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Das Kriegstagebuch von Albert Plassmann - wattenscheid.net

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nach langer Zeit auch mal wieder torkelnde Alkoholleichen.<br />

<strong>Das</strong> brachte etwas Abwechslung.<br />

22.12.1942 W. Düsenberg, J. Betken und<br />

ich waren heute in Köln. Zweck unserer Reise<br />

war die Besichtigung der Fliegerschäden. Mit einem<br />

schlechten Gewissen begannen wir unsere<br />

Fahrt. Zu durchgehenden Zügen war eine Zulassungskarte<br />

erforderlich und im übrigen sollte<br />

auch jedes Reisen unterlassen werden nach dem<br />

Grundsatze: „Erst siegen – dann reisen“. An jeder<br />

Lokomotive war dieser Satz zu lesen. Zu unserer<br />

Entschuldigung konnten wir aber angeben, dass<br />

wir im Interesse des Luftschutzes Erfahrungen<br />

sammeln wollten. In Etappen gelangten wir in<br />

Personenzügen zum Ziel, in übervollen Abteilen.<br />

Köln bot ein Bild der Verwüstung und Zerstörung,<br />

besonders in der Gegend des Neumarktes<br />

und der St. Gereonskirche. Unversehrt zwischen<br />

Häuserruinen blieben das Rathaus und auch<br />

der Hauptbahnhof und der Dom. Schon gegen<br />

17 Uhr traten wir die Rückfahrt an mit der Befürchtung,<br />

abends nicht wieder zurückzukommen<br />

oder <strong>von</strong> einem Fliegerangriff überrascht<br />

zu werden. Wir kamen aber leidlich gut wieder<br />

in der Heimat an. Ich hatte eben das Haus betreten,<br />

als die Sirene ertönte. Große Befriedigung<br />

meinerseits, ein Flugzeug überflog unser Gebiet<br />

und wurde heftig beschossen.<br />

23.12.1942 Nachmittags auf dem Wirtschaftsamt<br />

– Kleiderkarten geschrieben!<br />

24.12.1942 Heiliger Abend! – Der Christbaum<br />

ist geschmückt, die Krippe ist aufgebaut<br />

– meine Zeilen werden begleitet <strong>von</strong> den ewigen<br />

schönen Melodien des „Stille Nacht, heilige<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

