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Das Kriegstagebuch von Albert Plassmann - wattenscheid.net

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sehe ich hellweiße Lichter in Ückendorf, nun<br />

auch in unserem Stadtgebiet, auch in Höntrop<br />

und am Walzwerk. Der Angriff gilt unserer<br />

Stadt. August Dreyer und ich ziehen uns in den<br />

Keller zurück in Erwartung <strong>von</strong> Brandbombeneinschlägen.<br />

Draußen ist die Hölle los! Dumpfe<br />

Detonationen erschüttern den Erdboden. Es hat<br />

nicht weit eingeschlagen. Wir machen Kontrollgänge<br />

durchs Haus, werfen einen Blick nach<br />

draußen. Vor der Propsteikirche ein gewaltiger<br />

Brand. Von den Flammen magisch beleuchtet<br />

reckt sich der Turm der Kirche unheimlich in<br />

die Dunkelheit. Brände bemerke ich auch an<br />

anderen Stellen der Stadt. Wieder zurück in den<br />

Keller, in der Luft über uns ist ein immerwährendes<br />

Summen. Im Keller große Aufregung, es<br />

wird gebetet. Die Zeit wird zur Ewigkeit.<br />

03:15 Uhr. – Der Angriff ist vorüber – wir atmen<br />

befreit auf. Man begreift nun den Satz:...<br />

und fühlte sich wie dem Leben neu wiedergeschenkt.<br />

--- Draußen sehen wir die Brände und<br />

versuchen, die Schadensstellen zu bestimmen.<br />

Manche Leute eilen schon zur Stadt. Es sind gewiss<br />

solche, die sich nach dem Schicksal ihrer<br />

Angehörigen in der Stadt erkundigen wollen.<br />

Ich suche die Einschlagstelle der Bombe. Von<br />

den Flaksoldaten erfahren wir nun die genaue<br />

Lage. (50 m östlich <strong>von</strong> Gierses Haus – s. Karte)<br />

Daneben lag noch ein Blindgänger. August und<br />

ich machen uns auf den Weg zur Stadt. Lünemanns<br />

und Tinnefelds Haus brennen lichterloh.<br />

An der gegenüberliegenden Seite hat eine<br />

Sprengbombe drei Häuser niedergelegt. Man<br />

sieht überall nur Trümmer und Verwüstungen.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

