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Diplomarbeit Schmidt - Psychologie der Universität Siegen

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„Teenager außer Kontrolle“<br />

–<br />

Der Sozialpädagogische Blick auf ein<br />

inszeniertes Auslandsprojekt<br />

Diana <strong>Schmidt</strong>


<strong>Universität</strong> <strong>Siegen</strong><br />

Fachbereich 2<br />

Integrierter Studiengang Sozialpädagogik und Sozialarbeit<br />

<strong>Diplomarbeit</strong><br />

„Teenager außer Kontrolle“ – Der Sozialpädagogische<br />

Blick auf ein inszeniertes Auslandsprojekt<br />

vorgelegt von:<br />

Diana <strong>Schmidt</strong><br />

Brucknerweg 5<br />

57076 <strong>Siegen</strong><br />

Matrikelnummer: 737755<br />

Referent: Herr Prof. Dr. Klaus Wolf<br />

Koreferentin: Frau PD Dr. Imbke Behnken<br />

<strong>Siegen</strong>, Juni 2009


INHALTSVERZEICHNIS<br />

1 EINLEITUNG........................................................................................... 4<br />

1.1 Das Forschungsinteresse ............................................................................................ 4<br />

1.2 Zum Aufbau <strong>der</strong> Arbeit.............................................................................................. 5<br />

2 ERLEBNISPÄDAGOGISCHE PROJEKTE IM AUSLAND ..................... 6<br />

2.1 Grundgedanken .......................................................................................................... 6<br />

2.2 Ursprünge erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte............................. 7<br />

2.3 Chancen und Ziele ...................................................................................................... 9<br />

2.4 Kritikpunkte.............................................................................................................. 10<br />

2.4.1 Allgemeine Kritikpunkte ............................................................................................ 10<br />

2.4.2 Die Transferproblematik............................................................................................. 12<br />

2.5 Auslandsprojekte heute............................................................................................ 13<br />

3 DIE RTL-SERIE „TEENAGER AUßER KONTROLLE“........................ 14<br />

3.1 Beschreibung <strong>der</strong> Serie............................................................................................. 14<br />

3.2 Das „Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness Therapy Program“.......................................... 15<br />

3.3 Die beteiligten Personen ........................................................................................... 16<br />

3.3.1 Die Mitarbeiter............................................................................................................ 16<br />

3.3.2 Die Jugendlichen......................................................................................................... 17<br />

3.4 Kritik an pädagogischer Arbeit in einer kommerziellen „Reality-Show“........... 20<br />

1


4 ANALYSE DER SOZIALPÄDAGOGISCHEN GESICHTSPUNKTE..... 22<br />

4.1 Forschungsdesign...................................................................................................... 22<br />

4.1.1 Vorgehensweise.......................................................................................................... 22<br />

4.1.2 Beschreibung <strong>der</strong> Szenen............................................................................................ 23<br />

4.1.3 Transkription............................................................................................................... 25<br />

4.2 Selbst- und Fremdkontrolle ..................................................................................... 26<br />

4.2.1 Die Anwendung von Strafen....................................................................................... 27<br />

4.2.2 Partizipation................................................................................................................ 43<br />

4.3 Beziehungen............................................................................................................... 62<br />

4.3.1 Die Beziehungen zwischen den Professionellen und den Jugendlichen: Der<br />

pädagogische Bezug.................................................................................................... 62<br />

4.3.2 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern: Elternarbeit ............ 89<br />

4.3.3 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen: Die Bedeutung <strong>der</strong> Gruppe ............. 113<br />

4.4 Ressourcenorientierung.......................................................................................... 123<br />

4.5 Die Darstellung <strong>der</strong> Jugendlichen – Zum Menschenbild .................................... 135<br />

5 FAZIT ................................................................................................. 147<br />

6 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................ 150<br />

7 EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG .................................................. 156<br />

2


ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

ABBILDUNG 1: BETREUER........................................................................... 16<br />

ABBILDUNG 2: DZENETA.............................................................................. 17<br />

ABBILDUNG 3: ANDREAS............................................................................. 18<br />

ABBILDUNG 4: VIVIEN................................................................................... 18<br />

ABBILDUNG 5: STACEY ................................................................................ 18<br />

ABBILDUNG 6: KURT..................................................................................... 19<br />

ABBILDUNG 7: PASCAL................................................................................ 19<br />

ABBILDUNG 8: KEVIN.................................................................................... 19<br />

ABBILDUNG 9: DAVID ................................................................................... 19<br />

ABBILDUNG 10: KEVIN UND SEINE ELTERN WERDEN GEFILMT ............ 21<br />

ABBILDUNG 11: PARTIZIPATIONSLEITER NACH ARNSTEIN.................... 43<br />

3


1 Einleitung<br />

1.1 Das Forschungsinteresse<br />

„Sozialpädagogin wirst du? Ist das nicht so was, wie die Super Nanny o<strong>der</strong> dieser<br />

Thomas Sonnenburg?“ Diese und ähnliche Fragen hört man als angehende<br />

Sozialpädagogin nicht selten, denn Sendungen, in denen es inhaltlich um pädagogische<br />

Arbeit geht, stehen in <strong>der</strong> heutigen Fernsehlandschaft hoch im Kurs. Neben <strong>der</strong> wohl<br />

bekanntesten Pädagogin im TV, <strong>der</strong> „Super Nanny“ Katia Saalfrank, gibt es nun allein<br />

beim Sen<strong>der</strong> RTL den Streetworker Thomas Sonnenburg, den Schuldenberater Peter<br />

Zwegat und Annegret Noble von „Teenager außer Kontrolle“, die zusammen mit ihrem<br />

Team in <strong>der</strong> amerikanischen Wüste schwererziehbaren deutschen Jugendlichen den<br />

Weg „zurück ins Leben“ zeigt (F4, 0:55). Doch was ist das für ein Bild von<br />

pädagogischer Arbeit, das Millionen von Zuschauern durch diese Sendungen vermittelt<br />

wird? Ich habe mich immer geweigert, die Frage „Ist das nicht so was wie die Super<br />

Nanny?“ zu bejahen – aber warum eigentlich? Im Rahmen dieser Arbeit habe ich<br />

genauer hingesehen und anhand <strong>der</strong> Serie „Teenager außer Kontrolle“ untersucht, ob<br />

und wenn ja, inwiefern sich die pädagogische Arbeit im Fernsehen von einer<br />

professionellen pädagogischen Arbeit unterscheidet, die Standards wie beispielsweise<br />

Ressourcenorientierung o<strong>der</strong> die Partizipation <strong>der</strong> Beteiligten berücksichtigt. Obwohl es<br />

meines Erachtens durchaus positiv zu bewerten ist, den Fernsehzuschauern durch diese<br />

Sendungen zu vermitteln, dass es verschiedene Arten von Hilfe gibt und sie so zu<br />

ermutigen, sich in Krisensituationen an professionelle Pädagogen und Sozialarbeiter zu<br />

wenden, könnte ein verzerrtes Bild von Sozialer Arbeit zu Missverständnissen führen.<br />

So dürfte eine Mutter, die im Fernsehen beobachtet hat, wie die Super Nanny eine<br />

Woche lang bei einer Familie zu Gast war und aus schlimmen Rabauken kleine<br />

Engelchen „gemacht“ hat, schockiert sein, wenn man ihr mitteilt, dass eine<br />

Familienhilfe meist über ein ganzes Jahr mit einer Familie zusammenarbeitet. O<strong>der</strong> es<br />

könnten Eltern, die gesehen haben, dass Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> amerikanischen Wüste acht<br />

Wochen lang an einem Programm teilnehmen und dann „geheilt“ zurück nach Hause<br />

kommen, zu <strong>der</strong> Ansicht gelangen, dass die Eltern nichts mit dem Verän<strong>der</strong>ungsprozess<br />

zu tun haben und überrascht sein, wenn im Rahmen <strong>der</strong> Hilfen zur Erziehung von ihnen<br />

Mitarbeit erwartet wird.<br />

Ein Ziel meiner Arbeit ist es also, mögliche Unstimmigkeiten in <strong>der</strong> medialen<br />

Darstellung pädagogischer Arbeit aufzudecken, um Missverständnisse und falsche<br />

Erwartungen <strong>der</strong> Hilfesuchenden zu minimieren. Die im Rahmen einer <strong>Diplomarbeit</strong><br />

4


erfor<strong>der</strong>liche Einhaltung <strong>der</strong> wissenschaftlichen Standards ist außerdem äußerst<br />

geeignet, um fachlich fundiert begründen zu können, warum ich <strong>der</strong> Frage, ob die<br />

Inhalte meiner späteren beruflichen Arbeit mit <strong>der</strong> bei „Teenager außer Kontrolle“<br />

dargestellten Pädagogik vergleichbar sind, nicht zustimmen möchte. Ein zweites Ziel<br />

<strong>der</strong> Arbeit ist demnach eine kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung, Analyse und<br />

Kommentierung <strong>der</strong> beobachteten Szenen.<br />

1.2 Zum Aufbau <strong>der</strong> Arbeit<br />

Bei „Teenager außer Kontrolle“ handelt es sich um ein erlebnispädagogisches<br />

Auslandsprojekt, deshalb beginne ich in Kapitel 2 mit einigen theoretischen Grundlagen<br />

zu diesem Thema. Neben Grundgedanken und den geschichtlichen Ursprüngen<br />

erlebnispädagogischer Projekte im Ausland, werden Chancen und Ziele, sowie<br />

Kritikpunkte dieses Ansatzes aufgeführt und ein kurzer Überblick über die heute<br />

übliche Ausgestaltung <strong>der</strong> Projekte gegeben.<br />

Darauf folgen in Kapitel 3 Beschreibungen <strong>der</strong> Serie, des dahinter stehenden<br />

Therapieprogramms, sowie eine kurze Vorstellung <strong>der</strong> beteiligten Personen.<br />

Abschließend erörtere ich, warum ich pädagogische Arbeit in einer kommerziellen<br />

„Reality-Show“ prinzipiell für bedenklich halte.<br />

Im empirischen Teil meiner Arbeit, in Kapitel 4, analysiere ich nach <strong>der</strong> Darstellung<br />

des Forschungsdesigns verschiedene pädagogische Dimensionen <strong>der</strong> Sendung. Die<br />

behandelten Aspekte sind das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle, die<br />

Beziehungen zwischen den beteiligten Personen, sowie die Ressourcenorientierung und<br />

das vorliegende Menschenbild. Jede dieser pädagogischen Dimensionen leite ich mit<br />

einer kurzen theoretischen Begriffsbestimmung ein, um dann die in <strong>der</strong> Serie<br />

beobachteten Szenen mit diesem theoretischen Hintergrund vergleichen zu können (zur<br />

genaueren Vorgehensweise siehe Kapitel 4.1.).<br />

Im Fazit werden dann noch einmal die wichtigsten Ergebnisse meiner Analyse<br />

zusammengefasst.<br />

5


2 Erlebnispädagogische Projekte im Ausland<br />

2.1 Grundgedanken<br />

Als erlebnispädagogische Projekte im Ausland werden mehrwöchige Trips mit<br />

bewegungsintensiven Aktivitäten in <strong>der</strong> Natur, für eine Gruppe von Jugendlichen<br />

verstanden. Die Umgebung ist für die Teilnehmer neu, herausfor<strong>der</strong>nd und anregend.<br />

Sie werden aus ihrem sozialen Umfeld gelöst, um sich durch neue und intensive<br />

Erfahrungen selbst zu entdecken und weiterzuentwickeln. Viele verschiedene Formen<br />

dieser Projekte sind denkbar: Bergsteigen, Wan<strong>der</strong>n, Segelturns, Höhlenforschen,<br />

Kajakfahren, etc.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Hilfen zur Erziehung werden erlebnispädagogische Projekte im<br />

Ausland meist als Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII<br />

gewährt.<br />

Zu den Grundprinzipien dieser Maßnahmen gehören nach Klawe und Bräuer das Leben<br />

unter einfachen Bedingungen, eine Kontinuität und starke Intensität <strong>der</strong> Beziehungen,<br />

die große Distanz zum früheren Millieu und das Erleben von Erfahrungen im<br />

Grenzbereich des Einzelnen (vgl. Klawe/Bräuer 2001, 13). Zentral ist außerdem die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Gruppe, denn Aufgaben sind meist in Kooperation mit an<strong>der</strong>en<br />

Jugendlichen zu lösen, <strong>der</strong> Einzelne soll sich in <strong>der</strong> Gemeinschaft geborgen fühlen. Des<br />

Weiteren ist zu beachten, dass die Projekte nicht Selbstzweck sind – sie sollen zur<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit sich und <strong>der</strong> Gruppe führen. Die Erlebnisse sind demnach als<br />

Medium o<strong>der</strong> Metapher zu verstehen. Um die Wirkung von Aufgaben, Natur und<br />

Gruppe gezielt zu unterstützen, werden Methoden <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, wie<br />

beispielsweise positive Verstärkung, Gruppengespräche und Reflexion eingesetzt (vgl.<br />

Amesberger 2003, S.9 ff.).<br />

Bei <strong>der</strong> Wahl des Durchführungsortes wird oft das einfache, primitive Leben in<br />

abgelegenen Regionen bevorzugt, da hier die Unmittelbarkeit von (Über-)<br />

Lebenszusammenhängen am deutlichsten gespürt werden kann. Auch eine große<br />

Differenz zwischen <strong>der</strong> Kultur im Heimat- und Projektland kann von Vorteil sein, denn<br />

die Offenheit und das Interesse <strong>der</strong> fremden Menschen lassen die Jugendlichen sich<br />

selbst neu erleben. Außerdem führen die Bedingungen im Ausland (fremde Kultur und<br />

Sprache) oft dazu, dass sich die Jugendlichen stärker am Betreuer orientieren und so die<br />

6


Hierarchie Erwachsener-Kind auf natürliche Weise wie<strong>der</strong> hergestellt wird (vgl. Bohry<br />

1992, 254).<br />

Klawe und Bräuer haben anhand einer Befragung <strong>der</strong> Jugendämter herausgearbeitet,<br />

welche die häufigsten Zuweisungsgründe für erlebnispädagogische Maßnahmen sind.<br />

Sie nennen an erster Stelle die Unfähigkeit, tragfähige soziale Beziehungen aufzubauen<br />

sowie eine Perspektivlosigkeit <strong>der</strong> Jugendlichen. Bei Jungen kommt außerdem<br />

aggressives und wie<strong>der</strong>holt kriminelles Verhalten, bei Mädchen Selbstgefährdung hinzu<br />

(vgl. Klawe/Bräuer 2001, 101). Sie kritisieren jedoch, dass in <strong>der</strong> Praxis häufig<br />

„beson<strong>der</strong>s schwierige Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zugewiesen werden, ohne daß überprüft<br />

wird, ob die Indikation im Zusammenhang mit dem Hilfeplan sinnvoll ist und die<br />

erlebnispädagogische Maßnahme von ihren Bedingungen her diesen Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen gerecht werden kann“ (ebd., 61). Nach § 27 SGB VII ist eine Hilfe im<br />

Ausland zwar nur gestattet „wenn dies nach Maßgabe <strong>der</strong> Hilfeplanung zur Erreichung<br />

des Hilfeziels im Einzelfall erfor<strong>der</strong>lich ist“ (Beck-Texte Jugendrecht 2006, 26 ff.),<br />

doch diese gesetzliche Bestimmung führt häufig eben gerade dazu, dass die<br />

Auslandsprojekte als „finales Rettungskonzept“ verstanden und gewählt werden, wenn<br />

bei einem Jugendlichen keine an<strong>der</strong>e Hilfeform erfolgreich war. Es besteht somit die<br />

Gefahr, dass die Projekte mit zu großen Hoffnungen und Erwartungen belegt werden<br />

(vgl. Klawe/Bräuer 2001, 15).<br />

2.2 Ursprünge erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte<br />

Will man den Ursprüngen erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte auf den<br />

Grund gehen, schlagen einige Autoren vor, schon bei Rousseau (1712 – 1778) zu<br />

beginnen (vgl. z.B. Heckmair/Michl 1998). Als Bewun<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Natur und Prediger <strong>der</strong><br />

Einfachheit war er davon überzeugt, dass drei Dinge den Menschen erziehen: Die<br />

Natur, die Dinge und die Menschen, und letztere sollten auch nur die Erziehung durch<br />

die Natur und die Dinge ermöglichen (vgl. ebd., 4 f.). So schlägt er vor, Kin<strong>der</strong> mehr<br />

durch Handlungen als durch Worte zu erziehen und unterrichten, ganz getreu seinem<br />

Motto „Leben ist nicht atmen, leben ist handeln“ (zit. n. Heckmair/Michl 1998, 6).<br />

Erlebnis, Erfahrung und Abenteuer sieht er als notwendige Lernprinzipien, „denn<br />

Kin<strong>der</strong> vergessen leicht was sie gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht,<br />

was sie getan haben und was man ihnen tat“ (ebd., 80).<br />

7


Damit hat Rousseau sicher schon wesentliche Prinzipien <strong>der</strong> Erlebnispädagogik voraus<br />

genommen, als <strong>der</strong>en Begrün<strong>der</strong> gilt in <strong>der</strong> Literatur jedoch meist Kurt Hahn (1886 –<br />

1974). Er war es, <strong>der</strong> den Erlebnisbegriff in <strong>der</strong> Pädagogik institutionalisierte und noch<br />

heute wird in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Erlebnispädagogik immer wie<strong>der</strong> auf Hahn und seine<br />

„Erlebnistherapie“ Bezug genommen.<br />

1941 gründete <strong>der</strong> Politiker und Pädagoge in Wales die erste sogenannte „Short-term<br />

School“, die bald darauf in „Outward Bound School“ umbenannt wurde. Hier sollten<br />

Jugendliche innerhalb vierwöchiger Kurse nach Hahns Erlebnistherapie auf das Leben<br />

vorbereitet werden (vgl. Hahn 1998, 273). Unter Erlebnistherapie verstand er „die<br />

Vermittlung von reinigenden Erfahrungen, die den ganzen Menschen for<strong>der</strong>n und <strong>der</strong><br />

Jugend den Trost und die Befriedigung geben: Wir werden gebraucht.“ (ebd., 275).<br />

Hahn erhoffte sich hierdurch eine Heilung <strong>der</strong> Gesellschaft, welche seiner Meinung<br />

nach unter Verfallserscheinungen litt (daher auch <strong>der</strong> Begriff „Erlebnis-Therapie“, also<br />

eine Therapie <strong>der</strong> Gesellschaft durch das Erlebnis) (vgl. Putensen 2000, 32 ff.). Die<br />

Erlebnistherapie beinhaltete vier Elemente, die dem Abenteuer- und Erlebnisdrang <strong>der</strong><br />

Jugendlichen einen Spielraum geben sollen:<br />

− Das körperliche Training: Zum Beispiel leichtathletische Übungen und<br />

Natursportarten<br />

− Die Expedition: Eine mehrtägige Tour durch die Natur – hier könnte man die<br />

Ursprünge <strong>der</strong> Auslandsprojekte sehen. Berg, See und Meer sah Hahn dabei als<br />

Erziehungsmedien an<br />

− Das Projekt: Eine thematisch und zeitlich abgeschlossene Aktion mit<br />

handwerklichen, technischen o<strong>der</strong> künstlerischen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

− Der Dienst am Nächsten: Zum Beispiel Erste Hilfe, Berg- o<strong>der</strong> Seenotrettung<br />

Bezüglich des Ursprungs <strong>der</strong> Auslandsprojekte ist außerdem Hahns Modell <strong>der</strong><br />

pädagogischen Provinz beson<strong>der</strong>s hervorzuheben, die Teil <strong>der</strong> sogenannten<br />

Lan<strong>der</strong>ziehungsheimbewegung <strong>der</strong> Reformpädagogik war: Hahn befürwortet eine<br />

Erziehung in bestimmten, räumlich und sozial abgegrenzten Zentren, um die<br />

Jugendlichen vor <strong>der</strong> für krank erklärten Gesellschaft (darunter auch die Eltern) zu<br />

schützen und ihnen Erlebnisse zu ermöglichen (vgl. Bauer 1985, 20 f.).<br />

Kurzschulen nach Hahns Modell, also Kurse von zwei bis vierwöchiger Dauer, in denen<br />

Jugendlichen durch Bewehrungsfel<strong>der</strong> an <strong>der</strong> See o<strong>der</strong> in den Bergen Impulse zur<br />

Formung und Festigung ihres Charakter vermittelt werden sollten, verbreiteten sich<br />

sowohl in Deutschland als auch im Ausland (ebd., 29). Die wichtigsten Grundgedanken<br />

waren:<br />

8


− eine Loslösung aus <strong>der</strong> Routine des Alltags in eine abenteuerliche Welt, in <strong>der</strong><br />

sich durch neue Aktionsmöglichkeiten die Persönlichkeit des Jugendlichen neu<br />

formt<br />

− eine hohe For<strong>der</strong>ung, bei <strong>der</strong> die Jugendlichen an ihre Grenzen und über diese<br />

hinaus gehen und so Erfolgserlebnisse und mehr Selbstbewusstsein verspüren<br />

− die Erfahrung, dass sich gemeinsam in einer Gruppe viele Aufgaben leichter<br />

lösen lassen und die Einsicht, dass gegenseitige Rücksichtnahme,<br />

Verantwortung und Hilfsbereitschaft zwischen Menschen möglich und wertvoll<br />

sind (vgl. ebd., 29 ff.)<br />

Damit war <strong>der</strong> Grundstein für die mo<strong>der</strong>nen erlebnispädagogisch orientierten<br />

Auslandsprojekte gelegt.<br />

2.3 Chancen und Ziele<br />

In <strong>der</strong> Literatur findet man die unterschiedlichsten vermuteten Wirkungen und damit<br />

verbunden lange Listen mit Zielen erlebnispädagogischer Auslandsmaßnahmen. Als<br />

Beispiel sei hier die von Klawe und Bräuer vorgeschlagene Unterteilung in individuelle<br />

und soziale Lernziele angeführt. Das Erlernen von Techniken und Fähigkeiten, die<br />

benötigt werden, um Aktivitäten auszuführen (wie z.B. Klettertechniken) sind eher als<br />

Mittel zum Zweck, als Nebenprodukt anzusehen (vgl. Putensen 2000, 53).<br />

Individuelle Lernziele:<br />

− ohne Ablenkung in Kontakt mit sich selbst und <strong>der</strong> Umwelt kommen<br />

− positive Einstellung zur eigenen Person und den eigenen Fähigkeiten erlangen<br />

− gesteigertes Selbstwertgefühl<br />

− Selbstverantwortung für getroffene Entscheidungen übernehmen<br />

− Eigeninitiative, Kreativität, Spontaneität, Improvisation<br />

− Lernmotivation und Lernfähigkeit entwickeln<br />

− körperliche Strapazen bewältigen<br />

Soziale Lernziele<br />

− Verantwortlichkeit für an<strong>der</strong>e<br />

− Einstellung auf die Normen <strong>der</strong> Gruppe<br />

− Erhöhung <strong>der</strong> Konfliktfähigkeit<br />

9


− Kooperation und Kommunikationsfähigkeit<br />

− Vertrauen und Offenheit gegenüber Jugendlichen und Erwachsenen<br />

− Fähigkeit, eigene Gefühle zu zeigen<br />

(vgl. Klawe/Bräuer 2001, S.13f.)<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung solcher Zielkataloge sollte man jedoch nicht vergessen, dass man<br />

nicht beliebig in die Jugendlichen „hineinintervenieren“ kann (vgl. Wolf 2006, 65), da<br />

je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendlichen – bewusst o<strong>der</strong> unbewusst - ganz individuell entscheidet, was er<br />

aus dem Projekt für sich und sein persönliches Leben mitnimmt. Die Ziele sind also als<br />

Chancen und Möglichkeiten, nicht als To-Do-Listen o<strong>der</strong> Erfolgskriterien zu sehen.<br />

Daher halte ich es für sinnvoller, wie Fischer und Ziegenspeck ganz allgemein zu<br />

formulieren, dass es das Ziel sein sollte, Einstellungen, Haltungen und Werte zu<br />

vermitteln, die nach <strong>der</strong> Rückkehr im Lebensumfeld <strong>der</strong> Jugendlichen zu neuen<br />

Integrationsmöglichkeiten führen (vgl. Fischer/Ziegenspeck, 2000, 272).<br />

Bohry sieht eine ganz beson<strong>der</strong>e Chance in Auslandsaufenthalten, bei denen sich die<br />

Beteiligten bereits vorher kennen (beispielsweise ein Betreuer und eine kleine Gruppe<br />

aus <strong>der</strong> Heimerziehung). Seinen Erfahrungen zufolge tritt dann das Medium, also die<br />

Auslandsmaßnahme, in den Hintergrund und die Beziehung zwischen den Personen in<br />

den Vor<strong>der</strong>grund. Das Entscheidende sei, dass <strong>der</strong> Betreuer den Jugendlichen<br />

vermittelt: „Ihr seid mir so wichtig, dass ich ein solch intensives und großes Projekt mit<br />

euch angehe“. Das Medium sei dann nur noch insofern von Bedeutung, als dass es das<br />

Mittel des Erziehers ist, sich vollständig auf die Zöglinge einzulassen und es zu<br />

gemeinsamen, intensiven Erfahrungen verhilft.<br />

2.4 Kritikpunkte<br />

In diesem Abschnitt möchte ich zuerst auf einige allgemeine Kritikpunkte und Gefahren<br />

<strong>der</strong> erlebnispädagogischen Auslandsprojekte eingehen, bevor ich mich mit dem meist<br />

diskutierten Streitpunkt, <strong>der</strong> so genannten Transferproblematik, auseinan<strong>der</strong>setzen<br />

werde.<br />

2.4.1 Allgemeine Kritikpunkte<br />

Laut Amesberger ist ein großes Problem <strong>der</strong> Auslandsmaßnahmen <strong>der</strong>en zeitliche<br />

Begrenzung. Gerade für Jugendliche, die bereits viele Beziehungsabbrüche verarbeiten<br />

10


mussten, ist ein Projekt mit sehr intensiven Beziehungen, das von vorne herein nur auf<br />

kurze Dauer angelegt ist, zweifelhaft. Für die Jugendlichen besteht die Gefahr,<br />

illusionäre Vorstellungen über längerfristige Beziehungen zu entwickeln und so<br />

zusätzliche Belastungen zu erleben. Auch für die pädagogische Arbeit im Allgemeinen<br />

hält Amesberger zeitlich begrenzte Projekte für problematisch, da eine<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Grundproblemen wesentlich länger dauern würde und damit<br />

nur eine 'handlungswirksamkeits-orientierte Arbeit' möglich sei (vgl. Amseberger 2003,<br />

71ff.).<br />

Des Weiteren wird davor gewarnt, erlebnispädagogische Auslandsaufenthalte als<br />

Allheilmittel zu betrachten. Je<strong>der</strong> Jugendliche benötigt einen individuellen<br />

Erziehungsplan, <strong>der</strong> seinen Bedürfnissen angepasst wird. Die Lösung muss nicht<br />

unbedingt eine Auslandsmaßnahme sein, denn beispielsweise können sich manche<br />

Jugendliche aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrungen auf ein solch exklusives<br />

Beziehungsangebot nicht mehr einlassen (vgl. Bohry 1992, 256). Amesberger (2003,<br />

223) gibt zu bedenken: „Vor überzogenen, unrealistischen Erwartungen ist zu warnen:<br />

Auch Outdoor-Aktivitäten können grundlegende sozialpolitische Defizite nicht<br />

kompensieren.“. Es muss also davon abgesehen werden, Auslandsprojekte aus Mangel<br />

an Alternativen zu einer weiteren Maßnahme in einer langen Jugendhilfekarriere<br />

werden zu lassen, den Jugendlichen aber gleichzeitig fälschlicherweise zu vermitteln,<br />

dass sie das Projekt als neue, verwandelte Menschen verlassen werden (vgl. Putensen<br />

2000, 46, 55).<br />

Putensen sieht außerdem eine Gefahr in einem „geheimen Lehrplan konservativ-<br />

männlicher Tugenden“ (ebd., 49 f.). Er befürchtet, dass den Jugendlichen zum Teil<br />

Härte, Selbstdisziplin, Unterordnung und die Beherrschung negativer Gefühle vermittelt<br />

werden. Damit einhergehend wirft er die Frage auf, ob die Programme Jungen-orientiert<br />

sind, da diese hier eine vertraute Sozialisationslinie fortsetzen, während Mädchen sich<br />

mit Rollenwi<strong>der</strong>sprüchen konfrontiert sehen.<br />

Auch <strong>der</strong> Machtüberhang <strong>der</strong> Betreuer, <strong>der</strong> oft durch <strong>der</strong>en technischen und<br />

körperlichen Vorsprung gegeben ist, sei hier kritisch erwähnt. Gelegentlich versuchen<br />

die Leiter <strong>der</strong> Projekte ein sehr autoritäres Verhalten zu legitimieren, indem sie auf die<br />

Gefahren <strong>der</strong> Natur aufmerksam machen. Sogar „Schläge werden scheinbar logisch<br />

begründet“, um schlimmeren Schaden zu vermeiden (Heckmair/Michl) 1998, 207).<br />

Vertreter <strong>der</strong> Lebenswelt- und Alltagsorientierung bemängeln die milieuferne<br />

Unterbringung mit dem Argument, dass die Probleme <strong>der</strong> Teilnehmer in dem Umfeld<br />

11


angegangen werden müssen, indem sie zuvor entstanden sind, da diese hier einen<br />

Zweck erfüllen.<br />

In <strong>der</strong> Öffentlichkeit werden Auslandsmaßnahmen, wohl aufgrund <strong>der</strong> Unkenntnis über<br />

die pädagogischen Hintergründe, oft als „Urlaub auf Staatskosten“, „Pädagogik unter<br />

Palmen“ o<strong>der</strong> „Belohnung von Straftätern“ kritisiert (Stüwe 2005, 244).<br />

2.4.2 Die Transferproblematik<br />

Der wohl am meisten diskutierte Kritikpunkt <strong>der</strong> Auslandsmaßnahmen ist die<br />

sogenannte Transferproblematik. Gemeint ist das Problem, die während des Projekts<br />

gewonnenen Einsichten, Erkenntnisse und Verhaltensansätze in den Alltag zu<br />

übertragen. Die Transfermöglichkeit ist bedeutend, denn ohne sie bleiben<br />

erlebnispädagogische Erfahrungen reiner Selbstzweck (vgl. Bauer 1989, 159).<br />

Bis Ende <strong>der</strong> sechziger Jahre herrschte die 'The Mounatins Speak for Themselves“-<br />

Theorie vor. Man war <strong>der</strong> Überzeugung, dass die erlebnispädagogischen Maßnahmen<br />

„für sich selbst sprechen“ und daher eine weitere Reflexion <strong>der</strong> Aktivitäten überflüssig<br />

sei. In <strong>der</strong> aktuellen Literatur wird dieser Ansatz jedoch kritisiert: „Die Annahme eines<br />

'naiven' Transfers ist abzulehnen. Unter naivem Transfer verstehen wir, dass erworbene<br />

Handlungskompetenzen etwa <strong>der</strong> Selbstwirksamkeit, <strong>der</strong> Kommunikationsfähigkeit, ...,<br />

mechanisch auf Bereiche wie Arbeitssituation, die Wohnsituation, ... übertragbar sind.“<br />

(Amesberger 2003, 234). Heute favorisiert man das „Outward Bound Plus“ Modell,<br />

welches besagt, dass für den Transfer das Erlebte kognitiv verarbeitet werden muss.<br />

Durch eine Reflexion mit dem Einzelnen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gruppe soll <strong>der</strong> Bezug zwischen<br />

Erlebnis und Alltag hergestellt werden (vgl. Putensen 2000, 56). Um den Transfer zu<br />

erleichtern, schlägt Bühler vor, die Lebens- und Alltagsrealität <strong>der</strong> Teilnehmer bereits<br />

während des Kurses zu berücksichtigen, also durch biografische Anknüpfungspunkte<br />

Verbindungen zur Lebenserfahrung und zu den Perspektiven <strong>der</strong> Jugendlichen zu<br />

suchen (vgl. Bühler 1968, 71). Bühler nennt weiter die geringe Ähnlichkeit zwischen<br />

Alltag und Projektsituation und eine mangelnde Begleitung im Alltag nach dem Projekt,<br />

die einen Transfer erschweren können. Außerdem ist die die Kurzfristigkeit <strong>der</strong> Projekte<br />

problematisch, da im Vergleich zu den Sozialisationsinstanzen im Alltag (Familie,<br />

Freunde, etc.) die Auslandsmaßnahme eine geringere prägende Kraft hat.<br />

Als Lösungswege schlägt Bühler daher folgendes vor: Klare Ziel- und<br />

Erwartungsabsprachen im Vorfeld sind unabdingbar. Hierdurch werden auch eine<br />

Mitbestimmung <strong>der</strong> Teilnehmer garantiert und starre Kursstrukturen verhin<strong>der</strong>t. Des<br />

12


Weiteren sollte eine Nacharbeit gewährleistet sein. Eine mögliche Form wären weitere<br />

Treffen <strong>der</strong> Teilnehmer, bei denen „Back-Home-Frustrationen“ aufgefangen und<br />

Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden können. Durch eine angemessene Vor- und<br />

Nacharbeit verkommt <strong>der</strong> Auslandsaufenthalt nicht zu einer isolierten Phase im Laufe<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfekarriere des Heranwachsenden, son<strong>der</strong>n stellt eine Intensivphase eines<br />

längerfristigen Lernprozesses dar (vgl. Bühler 1986, 75).<br />

2.5 Auslandsprojekte heute<br />

Die heutigen, mo<strong>der</strong>nen Auslandsmaßnahmen in den Hilfen zur Erziehung sind<br />

intensivpädagogische Projekte, die, wenn überhaupt, nur noch wenig mit<br />

Erlebnispädagogik zu tun haben. Laut Pforte und Wendelin (2007, 177) hat sich seit den<br />

1990er Jahren ein deutlicher Trend zu Standprojekten ergeben. Gab es damals noch zu<br />

etwa 36% Reise- und Schiffsprojekte, sind es heute zu fast 100% Standprojekte, bei<br />

denen zum größten Teil nur ein bis zwei Klienten betreut werden. Deutschlandweit<br />

bieten nur vier Träger zusätzlich nach Bedarf Reiseprojekte an, außerdem ist ein<br />

Schiffsprojekt mit maximal sechs Plätzen bekannt.<br />

Häufig leben die Klienten <strong>der</strong> intensivpädagogischen Auslandsmaßnahmen in<br />

Gastfamilien, also in familiären Betreuungssettings. Die Zielorte befinden sich zu fast<br />

80% in <strong>der</strong> EU. Län<strong>der</strong> wie Russland, Kanada und Neuseeland, die für solche Projekte<br />

vor einigen Jahren noch sehr beliebt waren, werden zurzeit stärker vernachlässigt.<br />

Mit insgesamt etwa 600 Fällen im Dezember 2006 machen Auslandsmaßnahmen einen<br />

Anteil von nur 1,4% an allen Hilfen zur Erziehung aus (vgl. Wendelin/Pforte 2007,<br />

188). Die Fallzahlen sind insgesamt rückläufig. Seit 2003 wird von einem Rückgang<br />

von mindestens 25% ausgegangen, was man auf negative Medienberichte und eine neue<br />

Gesetzgebung im Jahr 2005 zurückführt. Es wird heute versucht, intensivpädagogische<br />

Maßnahmen verstärkt auf das Inland zu verlagern, aber dem Auslandssetting ähnliche<br />

Bedingungen zu schaffen (vgl. Pforte/Wendelin 2007, 178).<br />

13


3 Die RTL-Serie „Teenager außer Kontrolle“<br />

3.1 Beschreibung <strong>der</strong> Serie<br />

„Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg wil<strong>der</strong> Westen“ ist eine neunteilige Serie<br />

des Sen<strong>der</strong>s RTL und gehört zum Genre des Reality-Fernsehens. Die ca. 45-minütigen<br />

