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MAGAZIN Suggestionen 2020

Das Magazin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e.V. in der Ausgabe 2020.

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18 Hypnotherapeutische Strategien bei Angststörungen<br />

Hypnotherapeutische Strategien bei Angststörungen 719<br />

durch medizinische und zahnmedizinische<br />

Hypnotherapeuten bei ihren Patienten mit<br />

Ängsten Anwendung finden, erfordert die<br />

Durchführung einer ursachen- und lösungsorientierten<br />

Hypnotherapie Ausbildung und<br />

Erfahrung im Bereich der Psychotherapie. In<br />

den meisten Fällen sollte innerhalb einer psychotherapeutischen<br />

Regulierung situationsunangemessener<br />

Angst integrativ gearbeitet<br />

werden: neben Hypnose und Hypnotherapie<br />

sollten kognitive, einsichtsorientierte, psychophysiologisch<br />

stabilisierende, psychoedukative<br />

und verhaltensorientierte Ansätze<br />

miteinbezogen werden (siehe Abb. 1).<br />

In der Folge stelle ich im Überblick die wertvollsten<br />

hypnotherapeutischen Ansätze zur<br />

Behandlung von Angst vor:<br />

Copingorientierte Strategien und Techniken<br />

zur Dissoziation und Gegenkonditionierung<br />

Copingorientierte Techniken verfolgen das<br />

Ziel, dem Patienten über die Entwicklung<br />

und das Training ressourcenorientierter Zustände<br />

in Selbsthypnose direkt oder indirekt<br />

eine angstantagonistische Wirklichkeit zum<br />

Angsterleben zu ermöglichen. Der Patient<br />

lernt, dass Angst in sich nichts Gefährliches<br />

ist, es für sein Erleben jedoch besser, wohlbefindlicher<br />

und „eleganter“ ist, wenn er sich<br />

in der ursprünglich mit Angst besetzten Situation<br />

anders, positiver oder selbstwirksamer<br />

erlebt.<br />

Techniken der Gegenkonditionierung mit<br />

Hilfe von Ankern<br />

Ressourcenaktivierungen, -verankerungen<br />

und emotionale Gegenkonditionierungen<br />

werden auch innerhalb behavioraler Therapien<br />

beschrieben. Hypnose hat dem gegenüber<br />

den Vorteil einer für den Patienten als<br />

evident und unwillkürlich erlebten überzeugenden<br />

Wirklichkeitskonstruktion.<br />

Das kann in drei Schritten geschehen:<br />

• Aufbau hilfreicher Emotionen, indem der<br />

Patient in Trance eine Erlebnissituation imaginiert,<br />

in der er diese Emotion auf besonders<br />

intensive Weise erlebt hat, zum Beispiel<br />

durch Altersregression. Während seiner Vorstellung<br />

wird er über Art und Weise seines<br />

Erlebens befragt, so dass die Erlebnisqualität<br />

und –quantität ansteigen. Je nach Situation<br />

oder Person eignen sich hierzu verbale oder<br />

ideomotorische Antwortmöglichkeiten.<br />

• Konditionierung der hilfreichen Emotion<br />

durch den Patienten oder auch zunächst<br />

durch den Therapeuten an geeignete innere<br />

oder äußere Reize, die dem Patienten zur<br />

Verfügung stehen. Das kann Imagination<br />

sein, Berührung oder ein Symbol.<br />

• Gegenkonditionierung, indem der Patient<br />

in Trance die angstauslösende Situation<br />

imaginiert und gleichzeitig<br />

die hilfreiche neue Emotion aktiviert.<br />

Altersprogression<br />

Hier nutze ich zwei Varianten: In Teilschritten<br />

kann der Patient durch Altersprogression<br />

in Hypnose die erfolgreiche Bewältigung<br />

einer vor ihm stehenden Herausforderung<br />

erleben, zum Beispiel einer Prüfung: Die<br />

Prüfungsvorbereitung, dann die Nacht vor<br />

der Prüfung,dann das Verhalten während<br />

