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Das Kriegstagebuch von Albert Plassmann - wattenscheid.net

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SCHLAG<br />

AUF<br />

SCHLAG<br />

<strong>Das</strong> <strong>Kriegstagebuch</strong> <strong>von</strong> <strong>Albert</strong> <strong>Plassmann</strong><br />

15.7.1942 Doris fährt <strong>von</strong> Wanne-Eickel aus<br />

zum Ernteeinsatz nach Drohne zum Bauern<br />

Helling. Von der Versicherung bekommt Opa<br />

die Aufforderung, einen Sachverständigen zu<br />

benennen, um an einem Tage den angerichteten<br />

Schaden zu taxieren. Diese Mitteilung haben<br />

wir durch den Vertreter Bohmhold dem<br />

Bauamt übergeben.<br />

16.7.1942 Im Esszimmer werden Gardinen<br />

(provisorisch und geflickt) aufgehängt.<br />

79<br />

17.7.1942 Eine Esszimmerlampe geholt und<br />

aufgehängt. Die heil gebliebene Esszimmerlampe<br />

kommt ins Wohnzimmer. – Doris schreibt,<br />

sie wäre wohlbehalten angekommen. Der Bauer<br />

holte sie mit dem Rade vom Bahnhof ab. – <strong>Das</strong><br />

Fuhrgeschäft Eisler schickt einen Wagen mit<br />

zwei „talentvollen“ Arbeitern, um den Dauerbrandofen<br />

nach Preute zu bringen. Der junge<br />

Fahrer ist zu faul beim Tragen zu helfen. Ich<br />

pfeife ihn gehörig an.


18.7.1942 In der Mittagszeit Alarm. Die<br />

Wolken liegen tief. Der Flieger darüber ist gut<br />

zu hören. Die Flak schießt Schnellfeuer, der Flieger<br />

dreht ab. – Von Öchtringhausen bekommen<br />

wir Nachricht, dass es ihnen nicht möglich ist,<br />

uns aufzunehmen. – Duisburg und Oberhausen<br />

hatten bei Tagesangriffen stärkere Verluste, man<br />

spricht <strong>von</strong> 130 Toten.<br />

19.7.1942 Mittags kurzer Alarm, kein Flieger<br />

hier zu hören.<br />

20.7.1942 Herbert und ich nach Preute, um<br />

nach den Ofen zu fragen. Es stellt sich heraus,<br />

dass er noch gar nicht dort angekommen ist. Wo<br />

haben die Schlaumeier den Ofen gelassen? Doris<br />

schickt uns ein Paket mit Johannisbeeren.<br />

21.7.1942 Mittags Alarm! – Herbert bekommt<br />

<strong>von</strong> Ottmarsbocholt eine Einladung<br />

zum Ferienaufenthalt. Er wird seinen Husten<br />

noch nicht los. – Auf der Suche nach dem Dauerbrandofen<br />

gehe ich zunächst nach Eisler. Frau<br />

Eisler kann mir aber keine Auskunft geben. Auf<br />

dem Rückweg treffe ich den Fahrer selbst. Sie<br />

haben den Ofen dort hingestellt, wo sie die Möbel<br />

abgeladen haben. Ich mache Schmidt hier<strong>von</strong><br />

Mitteilung und fordere, dass baldmöglichst<br />

der Ofen nach Preute kommt. – Abends haben<br />

wir 2-mal Fliegeralarm.<br />

22.7.1942 Alarm <strong>von</strong> 1 - 3 Uhr. Die Scheinwerfer<br />

haben einen Flieger im Licht. Er fliegt<br />

schnell und versucht durch Kurven aus dem<br />

Scheinwerferlicht herauszukommen. Alle Flakgeschütze<br />

befunken ihn. Bei längerem Zusehen<br />

stelle ich fest, dass es ein Licht sein muss, das<br />

sich im Scheinwerferlicht bewegt. Es wird viel-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

80<br />

leicht so sein: Ein Flieger zieht an einem langen<br />

Kabel eine Lampe hinter sich her. Der Flieger ist<br />

selbst so hoch, dass er <strong>von</strong> den Scheinwerfern<br />

und der Flak nicht erfasst werden kann, sondern<br />

nur die Lampe. Während nun alle Batterien<br />

feuern, stellt der feindliche Beobachter ihre<br />

Stellungen fest. Die Lampe ist also Mittel zum<br />

Zweck. – In Rotthausen ist ein großer Brand ausgebrochen.<br />

Über unserem Hause ist das Brummen<br />

eines Tieffliegers zu hören. Vor dem Walzwerk<br />

macht er kehrt, ich drücke mich in den<br />

Eingang des Lagers. Zwei Detonationen sind in<br />

südlicher Richtung zu hören.<br />

24.7.1942 Tagelang ist die Witterung<br />

schlecht. Die Gerste ist überreif. – Abends machen<br />

Mutter und ich eine Fahrradtour. Wir besuchen<br />

Schreiner Schröder im Haferfeld wegen<br />

Reparatur unserer Möbel. Er will in den nächsten<br />

Tagen Nachschau halten. Wir fahren weiter auf<br />

Horst zu und sehen dort die Bombeneinschläge<br />

der vergangenen Nacht. Eine unbewohnte<br />

Mühle zeigt einen großen Trichter. Kinder belustigen<br />

sich dort. Ein Haus ist so zugerichtet<br />

wie unseres.<br />

25.7.1942 Herbert wird <strong>von</strong> der Ärztin noch<br />

einmal untersucht. Bei der Blutentnahme baut<br />

er ab. Die bezahlten Rechnungen für die Verdunklungsrollos<br />

bringt Mutter zur Steinstraße.<br />

26.7.1942 Alarm <strong>von</strong> 1:30 - 4 ungefähr 13<br />

Flugzeuge. – 8:15 - 8:45 Uhr, einige Schüsse fielen.<br />

In der Nacht wurde Duisburg wieder bombardiert,<br />

während tagsüber das Rhein-Main-Gebiet<br />

das Ziel <strong>von</strong> Luftangriffen war.<br />

27.7.1942 Alarm <strong>von</strong> 23:50 - 1:30 Uhr. Wir<br />

haben kein Flugzeug gehört. Wir gehen ins Bett<br />

mit der Befürchtung, dass noch ein Angriff erfolgt.<br />

Der Heeresbericht gibt bekannt, dass in<br />

Hamburg schwere Verluste entstanden sind.<br />

28.7.1942 Tagsüber hatten wir 4-mal Alarm,<br />

haben aber keinen Flieger gesehen. Beim Herannahen<br />

der feindlichen Flugzeuge gehen gleich<br />

die Sperrballone hoch. Abends wird erzählt,<br />

in Essen wären Bomben in ein Kino und eine<br />

Waschkaue gefallen – 60 Tote. Es gehen Gerüchte<br />

<strong>von</strong> Mund zu Mund, deren Richtigkeit nicht<br />

nachgeprüft werden kann. – Josef lässt nach<br />

langer Zeit etwas <strong>von</strong> sich hören. Er ist <strong>von</strong><br />

Praschwitz aus (ausgerückt am 26.6.) in Russland<br />

gelandet. Wo er sich dort befindet, hat er<br />

nicht mitgeteilt.<br />

29.7.1942 Mit Herbert zur NSV-Dienststelle<br />

und holen vier Gasmasken. Wir hoffen, dass wir<br />

sie nicht gebrauchen müssen. Von einem Gasangriff<br />

sind wir bisher noch verschont geblieben.<br />

Aber bei dieser rücksichtslosen Kriegsführung<br />

ist auch damit zu rechnen. – Heute morgen erschien<br />

auch wieder Klempner Schoppmann,<br />

eine neue Dachrinne anzubringen. – Es war<br />

heute 4-mal Alarm, <strong>von</strong> fern hört man Kanonendonner,<br />

ein Fesselballon hat sich losgerissen<br />

und treibt mit dem Winde nach Osten, unter<br />

sich das Haltetau. – Elektriker Kotgöde und der<br />

Holländer (ein holländischer Nationalsozialist,<br />

der 1934 nach Deutschland floh) erledigen einige<br />

Arbeiten, sind aber noch nicht fertig. Kotgöde<br />

erzählt, gestern wäre eine Bombe auf Tor 3<br />

bei Krupp niedergegangen, als dort gerade Löhnung<br />

war – 70 Tote. Auch der Kaiserhof wäre<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

81<br />

getroffen worden.<br />

30.7.1942 Opa und Oma fahren nach Nordwalde.<br />

Der Klempner hat die Dachrinne fertig<br />

gemacht. Heute hatten wir keinen Alarm. – An<br />

der Südfront in Russland geht die Offensive gut<br />

voran, unsere Truppen sind über Rostow hinaus<br />

und nähern sich Stalingrad an der Wolga. In der<br />

Stadt stehen die Leute vor den Gemüse- und<br />

Fischläden Schlange aber auch Nachmittags vor<br />

den Kinos. – <strong>Das</strong> Wetter ist besser geworden,<br />

hoffentlich kommt die Ernte gut herein.<br />

31.7.1942 Herbert hat Nachricht bekommen,<br />

dass er am 2.8. nach Ottmarsbocholt kommen<br />

soll. – Wir hatten heute 5-mal Alarm. Ein<br />

Flugzeug, <strong>von</strong> der Flak heftig beschossen, flog<br />

über Gelsenkirchen – Wanne nach Osten. Der<br />

Heeresbericht spricht <strong>von</strong> Störflügen einzelner<br />

Flugzeuge.<br />

1.8.1942 In der Nacht Alarm <strong>von</strong><br />

24:30 - 04:00 Uhr. Ich sah den Abschuss zweier<br />

Flugzeuge – Herbert ist mit Mutter zum Krankenhause.<br />

Es wird eine Röntgenaufnahme gemacht.<br />

Niedergeschlagen kommt er zurück, seine Reise<br />

muss verschoben werden, da die Aufnahme<br />

erst Montag erfolgen kann. Wir hatten heute<br />

4-mal Alarm, ohne ein Flugzeug gesehen oder<br />

gehört zu haben. Es ist mir nicht möglich, den<br />

schon lange geplanten Fußmarsch nach Essen<br />

wegen häufigen Alarms am Tage zu machen. In<br />

der Stadt müssen bei Alarm sofort alle Straßen<br />

geräumt werden, auch die Schlangesteher vor<br />

den Geschäften müssen verschwinden. Interessant<br />

ist das Spektakel dann bei der Entwarnung.<br />

Jeder will dann seinen Platz wieder einnehmen.


Wehe, wenn sich einer dort aufstellt, der vorher<br />

dort nicht gestanden hat. Es kam schon häufig<br />

zu Weiberschlachten, wobei der Schirm eine<br />

wichtige Rolle spielte. Bei großem Gekreisch<br />

und Gezeter wurden Hüte und Mäntel zerrissen.<br />

Die verwegensten Streithähne wurden zur<br />

Polizeiwache geschleppt. – Heute wieder 5-mal<br />

Alarm.<br />

2.8.1942 Einmal Alarm am Tage.<br />

3.8.1942 Herbert wurde morgens geröntgt.<br />

Der Tb.-Verdacht scheint sich nicht zu bestätigen.<br />

Er ist froh wie ein König, morgen fahren<br />

zu können.<br />

4.8.1942 Herberts Abfahrt mit Mutter nach<br />

O.<br />

5.8.1942 In der Nacht 2-mal Alarm. In Richtung<br />

Essen ein großer Brand. Es ist nun so, dass<br />

wie heute Nacht, ein einzelnes Flugzeug Millionen<br />

Menschen im Industriegebiet und auch<br />

anderswo 2-mal in der Nacht in Aufregung<br />

bringt, sie aus den Betten wirft, zur Eile antreibt<br />

und in die Keller verscheucht. Die Menschen<br />

sind verängstigt durch die Nachrichten <strong>von</strong><br />

den schweren Beschädigungen in letzter Zeit<br />

in Duisburg und Düsseldorf, <strong>von</strong> der furchtbaren<br />

Wirkung der neuen Brandbomben, die<br />

kaum noch unschädlich gemacht werden können.<br />

– Josef schreibt aus Russland, dass es ihm<br />

gut geht, das Essen ist auch gut. – Doris kehrt<br />

nach dreiwöchiger Abwesenheit in der Erntehilfe<br />

aus Drohne wieder nach Hause zurück. Ich<br />

habe wenigstens wieder einen Hausgenossen.<br />

Sie brachte Eier mit, 5 m Leinen und vor allem<br />

leckere Butterbrote; Weißbrot mit echter Mett-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

82<br />

wurst. <strong>Das</strong> waren Leckerbissen, wie man sie lange<br />

nicht mehr gehabt hat. Man denkt an das<br />

Essen vergangener Zeiten, an die Restaurationsschnittchen<br />

und Ogo-Paketchen aus Bremen<br />

mit Kaffee, Tee, Süßigkeiten und vor allem den<br />

Wilhelmi-Sandblattzigarren. Wann kommen<br />

diese Zeiten wieder?<br />

6.8.1942 Doris ist stellvertretender Hausdrache.<br />

– In der vergangenen Nach Alarm <strong>von</strong><br />

24:10 - 03:00 Uhr. Zwei Flugzeuge machten die<br />

Gegend unsicher – keine Abwürfe. Im Laufe des<br />

Tages zwei 2-mal Alarm.<br />

7.8.1942 Alarm 02:30 - 03:30 Uhr – ungefähr<br />

6 Flugzeuge in großer Höhe. – Heute morgen erschien<br />

ein Beauftragter der Feuerversicherung<br />

mit Horstmann, um die Brandschäden zu begutachten.<br />

Weil das Haus unterversichert ist,<br />

vergütet die Versicherung den Brandschaden<br />

nur zur Hälfte. Den übrigen Schaden sollen wir<br />

tragen. Ich habe zu verstehen gegeben, dass<br />

unsererseits nichts gezahlt würde, der Brand<br />

ist eine ursächliche Folge der Bombardierung.<br />

Dieserhalb müssen wir uns dann mit der Stadt<br />

auseinandersetzen. – Auch Wienke mit Schmidt<br />

nehmen eine Besichtigung vor. Schmidt teilt<br />

mir mit, dass die Kostüme endlich aufgehängt<br />

wären. Die Schadensregelung wird in nächster<br />

Zeit erfolgen. Ich frage nach dem Wiederaufbau<br />

des Lagers. Es soll ein Satteldach aufgesetzt werden.<br />

Der hintere Teil soll verschwinden. – Doris<br />

teilt mit, dass während ihres Aufenthaltes in<br />

Drohne in unmittelbarer Nähe des Hauses bei<br />

Tage eine Bombe krepierte und ein Blindgänger<br />

in ihren Garten fiel. Es ist so, als wenn uns der<br />

Engländer überallhin verfolgte. – (Da ertönt das<br />

Entwarnungszeichen – nach dem 2. Alarm am<br />

heutigen Tage.)<br />

8.8.1942 Alarm <strong>von</strong> 02:45 - 03:15 Uhr.<br />

9.8.1942 2-mal Alarm tagsüber.<br />

10.8.1942 In der Nacht Alarm – kurz, kein<br />

Flugzeug gesehen – Morgens mit Opa und Treschen<br />

zum Bauamt wegen Brandschaden. Ich<br />

lege Horstmann noch einmal unsere Ansicht<br />

über den Brandschaden und die Kostenzahlung<br />

auseinander. Am Schluss der Unterredung geht<br />

er zu Wienke herüber und bringt uns nun den<br />

beruhigenden Bescheid, dass wir mit der Kostenaufbringung<br />

nichts mehr zu tun hätten. Die<br />

Kosten betrugen 880 RM. Da<strong>von</strong> sollten wir<br />

wegen der Unterversicherung die Hälfte tragen.<br />

– So war dann diese Angelegenheit zu unserer<br />

Zufriedenheit gelöst. Es erhebt sich die Frage:<br />

Konnte uns das nicht <strong>von</strong> vornherein so gesagt<br />

werden? Warum bringt man uns Bombengeschädigte<br />

erst in Unruhe? – Opa und ich besuchen<br />

noch Schmidt wegen der Kostümfrage. <strong>Das</strong><br />

Entschädigungsamt wünscht ein schriftliches<br />

Gutachten über den Zustand der Kostüme <strong>von</strong><br />

Herrn Sommer. In der Steinstraße müssen wir<br />

uns unfreiwillig länger aufhalten. Wir erleben<br />

den zweiten Alarm heute morgen, in Richtung<br />

Gelsenkirchen wird geschossen.<br />

11.8.1942 Morgens gehe ich mit den Schulkindern<br />

auf die Kartoffelkäfersuche. – Brief an<br />

Herrn Sommer in Dortmund zwecks Besichtigung<br />

der Kostüme und Anfertigung eines<br />

schriftlichen Gutachtens. – Auf den Nachbarfeldern<br />

suchen wir fleißig Ähren. <strong>Das</strong> war früher<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

83<br />

das Vorrecht der Armen – heute der Hungrigen.<br />

12.8.1942 Mutter schreibt aus Ottmarsbocholt.<br />

Sie wiegt nur noch 131 Pfund, bemerkt<br />

aber eine Gewichtzunahme, denn ihr Korsett<br />

wird enge. Ein Herr Schmedtmann sagt ihr dort,<br />

dass sie Gardinen <strong>von</strong> ihm hätte bekommen können.<br />

– In der Nacht 2-mal Alarm. Über Gelsenkirchen<br />

und Essen werden Tiefflüge ausgeführt,<br />

die leichte Flak feuert lebhaft nach allen Richtungen,<br />

die Scheinwerferstrahlen sind niedrig.<br />

Wenn ich mich nicht irre, schlug in Essen ein<br />

Flugzeug auf den Boden auf. Morgens um 8 Uhr<br />

ist der dritte Alarm, aber kurz, - an Ausschlafen<br />

ist nicht zu denken. – An der Außenseite trägt<br />

das Haus noch die Spuren des Kampfes. Die Risse<br />

und Löcher warten noch auf Ausbesserung,<br />

und die Straßenseite zeigt Mörtelspritzer. Alle<br />

Vorübergehende sehen dorthin, dann wandern<br />

ihre Blicke an der Hauswand aufwärts, um noch<br />

andere Bombenschäden zu entdecken.<br />

13.8.1942 2-mal Alarm <strong>von</strong> 24:30 - 01:15<br />

und 02:00 - 02:45 Uhr. Wir haben kein Flugzeug<br />

gesehen, aber Mainz und Wiesbaden hatten<br />

schwer zu leiden. In den Morgenstunden warf<br />

ein Flugzeug Flugblätter. Die Briten drohen mit<br />

der Vernichtung der deutschen Städte und machen<br />

aufmerksam auf die Ankunft der Amerikaner.<br />

Sie prahlen mit der ungeheuren Flugzeugproduktion<br />

und fordern die Bevölkerung auf,<br />

das Nazijoch abzuschütteln. Die Leute sind sich<br />

der Gefahr bewusst, sind sich aber unserer militärischen<br />

Stärke bewusst und wissen, dass auch<br />

bei uns und unsere Verbündeten Flugzeuge,<br />

Tanks usw. in Mengen hergestellt werden. – Ich


habe die Zeche aufgefordert, die Bergschäden<br />

am Hause in Augenschein zu nehmen. – Besuch<br />

beim Luftschutzbauamt wegen Lichtleitung im<br />

Keller. Ich dränge auf den baldigen Ausbau des<br />

Kellers.<br />

15.8.1942 Tagsüber einmal Alarm.<br />

Alarm <strong>von</strong> 02:45 - 03:45 Uhr Nach langer Zeit<br />

benutzen die Flieger wieder Leuchtbomben. Es<br />

wirken mehrere Flugzeuge über Essen und dem<br />

südwestlichen Gebiet. Tagsüber einmal Alarm.<br />

17.8.1942 Nachts Ruhe. – Tagsüber einmal<br />

Alarm.<br />

18.8.1942 Wir mussten in der Nacht wieder<br />

2-mal aus den Betten. Kanonendonner war<br />

nicht zu hören. Beim zweiten Alarm legen wir<br />

uns angezogen aufs Bett. Wir gehen erst nach<br />

unten, wenn wir Flakbeschuss hören. – Tagsüber<br />

3-mal Alarm <strong>von</strong> kurzer Dauer. Beim gestrigen<br />

Tagesalarm kam der Flieger näher und warf hinter<br />

Kray einige Bomben. – Mutter und Herbert<br />

sind immer noch in Ottmarsbocholt. Sie können<br />

gewiss in der Ernte dort gut gebraucht werden.<br />

Mittlerweile haben wir hier zu Hause aber<br />

auch gute Tage, können wir doch die Portionen<br />

der beiden Abwesenden mit verzehren. „Und<br />

das freut einen denn auch!“<br />

19.8.1942 Tagsüber 2-mal Alarm. Flieger<br />

hoch, wird <strong>von</strong> Flak beschossen. – Von Josef<br />

kommen zwei Briefe. Er hat jetzt die Feldpost<br />

Nr. 05584 E.<br />

20.8.1942 Gebe am Bauamt Abtretungserklärungen<br />

ab in Sache Feuerversicherung. Mutter<br />

schreibt aus O., ich solle sie <strong>von</strong> dort abholen.<br />

– An der nordfranzösischen Küste wurde<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