Folgen <strong>der</strong> zweiten Staffel wurden von <strong>der</strong> Firma Tresor TV Produktions GmbH<br />

produziert und ab dem 21.02.2008 jeweils mittwochs ab 20:15 ausgestrahlt<br />

(http://de.wikipedia.org). Mit ca. vier Millionen Zuschauern pro Sendung war die<br />

zweite Staffel ähnlich erfolgreich wie die erste und erreichte in <strong>der</strong> werberelevanten<br />

Zielgruppe einen Marktanteil von durchschnittlich 19,2% ( www.rtv.de).<br />

In dieser Unterhaltungssendung geht es um acht verhaltensauffällige und teilweise<br />

straffällige Jugendliche, die im US-Bundesstaat Oregon auf Wunsch ihrer Eltern an<br />

einer Therapie <strong>der</strong> Organisation „Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness Therapy Expeditions“<br />

teilnehmen und dadurch lernen sollen, „ihr Leben wie<strong>der</strong> in den Griff zu bekommen“<br />

(www.rtl.de). Begleitet werden sie dabei von Cheftherapeutin Annegret Fischer Noble<br />

und fünf weiteren Betreuern. Laut RTL handelt es sich um eine „erlebnispädagogische<br />

Verhaltenstherapie in <strong>der</strong> freien Natur“, bei <strong>der</strong> die Teilnehmer alte Verhaltensmuster<br />

ablegen, ein neues Selbstwertgefühl sowie eine positive Lebensperspektive gewinnen<br />

und somit eine „Chance auf eine neue Zukunft haben“ (www.rtl.de).<br />

Der Zuschauer kann den Verlauf <strong>der</strong> Therapie Woche für Woche chronologisch<br />

verfolgen. Neben Interviews mit den Jugendlichen und den Therapeuten werden<br />

außerdem Beiträge über das bisherige Leben <strong>der</strong> Teilnehmer eingeblendet, in denen<br />

man die Jugendlichen zu Hause o<strong>der</strong> mit Freunden sieht. Auch die Eltern werden<br />

interviewt und nehmen mit <strong>der</strong> sogenannten „Elternkamera“ beson<strong>der</strong>s markante<br />

Szenen des Familienlebens auf.<br />

Das Originalformat <strong>der</strong> Sendung, das in Großbritannien auf Channel 4 ausgestrahlt<br />

wird, nennt sich „Brat Camp“ (brat: Englisch für Gör, Blag, Quälgeist) und gewann<br />

einen internationalen Emmy. Auf <strong>der</strong> Internetseite des Channel 4 wird <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong><br />

Sendung mit wenigen Worten eindrucksvoll beschrieben: „In the new Brat Camp series,<br />

seven rude, spoilt and lazy teenagers from cosy homes in Britain are tracked as they get<br />

the shock of their lives in the US.“<br />

14


3.2 Das „Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness Therapy Program“<br />

Die folgenden Angaben zum Therapiekonzept stammen, wenn nicht an<strong>der</strong>s angegeben,<br />

aus <strong>der</strong> englischen Informationsbroschüre „Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness Therapy<br />

Program – Changes That Last A Lifetime“.<br />

Die 1988 gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Albany, Oregon und ist nach<br />

<strong>der</strong> Bergsteigerin Catherine Freer benannt, die 1987 auf dem Mount Logan, dem<br />

höchsten Berg Kanadas, ums Leben kam. Ihr Name, <strong>der</strong> laut Broschüre für Stärke, Mut<br />

und Sensibilität steht, soll die Prinzipien des Programms wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

An einer Expedition dürfen maximal acht verhaltensauffällige Jugendliche im Alter von<br />

13 bis 18 Jahren teilnehmen. In <strong>der</strong> Wüste und den Bergen Oregons sollen die<br />

Teilnehmer lernen, ihr bisheriges Leben zu reflektieren und eine Basis für eine<br />

erfolgreiche Zukunft zu entwickeln. Gerade <strong>der</strong> Abstand zum Alltag wird hierbei als ein<br />

entscheiden<strong>der</strong> Faktor angesehen, da dies den Jugendlichen ermöglichen soll, ihr Leben<br />

aus einer an<strong>der</strong>en Perspektive zu sehen. Das Leben in <strong>der</strong> Natur und die gemeinsamen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen för<strong>der</strong>n laut Konzept außerdem eine intensive Beziehung zwischen<br />

den Teilnehmern und den Therapeuten.<br />

Das achtwöchige Programm umfasst zwei Phasen, den sogenannten Trek und die<br />

Abenteuerphase. Beim dreiwöchigen Trek wan<strong>der</strong>n die Teenager schweigend durch die<br />

Wüste. In den Pausen dürfen sie sich unterhalten, die Gespräche werden jedoch von den<br />

Mitarbeitern beaufsichtigt, da sie „produktiv und positiv“ sein müssen. Dieser Ansatz<br />

soll gewährleisten, dass die Jugendlichen viele Stunden mit ernsthafter Selbstreflexion<br />

verbringen, um über die therapeutischen Gespräche nachzudenken. Laut <strong>der</strong> Website<br />

von Annegret Noble „übernehmen die Betreuer zeitweise die Kontrolle, wenn die<br />

Jugendlichen sich weigern, dies in produktiver Weise selbst zu tun.“ Das Ziel sei<br />

jedoch, dass die Jugendlichen ihr Verhalten und damit ihr Leben selbst kontrollieren.<br />

Ein typischer Tag <strong>der</strong> ersten Phase sieht folgen<strong>der</strong>maßen aus: Nach einer Wan<strong>der</strong>ung<br />

am Morgen pausiert die Gruppe, um Mittag zu essen. Während dieser Pause gibt es ein<br />

therapeutisches Gruppengespräch zu Themen wie Drogen, Depressionen o<strong>der</strong><br />

Aggressionsbewältigung. Nach einer weiteren, mehrstündigen Wan<strong>der</strong>ung werden am<br />

späten Nachmittag die Zelte aufgeschlagen, Feuer gemacht und das Abendessen<br />

zubereitet. Der Tag endet mit einer weiteren Gruppentherapie am Lagerfeuer. „Das<br />

Programm verbindet also individuelle Therapie und Gruppentherapie mit<br />

therapeutischem Verhaltensmanagement in <strong>der</strong> natürlichen Umgebung <strong>der</strong> Wildnis.“<br />

(www.rtl.de). In <strong>der</strong> fünfwöchigen zweiten Phase, <strong>der</strong> Abenteuerphase soll den<br />

Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden, die in Phase Eins erworbenen<br />

15


Fähigkeiten in einer therapeutischen Umgebung anzuwenden und zu erproben. Laut<br />

Konzept ist dieser zweite Teil sehr gruppenorientiert; abenteuerliche Aufgaben wie<br />

Wildwasserfahren o<strong>der</strong> Klettern sollen in <strong>der</strong> Gemeinschaft bewältigt werden. Die<br />

Teilnehmer bekommen nach und nach mehr Rechte und Verantwortung und dürfen<br />

teilweise auch Führungsrollen übernehmen.<br />

Auch die körperliche Genesung <strong>der</strong> Jugendlichen spielt eine entscheidende Rolle.<br />

Gesundes Essen, genügend Schlaf und Bewegung, sowie <strong>der</strong> völlige Verzicht auf<br />

Zigaretten, Alkohol und an<strong>der</strong>e Drogen sollen den Körpern <strong>der</strong> Teenager zu einem<br />

gesundem Gleichgewicht verhelfen.<br />

Durch den Einfluss <strong>der</strong> Natur und durch die Erlebnisse miteinan<strong>der</strong> sollen sich die<br />

Jugendlichen also verän<strong>der</strong>n und wachsen (www.annegret-noble.com).<br />

Parallel wird mit den Familien gearbeitet. Neben einer Beratung <strong>der</strong><br />

Erziehungsberechtigten gibt es zwei Familientreffen, jeweils am Anfang und am Ende<br />

des Programms. Während <strong>der</strong> Abenteuerphase tauschen Eltern und Teilnehmer<br />

außerdem wöchentlich Briefe aus, um den „Heilungsprozess zu för<strong>der</strong>n“. Auch eine<br />

Nachbetreuung soll gewährleistet sein, in welcher Form diese angeboten wird, lässt sich<br />

dem Konzept lei<strong>der</strong> nicht entnehmen.<br />

3.3 Die beteiligten Personen<br />

Im Folgenden werde ich auf die Mitarbeiter des Projektes und die teilnehmenden<br />

Jugendlichen eingehen. Obwohl auch die Familien <strong>der</strong> Teenager Beteiligte <strong>der</strong> Serie<br />

sind, kann ich sie aufgrund mangeln<strong>der</strong> Informationen lei<strong>der</strong> nicht weiter beschreiben.<br />

3.3.1 Die Mitarbeiter<br />

Abbildung 1. Betreuer.<br />

Von links: Annegret, Kris, Marlies, Kami, Lina, Dan<br />

16<br />

Das Mitarbeiterteam bei „Teenager<br />

außer Kontrolle“ besteht aus zwei<br />

Therapeutinnen, (Cheftherapeutin<br />

Annegret Noble und Kami Schott)<br />

und vier „Wil<strong>der</strong>ness-Experten“<br />

(Marlies Luepges, Dan Coyle, Lina<br />

Hofmann und Kris Schock)<br />

(http://snyelmn.wordpress.com/).


Da Annegret Noble als Cheftherapeutin die Leiterin des Projekts ist, möchte ich kurz<br />

auf ihre Biografie eingehen:<br />

Die zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Ausstrahlung 37-jährige Deutsch-Amerikanerin ist laut ihrer<br />

Website (www.annegret-noble.com) lizensierte Familien- und Eheberatungstherapeutin.<br />

Sie absolvierte außerdem eine Ausbildung zur Gesprächstherapeutin und studierte<br />

Wirtschaft, <strong>Psychologie</strong> und Soziologie an <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> Tübingen, sowie <strong>der</strong> Tufts<br />

University in Boston, USA. Nach ihrem Studium arbeitete sie acht Jahre als<br />

Therapeutin im Loma Linda University Behvorial Medicine Centre unter an<strong>der</strong>em mit<br />

drogen- und alkoholabhängigen Jugendlichen. Als therapeutische Leiterin des<br />

Programms „Passages to Recovery“ für drogenabhängige Jugendliche, Loa, Utah, USA<br />

sammelte sie erste Erfahrungen als Erlebnistherapeutin. Seit April 2008 besitzt sie eine<br />

Lizenz als Master Addiction Counselor und arbeitet momentan als stellvertretende<br />

Direktorin <strong>der</strong> therapeutischen Abteilung an <strong>der</strong> Summit Preparatory School in<br />

Kalispell, USA.<br />

3.3.2 Die Jugendlichen<br />

Die acht teilnehmenden Jugendlichen sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und befinden<br />

sich aufgrund sehr unterschiedlicher Problematiken im „Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness<br />

Therapy Program“. Es scheint, als wolle man mit <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Jugendlichen die<br />

komplette Bandbreite an Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter abdecken.<br />

Alle Angaben über die Teenager stammen aus Mangel an alternativen Quellen von <strong>der</strong><br />

Internetseite www.rtl.de. Die wörtlichen Zitate habe ich von dort übernommen, möchte<br />

mich jedoch deutlich von <strong>der</strong>en Inhalt und Wortwahl distanzieren.<br />

Abbildung 2. Dzeneta<br />

Dzeneta B.<br />

Die 15-jährige Dzeneta aus Frankfurt wird als „Schlägerbraut“<br />

beschrieben. „Die Innenstadt ist ihr Revier, hier schlägt sie mit<br />

ihrer Clique jeden zusammen, <strong>der</strong> ihr nicht passt.“ Laut RTL<br />

wurde sie von <strong>der</strong> Schule verwiesen, verbrachte sechs Monate in<br />

einem Heim und wurde aufgrund von Selbst- und<br />

Fremdgefährdung in eine Psychiatrie eingewiesen. Außerdem experimentiere sie mit<br />

Drogen und trinke „just for fun Spiritus in Kombination mit Antibiotika“.<br />

17


Andreas E.<br />

Der 15-jährige Andreas aus Münster, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Sendung als „Serieneinbrecher“ gilt, soll in<br />

verschiedene Geschäfte, Schulen und Kin<strong>der</strong>gärten<br />

eingebrochen sein. RTL berichtet, dass sein Vater ihn<br />

angezeigt hätte, als er gestohlene Gegenstände in<br />

Andreas Zimmer fand. Ihm wird nachgesagt, oft<br />

grundlos auszurasten, für mehrere Tage von zu Hause<br />

Abbildung 4. Vivien<br />

Abbildung 3. Andreas<br />

wegzulaufen und die Schule zu schwänzen. Er kiffe gelegentlich und trinke täglich<br />

Alkohol. Seine Eltern leben getrennt, Andreas selbst ist Vater einer einjährigen Tochter.<br />

Stacey G.<br />

Vivien T.<br />

Abbildung 5. Stacey<br />

18<br />

Vivien aus Görlitz ist 16 Jahre alt und hat den Titel<br />

„Ausreißerin“. Laut ihren Eltern trinkt sie viel, schlägt<br />

schnell zu und klaut Geld, seit sie ein Jahr zuvor neue<br />

Freunde kennen gelernt hat. Sie sei außerdem von <strong>der</strong><br />

Schule verwiesen worden, nachdem sie schwänzte,<br />

Lehrer angriff und Einrichtungsgegenstände demolierte.<br />

Vier Wochen verbrachte Vivien angeblich in einer -<br />

nicht weiter spezifizierten - „geschlossenen Anstalt“.<br />

Die 17-jährige Stacey kommt aus Hönow in Brandenburg. Mit dem Titel<br />

„Schulabbrecherin“ kommt sie im Vergleich zu den<br />

an<strong>der</strong>en Jugendlichen noch glimpflich davon. Aufgrund<br />

von verbalen und körperlichen Übergriffen habe sie<br />

bereits mehrere Anzeigen bekommen. Ihre Mutter, die<br />

zum zweiten mal verheiratet ist, habe sie wegen<br />

„unkontrollierten Wutanfällen“ in die Obhut des<br />

Jugendamtes übergeben, da sie in Stacey eine „Gefahr<br />

für die Familie“ sah.


Abbildung 6. Kurt<br />

Pascal S.<br />

Abbildung 8. Kevin<br />

Kurt Z.<br />

Der 16-jährige Kurt kommt aus Sachsen-Anhalt und wird als „Neo-<br />

Nazi“ beschrieben. Da seine Eltern geschieden sind lebt er seit<br />

seinem zwölften Lebensjahr bei seinem Vater. Trotz schlechter<br />

Noten und Hänseleien durch die Mitschüler versuche Kurt seinen<br />

Hauptschulabschluss zu machen. Mit seinen „rechten Kameraden“<br />

schlage er an<strong>der</strong>e „um Wut abzulassen“.<br />

Der 17-jährige „Dealer“ aus Sonsbeck in NRW konsumiert laut<br />

RTL Drogen und wurde beim Dealen erwischt. Seine Familie<br />

beklage sich über Wutanfälle, bei denen Pascal gegen Möbel<br />

trete, seine Geschwister schlage und seine Mutter beschimpfe.<br />

Er habe <strong>der</strong> Mutter außerdem schon mehrmals Geld gestohlen.<br />

Kevin O.<br />

David P.<br />

Abbildung 7. Pascal<br />

Kevin, <strong>der</strong> als „Gang-Mitglied“ beschrieben wird, kommt aus<br />

Köln, ist 15 Jahre alt und „klaut, randaliert und knackt Autos“<br />

mit seinen Freunden. Er schwänze die Schule, bestehle seine<br />

Familie und sei in Schlägereien verwickelt. Von <strong>der</strong><br />

vorherigen Schule wurde er angeblich verwiesen, als er eine<br />

Lehrerin bedrohte und beschimpfte.<br />

Der 17-jährige David aus Berlin konsumiert laut RTL große<br />

Mengen Drogen und Alkohol. Er hänge nur ab, sei aggressiv<br />

und ohne Schulabschluss. Der sogenannte<br />

„Drogenkonsument“ lebt bei seiner Mutter und hat zwei<br />

Halbgeschwister.<br />

Abbildung 9. David<br />

19


3.4 Kritik an pädagogischer Arbeit in einer kommerziellen „Reality-<br />

Show“<br />

„Teenager außer Kontrolle“ wird auf dem privaten Fernsehsen<strong>der</strong> RTL ausgestrahlt und<br />

ist damit eine kommerzielle Sendung, die von einem Millionenpublikum verfolgt wird.<br />

Das Genre <strong>der</strong> Sendung wird mit dem Begriff „Reality-Show“ beschrieben. In diesem<br />

Abschnitt möchte ich erläutern, warum ich es als kritisch erachte, pädagogische Arbeit<br />

in dieser Form darzustellen.<br />

Formate die unter den Gattungsbegriff „Reality-Show“ fallen, vermitteln eine<br />

Aufbereitung von persönlichen Geschichten und Schicksalen. „Angesichts <strong>der</strong> Überfülle<br />

des Fiktiven und Künstlichen des Mediums Fernsehen erfüllt sie (die Reality-Show,<br />

d.V.) offenbar das Kontrastbedürfnis nach Realität. Aber wo diese dargestellte Realität<br />

allzu banal und spannungslos zu werden droht, wird sie durch Mittel <strong>der</strong> Inszenierung<br />

konsumierbar gemacht ...“ (Prokop/Jansen 2006, 39). Aufgrund <strong>der</strong> audio-visuellen<br />

Umsetzungsmöglichkeiten des Fernsehens, Dramatik und Emotionen zu übermitteln,<br />

entsteht eine Mischform zwischen Realität und Show. Einerseits finden sich Elemente<br />

einer Magazinsendung, mit ihrem Anspruch auf Information und Darstellung realer<br />

Ereignisse, an<strong>der</strong>erseits bedient sich die Reality-Show einiger Gestaltungsmittel aus<br />

dem fiktiven Bereich. Mit beson<strong>der</strong>en Montage- und Kameratechniken, sowie<br />

subjektiven Interviewausschnitten versucht man gezielt, Emotionen <strong>der</strong> Zuschauer<br />

'hervorzulocken', „wobei den Produzenten die Faszination <strong>der</strong> Intimität durchaus<br />

bewusst ist“ (Herrmanns 2007, 68). So verschwimmen die Grenzen zwischen Realität<br />

und Fiktion o<strong>der</strong> Dokumentation und Inszenierung. Neuerdings zeichnet sich sogar ein<br />

Trend ab, die Ereignisse erst zum Zweck <strong>der</strong> Ausstrahlung zu inszenieren; so auch bei<br />

„Teenager außer Kontrolle“. Es besteht die Gefahr, dass die ausgestrahlte Sendung, die<br />

den Zuschauern als Dokumentation <strong>der</strong> Realität verkauft wird, die Jugendlichen in<br />

einem ganz an<strong>der</strong>en Licht darstellt, als diese sich selbst erlebt haben. Eine sehr<br />

einseitige, auf Emotionen ausgerichtete Präsentation <strong>der</strong> Teilnehmer kann so leicht zu<br />

Stigmatisierungen führen und nicht abschätzbare negative Auswirkungen auf diese und<br />

ihr weiteres Leben mit sich bringen.<br />

Ein weiterer Kritikpunkt ist <strong>der</strong> kommerzielle Hintergrund <strong>der</strong> Sendung. Im Gegensatz<br />

zu den öffentlich-rechtlichen Sen<strong>der</strong>n, die sich durch die Rundfunkgebühren finanzieren<br />

und mit dem Ziel arbeiten, dem staatlichen Auftrag nach Bildung, Information und<br />

Unterhaltung nachzukommen, handelt es sich bei den privaten Sen<strong>der</strong>n um<br />

20


Wirtschaftsunternehmen, die gewinnbringend arbeiten. Größtenteils stammen die<br />

Einnahmen aus <strong>der</strong> Werbung, daher müssen hohe Quoten erreicht werden, um einen<br />

möglichst attraktiven Geschäftspartner für die Werbetreibenden darzustellen. Zugespitzt<br />

formuliert: Die Inhalte dienen als Rahmen für Werbung (vgl. Herrmanns 2007, 47).<br />

Man kann also davon ausgehen, dass <strong>der</strong> Wert nicht auf <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Sendung liegt,<br />

son<strong>der</strong>n auf den Einschaltquoten. Die Programme müssen eine Massenattraktivität<br />

aufweisen, was dazu führt, dass ethisch umstrittene Sendungen produziert, die<br />

Verzweiflung von Menschen ausgenutzt und Gefühle im Close-up zur Schau gestellt<br />

werden, um einen hohen Marktanteil zu erreichen. Um die dahinter stehenden<br />

Menschen und Schicksale, o<strong>der</strong> gar darum, ihnen zu helfen, geht es dabei nicht.<br />

Abbildung 10. Kevin und seine Eltern werden<br />

gefilmt<br />

21<br />

Des weiteren halte ich die mit <strong>der</strong><br />

Reality-Show verbundene Auflösung<br />

<strong>der</strong> Grenze zwischen Privatheit und<br />

Öffentlichkeit für äußerst<br />

problematisch. „In <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

scheint ein Wille zur Selbstdarstellung<br />

und Selbstveröffentlichung, eine<br />

Sehnsucht nach Prominenz und<br />

Berühmtheit zu existieren. Diese<br />

Nachfrage bedienen verschiedene TV-<br />

Formate, indem sie Raum zur<br />

Selbstdarstellung bieten. Da die Kandidaten aber somit gleichsam im Rahmen<br />

kommerzieller Verwertungsinteressen instrumentalisiert werden, muss eine mögliche<br />

Verletzung ihrer Menschenwürde überprüft werden.“ (Herrmanns, 2007, 65). Dass in<br />

sogenannten pädagogischen Reality-Shows wie „Teenager außer Kontrolle“ o<strong>der</strong> „Die<br />

Super Nanny“ gerade min<strong>der</strong>jährige Personen beteiligt sind, die die Folgen ihres TV-<br />

Auftrittes nicht abschätzen können, finde ich unverantwortlich und äußerst fragwürdig.


4 Analyse <strong>der</strong> Sozialpädagogischen Gesichtspunkte<br />

4.1 Forschungsdesign<br />

4.1.1 Vorgehensweise<br />

Im Analyseteil dieser Arbeit habe ich die ersten vier Folgen <strong>der</strong> zweiten Staffel<br />

„Teenager außer Kontrolle“ untersucht, bei dem Punkt „Elternarbeit“ habe ich<br />

zusätzlich die fünfte Folge hinzugezogen, da die Teenager hier Besuch von ihren Eltern<br />

bekommen.<br />

Obwohl laut Wolf (1999, 35) „eine Wahrnehmung ohne Wahrnehmungsselektion allein<br />

wegen <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> sozialen Wirklichkeit … nicht möglich“ ist, habe ich vor <strong>der</strong><br />

ersten Durchsicht <strong>der</strong> Serie auf die Bildung von Hypothesen verzichtet, um alle<br />

Eindrücke so wenig selektiert wie möglich auf mich wirken zu lassen und um zu<br />

verhin<strong>der</strong>n, dass interessante Aspekte aufgrund dieser vorgefertigten Hypothesen<br />

unberücksichtigt bleiben. In einem Beobachtungsprotokoll habe ich meine Eindrücke,<br />

erste Interpretationen und Anmerkungen festgehalten und anschließend anhand dieser<br />

Notizen zentrale, unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten relevante, Themengebiete<br />

herausgearbeitet. Zu jedem dieser Themen habe ich eine kurze theoretische Einleitung<br />

verfasst, bei <strong>der</strong> es sich aufgrund des zeitlich engen Rahmens einer <strong>Diplomarbeit</strong> nur<br />

um eine grobe Begriffsbestimmung handeln kann. Sicher könnte man über nahezu jeden<br />

dieser Punkte eine eigene Arbeit verfassen, für meine Zwecke genügt jedoch eine kurze<br />

Übersicht über das behandelte Thema. Bei den darauf folgenden Durchsichten <strong>der</strong> Serie<br />

bin ich höchst selektiv vorgegangen und habe alle Ausschnitte, die mit dem jeweiligen<br />

Themenbereich in Verbindung stehen, herausgefiltert. Wenn eine Szene zu mehreren<br />

Themenkomplexen passte, habe ich sie inklusiv zugeordnet. Durch eine gezielte Suche<br />

auch nach Szenen, die meine bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Vermutungen über<br />

die Serie wi<strong>der</strong>legen, wurde die Objektivität bewahrt und eine Distanz zur<br />

Alltagswahrnehmung geschaffen (vgl. ebd., 45ff.). Im tatsächlichen Analyseteil habe<br />

ich die beobachteten Szenen mit dem vorangehenden theoretischen Teil verglichen, um<br />

so feststellen zu können, inwieweit es sich bei dem beobachteten Vorgehen <strong>der</strong><br />

Professionellen um qualifizierte pädagogische Arbeit handelt. Die Analyse folgte<br />

keinem vorgefertigten Schema, denn „<strong>der</strong> Auswertungsprozess läßt sich in <strong>der</strong><br />

22


qualitativen Forschung nicht als eine lineare Abfolge von einzelnen Operationen<br />

darstellen, son<strong>der</strong>n er ist als ein komplexer Interpretationsprozess angelegt“ (ebd., 45).<br />

Bei <strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> Themen habe ich mit sehr speziellen Beobachtungen (zum Beispiel<br />

bezüglich <strong>der</strong> Strafpraktiken) begonnen, um im Prozess <strong>der</strong> Analyse immer allgemeiner<br />

zu werden, denn beispielsweise das Menschenbild, <strong>der</strong> letzte Punkt dieses Kapitels,<br />

lässt sich erst durch speziellere Beobachtungen, wie über die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Partizipation, erschließen.<br />

Um Missverständnisse zu vermeiden, sei noch einmal ausdrücklich erwähnt, dass es<br />

sich um eine Analyse des Gezeigten handelt, also eine Analyse dessen, was <strong>der</strong><br />

Zuschauer beobachtet. Denn das ist es, was ihm als pädagogische Arbeit vermittelt<br />

wird. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass durch die Auswahl <strong>der</strong> gesendeten<br />

Szenen ein verzerrter Eindruck des Projekts entsteht – meine Aussagen beziehen sich<br />

daher also immer auf das Dargestellte und nicht auf das Catherine Freer<br />

Therapieprogramm als solches.<br />

4.1.2 Beschreibung <strong>der</strong> Szenen<br />

Da es sich hier primär um eine inhaltliche Analyse des pädagogischen Vorgehens <strong>der</strong><br />

beteiligten Personen und nicht um eine Filmanalyse im klassischen Sinn handelt,<br />

werden Begriffe <strong>der</strong> Filmanalyse nur verwendet, um die Serienszenen so detailliert und<br />

anschaulich wie möglich zu beschreiben und um herauszustellen, wo Beson<strong>der</strong>heiten<br />

<strong>der</strong> Kameraeinstellungen o<strong>der</strong> des Tons eine gewisse Stimmung erzeugen und somit auf<br />

bestimmte Absichten des Produzenten schließen lassen. Auf eine Analyse <strong>der</strong><br />

verwendeten Stilmittel muss aufgrund des engen Rahmens einer <strong>Diplomarbeit</strong><br />

verzichtet werden.<br />

Die Beschreibung <strong>der</strong> Szenen entspricht <strong>der</strong> Gestaltung eines Filmskripts: „... the<br />

filmscript must be coceived as a description and not as an interpretation .... What is<br />

needed is not a statement of the film maker's intentions or a character's motivation, but a<br />

careful description of what is seen on the screen“ (Faulstich 1980, 121). Es handelt sich<br />

also um eine neutrale Beschreibung des Gesehenen.<br />

Für den Fall, dass die Szenenbeschreibungen zur bildhaften Vorstellung an einigen<br />

Punkten nicht ausreichen, habe ich eine DVD mit den von mir analysierten Folgen<br />

beigefügt.<br />

23


Im Folgenden möchte ich die von mir verwendeten Begriffe <strong>der</strong> Film- und<br />

Fernsehanalyse kurz erläutern. Die beschriebenen Kategorien zeigen das Verhältnis des<br />

Zuschauers zum Gezeigten, da <strong>der</strong> Zuschauer nur sieht, was ihm durch die Kamera<br />

gezeigt wird. „Er sieht nur den Ausschnitt an Wirklichkeit, den ihm die Kamera<br />

vorführt.“ (Hickethier 1978, 45). An den Kameraeinstellungen lässt sich also ablesen,<br />

welche Absichten <strong>der</strong> Produzent hatte, welchen Ausschnitt er dem Zuschauer zeigen<br />

will.<br />

Einstellungsgrößen<br />

Hickethier (1978. 46 ff.) unterscheidet acht Einstellungsgrößen: Detail, Groß, Nah,<br />

Amerikanisch, Halbnah, Halbtotal, Total und Weit. Bei <strong>der</strong> Detail-Einstellung geht die<br />

Kamera sehr nah an den Gegenstand heran, <strong>der</strong> Zuschauer sieht nur einen kleinen<br />

Ausschnitt, was ein Gefühl von Nähe o<strong>der</strong> Intimität vermittelt. Die Einstellungsgröße<br />

Groß zeigt einen Menschen von den Schultern aufwärts. Häufig wird diese Einstellung<br />

in Gesprächssituationen verwendet, da man die Mimik <strong>der</strong> Sprechenden sehr gut<br />

verfolgen kann. Die Nah-Einstellung zeigt den Menschen vom Kopf bis zur Brust.<br />

Obwohl noch immer die Mimik im Vor<strong>der</strong>grund steht, kann man bereits etwas vom<br />

Hintergrund erkennen. Bei <strong>der</strong> sogenannten Amerikanischen Einstellung sieht man die<br />

Person bis unterhalb <strong>der</strong> Hüften und kann so ihr Verhältnis zu den Mitmenschen o<strong>der</strong><br />

dem Umfeld erkennen. Die Einstellungsgröße Halbnah zeigt den Menschen von den<br />

Knien an aufwärts, was einen „räumlich orientierten und im Raum orientierenden<br />

Eindruck“ vermittelt (ebd., 47). In <strong>der</strong> Halbtotalen ist <strong>der</strong> Gegenstand o<strong>der</strong> die Person<br />

soweit vom Zuschauer entfernt, dass eine Distanz zum Geschehen empfunden wird.<br />

Personen sind von Kopf bis Fuß zu sehen. Ihre Gestik und eine charakteristische<br />

Umgebung treten in den Vor<strong>der</strong>grund. Die Einstellungsgröße Total gibt vor allem einen<br />

Überblick und räumliche Orientierung. Bei Weiten Einstellungen, die oft mit<br />

symbolischer Funktion eingesetzt werden, sieht man beispielsweise Landschaften o<strong>der</strong><br />

Skylines.<br />

Einstellungsperspektiven<br />

In <strong>der</strong> Kategorie „Einstellungsperspektive“ unterscheidet man zwischen <strong>der</strong><br />

Normalansicht, also <strong>der</strong> Sicht eines erwachsenen Menschen, <strong>der</strong> Froschperspektive, bei<br />

<strong>der</strong> die Kamera von unten nach schräg oben filmt und dem Betrachter häufig das Gefühl<br />

von Unterlegenheit vermittelt und <strong>der</strong> Vogelperspektive, bei <strong>der</strong> sich die Kamera über<br />

dem dargestellten befindet und so ein Gefühl <strong>der</strong> Überlegenheit erzeugt (vgl. ebd., 49).<br />

24


Kamerabewegungen<br />

Die Kamerabewegung Stand filmt ein Objekt aus ein- und <strong>der</strong>selben Perspektive, es<br />

findet keine Bewegung statt. Beim Schwenk hingegen bewegt sich die Kamera analog<br />

zur Bewegung mit dem Kopf und <strong>der</strong> Ausschnitt des Gezeigten verän<strong>der</strong>t sich. Die<br />

Fahrt ist ähnlich wie die menschliche Bewegung mit dem ganzen Körper. Beim einem<br />

Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> Fahrt, <strong>der</strong> Subjektiven Kamera, geht <strong>der</strong> Kameramann „mit einer Kamera<br />

auf <strong>der</strong> Schulter genauso durch die Gegend, als habe er gar keine vor Augen. Dadurch<br />

entsteht ein hektischer Eindruck. (...) Der Zuschauer soll den Eindruck gewinnen, er sei<br />

am Geschehen unmittelbar beteiligt.“ (ebd., 50).<br />

Montage<br />

Auch mit <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong> Einzelnen Einstellungen lässt sich eine Atmosphäre schaffen.<br />

So ist einem häufigen Wechsel von Einstellungen mit kurzer Dauer eher eine subjektive<br />

Darstellungsweise zuzurechnen. Wenige, dafür lange Einstellungen hingegen geben<br />

dem Betrachter die Möglichkeit, genauer hinzusehen.<br />

4.1.3 Transkription<br />

Bei <strong>der</strong> Transkription <strong>der</strong> Dialoge, <strong>der</strong> Kommentare des Sprechers und <strong>der</strong><br />

Interviewausschnitte habe ich das Gesprochene wortwörtlich aufgeschrieben und<br />

außerdem nach Glinka (2003, 64f.) folgende Transkriptionszeichen verwendet:<br />

… Pause. Die Anzahl <strong>der</strong> Punkte gibt die Dauer <strong>der</strong> Pause in Sekunden<br />

wie<strong>der</strong>. (Drei Punkte am Ende eines Satzes machen eine Unterbrechung<br />

durch den Gesprächspartner deutlich)<br />

immer Betonung eines Wortes<br />

s c h ö n gedehntes Sprechen<br />

Anmerkungen, wie zum Beispiel „(lacht)“, sowie wichtige körpersprachliche<br />

Beobachtungen habe ich kursiv und in Klammern direkt an die betreffende Stelle im<br />

Dialog gesetzt, um eine lebendigere Vorstellung <strong>der</strong> Szene zu ermöglichen.<br />

25


4.2 Selbst- und Fremdkontrolle<br />

Um in unserer Gesellschaft zurechtzukommen, ist ein hohes Maß an Selbststeuerung<br />

gefragt. Das Ziel <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit sollte daher immer die Selbstkontrolle <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> sein. Sie durch Befehle und Strafen, also durch Fremdkontrolle, zum Befolgen<br />

von Vorgaben und Regeln zu bringen, mag auf den ersten Blick wirksam sein, reicht<br />

jedoch nicht aus, um erfolgreich ein eigenständiges Leben zu führen (vgl. Wolf 2006,<br />

6). Oft lernen die Heranwachsenden hierdurch lediglich, beim Verletzen <strong>der</strong> Regeln das<br />

Sanktionsrisiko abzuschätzen und sich nicht erwischen zu lassen. Damit<br />

Scheinanpassungen vermieden und tatsächlich Effekte im Inneren <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

erzielt werden, ist es unabdingbar, mit ihnen zu verhandeln und sie zu beteiligen, denn<br />

das unterscheidet Erziehung von Dressur (vgl. ebd., 5f.). Natürlich kann man Kin<strong>der</strong><br />

nicht von Anfang an sich selbst überlassen und sie alles entscheiden lassen, doch „es<br />

muss eine Entwicklung vom Fremdzwang zum Selbstzwang stattfinden. Das, was<br />

zunächst äußerer Zwang ist – nämlich das unmittelbare Eingreifen des Erwachsenen<br />

o<strong>der</strong> seine Durchsetzung mit Sanktionen o<strong>der</strong> ihrer Androhung – muss zur Fähigkeit<br />

werden, auf sich selbst Zwang auszuüben, sich selbst Vorschriften zu machen, die<br />

Erwartungen an sich selbst auch gegen eigenen Wi<strong>der</strong>stände durchzusetzen“ (Wolf<br />

2000, 5). Diese Entwicklung bezeichnet Kohlberg als das Erreichen <strong>der</strong> konventionellen<br />

Ebene <strong>der</strong> moralischen Urteile, bei <strong>der</strong> eine Verinnerlichung bestehen<strong>der</strong> Regeln<br />

stattgefunden hat (vgl. Mietzel 2005, 101). Vor allem Heranwachsende, die diese Stufe<br />

bereits erreicht haben, sind gekränkt, wenn sie bloßer Fremdkontrolle ausgesetzt sind.<br />

