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KARRIERE<br />

Buchrezension<br />

Ein Plädoyer für die Menschlichkeit in der Wirtschaft<br />

Autor Jonathan Aldred stellt fest, dass es nicht weit her ist mit der Menschlichkeit im neoliberalen Wirtschaftsdenken.<br />

In diesem Buch zeichnet er die Geschichte unseres heutigen Wirtschaftsglaubens nicht nur<br />

historisch nach, sondern zeigt auch auf, was uns bei all der Profithörigkeit verloren gegangen ist. Ein Buch<br />

für alle, die das System nicht so hinnehmen wollen, wie es im Moment ist.<br />

Wie steht es um die Menschlichkeit in unserem<br />

Wirtschaftsdenken? Diese Frage will der<br />

Autor Jonathan Aldred in diesem Buch<br />

beantworten. Seine Einstellung ist dabei klar:<br />

In unserem Streben nach Gewinn -<br />

maximierung haben wir unsere grundsätz -<br />

liche Menschlichkeit aus den Augen verloren.<br />

Ethische Grundsätze und altruistische Handlungen<br />

mussten dem Gewinngedanken<br />

weichen.<br />

Das heutige System ist fehlerhaft<br />

Dass das Wirtschaftssystem, wie wir es im<br />

Moment pflegen, nicht allen gefällt, ist sicher<br />

kein Geheimnis. Das zeigt sich ganz deutlich<br />

in einem immer größeren Hang hin zum<br />

Eskapismus: einige Beispiele sind der Trend<br />

zum naturverbundenen Leben wie in der<br />

Tiny-House- und Wohnwagen-Bewegung,<br />

hin zu einer Flucht aus dem Büro in längere<br />

Sabbaticals und zu einer bewussten Entscheidung<br />

gegen die Karriere und für mehr<br />

Work-Life-Balance. Für diese Allüren werden<br />

die Generationen Y und X zwar regelmäßig<br />

durch den Kakao gezogen, doch drücken sie<br />

ein Unwohlsein mit dem System aus, das sich<br />

nicht so einfach weglachen lässt, denn die<br />

Kehrseite der Medaille sind lange Arbeitszeiten,<br />

Depressionen und Burnouts.<br />

Auch die im Moment weltweit zu beobachtende<br />

Bewegung hin zu (rechtem) Populismus<br />

und Extremismus könnte eine ihrer<br />

Ursachen in einem System haben, bei dem<br />

viele einfach auf der Strecke bleiben. Es ist ja<br />

inzwischen bekannt, dass die „Tickle-Down-<br />

Theorie“, also die Idee, dass das Geld der<br />

Reichen irgendwie und irgendwann auch zu<br />

den anderen Schichten durchsickern würde,<br />

nicht der Wahrheit entspricht. Geld zieht nun<br />

mal Geld an, Reiche werden reicher, Arme<br />

ärmer. Konnte sich vor einer Generation der<br />

Schreiner und Familienvater mit einem Einkommen<br />

ein Haus kaufen, können sich heutige<br />

Generationen – je nach Region – nicht einmal<br />

eine heruntergekommene Ein-Zimmer-<br />

Der korrumpierte Mensch. Die<br />

ethischen Folgen des wirschaft -<br />

lichen Denkens.<br />

Jonathan Aldred, Klett-Cotta<br />

Verlag, Stuttgart, 2020.<br />

Hardcover, 433 Seiten. 25,00 €.<br />

ISBN: 978-3608982374<br />

Wohnung leisten. Beide Entwicklungen haben<br />

ihren Ursprung in dem Wirtschaftssystem,<br />

in dem wir alle „gefangen“ sind. Weil<br />

Einzelnen die Perspektive fehlt, wie sie das<br />

System an sich ändern können, treten sie lieber<br />

die Flucht an. Egal wohin, Hauptsache:<br />

nicht hier.<br />

Ursachenforschung Wirtschaftstheorie<br />

Jonathan Aldred geht in diesem Werk auf Ursachenforschung.<br />

Warum sieht unser Wirtschaftssystem<br />

heute so aus, wie es ist?<br />

Schließlich, so ist es seine These, ist dieses<br />

System weder gottgegeben noch unveränderlich.<br />

Deshalb wirft er einen Blick in die Historie<br />

der modernen Wirtschaftstheorien seit<br />

dem Ende des zweiten Weltkriegs. Er ist dabei<br />

zwar kritisch, belegt seine Gedankengänge<br />

aber gut und nachvollziehbar. Dabei schreckt<br />

er auch vor der Kritik an Platzhirschen der<br />

modernen Sozialtheorie, wie der von Nash<br />

und von Neumann begründeten Spieltheorie<br />

nicht zurück. Hier kritisiert er ganz klar, dass<br />

die vermutete „rationale“ Verhaltenweise,<br />

auf die sich so viele (alle?) Wirtschaftstheorien<br />

stützen, in der Praxis oft nicht nachgewiesen<br />

werden kann und dass Menschen sich<br />

oft irrational, emotional und kooperativ verhalten.<br />

Und hier begehen viele Wissenschaftler<br />

bis heute einen Kardinalfehler: Anstatt ihre<br />

Theorien so anzupassen, dass sie die Wirklichkeit<br />

widerspiegeln, verändern sie die Wirklichkeitsbeobachtungen<br />

so lange, bis diese<br />

ihren Theorien entsprechen. So funktioniert<br />

Wissenschaft leider nicht.<br />

In ähnlicher Weise beobachtet und diskutiert<br />

Aldred verschiedene einflussreiche, aber<br />

nicht immer bekannte Theorien des 20. und<br />

21. Jahrhunderts. Dazu gehören unter anderem<br />

das Coase-Theorem, Kenneth Arrows demokratieverneinende<br />

Arbeit bei der RAND-<br />

Cooperation oder das Phänomen des „Trittbrettfahrens“.<br />

Sie alle haben unser Wirtschaftsdenken<br />

geprägt – und nicht immer<br />

zum guten. Ein schlaues, nachdenkliches und<br />

interessantes Buch, für alle, die mutig genug<br />

sind, den Elfenbeinturm zu verlassen.<br />

Jonathan Aldred ist Director of Studies in<br />

Ökonomie am Emmanuel College und lehrt<br />

außerdem als Newton Trust Lecturer am Department<br />

of Land Economy der University of<br />

Cambridge. Sein erstes Buch, „The Skeptical<br />

Economist“, erschien 2012.<br />

Die Autorin<br />

Sanja Döttling,<br />

Redakteurin<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />

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