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MAGAZIN Suggestionen 2020

Das Magazin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e.V. in der Ausgabe 2020.

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Zweispurige Interventionen in der Hypnotherapie<br />

Zweispurige Interventionen in der Hypnotherapie<br />

741<br />

Zwei sind besser als eine:<br />

Zweispurige Interventionen<br />

in der Hypnotherapie<br />

Autor: Dr. Shaul Navon<br />

Der aktuelle Artikel stellt klinische<br />

Konzepte sechs verschiedener zweispuriger<br />

Interventionen zur Bewältigung<br />

festsitzender und veränderungsresistenter<br />

Situationen in der Hypnotherapie<br />

dar. Sie basieren auf der Annahme, dass<br />

Patienten ihre Probleme gewöhnlich eindimensional<br />

betrachten und daher dazu<br />

neigen, in ihren Einstellungen zu diesen<br />

Problemen rigide zu werden. Zweispurige<br />

Interventionen sind hypnotherapeutische<br />

Prozesse, mit denen diese rigiden und negativen<br />

Wahrnehmungen der Probleme in<br />

positivere und funktionellere psychische<br />

Zustände umgewandelt werden können,<br />

die eine zweidimensionale Sichtweise<br />

ermöglichen, wodurch die Betroffenen<br />

mehr Möglichkeiten haben, sich wirksamer<br />

mit ihren Problemen zu befassen. Wir<br />

stellen ein neues hypnotherapeutisches<br />

Instrument des Illness/Nonillness Models<br />

(Navon 2014) vor. Dieses Werkzeug hilft<br />

als Differenzierungsinstrument, negative<br />

Wahrnehmungen psychischer und emotionaler<br />

Zustände in positive und aussichtsreiche<br />

Wahrnehmungen umzuwandeln.<br />

Monoideismus, Dualität und Widersprüchlichkeit<br />

Monoideismus<br />

Monoideismus ist ein Zustand, in dem der<br />

Geist konzentriert oder die Aufmerksamkeit<br />

auf eine Idee gerichtet ist. Es ist ein Zustand<br />

anhaltender Absorption in eine einzelne<br />

Idee, wie in einer Depression oder Hypnose<br />

(Merriam-Webster Dictionary, 2016). Ein Patient<br />

mit einer Zwangsstörung (OCD) kann<br />

zum Beispiel darauf bestehen, dass seine gesunde<br />

Mutter nur dann nicht stirbt, wenn er<br />

sich täglich 28 Mal die Hände wäscht. Das ist<br />

eine zwanghafte monoideistische Idee, die<br />

nur einen Gedanken oder Glauben zulässt.<br />

Dieser Patient hat keine Alternative dazu,<br />

sich 28 Mal pro Tag die Hände zu waschen.<br />

Die Chance auf Veränderung liegt in der Therapie.<br />

Würde sich der Patient dann zum Beispiel<br />

als Ergebnis nur 3 oder 5 Mal statt 28<br />

Mal am Tag die Hände waschen, würde dies<br />

als positive psychotherapeutische Veränderung<br />

angesehen, die eine neue flexiblere<br />

Alternative der monoideistischen Sichtweise<br />

des Patienten auf das Händewaschen darstellt.<br />

Die Einzelbildansicht des Patienten/des<br />

Problems würde dafür in eine Doppelbildansicht<br />

umgewandelt werden - ein dualer (oder<br />