Denn ihre Bereitschaft, sich an in ihren Augen sinnvolle Regeln zu halten, wird durch<br />

den äußeren Zwang übergangen und ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung unterdrückt. Sie<br />

gehen also in Folge dessen zurück auf die präkonventionelle Ebene, bei <strong>der</strong> es lediglich<br />

darum geht, Strafen zu vermeiden, unabhängig davon, ob man die Regeln für sinnvoll<br />

o<strong>der</strong> gerecht hält (vgl. Wolf 2000, 6). Ein wesentlicher Aspekt pädagogischer Arbeit ist<br />

es also, systematisch die Fremdkontrolle zu verringern, um eine Entwicklung zur<br />

verantwortungsvollen Selbststeuerung auf einer höheren Ebene <strong>der</strong> moralischen<br />

Orientierung zu ermöglichen.<br />

Um das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle bei „Teenager außer Kontrolle“<br />

einschätzen zu können, untersuche ich in diesem Kapitel die Strafpraktiken <strong>der</strong> Betreuer<br />

(Fremdkontrolle) und die Partizipationsmöglichkeiten <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

(Selbstkontrolle).<br />

26


4.2.1 Die Anwendung von Strafen<br />

Friedhelm Peters (1999, 931) definiert Strafe als „Zufügung eines Übels, Leids o<strong>der</strong><br />

Schmerz – als Schaffen einer unangenehmen Situation.“. Oft ist die Strafe mit Zielen<br />

und Intentionen verbunden, wie beispielsweise <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des individuellen<br />

Lernens. Wie bereits erwähnt, führen Strafen jedoch vor allem zu Scheinanpassungen,<br />

das heißt die Einhaltung von Regeln allein aus Angst vor Sanktionen. Sobald die<br />

Autoritätspersonen abwesend sind o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen keine Strafe mehr zu<br />

erwarten ist, fällt <strong>der</strong> Jugendliche zurück in seine alten Verhaltensmuster. Eine<br />

Verinnerlichung findet dadurch nicht statt (vgl. Wolf 2000, 5). Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

„Strafen erzeugt Angst vor Bestrafung und steuert damit – wenn überhaupt – das<br />

Verhalten auf <strong>der</strong> untersten Stufe <strong>der</strong> Moralität“ (Müller 1993, 221). Schon aus diesem<br />

Grund sollte darauf, wenn eben möglich, verzichtet werden. Hinzu kommt, dass<br />

Bestrafungen die Beziehung zwischen Erzieher und Zögling verletzen können. Daher<br />

muss zweierlei beachtet werden: Erstens sollte ein Zusammenhang zwischen dem<br />

vorangegangenen Verhalten des Heranwachsenden und <strong>der</strong> Strafe erkennbar sein, damit<br />

das Kind den Sinn <strong>der</strong> Strafe versteht und sie nicht als willkürliche Gemeinheit <strong>der</strong><br />

Erwachsenen einordnet (vgl. Peters 1999, 935). Zweitens sollte das Kind das Gefühl<br />

haben, so die vorherige Verletzung <strong>der</strong> Grenze überwinden zu können. Strafen müssen<br />

also eine aufbauende Komponente haben, auf das Wie<strong>der</strong>gutmachen, Wie<strong>der</strong>-In-<br />

Ordnung-bringen <strong>der</strong> Situation angelegt sein. „Die Strafen als Sühne, als Rache, als<br />

Schadenszuführung, als Abschreckung – sie alle haben in <strong>der</strong> Erziehung keinen Ort.“<br />

(Flitner 1982, 86).<br />

Im Folgenden möchte ich untersuchen, ob die Professionellen bei „Teenager außer<br />

Kontrolle“ zu Strafen greifen und wenn ja, wie diese Strafpraktiken aussehen: Gibt es<br />

einen Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> Grenzüberschreitung des Jugendlichen und <strong>der</strong><br />

darauf folgenden Strafe und ist diese auf Wie<strong>der</strong>gutmachung angelegt, o<strong>der</strong> wird sie als<br />

Rache o<strong>der</strong> Abschreckung eingesetzt?<br />

Analyse<br />

Die drei folgenden Zitate zeigen, dass Strafen - o<strong>der</strong> Konsequenzen, wie es in <strong>der</strong> Serie<br />

heißt - im Therapieprogramm fest vorgesehen sind:<br />

27


F1, 1:26:40 – 1:26:49<br />

Die Kamera schwenkt über die Jugendlichen, die sich in einer Reihe aufgestellt<br />

haben und Annegret Noble zuhören. Dann ist Annegrets Gesicht in „Groß“ zu<br />

sehen.<br />

Im Hintergrund vernimmt man einige leise Töne, die unheimlich klingen und an<br />

einen spannenden Film erinnern.<br />

Annegret: „Wir werden euch sagen, was wir erwarten, wir werden erwarten,<br />

F2, 8:26 – 8:42<br />

dass ihr das tut, dass wir keine Wi<strong>der</strong>rede bekommen. Wenn da<br />

Wi<strong>der</strong>rede ist, dann gibt's Konsequenzen.“<br />

Kameraflug über eine karge, unbewachsene Wüstenlandschaft. Anschließend<br />

wird eine Landkarte von Oregon eingeblendet, auf <strong>der</strong> man den Weg von<br />

Wagontire nach Little Juniper verfolgen kann. Am unteren, rechten Ende <strong>der</strong><br />

Karte öffnet sich ein kleiner Kasten, in dem Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landschaft gezeigt<br />

werden.<br />

Rockige Gitarrenklänge im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Insgesamt dauert <strong>der</strong> erste Teil <strong>der</strong> Therapie, die so genannte<br />

F4, 42:42 - 42:47<br />

Expeditionsphase, 21 Tage. In diesen drei Wochen müssen die<br />

Teenager über 250 Kilometer bewältigen. Wer das nicht schafft,<br />

muss wie<strong>der</strong> von vorne anfangen und die gesamte Strecke noch<br />

mal zurücklegen. Allein.“<br />

Viele verschiedene, kurze Aufnahmen <strong>der</strong> Jugendlichen beim Wan<strong>der</strong>n.<br />

Ziemlich laute, fröhliche Musik.<br />

Sprecher: „Wer sich nicht völlig öffnet, dessen Eltern können auch in letzter<br />

Minute wie<strong>der</strong> ausgeladen werden.“<br />

Annegret Noble stellt schon vor <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung klar, dass bereits jede Wi<strong>der</strong>rede zu<br />

Konsequenzen führt. Den Jugendlichen werden Strafen angedroht, noch bevor sie gegen<br />

irgendeine Regel verstoßen o<strong>der</strong> irgendeine Grenze überschritten haben. Außerdem<br />

28


steht von vorn herein fest, dass man die gesamte Strecke von 250 Kilometern noch<br />

einmal allein wan<strong>der</strong>n muss, sollte man sie in den vorgegebenen drei Wochen nicht<br />

schaffen. Sogar <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> Eltern wird als Druckmittel benutzt, die Jugendlichen<br />

werden dazu gezwungen, sich zu öffnen und Gefühle zu zeigen, sonst droht ihnen die<br />

Ausladung <strong>der</strong> Eltern. Diese Drohungen haben den Sinn, die Jugendlichen<br />

einzuschüchtern um sie dazu zu bewegen, sich aus Angst vor den Strafen unhinterfragt<br />

an alle Anweisungen <strong>der</strong> Betreuer zu halten. Diese Absicht beschreibt Marlies Luepges<br />

auch in den folgenden zwei Interviewausschnitten:<br />

F2, 43:41 – 43:58<br />

Die Teenager werden zuerst mit ihrer Wan<strong>der</strong>ausrüstung im Halbkreis stehend<br />

gezeigt. Dann verkleinert sich diese Aufnahme zu einem Kasten auf <strong>der</strong> rechten<br />

Seite des Bildes. Links erscheint ein Kasten mit Marlies’ Gesicht in<br />

Großaufnahme. Dieser Kasten wächst während Marlies’ Worten, bis er<br />

schließlich das ganze Bild füllt. Unten links erscheint die Information 'Marlis<br />

Luepges. Betreuerin'.<br />

Marlies: „Ich (..) erwarte, dass sie überrascht sein werden, wenn sie sehen,<br />

F4, 20:02 – 20:20<br />

dass Dzeneta nicht mehr mit ihnen dabei ist, ich nehme an, dass<br />

auch n bisschen n Schockeffekt haben könnte, das erhoffen wir<br />

uns eigentlich auch, damit sie schon wissen, dass wir, wenn<br />

Jugendliche nicht so mitmachen wie wir uns das erwünschen,<br />

dass es auch Konsequenzen hat.“<br />

Situation: Als Strafe dafür, dass sie sich einige Meter von ihrem Zeltplatz<br />

entfernt hat, muss Vivien mitten in <strong>der</strong> Nacht innerhalb von fünfzehn Minuten<br />

ihr Zelt abbauen.<br />

Da diese Szenen nachts aufgenommen wurden, sind die Bil<strong>der</strong> sehr dunkel. In<br />

einem Kasten am linken Bildrand ist Marlies Luepges in <strong>der</strong> Einstellungsgröße<br />

„Nah“ zu sehen. Im rechten Kasten sieht man Vivien ihr Zelt zusammenbauen.<br />

Marlies: „Wir probieren eigentlich jetzt im Ausführen von <strong>der</strong> Konsequenz<br />

ziemlich mysteriös zu sein. Wir wollen halt, dass sie ..<br />

29


verunsichert ist im Moment, dass sie verst, dass sie unklar ist, was<br />

als nächstes passiert und eine Möglichkeit, das noch n bisschen zu<br />

vertiefen ist halt, sie jetzt da warten zu lassen und hoffentlich n<br />

paar Gedanken damit anzuregen.“<br />

Dzenetas Ausschluss aus <strong>der</strong> Gruppe wird bewusst eingesetzt, um die an<strong>der</strong>en<br />

Teilnehmer zu verängstigen. Laut Frau Luepges sollen die Teenager dadurch lernen,<br />

dass es Konsequenz hat, sich nicht wie von den Betreuern erwünscht zu benehmen.<br />

Selbst beim Durchführen <strong>der</strong> Strafen bemühen sie sich, möglichst „mysteriös“ zu<br />

wirken, um die Heranwachsenden weiter zu verunsichern. Es geht offenbar nur darum,<br />

die Jugendlichen dazu zu bewegen, sich während des Programms an alle Regeln und<br />

Vorgaben zu halten. Dass ein solches Vorgehen von vorn herein nur auf<br />

Scheinanpassungen angelegt ist, wie <strong>der</strong> folgende Interviewausschnitt von Andreas<br />

eindrucksvoll beweist, scheint die Professionellen nicht weiter zu interessieren:<br />

F2, 27:45 – 28:00<br />

Situation: Die Jugendlichen haben Müll, Andreas Breireste, an ihrem Zeltplatz<br />

gelassen. Marlies Luepges teilt ihnen mit, dass sie so lang kein neues Essen<br />

bekommen, bis sie ihren Müll weggeräumt haben.<br />

Zuerst Aufnahmen von Andreas, <strong>der</strong> auf dem staubigen Boden hockend etwas<br />

aufliest. Dann sieht man ihn in „Groß“ aus <strong>der</strong> Froschperspektive, ein Interview<br />

gebend. Einblende: „Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“.<br />

Andreas: „Essens-Sachen und so, das wird ja dann von Tieren aufgegessen,<br />

o<strong>der</strong> verwest, o<strong>der</strong> keine Ahnung. So Papier o<strong>der</strong> so kann ich ja<br />

noch verstehen, aber Essens-Sachen eigentlich nicht. Ja, beim<br />

nächsten Mal wenn ich was wegwerfe versteck ich das nachher<br />

einfach besser.“<br />

Offensichtlich sieht Andreas ein, dass man beispielsweise Papier nicht einfach in <strong>der</strong><br />

Wüste zurücklassen sollte. Nach <strong>der</strong> Androhung von Konsequenzen befolgt er jedoch<br />

Marlies’ Auffor<strong>der</strong>ung, auch die Speisereste wegzuräumen. Da er den Sinn dieser<br />

Anordnung aber nicht einsieht, kündigt er an, die Reste beim nächsten Mal einfach<br />

besser zu verstecken. Das Strafen - o<strong>der</strong> Androhen von Strafen - hat also nur eine sehr<br />

kurzfristige Wirkung, von einer Verinnerlichung kann nicht die Rede sein.<br />

30


Es stellt sich die Frage, ob es denn zumindest einen für die Jugendlichen erkennbaren<br />

Zusammenhang zwischen den Grenzüberschreitungen und den daraufhin vergebenen<br />

Konsequenzen gibt. Auf den ersten Blick scheinen manche <strong>der</strong> Strafen logisch:<br />

F1, 59:38 – 59:58<br />

Situation: Dzeneta weigert sich, einen Sonnenhut zu tragen.<br />

Links im Bildschirm sieht man einen Kasten mit Annegret, die in „Groß“-<br />

Einstellung ein Interview gibt. In einem weiteren Kasten auf <strong>der</strong> rechten Seite<br />

verfolgt die Kamera Dzeneta, die davongeht. Abschließend Annegret, eine Plane<br />

aufspannend, im Vollbild.<br />

Annegret: „Wir können ihr nicht vertrauen, sie ist nicht vertrauenswürdig,<br />

sie benimmt sich wie ein kleines Kind und dann müssen wir sie<br />

jetzt eben wie ein kleines Kind behandeln und das bedeutet, dass<br />

wir ihr jetzt irgendwo nen kleines Sonnendach aufstellen, wo sie<br />

die ganze Zeit drunter sein muss. Da hat sie jetzt nicht mehr ihr<br />

Zelt, da hat sie nicht mehr ihre Liegematte, da hat sie nicht mehr<br />

ihre eigenen Sachen, son<strong>der</strong>n jetzt müssen wir eben auf sie<br />

aufpassen.“<br />

Mit dem Satz „Sie benimmt sich wie ein kleines Kind und dann müssen wir sie jetzt<br />

eben wie ein kleines Kind behandeln“ versucht Annegret Noble zu begründen, warum<br />

ihr Vorgehen die logische Konsequenz aus Dzenetas Verhalten ist. Bei genauerer<br />

Betrachtung erscheinen die Konsequenzen jedoch ziemlich sinnlos: Da die Jugendliche<br />

ihren Hut nicht tragen möchte, werden ihr das Zelt und all ihre Sachen weggenommen.<br />

Sie muss unter einer Plane im Betreuer-Camp sitzen und steht die ganze Zeit unter<br />

Beobachtung. Meines Erachtens steht hier das Ausmaß <strong>der</strong> Strafe in keiner Relation zu<br />

Dzenetas Weigerung, den Hut zu tragen. Eher geht es den Betreuern darum, Dzeneta so<br />

zum Aufgeben zu bewegen und sie dazu zu zwingen, den Hut aufzusetzen.<br />

Wahrscheinlich ist es tatsächlich sehr wichtig, in <strong>der</strong> Hitze einen Kopfschutz zu tragen,<br />

durch diese Art von Strafe wird die Jugendliche das jeoch nicht einsehen. Dzeneta<br />

selbst macht zuvor den Vorschlag, ihren Schal um den Kopf zu wickeln, da ihr <strong>der</strong><br />

Sonnenhut einfach „zu hässlich“ (F1, 58:12) ist. Darauf gehen die Betreuer jedoch nicht<br />

ein. Meiner Meinung nach wird dadurch deutlich, dass es nicht wirklich um den<br />

31


Sonnenschutz geht, son<strong>der</strong>n darum, das Tragen des Hutes durchzusetzen, um Dzeneta<br />

zu zeigen, wer die Regeln macht (vgl. F2, 36:50), wer <strong>der</strong> Mächtigere in dieser<br />

Situation ist. Von einer logischen Konsequenz kann also nicht die Rede sein.<br />

F4, 24:06 – 24:42<br />

Situation: Nach einem Fluchtversuch muss Andreas zur Strafe einige seiner<br />

Sachen abgeben.<br />

Dunkle Aufnahmen bei Nacht. Marlies Luepges und Kris Schock hocken vor<br />

Andreas’ Zelt und beobachten ihn, wie er im Inneren des Zelts Sachen in eine<br />

Tüte steckt.<br />

Man hört langsame Gitarrenklänge.<br />

Marlies: „Also wirklich, es geht jetzt nur drum: Briefkasten wird aufgelöst,<br />

Tagebücher kommen mit uns, natürlich kommt Taschen-, o<strong>der</strong><br />

das, die Stirnlampe und die Schuhe mit uns und die Klamotten.<br />

Das heißt du wirst nur in deinem Unter, in deiner Unterwäsche<br />

schlafen.“<br />

Andreas: „Schlafen auch?“<br />

Marlies: „Hm. Uns geht es ganz klar darum, dass du nicht von deinem Zelt<br />

dich weg bewegst, du wirst, äh, Sit-Ups machen müssen wenn du<br />

kalt hast o<strong>der</strong> so dich warm behalten. Ganz wichtig, den<br />

Schlafsack ganz zu. Es ist nicht kalt genug für den Schlafsack,<br />

nicht wirksam zu sein. Und das ist n Teil deiner Konsequenz. Ich<br />

kann da jetzt keine Diskussion eingehen.“<br />

Kris: „Alle Sachen außer die Boxershort.“<br />

Andreas: „Und Socken?“<br />

Kris: „Die auch.“<br />

Andreas: „Boah.“<br />

Nach Andreas’ Fluchtversuch scheint es noch sinnvoll, ihn vor allem über Nacht an<br />

einer neuen Flucht zu hin<strong>der</strong>n und ihm daher seine Schuhe und seine Stirnlampe<br />

wegzunehmen. Dass er außerdem seine Tagebücher, seinen Briefkasten (während des<br />

Solos die einzige Möglichkeit, mit den Betreuern Kontakt aufzunehmen) und seine<br />

komplette Oberbekleidung, inklusive <strong>der</strong> Socken, abgeben muss, steht hingegen mit <strong>der</strong><br />

Fluchtgefahr nicht in Verbindung. Den Jugendlichen nachts nur mit einer Boxershort<br />

32


ekleidet zurück zu lassen ist meiner Meinung nach beabsichtigte Schadenszuführung<br />

und Demütigung.<br />

F1, 1:25:14 - 1:25:27<br />

Zuerst eine Aufnahme von Dzeneta: die Kamera beginnt bei ihren Füßen und<br />

schwenkt hoch, bis ihr Kopf zu sehen ist. Sie steht mit ihrem Stock und ihrem<br />

Rucksack auf dem Rücken im freien Feld. Anschließend sieht man Annegret<br />

Noble in „Groß“ beim Interview, hinter ihr sieht man Dzeneta, noch immer<br />

bepackt und Frau Noble den Rücken zugekehrt. Abschließend wird die<br />

Jugendliche noch einmal in <strong>der</strong> „Halbtotalen“ aus <strong>der</strong> Froschperspektive gefilmt,<br />

Vivien läuft im Hintergrund an ihr vorbei.<br />

Annegret: „Die Dzeneta steht da grad mit ihrem Rucksack noch, weil die<br />

uns vorhin, ähm, n bisschen Zeit gekostet hat und jetzt ist das so n<br />

bisschen, bezahlt se die Zeit eben zurück. Die hat vorhin ihren<br />

Rucksack abgenommen, jetzt muss sie ihn n bisschen länger<br />

tragen.“<br />

Das Zurückzahlen <strong>der</strong> Zeit, welche Dzeneta die an<strong>der</strong>en Teenager gekostet hat, scheint<br />

auf den ersten Blick eine faire, sinnvolle und logische Konsequenz zu sein. Dass sie<br />

jedoch 45 Minuten voll bepackt in <strong>der</strong> Sonne stehen muss ist reine Quälerei und hilft<br />

den an<strong>der</strong>en Jugendlichen in keinster Weise. Viel sinnvoller wäre es, Dzeneta als<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung etwas für die Gruppe tun zu lassen - beispielsweise für alle das<br />

Abendessen zuzubereiten o<strong>der</strong> Wasser zu holen. Lei<strong>der</strong> belegen viele weitere Szenen,<br />

dass die Strafen bzw. Konsequenzen nicht darauf angelegt sind, etwas wie<strong>der</strong> in<br />

Ordnung zu bringen und sich dadurch zu entschuldigen. Sie erscheinen eher wie<br />

willkürliche Schadenszufügungen, die die Jugendlichen sozusagen aus Rache nur um<br />

<strong>der</strong> Strafe willen erhalten:<br />

F1, 1:17:55 – 1:18:14<br />

Es ist <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> ersten Wan<strong>der</strong>ung. Die Jugendlichen und Betreuer stehen im<br />

Kreis zusammen und werden aus <strong>der</strong> Froschperspektive gefilmt. Die Teenager<br />

stehen zum größten Teil vorn über gebeugt und auf ihren Stock gestützt, als<br />

würde <strong>der</strong> Rucksack sie herunterziehen. Während Frau Luepges spricht, lässt<br />

Pascal genervt den Kopf fallen.<br />

33


Marlies: „Wenn Leute während <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung sprechen, dann werden die<br />

ihre Konsequenz tragen, dass die für jede Unterbrechung die sie<br />

machen, am Schluss des Tages, da wo wir ankommen, fünf<br />

Minuten stehen müssen, mit dem Rucksack an, wenn alle an<strong>der</strong>en<br />

den Rucksack bereits, ähm, abgezogen haben und ihr Zelt<br />

aufstellen.“<br />

Das Miteinan<strong>der</strong>-Sprechen während <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung wird mit <strong>der</strong> sogenannten Packzeit<br />

bestraft. Das heißt, dass die Teenager am Ende des Tages mit ihrem Rucksack bepackt<br />

für eine gewisse Zeit herumstehen müssen. Diese Konsequenz steht we<strong>der</strong> in einem<br />

logischen Zusammenhang mit dem unerlaubten Sprechen, noch wird durch sie<br />

irgendetwas wie<strong>der</strong> gut gemacht. Es soll den Heranwachsenden lediglich zeigen: Wenn<br />

du dich nicht an die Regeln hältst, wird dir etwas Unangenehmes zugefügt. In einem<br />

Ausschnitt erwähnt Marlies Luepges dies noch einmal ganz deutlich:<br />

F4, 14:53 – 15:23<br />

Marlies, Dan und Kris treffen sich auf einem Zeltplatz und begrüßen sich<br />

überschwänglich und lachend. Anschließend sieht man Kris Schock und Marlies<br />

Luepges abwechselnd in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Nah“.<br />

Sprecher: „Expeditionsleiterin Marlies berät mit Kris über die Strafe für<br />

Andreas und Vivien.“<br />

Kris: „Ich hab ihr ganz deutlich gesagt: Du wirst deine Konsequenz<br />

dafür kriegen, ich muss mit den an<strong>der</strong>en Betreuern mal darüber<br />

reden.“<br />

Marlies: „Okay. Die brauchen ganz klare Konsequenz. Die haben jetzt den<br />

Eindruck, dass sie . machen können, was sie wollen. Super, dass<br />

du das so gesehen hast und die ertappt hast und jetzt müssen wer<br />

denen irgendwie zeigen: So nicht.“<br />

Das eindrucksvollste Beispiel für wahllose und willkürliche Bestrafung ist die<br />

Konsequenz für Andreas’ Fluchtversuch:<br />

34


F4, 15:45 – 18:49, 20:43 – 20:50, 23:45 - 23:50<br />

Situation: Nach Andreas' Versuch wegzulaufen haben sich die Betreuer über<br />

Konsequenzen für diesen Regelverstoß unterhalten.<br />

Marlies kniet vor Andreas' Zelt und schaut zu ihm hinein. Andreas liegt in<br />

seinem Schlafsack, hat sich auf einen Arm aufgestützt und schaut Marlies<br />

verschlafen an. Um die beiden herum ist es dunkel.<br />

Im Hintergrund hört man sehr leise Gitarrenmusik.<br />

Marlies: (sehr bestimmt) „Ich möcht, dass du alles packst und dich zum<br />

Schluss auf den Rucksack setzt und da auf uns wartest. Keine<br />

Fragen, 15 Minuten, du bist immer noch auf Solo, du kannst nicht<br />

mit uns sprechen. Wir sprechen! Los geht’s, Zeit ist gestartet!“<br />

Sprecher: „Nach Ansicht <strong>der</strong> Betreuer bedeutet Andreas’ Verhalten einen<br />

großen Vertrauensbruch – er hat sich in Lebensgefahr gebracht.<br />

Von Anfang an war beim Solo eines klar: Es wird heftige<br />

Konsequenzen geben, wenn einer <strong>der</strong> Teenager die wichtigste<br />

Regel bricht und sich von seinem Zeltplatz entfernt.“<br />

Etwas später, Andreas hat alles gepackt:<br />

Marlies: „Du bist noch nicht fertig.“<br />

Andreas: „Warum?“ (schaut suchend vor sich auf den Boden)<br />

Kris: „Hast du alle Sachen eingepackt, die du hast? …. Das glauben wir<br />

nicht.“<br />

Andreas sucht weiter den Boden um sich herum ab.<br />

Marlies: „Hey! Nur mit Rumstehen wirst du’s wohl nicht finden.“<br />

Andreas geht ein Stück weiter und findet einen Moment später den Sack mit den<br />

Heringen.<br />

Marlies: „Die Zeit? Wie weit sind wer?“<br />

Kris: „Drei Minuten zu lang.“<br />

Marlies: „Du hast jetzt 15 Minuten, das Ganze wie<strong>der</strong> aufzubauen und im<br />

Andreas weigert sich.<br />

Schlafsack dich zu befinden. Schuhe müssen draußen sein, ich<br />

will dich schnarchen hören. .. Zeit startet jetzt.“<br />

35


Marlies: „Ich möchte nur sagen, du bekommst bereits Konsequenzen für<br />

dein Verhalten. Je länger du uns jetzt hier rum stehen lässt, desto,<br />

desto stärker werden die Konsequenzen auch für dich sein. Desto<br />

unangenehmer. (…) Ich kann dir gleich sagen, dass diese Art von<br />

Handlungen, die werden dich später unangenehme Folgen.“<br />

Sprecher: Die Betreuer sind davon überzeugt, dass ihre Konsequenzen<br />

Später:<br />

angemessen sind. Sie können es nicht hinnehmen, dass die<br />

Jugendlichen sich in Gefahr bringen.“<br />

Marlies: „Es gibt dafür noch ne ganze Reihe Konsequenzen, das kann ich<br />

dir schon mal sagen. Wir haben erst grad angefangen.“<br />

Als die Betreuer ihm etwas später ein zweites Mal mitteilen, dass sie die ganze<br />

Nacht mit ihm wach stehen werden, bis er die Aufgabe annimmt, gibt er jedoch<br />

nach und baut sein Zelt erneut auf, ab, und wie<strong>der</strong> auf, um dann schlafen zu<br />

können.<br />

Marlies: „Schuhe aus. Zelt zugemacht u n d, ähm, n Schnarchton wär ganz<br />

nett, wenn du im Schlafsack bist.“<br />

Andreas zieht vor dem Zelt die Schuhe aus, verschwindet darin und simuliert ein<br />

Schnarchgeräusch.<br />

Marlies: (lacht vor sich hin)<br />

Etwas später:<br />

Marlies: „Du hast den ersten Teil von deiner Konsequenz jetzt quasi<br />

abverdient, es wird aber noch weiter gehen.“<br />

Als Strafe soll Andreas sein Zelt zuerst in fünfzehn Minuten abbauen. Als er dafür drei<br />

Minuten länger benötigt, soll er das Zelt in jeweils fünfzehn Minuten auf-, ab- und<br />

wie<strong>der</strong> aufbauen. Um zu beweisen, dass er danach wie<strong>der</strong> in seinem Schlafsack liegt,<br />

muss er Schnarch-Geräusche imitieren. Diese Maßnahme ist nicht pädagogisch zu<br />

rechtfertigen. Es handelt sich lediglich um das willentliche Schaffen einer<br />

unangenehmen Situation, in Kombination mit Demütigung, um den Jugendlichen in<br />

eine unterlegene Position zu drängen. Diese Art von Strafe ist meines Erachtens nicht<br />

tragbar und hat mit professioneller pädagogischer Arbeit nichts zu tun.<br />

36


Ein weiterer problematischer Punkt ist die Unberechenbarkeit <strong>der</strong> Strafen, die neben<br />

dem oben stehenden Satz von Marlies Luepges („Du hast den ersten Teil von deiner<br />

Konsequenz jetzt quasi abverdient, es wird aber noch weiter gehen.“) auch in folgen<strong>der</strong><br />

Szene sichtbar wird:<br />

F4, 25:07 - 25:14<br />

Dunkle Nachtaufnahmen. Vivien liegt in ihrem Zelt, Marlies Luepges steht<br />

davor und spricht mit <strong>der</strong> Jugendlichen.<br />

Sprecher: „Vivien hat ihre Strafmaßnahme ohne Wi<strong>der</strong>stand hinter sich<br />

gebracht. Noch weiß sie aber nicht, dass es für sie weitere<br />

Konsequenzen geben wird.“<br />

Selbst, wenn die Jugendlichen die Strafen wi<strong>der</strong>standslos annehmen, können die<br />

Betreuer es nicht dabei belassen. Statt den Teenagern eine faire Konsequenz für ein<br />

bestimmtes Fehlverhalten zu geben und die Sache dann auf sich beruhen zu lassen,<br />

denken sich die Mitarbeiter immer weitere Strafen aus, ohne dass die Heranwachsenden<br />

einen Einfluss darauf hätten. Sie müssen sich praktisch dauernd vor neuen Maßnahmen<br />

fürchten.<br />

Die Strafmaßnahmen sollen mit folgenden Kommentaren gerechtfertigt werden:<br />

F4, 21:29 – 21:42<br />

Dunkle Nachtaufnahmen. Rechts ein Kasten mit Marlies Luepges im Interview,<br />

links sieht man Andreas, <strong>der</strong> mit Rucksack und Stock bepackt herumsteht. Am<br />

Ende des Interviews vergrößert sich <strong>der</strong> Kasten mit Frau Luepges zum Vollbild<br />

und die Worte „Marlies Luepges. Leitet die Expedition“ werden eingeblendet.<br />

Marlies: (mit einem leichten Grinsen) „Zu Hause erleben die Jugendlichen<br />

oft keine Konsequenzen, die durchgeführt werden. Von daher<br />

denken wir, dass es ganz beson<strong>der</strong>s wichtig ist, dass die<br />

Jugendlichen hier verstehen, dass wir da nicht aufgeben.“<br />

Ohne Frage brauchen Kin<strong>der</strong> und Jugendliche Grenzen, denn auch im „echten“ Leben<br />

muss man für seine Handlungen Verantwortung übernehmen und mit Konsequenzen<br />

37


echnen. Um Heranwachsende auf ihre Zukunft als eigenständige Menschen<br />

vorzubereiten, ist es daher sicher sinnvoll, ihnen dies beizubringen. Gewisse logische<br />

und faire Konsequenzen sind also durchaus gerechtfertigt. Die Wortwahl „dass wir da<br />

nicht aufgeben“ impliziert aber eher, dass es hier um einen Machtkampf zwischen den<br />

Professionellen und Jugendlichen geht. Die Konsequenzen werden durchgesetzt, um<br />

diesen Kampf zu gewinnen und nicht, um die Jugendlichen auf ihre Zukunft<br />

vorzubereiten. Es scheint, als ginge es nur um das Durchsetzen an sich, nicht um eine<br />

mögliche Wirkung o<strong>der</strong> Entwicklungschance für die Teenager. Daher überraschen die<br />

folgenden beiden Zitate beson<strong>der</strong>s:<br />

F4, 22:21 – 22:29<br />

Da es Nacht ist, sind die Aufnahmen sehr dunkel. Außer Andreas, <strong>der</strong> in einem<br />

leuchtend roten Pullover sein Zelt aufbaut, erkennt man kaum etwas.<br />

Fröhliche Rock-Popmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Maßnahmen wie diese sind üblich bei Catherine Freer<br />

F4, 23:51 – 24:06<br />

Expeditions. Nach Ansicht <strong>der</strong> Betreuer sind die Konsequenzen<br />

für die Jugendlichen nur zu ihrem Besten.“<br />

Als Frau Luepges zu sprechen beginnt sieht man Andreas, <strong>der</strong> mit gesenktem<br />

Blick in seinem Zelteingang hockt. Anschließend sieht man die Betreuerin in<br />

„Nahaufnahme“, <strong>der</strong> Hintergrund ist komplett schwarz. Einblende: „Marlies<br />

Luepges. Expeditionsleiterin“.<br />

Marlies: „Die Konsequenzen, die wir den Jugendlichen geben, sehen oft<br />

wie Schikanen aus. Wie wir aber jetzt auch grad wie<strong>der</strong> erlebt<br />

haben mit dem Andreas, kann da sehr viel Großes draus<br />

entstehen. Unsere Hoffnung ist, ist eigentlich in allen Fällen, dass<br />

wir Jugendlichen so die Möglichkeit geben können, über sich raus<br />

zu wachsen.“<br />

Laut Sprecher und Marlis Luepges sind die Konsequenzen zum Besten <strong>der</strong><br />

Jugendlichen, da sie ihnen die Möglichkeit geben, über sich hinaus zu wachsen. Frau<br />

Luepges selbst räumt jedoch ein, dass die Strafen wie Schikanen aussehen, was<br />

38


eigentlich beweist, dass sie nicht in einem logischen Zusammenhang mit den<br />

vorangehenden Taten <strong>der</strong> Jugendlichen stehen. Aus dem mehrmaligen Ab- und wie<strong>der</strong><br />

Aufbauen <strong>der</strong> Zelte, auf das sich die Betreuerin hier bezieht, soll also „sehr viel Großes“<br />

entstanden sein. Tatsächlich hat Andreas, nachdem er sich geweigert hatte, diese Strafe<br />

anzunehmen, nachgegeben und sein Zelt in durchschnittlich acht Minuten – statt <strong>der</strong><br />

vorgegebenen fünfzehn – auf und abgebaut. Für die Betreuer ist das sicherlich ein<br />

Erfolg – sie haben durchgesetzt, was sie zuvor als Strafe beschlossen haben. Was diese<br />

Maßnahme dem Jugendlichen bringt, wie er dadurch „über sich selbst hinauswächst“<br />

und wieso dies zu seinem Besten ist, bleibt jedoch unklar. Meiner Meinung nach ist<br />

Andreas nur auf die Auffor<strong>der</strong>ungen eingegangen, um endlich schlafen zu können und<br />

das Einzige, was er daraus lernt ist, dass man nachgeben und absolut sinnlosen<br />

For<strong>der</strong>ungen nachgehen muss, um nicht weiter bestraft zu werden.<br />

In vier Szenen werden die Jugendlichen sogar durch körperliches Durchgreifen bestraft:<br />

F1, 51:54 – 52:44<br />

Die Kamera ist sehr weit vom Geschehen weg, man sieht die Beteiligten in <strong>der</strong><br />

Einstellungsgröße „Total“. Stacey, Dan und Marlies stehen in <strong>der</strong> freien Natur,<br />

um sie herum sieht man nichts als Gras und Sträucher. Stacey geht einige<br />

Schritte von den Betreuern weg, Dan kommt hinter ihr her, um sie festzuhalten.<br />

Als sie versucht sich aus dem Griff zu lösen, kommt Marlies Luepges hinzu, die<br />

dann auch nach Staceys Arm greift. Zwischenzeitlich wird Kurts Gesicht aus <strong>der</strong><br />

Froschperspektive gezeigt, er scheint die Szene zu beobachten.<br />

Harte Rockmusik im Hintergrund.<br />

Stacey: „Lassen sie mich in Ruhe!“<br />

Sprecher: „Stacey verliert nach Stunden des Wi<strong>der</strong>stands völlig die<br />

Kontrolle. Ihre ständigen Provokationen und Attacken zwingen<br />

die Betreuer zu drastischeren Maßnahmen.“<br />

Die Kamera hat nun herangezoomt, die Tonaufnahmen sind jedoch sehr<br />

schlecht. Betreuer Dan hat Staceys Arm ergriffen und auf ihren Rücken gedreht.<br />

