38zOOmDie 25-jährige Ezgi Zengin ist seit einigen Jahren auf kleinen und großen Poetry-Slam-Bühnen in ganzDeutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Mit großer Leidenschaft und Eindringlichkeit trägt sieihre Texte vor und behandelt dabei so unterschiedliche und wichtige Themen wie Fragen der Herkunft, dasHeranwachsen vom Mädchen zur Frau oder Hass und Intoleranz in der Gesellschaft. Uns verrät sie, wie sie zumPoetry Slam gekommen ist, was sie mit ihren Texten bewegen möchte und warum kleine Kinder die bestenSlammer*innen sind. Von Lina Frijus-Plessen© Robert HagstotzPoetin, Vieldenkerin,AugsburgerinIm Gespräch mit der Poetry Slammerin Ezgi Zengin
zOOm39Wann hast du damit angefangen, eigene Textezu schreiben und vor Publikum vorzutragen?Ich habe eigentlich schon immer gerne geschrieben.Das erste Mal, dass ich etwas von mir vorgetragenhabe, war bei einer Eigenproduktion vomJugend-Stadttheater Augsburg. Danach habe ichangefangen, mehr Texte speziell für die Bühne zuschreiben und hatte dann meinen ersten größerenSolo-Auftritt 2015 bei der „CampusKunst”-OpenStage an der Uni. Ich habe meinen Text dort vorungefähr 200 Studierenden auswendig vorgetragen.Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wieaufregend und einmalig sich das angefühlt hat,alleine auf der Bühne zu stehen.Und wie hast du schließlich zur Poetry Slam-Szene gefunden?Ich bin damals auf YouTube zufällig auf einVideo des Poetry Slammers Maximilian Humpertgestoßen und fand seinen Vortrag total beeindruckend.Inspiriert von seinem Auftritt habeich dann selbst etwas geschrieben und Kontaktzu ihm aufgenommen. Zu der Zeit, im Herbst2015, wurden in Augsburg die deutschsprachigenPoetry Slam-Meisterschaften ausgetragen, wo wiruns dann schließlich auch kurz getroffen haben.Ich habe Maximilian meinen Text gezeigt, er hatmir ein paar Tipps gegeben und mich ermutigt,damit auf Bühnen zu gehen. Von ihm Ratschlägezu bekommen war schon so ein kleiner Fangirl-Moment und tatsächlich auch mein Einstieg indie Poetry Slam-Welt.Was macht Poetry Slam als Kunstform sobesonders?Die große Freiheit. Es gibt keine Vorschriften,welche Art von Texten vorgetragen werden. Jede*rkann genau das machen, worauf er oder sie Lusthat, der eigenen Kreativität sind keine Grenzengesetzt und diese Freiheit macht das Ganze sobesonders. Und auch als Zuschauer*in weiß manbeim Poetry Slam einfach nie ganz genau, waseinen an diesem Abend erwartet. Selbst wennman das Format kennt, ist es trotzdem immereine Überraschung, was die einzelnen Poet*innendaraus machen.In vielen deiner Texte geht es um schwerwiegendeemotionale oder gesellschaftspolitischeThemen. Warum ist es dir wichtig, darüber zuslammen?Natürlich ist Poetry Slam auch ein Unterhaltungsformatund viele Kolleg*innen tragen unglaublichwitzige Texte vor, aber das heißt ja nicht, dassman nicht auch ernstere Dinge ansprechen kann.Ich finde, diese besondere Mischung macht dasGanze auch aus. Uns Poet*innen ist durch dieBühne eine wertvolle Plattform geboten und ichpersönlich möchte die dazu nutzen, Missständezu thematisieren, die vielleicht nicht gerade beimSmalltalk zur Sprache kommen. Es sind Themen,die mich persönlich bewegen und nur dadurchsind sie authentisch. Ich versuche in meinenTexten, den Zuhörer*innen andere Blickwinkelauf diese Aspekte zu zeigen, die sie sonst in ihrerBubble vielleicht nicht mitbekommen würden.Was möchtest du damit bei deinem Publikumbewirken?Ich hoffe, den Zuschauer*innen einen Gedankenmit auf den Heimweg zu geben. Ich glaube zwarnicht, dass ich mit meinen Texten