der Prüfung. Alternativ oder zusätzlich aber<br />

auch das bereits erreichte Ziel: Nun sieht er<br />

sich mit dem erfolgreichen Prüfungszeugnis<br />

in den Händen und erlebt diese Sitaution in<br />

Hypnose.<br />

Dissoziationsverfahren<br />

Ähnlich einer doppelten Verneinung lässt<br />

sich durch eine Dissoziation von der Dissoziation<br />

erreichen, indem sich der Patient zum<br />

Beispiel vorstellt, er würde von einer Position<br />

in einem Zuschauerraum sich selbst auf der<br />

Bühne in der angstauslösenden Situation<br />

beobachten und assoziativ beschreiben, um<br />

anschließend aus der Außensicht passende<br />

Ressourcen zu schicken und deren Wirkung<br />

im Anschluss zu überprüfen.<br />

Ursachen- und lösungsorientierte Strategien<br />

zur Verarbeitung und Änderung der<br />

Verursachung der Angststörung<br />

Bei einer ganzen Reihe von Angstpatienten<br />

genügt häufig die Anwendung der oben<br />

genannten Hypnosetechniken für eine verbesserte<br />

Bewältigung und zur Anregung der<br />

Selbstorganisation des Patienten. Bei einigen<br />

Patienten kommt es trotz Ressourcenaufbaus<br />

aber auch weiterhin zu Ängsten, die dann<br />

eine Erweiterung im Sinne eines lösungsorientierten<br />

hypnotherapeutischen Vorgehens<br />

zur Diagnose, Verarbeitung und Änderung<br />

meist unbewusster Verursachungen der<br />

Angststörung notwendig machen.<br />

Innere Sicherheit und Dissoziation<br />

Wird in Hypnose an möglichen unbewussten<br />

Ursachen gearbeitet, wie zum Beispiel<br />

Traumata, wurden bereits vorher Ressourcen<br />

und Strategien erwarbeitet und eingeübt:<br />

Ein Safe Place oder eine „Notbremse“ helfen<br />

dann bei der Reorientierung aus einer Negativtrance.<br />

Das verhindert eine mögliche Retraumatisierung<br />

beim Angstpatienten. Auch<br />

hier bietet ein kleinschrittiges Vorgehen an.<br />

Phobietechnik zur Herstellung von Dissoziation<br />

Die Phobietechnik mit Angeboten zur Dissoziation<br />

ähnelt dem weiter oben im gleichnamigen<br />

Abschnitt beschriebenen Dissoziationsverfahren.<br />

Doch steht hier nicht die<br />

Erarbeitung einer angstantagonistischen<br />

Ressource im Vordergrund, die bereits konditioniert<br />

sein sollte, sondern eine Evaluation<br />

des Angsterlebens selbst. Hier kann es dem<br />

Patient über eine Erhöhung der imaginierten<br />

Distanz zur angstauslösenden Situation ermöglicht<br />

werden, differenziertere Beschreibungen<br />

und Selbsterfahrungen zu machen,<br />

wobei er zwischen Beobachter- und Erlebnisebene<br />

wechseln kann. Der Patient stellt sich<br />

zum Beispiel vor, er sitzt in einem Raum, wo<br />

er auf einen Bildschirm schaut, der ihn selbst<br />

in seiner angstauslösenden Erfahrung zeigt.<br />

Evaluation des Ersterlebens durch gesicherte<br />

Altersregression oder eine Affektbrücke<br />

Ähnlich hilfreich sind auch Verfahren zur<br />

weiteren Evaluation möglicher Entstehungsbedingungen,<br />

der aufrechterhaltenden<br />

Trigger sowie der Wirklichkeitskonstruktion<br />

unter Beachtung der sogenannten somatischen<br />

Marker der vorliegenden Angststörung<br />

unter Hypnose. Es eignen sich Verfahren<br />

der Altersregression, in der der Patient<br />

gemachte Erfahrungen in Bezug auf die<br />

voran genannten Aspekte diagnostisch relevant<br />

erlebnisorientiert Revue passieren lässt.<br />

Hierbei spielen häufig sogenannte implizite<br />

Erinnerungen, die ohne Beteiligung des Hippocampus<br />

ablaufen, eine Rolle. Werden diese<br />