Stacey: „Haut ab!“<br />

Marlies Luepges sagt etwas für den Zuschauer unverständliches zu ihrem<br />

Kollegen Dan und ergreift Staceys an<strong>der</strong>en Arm.<br />

39


Stacey: „So schon gar nicht! Mit Gewalt läuft hier gar nichts! Ich möchte<br />

erstmal, bevor ich irgendetwas mache, (Dan dreht den Arm noch<br />

etwas mehr, Stacey schreit laut auf) Aua!“<br />

Marlies: „Sobald du läufst, lässt er los.“<br />

Stacey: (mit weinerlicher Stimme) „Lass mich doch mal in Ruhe, Alter!<br />

(versucht, sich aus Dans Griff zu befreien)<br />

Obwohl die Kamera sehr weit von dieser „Kampfszene“ entfernt ist, wackelt sie<br />

hin und her, als wäre sie mitten im Geschehen und würde umgestoßen.<br />

Stacey: „Merkt ihr nicht, dass ihr voll Psychoterror macht? (kreischt,<br />

quietscht, versucht die Betreuer abzuschütteln und sich aus dem<br />

Griff zu befreien) Meine Fresse…“<br />

Stacey sinkt zu Boden. Eine langsame und traurige Gitarrenmelodie erklingt.<br />

Sprecher: „Der sogenannte therapeutische Griff ist für die Betreuer die<br />

letzte Möglichkeit. Mit dem harten Durchgreifen von Marlies und<br />

Dan hat Stacey nicht gerechnet und gibt schließlich klein bei.“<br />

Marlies streichelt Stacey, die zusammengekauert auf dem Boden liegt, über den<br />

Rücken.<br />

Für den Zuschauer ist völlig unklar, wie es zu diesem harten Durchgreifen kommt. Der<br />

Sprecher erwähnt zwar, dass Stacey „die Kontrolle verloren hat“, was genau darunter zu<br />

verstehen ist, bleibt offen. Annegret Noble erklärt später, warum <strong>der</strong> „therapeutische<br />

Griff“ angewendet wird und warum sie ihn nicht als Strafe betrachtet:<br />

F1, 1:11:15 – 1:11:40, F1, 1:12:20 – 1:12:30<br />

Situation: Auch Pascal wurde mit dem „therapeutischen Griff“ fixiert und auf<br />

den Boden gedrückt.<br />

Während Frau Noble zu sprechen beginnt, sieht man Pascal auf dem staubigen<br />

Boden zwischen Gegenständen liegen, jemand hält seinen Arm nach hinten<br />

gedreht fest. Das Bild teilt sich anschließend in zwei Kästen, links sieht man<br />

Annegret Noble beim Interview, rechts weiterhin, wie Pascal festgehalten wird.<br />

Zum Schluss wächst <strong>der</strong> Kasten mit Frau Noble bis zum Vollbild.<br />

Annegret: „Wir wollen den Kin<strong>der</strong>n nicht weh tun, aber wir müssen die<br />

Kin<strong>der</strong> kontrollieren und da benutzen wir die Punkte im Körper,<br />

wenn man da drauf drückt, dann tut das weh und je stärker man<br />

40


Etwas später:<br />

drückt, desto mehr tut’s weh. Aber da kann man eigentlich nichts<br />

verletzten, das ist auch jetzt nicht n Schmerz, <strong>der</strong> was bricht, o<strong>der</strong><br />

was verstaucht, son<strong>der</strong>n es ist einfach unangenehm. Und damit<br />

können wir den Kin<strong>der</strong>n dann helfen, sich zu beruhigen und selbst<br />

die Kontrolle wie<strong>der</strong> zu übernehmen.“<br />

Pascal liegt am Boden, Annegret Noble streichelt über seinen Rücken.<br />

Annegret: „Manchmal verliert man die Kontrolle. Und dann .. wollen wir sie<br />

jetzt nicht bestrafen, son<strong>der</strong>n ihnen einfach nur helfen, sich zu<br />

beruhigen und dass es ihnen besser geht.“<br />

Frau Noble gibt zu, dass den Teenagern absichtlich Schmerzen zugefügt werden, um sie<br />

zu kontrollieren. Bei akuter Selbst- o<strong>der</strong> Fremdgefährdung mag das Fixieren <strong>der</strong><br />

betroffenen Person sinnvoll sein; auf einem großen, offenen Feld, wie in Staceys Fall,<br />

scheint mir dies allerdings unwahrscheinlich. Außerdem ist es möglich, einen<br />

Jugendlichen auch ohne das bewusste Zufügen von Schmerzen festzuhalten, bis er sich<br />

beruhigt hat. Die hier angewendete Methode scheint hingegen brutal und schmerzhaft,<br />

die Jugendliche eher verzweifelt als aggressiv. So muss wohl davon ausgegangen<br />

werden, dass es auch in dieser Szene lediglich darum geht, einen Machtüberhang zu<br />

demonstrieren und die Jugendlichen einzuschüchtern. Auch <strong>der</strong> Kommentar des<br />

Sprechers „sie gibt schließlich klein bei“ bestätigt diese Annahme. Hinzu kommt, dass<br />

<strong>der</strong> Einsatz des direkten, körperlichen Zwangs von den Teenagern selbst höchst<br />

wahrscheinlich als Strafe erlebt wird und somit die Beziehung zwischen den Beteiligten<br />

gefährden könnte. Dass die Betreuer die Jugendlichen nach diesen schmerzhaften<br />

Fixierungen streicheln, macht die Situation nicht besser, son<strong>der</strong>n eher noch schlimmer:<br />

Dieses nahezu schizophrene Verhalten wird für die Jugendlichen kaum zu ertragen sein.<br />

Während sie fixiert werden, sind sie wütend auf die Betreuer, hassen sie dafür und im<br />

nächsten Moment sollen sie mit diesen Menschen intime, körperliche Nähe zulassen.<br />

Außerdem wird ihnen vermittelt, dass sie positive Zuwendung bekommen, wenn sie<br />

sich unterwerfen und Schmerzen über sich ergehen lassen Die Botschaft <strong>der</strong><br />

Professionellen lautet demnach: „Wir tun dir nur weh, wenn du ein böses Kind bist.<br />

Wenn du dich angepasst verhältst und unsere Regeln befolgst, haben wir dich gern und<br />

trösten dich“.<br />

41


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Strafen bzw. Konsequenzen in den<br />

gezeigten Szenen sehr häufig vorkommen. Sie sind außerdem von Anfang an fest<br />

geplanter Bestandteil des Therapieprogramms, denn sie werden bereits angedroht, bevor<br />

gegen eine Regel verstoßen wurde. Die Ausgestaltung <strong>der</strong> Strafen ist lei<strong>der</strong> we<strong>der</strong><br />

logisch, das heißt in einem sinnvollen Zusammenhang mit dem vorangegangenen<br />

Verhalten <strong>der</strong> Jugendlichen, noch auf Wie<strong>der</strong>gutmachung angelegt. Häufig erscheinen<br />

die Konsequenzen wie Schikanen, die nur um <strong>der</strong> Strafe selbst willen, also quasi als<br />

Rache, durchgeführt werden. Hinzu kommt, dass sie für die Jugendlichen nicht<br />

berechenbar sind – für eine Grenzüberschreitung <strong>der</strong> Heranwachsenden kann es eine<br />

beliebige Anzahl an Konsequenzen geben, die ihnen nicht mitgeteilt wird. Die Teenager<br />

müssen für eine Tat ständig neue Strafen befürchten. Vor allem das harte, körperliche<br />

Durchgreifen <strong>der</strong> Betreuer und das absichtliche Zufügen von Schmerzen kann die<br />

Beziehung zwischen Erziehern und Heranwachsenden nachdrücklich beeinträchtigen,<br />

denn die Teenager werden sich in diesen Momenten hilflos und gedemütigt fühlen. Die<br />

Mitarbeiter versuchen Gewalthandlungen zu rechtfertigen und spielen sie herunter. Sie<br />

vermitteln den Heranwachsenden, dass psychischer und physischer Zwang zum Besten<br />

einer Person sein kann und durch anschließendes Streicheln relativiert wird. Es besteht<br />

die Gefahr, dass die Teenager diese Botschaft verinnerlichen und später mit ihren<br />

eigenen Kin<strong>der</strong>n nach diesem Muster umgehen.<br />

Alles in allem muss davon ausgegangen werden, dass mit dieser großen Menge an<br />

sinnlosen Strafen lediglich eine Scheinanpassung <strong>der</strong> Jugendlichen erreicht wird. Sie<br />

verhalten sich angepasst, um Strafen zu vermeiden und akzeptieren die Konsequenzen,<br />

um noch mehr Strafen zu verhin<strong>der</strong>n. Eine tatsächliche Entwicklung wird hiermit nicht<br />

bewirkt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verharmlosung von Gewalt nicht das Einzige ist,<br />

was sie aus diesem Projekt für ihr späteres Leben mitnehmen.<br />

42


4.2.2 Partizipation<br />

Klienten Sozialer Arbeit, Erwachsene wie Kin<strong>der</strong>, sind an den Entscheidungen, die sie<br />

betreffen, zu beteiligen. Einerseits, weil es die professionelle Haltung verlangt, sich am<br />

Subjekt, seiner Lebenswelt und seinem Eigensinn zu orientieren, an<strong>der</strong>erseits, weil<br />

Interventionen, an <strong>der</strong>en Ausgestaltung die Klienten mitverantwortlich waren,<br />

wirksamer sind. Man kann nur für Entscheidungen Verantwortung übernehmen, die<br />

man selbst (mit-)getroffen hat. Wie bereits oben erläutert ist es außerdem nur durch<br />

Partizipation (also Selbstkontrolle) möglich, Heranwachsende auf ihr Leben in unserer<br />

Gesellschaft vorzubereiten. Jugendliche sollten „ihre Interessen, Wünsche, und<br />

möglicherweise auch Befürchtungen und Ängste einbringen und <strong>der</strong>en<br />

Berücksichtigung erwarten“ können (Reimer/Wolf 2008, 2). Partizipation ist eine<br />

Voraussetzung für Erziehung, denn „die Entwicklung <strong>der</strong> Subjekte ist ihre<br />

Eigenleistung, die Erziehenden können und sollen am guten pädagogischen Ort ein<br />

entwicklungsför<strong>der</strong>ndes Lebens- und Lernfeld arrangieren, in dem dann in<br />

Koproduktion Entwicklung möglich wird“ (ebd., 4).<br />

Abbildung 11: Partizipationsleiter nach<br />

Arnstein<br />

43<br />

In <strong>der</strong> achtstufigen Partizipationsleiter nach<br />

Arnstein wird zwischen <strong>der</strong> Nicht-Beteiligung,<br />

Quasi-Beteiligung und echter Beteiligung<br />

unterschieden, welche sich jeweils wie<strong>der</strong> in<br />

Zwischenstufen aufteilen lassen (siehe Grafik).<br />

Die unterste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter ist die<br />

Nicht-Beteiligung, die sich in Manipulation und<br />

Therapie glie<strong>der</strong>t. Nicht-Beteiligung bedeutet,<br />

dass die Entscheidungen nur einseitig von den<br />

Professionellen getroffen werden. Bei <strong>der</strong> ersten<br />

Form <strong>der</strong> Nicht-Beteiligung, <strong>der</strong> Manipulation,<br />

gibt es we<strong>der</strong> Diskussionen noch eine<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Äußerungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendlichen. Bei <strong>der</strong> Therapie hingegen werden die Probleme zwar diskutiert, die<br />

Meinung <strong>der</strong> Klienten wird jedoch als patholog bewertet und daher bei Entscheidungen<br />

nicht berücksichtigt.<br />

Die mittlere Stufe des Modells ist die Quasi-Beteiligung, die sich ihrerseits in<br />

Information, Beratung und Wertschätzung aufteilt. Bei dieser Vorstufe zur Partizipation


können die Beteiligten ihre Meinung äußern, ein Entscheidungs- und Revisionsrecht<br />

bleibt allerdings aus. Die Klienten zu informieren ist hierbei <strong>der</strong> erste Schritt und eine<br />

Grundvoraussetzung für Partizipation, doch eine Beteiligung <strong>der</strong> Klienten ergibt sich<br />

hieraus noch nicht. Beim zweiten Schritt, <strong>der</strong> Beratung, werden die Kin<strong>der</strong>- und<br />

Jugendlichen zwar ausdrücklich nach ihren Ansichten gefragt und es wird ihnen<br />

mitgeteilt, inwieweit ihre Wünsche berücksichtigt werden, die Entscheidung aber liegt<br />

letztendlich noch bei den Professionellen. Auf <strong>der</strong> Stufe <strong>der</strong> Wertschätzung wird auf die<br />

Interessen <strong>der</strong> Klienten großen Wert gelegt, sie werden dokumentiert und können die<br />

Entscheidung beeinflussen. Obwohl es auch hier keinen Aushandlungsprozess gibt, ist<br />

den Professionellen die Zustimmung <strong>der</strong> Jugendlichen wichtig.<br />

Die oberste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter, die echte Beteiligung, ist gekennzeichnet<br />

durch eine gleichberechtigte Interaktion zwischen Klienten und Professionellen und<br />

glie<strong>der</strong>t sich in die partnerschaftliche Aushandlung, die Delegation von<br />

Entscheidungskompetenzen an Kin<strong>der</strong> und Jugendliche und die Autonomie. Bei <strong>der</strong><br />

partnerschaftlichen Aushandlung gibt es auf keiner Seite „ein alleiniges Entscheidungs-<br />

o<strong>der</strong> Revisionsrecht. Problemlösungen werden gemeinsam erarbeitet und können ...<br />

wie<strong>der</strong> revidiert werden.“ (ebd., 3). Werden zudem Entscheidungskompetenzen an die<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen delegiert, haben sie einen zusätzlichen Einfluss auf den<br />

Problemlösungsprozess. Die Professionellen stehen dabei beratend und unterstützend<br />

zur Seite, lassen die Klienten jedoch ihre eigene Erfahrungen machen und Lösungen<br />

finden. Die höchste Stufe <strong>der</strong> Leiter ist die Autonomie. „Jugendliche werden als<br />

Mündige gesehen. Sie sind kompetent und berechtigt, eigene Vorhaben zu leiten und<br />

unabhängig zu bestimmen, unter welchen Umständen Än<strong>der</strong>ungen ihrer Lebensplanung<br />

vorgenommen werden sollen, sie treffen eigene Entscheidungen über ihre selbst<br />

definierten Ziele.“ (ebd., 4)<br />

Zusammenfassend beinhaltet Partizipation also, dass Kin<strong>der</strong> über die Entscheidungen,<br />

die sie betreffen, informiert werden. Des Weiteren müssen ihre Ansichten angehört und<br />

wertgeschätzt werden. So weit wie möglich sollten dann alle Entscheidungen<br />

ausgehandelt und entwe<strong>der</strong> partnerschaftlich o<strong>der</strong> von den Klienten autonom getroffen<br />

werden. Wo Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Wunsch des Kindes o<strong>der</strong><br />

Jugendlichen getroffen werden müssen, sollte man zumindest immer um dessen<br />

Zustimmung bemüht sein.<br />

Anhand <strong>der</strong> vorgestellten Partizipationsleiter möchte ich im Folgenden analysieren, ob<br />

in den ausgewählten Szenen <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Beteiligung <strong>der</strong> Klienten berücksichtigt<br />

44


wurde. Ich beginne dabei mit Szenen, die dem unteren Teil <strong>der</strong> Leiter zuzuordnen sind<br />

und gehe dann Schritt für Schritt höher, bis zur echten Partizipation.<br />

Analyse<br />

An den folgenden zwei Szenen, die Kevin und Vivien beim Interview vor dem Start des<br />

Auslandsprojekts zeigen, sieht man sehr deutlich, dass sich die Jugendlichen<br />

Partizipation und Selbstbestimmung wünschen:<br />

F1, 5:56 – 6:03<br />

Kevin wird gefilmt, während er lässig (vermutlich auf <strong>der</strong> Rückenlehne einer<br />

Parkbank) vor einem Baum sitzt und einen kurzen Monolog in die Kamera hält.<br />

Die Kapuze seines Sweatshirts trägt er trotz Sonnenscheins auf dem Kopf, in <strong>der</strong><br />

Hand hält er eine Zigarette. Während er spricht wird ein roter Kasten mit den<br />

Worten „Kevin, 15 Jahre. 'Ich lasse mir von keinem was sagen!'“ am unteren<br />

Bildschirmrand eingeblendet.<br />

Im Hintergrund ertönt zunächst leises, aber nervös wirkendes Schlagzeug-<br />

Ticken, das sich im Laufe <strong>der</strong> Szene bis hin zu einem aggressiven Trommeln<br />

steigert.<br />

Kevin: „Nur weil ich 15 bin, müssen doch nicht meine Eltern immer über<br />

F1, 13:31 – 13:52<br />

mich sagen, dass ich das machen muss. Ich hab mein eigenes<br />

Leben, ich kann doch über mein Leben selber bestimmen.“<br />

Gezeigt wird eine Aufnahme von Vivien in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Halbnah“.<br />

Sie sitzt auf dem Fensterbrett in einem offenen Fenster, draußen sieht man die<br />

grünen Zweige eines Baumes und einen Teil des Nachbarhauses. Während<br />

Vivien spricht, wird ein Kasten mit den Worten „Vivien, 16 Jahre. 'Ich wollte<br />

meine Eltern vergiften'“ eingeblendet. Bei ihrem letzten Satz sieht man sie auf<br />

einer Wiese stehen und Steine gegen ein altes Haus werfen. Einmal wackelt die<br />

Kamera kurz und scheinbar unkontrolliert, als sei sie getroffen worden.<br />

Vivien: „Jo, das auf jeden Fall, also ich kann meine Entscheidungen<br />

immerhin selber treffen, was ich mache und wo, wo ich zum<br />

Beispiel hingeh, wann ich wie<strong>der</strong>komme, o<strong>der</strong> so. Das kann ich<br />

45


alles allene machen und brauch kener sagen 'Hier, du bist um die<br />

und die Uhrzeit da, und ... du machst jetzt das und das und das.’<br />

Ne, kann ich nich ab!'“<br />

Ob <strong>der</strong> Wunsch <strong>der</strong> Teenager nach eigenen Entscheidungen im Catherine Freer Therapy<br />

Programm ihrem Alter angemessen berücksichtigt wird, möchte ich anhand einiger<br />

Szenen analysieren.<br />

Bereits in den ersten Minuten <strong>der</strong> ersten Folge wird deutlich, dass die<br />

Entscheidungsträger, die die Teilnahme an diesem Projekt veranlasst haben, nicht die<br />

Jugendlichen selbst sind:<br />

F1, 0:39 – 0:49<br />

Verschiedene Aufnahmen, meist aus <strong>der</strong> Vogelperspektive, einer kargen<br />

Wüstenlandschaft, eines Sonnenaufgangs im Zeitraffer und wil<strong>der</strong> Pferde mit<br />

<strong>der</strong> Kameraeinstellung „Weit“. Außerdem sieht man eine Schlange, einen<br />

Gecko, eine amerikanische Flagge an einem typisch amerikanischen Briefkasten<br />

und ein Schild mit <strong>der</strong> Aufschrift „Catherine Freer. Wil<strong>der</strong>ness Therapy<br />

Expeditions“ in <strong>der</strong> Einstellung „Detail“. Viele Schnitte, also ein häufiger<br />

Wechsel von Einstellungen mit kurzer Dauer.<br />

Im Hintergrund ist aggressiv wirkende Gitarren-Musik zu hören.<br />

Sprecher: „Der letzte Ausweg für die ratlosen Eltern liegt tief im Wilden<br />

F4, 8:33 – 8:46<br />

Westen <strong>der</strong> USA. Hier gibt es eine Therapieeinrichtung, die seit<br />

über zwei Jahrzehnten Jugendlichen ihre Grenzen aufzeigt:<br />

Catherine Freer Wil<strong>der</strong>ness Expeditions.“<br />

David sitzt im Schnei<strong>der</strong>sitz vor einem Baum auf dem staubigen Boden. Er sieht<br />

krank aus, seine Augen scheinen viel kleiner als sonst, er trägt eine graue<br />

Wollmütze obwohl die Sonne scheint. Links erscheint ein Kasten mit den<br />

Worten 'David, 17 Jahre. Junkie'.<br />

Ruhige Musik im Hintergrund.<br />

46


David: (sehr ruhig und nachdenklich) „Und ich geb euch nen Tipp, d i e,<br />

meine Kumpels, die kiffen und so, wenn ihr ... nicht hier her<br />

wollt, nach Amerika, in dieses Free-Camp-Therapie, dann hört<br />

auf so schnell mit dem Kiffen wie's geht. Weil eure Eltern können<br />

euch im Null-Komma-Nichts hier anmelden.“<br />

Diese beiden Zitate zeigen, dass es sich augenscheinlich um eine Lösung für die Eltern<br />

<strong>der</strong> Teenager handelt; die Jugendlichen selbst werden nicht erwähnt. Da von einer<br />

vorangegangenen Befragung <strong>der</strong> Jugendlichen o<strong>der</strong> einer Diskussion nicht die Rede ist,<br />

muss man davon ausgehen, dass es sich um die unterste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter,<br />

also um Manipulation, handelt. Auch die Formulierung „(…) Jugendlichen ihre<br />

Grenzen aufzeigt“ macht deutlich, dass es nicht um Verhandlungen, son<strong>der</strong>n um eine<br />

bloße Begrenzung <strong>der</strong> selbstbestimmten Aktivitäten <strong>der</strong> Teenager geht. Statt diese<br />

Aktivitäten zu nutzen, zu för<strong>der</strong>n und weiterzuentwickeln, sollen sie gebremst und<br />

unterdrückt werden. Wie dieses „Grenzen aufzeigen“ genau aussieht, wird in <strong>der</strong><br />

folgenden Szene deutlich:<br />

F1, 1:13 – 1:20<br />

Bil<strong>der</strong> von einigen Jugendlichen, die in <strong>der</strong> Natur Holz hacken und anschließend<br />

die Scheite auf einen Lastwagen laden. Im Kontrast dazu jeweils eine Aufnahme<br />

von Andreas, <strong>der</strong> raucht und Vivien, die etwas aus einer Flasche trinkt. Noch<br />

immer viele kurze Einstellungen hintereinan<strong>der</strong>.<br />

Im Hintergrund aggressive Gitarren-Musik.<br />

Sprecher: „Bei Catherine Freer sollen die Jugendlichen durch harte Arbeit<br />

und eiserne Disziplin zu verantwortungsvollen Menschen<br />

werden.“<br />

Die Ausgestaltung des Programms ist also vorherbestimmt, die Jugendlichen haben die<br />

Aufgabe, an <strong>der</strong> harten Arbeit teilzunehmen und sie mit eiserner Disziplin<br />

durchzuhalten. Da auch hier von Gesprächen o<strong>der</strong> Diskussionen nicht die Rede ist, wird<br />

es sich um die unterste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter, die Manipulation handeln. Wie<br />

man durch bloßes befolgen von Regeln zu einem verantwortungsvollen Menschen<br />

werden kann, bleibt jedoch unbeantwortet.<br />

47


F1, 3:21 – 3:26<br />

Verschiedene Aufnahmen am Frankfurter Flughafen: Eine Abflugzeiten-Tafel,<br />

Stacey, die neben ihrer kleinen Schwester und ihrer Mutter auf die Kamera zu<br />

läuft, Stacey allein, weinend in <strong>der</strong> Einstellung „Groß“.<br />

Im Hintergrund weiterhin Gitarren-Musik.<br />

Sprecher: „Wann sie (die Teenager, D.S.) wie<strong>der</strong> zurück dürfen, hängt<br />

F1, 16:05 – 16:11<br />

allein von ihrem Verhalten in <strong>der</strong> Therapie ab“<br />

Kameraflug in <strong>der</strong> Einstellung „Weit“ über eine Landschaft und einige Häuser in<br />

einer sonst sehr kargen Wüstengegend, dabei eine unruhige Kameraführung.<br />

Im Hintergrund weiterhin Gitarrenmusik.<br />

Sprecher: „Wann diese Herausfor<strong>der</strong>ung endet bestimmen sie (die<br />

Jugendlichen, D.S.) selbst. Je mehr sich die Teenager<br />

wi<strong>der</strong>setzen, umso länger dauert die Therapie.“<br />

Auch an <strong>der</strong> Entscheidung, wann das Projekt beendet wird, sind die Jugendlichen<br />

demnach nur indirekt beteiligt. Indem sie sich wie von den Betreuern gewünscht<br />

verhalten, können sie sie zwar positiv beeinflussen, von Partizipation kann jedoch nicht<br />

die Rede sein, da sie dabei völlig von den Professionellen und <strong>der</strong>en gutem Willen<br />

abhängig sind. Für eigene Entscheidungen und Aktivitäten, die gegen die Regeln des<br />

Programms gehen, werden sie mit einem längeren Aufenthalt bestraft. Die Teilnahme<br />

an diesem Projekt von vorne herein als Strafe anzukündigen ist jedoch problematisch,<br />

da sich die Jugendlichen so we<strong>der</strong> auf das Programm einlassen, noch positive<br />

Erwartungen und eigene Ziele entwickeln können.<br />

Auch die folgenden Szenen zeigen, dass die Jugendlichen bei manchen Entscheidungen<br />

we<strong>der</strong> informiert, noch nach ihrer Meinung gefragt werden. Es handelt sich also wie<strong>der</strong><br />

um die unterste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter, die Manipulation:<br />

F1, 22:38 – 22:49<br />

Während Annegret Noble zu sprechen beginnt sieht man eine Nahaufnahme von<br />

Stacey, die vor Kami an einer Wand hockt und genervt vor sich hin starrt. Dann<br />

48


Frau Noble in „Groß“ vor einer orangefarbenen Wand. Am unteren Bildrand<br />

werden die Worte „Annegret Noble. Cheftherapeutin“ eingeblendet.<br />

Im Hintergrund hört man leise Gespräche.<br />

Annergret: „Wir haben im Moment den erwarteten Wi<strong>der</strong>stand, die Kin<strong>der</strong><br />

wissen nicht genau, was sie erwartet und ich denke, dass können<br />

sie auch nicht wissen, bis sie 's wirklich erleben und das ist auch<br />

in Ordnung.“<br />

F1, 1:18:28 – 1:18:33<br />

Zuerst Großaufnahmen von den Füßen <strong>der</strong> Jugendlichen. Dann schwenkt die<br />

Kamera hoch, bis sie in <strong>der</strong> amerikanischen Einstellung zu sehen sind. Mit<br />

großen Rucksäcken und Wan<strong>der</strong>stöcken laufen sie hintereinan<strong>der</strong> her durch die<br />

Wüstenlandschaft.<br />

Laute Rockmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Die Teenager wissen nicht, wie lange sie heute laufen müssen<br />

und wohin die Reise geht.“<br />

Annegret Noble bemerkt zwar den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Jugendlichen und sieht diesen auch<br />

im Zusammenhang mit <strong>der</strong>en Informationsdefiziten bezüglich des weiteren Verlaufs des<br />

Programms, die Frage, warum man die Beteiligten nicht aufklärt, um ihnen ihre Ängste<br />

zu nehmen und die Situation zu entschärfen, bleibt jedoch unbeantwortet. Die Betreuer<br />

verpassen somit die Chance, die Jugendlichen von dem Projekt zu überzeugen und<br />

ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit <strong>der</strong> Maßnahme zu identifizieren. Viele<br />

weitere Szenen belegen, was <strong>der</strong> Sprecher hier erwähnt: Die Jugendlichen werden nicht<br />

über das, was auf die zukommt, informiert. Marlies Luepges erklärt die<br />

dahinterstehende Überlegung:<br />

F2, 43:41 – 43:58<br />

Die Teenager werden zuerst mit ihrer Wan<strong>der</strong>ausrüstung im Halbkreis stehend<br />

gezeigt. Dann verkleinert sich diese Aufnahme zu einem Kasten auf <strong>der</strong> rechten<br />

Seite des Bildes. Links erscheint ein Kasten mit Marlies Gesicht in<br />

Großaufnahme. Dieser Kasten wächst während ihrer Worte, bis er schließlich<br />

49


das ganze Bild füllt. Unten links erscheint die Information „Marlis Luepges.<br />

Betreuerin“.<br />

Marlies: „Ich .. erwarte, dass sie überrascht sein werden, wenn sie sehen,<br />

dass Dzeneta nicht mehr mit ihnen dabei ist, ich nehme an, dass<br />

auch ’n bisschen ’n Schockeffekt haben könnte, das erhoffen wir<br />

uns eigentlich auch, damit sie schon wissen, dass wir, wenn<br />

Jugendliche nicht so mitmachen wie wir uns das erwünschen,<br />

dass es auch Konsequenzen hat.“<br />

Frau Luepges erläutert, dass sich die Professionellen sogar erhoffen, dass die<br />

Jugendlichen geschockt sind und sich aus Angst angepasst verhalten. Von einer<br />

Beteiligung <strong>der</strong> Jugendlichen wird also sehr bewusst Abstand genommen, um<br />

überraschend und unerwartet handeln zu können. Dieses Verhalten wird wahrscheinlich<br />

dazu führen, dass die Jugendlichen eine abwartende und abweisende Haltung<br />

einnehmen, da sie immer wie<strong>der</strong> neue, unangenehme Überraschungen befürchten<br />

müssen. Dass dieser Zustand <strong>der</strong> Ungewissheit für die Jugendlichen belastend und<br />

beängstigend ist, beweist folgendes Zitat:<br />

F4, 26:46 – 26:54<br />

Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig<br />

allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinan<strong>der</strong> entfernt stehen.<br />

Pascal sitzt im Schatten eines Baumes mit angezogenen Beinen auf dem Boden.<br />

Am unteren Bildschirmrand wird „Pascal, 17 Jahre. Dealer“ eingeblendet.<br />

Während er spricht wird Annegret Noble gezeigt, die hinter einem Lagerfeuer<br />

sitzend die Tagebücher <strong>der</strong> Jugendlichen liest. Hierbei ist das Feuer, das sich im<br />

Vor<strong>der</strong>grund befindet, scharf aufgenommen, Frau Noble unscharf.<br />

Langsame Geigenmusik im Hintergrund.<br />

Pascal: (traurig) „Ja, hier das einsam sein, das ist schon scheiße. Ich<br />

hoffe, dat dat nur zwei Monate sind, nicht drei“<br />

Die Jugendlichen geben in Interviewsequenzen immer wie<strong>der</strong> an, wie einsam, isoliert<br />

und deprimiert sie sich während <strong>der</strong> Zeit des „Solos“ fühlen. Die Information, für<br />

welchen Zeitraum diese Phase geplant ist, würde ihnen helfen, sich auf die Situation<br />

50


einzustellen. Im Gegensatz zu dem Zuschauer, <strong>der</strong> weiß, dass das Solo auf wenige Tage<br />

beschränkt ist, sind die Teenager völlig ahnungslos. Pascal geht sogar von zwei bis drei<br />

Monaten aus, was für ihn eine beängstigende Vorstellung sein muss. Diese völlige<br />

Unklarheit über den Verlauf <strong>der</strong> nächsten Tage, Wochen und Monaten macht die<br />

Jugendlichen abhängig und machtlos und schließt jegliche Partizipation aus.<br />

F4, 15:45 – 15:57<br />

Situation: Nach Andreas' Fluchtversuch haben sich die Betreuer über<br />

Konsequenzen für diesen Regelverstoß unterhalten. Marlies kommt nun mitten<br />

in <strong>der</strong> Nacht in Andreas Zelt und verlangt von ihm, alles in 15 Minuten zu<br />

packen und abzubauen.<br />

Marlies kniet vor Andreas' Zelt und schaut zu ihm hinein. Andreas liegt in<br />

seinem Schlafsack, hat sich auf einen Arm aufgestützt und schaut Marlies<br />

verschlafen an. Um die beiden herum ist es dunkel.<br />

Im Hintergrund hört man sehr leise Gitarrenmusik.<br />

Marlies: (sehr bestimmt) „Ich möcht, dass du alles packst und dich zum<br />

F3, 3:59 – 4:08<br />

Schluss auf den Rucksack setzt und da auf uns wartest. Keine<br />

Fragen, 15 Minuten, du bist immer noch auf Solo, du kannst nicht<br />

mit uns sprechen. Wir sprechen!“<br />

Situation: Dzeneta wurde von <strong>der</strong> Gruppe getrennt und soll nun alleine wan<strong>der</strong>n.<br />

Neben Marlies begleitet sie noch eine neue Mitarbeiterin, die Marlies Dzeneta<br />

vorstellt.<br />

Eine Aufnahme von Tanja, die mit einem großen Rucksack bepackt im Feld<br />

steht und lächelt. Dann sieht man Marlies und Dzeneta, ebenfalls mit ihren<br />

Wan<strong>der</strong>sachen, gefolgt von einer Detailaufnahme von Dzenetas lachendem<br />

Gesicht, das zur Hälfte von ihrem Sonnenhut bedeckt ist.<br />

Marlies: „Da drüben ist die Tanja.“<br />

Dzeneta: „Wir wan<strong>der</strong>n zu dritt o<strong>der</strong> wie?“<br />

Marlies: „Psch! Ich möcht als erstes, möchte ich, dass du still bist. ... Du<br />

wirst nur dann sprechen, wenn wir das sagen.“<br />

51


Dzeneta: (grinst und lacht tonlos vor sich hin, schüttelt dabei ungläubig<br />

den Kopf).<br />

Diese Szenen zeigen, dass die Jugendlichen in manchen Situationen nicht nur keine<br />

Informationen bekommen, son<strong>der</strong>n dass ihr Wunsch nach Auskunft sogar unterdrückt<br />

wird, indem ihnen das Sprechen und somit das Nachfragen verboten wird. Eine<br />

Partizipation ist somit vollkommen ausgeschlossen und das unterste Ende <strong>der</strong><br />

Partizipationsleiter ist erreicht.<br />

Die Jugendlichen selbst, in diesem Fall Kevin, beklagen immer wie<strong>der</strong> das mangelnde<br />

Mitspracherecht:<br />

F2, 31:31 – 31:34<br />

Links im Bild befindet sich ein Kasten mit Kevins Gesicht, das halb unter seiner<br />

Mütze verschwindet, in „Detail“-Aufnahme. Im rechten Kasten sieht man ihn<br />

mit einer Kappe in „Groß“, als er gerade ein Interview gibt. Bei beiden<br />

Aufnahmen weint er.<br />

Kevin: „Das ist hier schlimmer als im Knast. Die zwingen mich zum<br />

kochen obwohl ich keinen Hunger habe, zwingen mich zu<br />

trinken, obwohl ich keinen Durst habe.“<br />

Obwohl es verständlich ist, dass Kevin in <strong>der</strong> Wüste aufgrund <strong>der</strong> klimatischen<br />

Bedingungen und körperlichen Anstrengungen ausreichend essen und trinken muss,<br />

sollten die Professionellen ihm diese Notwendigkeit erklären, statt ihn einfach zur<br />

Nahrungsaufnahme zu zwingen. Für Kevin scheint das Verhalten <strong>der</strong> Betreuer somit<br />

eine willkürliche Gemeinheit zu sein, <strong>der</strong>en einziger Sinn es ist, Regeln durchzusetzen.<br />

Ohne die nötigen Informationen kann nicht von Partizipation gesprochen werden.<br />

Die folgenden beiden Szenen zeigen Situationen, die auf <strong>der</strong> Partizipationsleiter einen<br />

Grad höher, also bei <strong>der</strong> Therapie, einzustufen sind.<br />

F1, 28:22 – 28:56<br />

Situation: Es ist <strong>der</strong> Ankunftstag und Vivien will unbedingt wie<strong>der</strong> nach Hause.<br />

52


Sie sitzt an die Wand gelehnt auf dem Betonboden eines Kellerraumes. Neben<br />

ihr sitzt ein Mann, links im Bild kniet Annegret Noble. Vivien hat ein rotes<br />

Gesicht, verquollene Augen, sie schreit und weint, sie hyperventiliert fast.<br />

Vivien: (schreit) „Ich will hier weg und zwar sofort!“<br />

Annegret: „Ich denke, du hast ein bisschen u n realistische Erwartungen im<br />

Moment, weil deine Entscheidung...“<br />

Vivien: „Das ist mir jetzt so scheißegal, was sie denken, ich will einfach<br />

nur noch nach Hause und darum soll sich jetzt irgendjemand<br />

drum kümmern, damit ich hier weg komm- (schluchzt) komme.“<br />

Annegret: „Wie gesagt, Deine Entscheidung ist wirklich mehr, ob du dich<br />

jetzt umziehst o<strong>der</strong> später.“<br />

Vivien: (brüllt) „Ich zieh mich gar nicht um. Ich will einfach nur nach<br />

Hause, warum begreifst du das nicht?“ (schluchzt laut)<br />

Annegret: (seufzt) „Sieht so aus, als ob ich dir im Moment nicht helfen kann.<br />

