Das Kriegstagebuch von Albert Plassmann - wattenscheid.net
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durchbrochen. Die Orgel wurde vernichtet und<br />
besonders im nördlichen Teil des Querschiffes<br />
größere Verwüstungen angerichtet. Auch das<br />
Rathaus, Stadthaus und der Gürzenich wurden<br />
zerstört. Kulturwerte werden vernichtet, wie es<br />
in der Geschichte noch nie vorgekommen ist.<br />
Mit der Verunstaltung des Kölner Domes wurde<br />
die deutsche Seele getroffen. - Auch wir hatten<br />
hier Alarm und wurden durch einige Störflieger<br />
beunruhigt. - Frau Dreyer ist heute in den Harz<br />
gefahren zu den Eltern eines Freundes <strong>von</strong> August.<br />
Herbert wäre gern mitgefahren.<br />
30.6.1943 Heute Nachmittag 17 Uhr wurden<br />
die Opfer des Bombenangriffs beerdigt (27).<br />
Im Ehrenmal war die Aufbahrung und Totenfeier.<br />
Manche bringen den Wunsch zum Ausdruck,<br />
die Stadt zu verlassen. Auch wir stellen Überlegungen<br />
an. Herbert bringt heute die Nachricht<br />
mit, dass die Oberschule am nächsten Montag<br />
geschlossen wegfährt.<br />
3.7.1943 Der Schulunterricht hat seit 26. 6<br />
ausgesetzt. Mutter fuhr heute nach Nordwalde.<br />
Ich begleitete sie zur Bahn und nahm auf<br />
dem Rückwege noch einmal die Schäden an<br />
der Propsteikirche in Augenschein. Steht man<br />
auf dem Kirchplatz, so glaubt man mitten in<br />
einer durch den Krieg mitgenommenen Stadt<br />
zu sein, im Felde. Ringsherum Häusertrümmer,<br />
leere Fensterhöhlen, das Kleinpflaster aufgerissen.<br />
Vor mir flackert ein Flämmchen. Ein kleiner<br />
Phosphorflecken hat sich wieder entzündet<br />
und brennt. Ich streue Sand darüber. Trotzig<br />
steht der Turm da, stark mit mächtigen Sandsteinquadern.<br />
Nur die Dachverkleidung hat<br />
Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />
116<br />
gelitten. Vom unteren Teil des Turmes sind<br />
die grünen Kupferplatten abgerissen worden.<br />
Sie liegen zum Teil auf dem Kirchplatz, einige<br />
noch auf dem Dach. Die Dachbekleidung des<br />
Hauptschiffes ist auch zerstört. Restlos vernichtet<br />
sind auch die herrlichen Glasfenster, besonders<br />
die des Chores, das Kreuzigungsbild über<br />
dem Hochaltar und die neuen, gestifteten Mosaikfenster<br />
über den Seitenaltären. Im Inneren<br />
sind die Zerstörungen nicht zu groß. In der Decke<br />
klaffen zwei, drei Löcher – Bombensplitter?<br />
– Die Orgel hat einige Beschädigungen, Verlust<br />
einiger Orgelpfeifen. Der 1000-jährige Taufstein<br />
ist gegen Bombensplitter verkleidet mit Mauerwerk<br />
und Holzbalken. Vernichtet wurde das<br />
Wandgemälde der Taufkapelle, die Taufe Jesu im<br />
Jordan darstellend. Am Hochaltar hantiert der<br />
Küster, diesmal im blauen Monteuranzug, nicht<br />
im schwarzen Talar. Einige Männer säubern das<br />
Kircheninnere. Unsere alte Propsteikirche erlebt<br />
wieder eine Notzeit, wie damals 1435, 1635<br />
usw., Kirchenbrände und harte Kriegszeiten.<br />
Der ehemalige Pfarrer Menke auf dem Friedhof,<br />
unter dem Kreuz, denkt an seine damalige Kirchenbauarbeit,<br />
an die Taler, die er bettelnd bei<br />
Bauern, auf Taufen, Hochzeiten und anderen<br />
passenden Gelegenheiten einsammelte. Auf der<br />
Südseite der Kirche wird unter dem Kirchplatz<br />
ein Bunker gebaut.<br />
4.7.1943 Ich bin allein im Hause. Mutter ist<br />
in Nordwalde, Herbert in Ottmarsbocholt, Doris<br />
in Stiepel und Josef an der Ostfront, die ganze<br />
Familie zerstreut.<br />
5.7.1943 Der Kelch des Leids füllt sich. Es<br />