die Welt verändere,dafür ist die Reichweite beim Poetry Slamnicht groß genug, aber ich finde, so klischeehaftdas auch klingt, etwas Kleines zu bewegen, kannauch schon viel ausmachen. Es reicht schon eineeinzelne Person, bei der es nach dem Auftritt vielleichtKlick gemacht hat und die danach andersüber ein Thema denkt.Hast du so einen Moment schon einmalerlebt?Ja tatsächlich. In einem meiner Texte sprecheich an, dass die Frage „Woher kommst du?” fürMenschen mit Migrationshintergrund persönlichverletzend sein kann, weil sie impliziert, dass diesePersonen für ihr Gegenüber nicht in dieser Gesellschaftzugehörig sind. Bei einem Auftritt kamdanach eine ältere Dame auf mich zu, die sich mitdieser Perspektive noch nie auseinandergesetzthatte. Wir haben eine Weile darüber gesprochenund ich hatte das Gefühl, dass sie die Problematikdadurch wirklich eingesehen und verstanden hat.Das war eine sehr positive Erfahrung, und genausowas möchte ich auch bewirken.Wenn du gerade mal nicht auf der Bühnestehst, studierst du Grundschullehramt ander Uni Augsburg. Könntest du dir vorstellen,später als Lehrerin Poetry Slam in deinenUnterricht einzubinden?Ja, das kann ich mir richtig gut vorstellen. Ichhabe im Rahmen meines Studiums auch schonmal eine Unterrichtsstunde zu Poetry Slamin einer vierten Klasse gehalten. Ich habe denSchüler*innen ein Thema vorgegeben und erklärt,dass alle Schreibstile erlaubt sind und sie sichganz individuell ausdenken können, wie sie dieTexte vortragen möchten. Die Kinder haben sichrichtig motiviert ins Zeug gelegt und ihre Vorträgehaben meine Erwartungen total übertroffen.Mit am schönsten daran war, dass eine eigentlichsehr schüchterne Schülerin während des Projektstotal aufgeblüht ist und sie zusammen mit ihrerTeampartnerin am Ende von den anderen Kindernzu den Siegerinnen gekürt wurde.Welche Zukunftspläne stehen denn noch aufdeiner Bucket List?Vielleicht bringe ich wie die meisten PoetrySlammer*innen irgendwann mal ein eigenesBuch raus, aber damit lasse ich mir noch Zeit.Einen Schritt in die Richtung habe ich allerdingsschon gemacht, denn mein neuester Text wirdMitte November in der Sammlung „Leude. Dienamhafte Poetry Slam-Anthologie” im LektoraVerlag veröffentlicht. Darüber freue ich michtotal, weil dieser Text das Aufwachsen in Deutschlandmit Migrationshintergrund behandelt undmir sehr viel bedeutet.Schreibst du aktuell an neuen Texten?Das liegt gerade bedingt durch Corona undmeine Staatsexamensprüfungen ein bisschen aufEis. Ich schreibe aber immer mal wieder Gedankenund Phrasen auf, die mir spontan einfallen.Ich habe in letzter Zeit einige Ideen zu einemText gesammelt, muss sie aber noch konkretisierenund ausformulieren. Ein Thema, das mich inletzter Zeit beschäftigt und bewegt, ist auf jedenFall die weltweite Anti-Rassimus-Bewegung rundum die Black Lives Matter-Proteste.Stichwort Coronakrise: Wie geht es jetzt fürdich und die ganze Poetry-Slam-Szene weiter?Ich hatte im August beim KunstWerk Open Air-Poetry Slam am Gaswerk meinen ersten Auftrittnach fünf Monaten Corona-Pause. Den Sommerüber gab es ja einige Open Air Veranstaltungen,aber es ist natürlich eine spannende Frage, wiesich das jetzt über die nächsten Monate entwickelnwird. Ich denke, Corona wird noch langfristigeAuswirkungen auf die Szene haben, diewir jetzt noch nicht wirklich abschätzen können.Kommende Auftritte gebe ich immer auf meinerFacebook-Seite (facebook.com/ezgi.poetryslam)bekannt, und wer sich auch für Stories hinter denKulissen interessiert, folgt mir gerne auf Instagram(instagram.com/ezgi_z).