Es tut mir leid.“ (Steht auf und geht)<br />

Vivien äußert klar ihre Vorstellungen, sie will das Projekt abbrechen und zurück nach<br />

Hause fliegen. Annegret Noble gibt ihr zwar die Gelegenheit, darüber zu sprechen, mit<br />

den Worten „du hast ein bisschen unrealistische Erwartungen im Moment“ macht sie<br />

jedoch deutlich, dass Viviens Meinung bei den Entscheidungen nicht berücksichtigt<br />

wird, da sie nicht ernst zu nehmen ist. Diese Abwertung führt bei Vivien zu Wut und<br />

Verzweiflung, da sie merkt, dass sie an ihrer Situation nichts verän<strong>der</strong>n kann und von<br />

den Professionellen völlig abhängig ist. Das könnte dazu führen, dass sie in Zukunft<br />

alles einfach über sich ergehen lässt und sich unterordnet. Diese Form <strong>der</strong> erlernten<br />

Hilflosigkeit würde selbständige Aktivitäten ihrerseits und somit die Möglichkeit, sich<br />

zu entwickeln, verhin<strong>der</strong>n.<br />

F4, 12:44 – 12:56<br />

Links im Bild ist ein Kasten mit einer Großaufnahme von Annegret Noble, die<br />

ein Interview gibt. Im Kasten rechts sieht man Pascal auf sein Zelt zugehen. Ein<br />

männlicher Betreuer beobachtet ihn dabei und ruft ihm etwas zu. Dann<br />

vergrößert sich <strong>der</strong> Kasten mit Annegrets Kopf, bis er den gesamten Bildschirm<br />

ausfüllt. Einblende: 'Annegret Noble. Cheftherapeutin.“<br />

53


Annegret: (leicht grinsend) „Wir geben ihnen .. das, was sie brauchen, nicht<br />

unbedingt das, was sie wollen, damit sie lernen, was wirklich<br />

wichtig im Leben ist. Und wir vermitteln ihnen Einsichten, die<br />

ihnen helfen, sich selbst und ihr Leben besser zu verstehen.“<br />

Mit den Worten „das, was sie brauchen, nicht unbedingt das, was sie wollen“ unterstellt<br />

Annegret Noble, dass sie die Bedürfnisse <strong>der</strong> Jugendlichen besser einschätzen kann, als<br />

diese selbst. Des Weiteren behauptet sie, dass die Heranwachsenden sich selbst und ihr<br />

Leben nicht, o<strong>der</strong> zumindest nicht richtig, verstehen. Sie geht davon aus, dass die<br />

Teenager nicht dazu in <strong>der</strong> Lage sind, eigene, für sie richtige Entscheidungen zu treffen<br />

und rechtfertigt so, dass sie ihnen diese abnimmt.<br />

Die folgenden Szenen stehen beispielhaft für Situationen, in denen den Jugendlichen<br />

schon ein größeres Maß an Partizipation zugesprochen wird. Es handelt sich um die<br />

Stufe <strong>der</strong> Quasi-Beteiligung.<br />

F1, 29:40 – 29:55<br />

Situation: Stacey will sich nicht umziehen.<br />

Sie hockt in einem Raum an eine Wand gelehnt, Marlies Luepges befindet sich<br />

neben ihr, sie hat ihre Hand auf Stacey Schulter gelegt. Im Hintergrund ist ein<br />

Mann zu sehen. Zwischendurch wird Staceys Gesicht im Detail gezeigt, sie<br />

weint.<br />

Marlies: „Du brauchst die Klamotten, die du brauchst, um da draußen dich<br />

wohl zu fühlen.“<br />

Stacey: „Und noch mal, ich habe auch gesagt, ich möcht nicht in <strong>der</strong><br />

Wildnis. Alles... (murmelt weiter)<br />

Marlies: „Okay. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe. Das ist alles.“<br />

(steht auf und geht)<br />

Stacey: „Ja siehst du, du gehst jetzt weg und kener hört mir zu.“<br />

(schluchzt)<br />

Marlies Luepges erklärt Stacey, dass sie für das Leben in <strong>der</strong> Wildnis beson<strong>der</strong>e<br />

Kleidung braucht. Da sie sich jedoch nicht auf eine Diskussion mit ihr einlässt, handelt<br />

54


es sich nicht um Beratung son<strong>der</strong>n lediglich um die unterste Stufe <strong>der</strong> Quasi-<br />

Beteiligung, um Information. Die Entscheidung bleibt nach wie vor bei den Betreuern.<br />

F3, 34:25 – 34:36<br />

Situation: Die Jugendlichen nehmen an einer Therapiestunde zum Thema<br />

Drogen teil. David hat dazwischen gesprochen und musste den Kreis verlassen.<br />

Kami for<strong>der</strong>t ihn nun auf, so nah an die Gruppe heran zu kommen, dass er<br />

zuhören kann.<br />

Der Teenager sitzt fernab <strong>der</strong> Gruppe auf dem Boden, schaut nach unten und<br />

spielt mit einem Stock. Kurz werden die an<strong>der</strong>en Jugendlichen eingeblendet, die<br />

in einem Halbkreis zusammen sitzen.<br />

Kami: „Ich denke diese Gruppe ist für dich sehr wichtig und ich möchte,<br />

dass du auch da rüber gehst und es dir zuhörst.“<br />

David: (genervt) „Boah ey, siehste, dat verstehst du schon wie<strong>der</strong> gar<br />

nich, wat soll ick denn da (zeigt mit dem Stock in Richtung<br />

Gruppe) machen, wenn ick da noch nichtmals was sagen darf?“<br />

Auch in <strong>der</strong> Therapiestunde handelt es sich um die Stufe <strong>der</strong> Information, denn die<br />

Jugendlichen werden aufgeklärt, äußern dürfen sie sich jedoch nicht. Hier wird sehr<br />

deutlich, dass David das nicht ausreicht. Er möchte nicht nur zuhören, was die<br />

Erwachsenen zu sagen haben, er möchte sich beteiligen und diskutieren, da er sonst<br />

keinen Sinn in dieser Runde sieht.<br />

F1, 22:13 – 22:39<br />

Situation: Die Jugendlichen haben erfahren, dass sie während <strong>der</strong> Therapie nicht<br />

rauchen dürfen.<br />

Stacey und Kami Schott stehen sich in einem weißen Kellerraum gegenüber.<br />

Stacey, die Arme in die Seiten gestemmt, sieht man seitlich im Vor<strong>der</strong>grund,<br />

Kami Schott mit vor <strong>der</strong> Brust verschränkten Armen frontal etwas weiter hinten.<br />

Stacey: (die Tonlage eine Mischung aus gereizt und verzweifelt): „Ich bin<br />

abhängig. Das weiß ich. Ich werd aggressiv ohne Nikotin.“<br />

Kami: (nickt dabei ruhig, fast gelangweilt und mit geschlossenen Augen)<br />

„Hmm.“<br />

55


Erst Detailaufnahme von Staceys Gesicht, sie scheint mit den Tränen zu<br />

kämpfen. Dann zoomt die Kamera heraus, so dass man auch Frau Schott sehen<br />

kann. Beide hocken mittlerweile gegen die Wand gelehnt am Boden.<br />

Kami: „Ich weiß, dass hier in dem Programm kein, kein Rauchen, kein<br />

gar nichts eigentlich erlaubt ist, das ist nicht was persönliches<br />

gegen dich, o<strong>der</strong>…“<br />

Stacey: (unterbricht sie, fährt etwas lauter fort) „Das ist mir egal! Ich<br />

mach ohne Nikotin nischt (schnieft). Und somit ist die Therapie<br />

für mich abgebrochen.“ (Stacey schaut vor sich hin, an Kami<br />

Schott vorbei).<br />

Kami: (untersucht vor und nach dem Sprechen ihre Fingernägel,<br />

gestikuliert während ihres Satzes jedoch mit den Armen) „Also<br />

für dich ist das wirklich unvorstellbar, ne, geht nicht.“<br />

Stacey: „Geht nicht. Es geht nicht ohne Nikotin, ich werd aggressiv und<br />

Einige Sekunden Schweigen.<br />

kann mich selber nicht mehr kontrollieren.“ (Sie schaut zu Frau<br />

Schott, doch diese dreht ihren Kopf weg).<br />

Im Hintergrund Töne eines Streichinstrumentes, die Unheilvolles anzukündigen<br />

scheinen.<br />

Auch in dieser Szene handelt es sich um Quasi-Beteiligung, aber schon um die etwas<br />

höhere Stufe <strong>der</strong> Beratung. Kami Schott diskutiert mit Stacey, hört sich geduldig an,<br />

was sie zu sagen hat und teilt ihr offen und ehrlich mit, dass ihre Wünsche lei<strong>der</strong><br />

aufgrund <strong>der</strong> vorherrschenden Regeln nicht berücksichtigt werden können („Ich weiß,<br />

dass hier in dem Programm kein, kein Rauchen, kein gar nichts eigentlich erlaubt ist,<br />

das ist nicht was persönliches gegen dich, o<strong>der</strong>…“). Die Entscheidung bleibt zwar bei<br />

den Betreuern, eine Diskussion mit <strong>der</strong> Jugendlichen wird jedoch zugelassen.<br />

In <strong>der</strong> folgenden Situation lässt sich eine Entwicklung von Manipulation bis zur Stufe<br />

<strong>der</strong> Wertschätzung beobachten:<br />

F1, 23:50 – 24:06, 24:36 – 24:55<br />

Situation: Dzeneta soll ihre Klei<strong>der</strong> ausziehen und ihre Wertgegenstände<br />

abgeben.<br />

Sie befindet sich in einer weißen Kammer, Marlies Luepges steht davor und<br />

schaut zu Dzeneta rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so<br />

56


dass man Dzeneta aus <strong>der</strong> Froschperspektive erst in <strong>der</strong> „Halbtotalen“, dann in<br />

<strong>der</strong> „amerikanischen“ Einstellung sieht.<br />

Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.<br />

Marlies: „Du wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten<br />

Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“<br />

Dzeneta: (grinsend) „Ach echt.“<br />

Marlies: (klatscht in die Hände) „Wie siehts denn aus? Möchtest du, bist<br />

du parat, die Schuhe auszuz i e h e n, o<strong>der</strong> die, die äh…(Dzeneta<br />

zieht ihre Schuhe aus, und Marlies steckt sie in einen großen<br />

Beutel) .... So.“<br />

Etwas später: Dzeneta will ihr Mobiltelefon nicht abgeben.<br />

Marlies: „Das ist auch wie<strong>der</strong> ein riesen Risiko. Wenn du das mit ins Feld<br />

nimmst...“<br />

Dzeneta: „Hm?“<br />

Marlies: (schüttelt den Kopf) da kann ich nicht garantieren, dass das ganz<br />

bleibt.“ (Sie hält Dzeneta eine Tüte hin, in die sie das Handy<br />

werfen soll.)<br />

Dzeneta: (grinst) „Mann, mein Handy!“<br />

Marlies: „Ich verst...“<br />

Dzeneta: (jammert gespielt, schaut auf ihr Handy) „Hmmm...“<br />

Marlies: (freundlich, ermutigend) „Komm schon! Du kannst das!“<br />

Dzeneta: (atmet tief aus, schüttelt den Kopf, lächelt nicht mehr)<br />

Marlies: „Befrei Dich!“<br />

Dzeneta: (wirft das Handy in die Tüte) „Ihr seid so asozial! Ich schwör auf<br />

meine Mutter“<br />

Marlies: (anerkennend) „Puh! Das ist ein großer Schritt!“<br />

Marlies Luepges erste Worte „Du wirst…“ machen eigentlich deutlich, dass <strong>der</strong> weitere<br />

Verlauf schon feststeht und keine Verhandlungen möglich sind, womit es sich um die<br />

Partizipationsstufe Manipulation handelt. Dann wird Dzeneta jedoch gefragt, ob sie sich<br />

umziehen möchte, ob sie „parat“ ist, was eine Diskussion erlauben würde. Da man nicht<br />

weiß, wie Frau Luepges auf Wi<strong>der</strong>sprüche von Dzeneta reagiert hätte, lässt sich die<br />

genaue Stufe <strong>der</strong> Partizipation nicht bestimmen. Als sie ihr jedoch erklärt, warum sie ihr<br />

57


Mobiltelefon nicht mit in die Wüste nehmen sollte, handelt es sich um die Informations-<br />

Stufe. Durch das gute Zureden und das Lob am Ende dieser Sequenz wird deutlich, dass<br />

Marlies Luepges um Dzenetas Zustimmung bemüht ist. Würde es das weitere Vorgehen<br />

beeinflussen, wenn die Jugendliche die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Betreuerin ablehnte, wäre diese<br />

Szene <strong>der</strong> Stufe Wertschätzung zuzurechnen.<br />

Die nachstehenden Szenen zeigen Situationen, in denen den Jugendlichen echte<br />

Partizipation zugesprochen wird.<br />

F1, 25:30 – 25:55, 26:22 – 26:36<br />

Situation: Dzeneta soll sich komplett entkleiden, in die Hocke gehen, die Arme<br />

hochhalten und sich einmal um 360 Grad drehen.<br />

Man sieht abwechselnd Marlies, die vor einer Kammer steht und Dzeneta, in<br />

einer „Nah“-Einstellung, die sich in <strong>der</strong> Kammer befindet.<br />

Langsame Töne einer E-Gitarre und eines Schlagzeugs im Hintergrund.<br />

Marlies: „Und Dzeneta?“<br />

Dzeneta: „Nein!“<br />

Marlies: „Ich kann Dir sagen...“<br />

Dzeneta: „Ich mach das nicht!“<br />

Marlies: (schaut Dzeneta intensiv an und atmet schwer aus) „So leid es<br />

mir tut, du wirst es machen müssen.“<br />

Dzeneta: „Ich werd's nicht machen.“<br />

Marlies: „Entwe<strong>der</strong> jetzt hier .. o<strong>der</strong> später, in einem weniger ..<br />

angenehmen Umfeld.“<br />

Dzeneta: „Ich mach es nicht, nein. .. Das geht aber wirklich nicht, ich<br />

mein's ernst.“<br />

Marlies: „Das wird schwierig, hm?“<br />

Dzeneta: „Eh, es wird nicht, es wird einfach nicht gehen!“<br />

Etwas später:<br />

Marlies: „Kannst du dir vorstellen, deinen, deinen BH auszuziehen, in,<br />

wenn du mir den Rücken zudrehst? Und den neuen anzuziehen?“<br />

Dzeneta: (grinst ein wenig) „Das ist hier echt .. psychisch krank.“<br />

Marlies: (strahlt, als sie Dzeneta den neuen BH reicht) „Danke schön!“<br />

Dzeneta: „Ihr seid voll krank, ich hasse euch, woa?“<br />

58


Marlies Luepges informiert Dzeneta eingehend darüber, wie sie sich beim Entkleiden zu<br />

verhalten hat. Mit den Worten „So leid es mir tut, du wirst es machen müssen.“, teilt sie<br />

ihr mit, dass Dzenetas Meinung nicht berücksichtigt werden kann. Sie zeigt jedoch<br />

Verständnis und ist um die Zustimmung <strong>der</strong> Jugendlichen bemüht. Hiermit würde es<br />

sich also nur um „Quasi-Beteiligung“ handeln. Dann än<strong>der</strong>t Frau Luepges allerdings die<br />

Regeln und schlägt Dzeneta vor, ihr den Rücken zuzudrehen, während sie ihren BH<br />

auszieht. Die Jugendliche hatte somit Einfluss auf die Entscheidung <strong>der</strong> Betreuerin. Da<br />

Dzeneta dieses Angebot annimmt, handelt es sich um eine partnerschaftliche<br />

Aushandlung. Obwohl sie noch etwas herumschimpft, kann man davon ausgehen, dass<br />

beide Parteien mit <strong>der</strong> Lösung zufrieden sind. Dass Marlies mit diesem Vorgehen<br />

Dzeneta dazu bewegen kann, ihre Sachen auszuziehen, zeigt, dass die Jugendliche dazu<br />

bereit ist, sich auf das Programm einzulassen, wenn ihre Bedürfnisse und Wünsche<br />

berücksichtigt werden.<br />

F3, 11:39 – 11:56<br />

Situation: Dzeneta ist schon ein großes Stück gewan<strong>der</strong>t und soll nun<br />

entscheiden, ob sie noch weiter wan<strong>der</strong>n möchte.<br />

Abwechselnd werden Dzeneta und Marlies in verschiedenen Einstellungsgrößen<br />

gezeigt, die gegenüber voneinan<strong>der</strong> auf dem Boden hocken.<br />

Marlies: „Variante eins .. ist, dass wir .. hier ne kurze Pause machen .. und<br />

weiter wan<strong>der</strong>n, o<strong>der</strong> Variante zwei wäre, dass wir hier unser<br />

Nachtlager aufschlagen .. u n d, ähm, dann morgen aber umso<br />

weiter laufen müssen.“<br />

Marlies Luepges fragt Dzeneta, ob sie weiter wan<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> ihre Zelte aufstellen wollen.<br />

Unterschwellig rät sie ihr zwar weiterzuwan<strong>der</strong>n, letztendlich überläst sie ihr aber die<br />

Entscheidung. Somit handelt es sich um die Delegation von Entscheidungskompetenzen<br />

an die Jugendliche und die zweithöchste Stufe <strong>der</strong> Partizipationsleiter.<br />

F1, 58:14 – 58:52<br />

Situation: Dzeneta will keinen Sonnenhut tragen.<br />

59


Dzeneta und Annegret stehen in <strong>der</strong> prallen Sonne auf einem staubigen Weg in<br />

<strong>der</strong> Wüste, die Kamera schwenkt während des Dialoges zwischen den beiden hin<br />

und her. Im Hintergrund ist ein Mann zu sehen.<br />

Heavy-Metal-Klänge als Hintergrundgeräusche.<br />

Annegret: „Das Problem ist, dass du was auf dem Kopf haben musst, weil<br />

die Sonne dich sonst krank macht.“<br />

Dzeneta: „Die macht mich nicht krank!“<br />

Annegret: „Wenn du irgendwas Kreatives findest, um dir das auf den Kopf<br />

zu packen, hab ich kein Problem...“<br />

Dzeneta: „Ich setz mir doch keine Scheiße auf den Kopf!“<br />

Annegret: „Kein Problem damit, du musst was auf dem Kopf haben. Wenn<br />

du keine Verantwortung für dein Leben übernimmst, dann werden<br />

wir es tun. Und ich geb dir jetzt zwei Minuten dir da was<br />

auszudenken, wenn du in dein Zelt gehen willst...“<br />

Dzeneta: „Nein, ohne scheiß, ich will nichts. Nein!“<br />

Annegret: „Und dir was überlegen möchtest...“<br />

Dzeneta: „Nein.“<br />

Annegret: „Dann kannst du es gerne machen...“<br />

Dzeneta: „Nein.“<br />

Annegret: „ Du hast jetzt zwei Minuten...“<br />

Dzeneta: „Nein.“<br />

Annegret: „Und danach ist dann deine Entscheidung entwe<strong>der</strong> du hast dir<br />

Dzeneta: „Ne.“<br />

was ausgedacht, o<strong>der</strong> wir übernehmen's“<br />

Annegret: „Okay. Zwei Minuten.“<br />

Dzeneta: „Ich hab mir aber nix ausgedacht und ich denk mir auch nix aus“<br />

Da Dzeneta sich weigert, einen Sonnenhut zu tragen, gibt Annegret Noble ihr die<br />

Möglichkeit, sich eine an<strong>der</strong>e Kopfbedeckung auszudenken. Frau Noble besteht jedoch<br />

darauf, dass Dzeneta überhaupt etwas aufsetzt und lässt ihr nicht die Wahl, sich<br />

ungeschützt in <strong>der</strong> Sonne aufzuhalten. Daher handelt es sich auch hier um die<br />

Delegation von Entscheidungskompetenzen an Dzeneta. Sollte sie sich jedoch weigern,<br />

diese Möglichkeit wahrzunehmen, macht Frau Noble ihr mit den Worten „o<strong>der</strong> wir<br />

übernehmen's“ klar, dass ihr dann jedes Mitspracherecht genommen wird.<br />

60


F1, 27:18 – 27:24<br />

Situation: Dzeneta soll sich zwischen zwei Sonnenhüten für einen entscheiden.<br />

Sie und Marlies befinden sich beide im Bild, die Einstellung ist „Amerikanisch“.<br />

Dzeneta: „Ich werd sowas nicht anziehen. Iiiih!“<br />

Marlies: (freundlich abwehrend) „Okay, okay. Ich will dir nur, ich will nur<br />

sicherstellen, dass du einen mit dabei hast.“ (Packt den Hut in<br />

Dzenetas Tasche).<br />

Die Entscheidung, welchen von zwei Hüten Dzeneta mitnehmen möchte, darf sie völlig<br />

autonom treffen. Es handelt sich hierbei also um die höchste Stufe <strong>der</strong><br />

Partizipationsleiter. Als sie sich weigert, sich zu entscheiden, zwingt Marlies Luepges<br />

sie nicht, son<strong>der</strong>n nimmt ihr die Entscheidung ab. Ob Dzeneta überhaupt einen Hut<br />

mitnimmt, darf sie nicht frei entscheiden. Es handelt sich hier um einen sehr kleinen<br />

und unbedeutenden Bereich, bei dem die Jugendliche autonom entscheiden darf. Es ist<br />

meiner Meinung nach bezeichnend, dass diese Szene die einzige innerhalb <strong>der</strong> ersten<br />

vier Folgen ist, die die Partizipationsstufe „Autonomie“ zeigt.<br />

Die Analyse <strong>der</strong> Partizipationsmöglichkeiten hat gezeigt, dass die Jugendlichen bereits<br />

an <strong>der</strong> Entscheidung, an diesem Projekt teilzunehmen, nicht beteiligt wurden. Häufig<br />

werden sie zudem über wichtige Angelegenheiten während des Programms nicht<br />

informiert, in manchen Situationen wird ihnen sogar das Nachfragen verboten. In diesen<br />

Fällen ist Partizipation natürlich ausgeschlossen. In den sehr seltenen Szenen, in denen<br />

es zu echter Beteiligung kommt, geht es lei<strong>der</strong> fast ausschließlich um unwichtige<br />

Entscheidungen. Die Mitsprachemöglichkeiten im hier vorgefundenen Umfang sind<br />

eindeutig zu gering, um von einer dem Alter und Entwicklungsstand <strong>der</strong> Teenager<br />

angemessenen Partizipation zu sprechen. Dass sie sich unter diesen Umständen auf das<br />

Projekt einlassen und mit ihm identifizieren können, halte ich für unwahrscheinlich. Die<br />

Wirkung <strong>der</strong> Interventionen und die Entwicklungschancen für die Jugendlichen sind<br />

daher als gering einzuschätzen.<br />

61


4.3 Beziehungen<br />

Die persönlichen Netzwerke sind wichtige Ressourcen im Leben des Klienten. Eine<br />

Aufgabe <strong>der</strong> sozialpädagogischen Arbeit ist es daher einerseits, ihm beim Aufbau<br />

konstruktiver Beziehungen zu unterstützen und an<strong>der</strong>erseits, selbst eine tragfähige<br />

Beziehung zu ihm aufzubauen. Wie unter Punkt 2.3 bereits erwähnt, zählen neue<br />

Integrationsmöglichkeiten im Lebensumfeld <strong>der</strong> Jugendlichen zu den wichtigsten Zielen<br />

<strong>der</strong> erlebnispädagogischen Auslandsprojekte. Gerade weil den Jugendlichen <strong>der</strong> Serie<br />

immer wie<strong>der</strong> Rücksichtslosigkeit im Bezug auf ihre Mitmenschen unterstellt wird,<br />

scheint die Verbesserung ihrer Beziehungen ein wichtiger Ansatzpunkt. Stabile<br />

Beziehungen sind außerdem eine Voraussetzung für das Erreichen eines höheren<br />

Moralitätsniveaus. Die strafunabhängige Einhaltung von Regeln geschieht im ersten<br />

Schritt einem wichtigen Menschen zu Liebe – man verhält sich regelkonform, um den<br />

an<strong>der</strong>en nicht zu enttäuschen. Im Folgenden habe ich daher den pädagogischen Bezug,<br />

die Elternarbeit und das Verhältnis <strong>der</strong> Jugendlichen untereinan<strong>der</strong> betrachtet und daran<br />

untersucht, ob die Professionellen bei „Teenager außer Kontrolle“ um die Wichtigkeit<br />

persönlicher Beziehungen wissen und diese för<strong>der</strong>n.<br />

4.3.1 Die Beziehungen zwischen den Professionellen und den Jugendlichen: Der<br />

pädagogische Bezug<br />

Nohl definiert den pädagogischen Bezug als „das leidenschaftliche Verhältnis eines<br />

reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen,<br />

dass er zu seinem Leben und zu seiner Form komme.“ (zit. n. Colla 1999, 348) Um<br />

seiner selbst willen bedeutet hierbei, dass es um die Bedürfnisse des Jugendlichen gehen<br />

muss und nicht um die Integrationsansprüche, die die Gesellschaft an den<br />

Heranwachsenden stellt. Nohl ist davon überzeugt, dass ohne diesen Bezug alles Übrige<br />

vergeblich bleibt. Auch Colla betont, dass „ein pädagogischer Bezug … Grundlage allen<br />

pädagogischen Handelns ist.“ (ebd., 345), denn Jugendliche suchen Erwachsene, die sie<br />

verstehen und sie so akzeptieren, wie sie sind. Es geht darum, „emotionale Stützung<br />

durch gegenseitiges Geben und Erhalten von Zuneigung durch persönliche Offenheit,<br />

Verständnis, Akzeptanz, Selbstachtung und Vertrauen zu geben, daneben soll eine<br />

kognitive Unterstützung durch Information und Beiträge zur Entwicklung eines<br />

kognitiven Rahmens zur Interpretation und Konstruktion von Realität ermöglicht<br />

62


werden.“ (ebd., 354). Das Verhältnis basiert also auf einer Atmosphäre emotionaler<br />

Verbundenheit und einem tiefen Vertrauen vom Heranwachsenden zum Erziehenden<br />

und kann daher von diesem nicht erzwungen werden. Der pädagogische Takt, <strong>der</strong> sich in<br />

einer bewussten Zurückhaltung aus Respekt vor <strong>der</strong> Intimsphäre des Jugendlichen und<br />

seinem Wunsch nach Abgrenzung zeigt, ist außerdem unabdingbar. Nur durch diese<br />

gewisse Distanz entsteht für den Heranwachsenden genügend Freiraum, um<br />

Selbständigkeit entfalten zu können.<br />

Ob von den Betreuern bei „Teenager außer Kontrolle“ versucht wird, eine auf<br />

Akzeptanz, emotionale Wärme und Vertrauen basierende Beziehung aufzubauen, ob sie<br />

Verän<strong>der</strong>ungen um <strong>der</strong> Jugendlichen selbst willen und nicht aufgrund von<br />

Integrationsansprüchen <strong>der</strong> Gesellschaft anstreben und ob sie pädagogisch taktvoll<br />

handeln, möchte ich im Folgenden analysieren.<br />

Analyse<br />

Eine emotionale Wärme zwischen den Beteiligten ist die Grundlage eines positiven<br />

pädagogischen Verhältnisses. Bereits im Kapitel über die Strafpraktiken wurde deutlich,<br />

dass das Verhalten <strong>der</strong> Betreuer den Jugendlichen gegenüber lei<strong>der</strong> oft streng und kalt<br />

ist. Einige Beispiele seien hier noch einmal kurz aufgeführt:<br />

F1, 49:26 – 49:59<br />

Situation: Am ersten Abend des Programms sind Stacey und Dzeneta sehr<br />

aufgebracht und beschweren sich bei Annegret Noble und ihren Kollegen.<br />

Es ist Nacht und sehr dunkel, man sieht nur die beteiligten Personen, die<br />

wahrscheinlich von Scheinwerfern angestrahlt werden. Stacey, eine gelbe<br />

Regenjacke tragend und mit Stirnlampe auf dem Kopf, steht Annegret Noble<br />

gegenüber und gestikuliert während sie spricht. Anschließend sieht man Stacey<br />

meist in <strong>der</strong> Einstellung „Amerikanisch“. Die Kameraführung ist sehr unruhig,<br />

was die Szene verwirrend und chaotisch erscheinen lässt.<br />

Nervöses Ticken im Hintergrund.<br />

Stacey: (aufgeregt) „Ihr macht, ihr, ihr versucht, uns voll in irgend ne<br />

Außenseiterposition zu bringen. So versucht ihr, uns zu erziehen,<br />

aber ich bin nicht mehr zu erziehen, will ich dir mal sagen. (dreht<br />

sich um und geht einige Schritte von <strong>der</strong> Gruppe weg)<br />

Kris: „Komm mal zurück! Es nervt mich langsam.“ (geht Stacey nach)<br />

63


Stacey: „Nein… Ich möchte, ich möchte nicht sein, ich möchte hier nicht<br />

sein.“<br />

Kris: (laut) „Wir meinen das ganze ziemlich ernst!“<br />

Stacey: (aufgebracht und nörgelnd) „Ik werd hier nischt machen wat hier<br />

gegen meinen Willen ist! (geht weiter weg) „Ich will doch hier<br />

nicht…“<br />

Kris Schock sagt etwas auf Englisch zu seinem Kollegen.<br />

Stacey: „Dann kann ich ja auch gleich hier…“<br />

Kris kommt auf sie zu, packt sie.<br />

Stacey: „Hör’n se auf!“<br />

Kris: „Dann geh freiwillig!“<br />

Stacey: „Hau’n se ab von mir, ich schwör ihnen, ich hau ihnen sonst so<br />

ein in die Fresse, Alter, sie bluten!“<br />

Betreuer Dan und sein Kollege sprechen kurz miteinan<strong>der</strong>, dann kommt auch <strong>der</strong><br />

Kollege auf Stacey zu, diese wehrt ihn mit einer Armbewegung ab.<br />

Stacey: „Hau ab! Fass mich nicht an, Alter, ich schwöre!“<br />

Diese Szene steht als Beispiel für einige weitere, in denen statt mit den Jugendlichen zu<br />

sprechen – und so eine respektvolle, warme Beziehung zu ihnen aufzubauen –<br />

körperlich hart durchgegriffen wird. Sich durch körperliche Überlegenheit<br />

durchzusetzen, manchmal auch mit Hilfe an<strong>der</strong>er Betreuer, mag vielleicht die einfachste<br />

Lösung sein, verhin<strong>der</strong>t aber ein positives Verhältnis zwischen den Beteiligten. Die<br />

Jugendlichen werden sich in solchen Situationen erniedrigt und übergangen fühlen, was<br />

ihre heftigen Reaktionen auf diese Übergriffe beweisen.<br />

F3, 3:59 – 4:08<br />

Situation: Dzeneta wurde von <strong>der</strong> Gruppe getrennt und soll nun alleine wan<strong>der</strong>n.<br />

Neben Marlies begleitet sie noch eine neue Mitarbeiterin, die Marlies Dzeneta<br />

vorstellt.<br />

Eine Aufnahme von Tanja, die mit einem großen Rucksack bepackt im Feld<br />

steht und lächelt. Dann sieht man Marlies und Dzeneta, ebenfalls mit ihren<br />

Wan<strong>der</strong>sachen, gefolgt von einer Detailaufnahme von Dzenetas lachendem<br />

Gesicht, das zur Hälfte von ihrem Sonnenhut bedeckt ist.<br />

64


Marlies: „Da drüben ist die Tanja.“<br />

Dzeneta: „Wir wan<strong>der</strong>n zu dritt o<strong>der</strong> wie?“<br />

Marlies: „Psch! Ich möcht als erstes, möchte ich, dass du still bist. ... Du<br />

wirst nur dann sprechen, wenn wir das sagen.“<br />

Dzeneta: (grinst und lacht tonlos vor sich hin, schüttelt dabei ungläubig<br />

den Kopf).<br />

Marlies Luepges verhält sich Dzeneta gegenüber in dieser Situation kalt und abweisend.<br />

Mit dem Verbot zu sprechen stellt sie sich außerdem eindeutig über die Jugendliche und<br />

verhin<strong>der</strong>t so eine gleichberechtigte Beziehung. Verständlicherweise reagiert Dzeneta<br />

verächtlich mit einem Grinsen und Kopfschütteln.<br />

F4, 35:32 – 35:54<br />

„Nahaufnahme“ von Staceys Gesicht, sie schaut unsicher und scheint mit den<br />

Tränen zu kämpfen. Dann sieht man Marlies Luepges, die wild gestikulierend<br />

und selbstbewusst vor <strong>der</strong> Jugendlichen steht. Abschließend schwenkt die<br />

Kamera noch einmal zu Stacey zurück, die traurig zu Boden schaut und<br />

zwischenzeitlich eingeschüchtert nickt.<br />

Marlies: (spricht sehr schnell, streng und unfreundlich) „Ich möcht, dass<br />

du mit dem ganzen Firlefanz aufhörst. Das ganze „Danke“, das<br />

viele Schwatzen und so weiter, ich hab dir das schon mal gesagt,<br />

und ich sag das noch mal: Ich möchte, dass all das weg geht,<br />

damit du dich auf solche wichtigen Sachen konzentrieren kannst!<br />

Probier dich nicht einzuschleimen, probier dir hier keine Freunde<br />

hier zu gewinnen, probier nur auf dich selber aufzupassen, damit<br />

du die Sachen, die du machen musst, richtig machst.“<br />

Meines Erachtens ist dieses Zitat von Marlies Luepges an Gefühlskälte nicht zu<br />

übertreffen. Stacey, die ernsthaft bemüht ist, Beziehungen zu ihren Mitmenschen<br />

aufzubauen und dabei die gemeinhin akzeptierten Regeln <strong>der</strong> Höflichkeit (wie ein<br />

„Danke“) anwendet, muss diesen Ausspruch <strong>der</strong> Betreuerin wie einen Schlag ins<br />

Gesicht empfinden. Marlies verlangt von dem Teenager, sich jegliche Freundlichkeiten<br />

zu verkneifen, keine Freundschaften zu schließen und nur darauf zu achten, ihre<br />

65


Aufgaben zu erfüllen. Diese Auffor<strong>der</strong>ung verhin<strong>der</strong>t mit Nachdruck jegliche positive<br />

Beziehung und somit auch einen pädagogischen Bezug.<br />

Ich habe dennoch auch einige Szenen gefunden, in denen die Professionellen bemüht<br />

sind, ein Verhältnis zu schaffen, dass auf emotionaler Wärme und Herzlichkeit beruht.<br />

Auch hierfür seien einige Beispiele aufgeführt:<br />

F1, 43:38 – 43:54<br />

Situation: Bereits am ersten Abend des Programms unternimmt Pascal in <strong>der</strong><br />

Wüste einen Fluchtversuch. Betreuer Dan Coyle versucht, ihn zurückzuholen. Er<br />

bekommt Pascal am Pullover zu fassen und hin<strong>der</strong>t ihn so am Weglaufen.<br />

Da es Nacht und damit sehr dunkel ist, sieht man meist nur Pascals roten<br />

Pullover deutlich. Der Rest lässt sich bei unruhiger Kameraführung nur erahnen.<br />

Aggressive und laute Rockmusik, die sich während <strong>der</strong> Szene in traurige<br />

Gitarrenklänge verwandelt.<br />

Pascal: (weinend) „Lass mich los, ey“<br />

Als Pascal stehen bleibt, lockert Dan seinen Griff und geht einmal halb um den<br />