84<br />

bei Dieppe ein groß angelegter britisch–amerikanischer<br />

Landungsversuch abgeschlagen.<br />

26.8.1942 Am 22.8. fuhr ich nach Ottmarsbocholt,<br />

um Mutter und Herbert abzuholen.<br />

Dort verlebte ich einige ruhige Tage, besonders<br />

wohltuende ruhige Nächte, mit gutem Essen.<br />

Gestern landeten wir wieder in der Heimat. In<br />

der Nacht vorher wieder Alarm <strong>von</strong> 12 - 2 Uhr.<br />

Herbert konnte sich <strong>von</strong> dem schönen Landleben<br />

nur schwer trennen. Auch Frau Dreyer,<br />

Schwägerin Treschen und Trudi halten sich 14<br />

Tage auf dem Lande auf. – Gestern Abend war<br />

Herr Brockmeyer bei mir und bat um Abnahme<br />

des Postens als Untergruppenführer des Reichsluftschutzbundes.<br />

Ich habe zugesagt und nehme<br />

an einem zweitägigen Lehrgang in Soest teil.<br />

28.8.1942 Gestern tagsüber 2-mal Alarm.<br />

Beim zweiten Alarm lagen Herbert und ich im<br />

Schwimmbad Stadion. Hunderte <strong>von</strong> Menschen<br />

bevölkerten bei heißem Wetter das Stadion. Keiner<br />

kümmerte sich um den Alarm, es wurde ruhig<br />

weiter gebadet. In der vergangenen Nacht<br />

Alarm <strong>von</strong> 23:15 - 02:15 Uhr. Ungefähr sechs<br />

Maschinen kreisten über unserer Gegend. Es<br />

mussten wohl häufiger Tiefflüge gemacht worden<br />

sein, die kleine Flak trat in Tätigkeit. Von<br />

Westenfeld herüber hören wir Kindergeschrei,<br />

Männerstimmen und Klopfen. Was mag dort<br />

los sein? – Einschläge haben wir nicht gehört.<br />

Da sehen wir plötzlich einen Tiefflieger über<br />

Siepmanns Haus hinweg huschen, verfolgt <strong>von</strong><br />

Scheinwerfern und Flakfeuer. Schnell geht’s in<br />

die Keller hinunter. – Die Nacht ist mondhell.<br />

Herr Sommer aus Dortmund teilt mit, dass er<br />

Montag hier eintreffen will.<br />

2.9.1942 Vor einer halben Stunde war um<br />

20:00 Uhr plötzlich Fliegeralarm. Aber schon<br />

war der feindliche Flieger über uns und wurde<br />

<strong>von</strong> der Flak beschossen. Auch die Sperrballone<br />

gingen erst jetzt hoch. Dieses Flugzeug war also<br />

der Beobachtung entgangen. – Heute morgen<br />

Alarm <strong>von</strong> 12:00 - 12:30 Uhr. Übrigens haben<br />

wir ein neues Warnsignal. Fliegen drei oder weniger<br />

Flugzeuge ein, so wird das Vorwarnsignal<br />

gegeben, nämlich ein dreimaliger in gleicher<br />

Höhe gegebener Heulton. <strong>Das</strong> öffentliche Leben<br />

geht weiter, nur bei Gefahr soll sich jeder luftschutzmäßig<br />

verhalten. – Leutnant Karl Domberg<br />

ist im Ostern gefallen. – Im Nachbarhause<br />

wurden auf der Straße die kleine Ulla Spieß <strong>von</strong><br />

einem Auto überfahren. Sie erlitt schwere Hautabschürfungen<br />

und wurde dem Krankenhause<br />

zugeführt. – Vom 31.8. - 1.9. nahm ich in Soest<br />

an einem Sonderkursus für Führer <strong>von</strong> Einsatztrupps<br />

teil. Mit mir fuhr Herr Mühlhausen <strong>von</strong><br />

der Morgensonne. <strong>Das</strong> Unterkommen war dort<br />

gut, Verpflegung kriegsgemäß. Ganz Soest wimmelte<br />

<strong>von</strong> Soldaten. Von Soest brachte ich Schalen<br />

für den Kronenleuchter mit.<br />

3.9.1942 In der vergangenen Nacht Alarm<br />

<strong>von</strong> 22:30 - 1:00 Uhr, Saarlautern wurde bombardiert.<br />

Tagsüber Alarm in der Mittagszeit (Fotoflieger)<br />

4.9.1942 Schmidt zur Besichtigung der Kostüme<br />

für Montag eingeladen. Heute Nachmittag<br />

mit Opa zum Lagerraum. Es war uns aber<br />

unmöglich, festzustellen wie viele Kostüme<br />

noch vorhanden sind. H. Sommer in Dortmund<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

85<br />

benachrichtigt. Um 18 Uhr Voralarm-Signal. –<br />

Entwarnung um 18:30 Uhr.<br />

7.9.1942 Sonntagnachmittag machten Mutter<br />

und ich einen Spaziergang. Wir versuchten<br />

Horst zu erreichen und über Steele wieder zurückzukommen.<br />

Auf dem Wege nach Horst<br />

gab es Alarm. Auf dem kürzesten Wege ging es<br />

nun nach Hause. Es ist wirklich so, dass man<br />

das Haus nicht mehr verlassen kann. Auf dem<br />

Rückweg sprachen wir beim Schreiner Schröder<br />

vor wegen unserer Möbel. Seine Frau sagte uns,<br />

er wäre mit Fliegerschädenarbeit überlastet. Wir<br />

kommen zu der Gewissheit, dass unsere Möbel<br />

erst nach dem Kriege fertig gestellt werden können.<br />

Es sind zuwenig Arbeitskräfte vorhanden.<br />

– Wir kehren auch noch bei Oberbarnscheid<br />

ein. Es gibt dort zum Trinken nur ein Zitronengesöff.<br />

Wir erinnern uns, dass wir zuletzt am<br />

8. März bei Oberbarnscheid einkehrten. In der<br />

Nacht darauf war unsere Bombennacht. Soll<br />

sich das heute wiederholen? – Beinahe! – In der<br />

vergangenen Nacht war wieder allerhand los.<br />

03:15 Uhr Alarm! Über Essen wieder „Christbäume“.<br />

Später kommen einige Flugzeuge über<br />

unsere Gegend. Heftige Knallerei zeitweise über<br />

unserem Hause. Ich drücke mich in die Türnische<br />

des Lagers und warte jeden Augenblick auf<br />

Einschläge. Es geht alles gut.<br />

8.9.1942 Josef schreibt einen langen Brief<br />

aus Russland. Er zählt viele Sachen auf, die wir<br />

ihm schicken sollen. <strong>Das</strong> Fettpaket aus Ottmarsbocholt<br />

scheint er nicht bekommen zu haben.<br />

– Frau Dreyer, Schwägerin Treschen, Änne und<br />

Trudi sind <strong>von</strong> ihrer Erholungsgreise auch wie-


der heimgekehrt. Alle Hausgenossen sind nun<br />

wieder beisammen.<br />

10.9.1942 Tagsüber 2-mal Alarm. – Nachmittags<br />

bringe ich nach Aufforderung meine Militärpapiere<br />

zum Schulamt. Die Betriebe werden<br />

zwecks Erfassung noch Wehrfähiger „durchgekämmt“.<br />

– Dann mit Herrn Sommer zum Lagerraum.<br />

Auch Herr Schmidt vom Entschädigungsamt<br />

ist anwesend. Die Brauchbarkeit der<br />

Kostüme wird geprüft. Herr Sommer wird beauftragt,<br />

ein Gutachten abzugeben.<br />

11.9.1942 Angriff <strong>von</strong> 23:00 - 01:30 Uhr.<br />

Schwerer Angriff besonders in westlicher und<br />

südwestlicher Richtung. Dort auch ein großer<br />

Brand (Düsseldorf). Über Bochum sehe ich einen<br />

Engländer brennend abstürzen. Zwei Piloten<br />

lassen sich an Fallschirmen herunter. Einige<br />

Scheinwerfer stehen still und ermöglichen so<br />

die Beobachtung, wo sie niederkommen.<br />

14.9.1942 Heute Nacht 3-mal Alarm in der<br />

Zeit <strong>von</strong> 02:00 - 06:00 Uhr. Bremen wurde stark<br />

bombardiert. Abends fährt hier ein Sonderzug<br />

mit Frauen und Kindern vorbei. Es sind gewiss<br />

Obdachlose <strong>von</strong> Düsseldorf. Tagsüber 2-mal<br />

Alarm.<br />

15.9.1942 In der Zeitung lesen wir eine erfreuliche<br />

Nachricht. Ab 19.10. sollen die Rationen<br />

für Brot und Fleisch erhöht werden. Die<br />

eroberten Ostgebiete können schon liefern.<br />

17.9.1942 Heute Nacht erlebten wir den bisher<br />

stärksten Luftangriff. Ein Flugzeug wurde<br />

schon gegen 22:45 Uhr <strong>von</strong> der Flak heftig beschossen,<br />

als die Sirene ertönte und wir eiligst in<br />

unsere Kleider schlüpften und uns sofort nach<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

86<br />

unten begaben. Bei dem einen Flieger blieb es<br />

aber nicht, eine gefährliche Kanonade war aus<br />

nördlicher Richtung zu hören. Und es dauerte<br />

nicht lange, da ließ sich aus den Scheinwerferstrahlen<br />

und den explodierenden Flakgranaten<br />

erkennen, dass <strong>von</strong> dort her starke Luftkräfte<br />

heranzogen und immer näher kamen. Wir<br />

flüchteten in den Keller. Und nun begann ein<br />

Höllenkonzert. Über uns kreiste wohl über eine<br />

Stunde lang ein Flieger, dessen Brummen bald<br />

stärker, bald schwächer werdend zu hören war.<br />

Suchte er uns als sein Opfer ? – Manchmal erzittert<br />

die Erde. Durchs Kellerloch sehe ich<br />

draußen weiße und rote Feuerscheine. Es werden<br />

Brandbomben geworfen, ebenfalls Brandkanister<br />

(hinter Kohleppels Hof). Als es etwas<br />

ruhiger wird, wage ich mich nach draußen, um<br />

unser Haus nachzusehen. Ich bin überrascht.<br />

Ringsherum am Horizont ein Brandherd<br />

neben dem anderen. Ich<br />

erkenne einen Großangriff.<br />

Die Gefahr treibt mich wieder<br />

in den Keller. Nach 1 ½<br />

Stunden sind die Flugzeuge<br />

wieder verschwunden. Wir stehen<br />

alle draußen und erkennen<br />

erschaudernd das furchtbare Werk<br />

der Angreifer. Mächtige Brände wüten<br />

an mehreren Stellen in Bochum,<br />

Gelsenkirchen, Essen und Hattingen.<br />

Wattenscheid war ungeschoren geblieben.<br />

Eine schwarze Rauchwolke wälzt<br />

sich <strong>von</strong> Essen her über Gelsenkirchen.<br />

18.9.1942 Heute morgen fahre ich<br />

nach Bochum zu einer Besprechung wegen Doris<br />

in der H. Handelsschule. Die Straßen Bochums<br />

sind besät mit Glasstücken <strong>von</strong> den durch Luftdruck<br />

zerstörten Schaufensterscheiben. Manche<br />

Schulen Bochums auch die Handelsschule haben<br />

unterrichtsfrei heute, weil die Fensterscheiben<br />

zertrümmert sind. Anschließend fahre ich<br />

mit der Straßenbahn <strong>von</strong> hier aus nach Wanne.<br />

Am Bahnhof Präsident Menschenauflauf und<br />

Feuerwehrwagen. Wasserschläuche in<br />

den Wasserrinnen. Hier ist das<br />

Schadensgebiet des<br />

Angriffs.<br />

Die<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

87<br />

Häuser mehrerer Straßen zeigen ausgebrannte<br />

Dachstühle, leere Fensterhöhlen. Die Obdachlosen<br />

sind schon beim Umzug. Wie ich höre,<br />

soll auch das Augusta-Krankenhaus hinter dem<br />

Stadtgarten getroffen sein. – In Wanne<br />

haben wir eine Dienstversammlung


und hören den Vortrag eines Ritterkreuzträgers.<br />

Auf der Rückfahrt durch Gelsenkirchen sehe ich<br />

noch die Brandstätte bei Hundertmark (Kartoffelhandlung)<br />

an der Rhein-Elbe-Bahn. Getroffen<br />

wurde auch die Vikarie in Gels.-Ückendorf. Ein<br />

Zimmer brannte dort aus. – In Essen wurde das<br />

Transportlager van Eupen getroffen und brannte<br />

vollständig aus. – Ein halbes Flugzeug sollte<br />

dort auf der Straße liegen.<br />

19.9.1942 Alarm um 3 ½ Uhr – nach einer<br />

Stunde Entwarnung. Mutter und ich fahren<br />

nach Eickel. Es wurde uns mitgeteilt, dort gebe<br />

es Gardinen. Schöne Küchengardinen erhalten<br />

wir dort, aber keine Stores. Von hier aus fahren<br />

wir bis Präsident und betrachten uns die Zerstörungen<br />

dort. Ein Volltreffer ist auf den Bahnkörper<br />

gegangen, die Häuser der Umgebung sind<br />

zerstört. Wir kennen diese Häuserbilder. Frl.<br />

Große-Thie teilt mir mit, dass auch ihre Angehörigen<br />

in der Donnerstagnacht in Bottrop betroffen<br />

wurden.<br />

23.9.1942 Heute morgen wurde meine Tante<br />

Mimi Pl. In Bredeney beerdigt. Sie starb an<br />

einer Darmverschlingung. Bei dieser Gelegenheit<br />

erfuhr ich auch <strong>von</strong> den Schicksalen anderer<br />

Familienmitglieder. Wir waren nicht die<br />

einzigen, die bisher vom Kriege gezeich<strong>net</strong><br />

waren und Schaden gelitten hatten. Bei dem<br />

Bombenangriff in der vorigen Woche wurde<br />

auch meine Kusine Minchen in Essen-West obdachlos.<br />

Der Luftdruck einer Luftmiene zerstörte<br />

ihre Wohnung. Jetzt bewohnt sie zwei Zimmer<br />

in der Villa eines Zechendirektors. Meine<br />

Cousine Gertrud Pl. In Oberhausen wurde <strong>von</strong><br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

88<br />

Brandbomben heimgesucht und besitzt nichts<br />

mehr. Zur Beerdigung hatte sie sich den Mantel<br />

leihen müssen. So waren die Bombenangriffe<br />

Hauptthema der Gespräche; es herrschte große<br />

Niedergeschlagenheit, und Besorgnisse für die<br />

Zukunft wurden laut. Es war kein frohes Zusammentreffen.<br />

3.10.1942 Nach einer verhältnismäßigen ruhigen<br />

Zeit bekamen wir heute Nacht wieder Fliegerbesuch,<br />

und zwar schon früh gestern Abend<br />

22:00 Uhr. Es wurde aber nicht allzu schlimm.<br />

Die Anzahl der Scheinwerfer und Flakgeschütze<br />

ist vermehrt worden. Während des nächtlichen<br />

Angriffs, in der Hauptsache über Essen,<br />

fliegt ein Flugzeug in niedriger Höhe mit lautem<br />

Gebrumm über unser Haus, heftig beschossen<br />

<strong>von</strong> der Flak. Ich duckte mich im Schuppen vor<br />

dem Bersten und Zerkrachen der Flakgranaten<br />

über mir. In den zerstörten Lagerraum über mir<br />

ergießt sich hörbar der Splitterregen. <strong>Das</strong> Flugzeug<br />

dreht nach Dahlhausen ab und fällt dort<br />

zu Boden. Ein roter Feuerschein ließ dort den<br />

Absturz erkennen.<br />

Heute morgen erschien in meiner Klasse mein<br />

Schulleiter Matzke und überreichte mir im Auftrage<br />

der Behörde das Verdienstkreuz für 25 jähriger<br />

Berufsarbeit. Wieder ein Orden mehr!<br />

4.10.1942 Aufmunternde Rede Görings am<br />

Erntedanktage: Hinweis auf eine Verbesserung<br />

der Ernährungslage – die Altersversorgung der<br />

Bergleute soll verbessert werden.<br />

7.10.1942 Nachdem am Tage 3-mal Voralarm<br />

war, erfolgte ein Nachtangriff mit einigen Flugzeugen<br />

<strong>von</strong> 22:00 bis 23:45 Uhr. In Osnabrück<br />

wurden schwere Schäden angerichtet. Heute<br />

hatten wir keinen Tagesalarm. – Immer noch<br />

haben wir sonnige Herbsttage . Man könnte fast<br />

den Krieg vergessen. Die Kartoffelernte ist reichlich,<br />

jedenfalls besser als in den letzten Jahren,<br />

und das anhaltende günstige trockene Wetter<br />

begünstigte Ernte, Lagerung und Verteilung.<br />

16.10.1942 Gestern Abend kam Willi Schw.<br />

unerwartet für drei Wochen in Urlaub. An der<br />

Grenze bekam er auch das <strong>von</strong> Göring in seiner<br />

großen Rede erwähnte Soldatenpaket. Es<br />

enthielt eine lange Dauerwurst, 2 Pfund gute<br />

Butter, 5 Pfund Graupen... – Bereits um 22 Uhr<br />

ertönte Flugalarm. Hinter Essen ließ aufblitzendes<br />

Flakfeuer auf breiter Front auf einen Großangriff<br />

schließen. Über unser Gebiet flog nur ein<br />

Flugzeug, Schaden wurde in einigen rheinischen<br />

Städten angerichtet, 22 Bomber abgeschossen. –<br />

Von der Geschäftsstelle des RLB habe ich einen<br />

elektrischen Heizofen für den Luftschutzkeller<br />

abholen lassen. – Am Bauamt beantragte ich<br />

Reparaturarbeiten an der Waschküche. Darauf<br />

erschien zur Besichtigung Wirt Nolde. Heute<br />

Nachmittag gratulierten Mutter, Herbert und<br />

ich Hetti Hötte zum Namenstage. Sie erzählte<br />

folgenden bezeichnenden Vorfall vom kleinen<br />

Reimund (3 Jahre): Beim Abendessen aß R. seine<br />

Bratkartoffeln vom Tellerchen. Mit seinem Löffelchen<br />

rührte er auf dem Tellerboden umher<br />

und sang dabei: „Spe-e-eck, wo bist du?“ dass<br />

Fett heute bei uns knapp ist und sehr begehrt<br />

wird, kommt auch schon den Kleinsten zum Bewusstsein.<br />

– Josef liegt noch immer hinter der<br />

Moskaufront. Er schreibt fleißig, schreibt aber<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

89<br />

nichts <strong>von</strong> seinem Aufenthaltsort oder seinem<br />

Leben und Treiben, hat nur immer besondere<br />

Wünsche. – Von Ottmarsbocholt haben wir einen<br />

Korb voll Birnen bekommen.<br />

19.10.1942 Einmal Tagesalarm ohne Bedeutung.<br />

– Heute morgen Mutter, Herbert und ich<br />

beim Facharzt Dr. Tölle in Gelsenkirchen. Herbert<br />

wurde eine dritte Mandel (Polypen) weggenommen.<br />

Diese war bereits entzündet und in<br />

einem weichen Zustand. Es war ihm nach der<br />

Operation elend zumute. Bei mir machte Dr.<br />

Tölle an meinen Ohren den letzten Versuch<br />

mit negativem Erfolg. Meine Schwerhörigkeit<br />

ist wohl nicht mehr zu beseitigen. Nachmittags<br />

liegen wir beide mit brummenden Schädeln auf<br />

dem Rücken. – Noch eine Neuigkeit erfährt das<br />

geplagte Haus. Frau Dreyer hat <strong>von</strong> August die<br />

Nachricht erhalten, dass er sich auf der Reise<br />

nach Deutschland befinde. Vor Stalingrad hat<br />

er sich einen eingeklemmten Bruch geholt und<br />

ist nach beschwerlicher Fahrt per Auto, Flugzeug<br />

und Zug in Krakau gelandet. Dort warte er<br />

auf Weiterbeförderung. Grund zu Besorgnissen<br />

wäre nicht gegeben.<br />

20.10.1942 Josef schrieb heute, er wäre in<br />

russisches Maschinengewehrfeuer hineingeraten<br />

und hätte sich durch einen Sprung in den<br />

Graben geschützt.<br />

2.11.1942 Heute wurde die Schadensangelegenheit<br />

betr. Kostüme verhandelt. Opa und<br />

ich waren bei Herrn Schmidt in der Steinstraße.<br />

Gleich zu Beginn teilte Herr Schmidt mit, dass<br />

man beschlossen habe, die schon früher <strong>von</strong><br />

mir vorgeschlagene Entschädigungssumme zu


zahlen. <strong>Das</strong> Schadensamt hatte auch durch den<br />

Gutachter Herrn Metzner vom Stadttheater Bochum<br />

die Kostüme besichtigen und beurteilen<br />

lassen, der auch diese Summe vorschlug. <strong>Das</strong><br />

Gutachten des Herrn Sommer wurde nicht anerkannt.<br />

– Daraufhin erklärte ich die angebotene<br />

Entschädigungssumme als zu gering. Ich legte<br />

eine neue Schadensliste vor mit Minderwertsangaben<br />

und gab eine genauere Erläuterung der<br />

Schäden. Ein Vermittlungsvorschlag meinerseits<br />

wurde nun zu Protokoll genommen.<br />

3.11.1942 Herbert ist wieder hergestellt, er<br />

macht seinen letzten Arztbesuch. Beim Glasgeschäft<br />

Heidtmann holen wir sechs Drahtfensterscheiben<br />

für die Kellerfenster und bringen sie<br />

nach Preute. Dort besehen wir uns den reparierten<br />

Dauerbrandofen, den wir in nächster Zeit<br />

abholen wollen.<br />

4.11.1942 Willis Urlaub ist abgelaufen, er<br />

fährt heute Mittag wieder zur Front.<br />

5.11.1942 Herr Schmidt teilt mir mit, dass<br />

wir in der Steinstraße noch mal vorsprechen<br />

möchten, da er das Verhandlungsprotokoll anders<br />

gefasst habe. – Unser Klempner Schoppmann<br />

wird benachrichtigt, er solle die Gasöfen<br />

anschließen.<br />

10.11.1942 Mit Wittlichs Fuhrwerk hole ich<br />

den reparierten Dauerbrandofen (72,- RM) ab,<br />

dazu Ofenrohre, Drahtglas für Kellerfenster und<br />

einige Scheiben für Schwägerin Treschen. Unterwegs<br />

hat Josef Wittlich noch das Unglück,<br />

mit einem Auto in der Dunkelheit zusammenzustoßen.<br />

Die geladenen Sachen blieben allerdings<br />

unbeschädigt.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

90<br />

12.11.1942 Opa und ich machten unseren<br />

Besuch bei Schmidt. <strong>Das</strong> Protokoll unserer letzten<br />

Verhandlung war anders gefasst worden<br />

und musste unterschrieben werden. Bei dieser<br />

Gelegenheit brachte ich auch die Angelegenheit<br />

der Radiolieferung zur Sprache. Herr Schmidt<br />

rief das Geschäft Hardtke dieserhalb an und erhielt<br />

den Bescheid, dass für mich ein Gerät angekommen<br />

wäre, das aber nicht intakt sei. Ich<br />

begab mich gleich dorthin und musste auch<br />

feststellen, das der Klang unsauber war. Deshalb<br />

verzichtete ich auf den Apparat. Dabei hatte ich<br />

aber den leisen Verdacht, dass Hardtke das Radiogerät<br />

einem guten Bekannten in die Hände<br />

spielen wollte. Ich gab der Geschäftsfrau zu verstehen,<br />

das ich nun lange genug gewartet hätte<br />

und dass ich mich direkt an die Rundfunkabteilung<br />

des Propagandaministeriums wenden würde,<br />

berufend auf eine Rundfunkerklärung des<br />

Ministerialdirektors Fritsche, wonach für Bombengeschädigte<br />

Rundfunkgeräte bereitgestellt<br />

wären. Bis Weihnachten hoffe ich im Besitze<br />

eines Gerätes zu sein.<br />

13.11.1942 Hetti Hötte hat sich in Krankenhausbehandlung<br />

begeben. Eine Untersuchung<br />

hat Gallensteine und Gallenleiden festgestellt.<br />

In der nächsten Woche soll sie operiert werden.<br />

Wir haben sie Mittwoch Nachmittag besucht;<br />

im übrigen muss sie Ruhe haben.<br />

14.11.1942 Für den Kollegen Willi Röth soll<br />

eine andere Lehrkraft zum Osten versetzt werden.<br />

Unser Schulrat ist auf der Suche nach einer<br />

Ersatzkraft. Auch ich stehe auf der Ostliste,<br />

und zwar an 16. Stelle. Augenblicklich wehrt<br />

sich Kollege Rumpf. W. Röth ist in Bromberg<br />

beschäftigt. Seine Frau kann dort angeblich das<br />

Klima nicht vertragen<br />

15.11.1942 Meine Namenstagsfeier findet<br />

im kleinen gemütlichen Rahmen statt. Es gibt<br />

auch noch leckeren Kuchen.<br />

16.11.1942 Vikar Wilmsen gratuliert und<br />

erzählt mir vom Heldentod des Karlh. Stötzel<br />

aus Sevinghausen. Ich habe ihn früher in der<br />

Schule gehabt. Er machte auf der Oberschule<br />

gute Fortschritte und hatte das Abitur gemacht.<br />

Leid tun mir die Eltern, die sich einschränken<br />

mussten, um das Studium zu ermöglichen. Der<br />

Junge war gewiss die Hoffnung des Vaters. Die<br />

Mutter starb im vorigen Jahr. Der Krieg fordert<br />

seine Opfer, bei manchen ist es riesengroß. Bei<br />

all diesen Nachrichten wandern unsere Gedanken<br />

zu den Soldaten des Hauses.<br />

19.11.1942 Oma Plaßmann hat Namenstag<br />

im üblichen Rahmen. Mein Bruder Ferdinand<br />

ist an einigen Tagen wehrmäßig ausgebildet<br />

worden und wartet auf seine Einberufung zur<br />

Verwendung als Lokführer in Frankreich.<br />

20.11.1942 Zusammenkunft der Untergruppenführer<br />

des RLB. Im Geschäftszimmer in<br />

Höntrop. Bei dieser Gelegenheit werde ich zum<br />

Stellvertreter Uf. vereidigt.<br />

21.11.1942 <strong>Das</strong> Gerücht ist im Umlauf, dass<br />

die Jahrgänge <strong>von</strong> 1893 - 1903 zum Dienst bei<br />

der Flak ausgebildet und verpflichtet würden.<br />

26.11.1942 Frau Dreyer und Tochter Gertrud<br />

begeben sich auf die Reise nach Radeberg<br />

bei Dresden, um dort im Lazarett August Dreyer<br />

zu besuchen. Für ihn wird voraussichtlich der<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

