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MAGAZIN Suggestionen 2020

Das Magazin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e.V. in der Ausgabe 2020.

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28 Dialog mit dem Unbewussten beim Zahnarzt<br />

Dialog mit dem Unbewussten beim Zahnarzt 729<br />

Klassischerweise beginne ich mit der Technik<br />

der kollabierenden Anker. Dazu etabliere<br />

ich zunächst einen Safe Place und lasse das<br />

positive Gefühl, das der Patient mit diesem<br />

Ort verbindet, stärker werden. Der Patient<br />

soll diesem Gefühl einen Namen geben (z.B.<br />

„Sonne“), und ich ankere dieses Gefühl am<br />

rechten Handgelenk des Patienten. Anschließend<br />

suggeriere ich die Angstsituation, lasse<br />

mir für dieses Gefühl ebenfalls einen Namen<br />

geben (z.B. „Bohrer“) und ankere es an der<br />

linken Schulter des Patienten. Diese Körperstelle<br />

ist von mir weiter weg, sodass ich sie<br />

nicht versehentlich aktivieren kann.<br />

Nachdem ich das Aktivieren beider Anker mit<br />

dem Patienten hinreichend geübt habe, aktiviere<br />

ich, bei gehaltenem positivem Anker,<br />

zusätzlich den negativen, lasse den Patienten<br />

die Situation einen Moment aushalten und<br />

evaluiere das Ergebnis. Wenn das gewünschte<br />

Ergebnis noch nicht erreicht ist, muss der<br />

Vorgang mit einem weiteren positiven Anker<br />

wiederholt werden. Das Vorgehen im Einzelnen<br />

werde ich in meinem Workshop auf dem<br />

DGH-Kongress darstellen, ebenso zu Bruxismus<br />

und Raucherentwöhnung, an dieser<br />

Stelle soll eine grobe Skizzierung der Technik<br />

genügen.In den meisten Fällen ist die Technik<br />

der kollabierenden Anker völlig ausreichend.<br />

Neben der hypnotischen Intervention<br />

ist der Umstand, dass der Patient merkt, dass<br />

der Zahnarzt auf seine Ängste eingeht und<br />

Verständnis zeigt, schon rein psychologisch<br />

hilfreich. Viele Patienten haben Angst, weil<br />

sie die Erfahrung gemacht haben, dass frühere<br />

Behandler ihre Schmerzen ignoriert<br />

oder ihre Ängste mit Worten wie „Stellen Sie<br />

sich nicht so an“ abgetan haben. Insofern<br />

trägt die eine Hypnose-Sitzung auch dazu<br />

bei, Vertrauen aufzubauen, somit eine Kontrolluntersuchung<br />

durchführen zu können<br />

und in der Folge auch Behandlungen durchzuführen,<br />

ggf. dann mit zusätzlicher hypnotischer<br />

Begleitung und mit Schnellinduktionstechniken.<br />

In den wenigen Fällen, in denen das bisherige<br />

Vorgehen nicht ausreicht, kann zusätzlich<br />

nach der Sitzung mit den kollabierenden Ankern<br />

ein weiteres behutsames Vorgehen mit<br />

Hypnose und ohne Zahnarztsituation (Untersuchung,<br />

Behandlung) eingesetzt werden,<br />

beispielsweise durch Imagination der Zahnbehandlung<br />

in einer Hypnose-Sitzung. Dabei<br />

wird bei jeder Situation, die für den Patienten<br />

zu angstbesetzt ist, der positive Anker<br />

aktiviert, um dem Patienten weiterzuhelfen.<br />

Eine Kontrolle durch die Ideomotorik ist dabei<br />

unerlässlich.<br />

Aber als Zahnärzte müssen wir uns darüber<br />

klar sein, dass wir nur die minderschweren<br />

Fälle von Angststörungen auf unserem Stuhl<br />

sitzen haben. Auch diejenigen, die uns extrem<br />

ängstlich erscheinen, waren immerhin<br />

noch in der Lage, unsere Praxis zu betreten.<br />

Die wirklich schweren Fälle von Angststörungen<br />

erscheinen gar nicht erst in unseren<br />

Praxen.<br />

Bruxismus: ran an die Ursachen<br />

Hauptursachen für Bruxismus (Knirschen<br />

oder Pressen mit den Zähnen) sind neben einem<br />

Missverhältnis im Kauorgan (z.B. durch<br />

eine Füllung mit einem Störkontakt) vor allem<br />

psychische Gründe. Für viele Menschen<br />

ist Bruxismus ein Stressventil, über das sie<br />

seelische Belastungen abarbeiten. Eine Therapie<br />

des Bruxismus könnte also theoretisch<br />

an folgenden Punkten ansetzen:<br />