Jungen herum, so dass er ihn von <strong>der</strong> Seite anschauen kann. Seine Hand bleibt<br />

sacht auf Pascals Schulter liegen.<br />

Dan: (ruhig) „Bitte! … Zurück. .. Zurück. Bitte.“<br />

Pascal: (schluchzt)<br />

Dan: (hält Pascal bei den Schultern, schaut ihm ins Gesicht) „Es ist<br />

schwierig. Für alles. Ich weiß.“<br />

Pascal schnieft, zieht sich seinen Pullover tief ins Gesicht, wahrscheinlich um<br />

die Tränen vor <strong>der</strong> Kamera zu verstecken, und geht zurück. An seinem Zeltplatz<br />

angekommen setzt er sich auf den Boden und Dan legt ihm fürsorglich den<br />

Schlafsack um die Schultern.<br />

Obwohl Dan Coyle aufgrund seiner geringen deutschen Sprachkenntnisse wenig redet,<br />

wird deutlich, dass er sehr warmherzig mit Pascal umgeht. Er tritt bewusst mit ihm in<br />

Kontakt, indem er ihm direkt in die Augen schaut und macht ihm mit ruhiger Stimme<br />

klar, dass er ihn versteht, dass er nachvollziehen kann, dass die Umstellung schwierig<br />

für ihn ist. Als Pascal aufgibt und Dans Ziel, ihn zurückzuholen eigentlich erreicht ist,<br />

überlässt er den Jugendlichen nicht sich selbst, son<strong>der</strong>n zeigt ihm ohne Worte, dass er<br />

sich um ihn kümmert und für ihn da ist, indem er ihm seinen Schlafsack um die<br />

66


Schultern legt. Mit wenigen Gesten gelingt es dem Betreuer also den Grundstein für<br />

eine freundliche und herzliche Beziehung zu legen. Dass er mit diesem Vorgehen Pascal<br />

sehr bald zum Umkehren bewegen kann, spricht für sich.<br />

F2, 17:16 – 18:02<br />

Vivien wird beim Wan<strong>der</strong>n gezeigt. Teilweise ihr Kopf mit Oberkörper,<br />

teilweise Detailaufnahmen ihrer Wan<strong>der</strong>schuhe auf staubigem Untergrund. Die<br />

Einstellungsgröße wechselt häufig, die Kamera bewegt sich ständig.<br />

Man hört leicht aggressive Rockmusik.<br />

Sprecher: „Vivien hat schon nach wenigen Metern keine Lust mehr und<br />

fängt an, sich zu beklagen.“<br />

Vivien: „Oh, ich will n Rucksack a b s e t z e n!“<br />

Annegret: „Ham wer fast geschafft, Vivien!“<br />

Vivien: (jammert) „Ja, aber das wird mir zu schwer!“<br />

Annegret: „Du kannst es…“<br />

Vivien: „Das geht übelst auf die K n o c h e n…“<br />

Annegret: „Im Moment, ich versteh es, wir haben’s fast geschafft, hier ist ne<br />

ganz schlechte Stelle.“ (nimmt Vivien bei <strong>der</strong> Hand und hilft ihr<br />

den Abhang hinunter)<br />

Sprecher: „Das Jammern hat nichts gebracht – Vivien hat eine an<strong>der</strong>e Idee:<br />

Sie täuscht einen Sturz vor.“<br />

Detailaufnahme von einem Fuß, <strong>der</strong> gegen einen großen Stein stößt. Vivien<br />

stürzt.<br />

Vivien: „Hilfst du mir hoch, ich rutsch ganz runter sonst.“ (Vivien sitzt<br />

einen Moment auf dem Boden, rückt ihren Sonnenhut wie<strong>der</strong><br />

zurecht)<br />

Sprecher: „Doch Therapeutin Annegret zeigt sich von Viviens<br />

absichtlichem Sturz nicht beson<strong>der</strong>s beeindruckt. Das Manöver<br />

war zu durchschaubar. Vivien muss einsehen, dass sie hier, im<br />

Gegensatz zu früher, mit Tricks nicht mehr durchkommt“<br />

Kurt und Annegret helfen Vivien auf.<br />

Vivien: (erleichtert, schüchtern und freundlich) „Dankschön.“<br />

Kurt: „Bitte.“<br />

Annegret: „Stehste?“<br />

67


Vivien: „Ja.“<br />

In dieser Szene beklagt sich Vivien über die schwere Wan<strong>der</strong>ung, doch statt sie zu<br />

ermahnen, still zu sein, zeigt Annegret Noble Verständnis und spricht <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

Mut zu. Als Vivien stürzt, hilft ihr die Therapeutin auf und erkundigt sich im Anschluss,<br />

ob Vivien jetzt sicher steht. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um eine<br />

warmherzige Situation, in <strong>der</strong> Vivien merkt, dass Annegret Verständnis hat und für sie<br />

da ist, lei<strong>der</strong> manipuliert <strong>der</strong> Sprecher die Wahrnehmung des Zuschauers durch seine<br />

unpassenden Kommentare, die den Sturz des Teenagers als beabsichtigt darstellen und<br />

ihre Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung auf mangelnde Lust zurückführen. Offenbar<br />

wird hier – wahrscheinlich <strong>der</strong> Quoten wegen - versucht, positiven Szenen einen<br />

negativen Beigeschmack zu geben und die Jugendlichen möglichst schlecht<br />

darzustellen.<br />

Auch durch ein kurzes Lob und eine freundliche Unterstützung bei Problemen lässt sich<br />

emotionale Wärme in einer Beziehung herstellen:<br />

F2, 21:25 – 21:36<br />

Situation: Vivien hat Essen gekocht.<br />

Sie sitzt im Schnei<strong>der</strong>sitz auf einer Matte auf dem Boden, vor ihr stehen einige<br />

Koch-Utensilien. Kris Schock hockt ihr gegenüber.<br />

Ruhige Gitarrenklänge, die an eine Lagerfeuer-Situation erinnern.<br />

Kris: „Du hast alles im Griff. Super, bin stolz auf dich! Lass es dir<br />

schmecken.“<br />

Die Kamera zoomt Vivien heran, im Hintergrund sieht man Herrn Schocks<br />

Füße, als er sich von Viviens Zeltplatz entfernt.<br />

Vivien: „Danke.<br />

Kris: „Bitte sehr.“<br />

Vivien: „Bin jetzt stolz auf m i c h.“ (macht ein stolzes Gesicht und klopft<br />

sich auf die Brust)<br />

68


F3, 13:52 – 13: 54<br />

Situation: Der erste Wan<strong>der</strong>tag von Dzenetas „Quest“, bei dem sie gemeinsam<br />

mit Marlies und Tanja einen großen Teil <strong>der</strong> bisherigen Strecke noch einmal<br />

laufen muss, ist vorbei.<br />

Dzeneta und die Betreuerin stehen mit ihren Rucksäcken und Stöcken bepackt<br />

im Halbkreis.<br />

Laute und fröhliche Rockmusik.<br />

Marlies: „Gut gemacht!“ (lacht, zupft Dzeneta freundlich an <strong>der</strong> Mütze und<br />

streichelt ihr mit dem Daumen kurz über den Kopf)<br />

Dzeneta: (lächelt freundlich) „Dankeschön!“<br />

F2, 33:40 - 34:06<br />

Situation: Dzeneta schafft es nicht, ihren Rucksack aufzusetzen.<br />

Die Kamera schwenkt in <strong>der</strong> „Totalen“ über die karge Landschaft bis zu<br />

Dzeneta, die etwas abseits <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zwischen einigen Sträuchern steht. Aus<br />

<strong>der</strong> Froschperspektive mit Blick auf die Sonne beobachtet man, wie Marlies den<br />

großen Rucksack aufhebt und ihn Dzeneta aufsetzt.<br />

Marlies: „Dzeneta, du sagtest du brauchst Hilfe? (…..) Okay. (hilft<br />

Dzeneta, den Rucksack anzuziehen) Wun<strong>der</strong>bar! Kannst du in die<br />

Schleife reingehen?“<br />

Dzeneta: „Oh mein Gott!“<br />

Marlies: „Und klick das mal ein. Und jetzt geht’s drum, das zur Seite zu<br />

ziehen und dabei kann ich dir auch gerne helfen.“<br />

Dzeneta: „Äh! Oh mein Gott, ich kann mich kaum bewegen!“<br />

Marlies: (lacht) „Du machst das ganz toll!“<br />

Die ersten beiden Szenen zeigen, was man gemeinhin mit „wie man in den Wald hinein<br />

ruft, so schallt es heraus“ umschreibt: Die Jugendlichen reagieren auf die freundlichen<br />

Bemerkungen <strong>der</strong> Betreuer ebenfalls mit Freundlichkeit und es entsteht sofort eine<br />

angenehme Atmosphäre. Die dritte Szene steht beispielhaft für einige weitere, in denen<br />

die Betreuer entwe<strong>der</strong> tatkräftig einschreiten und den Jugendlichen beim Packen o<strong>der</strong><br />

Kochen helfen, o<strong>der</strong> einfach ihre Unterstützung anbieten.<br />

69


Vor allem Annegret Noble gelingt es oft, den Jugendlichen liebevoll und mit echter<br />

Wertschätzung für die vollbrachten Leistungen gegenüber zu treten:<br />

F1, 1:08:13 – 1:08:28<br />

Situation: David will weglaufen und betont immer wie<strong>der</strong>, dass er nach hause<br />

muss, um sich um seine Mutter zu kümmern. Annegret versucht, ihn vom<br />

Bleiben zu überzeugen.<br />

Die beiden sitzen nebeneinan<strong>der</strong> am Wegrand auf dem staubigen Boden, neben<br />

ihnen liegt Davids Rucksack. Der Jugendliche hat seinen Kopf zwischen seinen<br />

angezogenen Beinen vergraben, so dass man sein Gesicht nicht sieht.<br />

Annegret: (schaut David an, streichelt ihm mit <strong>der</strong> Hand über den Rücken)<br />

„Ist doch in Ordnung, David. Ich find das wirklich wun<strong>der</strong>schön,<br />

dass du dir solche Sorgen um deine Mama machst. (…) Ich hab<br />

nur die Befürchtung, dass wenn du jetzt hier los läufst, dass du<br />

deiner Mutter größere Sorgen machst als wenn du jetzt hier<br />

bleibst.“<br />

F4, 27:03 - 27:15, 27:50 - 27:59<br />

Links im Bild gibt Annegret Noble ein Interview, rechts sieht man einen <strong>der</strong><br />

Jugendlichen seine Sachen zusammenpacken und im Anschluss daran<br />

verschiedene Jugendliche, die einzeln hinter jeweils einem Betreuer einen Weg<br />

entlanglaufen.<br />

Leise Gitarrenklänge.<br />

Annegret: „Heute ist das Ende des Solos und wir werden die Jugendlichen<br />

Etwas später:<br />

gleich abholen und dann ihren Erfolg feiern und das auch wirklich<br />

ehren, was sie da vollbracht haben.<br />

Die Teenager sitzen mit den Betreuern zusammen auf Matten im Kreis. Die<br />

Kamera filmt ihre Gesichter einzeln in „Großaufnahme“, als Annegret mit ihnen<br />

spricht.<br />

Leise, aber fröhliche Musik im Hintergrund.<br />

70


Annegret: „Herzlich willkommen. Es ist wirklich heute ne Ehre hier bei<br />

F3, 37:19 – 37:30<br />

euch zu sein. Ihr habt ne tolle Leistung vollbracht in den letzten<br />

Tagen.“<br />

Situation: Dzeneta kommt von ihrem Teil <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung, den sie allein<br />

bewältigen musste, zurück und trifft auf die an<strong>der</strong>en.<br />

Detailaufnahme von Dzenetas Gesicht, im Hintergrund sieht man Tanja und<br />

Kris, die sie interessiert anschauen. Die an<strong>der</strong>en Teenager kommen, in einer<br />

Reihe wan<strong>der</strong>nd, auf Dzeneta zu. Am Schluss stehen alle zusammen im Kreis.<br />

Man hört fröhliche, aber emotionale Musik, die immer lauter wird.<br />

Dzeneta: „Ich will hören was die jetzt sagen. Die Annegret. (lacht)“<br />

Annegret: „Wir freuen uns, dass du wie<strong>der</strong> da bist!“<br />

Dzeneta: „Dankeschön!“<br />

Annegret: „Wie freuen uns ganz doll, dass wir dich wie<strong>der</strong> haben.“ (lächelt)<br />

Sowohl mit kleinen Gesten, wie zum Beispiel über den Rücken streicheln, als auch mit<br />

verständnisvollen und anerkennenden Worten, baut die Therapeutin eine herzliche<br />

Beziehung zu den Jugendlichen auf, die von diesen offensichtlich angenommen wird:<br />

David lässt die Berührungen zu und Dzeneta ist bei ihrer Rückkehr gespannt auf die<br />

Reaktion <strong>der</strong> Therapeutin. Das beweist, dass die Bemühungen <strong>der</strong> Professionellen, eine<br />

ehrliche und positive Beziehung zu den Kin<strong>der</strong>n aufzubauen, sich durchaus bezahlt<br />

machen. Die Betreuer haben einen viel größeren Einfluss auf die Teenager, wenn diese<br />

sie als wichtige Bezugspersonen anerkennen.<br />

Neben <strong>der</strong> emotionalen Wärme bedarf es außerdem Akzeptanz und Verständnis. Die<br />

Jugendlichen müssen sich mit all ihren Eigenschaften uneingeschränkt akzeptiert und<br />

verstanden fühlen, um darauf vertrauen zu können, dass die Betreuer es gut mit ihnen<br />

meinen. Es zeigt sich jedoch schon in <strong>der</strong> ersten halben Stunde <strong>der</strong> ersten Folge, dass<br />

die Akzeptanz <strong>der</strong> bisherigen Lebensformen <strong>der</strong> Teenager sehr eingeschränkt ist:<br />

71


F1, 23:46 – 23:56<br />

Situation: Dzeneta soll ihre Klei<strong>der</strong> ausziehen und ihre Wertgegenstände<br />

abgeben.<br />

Sie befindet sich in einer weißen Kammer. Marlies Luepges steht davor und<br />

schaut zu ihr rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so dass man<br />

Dzeneta aus <strong>der</strong> Froschperspektive erst in <strong>der</strong> „Halbtotalen“, dann in <strong>der</strong><br />

„amerikanischen“ Einstellung sieht.<br />

Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.<br />

Marlies: „Was wir hier hinten machen ist: Neue Klamotten für dich. Du<br />

wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten<br />

Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“<br />

Mit dem Satz „Nix von deinem alten Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst“<br />

verdeutlicht Marlies Luepges, dass es sich bei dem Projekt um einen absoluten<br />

Neuanfang handeln soll. Das Abgeben <strong>der</strong> persönlichen Kleidung und <strong>der</strong><br />

Wertgegenstände hat hier einen symbolischen Charakter: Mit dem „alten Leben“ soll<br />

abgeschlossen werden, was gleichzeitig impliziert, dass es nichts Gutes daran gab, was<br />

es zu behalten Wert wäre. Diese Abwertung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu<br />

beitragen, dass die Jugendliche sich eben nicht angenommen und akzeptiert fühlt. Da<br />

immer wie<strong>der</strong> betont wird, dass es bei dem Projekt darum geht, die Jugendlichen zu<br />

verän<strong>der</strong>n und sie zu an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> besseren Menschen zu machen, verwun<strong>der</strong>t es nicht,<br />

dass ich keine Szene gefunden habe, in <strong>der</strong> eine uneingeschränkte Akzeptanz <strong>der</strong><br />

Jugendlichen und ihrer bisherigen Lebenssituationen sichtbar wird. Und auch das<br />

Verständnis für ihre Bedürfnisse während des Projekts ist oft nicht zu erkennen:<br />

F1, 1:21:00 – 1:21:22, 1:22:15<br />

Situation: Es ist <strong>der</strong> erste Tag <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung und Dzeneta möchte eine Pause<br />

machen, da sie erschöpft ist. Als Marlies keine Pause im Sitzen erlaubt, wirft<br />

Dzeneta ihren Rucksack zu Boden, läuft ein Stück von <strong>der</strong> Gruppe weg und setzt<br />

sich auf den Boden. Die an<strong>der</strong>en Jugendlichen müssen mit den Rucksäcken<br />

bepackt in <strong>der</strong> Sonne stehen und warten, bis Dzeneta weiter wan<strong>der</strong>t.<br />

Aufnahme von Marlies aus <strong>der</strong> Froschperspektive (etwa Dzenetas Perspektive,<br />

da sie auf dem Boden sitzt). Dann schwenkt die Kamera erst zu Dzeneta<br />

herunter, die weinend ihr Gesicht in den angezogenen Beinen und zwischen<br />

72


ihren Armen vergraben hat und zum Schluss noch einmal zu Marlies zurück, die<br />

dann, halb zu Dzeneta gebeugt, in <strong>der</strong> „amerikanischen“ Einstellung zu sehen<br />

ist.<br />

Marlies: „Schau mir mal darüber bitte, (zeigt zur Gruppe) schau dir mal<br />

die Gruppe an. Dzeneta?<br />

Dzeneta: (weinend) „Ich hab keinen Bock mehr, lass mich in Ruhe, Mann,<br />

ich will nach Hause!“<br />

Marlies: (wütend und streng) „Dzeneta, du bist im Moment verantwortlich<br />

für die ganze Gruppe!“<br />

Dzeneta: „Ich scheiß auf die ganze Gruppe und auf euch scheiß ich<br />

genauso.“ (schluchzt)<br />

Marlies: „Die stehn, die stehn jetzt in <strong>der</strong> Sonne, im Moment haben sie<br />

F2, 35:48 – 16:19<br />

Wasser, aber die stehen da mit ihren Rucksäcken an,<br />

währenddessen du hier sitzt. Ohne Rucksack.“<br />

Situation: Dzeneta ist erschöpft und kann nicht mehr weiterwan<strong>der</strong>n.<br />

Sie steht weinend Marlies gegenüber abseits <strong>der</strong> Gruppe und hat ihren Rucksack<br />

abgesetzt. Zwischenzeitlich werden Großaufnahmen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Teenager und<br />

Betreuer gezeigt, die mit ihrem Rucksack bepackt in <strong>der</strong> Sonne stehen und<br />

warten.<br />

Dzeneta: (mit weinerlicher Stimme) „Ich kann nicht mehr. Nein. Ich lauf<br />

auch nicht mehr…“<br />

Marlies: (unterbricht sie) „Dzeneta, bleib mal hier, bleib mal hier.“<br />

Dzeneta: „Ich lauf nicht mehr weiter! Fertig, aus. (setzt sich auf den Boden)<br />

Ich bleib jetzt hier sitzen. Nein.“<br />

Marlies: (hockt sich daneben) „Dzeneta? Wie, wie du mit <strong>der</strong>, mit dem<br />

Umziehen und wie auch mit den an<strong>der</strong>en Sachen wird sich hier<br />

jetzt nix verän<strong>der</strong>n. Unsere Destination ist gegeben, das Wasser<br />

steht da jetzt da…“<br />

Dzeneta: (unterbricht sie verzweifelt, legt die Hände auf ihren Kopf) „Ich<br />

kann nicht mehr! Hallo?! Ich kann nicht mehr, ich kack hier ab!“<br />

Marlies: (ruhig) „Was brauchst du von uns, Dzeneta?“<br />

73


Dzeneta: „Ich will mich einfach nur hier hinsetzen, ich will hier bleiben.“<br />

(schluchzt)<br />

Marlies: „Das geht nicht. Das wird unsere ganze Gruppe in, in Gefahr<br />

bringen.<br />

Dzeneta ist offensichtlich an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit gestoßen und<br />

teilt dies <strong>der</strong> Betreuerin auch offen mit. Mit weinerlicher, fast verzweifelter Stimme<br />

erklärt sie Marlies, dass sie „nicht mehr kann“, sich hinsetzen und ausruhen möchte.<br />

Statt darauf einzugehen und Verständnis zu zeigen, denkt Frau Luepges jedoch nur an<br />

die Gruppe und das Tagesziel <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung. Die einzelne Jugendliche nimmt sie hier<br />

nur als Störfaktor wahr und schafft es nicht, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu<br />

verstehen. Selbst wenn eine Pause tatsächlich nicht möglich wäre, würde es Dzeneta<br />

wohl schon helfen, sich von Marlies verstanden zu fühlen. Eine Stärkung wie „Ich weiß<br />

Dzeneta, es ist ganz anstrengend im Moment und ich sehe, wie sehr du kämpfst. Du hast<br />

das bisher ganz toll gemacht. Trink mal in Ruhe einen Schluck und dann versuchen wir<br />

zusammen noch ein Stück zu wan<strong>der</strong>n.“, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

erfolgreicher als die Ermahnung, das Gruppenziel zu gefährden o<strong>der</strong> ihr die Schuld<br />

dafür zu geben, dass die Gruppe nun mit ihren Rucksäcken bepackt in <strong>der</strong> Sonne stehen<br />

muss. Dzeneta wird das Gefühl haben, nur als Teil <strong>der</strong> Gruppe wahrgenommen zu<br />

werden und für ein Ziel zu arbeiten, dass mit ihr selbst eigentlich nichts zu tun hat. In<br />

diesem Fall fällt das Aufgeben natürlich leicht. Auch in an<strong>der</strong>en Situationen wird sie<br />

von den Professionellen einfach nicht verstanden:<br />

F1,1:24:35 - 1:24:58<br />

Situation: Im Gesprächskreis sollen die Jugendlichen nach einem schweren<br />

Wan<strong>der</strong>tag mitteilen, wie sie sich jetzt fühlen.<br />

Die Gruppe steht mit den Wan<strong>der</strong>sachen bepackt im Kreis, Dzeneta und die<br />

an<strong>der</strong>en Beteiligten werden abwechselnd in verschiedenen Einstellungsgrößen<br />

gezeigt.<br />

Langsame und dramatisch wirkende, einzelne Töne.<br />

Annegret: „Dzeneta, wenn du uns n Gefühl geben könntest, dann…“<br />

Dzeneta: (unterbricht sie): „Scheiße!“<br />

Annegret: „Das ist kein Gefühl.“<br />

Dzeneta: „Ja und? Für mich is ein Gefühl.“<br />

74


Annegret: „Okay. Bist du wütend, bist du frustriert, biste ängstlich?“<br />

Dzeneta: „Ich hab kein Bock mehr auf gar nichts hier.“<br />

Annegret: „Dzeneta, es würde jetzt wirklich helfen, wenn du uns n Gefühl<br />

gibst, damit wir weiter machen können.“<br />

Dzeneta: (laut) „Aber mir geht’s scheiße! Was n Gefühl, Alter?!“<br />

Marlies: „Im Moment verlängerst du das Rumstehen mit dem…“<br />

Dzeneta: „Na und? Bockt mich kein Meter, mir geht’s scheiße und das<br />

war’s.“<br />

Dzeneta fühlt sich „scheiße“. In <strong>der</strong> Umgangssprache und vor allem in Dzenetas<br />

bisherigem Umfeld wird das ein selbstverständlicher Ausdruck sein, bei dem je<strong>der</strong> weiß,<br />

was gemeint ist. Die Jugendliche gibt auf die Frage nach ihrem Gefühl aus ihrer Sicht<br />

also eine ehrliche Antwort und ist verwirrt, als diese nicht akzeptiert wird. Für sie ist das<br />

ein Gefühl, betont sie noch einmal und versteht nicht, was die Betreuer noch von ihr<br />

wollen. Statt diese Äußerung hinzunehmen und zu verstehen, dass es Dzeneta einfach<br />

schlecht geht, weil sie von <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung erschöpft ist und sie den ganzen Tag Ärger<br />

mit den Betreuern und den an<strong>der</strong>en Jugendlichen hatte, bestehen sie darauf, dass die<br />

Jugendliche ihnen ein an<strong>der</strong>es Gefühl nennt. Lei<strong>der</strong> aber nicht aus Interesse, warum<br />

genau es ihr „scheiße“ geht, son<strong>der</strong>n damit <strong>der</strong> nächste in <strong>der</strong> Runde weitermachen<br />

kann.<br />

Dass es auch an<strong>der</strong>s geht, beweist Kris Schock in folgen<strong>der</strong> Szene:<br />

F1, 34:50 – 34:59<br />

Situation: Andreas soll bei Beginn des Programms seine letzte Zigarette<br />

abgeben. Als er sich trotz <strong>der</strong> Bitten von Kris Schock weigert, kommt ein Mann<br />

hinzu, <strong>der</strong> ihn packt und ihm die Zigarette abnehmen will. Nach einem kurzen,<br />

für beide Seiten erfolglosen, „Kampf“ versucht Herr Schock doch noch einmal,<br />

mit Andreas zu reden.<br />

Die Kamera filmt über Kris Schocks Schulter hinweg Andreas, <strong>der</strong> in einer<br />

weißen Kammer steht, und zoomt so lang heran, bis sein Gesicht in einer<br />

„Detailaufnahme“ zu sehen ist.<br />

75


Kris: „Ich meine, ich kann dich schon verstehen, es ist, es tut mir<br />

w i r k l i c h leid. (langsame Gitarrentöne erklingen) Aber …., es<br />

muss so sein.“<br />

Andreas überlegt kurz und gibt ihm dann langsam die Zigarette, was von <strong>der</strong><br />

Kamera genau verfolgt wird.<br />

Nach <strong>der</strong> vorangegangenen Eskalation zeigt Kris Verständnis für Andreas. In ruhigem,<br />

ehrlichem und bedauerndem Ton erklärt er ihm außerdem, dass ihm die Umstände für<br />

den Jugendlichen leid tun, er aber nichts daran än<strong>der</strong>n kann. Obwohl Andreas fest<br />

entschlossen war, sich durchzusetzen, gibt er in Folge dessen nach, denn Kris erkennt<br />

und akzeptiert Andreas’ Bedürfnisse. Der Jugendliche kann sich angenommen fühlen<br />

und auf das Projekt einlassen.<br />

Obwohl die Teenager in vielen Situationen nicht bedingungslos akzeptiert o<strong>der</strong><br />

verstanden werden, sollte eine Verän<strong>der</strong>ung in ihrem Leben zumindest um <strong>der</strong><br />

Jugendlichen selbst willen angestrebt werden. Hier werden in <strong>der</strong> Sendung schon zu<br />

Beginn <strong>der</strong> ersten Folge unterschiedliche Sichtweisen vermittelt:<br />

F1, 2:45 – 2:55<br />

Aus mehreren Perspektiven Aufnahmen <strong>der</strong> Teenager, in <strong>der</strong> Wüste in einer<br />

Reihe stehend. Sie tragen dabei ihre Einheitskleidung (einfarbige, meist<br />

neonfarbene T-Shirts, blaue Shorts und beige Sonnenhüte). Zwischenzeitlich<br />

sieht man eine Detail-Aufnahme von Annegret Nobles Gesicht.<br />

Im Hintergrund ertönt sehr harte Rockmusik.<br />

Sprecher: „Annegret Noble und ihre Crew stehen vor <strong>der</strong> großen<br />

F1, 3:25 - 3:32<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, aus diesen deutschen Teenagern wie<strong>der</strong> Töchter<br />

und Söhne zu machen, vor denen sich ihre Eltern nicht mehr<br />

fürchten müssen.”<br />

Verschiedene Aufnahmen am Frankfurter Flughafen: Staceys weinendes Gesicht<br />

in „Groß“, ein Schwenk durch das Flughafengebäude, Kevin <strong>der</strong> traurig zu<br />

Boden schaut, David und sein Vater, die einen Gang entlang laufen, sowie eine<br />

„Großaufnahme“ von Davids Gesicht.<br />

76


Rockmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: Das Programm in den USA ist <strong>der</strong> letzte Ausweg für die<br />

Jugendlichen. Hier in Deutschland droht ihnen das Gefängnis<br />

o<strong>der</strong> ein Leben auf <strong>der</strong> Straße.<br />

Das erste Zitat legt nahe, dass die Verän<strong>der</strong>ung von den Eltern <strong>der</strong> Teenager und nicht<br />

von diesen selbst gewünscht wird. Eine halbe Minute später erklärt <strong>der</strong> Sprecher dann,<br />

dass es <strong>der</strong> letzte Ausweg für die Jugendlichen selbst sei, da ihnen sonst ein Leben im<br />

Gefängnis o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Straße drohe. Abgesehen von diesen Kommentaren zeigt sich in<br />

<strong>der</strong> Sendung lei<strong>der</strong> häufiger, dass es nicht um den einzelnen Jugendlichen und seine<br />

speziellen Bedürfnisse geht. Es gibt festgelegte Strukturen und ein Programm, das alle<br />

Jugendlichen ungeachtet ihrer persönlichen Eigenschaften durchlaufen müssen. Dass<br />

die Teenager durch solch vorgefertigte Rahmenbedingungen „zu ihrer Form kommen“<br />

halte ich für sehr unwahrscheinlich. Meist geht es eben nur um das „Weiterkommen“<br />

o<strong>der</strong> das Wohl <strong>der</strong> gesamten Gruppe:<br />

F3, - 5:17<br />

Marlies: „Das heißt, wir werden jetzt mit dir trainieren, damit du dann<br />

schneller wan<strong>der</strong>n kannst und die Gruppe nicht mehr aufhältst in<br />

<strong>der</strong> Zukunft.“<br />

Dzenetas „Quest“ soll nicht sie persönlich weiter bringen, son<strong>der</strong>n dafür sorgen, dass sie<br />

in Zukunft die Gruppe nicht mehr aufhält. Wie bereits in vorangegangenen Situationen,<br />

bei denen Dzeneta wegen Erschöpfung nicht weiter wan<strong>der</strong>n konnte deutlich wurde,<br />

geht es nicht um sie selbst. Anstatt Dzeneta beispielsweise zu erklären, dass sie über<br />

sich selbst hinaus wachsen kann und dann sehr stolz auf sich sein wird, wenn sie ein<br />

weiteres Stück <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung schafft, wird sie immer wie<strong>der</strong> an das Wohl <strong>der</strong> Gruppe<br />

erinnert. Wo hierbei die Vorteile für die Jugendliche liegen – außer vielleicht zu<br />

verhin<strong>der</strong>n, dass die an<strong>der</strong>en wütend auf sie werden - bleibt völlig unklar. Dem<br />

Zuschauer erklärt Marlies Luepges später:<br />

F3, 25:21 – 25:39<br />

Situation: Marlies bietet Dzeneta an, die Gruppe zu führen.<br />

77


Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen<br />

Einstellungsgrößen von Marlies und Dzeneta. Dann sieht man Marlies in<br />

„Groß“, ein Interview gebend. Die Worte „Marlies Luepges.<br />

Expeditionsleiterin“ werden in einem roten Kasten eingeblendet.<br />

Marlies: „Wir möchten einfach nur ein, ein Beispiel setzen, vor allem auch<br />

für die Dzeneta, dass sie das kann. Dass sie schnell wan<strong>der</strong>n kann.<br />

Dass sie auf sich aufpassen kann. Dass sie kommunizieren kann.<br />

Es geht uns wirklich darum, dass sie das selbst mal erlebt. Dass<br />

sie Erfolg hat und, dass wir nachher darauf zurückgreifen können,<br />

als Erlebnis.“<br />

Hierbei handelt es sich um die einzige Szene, in <strong>der</strong> explizit erwähnt wird, dass eine<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen selbst wegen angestrebt wird. Viel häufiger sind Szenen<br />

nach dem oberen Muster, bei denen es entwe<strong>der</strong> um das Wohl <strong>der</strong> Gruppe, o<strong>der</strong> aber<br />

den Verän<strong>der</strong>ungswunsch <strong>der</strong> Eltern geht.<br />

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Jugendlichen<br />

und Betreuern. Obwohl ein bei<strong>der</strong>seitiges Vertrauen als Bestandteil des pädagogischen<br />

Bezugs elementar wäre, zeigen sich immer wie<strong>der</strong> Szenen, die ein großes gegenseitiges<br />

Misstrauen erahnen lassen:<br />

F3, 14:40 – 14:53<br />

Nach einer „Großaufnahme“ von Marlies sieht man Dzeneta in ihrem Zelt sitzen<br />

und ein Interview geben<br />

Dzeneta: „Die Marlies ist auf jeden Fall netter zu mir. Und, so lang die nett<br />

ist bin ich auch nett. Ich hoffe, die .. macht dann nicht wie<strong>der</strong><br />

irgendwelche Faxen morgen o<strong>der</strong> so. (zieht die Nase hoch) Kann<br />

man ja nie wissen, bei diesen Betreuern hier.“<br />

Dzeneta hat das Gefühl, immer auf <strong>der</strong> Hut sein zu müssen. Sie stellt zwar erfreut fest,<br />

dass sich Marlies ihr gegenüber netter verhält, erwartet jedoch eigentlich, dass auf<br />

dieses Freundlichkeit etwas Unangenehmes folgt. Sie hat offensichtlich durch<br />

vorangegangene Situationen, bei denen sich die Betreuer unberechenbar gezeigt haben,<br />

78


gelernt, vorsichtig zu sein. Dass ihre Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigt <strong>der</strong><br />

folgende Ausschnitt:<br />

F3, 6:30 – 7:03<br />

Situation: Dzeneta wurde ausgeschlossen und muss ein großes Stück allein mit<br />

zwei Betreuern wan<strong>der</strong>n.<br />

Die an<strong>der</strong>en Jugendlichen und Kris Schock stehen mit ihren Rucksäcken bepackt<br />

im Kreis. Die Kamera schwenkt hin und her und filmt die Beteiligten.<br />

Kris: „Wir sind wie eine Familie, o<strong>der</strong>?“ (breitet die Arme aus)<br />

Jugendliche: (murmeln)<br />

Kris: „Und wenn einer von uns Stress hat, o<strong>der</strong> Schwierigkeiten hat<br />

Jugendliche: „Ja“<br />

o<strong>der</strong> so .. hat fast je<strong>der</strong> von uns auch diesen Stress und diesen,<br />

diese Schwierigkeiten, o<strong>der</strong>?“<br />

Kris: „Das ist eigentlich so mit <strong>der</strong> Dzeneta ge, gewesen, o<strong>der</strong>? (…) Sie<br />

Jugendlicher: „Ja.“<br />

hat Schwierigkeiten, wir haben auch mit ihr .. diese<br />

Schwierigkeiten miterlebt, vor allem beim Wan<strong>der</strong>n haben wir<br />

das gesehen, o<strong>der</strong>?“ (nickt)<br />

Kris: „Heute sind wir ziemlich schnell gewan<strong>der</strong>t .., aber<br />

normalerweise, wenn sie dabei ist, gehen wir ziemlich langsam,<br />

o<strong>der</strong>?“<br />

Vivien: „Ja.“<br />

Kris: „Okay.“<br />

Während Dzeneta auf ihrem „Quest“ ist und feststellt, dass Marlies netter zu ihr ist,<br />

hetzt Kris hinter ihrem Rücken die an<strong>der</strong>en Jugendlichen gegen sie auf. Als<br />

Bezugsperson <strong>der</strong> Jugendlichen wäre es hingegen eigentlich seine Aufgabe, bei den<br />

an<strong>der</strong>en um Verständnis für Dzeneta zu werben. Stattdessen betont er noch einmal, dass<br />

das langsame Vorankommen an <strong>der</strong> Jugendlichen lag und die Gruppe ohne sie besser<br />

dran ist. Durch dieses Verhalten bestätigt Kris, dass Dzenetas Misstrauen gerechtfertigt<br />

ist.<br />

An<strong>der</strong>erseits misstrauen die Betreuer auch den Jugendlichen:<br />

79


F4, 3:16 – 3:25<br />

Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig<br />

allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinan<strong>der</strong> entfernt stehen.<br />

Links im Bild sieht man Kris Schock, <strong>der</strong> ein Interview gibt, rechts sieht man<br />

nacheinan<strong>der</strong> Vivien und Pascal ihre Schuhe abgeben.<br />

Im Hintergrund hört man sehr leisen Gesang mit Trommelgeräuschen.<br />

“Kris: „Wir nehmen die Schuhe und die Stirnlampe weg, damit die<br />

F4, 22:55 – 23:05<br />

Jugendlichen nicht einan<strong>der</strong> besuchen können und dass sie nicht<br />

weglaufen können.“<br />

Situation: Als Strafe soll Andreas sein Zelt auf-, ab- und wie<strong>der</strong> aufbauen.<br />

Nachdem er sich anfänglich geweigert hat, stimmt er jetzt zu, da er sonst die<br />

ganze Nacht lang wach bleiben muss.<br />

Da es mitten in <strong>der</strong> Nacht und sehr dunkel ist, erkennt man bei dieser Szene nur<br />

wenig. Marlies und Kris beobachten Andreas, <strong>der</strong> seine Sachen zusammenpackt.<br />

