T&S_04_2020
FINANZ-KOLUMNEDER AKTIEN-BOOM ODER:NUR UNTER DRUCKENTSTEHEN DIAMANTENDurch die Corona-Pandemie ist die meist gehasste Rally an den Börsen durch dieunbeliebteste Rally aller Zeiten abgelöst worden. Doch das ist Marktpsychologie.Die nüchterne Analyse ist: Die Aktienmärkte erfahren ihre überfällige Neubewertung.Nur unter Druck entstehen Diamanten?Was hat diesesphysikalische Gesetz mit denAktienmärkten und der laufendenRally zu tun? Sehr viel. Denn die Corona-Kriseist das Druckmittel in einerEntwicklung, die unausweichlich war:die Neubewertung der Aktienmärkteund das Ende der Zinsen, wie sie dasVerhalten an den Finanzmärkten währendJahrzehnten bestimmt haben.Folgt man hingegen der Meinung der vermeintlichenMarktexperten, dann ist die massive Erholungan den Börsen seit dem Corona-Crash im vergangenenMärz und April ein weiteresZeichen einer «rational exuberance»,welche bereits die eine Dekade dauerndeAktienrally nach der Finanzkrisegeprägt hat: Dem «Überschwang» istnicht zu trauen.Diesem Urteil liegt ein in der Verhaltensökonomiebestens bekannterDenkfehler zugrunde: der «Appealof Tradition» – oder Voreingenommenheitaus Tradition –, der uns Annahmen für dieGegenwart oder die Zukunft treffen lässt, weil siein der Vergangenheit zutreffend waren. Wenn alsoZins-Coupons auf Staatsanleihen von 5 Prozent vor6 trends & style 4/20
30 Jahren noch die Norm waren und die Aktienbewertungennach einer Norm getroffen wurden,denen ein bestimmtes Kurs-Gewinn-Verhältniszugrunde lag, dann werden auch heute noch dieFinanzmärkte nach diesen «Traditionen» beurteilt.Dabei herrscht bei Pensionskassen und Sparernrundum Verzweiflung: Auf Staatsanleihen verlierendie Vorsorgewerke systematisch Geld. Sparenheisst heute Anlegen. Ich habe an dieser Stelle oftvon TINA geschrieben: There Is No Alternative –die Aktie als Anlageform ist alternativlos. Wir habendies den Notenbanken zu verdanken, die mitihrer unendlichen Geldschwemme die Zinsen unterdie Erde gebracht haben. Sogar die Notenbankensehen die Aktie als alternativlos an: Allen voran dieSchweizerische Nationalbank, die unter die zehngrössten Investoren der Welt aufgerückt ist. DieUS-Notenbank löst mit ihren Ankündigungen, mitimmer neuen Milliarden Unternehmensanleihen zukaufen, bewusst weitere Kaufwellen an den Aktienmärktenaus.Doch hier folgt die unvermeidliche Warnung desMarktpsychologen: Nur weil die Flut alle Bootehebt, bedeutet das nicht, dass alle seetauglichsind. Sprich: Auch wenn die Aktienkurse derzeitalle steigen – es ist nicht alles ein Diamant, wasglänzt! Anleger drohen hier dem Informations-Biaszum Opfer zu fallen, dem täglichen Trommelfeuermit teils völlig irrelevanten Informationen.Was ein wichtiger Faktor dieser Aktienrally ist: DieBörsenindizes verändern sich in ihrer Gewichtungund Zusammenstellung. Die Corona-Krise hat eineSektorenrotation ausgelöst und einige Diamantengeformt. Es sind diese wenigen – aber teils gewichtigen– Diamanten, die den Investoren nuneine breit abgestützte Markterholung suggerieren.Tech-Riesen wie Apple, Amazon, Google, Netflixoder Spotify. Oder um in der Schweiz zu bleibenInficon, Gurit, Sika oder VAT. Zugegeben, das sinddie derzeitigen Favoriten bei AGFIF International.Der «Appeal of Tradition» scheint auch dann zu wirken,wenn die Marktbeobachter zur Vorsicht mahnen,weil die Börsen so volatil sind. Dazu zitiere ichgerne den Schweizer Psychologen Eugen Bleuler,der vor über 100 Jahren einen für jeden Aktieninvestorenperfekten Satz sagte: «Operative Hektikersetzt geistige Windstille.» Operative Hektik oderfalscher Aktionismus ist der grösste aller Renditekilleran der Börse. Wer seine Aktien sorgfältig gemässeiner definierten Anlagestrategie auswählt,sollte sich nicht erschrecken lassen, wenn es wiedermal holprig wird.Corona und der anhaltende Druck auf die Zinsenlösen eine grundsätzliche Neubewertung der Aktienmärkteaus und schaffen eine neue Aktienkultur.Es werden so noch einige Diamanten entstehen.Mojmir Hlinkatrends & style 4/207
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30 Jahren noch die Norm waren und die Aktienbewertungen
nach einer Norm getroffen wurden,
denen ein bestimmtes Kurs-Gewinn-Verhältnis
zugrunde lag, dann werden auch heute noch die
Finanzmärkte nach diesen «Traditionen» beurteilt.
