Das Kriegstagebuch von Albert Plassmann - wattenscheid.net
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schung der Brände in Tegtmeiers Haus (Haus<br />
wird gerettet) und bei Mehring. <strong>Das</strong> Hinterhaus<br />
brennt vollständig aus. In Westenfeld brennt<br />
lichterloh Ostermanns Hof. Auf der Zeche auch<br />
das Holzmagazin. Und erst in Wattenscheid!!<br />
17.7.1943 Die Woche war angefüllt Arbeit<br />
und Sorge. Alle erwarten einen zweiten Angriff.<br />
An Schlaf vor 2 Uhr nachts ist nicht zu denken.<br />
Alle Hauseinwohner suchen nun den Luftschutzbunker<br />
an der Verbandsstraße auf. Schon<br />
gegen 22 Uhr abends ziehen Frauen und Kinder<br />
mit Koffern bepackt dorthin, um gegen 2 Uhr<br />
wieder zurückzukehren. Gleichzeitig hat eine<br />
Massenflucht nach auswärts eingesetzt. Jeden<br />
Tag werden Möbel verladen. Am Donnerstag<br />
war Hauptappell der Schule. Es haben sich wohl<br />
60 Kinder für den Transport nach Pommern gemeldet.<br />
Auch Herbert nimmt mit der Oberschule<br />
daran teil. Wie sieht es bei uns aus?<br />
Der dritte Stock kann nicht mehr benutzt werden.<br />
Wir schlafen im Esszimmer, wo ein Bett aufgeschlagen<br />
ist. - Opa, Oma und Onkel Tom sind<br />
für den Abtransport in ein Heim vorgemerkt<br />
worden. Heute wurde die ärztliche Bescheinigung<br />
ausgestellt. Der Abtransport kann jeden<br />
Tag erfolgen. Herbert kommt nach Pommern.<br />
Mit ihm soll Doris fahren. Ich habe sie beim<br />
Arbeitsamt aus dem Pflichtjahr freigemacht.<br />
Mutter und ich werden wohl voraussichtlich<br />
mit der Schule auch nach Pommern kommen.<br />
Unsere Möbel werden in Sammellagern untergebracht<br />
werden. Wir sind jeden Tag am Packen<br />
und bringen auch manche Sachen im Keller unter.<br />
Wir haben nur den einzigen Wunsch, bald<br />
Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />
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diesen heißen Boden verlassen zu können. Auf<br />
dem Hof stehen schon Möbel der Familie Gützlag,<br />
auch teilweise zerstört (<strong>Das</strong> Kranzmannsche<br />
Haus bekam einen Volltreffer). Gützlags wollen<br />
in Omas Wohnung einziehen. - Die Flak, unser<br />
Sorgenkind, ist heute abgezogen. - Am Donnerstag<br />
wurden die Toten der Angriffsnacht, 48<br />
an der Zahl, zu Grabe getragen. - Was uns allen<br />
nahe ging und die Tränen in die Augen trieb,<br />
war die Vernichtung unserer schönen Herz-Jesu-<br />
Kirche in Sevinghausen. Sie brannte vollständig<br />
aus bis auf den Hochaltar. Nur die Außenmauern<br />
stehen noch. Vom Garten aus bemerkte ich<br />
den Brand. Mir blieb der Atem aus. Dicht daneben<br />
brannte Nüfers Hof.<br />
18.7.1943 Gottesdienst in der Kirchenruine<br />
zu Sevinghausen. <strong>Das</strong> Wetter ist klar. Die Kirche<br />
ist vom Schutt geräumt. Rings um uns die<br />
öden Außenmauern mit dem Turmstumpf. Die<br />
Blicke tasten die Wände entlang, ob auch kein<br />
Einsturz erfolgt. Über uns ist der blaue Himmel<br />
das Dach. Auf dem zerstörten Seitenaltar (<strong>von</strong><br />
Fellermann gestiftet aus Anlass des Heldentodes<br />
des Erbhofbauern 1914 mit einem herrlichen<br />
Gemälde: Maria die Friedenskönigin) hat man<br />
die alte Marienfigur aufgestellt. Der beschädigte<br />
Beichtstuhl in der Nische ist aus der Propstei geborgt.<br />
Ich suche draußen nach Teilen der Orgel,<br />
die mir durch das sonntägliche Spiel lieb und<br />
vertraut geworden war. Auch tote Gegenstände<br />
können zu guten Kameraden werden. Im Inneren<br />
der Kirche sind einige Stühle aufgestellt. So<br />
liest unser Pfarrvikar Wilmsen seine Kriegsmesse<br />
vor der ergriffenen Gemeinde. Dieser Aufent-<br />