114<br />

Wir hören, dass Frl. Tinnefeld und der Schmiedemeister<br />

noch unter den Trümmer lägen. Ein<br />

gefangener Franzose will den Meister unbedingt<br />

ausgraben, weil er ein so guter Mann gewesen<br />

wäre; manche Zigarette hätte er <strong>von</strong> ihm bekommen.<br />

Nun schlagen auch die Flammen aus<br />

Trabens Haus, das auch vollständig ausbrennt.<br />

Auch das Kolpinghaus brennt; die Einwohner<br />

sind wohl eifrig bei den Löscharbeiten. Es ist ihnen<br />

auch gelungen, des Feuers Herr zu werden,<br />

nur der Dachstuhl brannte ab und die Gesellenzimmer.<br />

08:30 Uhr – Ich habe zwei Stunden geschlafen<br />

und begebe mich zur Schule. Es haben sich nur<br />

einige Kinder eingefunden, die Lehrpersonen<br />

fehlen alle. Vom Hausmeister höre ich, dass diese<br />

noch in der Nacht zum Einsatz aufgerufen<br />

worden sind. Ich habe bisher noch keine Aufforderung<br />

bekommen und begebe mich auch<br />

zum Rathaus. Ich bekomme dort eine Liste und<br />

soll nun in der Sommerdellenstraße feststellen,<br />

wie die Häuser dort beschädigt worden sind.<br />

Alle sind beschädigt, vom ersten bis zum letzten<br />

Haus, darunter zumindest 15 total. An einer<br />

Straßenstelle sind zwei bis drei Volltreffer<br />

eingeschlagen. Dort gab es 10 Tote. Es Ist ein<br />

Bild des Jammers. Da sitzt ein altes Mütterchen<br />

mit verweinten Augen mitten zwischen einigen<br />

Habseligkeiten. Sie hat den Schrecken überwunden<br />

und wartet nun übermüdet auf den<br />

weiteren Lauf der Dinge. Sie gibt mir für meine<br />

Notizen Aufklärung über die Familien, die in<br />

den getroffenen Häusern gewohnt haben. Gern<br />

hätte sie noch das Bettzeug, das man dort zwi-<br />

schen Steinen und Balken sehen kann. Aber die<br />

Bergung ist nicht möglich. Ich sehe dort auch<br />

einen verdreckten Puppenwagen mit einer Puppe.<br />

Danach jammert gewiss ein kleines Mädchen.<br />

An der gegenüberliegenden Seite hängt<br />

der Fußboden schräg <strong>von</strong> oben nach unten.<br />

Darauf rutschte ein Bett mit einem schlafenden<br />

jungen Mann nach unten auf den Trümmerhaufen.<br />

Dieser Mann blieb unverletzt, während<br />

die Hausbewohner im Keller getötet wurden.<br />

Ich mache einen Rundgang durch die Stadt. In<br />

der Vorstadtstraße ist die Feuerwehr noch bei<br />

den Löscharbeiten. Am Krankenhaus hat der<br />

Dachstuhl gebrannt. In der Kolonie am Watermannsweg<br />

hat eine Sprengbombe mehrere<br />

Häuser vernichtet. Dabei kamen auch Frau und<br />

Sohn <strong>von</strong> August Winter, einem alten Bekannten,<br />

zu Tode. Den Sohn fand man im Keller gegen<br />

die Wand gedrückt unter den Trümmern,<br />

mit dem Kopf nach unten. Der Frau war die<br />

schwere Kellertür gegen den Kopf geschlagen.<br />

Eine schwere Bombe hat auch Kuhlendahls<br />

Haus zertrümmert, eine andere explodierte vor<br />

Treus’ Schuhladen. Dort befinden sich noch ein<br />

Paar Schuhe <strong>von</strong> uns zur Reparatur. Ob wir diese<br />

wohl wiedersehen? – Es ist mir nicht möglich<br />

alle Schadensstellen anzugehen. Ich denke, dass<br />

man nach dem Kriege auf Karten diese Stellen<br />

übersehen kann.<br />

27.6.1943 Propst Hellmich gibt <strong>von</strong> der<br />

Kanzel bekannt, dass die Männer während des<br />

Gottesdienst ihre Hüte auflassen dürfen. Alle<br />

Fensterscheiben der Kirche sind entzwei. Gottesdienst<br />

im Kriegsgebiet! - Es wird bekannt,<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

115<br />

dass bei dem Angriff 27 Einwohner zu Tode<br />

gekommen sind. Überall wird eifrig gearbeitet.<br />

Lastwagen, bepackt mit Hausrat durchfahren<br />

die Straßen. Der Schutt wird weggeräumt. Nachmittags<br />

besuche ich meinen Bruder Ferdinand<br />

in Ückendorf. Er selbst verlebt seine Urlaubstage<br />

im Sauerland. Auch sein Haus wurde getroffen.<br />

Eine Brandbombe durchschlug das Dach<br />

und landete im Arbeitszimmer seines Mieters.<br />

Nachbarn bemerkten glücklicherweise das Feuer<br />

und löschten frühzeitig. Auch dort sieht es<br />

in der Umgegend gräulich aus. Die dortige Siedlung<br />

der Kriegsbeschädigten wurde zum vierten<br />

Mal getroffen. Der Kommunalfriedhof war<br />

wegen Gefahr geschlossen (Blindgänger). Nicht<br />

weit <strong>von</strong> uns ging während unseres Spazierganges<br />

ein Blindgänger hoch: Große Zerstörungen<br />

richteten Spreng und Brandbomben auch am<br />

Ückendorfer Platz an. Nach allem Schauen dieses<br />

sinnlosen Zerstörens zivilen Eigentums der<br />

meist kleinen Leute kommt man niedergedrückt<br />

zu Hause an. Man hört nur immer die eine Frage:<br />

Wofür das alles? – Wie lange soll diese Not<br />

andauern?<br />

28.6.1943 Schadensfeststellung in der Sommerdellenstraße.<br />

An jedem Haus sind kleinere<br />

oder größere Schäden festzustellen. Hinter Eickel<br />

explodiert noch ein Blindgänger. Eine hohe<br />

Staubwolke steigt auf.<br />

29.6.1943 Ein Schrei der Entrüstung geht<br />

durch Deutschland. In der vergangenen Nacht<br />

wurde Köln mit starken Kräften angegriffen.<br />

Dabei wurde auch der Dom durch Spreng- und<br />

Brandbomben stark beschädigt. <strong>Das</strong> Gewölbe ist

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