bewahrheitet sich nun, dass wir unser liebgewordenes<br />
Haus räumen müssen. Heute morgen<br />
war der Blockwart Becker hier und machte Aufzeichnungen<br />
über den Wegtransport der Möbel<br />
und die Zahl der zu evakuierenden Personen.<br />
Unser Aufnahmegebiet soll Pommern sein. Alle<br />
Hausbewohner werden weggeschafft. Wohin<br />
wir kommen, ist noch unbekannt. Wir versuchen<br />
wenigstens zusammenzubleiben. Ob das<br />
möglich ist, muss die Zukunft zeigen. Wir sind<br />
in niedergeschlagener Stimmung. Wieder fragen<br />
wir uns: Was wird werden? - In den letzten<br />
Nächten kurze Alarme. Köln wurde wieder heftig<br />
bombardiert. Es ist eine Zeit des Leidens und<br />
der Not.<br />
10.7.1943 Die Not wächst. Heute Nacht verlebten<br />
wir Stunden, die wir in unserem Leben<br />
nicht mehr vergessen werden. Es fehlt mir die<br />
Zeit, um alles getreu und genau berichten zu<br />
können. dass wir mit dem Leben da<strong>von</strong>gekommen<br />
sind, ist unsere einzige Genugtuung. Wattenscheid<br />
erlebte eine Nacht des Grauens. Über<br />
eine Stunde lang wurde das Stadtgebiet mit<br />
Spreng- und Brandbomben förmlich zugedeckt.<br />
Die angerichteten Schäden kann ich im einzelnen<br />
nicht angeben (s. Stadtchronik!). Ich will<br />
mich nur auf das Haus und der näheren Umgebung<br />
beschränken. Es war natürlich, dass unsere<br />
benachbarte Flak Ziel der Bombenabwürfe war.<br />
In nächster Nähe unseres Hauses also zahlreiche<br />
Spreng- und Brandbomben (s. Skizze!). <strong>Das</strong> Haus<br />
Papenburgstraße 87 erhielt einen Volltreffer,<br />
wie ein Wunder keine Verluste. Mehrere Blindgänger<br />
liegen auf der Bahn, ein dicker Brocken<br />
Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />
117<br />
in Bohmholts Garten. Während der Angriffs ist<br />
das Haus <strong>von</strong> brennenden Brandgranaten umgeben.<br />
Eine Stabbrandbombe durchschlägt das<br />
Hausdach und bricht entzwei. Die Zündvorrichtung<br />
finde ich auf dem Dachboden, den Brandsatz<br />
in Herberts Schlafzimmer. Im Luftschutzkeller<br />
liegt alles geduckt auf dem Boden. Man hört<br />
das unheimliche Pfeifen und Bersten der Bomben,<br />
bald näher, bald weiter – über eine Stunde<br />
lang. Eine Termit-Brandbombe an der Gartenmauer<br />
schickt ihren Qualm in den Keller. Im<br />
Hause fallen Mauerwände u. Decken polternd<br />
zu Boden, dazwischen das Klirren zersprungener<br />
Fensterscheiben. Ich wage hin und wieder<br />
einen Sprung ins Haus nach oben. Meine ganze<br />
Aufmerksamkeit gilt einfallenden Brandbomben<br />
und deren Bekämpfung. Aber immer wieder<br />
treiben mich Sprengbomben in den Keller zurück.<br />
Mit dem Pfosten des Geländers mache ich<br />
dabei nähere Bekanntschaft und hole mir eine<br />
Beule an der Stirn. Auf der Bahn brennen lichterloh<br />
ein Kohlenwagen und ein Mannschaftswagen<br />
der Flak. Erleichtert atmen wir auf, als<br />
das Brummen der Flugzeuge nachlässt. Unsere<br />
Flak schießt schon lange nicht mehr. Sie musste<br />
in Deckung gehen; das Kabel war durchschossen.<br />
Im Hause sieht es wieder schlimm aus. <strong>Das</strong><br />
Dach ist wieder abgedeckt. Der dritte Stock ist<br />
unbewohnbar. Im Esszimmer und in Omas Küche<br />
sind die Wände wieder herausgebrochen.<br />
Alle Innenwände sind geborsten und verschoben.<br />
Die Möbel liegen durcheinander usw. <strong>Das</strong><br />
regt uns aber schon nicht mehr auf; wir freuen<br />
uns unseres Lebens. Ich helfe nun bei der Lö-