91<br />

Krieg wohl zu Ende sein.<br />

27.11.1942 Opa hat heute seinen 80. Geburtstag.<br />

Wir gratulierten recht herzlich. Die<br />

Geburtstagsfeier findet am kommenden Sonntag<br />

statt.<br />

28.11.1942 Hetti Hötte wurde operiert. Die<br />

Operation ist gut verlaufen. Nach anfänglichen<br />

Schmerzen besserte sich ihr Zustand <strong>von</strong> Tag zu<br />

Tag.<br />

9.12.1942 Ich habe nun die Ehre, auch wieder<br />

aktiv an Deutschlands Kampf teilzunehmen.<br />

Zu Anfang des Krieges wurde ich in der militärischen<br />

Untersuchung als dienstuntauglich bezeich<strong>net</strong><br />

und bekam den Ausmusterungsschein.<br />

Zu meinem Erstaunen bekam ich nun in der<br />

vorigen Woche den Bescheid, dass ich für die<br />

Heimatflak vorgesehen sei und am Sonntag,<br />

dem 6.12., zu einem Appell im ev. Vereinshaus<br />

zu erscheinen habe. Von der örtlichen Parteileitung<br />

war dem Wehramt eine Namensliste derjenigen<br />

Personen eingereicht worden, die nachts<br />

arbeitsfrei sind und für diesen Zweck wohl in<br />

Frage kamen. Mit mir bekamen auch eine Einberufung:<br />

Düsenberg, Lange, Hammer, Lüking,<br />

Stüven, Menne, Westermann. In Bochum waren<br />

ungefähr 60 Wattenscheider beim Appell<br />

vertreten (nur aus den Bezirken Westenfeld und<br />

Höntrop). Der Saal war angefüllt mit einigen<br />

Hundert meist bejahrter Zivilisten (Bochum).<br />

Ich möchte, ich könnte ihre Gedanken ergründen!<br />

– Nach Aufnahme der Personalien und der<br />

Einteilung folgt die Ansprache eines Flak-Hauptmannes,<br />

der auf die Bedeutung des Einsatzes<br />

und unsere Pflichten hinweist. Wir sollen in der


Heimat die leichte Flak bedienen. Die aktive Bedienungsmannschaft<br />

wird dadurch freigemacht<br />

für eine Verwendung an der Front. Am Schluss<br />

der Ansprache werden diejenigen zurückgehalten,<br />

die glauben, dem Dienste nicht gewachsen<br />

zu sein. Auch ich stelle mich dem Unterarzt<br />

vor. Ich zeige meinen Ausmusterungsschein (es<br />

sollten nur Wehrfähige und Freiwillige genommen<br />

werden. – Demnach hatte man mich wohl<br />

gleich als Freiwilligen einberufen) und meinen<br />

Rentenbescheid vor. Gleichzeitig weise ich darauf<br />

hin, dass mein linker Arm durch Kriegsbeschädigung<br />

bewegungsbehindert und schwach<br />

sei. Der Unterarzt nahm eine Druckprobe, überzeugte<br />

sich <strong>von</strong> der Schwäche, meinte dann<br />

aber, ich sei Rechtshänder, die könne man auch<br />

gebrauchen. Damit war ich als diensttauglich<br />

entlassen. – Schon zwei Tage später begann unsere<br />

Ausbildung. Mit 18 „Auserwählten“ hatten<br />

wir zwei Stunden Unterricht <strong>von</strong> 15 bis 17 Uhr<br />

in einer Mannschaftsbaracke bei Vietings Hof.<br />

Da saß ich wieder auf dem bekannten Schemel<br />

vor dem gestrengen Herrn Unteroffizier. Meine<br />

Gedanken gingen 26 Jahre zurück in meine<br />

Lemgoer Rekrutenzeit; ich zog Parallelen. Es<br />

war wieder genauso wie damals. Der Unteroffizier<br />

bemühte sich wieder, alle seine pädagogischen<br />

Raffinessen und seinen „Wortreichtum“<br />

anwendend, uns die Pflichten eines guten Soldaten<br />

einzuhämmern. – „Ich glaube, jeder hat´s<br />

jetzt verstanden, dann brauchen wir nicht mehr<br />

darüber zu reden. Oder hat jemand noch eine<br />

Frage?“ – Unser Unteroffizier [(er stellte vorher<br />

fest, dass ich sein Kollege bin, erwähnt es auch,<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

92<br />

verlangt aber, dass wir uns unterordnen müssen<br />

– (ich gönne ihm seinen Posten)] quält sich<br />

durch die beiden Stunden, im übrigen scheint<br />

er ein anständiger Kerl zu sein.<br />

13.12.1942 Am vergangenen Freitag hatte<br />

ich meine zweite Instruktionsstunde als Flakmann.<br />

Während des Vortrags über die augenblickliche<br />

politische Lage erschien auch der<br />

Oberleutnant und sprach zu uns über Kameradschaft.<br />

Der Unteroffizier verlas dann einige<br />

ablehnende Bescheide <strong>von</strong> Gesuchen einiger<br />

Flakmänner um Freistellung und stellte dann<br />

die Frage, wer diensttauglich sei. Diese Frage<br />

hatte ich überhört und wünschte Wiederholung<br />

der Frage. Daraufhin erhob ich den Finger und<br />

zeigte ihm meinen Ausmusterungsschein und<br />

Rentenbescheid. Der Unteroffizier war erstaunt,<br />

dass ich als Unberufener dazwischen saß und<br />

gab mir zu verstehen, dass ich wohl in Zukunft<br />

für den Flakdienst nicht in Frage käme; ich solle<br />

zur Vereidigung am Sonntag aber erscheinen. –<br />

Heute war nun die feierliche Vereidigung. Mit<br />

Düsenberg besuchte ich die 7-Uhr- Messe in<br />

Höntrop, wir verweilen noch eine ½ Stunde in<br />

Konrad Westermanns Wohnung , fahren mit der<br />

Straßenbahn nach Bochum und stehen auf dem<br />

Barreplatz zur Vereidigung angetreten, ungefähr<br />

400 Flakmänner – in Zivil. Da sieht mich der<br />

Unteroffizier, öff<strong>net</strong> seine Aktenmappe, reicht<br />

mir meine Papiere und teilt mir meine sofortige<br />

Entlassung mit. Damit war mein Soldatentraum<br />

ausgeträumt! Was hätte ich noch alles werden<br />

können?! – Nun scheint mir aber meine Tätigkeit<br />

im Luftschutz auch ehrenvoll zu sein.<br />

15.12.1942 Wir bekamen heute zwei erfreuliche<br />

Mitteilungen. Die eine Nachricht kam<br />

<strong>von</strong> der Feststellungsbehörde und teilte uns die<br />

Höhe der Entschädigungssumme mit, die wir<br />

gewünscht hatten. <strong>Das</strong> andere Schreiben kam<br />

vom Finanzamt und benachrichtigte, dass der<br />

Abgeltungsbetrag für die Hauszinssteuer 700<br />

RM betrage (50% Ermäßigung). Die Entschädigungssumme<br />

würde aber erst später ausgezahlt.<br />

17.12.1942 Doris wird auf dem Arbeitsamt<br />

vorstellig und erkundigt sich nach Ableistung<br />

des Pflichtjahres und des Arbeitsdienstes ab Ostern<br />

1943.<br />

18.12.1942 Beginn der Weihnachtsferien.<br />

Sie sind wegen Kohlenersparnis bis zum 22. Januar<br />

verlängert worden. Vom 3. Januar ab müssen<br />

sich die Lehrpersonen der Stadtverwaltung<br />

zur Verfügung stellen. Ich habe bereits den Auftrag,<br />

am 4., 5. und 6. Januar in der Kartenausgabe<br />

zu helfen. – Der Feststellungsbehörde habe<br />

ich ein Gesuch Opas eingereicht, schon jetzt<br />

3000,- RM auszuzahlen.<br />

20.12.1942 Tagsüber 2-mal Alarm Schon am<br />

Nachmittag drückte ich die Befürchtung eines<br />

Luftangriffs aus. Die Nacht war mondhell. Gegen<br />

19:45 Uhr ertönte die Sirene. Ich eile nach<br />

draußen und sehe über Essen wohl 100 Leuchtkugeln<br />

stehen. Es scheint ein Großangriff bevorzustehen<br />

und nach langer Zeit müssen wir mal<br />

wieder den Keller aufsuchen. Der Angriff bleibt<br />

auf Essen beschränkt, nur ein Flugzeug überfliegt<br />

in großer Höhe unser Gebiet, kräftig beschossen.<br />

Über Kray wird ein Brite getroffen und zerbirst<br />

mit gewaltigem rotem Schein. Etwas neues stel-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

93<br />

le ich fest. Wir scheinen neue Flakgranaten zu<br />

benutzen. Die Streuwirkung schein gefährlicher<br />

geworden zu sein. Die Sprengstücke fliegen bei<br />

der Explosion leuchtend auseinander wie die<br />

Teile eines explodierenden Feuerwerkskörpers.<br />

Schon nach kurzer Zeit verschwinden die Flugzeuge<br />

wieder. – Nach dem Heeresbericht am folgenden<br />

Tage wurde besonders wieder Duisburg<br />

stark bombardiert.<br />

21.12.1942 Vier Tage vor Weihnachten. Der<br />

Krieg hat allem seinen Stempel aufgedrückt.<br />

Wo sind die herrlichen Weihnachtsauslagen?<br />

Was soll man schenken? Es ist aber auch nichts<br />

vorhanden an Geschenkartikeln. Durch Anzeigen<br />

in den Zeitungen versuchen einige durch<br />

Tausch in den Besitz <strong>von</strong> Geschenkartikeln,<br />

wenn auch gebraucht, zu kommen. Besonders<br />

begehrt werden Puppen und Puppenwagen.<br />

Manche wünschen gegen Tausch ein schlachtreifes<br />

Kaninchen. Diese denken vor allem an<br />

ihren Magen und wünschen diesem eine besondere<br />

Festesfreude. – Es mag möglich sein,<br />

dass durch die zeitbedingte Einschränkung des<br />

äußeren Weihnachtsglanzes bei manchen eine<br />

innere Feier stattfindet und manchem der tiefere<br />

Sinn des Weihnachtsfestes aufgeht. – Man<br />

kommt doch jetzt öfter als früher in melancholische<br />

Stimmungen. Inmitten des Sterbens jüngerer<br />

Bekannter, in täglicher Not und Sorge, vor<br />

sich eine ungewisse Zukunft, fragt man mehr<br />

als sonst nach dem Sinn des Lebens. Warum<br />

und Wofür? – Wie ist das möglich? –<br />

Es hat sogar Schnaps gegeben, 0,7 l pro Person.<br />

Und weil Schnaps ausgegeben wurde, sah man


nach langer Zeit auch mal wieder torkelnde Alkoholleichen.<br />

<strong>Das</strong> brachte etwas Abwechslung.<br />

22.12.1942 W. Düsenberg, J. Betken und<br />

ich waren heute in Köln. Zweck unserer Reise<br />

war die Besichtigung der Fliegerschäden. Mit einem<br />

schlechten Gewissen begannen wir unsere<br />

Fahrt. Zu durchgehenden Zügen war eine Zulassungskarte<br />

erforderlich und im übrigen sollte<br />

auch jedes Reisen unterlassen werden nach dem<br />

Grundsatze: „Erst siegen – dann reisen“. An jeder<br />

Lokomotive war dieser Satz zu lesen. Zu unserer<br />

Entschuldigung konnten wir aber angeben, dass<br />

wir im Interesse des Luftschutzes Erfahrungen<br />

sammeln wollten. In Etappen gelangten wir in<br />

Personenzügen zum Ziel, in übervollen Abteilen.<br />

Köln bot ein Bild der Verwüstung und Zerstörung,<br />

besonders in der Gegend des Neumarktes<br />

und der St. Gereonskirche. Unversehrt zwischen<br />

Häuserruinen blieben das Rathaus und auch<br />

der Hauptbahnhof und der Dom. Schon gegen<br />

17 Uhr traten wir die Rückfahrt an mit der Befürchtung,<br />

abends nicht wieder zurückzukommen<br />

oder <strong>von</strong> einem Fliegerangriff überrascht<br />

zu werden. Wir kamen aber leidlich gut wieder<br />

in der Heimat an. Ich hatte eben das Haus betreten,<br />

als die Sirene ertönte. Große Befriedigung<br />

meinerseits, ein Flugzeug überflog unser Gebiet<br />

und wurde heftig beschossen.<br />

23.12.1942 Nachmittags auf dem Wirtschaftsamt<br />

– Kleiderkarten geschrieben!<br />

24.12.1942 Heiliger Abend! – Der Christbaum<br />

ist geschmückt, die Krippe ist aufgebaut<br />

– meine Zeilen werden begleitet <strong>von</strong> den ewigen<br />

schönen Melodien des „Stille Nacht, heilige<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

94<br />

Nacht“, die aus dem Radio ertönen. Unfassbar<br />

erscheint es mir, dass es das vierte Kriegsweihnachtsfest<br />

ist. Es ist das zweite Weihnachtsfest,<br />

das wir ohne unseren Josef feiern müssen. Heute<br />

morgen kamen seine Weihnachtsgrüße <strong>von</strong> der<br />

Ostfront ins Haus. Wie gerne möchte er wieder<br />

den Heiligen Abend zu Hause zubringen und<br />

den Klängen der Kölner Domorgel lauschen, gespielt<br />

vom Domorganisten Hans Bachem! <strong>Das</strong><br />

Haus auf dem Spitzberg wird eine stille Weihnacht<br />

feiern. – Abends ist Bescherung bei Onkel<br />

Tom. Für jeden war etwa da. Dem Christkindchen<br />

war es gewiss schwer gefallen, in dieser armen<br />

Zeit alle diese jetzt raren Artikel, wie Kämme,<br />

Nadeln, Briefpapier usw. zu ergattern. Für<br />

einen kleinen Kamm musste man stundenlang<br />

vor dem Kauf „Reihe stehen“. – Der Feind und<br />

der Krieg stören sich nicht an einem „Heiligen<br />

Abend“. Während wir in unserer Häuslichkeit<br />

an das Wort „Friede den Menschen auf Erden...“<br />

– erinnert werden, ertönt nun draußen<br />

die Alarmsirene wie zum Hohn und ruft uns<br />

die raue Wirklichkeit zurück. An diesem Abend<br />

wurden einige Bomben in Westdeutschland abgeworfen.<br />

Von Christi und der Engel Mahnruf<br />

ist die Welt meilenweit entfernt - trotz Kultur<br />

und Fortschritt des Geistes und Wissens.<br />

25.12.1942 Wir besuchen die Uchte um<br />

6:00 Uhr in Sevinghausen, - danach ist kleine<br />

Bescherung. Auch für uns hatte das Christkind<br />

noch einige kleine Gaben. Herbert erhielt<br />

ein Domino-Spiel, zwei Oberhemden, ein Paar<br />

Handschuhe und eine Skimütze – Doris ein Paar<br />

Handschuhe, eine Halskette. Vater erhielt wie<br />

immer Rauchmaterial, ein Paar Pantoffeln, <strong>von</strong><br />

Herbert ein Feuerzeug, Hosenspanner, einen<br />

Kamm, und <strong>von</strong> Doris einen Taschenkalender<br />

- Mutter erhielt ein Paar Handschuhe, <strong>von</strong> Herbert<br />

einen Holzrührer, einen Fingerhut, Knöpfe<br />

und drei kleine Kakteen (Übrigens hatte das<br />

Christkindchen diese Sachen schon einige Tage<br />

vorher der Mutter übergeben aus lauter Zorn<br />

über eine Bestrafung mit dem Besenstiel). – <strong>Das</strong><br />

Wetter am Weihnachtstage war milde und sonnig.<br />

– Am 2. Weihnachtstage machten wir unseren<br />

Besuch bei der Oma. Am folgenden Morgen<br />

fuhr Doris nach Drohne, wo sie in den Sommerferien<br />

ihren Ernteeinsatz leistete.<br />

27.12.1942 Für Opa zahlte ich den Abgeltungsbetrag<br />

für die Hauszinssteuer ein.<br />

28.12.1942 Dem Herrn Zumbro vom Wirtschaftsamt<br />

übergab ich meinen Antrag auf Ausstellung<br />

eines Bezugscheines für ein Radiogerät.<br />

29.12.1942 Morgens nahm ich mit Herbert<br />

an der Beerdigung <strong>von</strong> Studienrat Schauerte<br />

teil. Der Winter hat sich über Nacht eingestellt<br />

mit Frost und Schneetreiben. Auf dem Friedhof<br />

war es in der Kälte sehr ungemütlich. – Eine<br />

neue Gefahr hat sich für mich aufgetan, nämlich<br />

die Versetzung nach dem Osten. Ich stehe<br />

auf der Ostliste an 16. Stelle. Heute musste ich<br />

eine Erklärung unterschreiben, dass ich mit keinem<br />

Bewohner der unter deutschem Schutz stehenden<br />

Ostgebiete versippt bin. Was wird nun<br />

daraus werden?<br />

31.12.1942 Silvesterabend! – Zum guten<br />

Schluss kommt noch mal der Tommy und treibt<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

