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vision 2025 KULTUR JOKER 7

Ateliers brechen weg

Zur Situation der Bildenden Künstler*innen in Freiburg

Ist Freiburg wirklich eine ‚Stadt

der KünstlerInnen‘, möchte sie es

sein? Die Frage ist – heute – nicht

ganz einfach zu beantworten.

Mit Blick auf die Nachkriegsgeschichte

bestand daran lange

Zeit kein Zweifel: Besonders die

Kunstakademie, zunächst eigenständig,

dann seit 1956 als Außenstelle

von Karlsruhe geführt,

trug neben dem geschichtsträchtigen

Kunstverein kontinuierlich

zu Belebung und Erneuerung bei.

2017 wurde der Akademiebetrieb

an der Dreisam eingestellt. Eine

wirksame Kompensation gab es

nicht.

Die ehemals private Hochschule

für Kunst, Musik & Design

(HKDM) wurde 2015 an den

Macromedia-Konzern veräußert.

Der ursprünglich starke Musikzweig

brach schon weg. Das

Institut der Bildenden Künste

an der Pädagogischen Hochschule

bringt kontinuierlich noch

Nachwuchskünstler auf akademischem

Niveau hervor.

Obschon auch die Galerien

sterben und sich nur wenige noch

halten, zeichnet Freiburg weiterhin

eine aktive Szene der Bildenden

Kunst aus. Erstaunlich. „Wir

haben hier ca. 500 professionelle

KünstlerInnen in unserer Datenbank

in Freiburg“, teilt Michael

Ott, Vorsitzender des BBK Südbaden,

mit; etwa 180 nehmen

an den „Offenen Ateliers“ teil.

Ott liefert den Wermutstropfen

gleich dazu: „Der Bereich Bildende

Kunst blutet aus. Er ist

völlig unterversorgt.“

Städtische Ateliers

gekündigt

Eine aktuelle Entwicklung

sorgte für den Aufreger zu Beginn

der Sommerpause. Grundlage

ist ein ausführliches Papier

über die Situation der Bildenden

Kunst in der Stadt insgesamt, das

der damalige Amtsleiter Achim

Könneke als „Informationsvorlage“

(Drucksache KA-05/2015)

dem Kulturausschuss im Oktober

2015 zur Kenntnis gab. Minutiös

und durchaus überzeugend werden

da die verschiedenen Einrichtungen

und Parameter der

Bildenden Kunst analysiert. Dort

heißt es aber auch: „Um jüngeren

Künstlerinnen und Künstlern

trotz der knappen Ateliers möglichst

schnell einen Atelierplatz

vermitteln zu können, werden

neue Verträge auf fünf Jahre

befristet.“ Etwas Neues also,

das man als Instrument gegen

Stagnation und Verkrustung

einschätzte. Ich traf mich mit

den Künstlerinnen Alexandra

Centmayer (52) und Ludmilla

Bartscht (39) inder Basler Straße

103, einem von vier städtischen

Atelierhäusern. Beide sind die

ersten ‚Opfer‘ der neuen 5-Jahres-Regelung.

Nun müssen sie

(zum 31.12.2020 bzw. 15.4.2021)

weichen. Natürlich waren ihre

Mietverträge entsprechend befristet.

Doch „von Beginn an wurde

die Aussicht genährt, dass es

eine Verlängerung gebe“, so die

Künstlerinnen.

Der zuständige Mitarbeiter im

Kulturamt Samuel Dangel teilte

der betroffenen Ateliergemeinschaft,

nachdem diese solidarisch

protestiert hatte, am 14. Juli per

Email seine Einschätzung mit:

„Wir sehen darin keine Schwächung

der Freiburger Kunstszene,

sondern ein nachhaltiges System

von Kontinuität und Wandel.“

Ähnlich äußert sich auf Nachfrage

auch Christoph Schneider,

Mitglied des ‚Atelierbeirats‘ der

Stadt: „Die Kündigungen sind

keinem leichtgefallen“, aber

„Neue müssen nachrücken können“.

Das Rotationsprinzip bei

den Ateliers sieht Schneider als

„wichtige Stellschraube“ des

Wandels und der Innovation.

Stadtrat Atai Keller (Kulturliste)

schlug vor, wenigstens eine

‚Kulanz‘ von zwei Jahren einzuräumen

– sein Ansinnen wurde

vom Kulturdezernat bislang nicht

beantwortet.

Wegzug ernsthaft erwogen

„Mir wird komplett die Arbeits-

und Lebensgrundlage

entzogen, vielleicht ziehe ich

jetzt aus Freiburg weg“, sagen

beide Künstlerinnen unisono.

Sie stellen auch in Frage, wie

sachgerecht die Entscheidungen

gefällt werden. Centmayer arbeitet

in einem lichtdurchfluteten

Raum mit mehreren Fenstern,

erst kürzlich hat sie auf eigene

Kosten eine Beleuchtungsanlage

für die Stunden ohne Tageslicht

eingebaut – ein typisches Maleratelier

also. Jetzt soll ein Foto- und

Videokünstler nachrücken.

Die nächste, die es trifft, wird

die Öl- und Acrylmalerin Ruth

Gast sein, die zusätzlich zu

einem dunklen und schwer belüftbaren

Kellerraum (den darf

sie behalten) bisher noch ein

kleines Atelier (knapp 10 qm)

im Oberschoss gemietet hat.