sogar pluralistischer) Geisteszustand (Navon,<br />

2015). Jede monoideistische Betrachtung<br />

eines Patientenproblems erzeugt in der Therapie<br />

eine festgefahrene Situation. Um eine<br />

solche zu lösen, nutzen wir die zweispurige<br />

Intervention.<br />

Vom Monoideismus zur Dualität<br />

Dualität<br />

Die Philosophie ist von dualen und pluralistischen<br />

Argumenten durchzogen, und widersprüchliche<br />

Elemente haben das philosophische<br />

Denken, Argumentieren und Wissen<br />

beherrscht. Dualitätbedeutet, über zwei Teile<br />

zu verfügen, oft mit gegensätzlichen Bedeutungen,<br />

wie in den Dualitäten von Gut<br />

und Böse, Frieden und Krieg, Auf und Ab,<br />

Schwarz und Weiß.<br />

Widersprüchlichkeit<br />

Dualität schafft Widersprüche. In der klassischen<br />

Logik umfasst ein Widerspruch eine<br />

logische Unvereinbarkeit zweier oder mehrerer<br />

Behauptungen. Widersprüche treten<br />

auf, wenn diese zusammengenommen zwei<br />

Schlussfolgerungen ergeben, die logisch gegensätzlich<br />

sind.<br />

Zweispurige Interventionen<br />

In der Psychotherapie und Hypnotherapie<br />

besteht eine zweispurige Intervention aus<br />

zwei verbundenen Konzepten beziehungsweise<br />

zwei verbundenen frames. Der erste<br />

frame beinhaltet das Problem, welches in der<br />

Erzählung des Patienten zu Beginn der Therapie<br />

als festgefahrenes Problem/Situation<br />

dargestellt wird. Der zweite frame entsteht<br />

durch den alternativen verbalen Ausdruck<br />

des Therapeuten, der das festgefahrene Problem/die<br />

Situation des Patienten verändern<br />

soll. Das Verhältnis dieser beiden Bilder ist<br />

dialektisch. Wir verwenden den Begriff „dialektisch“<br />

in seinem Hegelianischen Sinn, in<br />

dem diese Interventionen aus zwei aufeinander<br />

abgestimmten Gegenbewegungen<br />

bestehen, die als These und Synthese aufgefasst<br />

werden können. Zu Beginn der Therapie<br />

sehen Patienten nur die negativen Aspekte<br />

des Problems und fühlen sich unfähig, eine<br />

Veränderung herbeizuführen. Zweigleisige<br />

Interventionen kreieren eine alternative Geschichte,<br />

die die Wörter und Erzählungen<br />

der Patienten verwendet. Auf diese Weise<br />

erzeugen zweispurige Interventionen eine<br />

erwünschte therapeutische Veränderung,<br />

ohne die subjektive Wahrnehmung des Patienten<br />

zu gefährden. Wir stellen sechs zweispurige<br />

hypnotherapeutische Interventionen<br />

vor:<br />

Split-Screen-Technik<br />

Um Patienten bei der Unterscheidung zwischen<br />

einem negativen und einem positiven<br />

Bild zu unterstützen, verwenden wir die<br />

Split-Screen-Technik nach Spiegel (Spiegel,<br />

1989, 1996, 2010). Diese Technik ist besonders<br />

nützlich, um Patienten dabei zu helfen,<br />

traumatische Situationen aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln zu sehen. Die Technik ermöglicht<br />

