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10 KULTUR JOKER KUNST
Arzt, Philosoph, Musiker und Friedensnobelpreisträger
Maison Albert Schweitzer in Gunsbach / Elsass
An Albert Schweitzer, der zu
den fünf wichtigsten Vorbildern
der Deutschen zählt, führt auch
ein halbes Jahrhundert nach
seinem Tod kaum ein Weg vorbei,
gehe es nun um den Umgang
zwischen Menschen oder
die Achtsamkeit für Tiere und
Pflanzen. Ein weltweites Netzwerk
engagiert sich mittlerweile
im Sinne seiner Kulturphilosophie,
der Begriff „Ehrfurcht vor
dem Leben“ ist untrennbar mit
seiner exemplarischen Lebensweise
verbunden. Der ethisch
orientierte Arzt, Theologe, Organist
und Bach-Interpret verfasste
Bücher, war aber zudem
ein unbeirrbarer Mann der Tat,
der mit einfachsten Mitteln ab
1913, gemeinsam mit seiner
Frau Helene Bresslau, ein Spital-
Dorf in Lambarene, im Regenwald
von Gabun, aufgebaut hat
und hier als humanitärer Mediziner
wirkte.
Gerade weil ihn mehrere
Kriege teils zum Franzosen,
teils zum Deutschen machten,
dachte er nicht in nationalen
Kategorien. Geboren ist Albert
Schweitzer 1875 in Kaysersberg,
wenige Monate alt kommt
er jedoch in das elsässische
Dorf Gunsbach, wo sein Vater
eine Stelle als Pastor antritt.
Seit 1913 in Lambarene tätig,
musste er im Zuge des Ersten
Weltkriegs nach Europa zurück
und lebte kurzzeitig in
Königsfeld im Schwarzwald.
Nachdem er 1928 in Frankfurt
den Goethe-Preis erhalten hatte,
baut er ein Haus in Gunsbach,
das er bewohnte, wenn er auf
„Heimaturlaub“ aus Afrika
kam und z.B. 1952 den Friedensnobelpreis
entgegen nahm.
Als Atomkraftgegner verband
ihn damals eine Freundschaft
mit Albert Einstein; auch korrespondierte
er mit zahlreichen
Zeitgenossen, darunter Josephine
Baker, Hermann Hesse
und Eleanor Roosevelt. Nach
Schweitzers Tod wurden seine
Wohnräume so erhalten, wie
er sie letztmals 1959 verlassen
hatte; deshalb befinden sich hier
sozusagen sprechende Objekte,
die seine Existenz erhellen,
Schreibtisch, medizinisches
Besteck, Klavier mit Orgelpedalen,
Erinnerungsstücke aus
Afrika sowie Briefe und andere
Dokumente. Die „Association
Internationale pour l’œuvre du
Docteur Albert Schweitzer“
(AISL) hat das Haus nach seinem
Tod (1965) zum Museum,
Archiv und internationalen
Zentrum umgewandelt, nun ist
es auf gelungene Weise modernisiert
und erweitert worden;
die offizielle Neueröffnung findet
(Corona-bedingt) erst am 27.
März 2021 statt, Besichtigungen
sind jedoch bereits möglich.
In Gunsbach wurde zudem ein
„Albert-Schweizer-Weg“ mit
Informationstafeln eingerichtet;
u.a. sitzt er dort als Bronzefigur
in nachdenklicher Haltung auf
jenem Felsen, von dem er gerne
die Berge des Münstertals bewundert
hat – noch immer ein
herrlicher Ausblick.
Maison Albert Schweitzer. 8,
route de Munster. F – 68140
Gunsbach. 00 33 (0) 3 89 77 31
42. Di – Sa 10-12 und 14-17h.
www.schweitzer.org.
Cornelia Frenkel
„In keiner Weise dürfen wir uns dazu bewegen lassen,
die Stimme der Menschlichkeit in uns zum
Schweigen bringen zu wollen. Das Mitfühlen mit
allen Geschöpfen ist es, was den Menschen erst
wirklich zum Menschen macht.“
A.S.