95<br />

uns für eine kurze Zeit noch in den Keller. Dann<br />

geht ein schweres Jahr für uns zu Ende. Unsere<br />

Gedanken gehen noch einmal zurück zum 9.<br />

März, wir erinnern uns dieser Schreckenstage,<br />

die uns unvergesslich bleiben werden. Noch immer<br />

zeigt das Haus die Spuren der Heimsuchung,<br />

aber es steht immer noch fest und aufrecht,<br />

gibt uns eine Heimstatt und ist bereit, weiteren<br />

Stürmen zu trotzen. Wir bleiben auf bis nach<br />

Mitternacht und beim Beginn des neuen Jahres<br />

erklingt wieder vertrauensvoll das Loblied „Großer<br />

Gott wir loben Dich“.<br />

1.1.1943 So beginnen wir 1943 mit der großen<br />

Hoffnung im Herzen, dass uns das neue<br />

Jahr den heißersehnten Frieden und den Sieg<br />

bringen möge. Draußen an der Ostfront steht<br />

unser Heer in harten Abwehrkämpfen, ebenso<br />

in Nordafrika.<br />

4.1.1943 Gestern Abend <strong>von</strong> 19:45 – 20:15<br />

Uhr Fliegerangriff. Wir hören Bomben in Freisenbruch,<br />

Kray einschlagen . Althoff in Essen<br />

ausgebrannt. Eine mächtige Rauchwolke zieht<br />

über uns nach Osten.<br />

5.1.1943 Gestern Abend wie am Vortag Fliegerbesuch,<br />

schätzungsweise sechs Flugzeuge<br />

über uns. Mittelpunkt des Hauptangriffs weiter<br />

im Westen. Die angerichteten Schäden wird<br />

man erst später gewahr. Mutter und Doris besuchen<br />

Maria Hagedorn in Werden. Sie wollen<br />

wieder früh zu Hause sein. Meine Ferienzeit benutze<br />

ich zum Schreiben <strong>von</strong> Karteikarten für<br />

den Luftschutz.<br />

Auch ein Zeichen der Zeit: Man machte früher<br />

gelegentlich die witzige und als übertrieben an-


gesehene Bemerkung, das Kind kenne seinen<br />

Vater nicht mehr. Jetzt ist diese Möglichkeit<br />

nach dreijähriger Kriegsdauer wohl gegeben.<br />

Die drei- und vierjährigen Kinder haben ein ungenaues<br />

Bild ihres Soldatenvaters. Sie kennen<br />

ihn nur <strong>von</strong> Bildern oder haben ihn in seinem<br />

kurzen Urlaub gesehen. Dr. Martin soll in Urlaub<br />

kommen. Man spricht in der Familie <strong>von</strong><br />

seinem Kommen. An der Wand des Wohnzimmers<br />

hängen zwei Bilder <strong>von</strong> ihm, eines aus<br />

seiner Jugendzeit, ein anderes aus den letzten<br />

Jahren vor dem Krieg. <strong>Das</strong> vierjährige Söhnchen<br />

zeigt auf diese Bilder und fragt die Mutter:<br />

„Welcher Vater kommt denn in Urlaub, dieser<br />

da oder der andere mit der Glatze?“ Als der Vater<br />

nun in Uniform ankommt, begrüßt ihn der<br />

Sohn befremdend mit: „Tag, Onkel Soldat!“ Erst<br />

in Zivil erkennt er allmählich seinen Vater wieder.<br />

So oder ähnlich geht es auch in anderen<br />

Familien zu.<br />

6.1.1943 Der Dreikönigstag ist kein Feiertag<br />

mehr. Überall wird gearbeitet und geschafft.<br />

8.1.1943 Morgens 5 ½ Uhr werden wir schon<br />

munter gemacht und müssen in den Keller. In<br />

Essen waren Häuserschäden und Tote. Abends<br />

bereits um 19 Uhr wieder Alarm und Fliegerbesuch.<br />

9.1.1943 Gegen 12 Uhr Voralarm.<br />

14.1.1943 Jeden Tag hatten wie Fliegerbesuch.<br />

Pünktlich gegen 19 Uhr stellen sie sich<br />

ein und verschwinden wieder nach einer halbstündigen<br />

Bombardierung. Gestern hatten wir<br />

wieder einen schlimmen Tag. Schon morgens<br />

um 6 Uhr mussten wir in den Keller. Bochum<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

96<br />

bekam Brandbomben. Auch die Klassenlehrerin<br />

<strong>von</strong> Doris bekam den Brand in die Wohnung.<br />

Die Schülerinnen leisteten ihr Hilfe. Die meisten<br />

Angriffe richten sich gegen Essen, Borbeck...<br />

Gestern Abend erschienen zahlreiche Flieger<br />

gegen 19 Uhr (noch etwas früher). Wir saßen<br />

ängstlich im Keller und hörten andauernd das<br />

Motorengebrumm der feindlichen Flieger über<br />

uns. Auf der Verbandsstraße funkte mit lautem<br />

Geknall die fahrbare Flak. Die Erde zittert<br />

vom Einschlag schwerer Fliegerbomben und<br />

lässt uns niederducken. Die Einschläge können<br />

nicht weit liegen. Durchs Kellerfenster bemerke<br />

ich das weiße Aufleuchten explodierender<br />

Brandbomben. Ich werfe hin und wieder einen<br />

Blick den Flurraum hinauf und achte auf<br />

Lichtschein. Nach einer halben Stunde verebbt<br />

das Flakfeuer. Die Flieger sind verschwunden.<br />

In Richtung Gelsenkirchen – Essen erkennen<br />

wir zahlreiche Brände, besonders in Gelsenkirchen<br />

ist ein Großbrand ausgebrochen, der am<br />

heutigen Morgen noch nicht gelöscht ist. Auf<br />

Wattenscheider Gebiet sind allein 17 Bomben<br />

geworfen worden, da<strong>von</strong> allein drei Luftminen.<br />

Zwei da<strong>von</strong> fielen in der Nähe <strong>von</strong> Kolleppel,<br />

größeren Schaden haben sie nicht angerichtet,<br />

weil sie zumeist aufs freie Feld fielen. – Ich höre<br />

nachträglich, dass auf Wattenscheider Gebiet<br />

nur eine Bombe fiel, alle anderen jenseits der<br />

Stadtgrenze. Beschädigt wurde das Umformergebäude<br />

in Leithe. Tragisch war das Schicksal<br />

einer Familie in Eiberg. Der Vater ist an der Ostfront,<br />

die Frau mit ihrer Tante und fünf Kindern<br />

im Luftschutzkeller. Beide Frauen wollten aus<br />

der Wohnung noch etwas holen und wurden<br />

dabei durch eine einschlagende Bombe getötet.<br />

Die fünf Kinder mussten dem Waisenhaus zugeführt<br />

werden. Der Krieg schlägt täglich hart zu.<br />

15.1.1943 Herr Horstmann vom Bauamt<br />

und ein Vertreter der Feuerversicherung sind<br />

erschienen und regeln den Brandschaden. Herr<br />

Horstmann sieht zu, dass die Stadt nicht zu kurz<br />

kommt. Hinterher trinken wir einige Schnäpse,<br />

die mir wegen allzu guter Qualität nicht besonders<br />

gut bekommen. – Zum Schluss zeige ich<br />

Herrn Horstmann die neu entstandenen Risse<br />

im Hause. – Nachmittags nahm ich an einem<br />

Appell des RLB. Teil und bekomme die Aufgabe,<br />

die stattfindenden Ausbildungskurse <strong>von</strong> der U.<br />

Gruppe zu beschicken. Nachts zu ungewohnter<br />

Zeit um 23:30 Uhr Luftalarm ohne Flieger.<br />

16.1.1943 Wieder fährt ein Zug mit Obdachlosen<br />

aus dem Westen in östlicher Richtung in<br />

ungefährdete Gebiete. Es ist möglich, dass bei<br />

verstärkter Fortführung der Luftangriffe eine<br />

allgemeine Evakuierung erfolgen wird, wenigstens<br />

der Frauen und Kinder.<br />

19.1.1943 In der Nacht <strong>von</strong> Samstag auf<br />

Sonntag, ebenso <strong>von</strong> Sonntag auf Montag griff<br />

der Engländer nach langer Zeit mal wieder Berlin<br />

an. Es wurden Spreng- und Brandbomben<br />

geworfen. 26 Bomber wurden abgeschossen,<br />

zumeist viermotorige. – Mit Opa war ich heute<br />

auf dem Feststellungsbüro beim Herrn Schmidt;<br />

wir regelten die Anzahlung der beantragten Entschädigungsteilsumme<br />

und erörterten auch die<br />

Lieferung meines Radiogerätes. In dieser Sache<br />

haben wir ausgesprochenes Pech. Vom Wirt-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

97<br />

schaftsamt kann mir ein Bezugsschein für einen<br />

Kleinempfänger ausgehändigt werden. Andere<br />

Geräte stehen nicht mehr zur Verfügung. Lehnte<br />

ich dieses Gerät ab, war ich für die Dauer<br />

des Krieges ohne Radio. Wohl oder übel muss<br />

ich mich für die Annahme dieses Kleingerätes<br />

entschließen. Wir machen einen schlechten<br />

Tausch.<br />

20.1.1943 Von unserer Feuerversicherung erhält<br />

die Stadt für den Brandschaden in unserem<br />

Hause 360,- RM, in Treschens Haus 315,- RM.<br />

22.1.1943 Gestern waren Höttes zu Besuch<br />

bei uns. Schon frühzeitig machten sie sich auf<br />

den Heimweg. Franz Hötte teilte mir mit, dass an<br />

der diesjährigen KLV.- Aktion 45 Lehrkräfte unseres<br />

Stadtbezirkes beteiligt werden sollen. Also<br />

werde auch ich wieder für ein halbes Jahr mein<br />

Bündel schnüren müssen. Es ist mir auch klar,<br />

dass bei diesen fortwährenden Luftangriffen<br />

eine starke Evakuierung unserer Kinder erfolgen<br />

wird. Die NSV verschickt vor allem Kriegerfrauen<br />

mit Kindern nach Niederschlesien. – Hötte<br />

musste wohl eben im Hause sein, als auch<br />

schon gegen 19 Uhr die Sirene heulte. Von Norden<br />

her kamen schwere Bomber, einer kreuzte<br />

andauernd über unserem Hause. Brandschäden<br />

entstanden besonders an der Mathildenstraße<br />

in Gelsenkirchen, auch das Werk Munscheid<br />

wurde getroffen. – Heute Abend wieder um 19<br />

Uhr Alarm, es erscheinen aber keine Flieger.<br />

23.1.1943 Mutter fährt nach Nordwalde,<br />

um etwas zu hamstern. – Abends gegen 19 Uhr<br />

wieder Alarm. Zwei Flugzeuge machen die Gegend<br />

unsicher und werfen Brandbomben in


Gelsenkirchen und Horst/Ruhr. In Gelsenkirchen<br />

beobachte ich einen Brand, der aber bald<br />

verlöscht.<br />

31.1.1943 Kleine Ursache große Wirkung.<br />

Die kleine Ursache ist nur ein Flugzeug. Und<br />

wenn dieses Flugzeug wie in der vergangenen<br />

Nacht 3-mal Westdeutschland kreuz und quer<br />

überfliegt, dann ist die Wirkung die, dass Millionen<br />

<strong>von</strong> Menschen 3-mal in der Nacht sich<br />

aus- und anziehen und schimpfend und verängstigt<br />

den Luftschutzkeller aufsuchen. <strong>Das</strong> ist<br />

Zermürbungspolitik des Feindes gegenüber der<br />

Zivilbevölkerung. Übrigens ging das Gerücht,<br />

der Feind hätte in der vergangenen Nacht etwas<br />

besonderes vorgehabt. Deutschland feierte<br />

nämlich die 10-jährige Wiederkehr des Tages der<br />

Machtübernahme durch den Führer. <strong>Das</strong> Volk<br />

wurde an diesem Tage aufgerufen zur totalen<br />

Kriegsteilnahme, besonders die Frauen. Auch<br />

wir könnten da<strong>von</strong> betroffen werden. Wir rechnen<br />

damit, dass Änne für einen Kriegseinsatz<br />

in Frage kommt. Was dann? – Grund zu diesem<br />

Aufruf ist die ernste Lage an der Ostfront. Die<br />

6. Armee ist in Stalingrad eingeschlossen und<br />

kämpft dort verzweifelt und tapfer gegen eine<br />

gewaltige Übermacht. Die Stimmung in der Bevölkerung<br />

ist niedergeschlagen, alles wartet mit<br />

Spannung auf die weitere Entwicklung der militärischen<br />

Lage. Werden wir es schaffen? – Es ist<br />

ein Kampf um Sein oder Nichtsein. - Am 29. 1.<br />

kam Mutter <strong>von</strong> Nordwalde zurück. Was sie an<br />

Essbarem mitbrachte, war nicht viel, aber auch<br />

das Wenige wurde mit Freude entgegengenommen.<br />

Am 22.1. holten wir den Kleinempfänger<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

98<br />

ab. Nach anfänglichen Schwierigkeiten tat er<br />

uns auch den Gefallen, zu arbeiten.<br />

3.2.1943 Montag war der Pantoffelmacher<br />

aus Hannover da und kaufte Opas Kostüme für<br />

3000 RM. Damit hat Opas Theaterkostümverleihgeschäft<br />

sein Ende gefunden. Wir sind froh,<br />

dass wir die alten und verdreckten Sachen quitt<br />

sind. – Gestern Abend, 20:00 Uhr, Alarm und<br />

schwerer Luftangriff auf Wuppertal und Duisburg.<br />

Über unser Gebiet kam nur ein Flugzeug.<br />

Neu war bei diesem Angriff der Gebrauch blutroter<br />

Leuchtbomben. Auch die weißen Leuchtbomben<br />

sind <strong>von</strong> anderer Art. Sie verbreiten ein<br />

taghelles Licht. – Heute ist August Dreyer aus<br />

dem Lazarett nach Hause gekommen und verbringt<br />

hier seinen Genesungsurlaub.- Mir geht<br />

es augenblicklich wieder sehr schlecht, fehlt mir<br />

doch der Rauchtabak bereits seit Samstag.<br />

13.2.1943 Auch an den vergangenen Tagen<br />

war an jedem Tage mittags und abends Alarm<br />

ohne Bedeutung. Vorgestern bekam die Zeche<br />

Präsident in Bochum Treffer in die Waschkaue,<br />

es gab Tote und Verletzte. – Am 11.2. musste<br />

ich zu einer Besprechung zwecks Teilnahme<br />

an der diesjährigen KLV.-Aktion. Wegen unseres<br />

Bombenschadens habe ich aber Freistellung<br />

beantragt. – Die Vernichtung unserer 6. Armee<br />

in Stalingrad hat in der gesamten Bevölkerung<br />

große Niedergeschlagenheit hervorgerufen.<br />

Dieses Ereignis und die andauernden harten<br />

Kämpfe an der Abwehrfront im Osten haben<br />

uns die Augen auf die Gefahr des Bolschewismus<br />

gelenkt. Es erfolgte der Aufruf zur totalen<br />

Kriegsführung. In den nächsten Tagen folgen<br />

die Erlasse zum verstärkten Einsatz der Frauen<br />

usw. Wir haben die Befürchtung, dass wir unsere<br />

Änne verlieren werden. – Von Hetti Hötte<br />

wird uns mitgeteilt, dass auch Herr Borgolte bei<br />

den Stalingradkämpfern gewesen sei.<br />

22.2.1943 Immer noch versucht der Brite<br />

durch tägliche Störflüge besonders in den<br />

Abendstunden die Bevölkerung in Unruhe zu<br />

versetzen. In Unruhe gerieten wir vor einigen<br />

Tagen durch einen Brief Josefs. Darin teilte er<br />

uns mit, dass es ihm augenblicklich nicht gut<br />

gehe; er habe Verletzungen an der Hand, schon<br />

seit 3 – 4 Wochen. <strong>Das</strong> Ist alles, was er uns mitteilt<br />

und überlässt es nun uns, zu raten, was es<br />

mit diesen Verletzungen auf sich hat. Er lässt<br />

uns in seinen Briefen vollständig im Unklaren<br />

über seine persönlichen Verhältnisse. Wir wissen<br />

auch nicht, an welcher Stelle der Ostfront er<br />

sich aufhält. Seine Zurückhaltung im Mitteilen<br />

in allen Ehren, etwas mitteilsamer könnte unser<br />

Soldat doch sein. – Doris bekam eine Mitteilung<br />

der BdM Bannführung, dass sie für einen Einsatz<br />

im Osten vorgesehen sei. Daraufhin fuhren<br />

gestern Mutter und Doris nach Nordwalde, um<br />

bei einem dortigen Bauern als Landjahrmädel<br />

bis zum 1. Oktober untergebracht zu werden.<br />

Sie sind aber erfolglos heimgekommen; eine<br />

Unterbringung für nur ½ Jahr stößt überall auf<br />

Ablehnung. – Opas Kostüme sind vor acht Tagen<br />

nach Hannover verladen worden. – Endlich<br />

sind wir auch in den Besitz <strong>von</strong> Glasscheiben<br />

gekommen und haben sie gleich am Bücherschrank,<br />

Wäscheschrank, an der Vitrine und der<br />

Wanduhr eingesetzt. Die erste Glasscheibe der<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

99<br />

Mitteltür des Bücherschrankes war falsch zugeschnitten,<br />

die zweite zersprang mir beim Einsetzen,<br />

nun wird die dritte geliefert.<br />

6.3.1943 Tag für Tag erscheinen immer noch<br />

abends feindliche Flieger, meist in geringerer<br />

Zahl, werfen hier und da einige Bomben und<br />

verschwinden dann wieder. Sind diese täglichen<br />

Störangriffe als Vorbereitungsarbeit für<br />

die kommende Offensive der Feindmächte zu<br />

bewerten? – Am 26.2. erlebte Köln wieder einen<br />

schweren Bombenangriff. – Gestern Abend<br />

erlebten wir wieder einen schweren Bombenangriff.<br />

Ziel des Angriffs war Essen <strong>von</strong> 19:30 –<br />

01:30 Uhr nachts. Es entstanden umfangreiche<br />

Zerstörungen. 15 feindliche Bomber wurden abgeschossen.<br />

Auch die Bahnanlagen müssen getroffen<br />

worden sein. Alle Personenzüge, die <strong>von</strong><br />

Osten kommen, haben hier heute Nachmittag<br />

stundenlange Aufenthalte. <strong>Das</strong> Reisen ist in der<br />

Jetztzeit eine unangenehme Sache. Am wohlsten<br />

fühlt man sich zu Hause. Am 2.2. erlebten<br />

wir den ersten größeren Tagesangriff. Amerikanische<br />

Bomber griffen kurz vor Mittag die Bahnhofsanlagen<br />

<strong>von</strong> Hamm an, zerstörten sie und<br />

flogen in südlicher Richtung weiter. Es werden<br />

80 Tote gemeldet. – Heute Nachmittag habe ich<br />

wieder eine neue Dachpfanne einsetzen müssen.<br />

Die Sprengstücke der Flakgranaten zerschlagen<br />

manche Dachpfannen. – Opa sollte auch eine<br />

neue Nähmaschine geliefert bekommen. Wir<br />

erhalten aber <strong>von</strong> Schlenkhoff heute die Nachricht,<br />

dass nur diejenigen Bombengeschädigten<br />

eine Nähmaschine erhalten, welche mindesten<br />

zwei minderjährige Kinder im Haushalt haben.


<strong>Das</strong> trifft bei uns nicht zu. Also legen wir auch<br />

diesen Schein zu den anderen und warten auf<br />

eine Belieferung nach dem Kriege!? -<br />

9.3.1943 Gestern nahm ich wieder an einem<br />

LS-Lehrgang teil. In nächster Zeit sollen Hausunterweisungen<br />

erfolgen. – Mit der Morgenpost<br />

erhielten wir <strong>von</strong> der Familie Henrich in Eiserfeld<br />

die Mitteteilung, dass ihr Sohn Alfred als<br />

Oberleutnant an der Ostfront gefallen sei. Alfred<br />

Henrich war mir in früheren Jahren, als ich<br />

noch an der Hellweg-Schule in Sevinghausen<br />

beschäftigt war, ein guter Freund. Nach längerem<br />

Studium erhielt er vor kurzem eine Stelle als<br />

Pastor in Herten. – Über den Luftangriff auf Essen<br />

hörte man in diesen Tagen allerhand Nachrichten.<br />

Die Glaubwürdigkeit lässt sich nicht<br />

feststellen. Auf jeden Fall sind aber die Schäden<br />

größer, als man allgemein angenommen hatte.<br />

<strong>Das</strong> ganze Stadtgebiet ist abgesperrt. Allein 150<br />

Luftminen sind auf die Stadtviertel abgeworfen<br />

worden. Ganze Stadtviertel liegen in Schutt<br />

und Asche. Die Kreuzkirche ist vernichtet, ebenso<br />

das Rathaus, das Haus der Technik. Ich höre<br />

heute, es wären 270 000 Einwohner obdachlos<br />

geworden. Die Stadt wäre zu ¾ zerstört. Man<br />

kann das Ungeheuerliche noch nicht verstehen,<br />

auch nicht das Sinnlose dieser Zerstörungen<br />

und sieht schwarz in die Zukunft. Soll doch<br />

die Drohung der Engländer wahr werden, dass<br />

im Industriebezirk kein Stein auf dem anderen<br />

bleiben werde? – Auch ein Urlauberzug wurde<br />

getroffen und bis auf zwei Wagen vollständig<br />

vernichtet. Zur Anwendung kamen bei diesem<br />

Angriff in größerem Maße auch Bomben mit<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

100<br />

Zeitzünder, wodurch die Aufräumungsarbeiten<br />

sehr erschwert wurden. Ein Wehrmachtsauto<br />

ging in die Luft, nachdem das Wattenscheider<br />

Feuerwehrauto eben die Stelle überfahren hatte.<br />

10.3.1943 Wir bekommen nach und nach<br />

durch Augenzeugen ein klares Bild <strong>von</strong> den<br />

Zerstörungen, die in Essen angerichtet worden<br />

sind. Essen erlebte bis jetzt wohl <strong>von</strong> allen Städten<br />

den schwersten Luftangriff. Der größte Teil<br />

der Stadt liegt in Trümmern. Am folgenschwersten<br />

wirkte der Brand, der sich infolge des Windes<br />

schnell ausbreiten konnte. Die Bekämpfung<br />

wurde erschwert durch das Fehlen des Wassers.<br />

<strong>Das</strong> Hauptleitungsrohr war aufgerissen worden,<br />

der Leitungsplan der Stadt lag im zerstörten Rathaus.<br />

An den <strong>von</strong> Bomben getroffenen Häusern<br />

haben die Bewohner Tafeln zurückgelassen mit<br />

den Angaben, wo sie sich befinden, hier und<br />

da auch der Zusatz: Wir leben! – Die Kruppsche<br />

Fabrik soll zu einem Drittel zerstört sein.<br />

Gestern und heute fuhren Eisenbahnzüge mit<br />

Obdachlosen in östliche Richtung. Lastwagen<br />

mit Lebensmitteln und Brot fahren auf der Verbandsstraße<br />

nach Essen. – Die Bevölkerung ist<br />

sehr unruhig. Alle Ereignisse werden aufgeregt<br />

besprochen und Mutmaßungen angestellt.<br />

13.3.1943 Fast in jeder Nacht erfolgt ein<br />

englischer Großangriff auf unsere Städte. Unersetzliche<br />

Werte frisst der Moloch Krieg.<br />

Wertvolle Kunstdenkmäler werden vernichtet.<br />

Kulturvölker zerstören ihre Kultur. Ist das der<br />

Beginn der Zerstörung des Abendlandes? – In<br />

den vorigen Nächten wurden Nürnberg, Mün-<br />

chen und Stuttgart schwer angegriffen. Heute<br />

Nacht war der zweite Großangriff auf die Städte<br />

Essen, Bottrop und Duisburg. Über uns kreisten<br />

andauernd ungefähr sechs Flugzeuge. Man sah<br />

deutlich das Herunterregnen brennenden Phosphors.<br />

Fast eine Stunde war über uns die Hölle<br />

los. Aufmerksam beobachte ich die Umgebung<br />

auf Brandbomben. Im Westen rötet sich wieder<br />

der Himmel. Essen brennt. <strong>Das</strong> Flakfeuer lässt<br />

nach, die Kellerinsassen atmen befreit auf. Da<br />

bemerke ich in Richtung Sevinghausen einen<br />

Feuerschein. Es ist kein brennendes Haus, sondern<br />

ein abgestürztes Flugzeug. Unsere Mädchen<br />

wollen sich das Flugzeug ansehen; die Stelle<br />

ist aber schon abgesperrt. Herbert ist schon<br />

in aller Frühe an der Absturzstelle gewesen. Es<br />

gelang ihm auch, bis an die Trümmer zu gelangen.<br />

Gern hätte er das Armaturenbrett gehabt,<br />

aber es saß zu fest und ließ sich nicht abmontieren.<br />

Als Siegestrophäe brachte er einige Stücke<br />

Leichtmetall mit. Im Flugzeug gewahrte er<br />

auch die Überreste eines Besatzungsmitgliedes,<br />

das Brustskelett und Teile der Eingeweide. Auf<br />

dem Felde lagen zerrissene und blutige Stiefel.<br />

Die Absturzstelle befindet sich ungefähr 150 m<br />

westlich vom Kommunalfriedhof auf Fellermanns<br />

Feld. <strong>Das</strong> Flugzeug hat sich tief in den<br />

Erdboden gewühlt, es ist ein viermotoriges.<br />

14.3.1943 Wir haben heute Nacht durchschlafen<br />

können. In der Angriffsnacht verlor der<br />

Tommy 23 Bomber, ein großer Verlust, wenn<br />

man auch an den Verlust <strong>von</strong> mindestens 150<br />

ausgebildetem Fliegerpersonal denkt. – Beim<br />

Kirchgang sehen wir, dass an der Absturzstelle<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