Sprecher: „Die Betreuer wollen testen, ob Andreas wirklich nachgegeben<br />

hat und ziehen die Maßnahme weiter durch. Noch trauen sie dem<br />

Frieden nicht. Zu sehr hat sich Andreas bisher dem Programm<br />

wi<strong>der</strong>setzt.“<br />

Es scheint, als erwarteten die Mitarbeiter zu jedem Zeitpunkt einen Regelverstoß <strong>der</strong><br />

Jugendlichen. Statt ihnen einen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen und ihnen die<br />

Möglichkeit zu geben, sich als vertrauenswürdig zu beweisen, versuchen die Betreuer<br />

von Anfang an, alle Eventualitäten auszuschließen. Sie nehmen den Jugendlichen ihre<br />

Sachen weg und testen sie, als wären sie gefährliche Kriminelle, die im Zaum gehalten<br />

werden müssen. Meines Erachtens zeugt dieses Verhalten von einer großen Unsicherheit<br />

seitens <strong>der</strong> Professionellen und verhin<strong>der</strong>t zudem ein Sich-Einlassen auf den jeweils<br />

an<strong>der</strong>en. Nur in zwei Situationen, in denen faktisch keine negativen Folgen zu erwarten<br />

sind, wird den Jugendlichen ein wenig Vertrauen entgegengebracht, in dem man ihnen<br />

Entscheidungen überlässt:<br />

80


F3, 25:00 – 25:16<br />

„Nahaufnahme“ von Marlies Luepges. Sie trägt ihre Wan<strong>der</strong>sachen.<br />

Marlies: „Was hältst du denn davon (…), unsere Gruppe hier anzuführen?“<br />

Die Kamera schwenkt zu Dzeneta herüber. Sie grinst ungläubig. Dann eine<br />

Aufnahme eines langen Pfades, <strong>der</strong> durch die Wüste verläuft und am Horizont<br />

verschwindet.<br />

Dzeneta: (nach einer langen Pause) „Ich weiß nicht. Das wär grad nicht<br />

so… Also es würde langsamer dann gehen.“<br />

Marlies und Dzeneta stehen nebeneinan<strong>der</strong>, die Jugendliche schaut auf den<br />

Boden und spielt mit ihrem Wan<strong>der</strong>stock.<br />

Marlies: „Denkst du?“<br />

Dzeneta: (nickt) „Ja.“<br />

Marlies: „Willst du’s mal probieren?“<br />

Nur in Situationen, in denen das Risiko sehr gering ist, schaffen es die Betreuer, den<br />

Jugendlichen zu vertrauen (vgl. auch S.59, F3, 11:39 – 11:56). Mit ihrem sonstigen<br />

Misstrauen begünstigen sie ein angespanntes und kühles Verhältnis zwischen den<br />

Beteiligten.<br />

Neben den aktiven Aspekten des pädagogischen Bezugs ist in manchen Situationen<br />

auch Zurückhaltung angebracht. Der pädagogische Takt verlangt von den Betreuern sich<br />

zurückzuziehen, wenn die Jugendlichen nach Freiraum und Privatsphäre verlangen. Vor<br />

allem in Situationen, in denen die Teenager von ihren Gefühlen übermannt werden und<br />

einen Moment allein sein möchten, akzeptiert Annegret Noble diese Reaktion und<br />

bestärkt sie sogar, sich diese Auszeiten zu nehmen:<br />

F3, 17:37 – 17:41<br />

Situation: Annegret hat aus dem Brief von Pascals Mutter vorgelesen. Dieser ist<br />

währenddessen weinend aufgestanden und hinter sein Zelt gelaufen.<br />

Zuerst eine Aufnahme in <strong>der</strong> „Totalen“. Man sieht Pascals Zelt in <strong>der</strong> Bildmitte,<br />

um das Zelt herum ist nur Wüstenlandschaft zu erkennen. Frau Noble sitzt<br />

davor, Pascal kommt zurück auf sie zu.<br />

Die Szene wird von trauriger Klaviermusik untermalt.<br />

81


Annegret: „Danke. Das ist total in Ordnung. Wenn du das noch mal machen<br />

F4, 34:21 – 34:26<br />

musst, machste das, okay?“<br />

Situation: Pascal hat im Gesprächskreis von seinem Opa erzählt, ist in Tränen<br />

ausgebrochen und ein Stück von <strong>der</strong> Gruppe weggelaufen.<br />

Nach einer Rückenansicht des weinenden Pascals sieht man Annegret und den<br />

Rest <strong>der</strong> Gruppe im Kreis stehen.<br />

Annegret: „Pascal! Ja super, nimm die ein paar Minuten und dann kommste<br />

wie<strong>der</strong>.“<br />

Frau Noble respektiert, dass Pascal sich zurückziehen möchte und versucht nicht, ihn<br />

zum Bleiben o<strong>der</strong> zu Gesprächen zu überreden. Er kann in Ruhe weinen und traurig<br />

sein, aber je<strong>der</strong>zeit zu Annegret zurück kommen, wenn er ein Gespräch o<strong>der</strong> tröstende<br />

Worte sucht. Auch in an<strong>der</strong>en Situationen erklärt die Therapeutin den Jugendlichen<br />

mehrmals, dass sie ihr mitteilen sollen, wenn sie mit einer Situation überfor<strong>der</strong>t sind<br />

und sich Auszeiten nehmen möchten. Dieses Vorgehen för<strong>der</strong>t die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Jugendlichen, da sie nur durch eine Zurückhaltung <strong>der</strong> Professionellen lernen können,<br />

selbstständig mit Situationen umzugehen. Außerdem zeigt es den Teenagern, dass ihre<br />

Bedürfnisse respektiert werden und unterstützt somit ein positives Verhältnis zwischen<br />

den Beteiligten.<br />

In Situationen, bei denen die Teenager Empfindungen zeigen, hierfür aber allein sein<br />

möchten, gelingt es Annegret also, sich zurückzuhalten. An<strong>der</strong>s verhält es sich, wenn<br />

sich die Jugendlichen nicht auf ihre Therapie einlassen wollen und sich weigern, ihre<br />

Gefühle preiszugeben. Beispielhaft sei die folgende Szene angeführt:<br />

F4, 36:25 – 42:36<br />

Situation: Die Teenager sollen im „Kreis <strong>der</strong> Wahrheit“ den an<strong>der</strong>en erzählen,<br />

was sie bewegt.<br />

Annegret und Stacey stehen nebeneinan<strong>der</strong>, die an<strong>der</strong>en Teenager stehen um die<br />

beiden herum.<br />

Annegret: „Okay Stacey, hast du was?“<br />

Stacey: “Muss ich?”<br />

82


Annegret: “Du musst nicht, ich fänd’s aber sehr schön, wenn du das Risiko<br />

eingehen könntest.“<br />

Stacey: (atmet tief ein und aus) „Ich hab Angst, dass wenn meine Eltern<br />

Annegret: „Okay.“<br />

morgen in <strong>der</strong> Wüste kommen, (ihre Stimme beginnt zu zittern)<br />

dass meine kleine Schwester vielleicht von ner Klapperschlange<br />

gebissen wird o<strong>der</strong> so.“<br />

Annegret akzeptiert Staceys Antwort zuerst, stellt Stacey aber später, abseits <strong>der</strong><br />

Gruppe, noch mal zur Rede.<br />

Stacey: „Bullshit?“<br />

Annegret: „Das war Drama.“<br />

Stacey: (dreht sich um und geht)<br />

Annegret: „Stacey!“<br />

Laute Rockmusik beginnt zu spielen.<br />

Die Kamera verfolgt Stacey, die vor Annegret davonläuft und die Therapeutin,<br />

die versucht sie einzuholen. Zwischendurch Aufnahmen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Teenager.<br />

Sprecher: „Anstatt offen über ihre Probleme zu reden, weicht Stacey eher<br />

Die Rockmusik verstummt.<br />

aus. Therapeutin Annegret verfolgt jetzt nur ein Ziel: Sie will sie<br />

provozieren, um endlich an sie heran zu kommen.“<br />

Annegret: „Stacey, guck mich bitte an!“<br />

Stacey: (läuft weiter vor Annegret davon) „Ich guck dich ganz bestimmt<br />

nicht mehr an. Ich soll über meine Gefühle reden, dann red ich<br />

über meine Gefühle…“<br />

Annegret: (unterbricht sie laut:) „Du hast nicht über deine Gefühle geredet!“<br />

Stacey: (bleibt stehen, schaut sie an) „Ne?!“<br />

Annegret: „Du hast Drama gemacht!“<br />

Stacey: „Ach, ich hab Drama gemacht? Wahrscheinlich geschauspielert,<br />

vielleicht lieb ich meine kleine Schwester nicht, o<strong>der</strong> was?“<br />

(weint)<br />

Annegret: (breitet die Arme aus, schreit) „Okay! Dann sag das! (Stacey geht<br />

Stacey: „Ja, warum?!“<br />

weiter weg, Annegret hinter ihr her) Klapperschlange! Blödsinn!“<br />

Annegret: „Wenn du Angst um deine Schwester hast, dann sag, dass du<br />

Angst um Deine Schwester hast.“<br />

83


Stacey: (schreit) „Du weißt, was in mir drinne vorgeht?“<br />

Annegret: „Jetzt bist du ehrlich!“<br />

Stacey: „Du kennst meine Gefühle, du kennst meine Ängste? Du kennst<br />

nichts von mir, außer was du vielleicht von meinen Eltern…<br />

(hörst)!“<br />

Annegret: (unterbricht sie, brüllt) „Weil du’s nicht draußen, weil du’s nicht<br />

raus lässt!“<br />

Stacey: „Vielleicht möchte ich’s auch nicht! (gestikuliert mit einer Hand)<br />

Aus so nem Grund wie diesem!“<br />

Annegret: „Hast du’s eben auch nicht rausgelassen?“<br />

Stacey: „Doch!“<br />

Annegret: „Nein!“<br />

Stacey: „Ich hab grad das gesagt, was ich gefühlt habe!“<br />

Annegret: „Deine Schwester kommt sowieso nicht, das weißt du auch! Jetzt<br />

sei endlich ehrlich, Stacey!“<br />

Stacey: „Ich bin ehrlich, wie oft denn noch?!“<br />

Annegret: „Ja, im Moment biste ehrlich. Jetzt sag mir nur mal was Ehrliches<br />

vom Herzen!“<br />

Stacey: „Du sagst, ich soll meine Probleme reden, o<strong>der</strong> das was ich<br />

fühle…“<br />

Annegret: „Das ist nicht dein Problem, d, d, das deine Schwester von ner<br />

Klapperschlange gebissen wird.“<br />

Stacey: „Nein? Weißt du, was in mir vorgeht?! Weißt du, ob ich nicht<br />

(Angst habe)?“<br />

Annegret: (unterbricht sie) „Dann sag’s mir doch!“<br />

Stacey: (schreit und weint) „Das hab ich grad gesagt! Check es! (tippt<br />

sich an den Kopf) Mach dein Gehirn auf und lass es einfach rein<br />

fließen! (geht ein paar Schritte weiter weg, schweigt) …. Wenn<br />

du es nicht merkst, wenn ich einmal von Gefühlen rede und das<br />

ist genau <strong>der</strong> Grund, warum ich aufgehört habe, irgendwie über<br />

meine Gefühle zu reden. Weil man mich nicht ernst genommen<br />

hat! (Annegret fängt einzelne Silben an, die sie abbricht, als<br />

Stacey einfach weiterredet) Du bist genauso grad wie meine<br />

Eltern!“<br />

84


Annegret: (etwas ruhiger) „Es ist sehr schwer dich ernst zu nehmen, wenn<br />

du so redest, als ob es alles nur um Drama geht. (läuft auf Stacey<br />

zu) Und dass das nicht n ehrliches Gefühl ist. Wenn du einfach<br />

sagst ‚Ich hab halt Angst um meine Schwester’ dann ist das in<br />

Ordnung.“<br />

Etwas später, Stacey hat letztendlich doch erzählt, warum sie Angst hat.<br />

Fröhliche Musik erklingt.<br />

Sprecher: „Endlich weiß die Cheftherapeutin was Stacey wirklich bewegt.<br />

Annegrets kleine Provokationen haben gewirkt. Wenn Stacey<br />

jetzt nicht ehrlich gewesen wäre, hätte sie ihre Eltern nicht sehen<br />

dürfen.“<br />

Schon zu Beginn <strong>der</strong> Szene fragt Stacey, ob sie etwas erzählen muss. Die Therapeutin<br />

verneint zwar, betont aber, dass sie es sich eigentlich wünscht. Staceys Antwort ist für<br />

sie dann jedoch nicht zufriedenstellend und sie spricht sie abseits <strong>der</strong> Gruppe noch<br />

einmal darauf an. Sie unterstellt ihr „Drama gemacht zu haben“, also nicht ehrlich<br />

gewesen zu sein, was die Jugendliche verletzt, da sie sich nicht ernst genommen fühlt.<br />

Im darauffolgenden Streitgespräch verdeutlicht Stacey mehrmals, dass sie aufgrund<br />

schlechter Erfahrungen nicht gern über ihre Gefühle spricht. Statt pädagogisch taktvoll<br />

zu reagieren und Stacey frei entscheiden zu lassen, wann sie sich <strong>der</strong> Therapeutin und<br />

<strong>der</strong> Gruppe anvertraut, besteht Annegret Noble weiterhin darauf, dass sie ihr „nur mal<br />

was Ehrliches vom Herzen“ sagt. Mit den Worten „Du kennst meine Gefühle, du kennst<br />

meine Ängste? Du kennst nichts von mir, außer was du vielleicht von meinen Eltern<br />

hörst!““ stellt Stacey außerdem klar, dass für sie <strong>der</strong> pädagogische Bezug (noch) nicht<br />

stabil genug ist, um über heikle Gefühle zu sprechen. Annegret Noble geht lei<strong>der</strong> nicht<br />

darauf ein und insistiert weiter auf völlige Offenheit. Der abschließende Kommentar des<br />

Sprechers „Annegrets kleine Provokationen haben gewirkt. Wenn Stacey jetzt nicht<br />

ehrlich gewesen wäre, hätte sie ihre Eltern nicht sehen dürfen.“, verdeutlicht das<br />

fehlende pädagogische Taktgefühl in dieser Szene noch einmal. Die Jugendlichen<br />

werden mit allen Mitteln dazu gebracht, ihre Gefühle preiszugeben, ansonsten folgen<br />

Sanktionen.<br />

Neben dem pädagogischen Takt ist auch ein allgemeines Taktgefühl angebracht. In <strong>der</strong><br />

folgenden Szene zeigt sich Marlies Luepges – wenn auch erst auf den zweiten Blick –<br />

Dzeneta gegenüber taktvoll:<br />

85


F1, 25:30 – 25:55, 26:22 – 26:36<br />

Situation: Dzeneta soll sich komplett entkleiden, in die Hocke gehen, die Arme<br />

hochhalten und sich einmal um 360 Grad drehen.<br />

Man sieht abwechselnd Marlies, die vor einer Kammer steht und Dzeneta, in<br />

einer Nah-Einstellung, die sich in <strong>der</strong> Kammer befindet.<br />

Langsame Töne einer E-Gitarre und eines Schlagzeugs im Hintergrund .<br />

Marlies: „Und Dzeneta?“<br />

Dzeneta: „Nein!“<br />

Marlies: „Ich kann Dir sagen...“<br />

Dzeneta: „Ich mach das nicht!“<br />

Marlies: (schaut Dzeneta intensiv an und atmet schwer aus) „So leid es<br />

mir tut, du wirst es machen müssen.“<br />

Dzeneta: „Ich werd's nicht machen.“<br />

Marlies: „Entwe<strong>der</strong> jetzt hier .. o<strong>der</strong> später, in einem weniger ..<br />

angenehmen Umfeld.“<br />

Dzeneta: „Ich mach es nicht, nein. .. Das geht aber wirklich nicht, ich<br />

mein's ernst.“<br />

Marlies: „Das wird schwierig, hm?“<br />

Dzeneta: „Eh, es wird nicht, es wird einfach nicht gehen!“<br />

Etwas später:<br />

Marlies: „Kannst du dir vorstellen, deinen, deinen BH auszuziehen, in,<br />

wenn du mir den Rücken zudrehst? Und den Neuen anzuziehen?“<br />

Dzeneta: (grinst ein wenig) „Das ist hier echt .. psychisch krank.“<br />

Marlies: (strahlt, als sie Dzeneta den neuen BH reicht) „Danke schön!“<br />

Dzeneta: „Ihr seid voll krank, ich hasse euch, woa?“<br />

Die Auffor<strong>der</strong>ung, sich vor einer völlig fremden Frau komplett zu entkleiden und eine<br />

demütigende Pose einzunehmen ist ohne Frage sehr taktlos. Verständlicherweise weigert<br />

sich Dzeneta vehement gegen diese Anweisung. Mit den Worten „Das wird schwierig,<br />

hm?“ kommt Marlies ihr jedoch schon ein Stück entgegen. Sie erkennt, wie<br />

unangenehm die Situation ist und findet später sogar einen Kompromiss: Dzeneta soll<br />

ihren BH wechseln, darf <strong>der</strong> Betreuerin dabei aber den Rücken zukehren. Durch ihre<br />

86


freundliche Art macht sie die Szene außerdem angenehmer und erträglicher für die<br />

Jugendliche und beweist somit Taktgefühl, was die Jugendliche mit Kooperation<br />

belohnt. Ein solch taktvolles Verhalten gelingt Betreuerin Marlies jedoch nicht immer,<br />

wie die folgende Szene beweist:<br />

F2, 23:48 – 26:15<br />

Situation: Die Teenager haben Müll (zum Beispiel Teebeutel) an ihren<br />

Zeltplätzen zurück gelassen, Stacey die Plastikhülle eines Tampons.<br />

Marlies Luepges und die Jugendlichen, die im Kreis stehen und <strong>der</strong> Betreuerin<br />

zuhören, werden einzeln in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „amerikanisch“ gezeigt.<br />

Zwischendurch sieht man eine Detailaufnahme des Mülls, den Frau Luepges<br />

aufgesammelt und vor den Teenagern auf den Boden gelegt hat.<br />

Marlies: „Es gibt auch noch weitere Sachen, die ich in Camps gefunden<br />

hab, die so abstoßend sind, dass ich nicht mitgebracht hab. Die<br />

Leute möchte ich jetzt gern auch, dass die jetzt dazu stehen. (…)<br />

Stacey, was ist in deinem Camp noch zurück geblieben?<br />

Stacey: „Ich weiß es nicht.“<br />

Stacey gibt später zu, Grießbrei verschüttet zu haben. Marlies Luepges schickt<br />

sie zum Zeltplatz, um es wegzuputzen.<br />

Die Kamera in <strong>der</strong> Einstellung „subjektive Kamera“ verfolgt Stacey, als sie den<br />

Wüstenboden nach Müll absucht. Marlies steht im Hintergrund, die Arme in die<br />

Hüften gestemmt, und beobachtet die Jugendliche.<br />

Sprecher: Expeditionsleiterin Marlies weiß genau, dass Stacey sie wegen<br />

ihres Mülls angelogen hat. Sie will Stacey testen, ob sie ihr doch<br />

noch die Wahrheit sagt.<br />

Bei ihrem Zeltplatz angekommen for<strong>der</strong>t Marlies Stacey auf, die Stelle zu<br />

inspizieren. Stacey sucht immer wie<strong>der</strong> den Boden ab, bis sie die<br />

Tamponverpackung findet und aufhebt.<br />

Stacey: „Ah! Das meintest du, o<strong>der</strong>?“<br />

Marlies: „Ja.“<br />

Stacey: (ganz leise) „Gut. Tschuldigung. Hab ich nicht gesehen.“<br />

Marlies: „Wenn du Tampon raus nimmst, den benutzt, dann muss <strong>der</strong><br />

Abfall sofort in Abfall rein.“<br />

Stacey: (noch leiser) „Ich hab’s nicht gesehen. Tschuldigung.“<br />

87


Marlies Luepges hält in strengem Ton einen Vortrag über die Natur. Staceys<br />

Gesicht wird bis zur „Detailansicht“ herangezoomt, sie hat Tränen in den Augen.<br />

Frau Luepges verlangt zuerst von Stacey vor <strong>der</strong> ganzen Gruppe zuzugeben, was für<br />

eine Art Müll sie bei ihrem Zeltplatz hat liegen lassen, wobei sie genau weiß, dass es<br />

sich um die Verpackung eines Tampons handelt. Gerade im Jugendalter stellt das eine<br />

außerordentlich peinliche Situation dar. Anstatt sie später, am Zeltplatz angekommen,<br />

einfach kurz darauf hinzuweisen, lässt Marlies sie immer wie<strong>der</strong> den Boden absuchen.<br />

Selbst als Stacey das Papierchen gefunden hat, es aufhebt und sich entschuldigt, kann<br />

die Expeditionsleiterin die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie spricht noch einmal<br />

vor <strong>der</strong> Kamera laut aus, dass es sich um Damenhygieneartikel handelt und hält einen<br />

Vortrag über die Natur. Stacey ist diese Situation so peinlich, dass sie zu weinen<br />

beginnt. Von Taktgefühl kann hier nicht die Rede sein, es scheint, als würde die<br />

Jugendliche vorsätzlich vorgeführt. Auch Andreas wird gedemütigt, als er<br />

Schnarchgeräusche imitieren soll (vgl. S. 36). Um zu beweisen, dass er im Schlafsack<br />

liegt, verlangt Marlies Luepges von ihm zu schnarchen, anschließend macht sie sich<br />

darüber lustig. Dieses Vorgehen ist dem Jugendlichen gegenüber respektlos und macht<br />

eine herzliche Beziehung zwischen Teenager und Betreuer schlichtweg unmöglich.<br />

Alles in allem gibt es also durchaus Situationen, in denen sich die Professionellen den<br />

Jugendlichen gegenüber freundlich, fürsorglich, hilfsbereit und anerkennend verhalten.<br />

Da die Teenager darauf meist ebenfalls mit Freundlichkeit reagieren, kommt es zu einer<br />

warmherzigen Atmosphäre, die aber lei<strong>der</strong> manchmal durch die Kommentare des<br />

Sprechers relativiert wird. Ich befürchte jedoch, dass an<strong>der</strong>e Situationen, nämlich<br />

solche, in denen die Betreuer kalt und auch handgreiflich mit den Jugendlichen<br />

umgehen, die herzlichen Beziehungsansätze ruinieren. Gerade das Verbot zu sprechen,<br />

harte Strafen und ein respektloses und demütigendes Verhalten wird die Jugendlichen<br />

davon abhalten, sich auf ein mögliches Beziehungsangebot einzulassen. Dass die<br />

Beziehungen zwischen den Jugendlichen und Erwachsenen durch ein enormes<br />

Misstrauen gekennzeichnet sind, verwun<strong>der</strong>t daher nicht. Erschwerend kommt ein<br />

Mangel an Akzeptanz und Verständnis für die Heranwachsenden hinzu, ihre<br />

persönlichen Bedürfnisse werden entwe<strong>der</strong> nicht gesehen o<strong>der</strong> zugunsten <strong>der</strong> Gruppe<br />

o<strong>der</strong> des vorgefertigten Programms ignoriert. Es geht also eben nicht um das Wohl des<br />

einzelnen Jugendlichen o<strong>der</strong>, um mit Nohl zu sprechen, ihn dabei zu unterstützen „zu<br />

seiner Form zu kommen“.<br />

88


4.3.2 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern: Elternarbeit<br />

Die Eltern sind für die in Institutionen lebenden Kin<strong>der</strong> wichtige subjektive<br />

Erlebnisbereiche, die berücksichtigt werden müssen, denn nicht nur die körperliche<br />

Anwesenheit <strong>der</strong> Eltern beeinflusst die Kin<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch ihr Elternbild in<br />

Vorstellungen und Phantasien. Kurz gesagt, die Eltern sind immer „anwesend“. Diese<br />

Tatsache auszublenden würde zum Scheitern <strong>der</strong> pädagogischen Bemühungen führen<br />

(vgl. Hansen 1999, 1023f.), denn „zahlreiche empirische Befunde belegen, dass die<br />

frühzeitige Mitwirkung <strong>der</strong> Eltern in Hilfe- und Betreuungsprozessen großen Anteil am<br />

Erfolg einer Jugendhilfemaßnahme haben“ (Schulze-Krüdener 2007, 99). Vor allem bei<br />

kurzzeitpädagogischen Maßnahmen, bei denen eine Rückführung von vorne herein fest<br />

steht, muss das Ziel <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit die Refunktionalisierung des familialen<br />

Gesamtsystems sein. „Nur bei verän<strong>der</strong>ten, neu organisierten Systembedingungen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Familie, nur bei einer systematischen Vorbereitung <strong>der</strong> Rückführung<br />

bleiben dem Kind (und auch den Eltern) weitere Enttäuschungen im Zusammenleben<br />

erspart.“ (Hansen 1999, 1024). Die Elternarbeit ist daher sowohl ein unverzichtbarer<br />

Ansatz als auch ein Qualitätskriterium <strong>der</strong> stationären Hilfen zur Erziehung – wer<br />

Verän<strong>der</strong>ungen erreichen will muss eben mit und nicht gegen die Eltern arbeiten (vgl.<br />

Homfeldt/Schulze-Krüdener 2007, 11). Diese sind dabei als gleichberechtigte<br />

Erziehungspartner zu sehen, die mit den Professionellen gemeinsam Verantwortung für<br />

die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen tragen (vgl. ebd., 9). „Eine gleichwertige Begegnung<br />

zwischen Eltern und denjenigen, die Begleitung anbieten, ist ... eine erste<br />

Voraussetzung für die Erreichbarkeit (<strong>der</strong> Eltern, D.S.). Wenn Elternbildung davon<br />

ausgeht, dass es nur die Eltern sind, die etwas zu lernen haben und die Pädagogen als<br />

die Wissenden diese Lernangebote für Eltern konzipieren sollen, dann werden Eltern als<br />

Zielgruppe von Angeboten schnell zu Objekten herabgesetzt.“ (Tschöpe-Scheffler 2007,<br />

26). Statt den Eltern Verän<strong>der</strong>ungen einfach zu verordnen sollte man ihre Ressourcen<br />

erkennen und darauf aufbauen (vgl. ebd., 41). Für den Erfolg stationärer Maßnahmen ist<br />

es also unverzichtbar, dass die Arbeit vor Ort an den bisherigen Bewältigungsversuchen<br />

<strong>der</strong> Familien ansetzt und die Potenziale <strong>der</strong> Eltern und Kin<strong>der</strong> (bisherige<br />

Problembewältigungsstrategien, eigene Erziehungserfahrungen, Beobachtungen im<br />

Alltag) erkennt und wertschätzt (vgl. Homfeldt/Schulze-Krüdener 2007, 8). Eltern<br />

erleben die stationäre Unterbringung ihrer Kin<strong>der</strong> ohnehin oft als Entmündigung und<br />

Demütigung, sie empfinden häufig Selbstzweifel, Scham, Versagensgefühle und<br />

Ohnmacht (vgl. Schulze-Krüdener 2007, 102). Daher ist es umso wichtiger, auf<br />

89


negative Zuschreibungen wie „faul“ o<strong>der</strong> „desinteressiert“, zu verzichten, denn diese<br />

werden zu Recht als Abwertung und Bedrohung erlebt, was zu einer Ablehnung des<br />

Angebots und <strong>der</strong> Kontakte führen kann. Der Fokus sollte auf jeden Fall auf <strong>der</strong><br />

Gegenwart und <strong>der</strong> Zukunft liegen. Um die Gegenwart besser verstehen zu können, ist<br />

es zwar oft hilfreich, einen Blick auf die Biographie zu werfen, Fehleranalysen,<br />

Schuldzuschreibungen und Etikettierungen müssen allerdings unbedingt vermieden<br />

werden (vgl. Hofer 2007, 143).<br />

Doch was genau ist unter Elternarbeit zu verstehen? Definiert man sie nach Hamberger<br />

als „alle Kontakte zwischen Eltern, Erziehungsberechtigten, <strong>der</strong> Einrichtung und den<br />

Kin<strong>der</strong>n, die sich entwe<strong>der</strong> informell o<strong>der</strong> planmäßig ergeben und <strong>der</strong>en verbindendes<br />

Element ist, in Bezug auf den Hilfe- und Erziehungsprozess eine gemeinsame<br />

Vertrauensbasis und entsprechende Unterstützung, in manchen Fällen auch eine<br />

Mitarbeit <strong>der</strong> Eltern sicherzustellen und so einen für alle Beteiligten gelungenen<br />

Hilfeverlauf zu ermöglichen“ (zit.n. Hofer 2007, 136), so sind viele Formen und<br />

Methoden denkbar. Elternarbeit kann von einfachen Besuchen über Elterntrainings bis<br />

hin zu intensiver therapeutischer Arbeit reichen (vgl. Schulze-Krüdener 2007, 104). Die<br />

traditionellste Form ist die Kontaktpflege, zum Beispiel durch Besuche,<br />

Telefongespräche, o<strong>der</strong> Briefe. Außerdem werden mancherorts systematisch geplante,<br />

intensive Familiengespräche angeboten. Denkbar wären jedoch auch Aktivitäten mit<br />

mehreren Eltern zusammen, wie zum Beispiel Feste o<strong>der</strong> themenzentrierte<br />

Gesprächsrunden, denn <strong>der</strong> Austausch mit an<strong>der</strong>en Betroffenen und die Erweiterung des<br />

persönlichen Netzwerks sind für viele Erziehungsberechtigte hilfreich (vgl. Gün<strong>der</strong><br />

2007, 78 ff.). Auf jeden Fall sollte Elternarbeit aber die folgenden Aspekte beinhalten:<br />

− Vermittlung des Gefühls von Willkommensein in <strong>der</strong> Einrichtung und Betonung<br />

<strong>der</strong> Wichtigkeit <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

− Betonung <strong>der</strong> weiterhin gegebenen Verantwortung für die Kin<strong>der</strong><br />

− Einbeziehung <strong>der</strong> Eltern in den Alltag und bei Erziehungsschwierigkeiten<br />

− Entlastung <strong>der</strong> Eltern von Schuldgefühlen<br />

− Alltag für die Eltern transparent machen (vgl. Conen 2007, 67f.)<br />

Beim manchen Kin<strong>der</strong>n ist es allerdings aus verschiedenen Gründen einfach nicht<br />

möglich mit den Eltern zu arbeiten. Sei es, weil sie partout keinen Kontakt wollen, o<strong>der</strong><br />

weil sowohl Jugendamt als auch Gericht aufgrund bestimmter Vorfälle jeglichen<br />

Kontakt zwischen Kind und Eltern ablehnen. In ihrem Konzept „Elternarbeit ohne<br />

90


Eltern“ betont Conen (2007, 75f.) dass es trotzdem wichtig ist, mit den Kin<strong>der</strong>n<br />

Gespräche über mögliche Erwartungen und Vorstellungen <strong>der</strong> Eltern zu führen, da<br />

ihnen dies eine innere Auseinan<strong>der</strong>setzung ermöglicht. „Heimkin<strong>der</strong>, die keine<br />

Kontakte zu ihren Eltern haben, benötigen dennoch die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit ihnen,<br />

um die Vergangenheit zu bewältigen und um zu einer eigenen Identifikation zu<br />

gelangen“ (Gün<strong>der</strong> 2007, 87).<br />

Im Folgenden möchte ich herausarbeiten, wie die Elternarbeit in <strong>der</strong> Serie dargestellt<br />

wird und ob sie den aufgeführten professionellen Standards entspricht.<br />

Analyse<br />

In vielen Szenen wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen den Jugendlichen und<br />

ihren Eltern angespannt und problematisch ist:<br />

F1, 12:39 – 12:47<br />

Aufnahme von Vivien in <strong>der</strong> „Halbnahen“. Sie sitzt auf dem Fensterbrett in<br />

einem offenen Fenster, draußen sieht man die grünen Zweige eines Baumes und<br />

einen Teil des Nachbarhauses. Dann sieht man sie rauchend, ihr Gesicht in<br />

Großaufnahme. Einmal wackelt das Bild kurz, verzerrt sich und es ertönt ein<br />

Geräusch, das an einen Stromschlag erinnert.<br />

Schrille Klänge wie aus einem Horrorfilm.<br />

Vivien: „Die (Mutter, D.S.) interessiert sich gar nicht für mich. So<br />

F1, 42:44 - 42:51<br />

kommts mir zumindest rüber und .... (leiser) kann man vergessen,<br />

ist sinnlos.“<br />

Frau Sluiter-Mengels, Pascals Mutter, wird in Großaufnahme eingeblendet mit<br />

<strong>der</strong> Bildunterschrift “Heike Sluiter Menges. ‘Mein Son macht mich fertig!’”.<br />

Zwischendurch Aufnahmen von Pascal, <strong>der</strong> mit einem Freund zusammen eine<br />

Wasserpfeife raucht.<br />

Sehr leise, schaurige Klänge im Hintergrund.<br />

P.'s Mutter: „Also, ich hasse meinen Sohn .. manchmal extrem. Aber ich ..,<br />

ich schäme mich auch dafür.“<br />

91


F3, 38:58 – 39:17<br />

Dzeneta und Annegret Noble sitzen nebeneinan<strong>der</strong> auf dem Wüstenboden und<br />

unterhalten sich. Die Kamera schwenkt während des Gesprächs zwischen ihnen<br />

hin und her. Im Hintergrund sieht man vertrocknete Pflanzen.<br />

Dzeneta: „Also ich glaub <strong>der</strong> kein Wort, wenn da jetzt irgendwie drin steht,<br />

dass sie mich vermisst.“<br />

Annegret: „Warum nicht?“<br />

Dzeneta: „Ich weiß nicht. Ich kann meiner Mutter nicht glauben. Sie hat<br />

mich immer belogen, mein ganzes Leben hat die mich schon<br />

belogen. Denkt auch ich bin dumm.“<br />

Annegret: „Glaubst du denn, dass sie dich lieb hat?“<br />

Dzeneta: „Vielleicht mag sie mich so als Menschen, aber nicht als Tochter.<br />

Also ich glaub nich, ne.“<br />

Schon in diesen drei beispielhaft ausgewählten Szenen zeigen sich viele mögliche<br />

Ansatzpunkte für die Arbeit mit Eltern und Kin<strong>der</strong>. Außerdem werden häufig Szenen<br />

aus dem Familienalltag gezeigt, in denen sich die Familienmitglie<strong>der</strong> heftig streiten.<br />

Damit sich die Beziehung zwischen ihnen nachhaltig, das heißt auch längere Zeit nach<br />

dem Auslandsprojekt, verbessern kann, ist eine intensive Elternarbeit unabdingbar. Im<br />

Therapiekonzept des Auslandsprojekts sind daher Kontakte mit den Familien <strong>der</strong><br />

Teenager trotz <strong>der</strong> großen Distanz zwischen den USA und Deutschland ausdrücklich<br />

vorgesehen:<br />

F3, 5:45 – 5:55<br />

Kameraschwenk über die Wüstenlandschaft bis die Teenager, in einer Reihe<br />

wan<strong>der</strong>nd, herangezoomt werden. Zwischendurch sieht man eine<br />

„Nahaufnahme“ von Annegret Noble.<br />

Sprecher: „Kurz nach <strong>der</strong> Trennung von Dzeneta verlässt auch Therapeutin<br />

Annegret die Gruppe. Sie will mit den Eltern <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

Kontakt aufnehmen. Die Elterntelefonate sind ein fester<br />

Bestandteil des Programms.“<br />

92


Auch Annegret Noble und ihre Kollegen scheinen die Notwendigkeit <strong>der</strong> Elternarbeit zu<br />

erkennen:<br />

F5, 5:50 – 6:21<br />

Situation: Vivien darf ihre Eltern bei den anstehenden Elternbesuchen nicht<br />

sehen, da sie sich während des „Solos“ von ihrem Zeltplatz entfernt hat.<br />

Die Jugendliche wird in Nahaufnahme gezeigt. Sie sitzt bei sehr windigem und<br />

regnerischem Wetter im Eingangsbereich ihres Zelts und weint. Ihr Gesicht ist<br />

rot, ihre Augen sind dick und aufgequollen. Zwischenzeitlich sieht man Marlies<br />

