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Neue Szene 2020-10

Stadtmagazin für Augsburg

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Wann hast du damit angefangen, eigene Texte

zu schreiben und vor Publikum vorzutragen?

Ich habe eigentlich schon immer gerne geschrieben.

Das erste Mal, dass ich etwas von mir vorgetragen

habe, war bei einer Eigenproduktion vom

Jugend-Stadttheater Augsburg. Danach habe ich

angefangen, mehr Texte speziell für die Bühne zu

schreiben und hatte dann meinen ersten größeren

Solo-Auftritt 2015 bei der „CampusKunst”-Open

Stage an der Uni. Ich habe meinen Text dort vor

ungefähr 200 Studierenden auswendig vorgetragen.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie

aufregend und einmalig sich das angefühlt hat,

alleine auf der Bühne zu stehen.

Und wie hast du schließlich zur Poetry Slam-

Szene gefunden?

Ich bin damals auf YouTube zufällig auf ein

Video des Poetry Slammers Maximilian Humpert

gestoßen und fand seinen Vortrag total beeindruckend.

Inspiriert von seinem Auftritt habe

ich dann selbst etwas geschrieben und Kontakt

zu ihm aufgenommen. Zu der Zeit, im Herbst

2015, wurden in Augsburg die deutschsprachigen

Poetry Slam-Meisterschaften ausgetragen, wo wir

uns dann schließlich auch kurz getroffen haben.

Ich habe Maximilian meinen Text gezeigt, er hat

mir ein paar Tipps gegeben und mich ermutigt,

damit auf Bühnen zu gehen. Von ihm Ratschläge

zu bekommen war schon so ein kleiner Fangirl-

Moment und tatsächlich auch mein Einstieg in

die Poetry Slam-Welt.

Was macht Poetry Slam als Kunstform so

besonders?

Die große Freiheit. Es gibt keine Vorschriften,

welche Art von Texten vorgetragen werden. Jede*r

kann genau das machen, worauf er oder sie Lust

hat, der eigenen Kreativität sind keine Grenzen

gesetzt und diese Freiheit macht das Ganze so

besonders. Und auch als Zuschauer*in weiß man

beim Poetry Slam einfach nie ganz genau, was

einen an diesem Abend erwartet. Selbst wenn

man das Format kennt, ist es trotzdem immer

eine Überraschung, was die einzelnen Poet*innen

daraus machen.

In vielen deiner Texte geht es um schwerwiegende

emotionale oder gesellschaftspolitische

Themen. Warum ist es dir wichtig, darüber zu

slammen?

Natürlich ist Poetry Slam auch ein Unterhaltungsformat

und viele Kolleg*innen tragen unglaublich

witzige Texte vor, aber das heißt ja nicht, dass

man nicht auch ernstere Dinge ansprechen kann.

Ich finde, diese besondere Mischung macht das

Ganze auch aus. Uns Poet*innen ist durch die

Bühne eine wertvolle Plattform geboten und ich

persönlich möchte die dazu nutzen, Missstände

zu thematisieren, die vielleicht nicht gerade beim

Smalltalk zur Sprache kommen. Es sind Themen,

die mich persönlich bewegen und nur dadurch

sind sie authentisch. Ich versuche in meinen

Texten, den Zuhörer*innen andere Blickwinkel

auf diese Aspekte zu zeigen, die sie sonst in ihrer

Bubble vielleicht nicht mitbekommen würden.

Was möchtest du damit bei deinem Publikum

bewirken?

Ich hoffe, den Zuschauer*innen einen Gedanken

mit auf den Heimweg zu geben. Ich glaube zwar

nicht, dass ich mit meinen Texten die Welt verändere,

dafür ist die Reichweite beim Poetry Slam

nicht groß genug, aber ich finde, so klischeehaft

das auch klingt, etwas Kleines zu bewegen, kann

auch schon viel ausmachen. Es reicht schon eine

einzelne Person, bei der es nach dem Auftritt vielleicht

Klick gemacht hat und die danach anders

über ein Thema denkt.