101<br />

eifrig geschaufelt wird. Es wird gesagt, es befänden<br />

sich noch sieben tote Engländer darin.<br />

Der Schaden in Essen soll wieder sehr groß sein.<br />

Krupp soll ganz zerstört sein; die Arbeit ist eingestellt<br />

worden. Auch sollen 8 Zechen zerstört<br />

worden sein.<br />

19.3.1943 Wir haben heute den St. Josefstag.<br />

<strong>Das</strong> Namenstagskind befindet sich aber in Russland,<br />

und zwar augenblicklich im Lazarett. Was<br />

ihm fehlt, hat Josef uns nicht mitgeteilt. – Gestern<br />

war Mutter mit Hetti Hötte in Steele, um an<br />

der Beerdigung der Schwester vom hiesigen Gesundheitsamt<br />

teilzunehmen. Sie war auch ein<br />

Opfer des letzten Angriffs auf Essen. Mit ihrer<br />

Schwester muss sie einen fürchterlichen Tod gehabt<br />

haben. Der Luftschutzkeller, worin sich die<br />

Schwerstern aufhielten, wurde verschüttet und<br />

füllte sich mit Wasser. Sie gingen einen langsamen<br />

Tode entgegen. In ihrer Verzweiflung mussten<br />

sie sich die Haare ausgerauft haben; in ihren<br />

erstarrten Händen hielten sie die Haarbüschel.<br />

Man erzählt sich unter den Leuten ähnliche<br />

erschütternde Berichte <strong>von</strong> zu Tode gekommenen<br />

Einwohnern Essens. – In den letzten Nächten<br />

hatten wir wieder einigermaßen Ruhe. Die<br />

letzten Angriffe auf Essen haben das Volk sehr<br />

beunruhigt. Man hat besonders Angst vor den<br />

2000 kg Sprengminen, die große Verheerungen<br />

anrichten.<br />

23.3.1943 RLB-Sitzung in Höntrop. An Stelle<br />

<strong>von</strong> Brockmeyer, der infolge Alters seinen Posten<br />

niederlegt, werde ich zum Untergruppenführer<br />

der U 2 ernannt. In den nächsten Tagen<br />

beginnen die Hausunterweisungen. In dieser


Sitzung gab der Geschäftsführer der Ortsgruppe<br />

Paßmann einige Einzelheiten vom Luftangriff<br />

auf Essen bekannt. Danach sind 70 000 Familien<br />

obdachlos geworden, wo<strong>von</strong> 10 000 evakuiert<br />

wurden. 82 Flugzeuge waren beteiligt und<br />

warfen 400 Sprengbomben, da<strong>von</strong> 200 Luftminen<br />

(1800 kg) und 140 000 Stabbrandbomben,<br />

außerdem eine große Menge Phosphor – Brandbomben<br />

(14 kg und 113 kg). Von den zerstörten<br />

Häusern waren 20% durch Sprengbomben und<br />

80% durch Brand vernichtet worden. Allgemein<br />

ist man der Ansicht, dass die Essener sich zu<br />

passiv verhalten hätten. Es hätte manches Haus<br />

durch aktives Eingreifen gerettet werden können.<br />

Man wusste auch aus zuverlässigen Quellen,<br />

dass die feindliche Luftwaffe die Absicht<br />

habe, auch andere Großstädte in gleicher Weise<br />

wie Essen zu zerstören. – Wir Zuhörer waren<br />

der Ansicht, dass die angegebenen Zahlen nicht<br />

den wirklichen Tatsachen entsprächen. Todesopfer<br />

in Essen angeblich 402 – in Hamm 92 (Die<br />

„Rote Erde“ gab 147 an).<br />

25.3.1943 Doris hat einen wichtigen Lebensabschnitt<br />

hinter sich. Sie beendete heute<br />

ihre Studien an der höheren Handelsschule in<br />

Bochum mit einem guten Zeugnis. Sie tritt nun<br />

aktiv ins Leben. Wohin werden ihre Wege sie<br />

führen? – <strong>Das</strong> gute Haus bangt wieder um einen<br />

Hausgenossen, der sich auch bald anschickt, das<br />

schützende Dach zu verlassen.<br />

27.3.1943 Gestern Abend stellte sich nach<br />

einigen Ruhetagen der Tommy wieder ein, aber<br />

mit schwächeren Kräften. – Doris und Herbert<br />

fuhren heute Nachmittag nach Bochum-Que-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

102<br />

renburg. Sie suchten dort den Bauernhof auf,<br />

wo Doris ihr Pflichthalbjahr ableisten muss.<br />

Beide wurden dort freundlich empfangen. Großen<br />

Eindruck machte auf beide die großen Brotschnitten<br />

mit leckerer Butter und rarem Schinken.<br />

Herbert verzichtete nach Rückkehr auf sein<br />

Abendessen.<br />

7.4.1943 Gestern Abend wieder ein Großangriff<br />

auf Essen. Mitgenommen wurden das<br />

Kruppsche Werk, Frillendorf, Essen-West. Ein<br />

Großteil der Bomben fiel in die Häuserruinen<br />

Essens. Der Himmel ist wieder gerötet. Feuerwehrautos<br />

fahren in Richtung Essen über die<br />

Verbandsstraße. Die Flieger flogen in nicht allzu<br />

großer Höhe, alle Augenblicke sah man einige<br />

im Scheinwerferlicht.<br />

8.4.1943 Endlich werden wir etwas <strong>von</strong> Josef<br />

gewahr. Wir wissen nun aus Mitteilungen , dass<br />

er Erfrierungen 2. Grades an Händen und Füßen<br />

hat. Wir stellen Mutmaßungen an über die<br />

Schwere seiner Krankheit und wünschen mehr<br />

zu erfahren. - Gestern machte ich eine Tour<br />

durch die Burgstraße und gab Hausunterweisungen.<br />

Die Häuser wurden auf ihre Luftschutzbereitschaft<br />

geprüft und die Hausbewohner<br />

über Luftschutzmaßnahmen und Verhalten bei<br />

Fliegerangriffen aufgeklärt. Diese Hausbesuche<br />

geben mir nicht nur einen Einblick in die Luftschutzeinrichtungen<br />

der Häuser, sondern man<br />

lernt auch die Menschen kennen, wie sie sich<br />

„lieben“ und wie sie denken.<br />

9.4.1943 Mutter bringt Doris zum Bauern<br />

Wilhelm Haarmann in Bochum Querenburg,<br />

nahe Witten ins Pflichtjahr. Sie scheint dort<br />

eine gute Stelle getroffen zu haben. <strong>Das</strong> Haus<br />

wird leer. <strong>Das</strong> gute Dach hat wieder einen Hausbewohner<br />

in die Welt geschickt. - Eine Nacht<br />

mit Stunden des Schreckens ist wieder vorüber.<br />

Der Tod mit Brand und Vernichtung schritt<br />

sichtbar nahe am Hause vorbei. Ich denke an<br />

die apokalyptischen Reiter und bekannte Gemälde.<br />

Sie bewegen sich heute durch die Lüfte<br />

mit unheimlichem Brausen. Sie säen den Tod<br />

über Städte und Dörfer. Ihrer Rosse Hufe hinterlassen<br />

Brände und Ruinen, dazwischen Menschenkörper,<br />

verbrannt und zerfetzt. - Gegen<br />

23 Uhr melden die Sirenen das Herannahen<br />

der Mordbrenner. Eine geschlossene Wolkendecke<br />

hängt tief, es reg<strong>net</strong> leicht. <strong>Das</strong> Flakfeuer<br />

kommt näher; über den Wolken hört man das<br />

Explodieren der Flakgranaten. Die Scheinwerfer<br />

arbeiten nicht. Ich stehe auf meinem Beobachtungsposten<br />

im Schoppen; im Hause ist alles<br />

luftschutzbereit. Es sind genügend Sandtüten<br />

bereitgestellt, und hinter der Haustür stehen<br />

gefüllte Wassereimer. Da nähert sich <strong>von</strong> Gelsenkirchen<br />

ein schwerer Bomber, ich höre deutlich<br />

sein Motorengebrumm. Da erschüttert die<br />

Luft ein scharfer Knall. <strong>Das</strong> Lagergebäude bebt<br />

in allen Fugen, es knistert <strong>von</strong> herabfallendem<br />

Mörtel. Ich denke an die geplagte Lagerruine,<br />

der man noch keine Ruhe gönnt. Neue Wunden<br />

werden aufgerissen. Der Knall hat mich auf die<br />

Knie gebracht. Da höre ich gleichzeitig ein Zischen<br />

und Fauchen. Diesen Ton kenne ich, das<br />

sind Brandbomben in unmittelbarer Nähe. Alles<br />

ist taghell erleuchtet. Da sehe ich auch schon<br />

die sprühenden Stabbrandbomben neben dem<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

103<br />

Kohlenwagen auf dem Bahnkörper, gleich hinter<br />

dem Zaun. Ich kann sie nicht zählen. Auch<br />

in der Nähe der Häuser an der Burgstraße leuchtet<br />

es hell auf. Hinter der Schutthalde <strong>von</strong> Holland<br />

entwickelt sich ein Großbrand. – Hat unser<br />

Haus Brandbomben bekommen? – Ich eile ins<br />

Haus, sehe auch auf dem gegenüberliegenden<br />

Felde Feuer, kontrolliere alle Zimmer, auch den<br />

Dachboden. Es hat gut gegangen. Dann lösche<br />

ich die nächsten Brandbomben am Bahndamm.<br />

– Da schlagen Flammen aus einem Gebäude am<br />

Bahnstrang. Ist es Schusters Haus oder die Baracke<br />

Feldstraße 5a oder liegt der Brandherd noch<br />

weiter nach Westen? Die Entfernung eines Feuers<br />

lässt sich in der Dunkelheit schwer schätzen.<br />

Auf dem Wege zum Einsatztruppführer fragt der<br />

Fahrer des Polizeiautos nach dem Brandort. Ich<br />

weise ihnen den Weg zur Feldstraße und begebe<br />

mich auch selbst dort hin. Da kommen auch<br />

schon zwei Feuerspritzen. Die Baracke hat eine<br />

Stabbrandbombe erhalten und brennt nun im<br />

vorderen Teil lichterloh. Betroffen wurde eine<br />

alleinstehende Frau. Die Bewohner hatten sich<br />

flüchtend unter der Unterführung in Sicherheit<br />

gebracht. Der Brand war bald gelöscht. – Heute<br />

morgen war mein erster Weg zur Schadensstelle.<br />

Der Frau Droge gab ich Hinweise über Anmeldung<br />

des Schadens und Versorgung. Sie hat<br />

buchstäblich alles verloren. Was sie auf dem Leibe<br />

trug, war nun ihr ganzer Besitz. Auf Pantoffeln<br />

machte sie den Weg zum Rathaus, um dort<br />

die notwendigen Kleidungsstücke zu erhalten,<br />

auch Nahrungsmittel. Ich stellte nun auch fest,<br />

wo überall Brandbomben niedergegangen wa-


en: auf dem Bahnkörper neben unserem Hause,<br />

auf die Feldstraße bis Nr. 5a und eine Strecke<br />

weiter nach Westen, auf die Burgstraße bis Haus<br />

Nr. 60. Hier lag ein Einschlag auf dem Hof, 3 m<br />

vor dem Haus, - sie wurde <strong>von</strong> einer Frau gelöscht.<br />

Im allgemeinen war festzustellen und jeder<br />

betrachtete es als ein Wunder, dass bei dieser<br />

Unzahl <strong>von</strong> Brandbomben, die vor den Häusern<br />

niederprasselten, kein Haus mit Ausnahme der<br />

Baracke getroffen wurde. Vor den Häusern standen<br />

debattierende Frauen, freudigen Gesichts<br />

nach überstandener, für sie glücklich verlaufender<br />

Gefahr. Am Tage vorher war ich noch<br />

in diesen Häusern gewesen zu Luftschutzunterrichtungen.<br />

Mir gegenüber brachten sie zum<br />

Ausdruck, dass sie sich doch noch Löschsand<br />

holen wollten, weil ich es ihnen geraten hatte.<br />

– Die Sprengbomben schweren Kalibers hatten<br />

an der Hermanstraße, hinter der Verbandsstraße<br />

ein breites Loch gerissen. Die Dächer der Umgebung,<br />

besonders an der Hohensteinstraße, waren<br />

beschädigt, überall bis Westenfeld und Höntrop<br />

Fenster und Schaufensterscheiben zerstört.<br />

Am Ende unseres Gartens lag ein Blingänger<br />

der Flak, ebenfalls in Bomers Wiese. – Auf der<br />

Straße <strong>von</strong> der Unterführung bis Krauzmanns<br />

Haus lag ein Kanister als Blindgänger (enthalten<br />

20 l Phosphor, Benzin und Rohkautschuk).<br />

Die Straße war für den Verkehr gesperrt. Der Kanister<br />

wurde vom SHD in den Morgenstunden<br />

in Brand gesetzt und beseitigt. Mit Gottes Hilfe<br />

ist auch die Gefahr glimpflich verlaufen, die<br />

Spuren werden beseitigt, das Leben geht weiter .<br />

Was bringt uns noch die Zukunft?<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

104<br />

10.4.1943 Herbert wird heute 12 Jahre alt. Im<br />

Jungvolk ist er zum Jungenschaftsführer befördert<br />

worden. Damit ist ihm der Feldmarschallstab<br />

in den Tornister gelegt worden.. - Gestern<br />

Abend 2-mal Alarm. Die Flieger kamen bis Essen<br />

und Gelsenkirchen und warfen dort einige<br />

Brandbomben. Hauptangriffsziel war aber Duisburg.<br />

Wie ich höre, wurde dort ein Geschäft<br />

zum sechsten Mal zerstört. Heute Nachmittag<br />

bereits 2-mal Voralarm. Der Ausdruck Voralarm<br />

ist irreführend. Es heiß richtig: Öffentliche Luftschutzwarnung.<br />

Die Sirenen 3-mal einen gleichbleibenden<br />

Ton. Diese Warnung wird gegeben,<br />

wenn nur einzelne (bis 3) Flugzeuge einfliegen.<br />

<strong>Das</strong> Geschäftsleben, die Arbeit und der Verkehr<br />

gehen weiter, jeder soll sich luftschutzmäßig<br />

verhalten.<br />

11.4.1943 Heute morgen 3 Uhr Alarm. Es<br />

erscheinen aber keine Flieger. – Vom Friedhofsgärtner<br />

Reinbach erfahren wir noch, dass sich<br />

in dem abgeschossenen Britenbomber damals<br />

10 - 11 Flieger befanden. Sie fanden alle den<br />

Tod. Von einigen befanden sich Körperteile,<br />

die anderen waren zu Asche verbrannt. In zwei<br />

Särgen wurden die Reste beigesetzt. – Auf dem<br />

Felde vor unserem Hause (siehe Karte) fand man<br />

heute zwei Einschläge <strong>von</strong> Phosphorbrandbomben<br />

(14 kg). Sie haben sich tief in den Boden<br />

gewühlt und an der Oberfläche kleine Trichter<br />

gebildet. Die LS-Polizei hat die Stellen durch<br />

Stäbe kenntlich gemacht. Die Kinder sollen <strong>von</strong><br />

diesen Stellen möglichst ferngehalten werden,<br />

da das Berühren des Phosphors Verbrennungen<br />

zur Folge hat. - Die Einwohner befürchten bei<br />

den Bombenüberfällen nicht nur den Verlust<br />

ihres Lebens. Sie legen auch besonders in der<br />

jetzigen Zeit großen Wert auf Rettung <strong>von</strong> Wäsche,<br />

Kleidung und Schuhwerk, (nicht Geld!)<br />

weil es nicht leicht zu ersetzen ist. Deshalb<br />

wandern bei jedem Alarm diese Sachen in den<br />

Koffern oder auf dem Arm in den Keller. Unseren<br />

Wäscheschrank haben wir schon unten im<br />

Wohnzimmer stehen. Heute haben wir einen<br />

Kleiderschrank mit Inhalt in Omas Schlafzimmer<br />

aufgestellt, nächstens wird noch das Bett<br />

folgen. Es beginnt die Flucht aus den oberen<br />

Stockwerken.<br />

17.4.1943 Gestern teilte uns Josef endlich<br />

seine neue Feldpostnummer mit. Seine Briefsendungen<br />

aus dem Feldlazarett trugen immer<br />

noch die alte Feldpost-Nr. Alle Briefe der letzten<br />

Zeit erreichten ihn deshalb nicht und wurden<br />

uns wieder zugesandt. Josefs Krankheit bessert<br />

sich, er hofft bald in Urlaub zu kommen. - Vorgestern<br />

entdeckten wir noch ein Einschlagloch<br />

einer Phosphorbrandbombe, und zwar in<br />

unmittelbarer Nähe. Die Einschlagstelle liegt<br />

auf der Ecke des gegenüberliegenden Feldes (s.<br />

Plan). - Der Frühling hat seine ganze Pracht entfaltet.<br />

Man könnte in diesen schönen Tagen inmitten<br />

des frischen Grüns den Krieg vergessen.<br />

Die Natur ist barmherzig. Wo sind die Wunden<br />

des Hauses? Alles wird verdeckt und unsichtbar<br />

gemacht durch die Blütenpracht der Bäume,<br />

Sträucher und Blumenpflanzen. Auch unsere<br />

Drosseln wenden sich nicht ab <strong>von</strong> den Zerstörungsstätten<br />

britischer Bomber. Die Menschen<br />

können aber heuer nicht froh werden. - In der<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

