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MAGAZIN Suggestionen 2020

Das Magazin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e.V. in der Ausgabe 2020.

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42<br />

Zweispurige Interventionen in der Hypnotherapie Zweispurige Interventionen in der Hypnotherapie 743<br />

ihres Lebens verwirrt zu sein, hat Sie zum<br />

Spezialisten für Verwirrung im Leben gemacht.<br />

Sie haben einige Jahre gebraucht, um<br />

diese Erfahrung zu sammeln. Deshalb sind<br />

Sie erst jetzt dazu bereit, ausgereift und vorbereitet,<br />

den nächsten Schritt zu gehen und<br />

neue Erfahrungen zu sammeln, indem Sie Ihr<br />

Leben verändern, bessere Entscheidungen<br />

treffen und Ihr Leben effizienter leben. „Die<br />

erste Spur ist die hier gegenwärtige negative<br />

Interpretation und die subjektive Wahrnehmung<br />

des Patienten seiner Verwirrung. Während<br />

der Patient im Zustand der „Verwirrung“<br />

verweilt, stellt der Therapeut eine zweite<br />

Spur vor - eine neue, positive Auffassung der<br />

Verwirrung des Patienten. Somit wird die negative<br />

Wahrnehmung des Patienten in eine<br />

neue, optimistischere und positivere Sicht<br />

auf seine Verwirrung und Hilflosigkeit umgewandelt.<br />

Zukunftsfragen und Zukunftskarten<br />

In einem interessanten Artikel mit dem Titel<br />

„Feed-Forward: Future Questions, Future<br />

Maps“, beschrieb Peggy Penn (1985) eine<br />

neuartige Technik basierend auf der Vorstellung,<br />

dass es Familien/Patienten frei stehe,<br />

verschiedene Alternativen zu ihren Dilemmata<br />

in der Zukunft zu konstruieren oder<br />

sich vorzustellen. Zukunftsfragen fördern<br />

pragmatisch in Verbindung mit positiven<br />

Konnotationen die Erprobung neuer Lösungen,<br />

Vorschläge für alternative Maßnahmen,<br />

Lernprozesse, das Verwerfen bisheriger Vorstellungen<br />

und sprechen spezifische Wachstumsmodelle<br />

des Patienten an (Penn, 1985).<br />

Insbesondere bei der Bewältigung körperlicher<br />

Erkrankungen sind Zukunftsfragen<br />

ein hilfreiches Konzept, da in diesen Fällen<br />

meist alle Gedanken an eine Zukunft auf Eis<br />

liegen. Die Fragen kontrastieren und trennen<br />

die festgefahrenen Lösungen des Patienten,<br />

um ihn zu befreien und so seine mögliche<br />

Genesung oder Stabilisierung zu beschleunigen.<br />

Die Zukunftsfragetechnik hilft körperlich<br />

kranken Patienten beim Entwerfen<br />

einer individuellen Karte ihrer Zukunft. Diese<br />

Technik ist eine typische zweispurige Intervention,<br />

da sie beide Gegensätze in einem<br />

dualen Ansatz enthält: Gegenwart versus<br />

Zukunft, Festsitzen versus Voranschreiten,<br />

Leiden versus Hoffnung, Krankheit versus<br />

Genesung. So kann die Zukunftsfragen- und<br />

Zukunftskartentechnik in der Hypnotherapie<br />

eingesetzt werden. Es folgt ein Beispiel von<br />

der Anwendung dieser Technik bei einem<br />

Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung:<br />

Therapeut (während der Patient in Trance<br />

ist): „Ich höre und verstehe jetzt, wie Sie die<br />

Ursachen Ihrer Herz-Kreislauf-Erkrankung<br />

beschreiben. Wenn Sie sich früher als erwartet<br />

erholen, was für einen Unterschied<br />

würde das für Sie machen?“ Patient: „Wenn<br />

ich mich früher erhole, werde ich schneller<br />

wieder arbeiten gehen können und würde<br />

wieder lebendig werden.“ Therapeut: „Was<br />

werden die ersten Anzeichen Ihrer Genesung<br />

sein?“ Patient: „Die ersten Anzeichen meiner<br />

Genesung werden mich geistig und körperlich<br />

verbessern und optimistischer stimmen,<br />

wieder lebendiger zu werden. “Therapeut:<br />

Wann haben Sie angefangen, Ihre Genesung<br />

auf diese Art zu erklären? Patient: „Vor ein<br />

paar Tagen, nachdem ich die Übungen meines<br />

Rehabilitationsprogramms erfolgreich<br />

absolviert habe.“ Therapeut: „Wenn sich Ihr<br />

kardiovaskulärer Zustand noch weiter verbessert,<br />

wie wird sich dieser Zustand erkennbar<br />

machen?“ Patient: „Es wird so aussehen,<br />

als hätte Gott mich gesegnet und mir mehr<br />

Leben für meine Jahre und mehr Jahre, um<br />

zu leben gegeben sowie Glück.“ (…) Zukunftsfragenwährend<br />

der Hypnosegenerieren<br />

einen fruchtbaren Dialog zwischen Patient<br />

