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Rijec 58_59

Riječ: glasnik Hrvatske kulturne zajednice Wiesbaden / Das Wort: Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. / HKZ Wiesbaden.

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Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. Nr. 58/59, 2020

NOBELPREIS-VERLEIHUNG 2019

Halb korrekt und halb mutig - die Literaturnobelpreise 2018 und 2019 gehen an Olga

Tokarczuk und Peter Handke

Über die literarische Gerechtigkeit

und/oder Rechtfertigung von

Autoren lässt sich hervorragend streiten.

Und man tut es. Ausgiebig. Klar,

eine Preisverleihung ist immer eine

Aberkennung desselben an die Anderen.

Das ausgerechnet Peter Handke,

ein österreichisch-slowenischer

Autor, den Nebelpreis für Literatur

erhielt, mag einigen (und nicht wenigen)

als ein Skandal erscheinen.

Die, die die Meinung vertreten, dass

Peter Handke für den Nobelpreis

nicht preiswürdig ist, weil er angeblich

den Srebrenica-Massenmord

relativiert, haben Handke nicht gelesen.

Hier ist vorab eine Klärung der

Sachverhalte nötig: Handke war und

ist trotz aller Parteinahme für Serbien

kein Srebrenica-Leugner, und selbst

dann wäre er noch nicht automatisch

jemand, der die Shoah relativiert.

Der Hintergrund ist folgender: Die

Annahme eines Genozids an den

bosnischen Muslimen im „Bosnien-

Krieg“, das von der US-amerikanischen

PR-Agentur Ruder Finn

verbreitete Synonym Serben = Nazis,

sowie das in Den Haag als Genozid

bezeichnete Massaker von Srebrenica

spielen in der Jugoslawien-Debatte

vor allem unter Befürwortern

westlicher Interventionspolitik eine

zentrale Rolle. Problematisch ist

neben der UN-Definition von Genozid,

die auf zahlreiche Kriegsverbrechen

weltweit anwendbar wäre, dass

die Aussage unscharf und fast unverbindlich

ist. Ausgehend vom

Römischen Statut des Internationalen

Strafgerichtshofes und dem aktuellen

Stand des Völkergewohnheitsrechts

sind die Grundlagen und der Allgemeine

Teil des Völkerstrafrechts

sowie die einzelnen Völkerrechtsverbrechen

hinreichend bekannt und

international akzeptiert. 1 Und für die,

die daran halten mögen, auch verbindlich.

Der Völkermord, das Verbrechen

gegen die Menschlichkeit,

1

https://www.un.org/ruleoflaw/files/AH386.pdf

jegliche Art von Kriegsverbrechen

und das Verbrechen der Aggression

sind geächtet. Dass aber die Bezeichnung

Völkermord gerade im deutschen

Sprachraum mit der

planmäßigen Vernichtung der europäischen

Juden durch die Nationalsozialisten

assoziiert wird, erschwert

es jedem deutschsprachigen Autor

sich für oder gegen der Definition

Serben = Nazis zu äußern. Nicht der

Vergleich selbst, sondern die suggerierte

Gleichsetzung der realen Völkermorde

des Zweiten Weltkrieges

oder, in anderer und auch zahlenmäßig

abgeschwächter Form, von

Ruanda 1994 mit dem behaupteten

Völkermord an den bosnischen Muslimen

sowie dem Massaker von

Srebrenica führte erst zu jenen fragwürdigen

Revisionismus-Unterstellungen,

die in der Handke-Debatte

bei Kritikern allgegenwärtig sind.

Wer den bosnischen Genozid leugnet,

leugnet Srebrenica, und wer das

abstreitet, leugnet also auch den

deutschen Völkermord. Peter

Handke hat wiederholt auf diese

Gefahr der Relativierung der Holocaust

hingewiesen.

Handke stellt sich gegen die Vorverurteilung,

und da leistet sein Werk

Wesentliches für den Anspruch auf

Gerechtigkeit. Während Journalisten

über die aktuelle Lage berichteten,

erforschte er, der Dichter, das Dritte,

dieses Nebendraußen, jenes neben

den Brennpunkten des Kriegstheaters

Existierende Realität. Und diese Realität

ist mehrdeutig. Journalistische

Erzählung dagegen, setzt Eindeutigkeit

voraus. Die entgegengehaltene

Mehrdeutigkeit in der Literatur

fordert den Leser heraus. Handke

provozierte durch seine zugespitzten

Interview-Aussagen, in denen er sich

bisweilen dem sachlichen Gespräch

entzog und stattdessen mit Polemik,

Ironie und Sarkasmus reagierte.

Nicht destotrotz entbindet dies niemanden

von einer fairen Beurteilung.

Den Autor Handke auf seine serbienafilen

Auftritte zu reduzieren ist

unfair. Und wäre die Handke-Mediale-Auseinandersetzung

mit ihm als

Sündenbock eine Strategie zur

Ablenkung der Medien von berechtigter

Kritik an der Berichterstattung

im Umgang mit einem europäischen

Konflikt, wie Jugoslawien interpretiert

wird zu sehen? Deshalb ist die

Diskussion um die Nobelpreis-Verleihung

2019 halb korrekt und halb

mutig: mit Olga Tokarczuk gewinnt

einer der großen Favoriten der Buchmacher

und eine Autorin, die so

etwas wie einen polnischen

magischen Realismus mit christlicher

Grundierung erfunden hat. Die

Entscheidung für Peter Handke ist

entschieden mutiger: Er hat sich

international viele Feinde zugezogen

mit seiner Verteidigung Serbiens in

den Jugoslawienkriegen. Aber mehr

Dichter als Handke geht nicht.

Darum ein Preis für echte Literatur

– ohne Hintergedanken.

Ivica Košak

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