105<br />

vergangenen Nacht muss wohl Süddeutschland<br />

schwer angegriffen worden sein. Der Heeresbericht<br />

meldet den Abschuss <strong>von</strong> 53 meist viermotorigen<br />

Bombern. Wir wurden heute morgen<br />

gegen 3 ½ Uhr aus dem Bett alarmiert. Ein<br />

zurückkehrendes Flugzeug flog über unser Gebiet<br />

und wurde heftig beschossen. So bilden wir<br />

uns zu Halbschläfern aus, wir sind es vielmehr<br />

schon. - Gestern Abend machte Franz Hötte seinen<br />

Abschiedsbesuch. Er fährt Sonntag in die<br />

KLV. und kommt nach Reit am Stein ins Voralpengebiet.<br />

Mit ihm fahren auch <strong>von</strong> unserem<br />

Schulsystem Rumpf und Bald.<br />

24.4.1943 Ostern 1943! Es ist das 4. Osterfest<br />

der Kriegszeit. In Sevinghausen findet umständehalber<br />

heute schon die Erstkommunionfeier<br />

statt. Wir feiern Ostern der Zeit entsprechend<br />

ernst und besinnlich. Während man früher auf<br />

das Äußerliche der Feste und Feiern großen Wert<br />

legte, findet man heute in der Notzeit immer<br />

mehr den Sinn dieser Feiern. Man macht diese<br />

Beobachtung bei allen Zeitgenossen. Man denkt<br />

mehr nach. Alle furchtbaren Zeitereignisse bringen<br />

die Menschen zum Nachdenken über Sinn<br />

und Zweck aller Dinge. <strong>Das</strong> Osterfest gibt uns<br />

den Osterglauben. So wie Christus durch seine<br />

Auferstehung das Leben als Sieger über den Tod<br />

stellte, so glauben auch wir an zukünftige bessere<br />

Zeiten nach diesem Karfreitagsgang unseres<br />

Volkes. Ostern ist das Fest des Lebens. Dieser<br />

Satz scheint unwahrscheinlich und falsch zu<br />

sein in der jetzigen Zeit. Der Tod herrscht, zahlreiche<br />

Opfer fordert der Kampf, auch am Tag des<br />

Lebens. Diese Blutopfer sind der Samen eines


schöneren Vaterlandes. Musste Christus nicht<br />

sterben, um desto herrlicher zu neuem Leben<br />

aufzuerstehen? Wo Saat ist, da ist auch Ernte.<br />

<strong>Das</strong> Volk erwartet baldigst diese Erntezeit, denn<br />

es ist genug der Saat.<br />

26.4.1943 <strong>Das</strong> Osterwetter ist schlecht. Es<br />

stürmt und reg<strong>net</strong>. In Tunis hält eine tapfere<br />

deutsch-ital. Armee einen Brückenkopf gegen<br />

eine feindliche Übermacht. – Doris ist zu Hause<br />

auf Osterurlaub. Sie hat sich langsam an die<br />

neuen Verhältnisse gewöhnt.<br />

27.4.1943 In der Karwoche und an den Ostertagen<br />

haben uns die Briten in Ruhe gelassen.<br />

Aber in der Nacht nach Ostermontag ging der<br />

Tanz gleich wieder los. Gegen 2 Uhr wirkten im<br />

Westen wieder Bomber in großer Zahl. Einzelne<br />

näherten sich auch unserem Gebiet. In Mitleidenschaft<br />

gezogen wurden die Städte Duisburg,<br />

Mülheim und Oberhausen.<br />

30.4.1943 Großangriff 2 Uhr gegen Essen<br />

und Umgebung. Über uns kreist lange Zeit ein<br />

hartnäckiger Bomber. Ringsherum sehe ich das<br />

weißhelle Aufleuchten der Brandbomben, in<br />

Eppendorf, Freisenbruch, Essen, Katernberg,<br />

Stoppenberg, Gelsenkirchen. Über Gelsenkirchen<br />

ein Tiefflieger, <strong>von</strong> der leichten Flak heftig<br />

beschossen. Wir werden verschont. Nach dem<br />

Angriff lodern an mehreren Stellen (besonders<br />

in Essen) große Brände zum nachtdunklen<br />

Himmel.<br />

1.5.1943 Tag der Arbeit! Jede Arbeit ruht. Der<br />

Arbeiter soll nach seinem Gutdünken feiern. Es<br />

finden keine Versammlungen und Feiern statt.<br />

2.5.1943 Ich habe wieder eine neue Aufga-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

106<br />

be bekommen. Von heute an gehöre ich der<br />

Stadtwacht an. Heute morgen waren alle neugebackenen<br />

Stadtwachtleute bei Wegmann (Hellweg)<br />

versammelt und wurden durch den Revier-Polizeiführer<br />

auf ihre Aufgaben vereidigt.<br />

Als Stadtwacht sollen wir besonders eingesetzt<br />

werden zur Überwachung der ausländischen Arbeitskräfte.<br />

Die Zahl der Ausländer in unserem Bezirk wird<br />

immer größer. Neben russischen Kriegs- und<br />

Zivilgefangenen beiderlei Geschlechts arbeiten<br />

bei Schwarz und auf der Morgensonne noch<br />

Franzosen und Holländer, die in den Sälen bei<br />

Mehring und Güttmann untergebracht sind.<br />

Die Bevölkerung ist schon beunruhigt wegen<br />

der großen Zahl <strong>von</strong> Ausländern und ergeht<br />

sich in allerlei Vermutungen. Was könnte nicht<br />

alles geschehen?<br />

5.5.1943 Heute Nacht Fliegeralarm gegen<br />

24 ½ Uhr. Diesmal findet der Angriff im Osten<br />

statt. Es war ein Großangriff auf Dortmund, Bochum,<br />

Gelsenkirchen. Größere Schäden sollen<br />

vor allem in Dortmund entstanden sein. Ununterbrochen<br />

reg<strong>net</strong> der rötliche und grün-gelbliche<br />

Phosphor <strong>von</strong> oben. Über 30 Bomber wurden<br />

abgeschossen. Hinter Bochum entsteht ein<br />

Großfeuer mit mächtiger Rauchentwicklung.<br />

Der Tod holte sich seine Opfer auch aus unserer<br />

Nachbarschaft. Gegen 2 Uhr sehe ich ein Opfer<br />

zur Morgensonne fahren. Dort ist auf dem<br />

Bordstein zwischen den Häusern Sevinghauser<br />

Weg 55 - 57 eine Flakgranate explodiert. In unmittelbarer<br />

Nähe stehen Friedel Hein und Günter<br />

Scholz (15 und 16 Jahre alt). Etwas weiter an<br />

der Straßenecke Herr Sowada (45 J) und Steiger<br />

Übbing. Den beiden Jungens werden die Beine<br />

zerrissen. Sie liegen in ihrem Blute, ihr Schreien<br />

ist bis zum Hohenstein zu hören. Herr Sowada<br />

bekam einen Splitterdurchuss durch den<br />

Unterleib, während Steiger Übbing mit einer<br />

ungefährlichen Granatsplitterverletzung am<br />

Oberschenkel da<strong>von</strong>kam. Ein anderer Splitter<br />

durchschlug seinen Stahlhelm und seinen Hut.<br />

Nach Anlegung <strong>von</strong> Notverbänden wurden die<br />

Getroffenen zum Krankenhaus transportiert.<br />

Kurz nach der Einlieferung starben Hein, Scholz<br />

und Sowada infolge Verblutung.<br />

So. 9.5.1943 Heute Nachmittag fand unter<br />

großer Anteilnahme der Bevölkerung die Beerdigung<br />

auf den ev. Friedhof in Westenfeld statt.<br />

Die drei Leichen waren in der Totenhalle des ev.<br />

Krankenhauses aufgebahrt. Die Beerdigung verzögerte<br />

sich infolge des Zusammenbruchs eines<br />

Pferdes vor einem Leichenwagen. Auch der Hafer<br />

ist rar. Zeichen der Zeit! Sarkastisch meinte<br />

einer, dieses Pferd gehöre gewiss auch zu den<br />

Normalverbrauchern (Volksgenossen, die die geringsten<br />

Nahrungsmittelmengen erhalten - zum<br />

Unterschied <strong>von</strong> den Schwer- und Schwerstarbeitern).<br />

– Zu gleicher Zeit wurde auch unsere<br />

Nachbarin, Frau Kniebes (84 J), beerdigt, welche<br />

schon längere Zeit auf den Tod wartete. Ich denke<br />

noch an unsere Bombennacht am 9. März,<br />

als wir sie schwerkrank in unseren Luftschutzkeller<br />

trugen.<br />

13.5.1943 Alarm gegen 13 Uhr. Duisburg erlebt<br />

wieder einen schweren Angriff. Ich bemerke<br />

in westlicher Richtung den Abschuss <strong>von</strong> 3<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

107<br />

Flugzeugen. Besonders schaurig-schön war der<br />

Absturz des ersten Flugzeugs. Es hinterließ eine<br />

breite feurige Bahn. Gleichzeitig hatte sich der<br />

Phosphor im Flugzeug entzündet und floss nun<br />

helleuchtend in die Tiefe. 34 Flugzeuge wurden<br />

abgeschossen. Eine rote Feuerwand steht im<br />

Westen.<br />

14.5.1943 Die vergangene Nacht war wieder<br />

eine der unruhigsten. Der erste Alarm war gegen<br />

23:15 Uhr. Es blieb alles ruhig. Weit hinter<br />

Wanne sehe ich einige Flakschüsse. Gegen 00:15<br />

Uhr war wieder Entwarnung. Zweiter Alarm um<br />

01:30 Uhr. Wieder raus aus den Betten, alles<br />

macht sich kellerbereit. Ich beobachte im Garten.<br />

In Richtung Überruhr am Himmel Sprühfeuer.<br />

Dort tanzen explodierende Flakgranaten.<br />

Deutlich höre ich fast über mir Propellergeräusche<br />

und wundere mich, dass kein Scheinwerfer<br />

arbeitet und kein Geschütz feuert. Sollte wohl<br />

über uns ein deutscher Nachtjäger sein? – Da<br />

plötzlich steht über Bochum die bekannte rote<br />

Phosphortraube. Da wurde aber der Spitzberg<br />

munter! Im Nu war alles im Keller verschwunden.<br />

Wohl 1 ½ Stunden folgte nun lebhaftes Flakfeuer.<br />

Von Zeit zu Zeit werfe ich einen Blick nach<br />

draußen. Bochum ist Zielpunkt. Brandbomben<br />

leuchten auf <strong>von</strong> Bochum Mitte in einem langen<br />

Streifen nach Süden. Flugzeuge torkeln im<br />

Scheinwerferlicht hin und her, ziemlich niedrig,<br />

umgeben <strong>von</strong> Flakfeuer. Da auf einmal steigert<br />

sich das Flakfeuer zum Trommelfeuer. Auch die<br />

kleine Flak schießt lebhaft. Was war das? - Ein<br />

Tiefflieger flog über unser Haus auf Bochum zu<br />

und beschoss mit Maschinengewehren die Wes-


tenfelder Flak. Es gab dort Tote und Verwundete.<br />

Da auch das Stromkabel getroffen wurde,<br />

konnte nur ein Geschütz weiterschießen. Langsam<br />

wird’s draußen ruhiger. Über Bochum liegt<br />

eine dicke Qualmschicht. Ein Großbrand ist im<br />

Zentrum der Stadt ausgebrochen. Nach Süden<br />

hin reihen sich Brände an Brände. Ich denke<br />

an Doris in Bochum-Querenburg. Dort vermute<br />

ich auch Brandherde. Die Leute stehen auf der<br />

Straße, sind froh, wieder einer Gefahr entronnen<br />

zu sein und mutmaßen, welche Teile Bochums<br />

brennen. – Es fängt schon an zu tagen. <strong>Das</strong><br />

Entwarnungszeichen wird gegeben; auf der Verbandsstraße<br />

fahren bereits Feuerwehrwagen in<br />

Richtung Bochum. Im Laufe des Tages gewinnt<br />

man ein Bild <strong>von</strong> den Schadensstellen. Schwer<br />

getroffen wurden die Häuser an der Alleestraße,<br />

das Stadtviertel Stahlhausen , die Kortumstraße,<br />

Stiepel, Hattingen, das Augusta-Krankenhaus<br />

ist ausgebrannt, einige Kirchen zerstört usw.<br />

Der Bochumer Verein wurde weniger in Mitleidenschaft<br />

gezogen. Die Verwaltungsgebäude an<br />

der Straße brannten aus. Getroffen wurde auch<br />

ein Russenlager. Mehrere Hundert Tote gab es<br />

dort. Dem Angriff auf Bochum sollen 800 Tote<br />

zum Opfer gefallen sein. Die Rettungsarbeiten<br />

wurden behindert durch das Fehlen <strong>von</strong> Wasser<br />

infolge Zerstörung der Wasserleitung.<br />

15.5.1943 Als ich vom Dienst nach Hause<br />

komme, erlebe ich eine unangenehme Überraschung.<br />

<strong>Das</strong> hat uns noch gerade gefehlt. Auf<br />

der Bahn nebenan herrscht Hochbetrieb. Flaksoldaten<br />

laufen hin und her, bald heben vier<br />

Flakgeschütze (10,5) ihre offenen Mäuler gen<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

108<br />

Himmel, Eisenbahnflak – 100 m vom Hause.<br />

<strong>Das</strong> wird ein Ohrenschmaus für uns sein. Wie<br />

wir hören, sollen sie 4 - 5 Wochen hier bleiben.<br />

Da diese Batterie für unser Haus eine erhöhte<br />

Gefahr bringt, ist uns ihre Nachbarschaft nicht<br />

willkommen. Wir wünschen sie irgendwo anders<br />

hin. – Die erhöhte Gefahr hat uns auf den<br />

Gedanken gebracht, als Luftschutzkeller den<br />

Keller an der Hofseite auszubauen. Vielleicht<br />

sind hier die Abschüsse nicht so stark zu hören.<br />

Die Fenster an der Straßenseite müssen jetzt immer<br />

geöff<strong>net</strong> werden.<br />

16.5.1943 Muttertag! Auch dieser Tag wurde<br />

eingeleitet durch einen nächtlichen Alarm<br />

ohne besondere Vorkommnisse. Zum Kaffee<br />

gab es nachmittags einen Alarm mit Geschieße.<br />

Fünf Aufklärer überflogen in großer Höhe unser<br />

Gebiet. <strong>Das</strong> Wetter ist klar, es können wunderbare<br />

Luftaufnahmen gemacht werden.<br />

17.5.1943 Eine schlaflose Nacht! 1. Alarm<br />

<strong>von</strong> 23:30 - 01:30 Uhr. Zwei Flugzeuge erscheinen<br />

über Essen, Mülheim, kehren aber gleich<br />

wieder um. Nachdem wir uns eben ins Bett gelegt<br />

haben, erfolgt wieder Alarm gegen 02:00 bis<br />

03:30 Uhr. Ein Flieger lässt sich nicht blicken. Es<br />

war uns aber rätselhaft, dass der Alarm so lange<br />

dauerte. Im Laufe des Tages erfahren wir das<br />

Fürchterliche, das sich in der Nacht zutrug. Starke<br />

Fliegerverbände hatten zwei Talsperren im<br />

Sauerland angegriffen und dabei die Sperrmauern<br />

zerstört. Ungeheure Wassermassen ergossen<br />

sich in die Täler, alles mit sich wegreißend. Es<br />

entstanden nach dem Heeresbericht große Verluste<br />

an Menschenleben und Vieh. Wir hören<br />

auch heute Abend, dass die Ruhr in Steele über<br />

die Ufer getreten sei. Die Leute räumen bereits<br />

die Häuser. In den Wassermassen schwimmen<br />

Leichen und Tierkadaver. Es gibt bei uns kein<br />

Wasser mehr. Es sei bekannt gemacht worden,<br />

jeder solle sich für drei Tage mit Wasser eindecken.<br />

Na, das kann aber eine Katastrophe geben<br />

in den Städten, wenn in diesen Nächten Angriffe<br />

erfolgen werden! - Heute morgen 2-mal Luftwarnung!<br />

18.5.1943 Heute Nachmittag wurde Hauptlehrer<br />

a. D. Wilhelm Söding (79 ½ J.) auf dem<br />

Propstei-Friedhof beerdigt. Er war 45 Jahre an<br />

der Schule in Sevinghausen tätig gewesen. - In<br />

den letzten Tagen erwarteten wir wieder einen<br />

Großangriff. In einigen Nächten hatten<br />

wir wohl je 2-mal Alarm, es ließ sich aber kein<br />

Flieger blicken. Seit gestern haben wir schlechte<br />

Witterung. – Josef schreibt, dass er sich wieder<br />

bei der Truppe befinde und voraussichtlich<br />

Anfang Juni in Urlaub könne. – Tagesgespräch<br />

sind immer noch die Fliegerangriffe auf die Talsperren.<br />

Doris erzählt, an der Ruhr in Herdecke<br />

wären 27 Leichen angeschwemmt worden.<br />

Schreckliche Einzelheiten des Unglücks werden<br />

bekannt. Die Zahl der Toten weiß man nicht.<br />

Vom Gauleiter werden in Siegen an Toten angegeben:<br />

annähernd 600 Reichsdeutsche und über<br />

1000 ausländische Arbeiter. In der Zeitung stehen<br />

die ersten Todesanzeigen <strong>von</strong> Fröndenberg,<br />

Hüsten usw. An die Häuser hat man Plakate geklebt:<br />

Wasser ist nur gekocht zu gebrauchen! Bei<br />

den getroffenen Talsperren handelt es sich um<br />

die Möhne- und Edertalsperre. Mittels Torpedos<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

109<br />

sollen die Sperrmauern gesprengt worden sein.<br />

Ein Flugzeug soll sogar auf dem Möhnesee gelandet<br />

sein.<br />

23.5.1943 Ich besehe mir das bombardierte<br />

Bochum. Der Hauptbahnhof ist wieder intakt.<br />

Er hatte zwei Volltreffer bekommen. <strong>Das</strong><br />

Bahnhofsgebäude ist ausgebrannt. Der Verkehr<br />

erfolgt durch den Südeingang. Die Häuser um<br />

den Bahnhof sind teils zerstört, teils beschädigt.<br />

Es ist wieder das Bild, wie ich es in Essen gesehen<br />

habe. Die Straßen besät mit Glasscherben,<br />

an den Rändern Schutthaufen. Vor einigen<br />

Häusern Wagen. Die Leute verladen ihre geretteten<br />

Möbelstücke. Ich wandere zunächst durch<br />

Ehrenfeld. <strong>Das</strong> Theater ist an der Seitenfront<br />

etwas beschädigt. Ein älteres Ehepaar klettert<br />

in den Haustrümmern umher und sucht noch<br />

einige Gegenstände zu bergen. Aus den Kellern<br />

dringt noch Qualm. Auf einer niedrigen Mauer<br />

des Vorgärtchens hat einer Bücher aufgestapelt,<br />

verdreckt und zerrissen. Daneben eine Klavierlampe,<br />

Bilder, ein schmutziges Sofakissen. An<br />

einigen Häusern sieht man braune Spritzer, die<br />

<strong>von</strong> den Phosphorbrandbomben herrühren.<br />

Sie waren auf der Straße oder dem Bürgersteig<br />

explodiert. Groß waren die Verwüstungen in<br />

dem Häuserblock an der Marienkirche bis zum<br />

Bochumer Verein. Die Häuser sind zumeist ausgebrannt.<br />

Anklagend ragen nur noch die Hausmauern<br />

und die nackten Kamine zum Himmel<br />

und bilden wegen der Einsturzmöglichkeit eine<br />

stetige Gefahr. Hier und da sind Feuerwehrleitern<br />

ausgefahren, um Hauswände niederzulegen.<br />

Im Rinnstein liegt die leere Kartusche einer


113 kg Phosphorbombe, wie ein vernichtetes<br />

gefährliches Raubtier mit offenen Rachen. Ein<br />

Verwaltungsgebäude des BV, ist ausgebrannt.<br />

Der BV, soll nur zu 25% vernichtet sein. Desto<br />

schwerer wurden die Häuser an der Alleestraße<br />

getroffen. In der Nähe des Kinos sind mehrere<br />

Volltreffer niedergegangen. Bergleute graben<br />

dort nach Toten, die unter den Trümmern liegen.<br />

Ich bemerke dort auch Zivilisten. Es sind<br />

die Angehörigen, die mit Ungeduld warten. Es<br />

sind für sie gewiss bittere Stunden. Ich wende<br />

mich ab, man denkt wieder an den Sinn dieser<br />

Zerstörung und an unsere hoch gepriesene Kultur.<br />

In einer Seitenstraße kann ich einen Blick in<br />

eine Fabrikhalle werfen. Waggonräder... In der<br />

Mitte der Krater einer Bombe. Eine Eisenbahnbrücke<br />

hat einen Volltreffer bekommen und<br />

ist zusammengestürzt. Der Notweg führt über<br />

den Bahnkörper und das Stellwerk. Wohin man<br />

schaut, überall Zerstörung. Die Christuskirche<br />

ist auch ausgebrannt. Hier hören die größten<br />

Zerstörungen auf. In der Stadtmitte bemerke<br />

ich geringe Schäden; aber alle Häuser sind ohne<br />

Fensterscheiben. Am Wilhelmsplatz ist eine<br />

schwere Brandbombe durchs Dach geschlagen<br />

und an der Vorderseite wieder herausgekommen.<br />

Die anderen Schadensstellen konnte ich<br />

nicht mehr in Augenschein nehmen. Auf der<br />

Rückfahrt treffe ich einen alten Bekannten, meinen<br />

Sängerfreund Willi Timmermann. Da er auf<br />

dem BV. arbeitet, konnte er mir noch manches<br />

erzählen. Acht Tage später hatte auch ihn der<br />

Tod geholt. Auf dem Wege <strong>von</strong> seiner Wohnung<br />

zum Bahnhof bekam er einen Herzschlag.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

110<br />

24.5.1943 Heute Nacht erlebt Dortmund<br />

einen zweiten Großangriff. Unser Oberbürgermeister<br />

gab bekannt, das 80 000 Obdachlose zu<br />

verzeichnen wären. Zerstört wurden auch die<br />

alte Reinoldikirche und das Rathaus. Der Zugverkehr<br />

im Industriegebiet ist ins Stocken geraten.<br />

28.5.1943 Angriff auf den nördlichen Teil<br />

<strong>von</strong> Essen. Es entstehen wieder ausgedehnte<br />

Brände. Auch der Hauptbahnhof Essen wird getroffen.<br />

31.5.1943 Diesmal ein Großangriff im Süden,<br />

auf Wuppertal. Leuchtbomben in großer<br />

Zahl werden abgeworfen. Es werden allein 57<br />

Bomber abgeschossen. In Mitleidenschaft gezogen<br />

wird vor allem der Stadtteil Barmen. Die<br />

Bevölkerung wurde in den Betten vom Angriff<br />

überrascht. Viele sollen brennend in die Wupper<br />

gesprungen sein. – Josef teilt aus dem Felde<br />

mit, dass er sich bei seiner Truppe befindet. Wir<br />

erfahren nun, dass er sich bei den Schweren Maschinengewehren<br />

befindet.<br />

1.6.1943 Trübe Aussichten! Die Fleischration<br />

wird um 100g wöchentlich erniedrigt. Dafür<br />

gibt es etwas Brot mehr und monatlich 50 g Fett<br />

mehr. Der Leibriemen muss also noch etwas enger<br />

geschnallt werden. Nicht rosig sieht es auch<br />

mit der Kohlenversorgung aus. Für das ganze<br />

Jahr werden wir nur mit 30 Ztr. Kohlen beliefert<br />

werden.<br />

10.6.1943 Josef schreibt, dass es mit seinem<br />

Urlaub vorläufig nichts gibt. An der Ostfront ist<br />

Urlaubssperre (wichtige Ereignisse scheinen in<br />

Vorbereitung zu sein). Josef vertröstet sich auf<br />

den August oder September. Er ist aber guten<br />

Mutes und lässt den Kopf nicht sinken. Mir ging<br />

es im 1. Weltkrieg auch so. Ich hatte meinen Urlaubsschein<br />

schon in der Hand und meine Siebensachen<br />

für die Urlaubsreise gerade gepackt,<br />

als Urlaubssperre<br />

verhängt wurde.<br />

Anstatt nach<br />

Hause ging’s<br />

in die Somme-<br />

Schlacht, wo<br />

ich gleich verwundet<br />

wurde.<br />

– Eine unheimliche<br />

Ruhe ist augenblicklich<br />

im<br />

Kriegsgschehen<br />

eingetreten. Seit<br />

dem Angriff auf<br />

Wuppertal (über<br />

1000 Tote nach<br />

den Angaben des<br />

Gauleiters) hat<br />

sich der Engländer<br />

noch nicht<br />

wieder über dem Ruhrgebiet sehen lassen. Überall<br />

hat man das Gefühl, dass es bald im Osten<br />

als auch im Westen zu wichtigen Ereignissen<br />

kommen wird. Es ist eine Ruhe vor dem Sturm.<br />

– Heute gab’s zu Mittag eine leckere Bohnensuppe<br />

auf den Tisch. Es waren Bulgarische Bohnen<br />

(Gibbon), kosten allerdings auch 2,80 RM das<br />

Pfund.- Was sich das Volk erzählt: Beim Luftangriff<br />

stellt der Brite die Christbäume in die Luft<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