und Therapeut, um eine Änderung von<br />

Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen<br />

des Patienten in Bezug auf seine<br />

Krankheit zu erzeugen. Diese Veränderung<br />

erleichtert die zukünftige Wiederherstellung<br />

oder Stabilisierung des Patienten.<br />

Illness/Nonillness Behandlungsmodell<br />

Die erste Version einer zweispurigen Intervention<br />

wurde als Teil des Illness/Nonillness-<br />

Modells beschrieben (Navon,2005a, 2005b,<br />

2015, 2016; Waxman, 2005). Dieses Modell<br />

wurde für die Verwendung im Kontext der<br />

Psychotherapie bei körperlich kranken Patientenausgearbeitet.<br />

Später wurde das Illness/Nonillness-Modell<br />

in das Illness/Nonillness-Modell<br />

für Hypnotherapie umgeändert<br />

(Navon, 2014). Während der Hypnotherapie<br />

verwenden körperlich kranke oder behinderte<br />

Patienten in der Regel sowohl eine Krankheitssprache<br />

(Illness) als auch eine Nicht-<br />

Krankheitssprache (Nonillness). Die Dialektik<br />

zwischen diesen beiden Sprachformen basieren<br />

auf drei Regeln:<br />

Dualität<br />

Zwei Arten des verbalen Ausdrucks –Illnessgespräch<br />

und Nonillnessgespräch – koexistieren<br />

im verbalen Ausdruck körperlich kranker<br />

Patienten während der Hypnotherapie.<br />

Widerspruch<br />

Illness/Nonillness sind außerdem in ein Widerspruchsverhältnis<br />

verwickelt. In der Tat<br />

dient das Präfix (Vorsilbe) „non“ dazu, das darauffolgende<br />

Wort zu negieren. Ein Patient<br />

kann entweder die Sprache der Illness oder<br />

irgendeine andere Sprache, die nicht die<br />

Sprache der Illness ist, benutzen, wobei die<br />

beiden Begriffe klar differenziert sind.<br />

Komplementarität<br />

Des Weiteren ergänzen sich Illness und Nonillness.<br />

Dies bedeutet konkret, dass das<br />

Krankheitsbild (Illnessmotiv) einem Nonillnessmotiv<br />

folgt und umgekehrt. Eine<br />

solche Verschiebung findet statt, weil eine<br />

Beziehung zwischen Illness und Nonillness<br />

besteht, d.h. sie miteinander verbunden, abhängig<br />

und komplementär sind. Diese drei<br />

Hauptregeln bilden eine dual-dialektische<br />

Konzeptualisierung – eine neue theoretische<br />

Konzeptualisierung in der Psychotherapie<br />

(Navon, 2014). Das Illness- und Nonillnessmodell<br />

verwendet außerdem ein neuartiges<br />

und grundlegendes Werkzeug, welches auch<br />

als Differenzierung/Integration bekannt ist.<br />

Dies hier ist das Beispiel eines Patienten mit<br />

Diabetes mellitus. Therapeut (während der<br />

Patient in Trance ist): „Erzählen Sie mir, wie<br />

Ihre Krankheit verläuft?“ Patient: „Ich hatte<br />

genug davon, Tag für Tag mit dieser gemeinen<br />

Krankheit fertig zu werden und dagegen<br />

anzukämpfen. Ich fühle michgefangen ...<br />

festgefahren ... ich fühle mich schwach und<br />

müde ... ich muss mir selbst zweimal täglich<br />

Insulin spritzen ... ich konzentriere mich die<br />

ganze Zeit auf meinen Körper ... ich bin mir<br />

nicht sicher, was mir die Zukunft bringt…<br />

wann habe ich eine Pause von meinem Leiden?<br />

... ich widme dem Essen zu viel Energie...<br />

ich habe soziale Probleme ... ich bin bereits<br />

ein Außenseiter ... anders als gesunde<br />

Leute ... ich muss mir in festen Abständen<br />

Spritzen geben und ich hasse es ... ich bin<br />

verzweifelt ... wie wird es enden?“<br />

Durch Differenzierungsarbeit hilft der Therapeut,<br />

die Aussagen des Patienten in Ausdrücke<br />

der Illness und der Nonillness zu<br />

klassifizieren: Patient: „Ich habe genug“<br />

(Nonillness); „diese gemeine Krankheit zu<br />

bewältigen und gegen sie anzukämpfen“<br />

(Illness);“ich fühle mich schwach und müde“<br />

(Illness); „ich spritze mir zweimal am Tag<br />

Insulin“(Illness); „ich konzentriere mich die<br />

ganze Zeit auf meinen Körper“ (Illness); „ich<br />

bin mir unsicher, was meine Zukunft mir<br />

bringen wird.“(Nonillnes); „wann werde ich<br />

von meinem Leiden eine Atempause haben<br />

können?“ (Nonillness); „ich widme dem Essen<br />

zu viel Energie“(Illness); „ich habe soziale<br />

Probleme“ (Nonillness); „ich bin bereits<br />

einAußenseiter “(Nonillness); „anders als<br />

gesunde Menschen“ (Nonillness); „ich muss<br />

mir selbst Injektionen in festgelegten Intervallen<br />