Portrait Albert Schweitzer
Foto: Maison Albert Schweitzer/
Gunsbach
Maison Albert Schweitzer
Foto: Maison Albert Schweitzer/
Gunsbach
Wenn Denkbilder Kopf stehen
Jesse Darling baut in den Kunstverein Freiburg eine ramponierte Achterbahn
Ob beim Anblick einer Achterbahn
die Lust über die Angst
dominiert oder umgekehrt, ist
eine Frage des Typs. Doch
bei Jesse Darlings „Gravity
Road“, so wie sie derzeit im
Kunstverein Freiburg aufgebaut
ist, dürfte die emotionale
Lage eindeutig sein. Denn das
Stahlgebilde ist schlichtweg
kollabiert. Wer derzeit den
Kunstverein Freiburg betritt,
sieht zwei verbogene Schienenstränge,
die sich ins Nichts
zu gabeln scheinen, auf sich
zukommen. Doch auch der
übrige Streckenverlauf wirkt
Eine liebevolle
Beziehung beginnt
mit Vertrauen und
die schafft Bindung
Hundeschule Face2Face
Der Weg zu mehr Freiheit für Mensch und Hund
Kirsten Prignitz
Frankenweg 19
79117 Freiburg
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wenig vertrauenserweckend,
denn da sind einerseits waghalsige
Stützkonstruktionen,
andererseits traut man auch
den Schienen nicht über den
Weg. In der Wirklichkeit sähe
das ganz anders aus. Denn Ingenieure
von Achterbahnen
betonen immer wieder, der
Weg zum Vergnügungspark
sei wesentlich gefährlicher
als die Fahrt mit der Achterbahn.
Die Dramaturgie dieses
Angst-Lust-Erlebnisses beruht
also auf einer Täuschung. Das
Schlangestehen vor der jeweiligen
Attraktion ist also weniger
ein retardierendes Moment
vor dem Kitzel, sondern eher
eine Phase der Entspannung
nach der Gefahr.
Beginnt man erst einmal
über die Natur der Achterbahn
nachzudenken, hören die Paradoxien
kaum auf. Allein das
Wort Vergnügungspark legt ja
nahe, dass hier etwas eingehegt
und begrenzt werden muss, obwohl
es doch eigentlich angelegt
ist, kein Ende zu finden.
Die Geschichte der Achterbahn
ist dieser innere Widerspruch
bereits eingeschrieben. Führt
eine ihrer Ursprünge doch zur
Pennsylvania Mauch Chunk
Switchback Railway von 1827.
Eigentlich war die Bahn, die
hügelaufwärts anfangs von
Maultieren gezogen wurde,
später durch Dampfmaschinen
betrieben wurde, gebaut,
um Kohle von der Mine dorthin
zu transportieren, wo sie
gebraucht wurde. Doch die
Faszination für die Technik
war so groß, dass Passagiere
einfach aus Spaß mitfahren
wollten. Die zweckfreie Talfahrt
verselbstständigte sich.
Als Touristenattraktion blieb
die Bahn bis 1932 in Betrieb.
Später waren Achterbahnen
dann eine selbstverständliche
Attraktion von Vergnügungsparks,
die Scenic Railways, mit
der man 1885 auf Coney Island
fahren konnte, hatte bereits
den charakteristischen ovalen
Streckenverlauf. Die neue Arbeiter-
und Angestelltenschicht
suchte hier Erholung und Abwechslung
von ihrem Alltag.
Jesse Darling, die 1981 in
Oxford geboren wurde und
in der dritten Person Plural
angesprochen werden will,
gelingt mit ihrer Freiburger
Installation ein Doppeltes. So
greift sie einerseits den Raum
als Verbindung von Halle und
Galerie auf, indem sie die
Strecke in etwa auf der Höhe
des oberen Geschosses startet.
Andererseits unterläuft sie die
Geschichte des Hauses, das als
Sportbad in der Zeit des Nationalsozialismus
gebaut wurde.
Die Idee der militärischen Ertüchtigung
eines Volkskörpers
wird ausgetrieben durch das
Sinnbild eines Scheiterns. Man
kann in dieser „Gravity Road“,
die durch eine Wandarbeit und
eine Vitrine flankiert wird,
eine eigenwillige Interpretation
von Skulptur sehen, aber auch
ein Denkbild, eine Allegorie.
Und so ist die Ausstellung nur
vordergründig schnell gesehen,
sondern eher auf unaufgeregte
Weise kurzweilig. Dass Jesse
Darling unsere Gesellschaft
für dystopisch hält, zeigt sich
auch in den Details. So sind
nicht nur die Stützen der Bahn
bandagiert, sie sind auch durch
ausrangierte Leinensäcke der
Deutschen Bundesbank beschwert.
Denn die werden vom
Technischen Hilfswerk als Reserve
für Sandsäcke gelagert.
Doch obgleich sich Jesse Darling
an der Moderne abarbeitet,
die trotz allem eine differenzierte
Betrachtung verdient
gehabt hätte, gibt es Hoffnung.
Manche der Säcke sind aufgerissen
und zu Blumenbeeten
umfunktioniert.
Jesse Darling, Gravity Road.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr.
21, Freiburg. Di-So
12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr. Bis
1. November 2020.
Annette Hoffmann