111<br />

(Leuchtbomben), unsere Flak schießt die Kugeln<br />

daran und im Keller gibt´s die Bescherung. Dieser<br />

Witz scheint mir mehr eine Tragikomödie zu<br />

sein. <strong>Das</strong> Volk ist hart geworden und grausam<br />

auch in seinem Humor.<br />

11.6.1943 Die Anzeige stand heute in der<br />

„Kölnischen Zeitung“ und zeigt, wie schwer<br />

manche Familien durch den Krieg heimgesucht<br />

werden. Opfer an der Front und in der Heimat.<br />

Dieser Fall ist nicht der einzige. – Nach langer<br />

Zeit war heute morgen wieder Voralarm. Aufklärungsflieger<br />

waren wieder in Tätigkeit.<br />

12.6.1943 Nach langer Zeit erfolgte heute<br />

Nacht wieder ein Großangriff auf Westdeutsche<br />

Städte. Angriffsziel war vor allem Düsseldorf,<br />

wo es wirklich schrecklich aussehen soll.<br />

Auch Münster wurde bombardiert. Einige Flieger<br />

ließen sich auch über unserer Gegend blicken.<br />

13.6.1943 Es ist heute Pfingsten. Man sprach<br />

früher <strong>von</strong> diesem „lieblichen“ Fest, der Pfingststimmung.<br />

Es war das Fest der Freude in der Natur.<br />

Wie haben sich doch die Zeiten gewandelt.<br />

Ich lehne im Schlafzimmerfenster. Die Natur betrachte<br />

ich nicht, aber meine Blicke schweifen<br />

über das in der vergangene Nacht heimgesuchte<br />

Bochum. Weißbläuliche Dampfschwaden ziehen<br />

immer noch über das ausgebrannte Häusermeer.<br />

In einstündigem Angriff ließen starke feindliche<br />

Bomberverbände ihre Ladung in die City der<br />

Stadt hinabregnen. Ein derartiges starkes Feuer<br />

wie in der vergangenen Nacht habe ich bisher<br />

noch nicht erlebt. <strong>Das</strong> war ein Untergangsbild.<br />

Unaufhörlich reg<strong>net</strong>en „Christbäume“ vom


Himmel.<br />

Als<br />

es etwas<br />

ruhiger wurde,<br />

kam sogar<br />

Herbert aus dem<br />

Keller nach oben, um<br />

einmal dieses Lichtwunder<br />

zu sehen. (Über Brandbomben,Signal-Leuchtbomben<br />

und andere Angriffsmittel der<br />

englischen Flieger in der „Sirene“ nachlesen!)<br />

Von unserem Schlafzimmerfenster<br />

war das brennende Bochum schaurig-schön<br />

anzusehen. Unter diesem Eindruck feiern wir<br />

1943 Pfingsten.<br />

15.6.1943 In der vergangenen Nacht war<br />

der Nachtzauber am westlichen Himmel. Die<br />

feindlichen Flieger finden auch trotz bedecktem<br />

Himmel ihr Ziel. Schwere Zerstörungen wurden<br />

vor allem in Oberhausen angerichtet. – Nach<br />

und nach hört man Einzelheiten <strong>von</strong> den Bombenschäden<br />

in der vergangenen Nacht in Bochum.<br />

Die Schäden sind noch größer als beim<br />

ersten Angriff. In der Altstadt ist fast jedes Haus<br />

ausgebrannt oder zerstört. Am Rathaus brannte<br />

der Dachstuhl, eine Sprengbombe zerstörte den<br />

hinteren Teil. Die bekanntesten Geschäftshäuser<br />

sind ebenfalls vernichtet. Kortum-Warenhaus,<br />

Röhl, Fischer, Balz usw. Zerstört auch die<br />

Propsteikirche und das Augusta- und Elisabeth-<br />

Krankenhaus. Augenzeugen berichten, dass<br />

Bochum bald vom Erdboden verschwunden<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

112<br />

sei. Merkwürdig ist, dass der Bochumer Verein<br />

weniger Schaden gelitten hat. Einen Volltreffer<br />

bekam das Eingangsgebäude. In der Schule<br />

fragte ich nach dem Schicksal der Verwandten<br />

meiner Schüler in Bochum. Dabei musste ich<br />

die Feststellung machen, dass mit Ausnahme<br />

<strong>von</strong> dreien alle Verwandten meiner Schüler in<br />

Bochum mehr oder weniger in Mitleidenschaft<br />

gezogen worden waren. - Von dem Angriff auf<br />

Wuppertal erzählte ein Nachbar, der als Soldat<br />

dort einen Umschulungskurs durchmacht: Er<br />

selbst sei in der fraglichen Nacht nach auswärts<br />

kommandiert gewesen. Die Kaserne bekam einen<br />

Volltreffer. Zehn Soldaten wurden getötet.<br />

200 Soldaten sind beschäftigt, um die Toten zu<br />

bergen. Es wären bis jetzt etwas über 300 Opfer<br />

herausgebuddelt worden. Tausende liegen noch<br />

unter den Trümmern. – Doris kam am ersten<br />

Feiertag in Urlaub. Sie kam per Rad; es fuhr in<br />

Bochum keine Straßenbahn und kein Zug. Anni<br />

Bohmhold (Stiepel) musste einen zweistündigen<br />

Fußmarsch machen, um bei Muttern zu<br />

sein. – Herbert hat sich heute zwei junge Enten<br />

<strong>von</strong> Berkmann gekauft.<br />

Heute morgen 10 Uhr Voralarm. Über uns höre<br />

ich die feindlichen Flieger. Starker Beschuss vertreibt<br />

sie. Amerikanische fliegende Festungen<br />

führen zumeist Tagesangriffe (200) aus auf Küstenstädte.<br />

20.6.1943 Stadtwacht-Übung um 10 Uhr! 79<br />

Mann werden gezählt. Es ist strahlendes Sommerwetter.<br />

Der Wachtmeister lässt uns auf dem Fußballplatz<br />

am Hellweg antreten und stottert sich<br />

etwas zurecht über Einteilung der Stadtwacht,<br />

Verhalten bei Festnahmen, Absperrungen usw.<br />

So stehen wir 1 ½ Stunden in der prallen Sonne,<br />

ohne Kopfbedeckung. Die Folgen stellen sich<br />

auch ein. Mein Kopf „brummt“ nachmittags. –<br />

Auch ein Kriegsopfer! In der Stadtwacht bin ich<br />

der Reserve überwiesen worden. - Im Laufe des<br />

Tages gab es 3-mal Alarm. Ein Flugzeug überflog<br />

in großer Höhe unser Gebiet und wurde heftig<br />

beschossen. In den vergangenen Nächten hatten<br />

wir trotz schlechter Wetterlage stets Alarm.<br />

Ein größerer Angriff richtete sich gegen Köln.<br />

In der vergangenen Nacht explodierten an drei<br />

Stellen der Stadt noch vor dem Alarm gefüllte<br />

Phosphorflaschen, ohne Schaden anzurichten.<br />

Diese Flaschen werden unter Ballonen über das<br />

Gebiet geführt und lösen sich nach einer gewissen<br />

Zeit (siehe „Sirene“).<br />

22.6.1943 In den Morgenstunden war regelrechter<br />

Fliegeralarm. Ein starker Verband<br />

feindlicher Flieger griff das Ruhrgebiet an. In<br />

westlicher Richtung schwoll das Flakfeuer zum<br />

Trommelfeuer an. Wie erzählt wird, sollen die<br />

Buna-Werke bei Hüls bombardiert worden sein.<br />

- In der vergangenen Nacht war Krefeld das Ziel<br />

eines Bombenangriffs. Wir hatten heute noch<br />

2-mal Alarm<br />

23.6.1943 Wieder ein britischer Großangriff<br />

auf das Gebiet <strong>von</strong> Mülheim und Oberhausen.<br />

Der Heeresbericht teilt mit, dass große Verluste<br />

unter der Bevölkerung und erhebliche Gebäudeschäden<br />

entstanden seien. Über Mülheim sehe<br />

ich einen gewaltigen Rauchpilz am sternenklaren<br />

Himmel stehen, der sich zu einer schwarzen<br />

Wolke ausdehnt und weiter nach Nordosten<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

113<br />

zieht wie mächtige Gewitterwolken. Manche<br />

Stellen unseres Gebietes waren heute morgen<br />

bedeckt mit angebrannten Papieren, die <strong>von</strong><br />

Mülheim bis hierher getragen worden sind. So<br />

fand Herbert eine angebrannte Quittung der<br />

Mülheimer Post. – Heute Morgen fanden im<br />

Stadion die Leistungsprüfungen der Schüler im<br />

Turnen statt. Wider Erwarten wurden wir nicht<br />

durch Alarme gestört.<br />

25.6.1943 Schwerer Angriff auf Elberfeld.<br />

Große Verluste. Von Süden nähert sich ein Bomber.<br />

Er fliegt sehr tief, <strong>von</strong> den Scheinwerfern<br />

festgehalten, <strong>von</strong> der Flak heftig beschossen.<br />

Er fliegt über unser Haus in Richtung Gelsenkirchen.<br />

Nun zieht er eine Rauchwolke hinter<br />

sich her und sinkt immer tiefer. Ein roter Feuerschein<br />

in Gelsenkirchen lässt vermuten, dass<br />

das Flugzeug dort aufgeschlagen ist. Soldaten<br />

unserer Flak fahren auf Fahrrädern dorthin und<br />

bringen folgende Nachricht: <strong>Das</strong> Flugzeug hat<br />

das Kolpinghaus (Theresienstraße) durchschlagen<br />

und ist noch etliche Meter tief in den Boden<br />

eingedrungen. Von der Besatzung konnte<br />

sich einer mittels Fallschirm retten. Im Kolpinghaus<br />

sind Landesschützen untergebracht, die<br />

am Tage vorher abgelöst hatten. Von diesen<br />

sind bei dem Absturz 42 im Luftschutzkeller<br />

umgekommen.<br />

26.6.1943 Wieder ein schwarzer Tag für<br />

Wattenscheid. 00: 30 Uhr Alarm. Es muss wohl<br />

wieder ein Großangriff erfolgen, wenn um diese<br />

Zeit Alarm gegeben wird. Über Gelsenkirchen<br />

erscheint der erste Bomber. <strong>Das</strong> Flakfeuer<br />

nimmt zu, auch unsere Flak mischt sich ein. Da


sehe ich hellweiße Lichter in Ückendorf, nun<br />

auch in unserem Stadtgebiet, auch in Höntrop<br />

und am Walzwerk. Der Angriff gilt unserer<br />

Stadt. August Dreyer und ich ziehen uns in den<br />

Keller zurück in Erwartung <strong>von</strong> Brandbombeneinschlägen.<br />

Draußen ist die Hölle los! Dumpfe<br />

Detonationen erschüttern den Erdboden. Es hat<br />

nicht weit eingeschlagen. Wir machen Kontrollgänge<br />

durchs Haus, werfen einen Blick nach<br />

draußen. Vor der Propsteikirche ein gewaltiger<br />

Brand. Von den Flammen magisch beleuchtet<br />

reckt sich der Turm der Kirche unheimlich in<br />

die Dunkelheit. Brände bemerke ich auch an<br />

anderen Stellen der Stadt. Wieder zurück in den<br />

Keller, in der Luft über uns ist ein immerwährendes<br />

Summen. Im Keller große Aufregung, es<br />

wird gebetet. Die Zeit wird zur Ewigkeit.<br />

03:15 Uhr. – Der Angriff ist vorüber – wir atmen<br />

befreit auf. Man begreift nun den Satz:...<br />

und fühlte sich wie dem Leben neu wiedergeschenkt.<br />

--- Draußen sehen wir die Brände und<br />

versuchen, die Schadensstellen zu bestimmen.<br />

Manche Leute eilen schon zur Stadt. Es sind gewiss<br />

solche, die sich nach dem Schicksal ihrer<br />

Angehörigen in der Stadt erkundigen wollen.<br />

Ich suche die Einschlagstelle der Bombe. Von<br />

den Flaksoldaten erfahren wir nun die genaue<br />

Lage. (50 m östlich <strong>von</strong> Gierses Haus – s. Karte)<br />

Daneben lag noch ein Blindgänger. August und<br />

ich machen uns auf den Weg zur Stadt. Lünemanns<br />

und Tinnefelds Haus brennen lichterloh.<br />

An der gegenüberliegenden Seite hat eine<br />

Sprengbombe drei Häuser niedergelegt. Man<br />

sieht überall nur Trümmer und Verwüstungen.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

114<br />

Wir hören, dass Frl. Tinnefeld und der Schmiedemeister<br />

noch unter den Trümmer lägen. Ein<br />

gefangener Franzose will den Meister unbedingt<br />

ausgraben, weil er ein so guter Mann gewesen<br />

wäre; manche Zigarette hätte er <strong>von</strong> ihm bekommen.<br />

Nun schlagen auch die Flammen aus<br />

Trabens Haus, das auch vollständig ausbrennt.<br />

Auch das Kolpinghaus brennt; die Einwohner<br />

sind wohl eifrig bei den Löscharbeiten. Es ist ihnen<br />

auch gelungen, des Feuers Herr zu werden,<br />

nur der Dachstuhl brannte ab und die Gesellenzimmer.<br />

08:30 Uhr – Ich habe zwei Stunden geschlafen<br />

und begebe mich zur Schule. Es haben sich nur<br />

einige Kinder eingefunden, die Lehrpersonen<br />

fehlen alle. Vom Hausmeister höre ich, dass diese<br />

noch in der Nacht zum Einsatz aufgerufen<br />

worden sind. Ich habe bisher noch keine Aufforderung<br />

bekommen und begebe mich auch<br />

zum Rathaus. Ich bekomme dort eine Liste und<br />

soll nun in der Sommerdellenstraße feststellen,<br />

wie die Häuser dort beschädigt worden sind.<br />

Alle sind beschädigt, vom ersten bis zum letzten<br />

Haus, darunter zumindest 15 total. An einer<br />

Straßenstelle sind zwei bis drei Volltreffer<br />

eingeschlagen. Dort gab es 10 Tote. Es Ist ein<br />

Bild des Jammers. Da sitzt ein altes Mütterchen<br />

mit verweinten Augen mitten zwischen einigen<br />

Habseligkeiten. Sie hat den Schrecken überwunden<br />

und wartet nun übermüdet auf den<br />

weiteren Lauf der Dinge. Sie gibt mir für meine<br />

Notizen Aufklärung über die Familien, die in<br />

den getroffenen Häusern gewohnt haben. Gern<br />

hätte sie noch das Bettzeug, das man dort zwi-<br />

schen Steinen und Balken sehen kann. Aber die<br />

Bergung ist nicht möglich. Ich sehe dort auch<br />

einen verdreckten Puppenwagen mit einer Puppe.<br />

Danach jammert gewiss ein kleines Mädchen.<br />

An der gegenüberliegenden Seite hängt<br />

der Fußboden schräg <strong>von</strong> oben nach unten.<br />

Darauf rutschte ein Bett mit einem schlafenden<br />

jungen Mann nach unten auf den Trümmerhaufen.<br />

Dieser Mann blieb unverletzt, während<br />

die Hausbewohner im Keller getötet wurden.<br />

Ich mache einen Rundgang durch die Stadt. In<br />

der Vorstadtstraße ist die Feuerwehr noch bei<br />

den Löscharbeiten. Am Krankenhaus hat der<br />

Dachstuhl gebrannt. In der Kolonie am Watermannsweg<br />

hat eine Sprengbombe mehrere<br />

Häuser vernichtet. Dabei kamen auch Frau und<br />

Sohn <strong>von</strong> August Winter, einem alten Bekannten,<br />

zu Tode. Den Sohn fand man im Keller gegen<br />

die Wand gedrückt unter den Trümmern,<br />

mit dem Kopf nach unten. Der Frau war die<br />

schwere Kellertür gegen den Kopf geschlagen.<br />

Eine schwere Bombe hat auch Kuhlendahls<br />

Haus zertrümmert, eine andere explodierte vor<br />

Treus’ Schuhladen. Dort befinden sich noch ein<br />

Paar Schuhe <strong>von</strong> uns zur Reparatur. Ob wir diese<br />

wohl wiedersehen? – Es ist mir nicht möglich<br />

alle Schadensstellen anzugehen. Ich denke, dass<br />

man nach dem Kriege auf Karten diese Stellen<br />

übersehen kann.<br />

27.6.1943 Propst Hellmich gibt <strong>von</strong> der<br />

Kanzel bekannt, dass die Männer während des<br />

Gottesdienst ihre Hüte auflassen dürfen. Alle<br />

Fensterscheiben der Kirche sind entzwei. Gottesdienst<br />

im Kriegsgebiet! - Es wird bekannt,<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

115<br />

dass bei dem Angriff 27 Einwohner zu Tode<br />

gekommen sind. Überall wird eifrig gearbeitet.<br />

Lastwagen, bepackt mit Hausrat durchfahren<br />

die Straßen. Der Schutt wird weggeräumt. Nachmittags<br />

besuche ich meinen Bruder Ferdinand<br />

in Ückendorf. Er selbst verlebt seine Urlaubstage<br />

im Sauerland. Auch sein Haus wurde getroffen.<br />

Eine Brandbombe durchschlug das Dach<br />

und landete im Arbeitszimmer seines Mieters.<br />

Nachbarn bemerkten glücklicherweise das Feuer<br />

und löschten frühzeitig. Auch dort sieht es<br />

in der Umgegend gräulich aus. Die dortige Siedlung<br />

der Kriegsbeschädigten wurde zum vierten<br />

Mal getroffen. Der Kommunalfriedhof war<br />

wegen Gefahr geschlossen (Blindgänger). Nicht<br />

weit <strong>von</strong> uns ging während unseres Spazierganges<br />

ein Blindgänger hoch: Große Zerstörungen<br />

richteten Spreng und Brandbomben auch am<br />

Ückendorfer Platz an. Nach allem Schauen dieses<br />

sinnlosen Zerstörens zivilen Eigentums der<br />

meist kleinen Leute kommt man niedergedrückt<br />

zu Hause an. Man hört nur immer die eine Frage:<br />

Wofür das alles? – Wie lange soll diese Not<br />

andauern?<br />

28.6.1943 Schadensfeststellung in der Sommerdellenstraße.<br />

An jedem Haus sind kleinere<br />

oder größere Schäden festzustellen. Hinter Eickel<br />

explodiert noch ein Blindgänger. Eine hohe<br />

Staubwolke steigt auf.<br />

29.6.1943 Ein Schrei der Entrüstung geht<br />

durch Deutschland. In der vergangenen Nacht<br />

wurde Köln mit starken Kräften angegriffen.<br />

Dabei wurde auch der Dom durch Spreng- und<br />

Brandbomben stark beschädigt. <strong>Das</strong> Gewölbe ist


durchbrochen. Die Orgel wurde vernichtet und<br />

besonders im nördlichen Teil des Querschiffes<br />

größere Verwüstungen angerichtet. Auch das<br />

Rathaus, Stadthaus und der Gürzenich wurden<br />

zerstört. Kulturwerte werden vernichtet, wie es<br />

in der Geschichte noch nie vorgekommen ist.<br />

Mit der Verunstaltung des Kölner Domes wurde<br />

die deutsche Seele getroffen. - Auch wir hatten<br />

hier Alarm und wurden durch einige Störflieger<br />

beunruhigt. - Frau Dreyer ist heute in den Harz<br />

gefahren zu den Eltern eines Freundes <strong>von</strong> August.<br />

Herbert wäre gern mitgefahren.<br />

30.6.1943 Heute Nachmittag 17 Uhr wurden<br />

die Opfer des Bombenangriffs beerdigt (27).<br />

Im Ehrenmal war die Aufbahrung und Totenfeier.<br />

Manche bringen den Wunsch zum Ausdruck,<br />

die Stadt zu verlassen. Auch wir stellen Überlegungen<br />

an. Herbert bringt heute die Nachricht<br />

mit, dass die Oberschule am nächsten Montag<br />

geschlossen wegfährt.<br />

3.7.1943 Der Schulunterricht hat seit 26. 6<br />

ausgesetzt. Mutter fuhr heute nach Nordwalde.<br />

Ich begleitete sie zur Bahn und nahm auf<br />

dem Rückwege noch einmal die Schäden an<br />

der Propsteikirche in Augenschein. Steht man<br />

auf dem Kirchplatz, so glaubt man mitten in<br />

einer durch den Krieg mitgenommenen Stadt<br />

zu sein, im Felde. Ringsherum Häusertrümmer,<br />

leere Fensterhöhlen, das Kleinpflaster aufgerissen.<br />

Vor mir flackert ein Flämmchen. Ein kleiner<br />

Phosphorflecken hat sich wieder entzündet<br />

und brennt. Ich streue Sand darüber. Trotzig<br />

steht der Turm da, stark mit mächtigen Sandsteinquadern.<br />

Nur die Dachverkleidung hat<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