• Die Behandlung der psychischen Ursachen<br />

• Die psychischen Ursachen bestehen lassen,<br />

aber dem Bruxismus ein anderes<br />

Stressventil als Alternative bieten<br />

• Den Bruxismus hinnehmen und die dadurch<br />

entstehenden Schäden (Zahnabrieb,<br />

Kiefergelenksschäden, Kopf-, Nacken-, Rückenschmerzen<br />

u.v.a.) verhindern bzw.<br />

mildern<br />

Die Behandlung der psychischen Ursachen<br />

steht dabei für den Zahnarzt in der Logik zwar<br />

an erster Stelle, jedoch ist das unrealistisch.<br />

Wenn man alle Menschen, die an Bruxismus<br />

leiden, mit ihren Alltagsproblemen zum<br />

Psychotherapeuten schicken wollte, hätten<br />

die ohnehin schon viel zu wenigen Psychotherapeuten<br />

keine Zeit mehr für die wirklich<br />

wichtigen Fälle. Beim nächsten Schritt, dem<br />

Bruxismus ein anderes Stressventil zu bieten,<br />

ist die Schulmedizin machtlos. Hier kommt<br />

die Hypnose ins Spiel, dazu später mehr. Tatsächlich<br />

bleibt im zahnärztlichen Alltag in der<br />

Regel nur das Verhindern oder das Abfedern<br />

der durch Bruxismus entstehenden Schäden,<br />

und zwar durch Anfertigung einer Aufbissschiene,<br />

die der Patient - in der Regel nachts<br />

- trägt. Wir Hypnosezahnärzte haben also die<br />

Möglichkeit, auch bei Punkt 2 einzugreifen.<br />

Dabei nutze ich zweierlei Möglichkeiten:<br />

Als kurzfristige Intervention, z.B. im akuten<br />

Notfall, bietet sich eine metaphorische Geschichte<br />

an, die es ermöglichen soll, nachts<br />

seinen eigenen Bruxismus unbewusst zu<br />

kontrollieren. Dabei arbeite ich gerne mit der<br />

Geschichte vom „Schlaf des Müllers“, dessen<br />

Mühlsteine das Getreide mahlen, die aber<br />

drohen, kaputtzugehen, wenn sie im Leerlauf<br />

arbeiten. Da die Mühlsteine aber das<br />

wertvollste Arbeitsinstrument des Müllers<br />

sind, hat er nachts einen so sensiblen Schlaf,<br />

dass er es sofort merkt, wenn seine Mühlsteine<br />

im Leerlauf mahlen. In diesem Fall wacht<br />

er gerade so weit auf, dass er die Mühlsteine<br />

wieder auseinanderstellen und danach sofort<br />

weiterschlafen kann. Langfristig effizienter<br />

ist jedoch in meinen Augen die Etablierung<br />

eines alternativen Stressventils. Dabei<br />

verwende ich die Technik des 6-Step-Reframings.<br />

Im ersten Schritt lobe ich das Unbewusste,<br />

dass es ihm gelungen ist, den Stress<br />

des Patienten zu verarbeiten. Dann mache<br />

ich darauf aufmerksam, dass durch diese gut<br />

gemeinte Technik allerdings neue Probleme<br />

entstanden sind. Daher frage ich dann das<br />

Unbewusste, ob es sein Ziel, die Stressverarbeitung,<br />

auch mit anderen Mitteln erreichen<br />

könne und lasse es drei Alternativen suchen.<br />

Die drei Alternativen werden in der Trance<br />

per Futur Pacing evaluiert. Besteht eine der<br />

Techniken die Überprüfung, wird der Patient<br />

durch ein weiteres Future Pacing ermutigt,<br />

diese Technik regelmäßig einzusetzen.<br />

Im Alltag stelle ich leider fest, dass die Skepsis<br />

meiner Patienten, sich auf eine Hypnotherapie<br />

ihres Bruxismus einzulassen, sehr<br />

stark ausgeprägt ist. Um den Schrecken vor<br />

den Kosten zu nehmen, habe ich zuletzt begonnen,<br />

zunächst ein niederschwelliges Angebot<br />

anzubieten: Ich lasse meine Patienten<br />

zu Hause die CD „Das Seepferdchen“ von Agnes<br />

Kaiser Rekkas hören. Merken sie, dass sie<br />

mit Hypnose gut klarkommen, können sie im<br />

nächsten Schritt auch ein 6-Step-Reframing<br />

bei mir bekommen.<br />

Raucherentwöhnung mittels Altersregression<br />

Vorab Folgendes: Dass Zahnärzte Raucherentwöhnungen<br />

durchführen, ist nicht unumstritten.<br />

Jedoch ist das Rauchen ein wichtiger<br />

Co-Faktor bei der Entstehung einer Parodontitis,<br />

und da bei uns hinter dem „Zahn“ auch<br />

ein „Arzt“ steht, ist es nach meiner Überzeugung<br />

mehr als legitim, unseren Patienten<br />

beim Abgewöhnen der Nikotinabhängigkeit<br />

