Neue Szene 2020-10
Stadtmagazin für Augsburg
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Welche war die erste Augsburger Reggaeband?
Das war die Adams Family, eine Band, die aus lauter Asylbewerbern
bestand. 1993 bin ich nach einem mehrwöchigen Jamaika-
Aufenthalt nach Augsburg zurückgekommen und dieser Urlaub war
dann die Initialzündung für unsere Band Seeds Shall Grow mit dem
ersten Auftritt im legendären Bauernhof in Wulfertshausen.
Ivo, wo fangen wir denn bei dir an?
Da müssen wir wohl tief graben ...
Kannst du dich erinnern, wann du zum ersten Mal in das Augsburger
Nachtleben eingetaucht bist?
Das war 1981, da war ich gerade mal elf Jahre alt. Ich bin im Spickel aufgewachsen
und immer mit den älteren Jungs herumgezogen. Die haben mich
dann auf ein Konzert der Münchner Punkband A&P ins Subway, das spätere
Kerosin, geschleppt. Das Subway war der erste Punk- und New Wave-Schuppen
der Stadt. Und mein zweite Begegnung war im selben Jahr das Konzert von
Extrabreit in der Meitinger Gemeindehalle. Zu Ideal in die Alabamahalle nach
München durfte ich damals nicht.
Du bist also mit Punk und New Wave musikalisch sozialisiert worden?
Kann man so sagen. Ich war zwar nie Punk, aber den Sound und die
Attitude fand ich cool.
Warst du überhaupt jemals Teil einer Jugendbewegung?
Über den Punk bin ich eingetaucht, aber Bob Marley hat mir 1983 den
Weg zum Reggae geebnet. Marley sang bereits 1977 „New Wave, new craze ...”
in dem Song „Punky Reggae Party” und hat damit früh eine Hommage an die
neue revolutionäre Musik geschrieben. Bands wie The Clash und The Ruts
vereinten Punk und Reggae in brillanter Manier und überhaupt war Reggae
in der englischen Punkszene Anfang der Achtziger sehr beliebt. Eine große
Nummer war auch der britische Musiker, DJ und Filmproduzent Don
Letts. Er lebt bis heute die Schnittmenge zwischen Punk und Reggae.
Reggae war aber Anfang der 80er in Augsburg eigentlich kaum
existent.
Das stimmt, das ging erst Ende der Achtziger richtig los. Die ersten
zarten Gehversuche in diese Richtung fanden einige Jahre zuvor im Spickel
statt. Und zwar im Pfarrheim, denn dort haben wir uns oft getroffen und
über Reggae und Rasta siniert. Das hat uns schon früh geprägt.
Das Spickel als Epi-Zentrum für Bayern in Sachen Reggae?
Mag komisch klingen, aber es war tatsächlich so. Richtig los ging es dann
1987 im Wespennest in Haunstetten. Dort fanden die ersten richtigen Partys
mit Michael Schaddach statt. Die Veranstaltungen hatten nicht mal einen
Namen, das hat sich so langsam entwickelt und irgendwann war die Hütte
mittwochs immer brechend voll. Geschäftsführer im Wespennest war damals
übrigens Thommy Lindner. Danach wurden dann die Hochzoller und die
Wulfis auch aktiv.
Fünfzehn Jahre später war Augsburg eine Reggae-Hochburg und
wurde sogar Rootsburg genannt.
Augsburg war tatsächlich eine Zeitlang ganz vorne mit dabei. Wir hatten
über Jahre mehr Reggaebands als z.B. München. Den Begriff „Rootsburg“ hat
die britische UK Roots-Legende Erroll Bellot nach einem Auftritt in Augsburg
übrigens bei mir zuhause in der Küche kreiert.
Und daraus entstanden 1998 die I-Shen-Rockers, die wohl erfolgreichste
Reggae- und Dancehallband der Stadt.
Die I-Shen-Rockers waren wesentlich moderner vom Sound her,
wir haben Reggae, Dub und Dancehall gespielt und waren damit lange
ziemlich gut im Geschäft. Wir haben auf sehr vielen wichtigen Festivals in
ganz Europa gespielt und auf dem Balkan waren wir sogar kleine Stars. Als
2006 Schluss war, bin ich als „I-Shen-Sound” weiterhin getourt. Ich war u. a
in Moskau beim Outlock-Festival, dem größten Bassmusik-Festival in Europa
und habe als einziger deutscher Soundboy im Amsterdamer Paradiso mit King
Shiloh aufgelegt.
Es gab auch einen sehr kultigen Reggae-Plattenladen in der Stadt.
Ja, das war der Reggae-Corner im Kleinen Katharinengässchen. Das war
für mich der beste Plattenladen dieser Art in ganz Deutschland und auch
hier wurde vieles mit angeschoben. Die Jungs haben übrigens auf stayfm eine
Radioshow. Check it!
Mit „Jah Army“ hast du damals sogar ein Klamottenlabel gegründet.
Ich habe zum Spaß ein paar T-Shirts mit dem Slogan „Jah Army” drucken
lassen und die Dinger wurden mir regelrecht aus der Hand gerissen, alle
möglichen Künstler, u. a. Gentleman, wollten diese Shirts haben, sind damit
aufgetreten und haben so Werbung für mich gemacht. Aber ich hatte keine
Lust auf einen Versandhandel und habe die Firma einem Freund in Tübingen
überlassen.
Keine Lust auf Kommerz also?
Bei mir muss immer der Spirit stimmen. Ich bin wie ein Schmetterling,
ich fliege herum, setze mich und wenn alles blüht, ziehe ich weiter.
„Ich bin wie ein Schmetterling,
ich fliege herum, setze mich
und wenn alles blüht,
ziehe ich weiter“
Du hast das erste Reggae-Festival der Region und auch viele Konzerte
veranstaltet. 2001 fand das „x-large-Festival”, der Vorgänger vom Modular,
statt. Es war das größte Jugendkulturfestival, das Augsburg bisher
erlebt hat, laut Polizeiangaben tummelten sich in fünf Tagen 400.000
Menschen auf dem Plärrergelände. Du warst einer von zwei Bookern,
die für das musikalische Programm verantwortlich waren.
Du warst ja der zweite Booker und das war eine großartige Erfahrung, bei
der ich viel gelernt habe. Wir hatten 100.000 DM für die Acts zur Verfügung,
was sich erstmal zwar viel anhört, wenn man die Kohle allerdings auf fünf
Tage splittet, sieht das schon wieder ganz anders aus. Trotzdem konnten wir
Bands wie Phoenix, Deichkind, The Skatalites, Donots, Tomte, Slut oder DJ
Koze auf das Plärrergelände locken, insgesamt sind über 100 Acts aufgetreten.
Und dann begann für dich der Ernst des Lebens.
Kann man so sagen, ich war mit dem Studium fertig und habe nach
x-large einige Jahre als Diplom-Sozialpädagoge beim sjr gearbeitet. 2012 habe