116<br />

gelitten. Vom unteren Teil des Turmes sind<br />

die grünen Kupferplatten abgerissen worden.<br />

Sie liegen zum Teil auf dem Kirchplatz, einige<br />

noch auf dem Dach. Die Dachbekleidung des<br />

Hauptschiffes ist auch zerstört. Restlos vernichtet<br />

sind auch die herrlichen Glasfenster, besonders<br />

die des Chores, das Kreuzigungsbild über<br />

dem Hochaltar und die neuen, gestifteten Mosaikfenster<br />

über den Seitenaltären. Im Inneren<br />

sind die Zerstörungen nicht zu groß. In der Decke<br />

klaffen zwei, drei Löcher – Bombensplitter?<br />

– Die Orgel hat einige Beschädigungen, Verlust<br />

einiger Orgelpfeifen. Der 1000-jährige Taufstein<br />

ist gegen Bombensplitter verkleidet mit Mauerwerk<br />

und Holzbalken. Vernichtet wurde das<br />

Wandgemälde der Taufkapelle, die Taufe Jesu im<br />

Jordan darstellend. Am Hochaltar hantiert der<br />

Küster, diesmal im blauen Monteuranzug, nicht<br />

im schwarzen Talar. Einige Männer säubern das<br />

Kircheninnere. Unsere alte Propsteikirche erlebt<br />

wieder eine Notzeit, wie damals 1435, 1635<br />

usw., Kirchenbrände und harte Kriegszeiten.<br />

Der ehemalige Pfarrer Menke auf dem Friedhof,<br />

unter dem Kreuz, denkt an seine damalige Kirchenbauarbeit,<br />

an die Taler, die er bettelnd bei<br />

Bauern, auf Taufen, Hochzeiten und anderen<br />

passenden Gelegenheiten einsammelte. Auf der<br />

Südseite der Kirche wird unter dem Kirchplatz<br />

ein Bunker gebaut.<br />

4.7.1943 Ich bin allein im Hause. Mutter ist<br />

in Nordwalde, Herbert in Ottmarsbocholt, Doris<br />

in Stiepel und Josef an der Ostfront, die ganze<br />

Familie zerstreut.<br />

5.7.1943 Der Kelch des Leids füllt sich. Es<br />

bewahrheitet sich nun, dass wir unser liebgewordenes<br />

Haus räumen müssen. Heute morgen<br />

war der Blockwart Becker hier und machte Aufzeichnungen<br />

über den Wegtransport der Möbel<br />

und die Zahl der zu evakuierenden Personen.<br />

Unser Aufnahmegebiet soll Pommern sein. Alle<br />

Hausbewohner werden weggeschafft. Wohin<br />

wir kommen, ist noch unbekannt. Wir versuchen<br />

wenigstens zusammenzubleiben. Ob das<br />

möglich ist, muss die Zukunft zeigen. Wir sind<br />

in niedergeschlagener Stimmung. Wieder fragen<br />

wir uns: Was wird werden? - In den letzten<br />

Nächten kurze Alarme. Köln wurde wieder heftig<br />

bombardiert. Es ist eine Zeit des Leidens und<br />

der Not.<br />

10.7.1943 Die Not wächst. Heute Nacht verlebten<br />

wir Stunden, die wir in unserem Leben<br />

nicht mehr vergessen werden. Es fehlt mir die<br />

Zeit, um alles getreu und genau berichten zu<br />

können. dass wir mit dem Leben da<strong>von</strong>gekommen<br />

sind, ist unsere einzige Genugtuung. Wattenscheid<br />

erlebte eine Nacht des Grauens. Über<br />

eine Stunde lang wurde das Stadtgebiet mit<br />

Spreng- und Brandbomben förmlich zugedeckt.<br />

Die angerichteten Schäden kann ich im einzelnen<br />

nicht angeben (s. Stadtchronik!). Ich will<br />

mich nur auf das Haus und der näheren Umgebung<br />

beschränken. Es war natürlich, dass unsere<br />

benachbarte Flak Ziel der Bombenabwürfe war.<br />

In nächster Nähe unseres Hauses also zahlreiche<br />

Spreng- und Brandbomben (s. Skizze!). <strong>Das</strong> Haus<br />

Papenburgstraße 87 erhielt einen Volltreffer,<br />

wie ein Wunder keine Verluste. Mehrere Blindgänger<br />

liegen auf der Bahn, ein dicker Brocken<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

117<br />

in Bohmholts Garten. Während der Angriffs ist<br />

das Haus <strong>von</strong> brennenden Brandgranaten umgeben.<br />

Eine Stabbrandbombe durchschlägt das<br />

Hausdach und bricht entzwei. Die Zündvorrichtung<br />

finde ich auf dem Dachboden, den Brandsatz<br />

in Herberts Schlafzimmer. Im Luftschutzkeller<br />

liegt alles geduckt auf dem Boden. Man hört<br />

das unheimliche Pfeifen und Bersten der Bomben,<br />

bald näher, bald weiter – über eine Stunde<br />

lang. Eine Termit-Brandbombe an der Gartenmauer<br />

schickt ihren Qualm in den Keller. Im<br />

Hause fallen Mauerwände u. Decken polternd<br />

zu Boden, dazwischen das Klirren zersprungener<br />

Fensterscheiben. Ich wage hin und wieder<br />

einen Sprung ins Haus nach oben. Meine ganze<br />

Aufmerksamkeit gilt einfallenden Brandbomben<br />

und deren Bekämpfung. Aber immer wieder<br />

treiben mich Sprengbomben in den Keller zurück.<br />

Mit dem Pfosten des Geländers mache ich<br />

dabei nähere Bekanntschaft und hole mir eine<br />

Beule an der Stirn. Auf der Bahn brennen lichterloh<br />

ein Kohlenwagen und ein Mannschaftswagen<br />

der Flak. Erleichtert atmen wir auf, als<br />

das Brummen der Flugzeuge nachlässt. Unsere<br />

Flak schießt schon lange nicht mehr. Sie musste<br />

in Deckung gehen; das Kabel war durchschossen.<br />

Im Hause sieht es wieder schlimm aus. <strong>Das</strong><br />

Dach ist wieder abgedeckt. Der dritte Stock ist<br />

unbewohnbar. Im Esszimmer und in Omas Küche<br />

sind die Wände wieder herausgebrochen.<br />

Alle Innenwände sind geborsten und verschoben.<br />

Die Möbel liegen durcheinander usw. <strong>Das</strong><br />

regt uns aber schon nicht mehr auf; wir freuen<br />

uns unseres Lebens. Ich helfe nun bei der Lö-


schung der Brände in Tegtmeiers Haus (Haus<br />

wird gerettet) und bei Mehring. <strong>Das</strong> Hinterhaus<br />

brennt vollständig aus. In Westenfeld brennt<br />

lichterloh Ostermanns Hof. Auf der Zeche auch<br />

das Holzmagazin. Und erst in Wattenscheid!!<br />

17.7.1943 Die Woche war angefüllt Arbeit<br />

und Sorge. Alle erwarten einen zweiten Angriff.<br />

An Schlaf vor 2 Uhr nachts ist nicht zu denken.<br />

Alle Hauseinwohner suchen nun den Luftschutzbunker<br />

an der Verbandsstraße auf. Schon<br />

gegen 22 Uhr abends ziehen Frauen und Kinder<br />

mit Koffern bepackt dorthin, um gegen 2 Uhr<br />

wieder zurückzukehren. Gleichzeitig hat eine<br />

Massenflucht nach auswärts eingesetzt. Jeden<br />

Tag werden Möbel verladen. Am Donnerstag<br />

war Hauptappell der Schule. Es haben sich wohl<br />

60 Kinder für den Transport nach Pommern gemeldet.<br />

Auch Herbert nimmt mit der Oberschule<br />

daran teil. Wie sieht es bei uns aus?<br />

Der dritte Stock kann nicht mehr benutzt werden.<br />

Wir schlafen im Esszimmer, wo ein Bett aufgeschlagen<br />

ist. - Opa, Oma und Onkel Tom sind<br />

für den Abtransport in ein Heim vorgemerkt<br />

worden. Heute wurde die ärztliche Bescheinigung<br />

ausgestellt. Der Abtransport kann jeden<br />

Tag erfolgen. Herbert kommt nach Pommern.<br />

Mit ihm soll Doris fahren. Ich habe sie beim<br />

Arbeitsamt aus dem Pflichtjahr freigemacht.<br />

Mutter und ich werden wohl voraussichtlich<br />

mit der Schule auch nach Pommern kommen.<br />

Unsere Möbel werden in Sammellagern untergebracht<br />

werden. Wir sind jeden Tag am Packen<br />

und bringen auch manche Sachen im Keller unter.<br />

Wir haben nur den einzigen Wunsch, bald<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

118<br />

diesen heißen Boden verlassen zu können. Auf<br />

dem Hof stehen schon Möbel der Familie Gützlag,<br />

auch teilweise zerstört (<strong>Das</strong> Kranzmannsche<br />

Haus bekam einen Volltreffer). Gützlags wollen<br />

in Omas Wohnung einziehen. - Die Flak, unser<br />

Sorgenkind, ist heute abgezogen. - Am Donnerstag<br />

wurden die Toten der Angriffsnacht, 48<br />

an der Zahl, zu Grabe getragen. - Was uns allen<br />

nahe ging und die Tränen in die Augen trieb,<br />

war die Vernichtung unserer schönen Herz-Jesu-<br />

Kirche in Sevinghausen. Sie brannte vollständig<br />

aus bis auf den Hochaltar. Nur die Außenmauern<br />

stehen noch. Vom Garten aus bemerkte ich<br />

den Brand. Mir blieb der Atem aus. Dicht daneben<br />

brannte Nüfers Hof.<br />

18.7.1943 Gottesdienst in der Kirchenruine<br />

zu Sevinghausen. <strong>Das</strong> Wetter ist klar. Die Kirche<br />

ist vom Schutt geräumt. Rings um uns die<br />

öden Außenmauern mit dem Turmstumpf. Die<br />

Blicke tasten die Wände entlang, ob auch kein<br />

Einsturz erfolgt. Über uns ist der blaue Himmel<br />

das Dach. Auf dem zerstörten Seitenaltar (<strong>von</strong><br />

Fellermann gestiftet aus Anlass des Heldentodes<br />

des Erbhofbauern 1914 mit einem herrlichen<br />

Gemälde: Maria die Friedenskönigin) hat man<br />

die alte Marienfigur aufgestellt. Der beschädigte<br />

Beichtstuhl in der Nische ist aus der Propstei geborgt.<br />

Ich suche draußen nach Teilen der Orgel,<br />

die mir durch das sonntägliche Spiel lieb und<br />

vertraut geworden war. Auch tote Gegenstände<br />

können zu guten Kameraden werden. Im Inneren<br />

der Kirche sind einige Stühle aufgestellt. So<br />

liest unser Pfarrvikar Wilmsen seine Kriegsmesse<br />

vor der ergriffenen Gemeinde. Dieser Aufent-<br />

halt in der Kirchenruine ist allen mehr als die<br />

eindrucksvollste Predigt. Hier erkennt man die<br />

Welt mit ihrer Niedertracht, der Vergänglichkeit<br />

allen Seins. Der blaue Himmel über uns weist<br />

uns den Weg der Lösung allen Übels. Ernst und<br />

überanstrengt sind die Gesichtszüge unseres<br />

Priesters, als er <strong>von</strong> dem Unglück spricht, das<br />

uns getroffen hat. Er dankt aber Gott, dass er<br />

uns <strong>von</strong> noch Schlimmeren bewahrt habe. Wir<br />

beugen uns dem Willen Gottes.<br />

27.7.1943 Eine Woche der Aufregung und<br />

des Leids ist wieder hinter uns. Wir verlassen<br />

alle unser liebes Haus. In dieser Woche wurde<br />

gepackt. Gebrauchgegenstände, Porzellan usw.<br />

wurde in Kisten in den Keller gepackt. Omas<br />

Möbel kamen ins vordere Zimmer. Meine Möbel<br />

werden am kommenden Donnerstag nach<br />

Plettenberg verschickt. Auf Wunsch der Familie<br />

Neuhaus besuchten Herbert und ich diese am<br />

vergangenen Mittwoch in Plettenberg. Es war für<br />

mich ein eigenartiges Gefühl, durch eine Stadt<br />

ohne Ruinen zu gehen. Der Empfang dort war<br />

so herzlich, dass uns Tränen in den Augen standen.<br />

Herbert wurde <strong>von</strong> der Familie Neuhaus sofort<br />

in Beschlag genommen. Anstatt nach Pommern<br />

zu fahren, wie ursprünglich vorgesehen,<br />

wird er für die Dauer des Krieges dort bleiben.<br />

Samstag ist er in Begleitung <strong>von</strong> Mutter dorthin<br />

übergesiedelt. Seine beiden Enten hat er auch<br />

mitgenommen. <strong>Das</strong> Getrenntsein <strong>von</strong> meinem<br />

liebsten Jüngsten wird mir schwer fallen. In<br />

Plettenberg gab man mir auch den Rat, meine<br />

Möbel dort unterzustellen. Fritz und Martha<br />

Neuhaus wissen mir nicht Gutes genug zu tun.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

119<br />

Es geht bei ihnen eben alles. Freitag war für uns<br />

ein Tag der Wehmut. Opa, Oma und Onkel Tom<br />

nahmen Abschied <strong>von</strong> ihrer Heimat, wo alles an<br />

ihre Arbeit und ihr Leben erinnert. Opa ist beim<br />

Weggang sehr gefasst. Da es diesig ist, zitiert er:<br />

„Ziehen wir ab im Morgengrauen...“ Onkel Tom<br />

ist so schlecht zurecht, dass es die Reise beinahe<br />

nicht mitmachen kann. Sein Herz arbeitet<br />

stark. Aufregung! – Im Auto geht’s zur NSV–<br />

Stelle und bald im Reisebus nach Bochum, <strong>von</strong><br />

wo der Lazarettzug abfahren soll. Ob wir wohl<br />

unsere lieben Alten wiedersehen werden? – Ich<br />

glaube nicht. Unsere Stimmung und Gedanken<br />

kann ich nicht wiedergeben. Alle Familienmitglieder,<br />

die lange Jahre hindurch glücklich und<br />

einträchtig zusammenlebten, werden vielleicht<br />

für viele Jahre auseinandergerissen. - Am Freitag<br />

ist auch Frau Dreyer mit ihren Möbeln in die<br />

Gegend <strong>von</strong> Halberstadt gefahren und kommt<br />

dort auf einem Bauernhof unter. Der Bauer ist<br />

ein Kriegskamerad <strong>von</strong> August Dreyer.<br />

28.7.1943 Besuch bei der Mutter in Ückendorf.<br />

Auf dem Kirchgange hat sie sich den Arm<br />

gebrochen. Familie Gützlag hat sich schon<br />

in den unteren Räumen eingerichtet. Alles in<br />

Haus, Hof und Garten erinnert mich schon an<br />

die Weggegangenen. Da hat sich Herbert gestern<br />

noch eine Strickschaukel gemacht. Auf der<br />

Bleiche steht sein leerer Entenstall. Im Garten<br />

scheinen alle Früchte um den fleißigen Opa zu<br />

trauern. Man kann es nicht fassen, dass das Haus<br />

in Zukunft fremde Leute beherbergen soll.<br />

1.8.1943 Eine Woche Arbeit ist wieder hinter<br />

uns. Mancher Schweißtropfen wurde ver-


gossen. Am Donnerstag wurden unsere Möbel<br />

nach Plettenberg verladen. Auch ein harter Abschied<br />

<strong>von</strong> gut Vertrautem. Wir denken an die<br />

Zukunft, wann und wo wir sie wieder aufbauen<br />

können. Augenblicklich hausen wir in drei Zimmern,<br />

ausgestattet mit einigen alten Möbelstücken,<br />

die hierbleiben sollen. Unsere Wohnung<br />

hat viel Licht, Luft und Sonne. Wir sind zum<br />

Einfachen zurückgekehrt und werden auch so<br />

fertig. Vor einigen Tagen erhielten wir auch <strong>von</strong><br />

den drei Alten Nachricht. Zu unserer Freude haben<br />

sie es gut getroffen. Sie wohnen in einem<br />

Heim der Samariter. – Schwestern in Volkerthausen<br />

am Bodensee (Baden). Sie schreiben <strong>von</strong><br />

ihrer Fahrt dorthin und denken vorläufig noch<br />

nicht an eine Rückkehr in den Kohlenpott. – In<br />

der Nacht <strong>von</strong> Freitag auf Samstag hatten wir<br />

wieder Flieger über uns. Der Angriff konzentrierte<br />

sich auf Remscheid. – Gestern war ich mit<br />

Frau in Dortmund, sah auch dort nur Trümmer,<br />

fuhren weiter nach Mengede und verabschiedeten<br />

uns <strong>von</strong> Otti. Es gab wieder einige Tränen.<br />

Ansonsten bewegen sich unsere Gespräche um<br />

unsere kommenden Schicksale in Pommern.<br />

Wie werden wir es dort antreffen?<br />

2.8.1943 Hypothekenschuld beglichen. Liste<br />

der Gebäude- und Wohnungsschäden am Bauamt<br />

eingereicht. – Wasserleitungsreparatur beantragt.<br />

6.8.1943 Nach langem Warten erhielten wir<br />

heute einen Brief <strong>von</strong> Josef. Er war auf dem<br />

Marsch, hat wunde Füße. Augenblicklich wird<br />

er wohl an den harten Kämpfen teilnehmen.<br />

Offensive der Russen bei Orel usw. Er weiß noch<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

120<br />

nicht, dass wir evakuiert werden. Wo soll er seinen<br />

Urlaub verbringen? – Jeder Tag bringt Arbeit<br />

für den Abreisefall. Gestern stellte ich an<br />

der Fritz-Borawski-Schule Abreisebescheinigungen<br />

für meinen Transport aus. Der Abreisetag ist<br />

noch nicht festgelegt. In der Zeitung eine Bekanntmachung,<br />

dass nach den Ferien hier kein<br />

Unterricht mehr stattfindet. Wohin aber mit<br />

den Kindern, die nicht nach Pommern wollen<br />

oder zu Verwandten gehen? Am 4.8. ist Doris<br />

aus ihrer Pflichtjahrstelle entlassen worden und<br />

nach Hause gekommen. Mutter musste sie abholen,<br />

weil sie kränkelte.<br />

8.8.1943 Die Witterung ist schlecht, deshalb<br />

findet der Gottesdienst in der alten Pilgrimskapelle<br />

statt. Für den weiteren Gottesdienstgebrauch<br />

ist die Kapelle hergerichtet worden.<br />

Nach dem Hochamte verabschieden wir uns<br />

<strong>von</strong> unserem Seelsorger und lassen uns den Reisesegen<br />

geben.<br />

9.8.1943 Änne verabschiedet sich <strong>von</strong> uns<br />

und geht zu ihrer Mutter. Damit verlässt uns<br />

eine getreue Hausgenossin, die vor allen meinen<br />

Kindern und den betagten Schwiegereltern<br />

eine aufopfernde Helferin war. Wir sind traurig,<br />

dass alle Bande auseinandergerissen werden. Es<br />

ist mir nicht möglich, unsere Gedanken und<br />

Empfindungen alle ausführlich wiederzugeben.<br />

Es sind trostlose Tage!!<br />

10.8.1943 Von Plettenberg bekommen wir<br />

Nachricht, dass Möbel gut angekommen sind.<br />

Verladung noch am Abend – Tisch aus dem<br />

Leim, Scheibe entzwei. Wir sind froh, dass wir<br />

so noch glimpflich abgekommen sind. Viele<br />

Leute beklagen sich darüber, dass ihre Möbel<br />

beim Transport schwer beschädigt worden seien<br />

– Füße ab. Nun steht endlich auch in der Zeitung,<br />

dass unser Transport am Montag, d. 16.8.<br />

Wattenscheid verlassen wird. Wohin – ist noch<br />

nicht angegeben.<br />

11.8.1943 Doris zur Verabschiedung zwei<br />

Tage in Plettenberg gewesen. Herbert hat sich<br />

gut eingelebt.<br />

12.8.1943 <strong>Das</strong> Wetter hat sich gebessert,<br />

gleich wird’s auch wieder in der Luft lebendig.<br />

Gegen 9 ½ Uhr morgens gibt’s Alarm und mehrere<br />

Geschwader ziehen am blauen Himmel<br />

über uns hinweg nach Osten. Hinter sich her<br />

schleppen sie deutlich erkennbare Kondensstreifen.<br />

Sie sind ein gutes Ziel unserer Flak. Ein<br />

Flugzeug wird getroffen, zieht eine Rauchfahne<br />

hinter sich her. Ein Fallschirm schwebt zu Bo-<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

121<br />

den, kurz nachher steht ein mächtiger Dampfpilz<br />

über der Stelle, wo das Flugzeug abgestürzt<br />

ist. Bomben werden abgeworfen in Bochum<br />

und Dortmund.<br />

Wir hören heute, dass wir wahrscheinlich nach<br />

Baden verschickt würden.<br />

15.8.1943 Seit Donnerstag wissen wir nun<br />

ungefähr, wohin die Reise geht und wo wir die<br />

weitere Kriegszeit verleben werden. Unser Aufenthaltsort<br />

liegt einige Kilometer östlich <strong>von</strong><br />

Stettin. Es scheint Flachland zu sein. Abreisetag<br />

ist der morgige Tag. Mit unserer Abreise ist<br />

das Haus <strong>von</strong> allen alten Hausbewohnern verlassen.<br />

Der Abschied fällt schwer. Wir denken<br />

an das weitere Schicksal unseres Heimes. Wie<br />

werden wir es wiedersehen? – Und wann? – So<br />

will ich denn auch meine Chronik des Hauses<br />

kurz schließen und hoffe, dass Gott die Schicksale<br />

des Hauses und seiner Bewohner in Zukunft<br />

gnädig lenken möge. Amen!<br />

Aufenthaltsorte der Hauseinwohner:<br />

Opa, Oma, Onkel Tom in Volkertshausen am<br />

Bodensee, bei den Samariter Schwestern.<br />

Ich, Franz und Doris östlich <strong>von</strong> Stettin.<br />

Herbert, bei Fam. Fritz Neuhaus in Plettenberg<br />

Josef, Maschinengewehr Schütze an der<br />

Ostfront.<br />

Treschen, Trudi, Urlaub in Lehesten, Sachsen.<br />

Willi, an der Ostfront.<br />

Frau Dreyer, Änne, auf einem Bauernhof<br />

bei Halberstadt.<br />

August Dreyer, augenblicklich in einer<br />

Garnison in Mitteldeutschland.


Hier endet das Tagebuch <strong>von</strong> <strong>Albert</strong><br />

<strong>Plassmann</strong>. Er wollte es an dieser<br />

Stelle nur für kurze Zeit schließen.<br />

1945 wurde er <strong>von</strong> den Russen<br />

verschleppt und starb, schwer krank,<br />

noch im selben Jahr.<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

122<br />

Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

<strong>Albert</strong> <strong>Plassmann</strong><br />

<strong>Albert</strong> <strong>Plassmann</strong> wurde 1897 in Wattenscheid geboren.<br />

Er war Lehrer an den Volksschulen in Sevinghausen<br />

und Westenfeld.<br />

Nebenberuflich leitete er den Kirchenchor <strong>von</strong><br />

Herz Jesu und betätigte sich als Organist.<br />

Eine Verwundung im Ersten Weltkrieg ersparte ihm<br />

einen Fronteinsatz im Zweiten Weltkrieg.<br />

Über die Kriegstage in Wattenscheid führte er ein<br />

Tagebuch. Es endet im August 1943<br />

– als <strong>Albert</strong> <strong>Plassmann</strong> mit der Westenfelder Schule<br />

im Rahmen der Kinderlandverschickung<br />

nach Pommern musste.<br />

1945 wurde er <strong>von</strong> den Russen verschleppt.<br />

Schwer krank kehrte er aus der Gefangenschaft zurück.<br />

Er starb am 18. November 1945.<br />

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Nacht über Wattenscheid · Schlag auf Schlag<br />

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