es ihnen, sich selbst für das zu würdigen,<br />

was sie taten, um sich persönlich oder<br />

jemanden anderen zu schützen. Es erleichtert<br />

die Umstrukturierungserfahrung und<br />

bietet einen Rahmen, der bei vielen Arten<br />

von Problemen verwendet werden kann. Die<br />

Split-Screen-Technik ist eine typische zweispurige<br />

hypnotherapeutische Intervention.<br />

Der Patient beginnt mit einer Option: dem<br />

negativen „fehlerhaften“ Bildschirm links,<br />

gefolgt von dem alternativen „korrigierten“<br />

positiven Bildschirm rechts. Diese linken<br />

und rechten Bildschirme bilden eine neue<br />

zweigeteilte Erfahrung. Ein 45-jähriger Patient<br />

hatte einen Autounfall. Er befindet<br />

sich jetzt in einem Rehabilitationszentrum,<br />

sitzt im Rollstuhl und wird dort einer intensiven<br />

Physiotherapie unterzogen, um seine<br />

Lauffähigkeit und motorische Unabhängigkeit<br />

wiederherzustellen. Patient: „Jeden Tag,<br />

wenn ich morgens aufwache, sehe ich das<br />

Bild von meinem Autounfall und meiner Verletzung<br />

vor mir. Es macht mich nervös, ich<br />

werde ängstlich und bin sehr angespannt.“<br />

Therapeut (während der Patient in Trance<br />

ist): „Jetzt können Sie zwei Bildschirme vor<br />

sich sehen: einen großen Bildschirm links<br />

und einen großen rechts von Ihnen. Der linke<br />

Bildschirm zeigt das visuelle Bild Ihres Autounfalls<br />

und Ihre Verletzung. Dieses Bild hat<br />

sich noch nicht verändert und zeigt leider<br />

noch keine Besserung. Nun schauen Sie auf<br />

den rechten Bildschirm.<br />

Sehen Sie, wie Sie sich vom engagierten Rehabilitationspersonal<br />

verabschieden. Sehen<br />

Sie, wie sich Ihre Gesundheit zum Besseren<br />

verändert hat…“<br />

Bewusst-unbewusste Dissoziation<br />

Eine weitere zweispurige Intervention in der<br />

Hypnotherapie ist die Induktion einer bewusst-unbewussten<br />

Dissoziation. Im Gegensatz<br />

zum bewussten Verstand sah Erickson<br />

das Unbewusste sowohl mit der linken als<br />

auch mit der rechten Gehirnhälfte in Verbindung<br />

stehend (Erickson und Rossi, Rossi,<br />

1976, S. 277). Erickson verwendete des Öfteren<br />

Stimmtonvariationen, um diese Dissoziation<br />

zu verstärken: „Ich benutze einen spezifischen<br />

Tonfall, um mit dem Bewusstsein zu<br />

sprechen, und einen anderen, um mit dem<br />

Unbewussten zu sprechen…“ (Erikson und<br />

Rossi, 1976, S. 159-160). Ein 30-jähriger Pianist<br />

leidet unter Leistungsangst und Lampenfieber.<br />

Er verzichtet auf Bühnenauftritte und<br />

hat seine Musikkarriere beendet. Therapeut<br />

(während der Trance):<br />

„Während Sie jetzt auf einer Bühne sind und<br />

Klavier spielen, hören Sie auf meine Stimme,<br />

Ihr bewusster Verstand hört auf meine Vorschläge,<br />

während Ihr Unterbewusstsein hilft,<br />

meine Vorschläge zu vertiefen, noch mehr zu<br />

vertiefen, als es der bewusste Verstand tut ….<br />

Ihr Bewusstsein wird sich während des Klavierspielens<br />

auf der Bühne sicher und selbstbewusst<br />

fühlen, und Ihr Unbewusstes wird<br />

Sie von jeglicher Angst und Beklemmung<br />

befreien. So kommen sowohl Ihr Bewusstsein<br />

als auch Ihr Unbewusstes zusammen,<br />

sodass Sie sich leichter entspannen, besser<br />

auf die Musik konzentrieren und besser auf<br />

der Bühne spielen können… bewusst und unbewusst,<br />

denn zwei sind besser als einer… “<br />

Dieses Beispiel zeigt eine zweispurige Intervention,<br />

indem die Aufmerksamkeit des Patienten<br />

parallel auf sein Bewusstsein (erste<br />

Spur) und auf sein Unbewusstes (zweite<br />

Spur) gelenkt wird. In den folgenden Sitzungen<br />

wechselt der Therapeut zwischen den<br />

Konzepten des Bewusstseins und dem des<br />