mit unseren Hypnosekenntnissen zu helfen.<br />

Es gibt verschiedene Techniken der Raucherentwöhnung<br />

mit Hypnose. Mich hat die<br />

Technik überzeugt, die ich einst bei einem<br />

DGH-Workshop bei Elisabeth von Mezynsky,<br />

ebenfalls Zahnärztin, kennengelernt und<br />

dann für mich modifiziert habe. Dabei werden<br />

zwei Hypothesen vorausgesetzt. Die<br />

eine Hypothese erklärt, wie man zum Raucher<br />

wird, die andere, warum man es bleibt.<br />

Die These, wie man zum Raucher wird, ist<br />

naheliegend. In dem Alter, in dem man sich<br />

emotional zunehmend von seinen Eltern löst<br />

und die Peer-Groups eine größere Bedeutung<br />

gewinnen, gibt einem die Zigarette ein Zugehörigkeitsgefühl<br />

zu einer bestimmten Gruppe.<br />

Die Zigarette also als Hilfe, erwachsen<br />

zu werden und sich von seiner Herkunftsfamilie<br />

zu lösen. Wenn das aber alles wäre,<br />

könnte man mit 30, 35 oder 40 Jahren die<br />

Zigaretten wieder weglegen. Das körperliche<br />

Suchtpotenzial des Nikotins wird oft<br />

überschätzt, denn ansonsten müsste davon<br />

ausgegangen werden, dass auch Passivraucher<br />

irgendwann nikotinabhängig würden.<br />

Somit kommt die zweite Hypothese ins Spiel.<br />

Diese geht davon aus, dass Raucher ein Gefühl<br />

des Alleinseins, das sie einmal in ihrer<br />

Kindheit oder Jugend erlebt hatten, mit ihrer<br />

Zigarette verarbeiten. Der Punkt ist nicht so<br />

einfach, zumal das Gefühl des Alleinseins<br />

eine riesige Bandbreite haben kann. So habe<br />

ich Patienten das Rauchen abgewöhnt, die<br />

von schmerzhaften Erlebnissen im Schullandheim<br />

berichtet hatten, aber auch einem<br />

Patienten, der zu Hause Latein lernen musste,<br />

während seine Kumpels von der Volksschule<br />

draußen Fußball spielten und der sich<br />

in dieser Situation allein fühlte. Dass dieser<br />

Patient von einer glücklichen Jugend sprach,<br />

zeigt, dass das „Alleinsein“ kein traumatisches<br />

Erlebnis sein muss. Das Prinzip dieser<br />

Raucherentwöhnung beruht darauf, dass ich<br />

dem Patienten die Situation, in der er sich<br />

allein gefühlt hat, in Trance imaginieren lasse.<br />

Der Patient, nennen wir ihn beispielhaft<br />

Fritz Müller, stellt sich die Situation, in der er<br />

sich allein gefühlt hat, vor, beispielsweise,<br />

wie er mit dem Lateinbuch zu Hause ist und<br />

sich vom Spiel seiner Kumpels ausgeschlossen<br />

fühlt. Nun stelle ich dem jungen „Fritzchen“<br />

den „Herrn Müller“ an die Seite, also<br />

den Patienten in seinem jetzigen Alter. Der<br />

„Herr Müller“ nimmt in der Vorstellung des<br />

Patienten das junge „Fritzchen“ in den Arm<br />

und drückt ihm gegenüber seine Zuwendung<br />

aus. Nette Anekdote am Rande: Der Patient<br />

mit dem Lateinlernen kam zwei Wochen später<br />

zur routinemäßigen Nachkontrolle in meine<br />

Praxis und sagte: „Also, die Hypnose hat<br />

ja bei mir überhaupt nicht funktioniert.“ Ich<br />

bekam schon einen Schrecken und fragte,<br />

wie er das meine. Seine Antwort: „Also das<br />

mit dem Arm hat ja gar nicht geklappt (Anm.:<br />

die angestrebte Armlevitation war ausgeblieben).<br />

Aber, ich weiß nicht, was Sie mit mir<br />

gemacht haben, seitdem habe ich keine Zigarette<br />

mehr geraucht.<br />

Fazit<br />

Dialoge mit dem Unbewussten, also Hypnosesitzungen,<br />

während derer ich keine Zahnbehandlung<br />

durchführe, sondern auf der<br />

unbewussten Ebene nach Lösungen suche,<br />

machen nicht den Schwerpunkt meiner Hypnose-Tätigkeit<br />

aus. Sie sind aber eine sinnvolle<br />

und hilfreiche Ergänzung zu meinem<br />

Praxisrepertoire und stellen in jedem Fall ein<br />

Alleinstellungsmerkmal dar. Eine genauere<br />

Darstellung meiner Techniken macht in den<br />

„<strong>Suggestionen</strong>“ keinen Sinn. Ich werde sie<br />

aber in meinem Workshop beim nächsten<br />

DGH-Kongress darstellen und trainieren.

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