94<br />

Nacht“, die aus dem Radio ertönen. Unfassbar<br />

erscheint es mir, dass es das vierte Kriegsweihnachtsfest<br />

ist. Es ist das zweite Weihnachtsfest,<br />

das wir ohne unseren Josef feiern müssen. Heute<br />

morgen kamen seine Weihnachtsgrüße <strong>von</strong> der<br />

Ostfront ins Haus. Wie gerne möchte er wieder<br />

den Heiligen Abend zu Hause zubringen und<br />

den Klängen der Kölner Domorgel lauschen, gespielt<br />

vom Domorganisten Hans Bachem! <strong>Das</strong><br />

Haus auf dem Spitzberg wird eine stille Weihnacht<br />

feiern. – Abends ist Bescherung bei Onkel<br />

Tom. Für jeden war etwa da. Dem Christkindchen<br />

war es gewiss schwer gefallen, in dieser armen<br />

Zeit alle diese jetzt raren Artikel, wie Kämme,<br />

Nadeln, Briefpapier usw. zu ergattern. Für<br />

einen kleinen Kamm musste man stundenlang<br />

vor dem Kauf „Reihe stehen“. – Der Feind und<br />

der Krieg stören sich nicht an einem „Heiligen<br />

Abend“. Während wir in unserer Häuslichkeit<br />

an das Wort „Friede den Menschen auf Erden...“<br />

– erinnert werden, ertönt nun draußen<br />

die Alarmsirene wie zum Hohn und ruft uns<br />

die raue Wirklichkeit zurück. An diesem Abend<br />

wurden einige Bomben in Westdeutschland abgeworfen.<br />

Von Christi und der Engel Mahnruf<br />

ist die Welt meilenweit entfernt - trotz Kultur<br />

und Fortschritt des Geistes und Wissens.<br />

25.12.1942 Wir besuchen die Uchte um<br />

6:00 Uhr in Sevinghausen, - danach ist kleine<br />

Bescherung. Auch für uns hatte das Christkind<br />

noch einige kleine Gaben. Herbert erhielt<br />

ein Domino-Spiel, zwei Oberhemden, ein Paar<br />

Handschuhe und eine Skimütze – Doris ein Paar<br />

Handschuhe, eine Halskette. Vater erhielt wie<br />

immer Rauchmaterial, ein Paar Pantoffeln, <strong>von</strong><br />

Herbert ein Feuerzeug, Hosenspanner, einen<br />

Kamm, und <strong>von</strong> Doris einen Taschenkalender<br />

- Mutter erhielt ein Paar Handschuhe, <strong>von</strong> Herbert<br />

einen Holzrührer, einen Fingerhut, Knöpfe<br />

und drei kleine Kakteen (Übrigens hatte das<br />

Christkindchen diese Sachen schon einige Tage<br />

vorher der Mutter übergeben aus lauter Zorn<br />

über eine Bestrafung mit dem Besenstiel). – <strong>Das</strong><br />

Wetter am Weihnachtstage war milde und sonnig.<br />

– Am 2. Weihnachtstage machten wir unseren<br />

Besuch bei der Oma. Am folgenden Morgen<br />

fuhr Doris nach Drohne, wo sie in den Sommerferien<br />

ihren Ernteeinsatz leistete.<br />

27.12.1942 Für Opa zahlte ich den Abgeltungsbetrag<br />

für die Hauszinssteuer ein.<br />

28.12.1942 Dem Herrn Zumbro vom Wirtschaftsamt<br />

übergab ich meinen Antrag auf Ausstellung<br />

eines Bezugscheines für ein Radiogerät.<br />

29.12.1942 Morgens nahm ich mit Herbert<br />

an der Beerdigung <strong>von</strong> Studienrat Schauerte<br />

teil. Der Winter hat sich über Nacht eingestellt<br />

mit Frost und Schneetreiben. Auf dem Friedhof<br />

war es in der Kälte sehr ungemütlich. – Eine<br />

neue Gefahr hat sich für mich aufgetan, nämlich<br />

die Versetzung nach dem Osten. Ich stehe<br />

auf der Ostliste an 16. Stelle. Heute musste ich<br />

eine Erklärung unterschreiben, dass ich mit keinem<br />

Bewohner der unter deutschem Schutz stehenden<br />

Ostgebiete versippt bin. Was wird nun<br />

daraus werden?<br />

31.12.1942 Silvesterabend! – Zum guten<br />

Schluss kommt noch mal der Tommy und treibt<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

95<br />

uns für eine kurze Zeit noch in den Keller. Dann<br />

geht ein schweres Jahr für uns zu Ende. Unsere<br />

Gedanken gehen noch einmal zurück zum 9.<br />

März, wir erinnern uns dieser Schreckenstage,<br />

die uns unvergesslich bleiben werden. Noch immer<br />

zeigt das Haus die Spuren der Heimsuchung,<br />

aber es steht immer noch fest und aufrecht,<br />

gibt uns eine Heimstatt und ist bereit, weiteren<br />

Stürmen zu trotzen. Wir bleiben auf bis nach<br />

Mitternacht und beim Beginn des neuen Jahres<br />

erklingt wieder vertrauensvoll das Loblied „Großer<br />

Gott wir loben Dich“.<br />

1.1.1943 So beginnen wir 1943 mit der großen<br />

Hoffnung im Herzen, dass uns das neue<br />

Jahr den heißersehnten Frieden und den Sieg<br />

bringen möge. Draußen an der Ostfront steht<br />

unser Heer in harten Abwehrkämpfen, ebenso<br />

in Nordafrika.<br />

4.1.1943 Gestern Abend <strong>von</strong> 19:45 – 20:15<br />

Uhr Fliegerangriff. Wir hören Bomben in Freisenbruch,<br />

Kray einschlagen . Althoff in Essen<br />

ausgebrannt. Eine mächtige Rauchwolke zieht<br />

über uns nach Osten.<br />

5.1.1943 Gestern Abend wie am Vortag Fliegerbesuch,<br />

schätzungsweise sechs Flugzeuge<br />

über uns. Mittelpunkt des Hauptangriffs weiter<br />

im Westen. Die angerichteten Schäden wird<br />

man erst später gewahr. Mutter und Doris besuchen<br />

Maria Hagedorn in Werden. Sie wollen<br />

wieder früh zu Hause sein. Meine Ferienzeit benutze<br />

ich zum Schreiben <strong>von</strong> Karteikarten für<br />

den Luftschutz.<br />

Auch ein Zeichen der Zeit: Man machte früher<br />

gelegentlich die witzige und als übertrieben an-

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