Dabei herrscht bei Pensionskassen und Sparern
rundum Verzweiflung: Auf Staatsanleihen verlieren
die Vorsorgewerke systematisch Geld. Sparen
heisst heute Anlegen. Ich habe an dieser Stelle oft
von TINA geschrieben: There Is No Alternative –
die Aktie als Anlageform ist alternativlos. Wir haben
dies den Notenbanken zu verdanken, die mit
ihrer unendlichen Geldschwemme die Zinsen unter
die Erde gebracht haben. Sogar die Notenbanken
sehen die Aktie als alternativlos an: Allen voran die
Schweizerische Nationalbank, die unter die zehn
grössten Investoren der Welt aufgerückt ist. Die
US-Notenbank löst mit ihren Ankündigungen, mit
immer neuen Milliarden Unternehmensanleihen zu
kaufen, bewusst weitere Kaufwellen an den Aktienmärkten
aus.
Doch hier folgt die unvermeidliche Warnung des
Marktpsychologen: Nur weil die Flut alle Boote
hebt, bedeutet das nicht, dass alle seetauglich
sind. Sprich: Auch wenn die Aktienkurse derzeit
alle steigen – es ist nicht alles ein Diamant, was
glänzt! Anleger drohen hier dem Informations-Bias
zum Opfer zu fallen, dem täglichen Trommelfeuer
mit teils völlig irrelevanten Informationen.
Was ein wichtiger Faktor dieser Aktienrally ist: Die
Börsenindizes verändern sich in ihrer Gewichtung
und Zusammenstellung. Die Corona-Krise hat eine
Sektorenrotation ausgelöst und einige Diamanten
geformt. Es sind diese wenigen – aber teils gewichtigen
– Diamanten, die den Investoren nun
eine breit abgestützte Markterholung suggerieren.
Tech-Riesen wie Apple, Amazon, Google, Netflix
oder Spotify. Oder um in der Schweiz zu bleiben
Inficon, Gurit, Sika oder VAT. Zugegeben, das sind
die derzeitigen Favoriten bei AGFIF International.
Der «Appeal of Tradition» scheint auch dann zu wirken,
wenn die Marktbeobachter zur Vorsicht mahnen,
weil die Börsen so volatil sind. Dazu zitiere ich
gerne den Schweizer Psychologen Eugen Bleuler,
der vor über 100 Jahren einen für jeden Aktieninvestoren
perfekten Satz sagte: «Operative Hektik
ersetzt geistige Windstille.» Operative Hektik oder
falscher Aktionismus ist der grösste aller Renditekiller
an der Börse. Wer seine Aktien sorgfältig gemäss
einer definierten Anlagestrategie auswählt,
sollte sich nicht erschrecken lassen, wenn es wieder
mal holprig wird.
Corona und der anhaltende Druck auf die Zinsen
lösen eine grundsätzliche Neubewertung der Aktienmärkte
aus und schaffen eine neue Aktienkultur.
Es werden so noch einige Diamanten entstehen.
Mojmir Hlinka
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