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Kult0ur KULTUR JOKER 23
Wir sollten uns erinnern
Die East Side Gallery Berlin feiert 30 Jahre und enthüllt ein Original
/ Gedanken zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober
„Doin It Cool For The Eastside***“, Jim Avignon und Freunde, 1990
Fotos: Mona Wunderlich
Margaret Hunter bei der
Enthüllung von „Hands“,
dem einzigen Original an
der East Side Gallery
Auf über 1,3 Kilometern erstreckt
sich zwischen Ostbahnhof
und Oberbaumbrücke quer
durch Friedrichshain die wohl
größte Open-Air-Galerie der
Welt. In einem scheinbar niemals
schlafenden Berlin, das
gefühlt täglich Neues, Wildes
und absolut Cooles aus dem
Underground ausspuckt, steht
die East Side Gallery wie ein
bunter monumentaler Koloss.
Es ist ein historisches Denkmal,
das zum Verweilen einlädt
und zugleich ein Mahnmal
deutscher Geschichte, ja
auch deutscher Flüchtlingspolitik-
und Historie ist.
Nach dem Fall der Berliner
Mauer waren es
Künstler*innen aus Ost- und
Westdeutschland, die bereits
wenige Tage später die Ostseite
der Berliner Mauer bemalten.
Beinahe sofort überstrichen
DDR-Grenzsoldaten
die Kunstwerke am Potsdamer
Platz und regten die
Künstler*innen David Monty
und Heike Stephan dazu an,
eine Idee auszubrüten, die
damals erst für unmöglich
gehalten wurde und noch
heute mehr als 4 Millionen
Besucher*innen nach Berlin
lockt. Nach einigen Gesprächen
mit dem Ministerium für
Nationale Verteidigung der
DDR, wurde das Projekt East-
Side-Gallery offiziell im Auftrag
des DDR-Ministerrates
ins Leben gerufen.
Im Frühjahr 1990 folgten 118
internationale Künstler*innen
dem Aufruf nach Berlin und
verewigten sich auf dem längsten
noch erhaltenen Teilstück
der Berliner Mauer. Die
künstlerischen Kommentare
zeigen in einer vielfältigen
Ausdrucksweise den internationalen
Wunsch nach Freiheit,
nach einer gemeinsamen
friedvollen Politik über nationale
Grenzen hinweg und die
Freude darüber, dass der Kalte
Krieg ein symbolisches Ende
durch die Wiedervereinigung
einer geteilten Stadt gefunden
hat.
Der Verein Künstlerinitiative
East Side Gallery, gegründet
1996, kümmert sich um den
Erhalt der Kunstwerke, die in
den vergangenen 30 Jahren bereits
zwei Mal saniert wurden.
Zuletzt unter lautstarken Protesten
einiger Künstler*innen,
die darauf hinwiesen, dass
die Vergütung zur Sanierung
(3000 Euro pro Künstler*in)
in einem ungleichen Verhältnis
zur bereitgestellten
Summe
der Lottostiftung
Berlin über
eine Millionen
Euro gestanden
hätte. Außerdem
k lag ten
Künstler*innen
wie Jim Avignon
darüber,
dass von diesem
Kunstprojekt
in den vergangenen
Jahren
hauptsächlich
andere finanziell
profitiert hätten,
beispielsweise
über Print-Publikationen
der Kunstwerke.
Im Rahmen seines Protests
übermalte Avignon sein Werk
auf der Berliner Mauer mit
dem Wort „moneymachine“.
Die schottische Künstlerin
Margaret Hunter, Schülerin
des Malers und Bilderhauers
Georg Baselitz, gehörte
zu den 118 Künstler*innen
der East Side Gallery. Gleich
zwei Werke tragen hier ihren
Namen, darunter das Bild
„Hands“, welches sie gemeinsam
mit Peter Russell anfertigte.
Heute zählt „Hands“ als
Ausnahmewerk der East Side
Gallery, denn es ist das einzige
Original von 1990. Die Patina
des Mauerbildes erzählt gewissermaßen
von den Jahrzehnten
eines Berliner Originals. Man
muss schon ein paar Schritte
zurückgehen, um das Werk
noch wahrnehmen zu können.
Es stellt auf beeindruckende
Art und Weise dar, wie die
Zeit an der East Side Gallery
vorbeigestrichen ist. Vielleicht
erinnert uns „Hands“ aber
auch daran, dass es zwischen
1949 und 1990 über 3,8 Millionen
deutsche Bürger*innen
waren, die als politische
Flüchtlinge mit erhobenen
Händen als Zeichen des Friedens
und der persönlichen
Not vor einer Mauer standen.
Vielleicht weckt „Hands“ in
uns die Erinnerung, dass erst
vor wenigen Generationen
deutsche Staatsbürger*innen
aus Angst vor politischer Verfolgung
ihre Heimat verlassen
mussten/wollten. Und eventuell
besinnen wir uns wieder
darauf, dass es genau diese,
unsere Geschichte ist, die als
Mahnmal für Mauern, monumentalen
und geistigen Ursprungs,
stehen sollte.
Elisabeth Jockers
Bis heute ist die Rückseite der East Side Gallery eine Leinwand für Straßenkunst