Rijec 58_59
Riječ: glasnik Hrvatske kulturne zajednice Wiesbaden / Das Wort: Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. / HKZ Wiesbaden.
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Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. Nr. 58/59, 2020
Antoinette orientierte sich am prunkvollen Stil – heute würde man es „protzig“ und „klunkerig“
nennen – Ludwigs XVI, fern von dem unauffälligen Stil der Frauen, welcher den Zweck hatte, den
weiblichen Körper vollkommen zu bedecken. So ähnlich ist es auch heute. Die Inszenierung des
Weiblichen ist zum Alpha & Omega geworden. Im Gegensatz dazu werden Männer, welche sich
prunkvoll inszenieren oder ‚aus der Reihe tanzen‘, als „lächerlich“ oder homosexuell verspottet.
Männer folgen dem Anzugkult und Frauen dem Verkörpern von Erotik. Dieses Phänomen begründet
Vinken ebenfalls im dritten Kapitel „Mode – modern“. In diesem Kapitel geht es hauptsächlich um
modische Männer, und zwar um Dandys: Ein Mann, dessen Bestimmung es ist, sich perfekt
anzukleiden; dessen Sinn des Lebens die Oberflächlichkeit ist. Vinken nennt Namen von bekannten
Dandys und unter Anderem erzählt sie vom Ursprung der Sapeurs. Laut Vinken sind Sapeurs die
Dandys von heute. Heißt dies etwa, dass die einzigen modischen Männer auf diesem Planeten
heutztage schwarz sind und Versace-Anzüge tragen? Vinken appelliert hiermit an die Männer, nicht
am stumpfen, dunkelblauen Anzug und ihrem weißen Hemd ‚kleben zu bleiben‘. Dies würde
allerdings auch bedeuten, dass die Präsentation der Charakterzüge des Mannes durch ihre Haltung,
ihr Gesicht, ihre Taten und Worte in den Hintergrund rückt (das Zur-Geltung-Kommen der
Charaktereigenschaften durch den Anzug wird angeführt durch ein Zitat von Theodor Friedrich
Vischer). Welche Priorität zählt nun mehr? Auf welchen Kompromiss kann man sich einigen? Der
Leser mag den Thesen des Buches zustimmen und nicken, auf der anderen Seite bleibt er ein wenig
unbeholfen dastehen.
Im vierten Kapitel „Fremdraum: Die Welt im eigenen Haus“ schwankt Vinken zwischen Empörung
über das verlorengegangene Gespür für Mode in der Moderne und dem Orientalistischen in der
Mode. Vinken greift bei ihrer Argumentation zwischenzeitlich in die Vergangenheit, um den
Ursprung heutiger modebezogener Zustände aufzuzeigen. Beispielsweise beim Konflikt „Chanel
versus Dior“. Das Label Chanel gewann mit seinem Plädoyer für bequeme Mode: einem
militärischen, kastigen Kostüm, das Freiraum für Bewegung bei der selbstbewussten, natürlichen
Frau bietet. Die Vorliebe für bequeme Kleidung nimmt in der Moderne derart enorme Ausmaße
an, dass der Wunsch, zu gefallen, aus dem Fokus gerät (Turnschuhe, Sportkleidung, UGGs sprechen
dafür). Vinkens metaphorische Schilderung, die Umwelt sei nicht mehr eine Bühne oder Salon,
sondern ein Parcours, den es zu bewältigen gilt, zeugt von hoher Überzeugungskraft. Das knowhow
über die anlassgerechte Kleidung: verloren. Die Gleichgültigkeit über die äußere Erscheinung
bezeichnet Vinken mit Nachdruck als „aggressiv“. Leser, die bereits in Italien, Frankreich oder
einigen osteuropäischen Ländern Menschen und Mode beobachten konnte, werden beim Vergleich
mit den Erfahrungen in Deutschland absolut zustimmen. Außerdem weist Mode in der Moderne
laut Vinken einen orientalischen Faktor auf. Immer häufiger geraten östliche Merkmale in die
westliche Mode. An diesem Stil haben allerdings nur die Frauen der Schöpfung ein Teilnahmerecht,
da Orientalismus als weibisch gilt. Den Ursprung dieser Behauptung zieht Vinken aus der
Geschichte. Orientalisch, mit „purpurnen Seidenroben“ gekleidete Herrscher des alten Römischen
Reiches wurden von nordischen Kämpfern als „unterlegene, verweichlichte Asiaten“ beleidigt.
Julius Caesar gibt sich Kleopatra, dem Ebenbild einer orientalischen Prinzessin, hin. Mit dem
Zuwachs weibischen Orientalismus zerfällt das Römische Reich. Das Machtverhältnis zwischen
Mann und Frau wird zur Maskerade – auch in Paris. Vinken lässt Jean-Jacques Rousseau sprechen:
Pariser Salons würden einem Harem gleichen, in dem Frauen das Sagen haben und Männer zu
Objekten werden und damit ihre Männlichkeit verlieren: Sie werden zu Eunuchen oder zu Frauen.
Jene Informationen, die Vinken bietet, lassen Gelegenheit zum Nachdenken. Ihre Argumentationen
gleichen z.T. einem Rätsel, das der Leser lösen möchte. Das Interesse, seinen Horizont zu erweitern,
wächst. Dazu gibt das Buch zahlreiche Anreize.
Das fünfte Kapitel „Die feinen Unterschiede und der kleine Unterschied“ tritt möglicherweise den
meisten Leserinnen zu nahe. Vinken führt Informationen zu verschiedenen Theorien an. Zuerst
erläutert sie den Begriff des „feinen Unterschiedes“ in Georg Simmels Essay Die Philosophie der
Mode. Der feine Unterschied ist der, der einen Mensch vom anderen abgrenzt bzw. das Individuum
auszeichnet. Mode sei hinsichtlich dessen eine Instanz, die Menschen die Möglichkeit gibt, sich
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