halt in der Kirchenruine ist allen mehr als die<br />
eindrucksvollste Predigt. Hier erkennt man die<br />
Welt mit ihrer Niedertracht, der Vergänglichkeit<br />
allen Seins. Der blaue Himmel über uns weist<br />
uns den Weg der Lösung allen Übels. Ernst und<br />
überanstrengt sind die Gesichtszüge unseres<br />
Priesters, als er <strong>von</strong> dem Unglück spricht, das<br />
uns getroffen hat. Er dankt aber Gott, dass er<br />
uns <strong>von</strong> noch Schlimmeren bewahrt habe. Wir<br />
beugen uns dem Willen Gottes.<br />
27.7.1943 Eine Woche der Aufregung und<br />
des Leids ist wieder hinter uns. Wir verlassen<br />
alle unser liebes Haus. In dieser Woche wurde<br />
gepackt. Gebrauchgegenstände, Porzellan usw.<br />
wurde in Kisten in den Keller gepackt. Omas<br />
Möbel kamen ins vordere Zimmer. Meine Möbel<br />
werden am kommenden Donnerstag nach<br />
Plettenberg verschickt. Auf Wunsch der Familie<br />
Neuhaus besuchten Herbert und ich diese am<br />
vergangenen Mittwoch in Plettenberg. Es war für<br />
mich ein eigenartiges Gefühl, durch eine Stadt<br />
ohne Ruinen zu gehen. Der Empfang dort war<br />
so herzlich, dass uns Tränen in den Augen standen.<br />
Herbert wurde <strong>von</strong> der Familie Neuhaus sofort<br />
in Beschlag genommen. Anstatt nach Pommern<br />
zu fahren, wie ursprünglich vorgesehen,<br />
wird er für die Dauer des Krieges dort bleiben.<br />
Samstag ist er in Begleitung <strong>von</strong> Mutter dorthin<br />
übergesiedelt. Seine beiden Enten hat er auch<br />
mitgenommen. <strong>Das</strong> Getrenntsein <strong>von</strong> meinem<br />
liebsten Jüngsten wird mir schwer fallen. In<br />
Plettenberg gab man mir auch den Rat, meine<br />
Möbel dort unterzustellen. Fritz und Martha<br />
Neuhaus wissen mir nicht Gutes genug zu tun.<br />
Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />
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Es geht bei ihnen eben alles. Freitag war für uns<br />
ein Tag der Wehmut. Opa, Oma und Onkel Tom<br />
nahmen Abschied <strong>von</strong> ihrer Heimat, wo alles an<br />
ihre Arbeit und ihr Leben erinnert. Opa ist beim<br />
Weggang sehr gefasst. Da es diesig ist, zitiert er:<br />
„Ziehen wir ab im Morgengrauen...“ Onkel Tom<br />
ist so schlecht zurecht, dass es die Reise beinahe<br />
nicht mitmachen kann. Sein Herz arbeitet<br />
stark. Aufregung! – Im Auto geht’s zur NSV–<br />
Stelle und bald im Reisebus nach Bochum, <strong>von</strong><br />
wo der Lazarettzug abfahren soll. Ob wir wohl<br />
unsere lieben Alten wiedersehen werden? – Ich<br />
glaube nicht. Unsere Stimmung und Gedanken<br />
kann ich nicht wiedergeben. Alle Familienmitglieder,<br />
die lange Jahre hindurch glücklich und<br />
einträchtig zusammenlebten, werden vielleicht<br />
für viele Jahre auseinandergerissen. - Am Freitag<br />
ist auch Frau Dreyer mit ihren Möbeln in die<br />
Gegend <strong>von</strong> Halberstadt gefahren und kommt<br />
dort auf einem Bauernhof unter. Der Bauer ist<br />
ein Kriegskamerad <strong>von</strong> August Dreyer.<br />
28.7.1943 Besuch bei der Mutter in Ückendorf.<br />
Auf dem Kirchgange hat sie sich den Arm<br />
gebrochen. Familie Gützlag hat sich schon<br />
in den unteren Räumen eingerichtet. Alles in<br />
Haus, Hof und Garten erinnert mich schon an<br />
die Weggegangenen. Da hat sich Herbert gestern<br />
noch eine Strickschaukel gemacht. Auf der<br />
Bleiche steht sein leerer Entenstall. Im Garten<br />
scheinen alle Früchte um den fleißigen Opa zu<br />
trauern. Man kann es nicht fassen, dass das Haus<br />
in Zukunft fremde Leute beherbergen soll.<br />
1.8.1943 Eine Woche Arbeit ist wieder hinter<br />
uns. Mancher Schweißtropfen wurde ver-