Hast du so einen Moment schon einmal

erlebt?

Ja tatsächlich. In einem meiner Texte spreche

ich an, dass die Frage „Woher kommst du?” für

Menschen mit Migrationshintergrund persönlich

verletzend sein kann, weil sie impliziert, dass diese

Personen für ihr Gegenüber nicht in dieser Gesellschaft

zugehörig sind. Bei einem Auftritt kam

danach eine ältere Dame auf mich zu, die sich mit

dieser Perspektive noch nie auseinandergesetzt

hatte. Wir haben eine Weile darüber gesprochen

und ich hatte das Gefühl, dass sie die Problematik

dadurch wirklich eingesehen und verstanden hat.

Das war eine sehr positive Erfahrung, und genau

sowas möchte ich auch bewirken.

Wenn du gerade mal nicht auf der Bühne

stehst, studierst du Grundschullehramt an

der Uni Augsburg. Könntest du dir vorstellen,

später als Lehrerin Poetry Slam in deinen

Unterricht einzubinden?

Ja, das kann ich mir richtig gut vorstellen. Ich

habe im Rahmen meines Studiums auch schon

mal eine Unterrichtsstunde zu Poetry Slam

in einer vierten Klasse gehalten. Ich habe den

Schüler*innen ein Thema vorgegeben und erklärt,

dass alle Schreibstile erlaubt sind und sie sich

ganz individuell ausdenken können, wie sie die

Texte vortragen möchten. Die Kinder haben sich

richtig motiviert ins Zeug gelegt und ihre Vorträge

haben meine Erwartungen total übertroffen.

Mit am schönsten daran war, dass eine eigentlich

sehr schüchterne Schülerin während des Projekts

total aufgeblüht ist und sie zusammen mit ihrer

Teampartnerin am Ende von den anderen Kindern

zu den Siegerinnen gekürt wurde.

Welche Zukunftspläne stehen denn noch auf

deiner Bucket List?

Vielleicht bringe ich wie die meisten Poetry

Slammer*innen irgendwann mal ein eigenes

Buch raus, aber damit lasse ich mir noch Zeit.

Einen Schritt in die Richtung habe ich allerdings

schon gemacht, denn mein neuester Text wird

Mitte November in der Sammlung „Leude. Die

namhafte Poetry Slam-Anthologie” im Lektora

Verlag veröffentlicht. Darüber freue ich mich

total, weil dieser Text das Aufwachsen in Deutschland

mit Migrationshintergrund behandelt und

mir sehr viel bedeutet.

Schreibst du aktuell an neuen Texten?

Das liegt gerade bedingt durch Corona und

meine Staatsexamensprüfungen ein bisschen auf

Eis. Ich schreibe aber immer mal wieder Gedanken

und Phrasen auf, die mir spontan einfallen.

Ich habe in letzter Zeit einige Ideen zu einem

Text gesammelt, muss sie aber noch konkretisieren

und ausformulieren. Ein Thema, das mich in

letzter Zeit beschäftigt und bewegt, ist auf jeden

Fall die weltweite Anti-Rassimus-Bewegung rund

um die Black Lives Matter-Proteste.

Stichwort Coronakrise: Wie geht es jetzt für

dich und die ganze Poetry-Slam-Szene weiter?

Ich hatte im August beim KunstWerk Open Air-

Poetry Slam am Gaswerk meinen ersten Auftritt

nach fünf Monaten Corona-Pause. Den Sommer

über gab es ja einige Open Air Veranstaltungen,

aber es ist natürlich eine spannende Frage, wie

sich das jetzt über die nächsten Monate entwickeln

wird. Ich denke, Corona wird noch langfristige

Auswirkungen auf die Szene haben, die

wir jetzt noch nicht wirklich abschätzen können.

Kommende Auftritte gebe ich immer auf meiner

Facebook-Seite (facebook.com/ezgi.poetryslam)

bekannt, und wer sich auch für Stories hinter den

Kulissen interessiert, folgt mir gerne auf Instagram

(instagram.com/ezgi_z).

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