauben, was ich<br />

uns selber kaum getraue jemals auszusprechen, dann – sind Sie bloß eine kuriose<br />

Zeiterscheinung, – mehr nicht! Leider sind Sie als Mensch so gänzlich anders wie<br />

als Produktiver! Musik von Ihnen ist nicht die Letzte gewesen und die nach Ihnen<br />

wird es auch nie sein. Ihre beiden Schreiben an mich sind aber dafür „prächtige“<br />

Dokumente, – so gänzlich von der Zeit bestimmt. Menschen können davon wenig<br />

Freude haben, – ich habe nur die Freude von Ihren Werken und die wird bleiben. –<br />

Schade, dass Sie sonst nicht fähig sind wie jeder andere auch an reales Dasein zu<br />

glauben und Mensch zu sein wie alle anderen auch, es wäre viel schöner wenn Sie<br />

– einfach wären! Ich will Ihnen nur noch mitteilen, dass mir Ihre Schüler durch Ihr<br />

Schaffen Freunde sind. Ein besonders lieber Freund ist mir Alban Berg geworden,<br />

jetzt durch schriftlichen Verkehr ein auch lieber Mensch! –<br />

Ihr ergebener<br />

Erwin Schulhoff<br />

Dresden, Ostbahnstr. 28<br />

Atelier« 38<br />

8. Handschriftlicher Brief Erwin Schulhoffs an Arnold Schönberg<br />

vom 22. März 1920: 39<br />

»Sehr geehrter Herr Schönberg,<br />

sicher bin ich wohl noch bei Ihnen in unliebsamer Erinnerung, vielleicht auch<br />

nicht mehr, Sie werden sich noch möglicherweise an unser Briefgefecht im<br />

vergangenen Sommer erinnern können, – Ihre Werke aufzuführen haben Sie mir<br />

verboten, – nichtsdestoweniger, – ich habe Ihre Klavierstücke doch gespielt und<br />

freue mich des glänzenden Erfolges in allererster Linie für Sie, denn ich will und<br />

muss Sie durchsetzen um 40 Ihnen zuerst beweisen zu können wer ich bin, da ich<br />

jung bin und durch vierjährigen Felddienst seelisch gesundet und gestärkt, so bitte<br />

ich Sie, mir es zu überlassen auf den Barrikaden Rechte zu verteidigen, ich<br />

versichere Sie, dass Sie dies mit ruhigstem Gewissen tun können, glauben Sie<br />

bitte aber niemals, dass ich Ihnen feindlich gesinnt bin, Sie tun mir sehr, sehr<br />

Unrecht, fragen Sie Alban Berg, der mir ein wirklich lieber Freund ist, über meine<br />

Person, ich schrieb ihm, was ich durchgemacht und gelitten habe, Herr Schönberg,<br />

– glauben Sie mir, ich kann nicht hassen, nicht sentimental sein, ich bin nicht<br />

Bürger, nicht Jude, nicht Christ, – ich will Mensch sein und suche Menschen,<br />

einerlei, welcher Konfession und Nationalität und ich bin überzeugt davon, dass in<br />

Ihnen mehr Mensch als Bürger vorhanden ist, – „Bürger“ ist ein geschaffener<br />

Zustand und Zustände sind ungesund, – ich bin aber auch nicht Aesthet, – wenn<br />

ich mich selber definieren sollte müsste ich sagen, ich sei Optimist und anerkenne<br />

jede Funktion, ich habe nichts zu verlieren, ich gewinne höchstens nur durch<br />

meine eigenen Gedanken, kurz, – ich bin absolut Proletarier! Proletarier wie ich es<br />

bin, gibt es auf der ganzen Erde und die Erde mit ihren Proletariern liebe ich über<br />

alle Grenzen, ich bin gänzlich erdgebunden, – ach, Herr Schönberg, Sie können<br />

sich vielleicht gar nicht einmal so vorstellen wie ganz irdisch ich durch und durch<br />

bin!!! –<br />

38 Washington, Library of Congress / Wien, Arnold Schönberg Center (Kopie), hs. Brief Erwin Schulhoffs an<br />

Arnold Schönberg vom 26. Juli 1919 (vier Seiten).<br />

39 Dieser Brief wird fälschlicherweise im detaillierten Inventar der gesamten Schönberg-Korrespondenz unter<br />

„Marx, Erhard Johannes“ geführt: Paul Zukofsky / R. Wayne Shoaf u. a., Preliminary Inventory of<br />

Schoenberg Correspondence = Journal of the Arnold Schoenberg Institute 18 (1995), Nr. 1/2 u. 19 (1996),<br />

Nr. 1/2, S. 147.<br />

40 „um“ statt „und“.<br />

12 1


Ich bin ja gar nicht fähig jemals jemandem eine Bitte abzuschlagen und<br />

schäme mich manchmal grauenhaft für andere, die sich nicht schämen können, ich<br />

muss überall eine Einheit finden und sehe alles dreidimensional und wenn Sie dies<br />

lesen und verstehen, dann werden Sie begreifen können, was mich dazu<br />

veranlasst, Ihre Werke überall aufzuführen, – wo aber die eigentliche Beziehung<br />

steckt, kann ich Ihnen nicht sagen, – ich möchte dies als kosmische Angelegenheit<br />

betrachten und dies auch als solche gelten lassen, denn es wäre gleichbedeutend<br />

mit dem, wenn Sie mich, (beispielsweise) fragen würden: – Warum sind Sie<br />

eigentlich überhaupt geboren und sehen Weiss und Schwarz als solches und nicht<br />

anders?! – –<br />

Nun habe ich Ihnen, Herr Schönberg, ein Geständnis abgelegt und ich will nur<br />

intensiv hoffen, dass Sie mich tatsächlich als Menschen vollständig verkannten!<br />

Am 26. April führe ich hier Ihre Kammersymphonie auf und ich bitte Sie<br />

diesesmal um Ihre persönliche Genehmigung. – Sollte ich aber (was ich natürlich<br />

nicht vermuten möchte) von Ihnen keinerlei Antwort bis dahin erhalten, dann<br />

muss ich wohl oder übel annehmen, dass Sie diese Zeilen nicht verstehen wollen<br />

und es bleibt mir nur das Eine übrig, mich auch für Sie in Grund und Boden<br />

schämen zu müssen, aber ich weiss es, Herr Schönberg, schreiben,<br />

beziehungsweise, antworten werden Sie mir wohl sicher, – ich gestehe Ihnen dies<br />

aufrichtig, Sie haben mir viel weher getan als vielleicht ich Ihnen! –<br />

Stets Ihr ergebener<br />

Erwin Schulhoff<br />

Dresden, am 22. März, 1920<br />

Ostbahnstr. 28, Atelier«<br />

Dank:<br />

Dem Arnold Schönberg Center Wien mit Direktor Dr. Christian Meyer und der<br />

Leiterin des Archivs, Frau Therese Muxenender, danke ich sehr herzlich für die<br />

erwiesene großzügige Unterstützung und Hilfe während meines<br />

Forschungsaufenthaltes im Arnold Schönberg Center Wien im Frühjahr 2001.<br />

Wohnen durfte ich damals in Schönbergs Mödlinger Haus, Bernhardgasse 6, in<br />

dem der Komponist 1919 seine Schreiben an Schulhoff nach Dresden verfasste.<br />

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