geben“(Illness); „und ich hasse es“<br />

(Nonillness); „ich bin verzweifelt … wie wird<br />

es enden?“(Nonillness). Um körperlich kranken<br />

Patienten bei der Unterscheidung zwischen<br />

Illness und Nonillness zu helfen, kann<br />

der Therapeut jede der oben beschriebenen<br />

zweispurigen Techniken anwenden.<br />

Diskussion<br />

Der vorliegende Artikel ist ein erster Versuch,<br />

ein klinisches Behandlungsprotokoll zu beschreiben,<br />

das zweispurige Vorgehensweisen<br />

in der Hypnose zusammenfasst. Die Konzeptualisierungen<br />

der sechs vorgestellten<br />

Interventionen zielen darauf ab, Sackgassen<br />

und festgefahrene Probleme zu überwinden<br />

sowie Sackgassen als therapeutische Ergebnisse<br />

zu vermeiden.Ein Wirkschwerpunkt der<br />

zweispurigen Interventionen scheint darin<br />

zu liegen, dass die Pathologie der Patienten<br />

zu Beginn der Hypnotherapiedurch einen<br />

einzigen Bezugsrahmen (Frame) beschrieben<br />

wird, der nur eine Wahl bzw. eine Option<br />

anbietet. Nachdem der Therapeut einen<br />

alternativen Frame eingeführt hat, existieren<br />

nun zwei von ihnen. Diese zwei Frames oder<br />

zwei Alternativen stehen in einer dualen,<br />

widersprüchlichen und komplementären Beziehung<br />

zueinander. Also ändert der Patient<br />

seine Ansichten in Bezug auf das präsente<br />

Problem, wenn der Therapeut Alternativen<br />

zu den Problemen des Patienten bietet. Die<br />

Existenz von zwei Frames ermöglicht es dem<br />

Patienten, zwischen den beiden zu fluktuieren.<br />

Zuvor, zu Beginn der Therapie, erlebte<br />

der Patient das Problem als alles, als vollständig,<br />

als „Realität“ ohne Alternativen. Jetzt hat<br />

der Patient die Möglichkeit, frei zu wählen.<br />

Das neuartige Differenzierungswerkzeug<br />

im Illness/Nonillness-Modell (Navon 2005a,<br />

2005b,2014) bezieht die Kunst, in den Erzählungen<br />

des Patienten nach dualen Alternativen<br />

zu suchen mit ein, basierend auf den<br />

Prinzipien der Dualität und der Komplementarität.<br />

Das Präfix „non“ wie bei „no-pain”/”Nonillness”<br />

schafft eine positive Konnotation<br />

für den Patienten. Dieser Ausdruck der „Nonillness“<br />

ähnelt der Art und Weise, wie Ärzte<br />

den verbalen Ausdruck „keine Anomalie<br />

festgestellt“ verwenden, welcher darauf hinweist,<br />

dass es dem Patienten gut geht und er<br />

keine medizinischen Probleme hat. Darüber<br />

hinaus macht die zweispurige Intervention<br />

Patienten zu aktiven Teilnehmern des hypnotherapeutischen<br />

Prozesses, ohne sie dabei<br />

zu zwingen, ihre Wahrnehmung der Realität<br />

hinter sich zu lassen. (…)Zu Beginn der Hypnotherapie<br />

glauben die Patienten generell,<br />

dass ihre Probleme ausschließlich negativ<br />

sind. Sie sehen das Problem nur aus einer Perspektive<br />

und fühlen sich demzufolge „festgefahren“<br />

und zu hilflos, um eine Veränderung<br />

herbeiführen. Der Therapeut befreit die Patienten<br />

davon und ermöglicht es ihnen, ihre<br />

Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster zu<br />

verändern. Zweispurige Interventionen helfen<br />

Patienten, zwischen Verhaltensmustern<br />

zu unterscheiden und ermöglichen es ihnen<br />

zu wählen, wodurch neue Meisterschaft und<br />

Kontrolle über das Leben entsteht. Durch<br />

den Einsatz der diagnostischen Perspektive<br />

des medizinischen Modells können Kliniker/<br />

innen Nonillnessgespräche in die medizinische<br />

Begegnung miteinbringen, wodurch<br />

Veränderungen in der Art und Weise, wie der<br />

Patient seine Krankheit wahrnimmt, herbeigeführt<br />

werden (Waxman, 2005). Aus Sicht<br />

klinischer Erfahrung und der Praxis, könnte<br />

die zweispurige Intervention als ein wesentlicher<br />

Nutzen bei festgefahrenen und resistenten<br />

Patienten angesehen werden. Jedwede<br />

Nutzen wie diese sollten Gegenstand<br />

weiterer Untersuchungen sein.<br />

Die ausführliche Bibliografie ist bei der Redaktion<br />

auf Wunsch erhältlich.<br />

Anfragen bitte an anke@ankeprecht.de<br />

Erstveröffentlichung im American Journal of<br />

Clinical Hypnosis, 60: 348-356, 2018.<br />

Der vorliegende Artikel ist gekürzt.<br />

Übersetzung: Linus Jörger

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