Sie beklagt zudem die Spaltung

der Ateliergemeinschaft. Manuel

Frattini, ebenfalls im Haus,

wird deutlicher: „Ich empfinde

die Situation als bedrückend. Es

wird klar, dass lange ungelöste

Probleme jetzt nach unten weitergegeben

werden: der Druck,

der durch die Versäumnisse der

Stadtverwaltung entstanden ist,

wird nun an eine Szene weitergegeben,

die schon lange keine

Luft zum Atmen mehr hat.“

Tatsächlich fragt man sich,

ob Verwaltung (und Politik)

die Dringlichkeit der Lage hinreichend

bewusst ist. Jedenfalls

scheint eine der zentralen

Schlussfolgerungen des Könneke-Papiers

nicht gefruchtet zu

haben: „Um im Bereich der direkten

Künstlerförderung eine

Lebendigkeit der Szene in Freiburg

erhalten und weiter stärken

zu können, sieht es das Kulturamt

als eine der wichtigsten Aufgaben

an, bezahlbare Atelierräume

zu sichern.“

Kunsthaus L6: Zukunft

unsicher

Gut informierte Kreise berichten,

dass auch das L6 in der

Lameystraße, unweit des Bürgerhauses

Zähringen, bedroht sei.

Zur Erinnerung: Die Immobilie

soll einst von dem Freiburger

Ingenieur und Bauprojektträger

Wulf Wössner erworben sein, die

Stadt trat als langfristiger Mieter

ein – 2004 nahm das Kunsthaus

den Betrieb auf, als Ausgleich für

die veräußerten Objekte Mehlwaage

und Schwarzes Kloster

in der Innenstadt. Der aktuelle

Vertrag soll bis 2024 terminiert

sein. Bislang gibt es dort den

städtischen Ausstellungsraum,

den Projektraum „Garage“, die

Künstlerwerkstatt, zehn Ateliers

sowie acht Probenräume für bis

zu 20 Bands.

Jetzt macht die (noch unbestätigte)

Nachricht die Runde,

dass Wössner das Objekt an die

Stuckert Wohnbau AG verkauft

habe. Da steht dann mit gutem

Grund nur noch dessen begrenzte

Weiterexistenz zu erwarten

– bevor es renditeträchtigem

Wohnbau weichen wird.

Stadthalle als Kunstzentrum

Chancen zur Belebung der Bildenden

Kunst in Freiburg und

eben auch der Atelierlandschaft

liegen auf dem Tablett. Das an

sich attraktive Güterbahnhofareal

mochte man anders vermarkten

– und hat es so getan.

Doch die ehemalige Stadthalle

steht weiterhin brach, in attraktiver

Lage mit optimaler ÖPNV-

Anbindung. Hier gab es schon

den (geistreichen) Vorschlag,

dem Museum für Neue Kunst

(endlich) eine angemessene

Heimstatt zu bieten. Angeblich

kommt Widerstand aus der Kulturverwaltung.

Nebenbei: Auf

Bild entstanden in der Basler Str. 103: Ludmilla Bartscht,

„Dance With Your Shadow“. 70 x 100 cm Foto: Bartscht

der großen Wiese vor dem denkmalgeschützten

Haus hätte auch

das „Freiburger Bild“ von Horst

Antes (seit 1996 für teures Geld

eingelagert) einen wunderbaren

und einladenden Platz – Werbung

für die Stadt par excellence wäre

das! Die Stimmen aus der Bevölkerung

mehren sich, wenigstens

irgendeine kulturelle Nutzung

hier zu realisieren. Tatsächlich

kann das sehr gut ein Ort der Bildenden

Kunst sein, ihrer Entstehung

(Ateliers) und der Präsentation

verschiedener Sammlungen.

Man fragt sich: Warum passiert

nichts? Woran hakt es? Oder fehlen

schlicht Visionen? Natürlich

ist das alles eine Frage des Geldes

– aber auch der schlüssigen Idee.

Wäre diese plausibel entwickelt

und vorgetragen, würde sich der

Gemeinderat dem gewiss nicht

versagen.

Kulturkonzept erneuern –

Schildacker entwickeln

„Im Handlungskonzept „Stadt

der Künste“ des Kulturkonzeptes

Freiburg ist formuliert, dass die

wichtigste Basis der Stadt der

Künste die hier lebenden und

arbeitenden Künstlerinnen und

Künstler sind.“, schrieb Könneke

2015. Zukunftsszenarien für die

Kultur müssen stetig erneuert

werden. Das sog. Kulturkonzept

der Stadt, inzwischen mehr als

zehn Jahre alt, bedarf einer Neuauflage.

Solch ein Prozess dauert

indes – und hat noch nicht einmal

eingesetzt. Ergo müssen auch

kurz- und mittelfristige Leitlinien

entwickelt sein.

Am Ende kann der Hinweis

auf das Quartier Schildacker

nicht ausbleiben. Auf der Folie

des von der Stadt Freiburg 2015

beschlossenen Rahmenkonzepts

zur Neustrukturierung des Gewerbegebiets

Freiburg-Schildacker

(nach durchgeführtem aufwändigen

Wettbewerb), wäre hier

ein optimaler Handlungsrahmen

gegeben.

Das Quartier verfügt über kultur-,

kreativ- und kleingewerbliche

Strukturen. 2015 hatte sich

der Verein der „Kreativpioniere

Schildacker“ gegründet – und

seitdem in mehreren Anläufen

bemüht, zum Beispiel ein Atelierhaus

zu errichten bzw. eine

geeignete Immobilie dafür zu

finden. Obwohl man bereit ist,

auch Eigenmittel einzusetzen,

bedarf es des Supports durch die

Stadt. Doch binnen fünf Jahren

ist nichts passiert.

Martin Flashar

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