Unbewusstseins, um die Mitarbeit des Patienten<br />

zu verbessern und seine Leistungsangst<br />

in einen kontrollierteren und ruhigeren<br />

psychischen Zustand umzuwandeln.<br />

Konfusionstechnik<br />

Erickson (1964) schrieb folgendes über<br />

seine Konfusionstechnik: Es werden zwei<br />

Ausdrücke mit widersprüchlicher oder verwirrender<br />

Bedeutung verwendet. So könnte<br />

jemand zum Beispiel leicht deklarieren, dass<br />

Gegenwart und Vergangenheit sich gut zusammenfassen<br />

lassen. Um dieses Beispiel zu<br />

veranschaulichen: „Heute ist heute, aber es<br />

war die Zukunft von gestern, auch wenn es<br />

die Vergangenheit von morgen sein wird.“ So<br />

werden die Vergangenheit, die Gegenwart<br />

und die Zukunft als Referenz für die Realität<br />

von heute benutzt (Erickson, 1964, S.183)).<br />

Eine 30-jährige Frau leidet an Schlafstörungen.<br />

Therapeut (während die Patientin in<br />

Trance ist): „You are right. You have the right<br />

to sleep at night, right. Sleep tight tonight<br />

and all other nights. To wake up at night- it is<br />

not right, but sleep is right and good night is<br />

right. During night, feel heavy or light, both<br />

are right to sleep tight, and know no worry<br />

during night, when you´ll write from left<br />

to right „good night“ even if you are left at<br />

night- that’s right and wake up bright in the<br />

morning light to do what’s right.“ Diese kurze<br />

Vignette der Konfusionstechnik demonstriert<br />

eine weitere zweispurige hypnotherapeutische<br />

Intervention unter Verwendung<br />

von Wörtern mit doppelter Bedeutung und<br />

Homophonie. Die Vorschläge sind gleichzeitig<br />

vernünftig und unvernünftig. Konfusionstechnik<br />

bedeutet hier das Spielen mit<br />

Worten oder das Verdrehen normaler Kommunikation,<br />

die nach und nach ein Verwirrungselement<br />

in die zentrale Bedeutungsfrage<br />

einführt, was zu einer Hemmung der<br />

erforderlichen Antwort führt, welche zwar<br />

ausgelöst wird, sich aber nicht manifestieren<br />

darf(…) ... Es erinnert an Wortspiele aus<br />

der Kindheit wie zum Beispiel „wenn es nicht<br />

nicht regnet, dann regnet es.“(Erickson,<br />

1964,p. 206)<br />

Paradoxe Interventionen<br />

In den 1980er Jahren wurde die paradoxe<br />

Psychotherapie (Weeks & L’abate, 1982)<br />

schnell zu einer der wichtigsten Ansätze in<br />

der Familien- und Psychotherapie. Therapeutennutzen<br />

diese Technik deshalb so gerne,<br />

weil sie schnell ist und sofortige Veränderungen<br />

bewirkt. Paradoxe Psychotherapie<br />

erfüllt alle Bedingungen einer zweispurigen<br />

Intervention. Die Symptome müssen in Bezug<br />

auf Bipolarität, Opposition oder Widerspruch<br />

verstanden werden (Rychlak, 1976).<br />

Das Finden und Hervorheben des Positiven<br />

zu lernen, ist nur der erste Schritt in einem<br />

paradoxen Ansatz. Der zweite Schritt besteht<br />

darin zu lernen, die Symptome umzugestalten<br />

oder neu zu kennzeichnen, um ein positives<br />

therapeutisches Ergebnis zu erreichen.<br />

Einem 30-jähriger Mann, der verwirrt ist und<br />

sich aufgrund dieser Verwirrung nur noch<br />

hilfloser fühlt, könnte gesagt werden, dass<br />

seine Verwirrung einen Zusammenbruch<br />

darstellt, der ihn auf eine baldige Besserung<br />

vorbereiten wird. Diese Aussage als hypnotische<br />

Aufforderung wirkt, indem sie dem<br />

Patienten hilft, seine Verwirrung zu akzeptieren<br />

und ihm so die Last, sich ständig mit diesem<br />

Problem zu befassen, abnimmt. Er wird<br />

dadurch erwarten, sich positiv zu verändern.<br />

Therapeut (während der Patient in Trance<br />

ist): „Ihre Erfahrung, in vielen Bereichen >>

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