erkannt und benannt und damit zu einer<br />

expliziten Erinnerung gemacht, reduziert<br />

sich häufig die Angst. Auch das Verfahren<br />

der Affektbrücke eignet sich dazu: Der Patient<br />

wird in leichter Trance eingeladen, durch<br />

die Vorstellung einer angstauslösenden Situation<br />

sein Angsterleben einschließlich der<br />

somatischen Marker lebendig werden zu lassen.<br />

Von diesem Erleben kann er sich dann<br />

„an die Hand nehmen lassen“ und sich mit<br />

Hilfe einer Altersregression in Erfahrungen<br />

hineinführen lassen, in denen dieses Erleben<br />

besonders intensiv und/oder zum ersten Mal<br />

aufgetreten ist. Der Hypnotherapeut hat bei<br />

all diesen Verfahren eine besondere Funktion<br />

und Verantwortung. Durch intensives<br />

Mitfühlen auf der Therapeutenseite erlebt<br />

der Patient in der therapeutischen Beziehung<br />

das gemeinsame Durcharbeiten der emotional<br />

relevanten Inhalte und fühlt sich gefühlt,<br />

was eine verbesserte Integration und<br />

Bewältigung ermöglicht. Zusätzlich hilft die<br />

Nähe zum Patienten auch dabei, emotionale<br />

Unterstützung zu geben, zum Beispiel durch<br />

das wiederholte Ansprechen der Ressourcen<br />

des Patienten, um eine mögliche Retraumatisierung<br />

zu verhindern.<br />

Veränderungsarbeit durch Einbringen einer<br />

Ressource, hypnotischer Begleiter etc.<br />

Neben der Evaluation ermöglicht die Arbeit<br />

mit Hypnose auch die Um- bzw. Neuprägung<br />

relevanter neuronaler Muster. Dabei verhilft<br />

der Hypnotherapeut dem Patienten aus dem<br />

Safe-Place-Erleben oder einer dissoziierten<br />

Position, parallel auch das Angsterleben<br />

entstehen zu lassen oder sich durch Altersregression<br />

in der angstauslösenden Situation<br />

zu beobachten. Häufig ergeben sich dabei<br />

weitere therapierelevante Erkenntnisse und<br />

Schritte. Nach Bedarf kann anschließend<br />

eine Ressource aus der persönlichen Erfahrung<br />

des Patienten und/oder einem Modell<br />

eingebracht werden: „Was brauche ich (das<br />

Kind!), damit es mir (dem Kind) besser geht?<br />

Alternativ kann eine Veränderung der Entstehungssituation<br />

konstruiert werden. So<br />

kommt es emotionaler Heilung und/oder<br />

Neukonstruktion, deren Erfahrung zusätzlich<br />

noch in das Gegenwartserleben und in die<br />

Zukunft transformiert werden können. Dabei<br />

ist eine imaginierte Zeitlinie hilfreich. Diese<br />

Neukonstruktion hat Auswirkungen auf der<br />

bewussten wie auch auf der unbewussten<br />

Ebene.<br />

Arbeit mit Zeitlinien<br />

Entlang einer im Therapieraum imaginierten<br />

Lebenslinie bildet der Patient Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft ab. Derart definierte<br />

räumliche Anker ermöglichen dem Patienten<br />

sowohl Zielerreichung, Problementstehung<br />

und Erlebensveränderung im Sinn einer emotionalen<br />

Heilung, eine häufig spontane Ressourcenerkundung<br />

und –einbringung hypnotisch<br />

zu erleben. Eine sich anschließende<br />

gemeinsame Reflexion des Erlebten mit dem<br />

Therapeuten ermöglicht dem Patienten eine<br />

hypnonoetische Erfahrung zum besseren<br />

Verstehen des Problemerlebens. Im Rahmen<br />

eines integrativen Behandlungsansatzes<br />

können die oben genannten Möglichkeiten<br />

der Hypnose, individuell in den Therapieverlauf<br />

eingebracht, die Behandlung von Angst<br />

vielschichtig unterstützen und den Patienten<br />

in seiner Selbstregulierung stärken.

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