Luepges und Annegret Noble, die vor dem Zelt hocken und mit <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

sprechen.<br />

Langsame und traurige Klaviermusik im Hintergrund.<br />

Marlies: (strenger Tonfall) „Es wird allenfalls die Möglichkeit für dich<br />

geben, später ... ein solches Gespräch nachzuholen. Das kommt<br />

aber sehr, sehr stark auf dein Verhalten drauf an.“ (Vivien nickt<br />

schüchtern)<br />

Annegret: „Du hast wirklich viel, das du mit deiner Familie bearbeiten musst<br />

und wir wollen, dass das passiert. Wir wollen auch, dass das<br />

möglichst bald passiert. Das ist für uns ne, ne Gelegenheit mit dir<br />

und deiner Familie zu arbeiten und wir wollen die auf jeden Fall<br />

wahrnehmen. Aber, wir müssen jetzt ..... (schüttelt den Kopf) uns<br />

auf dich verlassen, dass du das, dass du das kannst.“<br />

Lei<strong>der</strong> ist dies die einzige Szene, die zeigt, dass die Mitarbeiter die Elternarbeit für<br />

notwendig und unverzichtbar halten. Viel häufiger hingegen werden die Besuche <strong>der</strong><br />

Eltern und die gemeinsame Arbeit als Privileg für die Teenager dargestellt, das sie sich<br />

erarbeiten müssen und das als Druckmittel benutzt wird, um die Jugendlichen dazu zu<br />

bewegen, bestimmte Aufgaben zu erledigen o<strong>der</strong> sich an die Anweisungen <strong>der</strong> Betreuer<br />

zu halten.<br />

F4, 25:26 – 25:33<br />

Verschiedene Aufnahmen <strong>der</strong> kargen, staubigen Wüstenlandschaft. Ein Kasten<br />

mit den Worten „20. Tag“ wird eingeblendet.<br />

Langsame Gitarrenmusik.<br />

93


Sprecher: „Die Jugendlichen müssen ihre schriftlichen Aufgaben erledigt<br />

F5, 4:49 – 5:19<br />

haben, sonst dürfen sie ihre Eltern bei den anstehenden<br />

Zwischenbesuchen nicht sehen.“<br />

Situation: Kurts Vater kann wegen einer Knieverletzung nicht zu den<br />

Elternbesuchen kommen. Laut des Sprechers hätte Annegret Noble den Besuch<br />

jedoch ohnehin nicht erlaubt, da sich „Kurt bisher auf das Programm nicht<br />

eingelassen hat“ (F4, 44:18).<br />

Kurt sitzt weinend im Halbdunkeln im Eingangsbereich seines Zelts. Annegret<br />

Noble hockt davor.<br />

Leise Rockmusik im Hintergrund.<br />

Annegret: „Die nächsten paar Tage möchten wir, .... dass du dich noch mal<br />

F5, 6:22 – 6:30<br />

ganz auf dich konzentrierst und wenn du da mitmachst, dann hast<br />

du ne Chance, dir ein Telefonat mit deinem Vater zu verdienen.<br />

Also es kommt jetzt so n bisschen drauf, drauf an, wie du da<br />

mitziehst. Wir wollen, wollen dir wirklich die Gelegenheit geben,<br />

das ist jetzt furchtbar schwer für dich ... dass du noch n bisschen<br />

extra Zeit mit den Betreuern verbringen kannst, zum Nachdenken,<br />

zum traurig sein. “<br />

Vivien wird in <strong>der</strong> Einstellung „Nah“ gezeigt, während sie in ihrem Zelt auf dem<br />

Boden sitzt und ihre Tränen mit einem Papiertuch abwischt. Zeitgleich stehen<br />

Frau Noble und Frau Luepges auf und geht davon.<br />

Ruhige Gitarren- und Schlagzeugtöne.<br />

Sprecher: „Vivien bekommt eine Bewährungsfrist. Wenn sie die nächsten<br />

F4, 42:42 - 42:47<br />

Tage keine Regeln bricht, darf sie ihre Mutter sehen, weil sie nach<br />

ihrem Fehler einsichtig war.“<br />

Viele verschiedene und kurze Aufnahmen <strong>der</strong> Jugendlichen beim Wan<strong>der</strong>n.<br />

Ziemlich laute, fröhliche Musik.<br />

94


Sprecher: „Wer sich nicht völlig öffnet, dessen Eltern können auch in letzter<br />

Minute wie<strong>der</strong> ausgeladen werden.“<br />

Viele weitere Szenen dieser Art ließen sich in den ersten fünf Folgen finden. Dadurch,<br />

dass sie die Treffen mit den Eltern von Bedingungen abhängig machen, verpassen die<br />

Mitarbeiten teilweise die Gelegenheit, an <strong>der</strong> familiären Situation <strong>der</strong> Teenager zu<br />

arbeiten - <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Teilnehmer wird <strong>der</strong> Besuch letztendlich untersagt, obwohl die<br />

Arbeit mit den Eltern zu einem <strong>der</strong> unverzichtbaren Standards <strong>der</strong> stationären<br />

Unterbringung gehört und <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> Maßnahme davon abhängig sein kann.<br />

Die folgenden Zitate zeigen, dass eine Elternarbeit nicht an den Eltern scheitert. Sie<br />

wären bereit, etwas zu verän<strong>der</strong>n, da sie ihre Kin<strong>der</strong> lieben und das Beste für sie<br />

wollen.<br />

F1, 8:59 – 9:08<br />

Großaufnahme von Andreas’ Mutter am Flughafen. Im Hintergrund laufen<br />

Passanten an ihr vorbei. Einblende: „Evi Eckert. Mutter von Andreas”. Nach<br />

einer „Detail”-Aufnahme des “Departure”-Schilds sieht man Andreas<br />

davongehen und seine Eltern ihm nachwinken.<br />

A.'s Mutter: „Wir hatten keinen Zugang mehr in den letzten Jahren und ham<br />

F1, 7:49 - 7: 58<br />

auch vieles versucht und dass ist jetzt noch mal ne Chance, dass<br />

er da durch den Abstand und die intensive Therapie für sich neue<br />

Wege entdeckt.“<br />

Situation: Kevins Eltern verabschieden ihren Sohn am Flughafen.<br />

Detailaufnahme von Kevin und seiner Mutter, die ihn weinend in den Arm<br />

nimmt und an sich drückt.<br />

Sehr leise Rockmusik im Hintergrund.<br />

K.’s Mutter: „Wir haben Dich lieb, ne? Denk dran. (schnieft) Wir machen dat<br />

net, um dir weh zu tun, ne? Net vergessen, ja? (küsst Kevin) Du<br />

schaffst dat, ja?“<br />

95


F1, 46:25 – 46:44<br />

Kurt steht mit verschränkten Armen vor dem Haus seiner Eltern. Die Kamera<br />

zoomt heran, bis er in <strong>der</strong> Einstellung “Amerikanisch” zu sehen ist. Im<br />

Anschluss daran wird er gezeigt, als er, wahrscheinlich in seinem Zimmer auf<br />

dem Bett sitzend, mehrere an <strong>der</strong> Wand hängende Schusswaffen abnimmt und in<br />

seinen Rucksack steckt. Rechts im Bild erscheint ein Kasten mit Kurts Vater,<br />

<strong>der</strong>, ebenfalls die Arme verschränkt, ein Interview gibt.<br />

K.'s Vater: „Wir lieben unseren Sohn, da gibt’s überhaupt kene Frage und wir<br />

.. wollen ihn daraus haben, aus diesem Sumpf. Das hat er nicht<br />

verdient und das soll nicht sein. Sämtliche Schulpsychologen,<br />

o<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> Jugendämter, äh, vorher, (schüttelt den Kopf) null<br />

Hilfe. Es hilft dir ja keiner. “<br />

In diesen Szenen zeigt sich deutlich, dass eine emotionale Basis besteht. Die Eltern<br />

betonen, dass sie ihre Kin<strong>der</strong> lieben, dass sie sich Sorgen machen und Hilfe für sie<br />

suchen. Kurts Vater und Andreas’ Mutter erwähnen sogar, dass sie schon einiges<br />

versucht haben, um ihrem Nachwuchs zu helfen, bisher jedoch lei<strong>der</strong> ohne Erfolg. An<br />

den nach wie vor starken Gefühlen für die Kin<strong>der</strong> und dem Wunsch nach Verän<strong>der</strong>ung<br />

ließe sich hervorragend ansetzen, um die Eltern auf die Notwendigkeit ihrer Mitarbeit<br />

aufmerksam zu machen und sie mit einzubeziehen. Doch wird diese Chance von den<br />

Professionellen genutzt? Geben sie den Eltern die Möglichkeit, auch während des<br />

stationären Aufenthalts ihrer Kin<strong>der</strong> weiterhin Verantwortung zu übernehmen?<br />

F1, 2:45 – 2:55<br />

Aus mehreren Perspektiven Aufnahmen <strong>der</strong> Teenager, in <strong>der</strong> Wüste in einer<br />

Reihe stehend. Sie tragen dabei ihre Einheitskleidung (einfarbige, meist<br />

neonfarbene T-Shirts, blaue Shorts und beige Sonnenhüte). Zwischenzeitlich<br />

sieht man eine Detail-Aufnahme von Annegret Nobles Gesicht.<br />

Im Hintergrund ertönt sehr harte Rockmusik.<br />

Sprecher: „Annegret Noble und ihre Crew stehen vor <strong>der</strong> großen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, aus diesen deutschen Teenagern wie<strong>der</strong> Töchter<br />

und Söhne zu machen, vor denen sich ihre Eltern nicht mehr<br />

fürchten müssen.”<br />

96


F5, 13:44 – 13:50<br />

Detailaufnahme <strong>der</strong> Hände zweier Mütter: Staceys Mutter streichelt aufgeregt<br />

die Hand von Kevins Mutter. Dann schwenkt die Kamera hoch, so dass man die<br />

beiden Mütter und einen weiteren Vater in <strong>der</strong> Einstellung „Nah“ sieht. Sie<br />

stehen in einer Reihe und schauen nervös in eine Richtung. Im Anschluss daran<br />

zeigt die Kamera im Vor<strong>der</strong>grund, also scharf, den Draht von einem<br />

Stacheldrahtzaun, im Hintergrund erscheinen die Kin<strong>der</strong> unscharf am Horizont.<br />

Traurige Klaviermusik.<br />

Sprecher: „Nach drei Wochen gibt es endlich ein Wie<strong>der</strong>sehen. Die Eltern<br />

wissen nicht, ob sich ihre Kin<strong>der</strong> wirklich geän<strong>der</strong>t haben.<br />

Diese kurzen Szenen beweisen eindrucksvoll, dass die Eltern während des Programms<br />

nicht an <strong>der</strong> Erziehung ihrer Kin<strong>der</strong> beteiligt werden. Schon die Formulierung, dass die<br />

Mitarbeiter des Programms aus den Kin<strong>der</strong>n „wie<strong>der</strong> Töchter und Söhne … machen ...“<br />

sollen, zeigt, dass die Eltern nichts an<strong>der</strong>es zu tun haben, als ihre Kin<strong>der</strong> abzugeben und<br />

sie hinterher „verän<strong>der</strong>t und verbessert“ wie<strong>der</strong> im Empfang zu nehmen.. Auch <strong>der</strong> Satz<br />

„Die Eltern wissen nicht, ob sich ihre Kin<strong>der</strong> wirklich geän<strong>der</strong>t haben“ macht deutlich,<br />

dass ihnen jede Verantwortung genommen wird - sie werden augenscheinlich nicht<br />

einmal über den Verlauf des Programms informiert. (Abgesehen davon ist es ziemlich<br />

unrealistisch, zu erwarten, dass sich die Kin<strong>der</strong> nach drei Wochen in <strong>der</strong> Wüste<br />

„wirklich geän<strong>der</strong>t“ haben.) Auch Dzenetas Mutter beklagt in einer Szene, dass sie nicht<br />

erfährt, wie es ihrer Tochter geht und Kevins Mutter fragt sich in einer an<strong>der</strong>en<br />

weinend, ob ihr Sohn sie wohl vermisst o<strong>der</strong> böse auf sie ist. Von einer Transparenz des<br />

Alltags und des Programms kann also keine Rede sein – und ohne Transparenz ist<br />

natürlich auch keine Mitarbeit und Mitverantwortung <strong>der</strong> Eltern möglich.<br />

F5, 16:04 – 16:15<br />

Annegret Noble, Kris Schock, Pascal und seine Eltern sitzen in einem Raum auf<br />

Stühlen im Halbkreis während Frau Noble etwas zu erklären scheint – sie<br />

bewegt die Lippen und gestikuliert. Pascal befindet sich dabei seinen Eltern<br />

gegenüber, im Hintergrund erkennt man die an<strong>der</strong>en Familien. Außerdem<br />

werden nacheinan<strong>der</strong> „Detailaufnahmen“ von Annegrets und Pascals Gesicht,<br />

sowie eine „Halbnah“-Aufnahme <strong>der</strong> Eltern eingeblendet.<br />

Leise Rockmusik im Hintergrund.<br />

97


Sprecher: „Die Elterntreffen haben eine feste Struktur. Die Teenager<br />

müssen in den so genannten Offenbarungen ihre schlimmsten<br />

Taten gestehen. Ihre Eltern sollen ruhig und ohne Kommentare<br />

zuhören.“<br />

Selbst während ihres Besuchs in den USA sollen die Eltern „ruhig und ohne<br />

Kommentare zuhören“. Das kommentarlose Zuhören kann natürlich als<br />

Kommunikationsregel sinnvoll sein, dass jedoch keine Situation gezeigt wird, in <strong>der</strong> die<br />

Eltern nach ihrer Meinung gefragt o<strong>der</strong> an einer Entscheidung beteiligt werden<br />

(abgesehen von den Elternbriefen, in denen sie ihren Kin<strong>der</strong>n sagen sollen, was diese<br />

falsch gemacht haben), stellt sie sehr passiv dar. Alles in allem scheint die Elternarbeit<br />

bei „Teenager außer Kontrolle“ ohnehin eher Arbeit für die Jugendlichen zu sein. Es<br />

finden sich immer wie<strong>der</strong> Szenen, die zeigen, dass es die Heranwachsenden sind, die<br />

sich sowohl auf die Kontakte vorbereiten müssen, als auch während <strong>der</strong> Besuche<br />

Aufgaben zu erledigen haben:<br />

F4, 25:38 – 25:53<br />

Links im Bild eine Nahaufnahme von Annegret Noble beim Interview. Rechts<br />

sieht man sie, umgeben von einigen an<strong>der</strong>en Betreuern, unter einem Pavillon<br />

stehend handgeschriebene Seiten lesen.<br />

Ruhige, traurige Gitarrenklänge.<br />

Annegret: „Die Jugendlichen hatten viele Schreibaufgaben, vor allen<br />

Dingen, sich auf das Familientreffen vorzubereiten, ähm, Gefühle<br />

und Erlebnisse, Erinnerungen aufzuarbeiten.“<br />

F4, 34:24 - 34.32, 35:06 – 35.19<br />

Situation: In einem Gesprächskreis sollen die Teenager etwas sehr Persönliches<br />

von sich erzählen, etwas, was die an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Gruppe noch nicht wissen. Pascal<br />

fängt einen Satz an, bricht aber in Tränen aus.<br />

Die Kamera filmt Pascal, <strong>der</strong> etwas abseits <strong>der</strong> Gruppe steht und den Kopf<br />

hängen lässt, aus mehreren Perspektiven.<br />

Langsame Gitarrenmusik im Hintergrund.<br />

98


Sprecher: „Noch fällt es Pascal schwer, offen über seine Probleme zu reden.<br />

Etwas später:<br />

Bei den Elternbesuchen wird es aber eine seiner Aufgaben sein,<br />

genau das zu tun.“<br />

Verschiedene Nahaufnahmen <strong>der</strong> weinenden Jugendlichen.<br />

Weiterhin langsame Gitarrenmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Die an<strong>der</strong>en Jugendlichen haben große Probleme damit, <strong>der</strong><br />

Gruppe ihre Sorgen anzuvertrauen. Dennoch lässt Annegret<br />

Noble nicht locker. Denn wenn die Teenager nicht ehrlich sein<br />

können, machen die Besuche <strong>der</strong> Eltern keinen Sinn.“<br />

Die Familientreffen dienen also offensichtlich nicht dazu, die Eltern bei<br />

Erziehungsfragen zu unterstützen o<strong>der</strong> ihre Ressourcen zu entdecken, vielmehr sollen<br />

die Teenager an sich arbeiten, um ihren Eltern bei den Besuchen die „Ergebnisse“ als<br />

Beweis ihrer Verän<strong>der</strong>ung vorführen zu können. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Satz „denn wenn die<br />

Teenager nicht ehrlich sein können, machen die Besuche <strong>der</strong> Eltern keinen Sinn“ zeigt,<br />

dass es einzig und allein darum geht, den Eltern die Geständnisse ihrer Kin<strong>der</strong><br />

vorzuführen. Dass ein Elternbesuch auch ohne solche Offenbarungen sehr sinnvoll ist,<br />

da es viele an<strong>der</strong>e Möglichkeiten <strong>der</strong> Elternarbeit gibt, wird überhaupt nicht in Betracht<br />

gezogen. Die Jugendlichen sind also die Aktiven, die sich –durch die Arbeit <strong>der</strong><br />

Betreuer – verän<strong>der</strong>n, die Eltern hingegen die Passiven, die diese Verän<strong>der</strong>ung<br />

begutachten und feststellen sollen. Diese passive Elternrolle vermittelt den Beteiligten<br />

unterschwellig zweierlei: Erstens, dass die Teenager „Schuld“ sind an <strong>der</strong> schwierigen<br />

familialen Situation und zweitens, dass die Eltern nicht in <strong>der</strong> Lage sind, ihre Kin<strong>der</strong> zu<br />

erziehen o<strong>der</strong> zumindest bei <strong>der</strong> Erziehung mitzuwirken. Für beides lassen sich viele<br />

weitere Szenen finden. Ich beginne mit Ausschnitten, die zeigen, dass den Eltern keine<br />

Wertschätzung entgegengebracht und keine Kompetenz zugesprochen wird:<br />

F1, 0:39 – 0:44<br />

Verschiedene Aufnahmen, meist aus <strong>der</strong> Vogelperspektive, einer kargen<br />

Wüstenlandschaft mit <strong>der</strong> Kameraeinstellung „Weit”. Außerdem ein<br />

Sonnenaufgang im Zeitraffer. Viele Schnitte, also häufiger Wechsel von<br />

Einstellungen mit kurzer Dauer.<br />

Im Hintergrund aggressiv wirkende Gitarren-Musik.<br />

99


100<br />

Sprecher: „Der letzte Ausweg für die ratlosen Eltern liegt tief im Wilden<br />

F4, 0:30 – 0:34<br />

Westen <strong>der</strong> USA.”<br />

Erneut die Aufnahme des Sonnenaufgangs im Zeitraffer und verschiedene Bil<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Wüstenlandschaft. Auch hier viele Schnitte, also häufiger Wechsel von<br />

Einstellungen mit kurzer Dauer.<br />

Im Hintergrund aggressiv wirkende Gitarren-Musik.<br />

Sprecher: „Der Wilde Westen <strong>der</strong> USA ist die letzte Hoffnung für die<br />

überfor<strong>der</strong>ten Familien.“<br />

Diese beiden sehr ähnlichen Ausschnitte verdeutlichen das vermittelte Elternbild: Sie<br />

sind „ratlos“ und „überfor<strong>der</strong>t“, ihnen muss also von den Professionellen geholfen<br />

werden. Da keine weiteren Adjektive, wie beispielsweise „besorgt“, „entschlossen“,<br />

o<strong>der</strong> „liebend“ verwendet werden, erhalten die Erziehungsberechtigten ein negatives<br />

Image.<br />

F1: 11:00 – 11:06<br />

Situation: Vor dem Programm, kurz vor dem Abflug in die USA, weigert sich<br />

Vivien einzuchecken.<br />

Aufnahme von Vivien in <strong>der</strong> Einstellung „Amerikanisch“ am Frankfurter<br />

Flughafen. Sie wird von hinten gefilmt während sie mit ihrem Handy telefoniert.<br />

Nach einem Schnitt sieht man sie den Terminal verlassen.<br />

Sehr laute und aggressive Gitarrenmusik.<br />

Sprecher: „Viviens Mutter scheint – wie immer – machtlos zu sein. Auch<br />

zuhause hat Vivien immer nur das getan, was sie wollte.“<br />

Noch deutlicher wird das vermittelte Image durch dieses Zitat. Die Verallgemeinerung<br />

„wie immer“ impliziert, dass Viviens Mutter bei <strong>der</strong> Erziehung ihrer Tochter eigentlich<br />

nutzlos ist. Sie schafft es angeblich nie, ihrer Mutterrolle nachzukommen und Vivien<br />

Grenzen zu setzten. Lei<strong>der</strong> wird es auch nicht erwähnt, o<strong>der</strong> gar positiv anerkannt, als<br />

man in einer Szene eindeutig erkennt, dass eine <strong>der</strong> Mütter sehr wohl in <strong>der</strong> Lage ist,


Grenzen und Regeln aufzustellen und diese auch durchzusetzen:<br />

F1, 32:29- 32:42, 32:56 – 33:07<br />

101<br />

Aufnahmen mit <strong>der</strong> „Elternkamera”. Man sieht in verwackelten Bil<strong>der</strong>n, wie<br />

Andreas’ Mutter mit einer Flasche in <strong>der</strong> Hand, gefolgt von ihrem Sohn, die<br />

Küche betritt. Dann „Kampfaufnahmen“ vor dem Spülbecken: Andreas’ Mutter<br />

schüttet den Inhalt <strong>der</strong> Flasche in den Ausguss während Andreas versucht, sie<br />

davon abzuhalten.<br />

A.'s Mutter: „Das glaub ich nicht. Immer hier...“<br />

Andreas: (brüllt) „Verpiss dich!“<br />

A.'s Mutter: „So lange du...“<br />

Andreas: „Verpiss dich!“<br />

A.'s Mutter: „...in diesem Haus wohnst, Andreas, wirst du kein Alkohol hier...“<br />

Andreas: „So eine behin<strong>der</strong>te Schlampe, Mama, ne?!“<br />

A.'s Mutter: „Hör auf...“<br />

Etwas Später:<br />

Andreas: „Bist du behin<strong>der</strong>t im Kopf o<strong>der</strong> was, du Fotze?“<br />

A.'s Mutter: „So lange du hier...“<br />

Andreas: „Verpiss dich!“<br />

A.'s Mutter: „Gleich ist es alle, da kannst du gucken! (Als die Flasche leer ist:)<br />

So, jetzt kannst du die Flasche mitnehmen.“<br />

Andreas: „Verpiss dich! (nimmt die Flasche und verlässt wütend die<br />

Küche) Schlampe, Alter!“<br />

Obwohl es Andreas’ Mutter gelingt, ihren Sohn vom Alkohol trinken in <strong>der</strong> elterlichen<br />

Wohnung abzuhalten, wird dies in keinster Weise positiv erwähnt. Stattdessen soll diese<br />

Szene belegen, dass es bei Andreas zuhause “drunter und drüber” geht. Der Ausschnitt<br />

wird nämlich gezeigt, nachdem Andreas’ Mutter sich beklagt, nicht mehr auf ihren Sohn<br />

einwirken zu können. Statt an den Ressourcen anzusetzen und <strong>der</strong> Mutter zu vermitteln,<br />

dass sie es sehr wohl noch schafft, ihrem Sohn Grenzen zu setzen – und er diese<br />

letztendlich auch, trotz seiner Beschimpfungen, akzeptiert – wird überhaupt nicht darauf<br />

eingegangen. Auch sonst habe ich lei<strong>der</strong> keine einzige Szene gefunden, in denen an den<br />

Ressourcen <strong>der</strong> Familien angesetzt wird. Im Gegenteil:


F5, 9:45 – 5:52<br />

102<br />

Aufnahme des Vollmonds bei Nacht, im unteren Drittel des Bildes erkennt man<br />

die Umrisse dreier Bäume. Im Anschluss daran sieht man einen Sonnenaufgang<br />

und die Einblende „22. Tag“.<br />

Sprecher: „In den Tagen vor den Elternbesuchen sollten die Jugendlichen<br />

ihre schlimmsten Taten aufschreiben, um sie dann ihren Eltern zu<br />

gestehen.“<br />

Der Fokus liegt also nicht auf <strong>der</strong> Zukunft, indem man an neuen, gemeinsamen Wegen<br />

arbeitet, son<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> Vergangenheit. Alte Geschichten werden besprochen, die<br />

Kin<strong>der</strong> müssen ihren Eltern ihre „schlimmsten Taten“ gestehen. Diese Praxis finde ich<br />

äußerst fragwürdig – Davids Vater formuliert nach Davids „Offenbarung“ sehr treffend:<br />

„Ich bin eigentlich froh, dass unsere Mutter heut nicht hier ist. (…) Hätte ihr<br />

wahrscheinlich heute das Herz gebrochen.“ (F5, 23:54 - 24:04). Der Problemfokus<br />

kann also dazu führen, dass sich Eltern und Kin<strong>der</strong> noch weiter voneinan<strong>der</strong> entfernen.<br />

Auch die Darstellung <strong>der</strong> Familien ist alles an<strong>der</strong>e als ressourcenorientiert:<br />

F1, 5:08 – 5:15<br />

Kevins Eltern stehen links im Bild vor ihrem Haus. Im ersten Stock des<br />

Mehrfamilienhauses sitzt Kevin im Fenster und lässt die Beine heraushängen.<br />

Man empfindet man die Distanz zwischen Eltern und Sohn als sehr groß.<br />

K.’s Vater: „Ich heiße Wolfgang Obladen, das ist meine Frau Monika, und<br />

oben dat ist unser kleiner Herr Gangster, Kevin.“<br />

Da fast alle Familien nach diesem Schema vorgestellt werden (die Eltern zusammen,<br />

das Kind mit großem Abstand in einer an<strong>der</strong>en Ecke des Bildes), kann man davon<br />

ausgehen, dass die Anordnung absichtlich arrangiert wurde. Damit wird impliziert, dass<br />

die Beziehungen zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n kaputt sind, dass es keine gemeinsame<br />

Basis gibt. Ressourcenorientierung würde hingegen bedeuten, nach Gemeinsamkeiten<br />

zu suchen, o<strong>der</strong> Dinge herauszuarbeiten, die in den Familien gut funktionieren. Auch in<br />

vielen weiteren Szenen werden die Beziehungen negativ dargestellt, <strong>der</strong> Fokus liegt auf<br />

den Problemen und nicht auf den Potenzialen <strong>der</strong> Familien. Beispielhaft seien hier die<br />

folgenden zwei Situationen angeführt:


F1, 15:26 - 15:32<br />

Situation: Vivien hatte sich geweigert, mit in die USA zu fliegen.<br />

103<br />

Sie wird in <strong>der</strong> „Totalen” gezeigt, als sie mit einer Tasche bepackt zurück zum<br />

Terminal kommt.<br />

Töne einer E-Gitarre im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Vivien kehrt zurück. Sie fährt lieber in die USA als mit ihrer<br />

F1, 10:17 – 10:21<br />

Mutter zurück ins verhasste Zuhause.“<br />

Detailaufnahme von Staceys kleiner Schwester, die beim Abschied am<br />

Flughafen weint.<br />

Sprecher: „Stacey waren ihre Eltern und Geschwister immer egal.“<br />

In <strong>der</strong> ersten Szene sieht man, dass die Beziehungen zwischen den Beteiligten möglichst<br />

negativ dargestellt werden. Der Grund für Viviens Rückkehr könnte ein ganz an<strong>der</strong>er<br />

sein, beispielsweise <strong>der</strong> Wunsch, doch etwas zu verän<strong>der</strong>n, die Sorge um die eigene<br />

Zukunft, o<strong>der</strong> die Überlegung, ihrer Mutter einen Gefallen tun zu wollen. Statt diese<br />

Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen wird einfach behauptet, sie wolle bloß nicht<br />

„zurück ins verhasste Zuhause“. Beson<strong>der</strong>s beim zweiten Ausschnitt handelt es sich<br />

nicht nur um Schwarzmalerei, son<strong>der</strong>n schlichtweg um eine falsche Darstellung <strong>der</strong><br />

Umstände, um dem Zuschauer eine möglichst aussichtslose Familiensituation<br />

vorzuspielen. Erstens sind keinem Kind die „Eltern und Geschwister immer egal“ und<br />

zweitens betont beson<strong>der</strong>s Stacey in allen Folgen immer wie<strong>der</strong>, wie wichtig ihr ihre<br />

kleine Schwester ist und wie sehr sie unter <strong>der</strong> kühlen Beziehung zu ihrer Mutter leidet.<br />

Ihre Familie ist ihr also alles an<strong>der</strong>e als egal. Von Ressourcenorientierung kann keine<br />

Rede sein.<br />

Der zweite zuvor angesprochene Punkt ist das Schuldgefühl, das den Teenagern durch<br />

die Elternarbeit vermittelt wird. Annegret Noble hat die Eltern gebeten, den Teenagern<br />

in Briefen ihre Gefühle mitzuteilen. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass sie<br />

schreiben, wie schlecht es ihnen momentan geht und sie die Kin<strong>der</strong> dafür verantwortlich<br />

machen. Augenscheinlich war das genau so von <strong>der</strong> Therapeutin angedacht:


F3, 15:07 – 15:27<br />

104<br />

Kevin wird beim Wan<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Froschperspektive gefilmt. Anschließend<br />

sieht man Frau Noble in <strong>der</strong> „amerikanischen” Einstellung – sie steht allein in<br />

<strong>der</strong> kargen Landschaft und blickt den Teenagern entgegen, die mit ihrer<br />

Wan<strong>der</strong>ausrüstung ankommen und sich dann im Halbkreis aufstellen. Während<br />

ihres Interviews sieht man sie in „Nah-“ Aufnahme<br />

Mysteriös wirkende einzelne Töne im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Therapeutin Annegret Noble ist zurück in <strong>der</strong> Wüste. Sie hat<br />

Nachrichten aus Deutschland. Die Eltern <strong>der</strong> Teenager haben<br />

Briefe geschickt.“<br />

Annegret: „Diese Briefe werden den Jugendlichen hoffentlich helfen zu<br />

F3, 20:50 – 21:00<br />

verstehen, warum sie hier sind, woran sie arbeiten müssen und<br />

was sie än<strong>der</strong>n müssen, um zu hause, mit ihren Familien,<br />

zusammen zu leben.“<br />

Links im Bild befindet sich ein Feld mit Annegret Noble. Sie steht in <strong>der</strong><br />

Wüstenlandschaft und gibt ein Interview. In einem kleineren Feld auf <strong>der</strong><br />

rechten Bildschirmhälfte sieht man sie mit verschiedenen Teenagern und einem<br />

Brief in <strong>der</strong> Hand vor den Zelten sitzen. Zum Schluss vergrößert sich <strong>der</strong> linke<br />

Kasten zum Vollbild. Einblende: „Annegret Noble. Cheftherapeutin“.<br />

Man hört eine traurige Geigenmelodie.<br />

Annegret: „Für die meisten <strong>der</strong> Jugendlichen wird es schon ne sehr<br />

emotionale Erfahrung sein, von zuhause zu hören und auch<br />

wirklich noch mal dran erinnert zu werden, warum sie hier sind.“<br />

Den Jugendlichen wird also vermittelt, dass sie allein Schuld sind, an <strong>der</strong> familialen<br />

Situation, dass sie sich än<strong>der</strong>n müssen, um „zuhause, mit ihren Familien, zusammen …<br />

leben“ zu dürfen. Das Projekt wird nicht als Hilfe für die Kin<strong>der</strong> gesehen, son<strong>der</strong>n als<br />

Strafe dafür, wie sie sich in ihrem bisherigen Leben verhalten haben. Das wird<br />

beson<strong>der</strong>s durch den Satz „und auch wirklich nochmal dran erinnert zu werden, warum<br />

sie hier sind” deutlich.


F3, 17:40 – 18:18<br />

Situation: Annegret hat Pascal aus dem Brief seiner Eltern vorgelesen.<br />

105<br />

Die beiden werden aus <strong>der</strong> Froschperspektive, auf dem Boden vor Pascals Zelt<br />

sitzend, gefilmt. Frau Noble hält den Brief auf dem Schoß, <strong>der</strong> Jugendliche<br />

weint und hat den Kopf gesenkt, so dass man nur noch seinen Hut sehen kann.<br />

Traurige Klaviermusik.<br />

Annegret: „Was passiert grad in dir?“<br />

Pascal: „Ach, ich bin traurig. ..... (schnieft) Dass ich meiner Mom weh<br />

getan hab.“<br />

Annegret: „Ich hab gehört, dass, dass sie sich sehr, sehr wünscht, dass sich<br />

zu hause bei euch was verän<strong>der</strong>t. Was denkst denn, was du tun<br />

musst, damit das zu hause auch klappt?“<br />

Pascal: „Ja, einfach ruhig bleiben, wenn die mich aufregen.“<br />

Annegret: „Kannst du das schon?“<br />

Pascal: „Ja, n bisschen. ... Hier kann ich ja nur den Anfang lernen, und<br />

dat Rest muss ich ja dann zu hause weiter lernen.“<br />

Annegret: „Stimmt, hast total recht.“<br />

Pascal: „Ja, ich weiß, dass ich meiner Mom seelisch weh getan hab und<br />

so.“<br />

Selbst im direkten Gespräch mit Pascal vermittelt Frau Noble ihm, dass es seine<br />

Aufgabe sei, etwas zu tun, „damit es zu hause auch klappt”. Statt zu fragen „was müsste<br />

sich denn zu hause än<strong>der</strong>n, damit es besser klappt und was könnte je<strong>der</strong> von euch dazu<br />

beitragen?“, wird er allein für das Gelingen verantwortlich gemacht. Am Rande sei<br />

angemerkt, dass ich die „Bewältigung“ <strong>der</strong> Schwierigkeiten, die ihm offensichtlich<br />

während des Programms beigebracht wurde, für äußerst zweifelhaft halte: „Einfach<br />

ruhig bleiben, wenn die mich aufregen“ heißt meines Erachtens nur, nichts an <strong>der</strong><br />

familialen Situation und den Beziehungen zwischen den Familienmitglie<strong>der</strong>n zu än<strong>der</strong>n,<br />

son<strong>der</strong>n die Probleme herunterzuschlucken. Pascals „Aufregen“ könnte ein Ausdruck<br />

von Spannungen innerhalb <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> seines weiteren Umfelds sein – diese Wut<br />

einfach „in sich hinein zu fressen“ und in sich aufzustauen führt meiner Meinung nach<br />

nur noch zu größeren Problemen. Frau Nobles Frage „Kannst Du das schon?“ zeigt<br />

jedoch, dass sie diese „Lösung“ für akzeptabel und richtig hält.


Auch die Eltern selbst scheinen <strong>der</strong> Meinung zu sein, dass nur die Jugendlichen an sich<br />

arbeiten müssen. Stellvertretend für fast alle Elternbriefe, die sehr ähnlich sind, habe ich<br />

folgende beiden Szenen ausgewählt.<br />

F3, 16:42 – 17:10<br />

Situation: Die Eltern haben ihren Kin<strong>der</strong>n Briefe geschrieben.<br />

106<br />

Nahaufnahme von Pascal. Er sitzt weinend mit angezogenen Beinen auf dem<br />

Boden, den Sonnenhut tief herunter gezogen und das Gesicht hinter den Armen<br />

vergraben, die auf seine Beine aufgestützt sind. Die Kamera zoomt noch etwas<br />

näher heran bis zur Einstellungsgröße „Detail“. Anschließend sieht man ihn und<br />

Annegret Noble in <strong>der</strong> „Halbtotalen“ auf dem Boden vor Pascals Zelt sitzen.<br />

Frau Noble, die man zwischenzeitlich auch in „Nahaufnahme“ sieht, liest aus<br />

dem Brief vor.<br />

Eine traurige und langsame Klaviermelodie im Hintergrund.<br />

Annegret: (liest aus dem Brief von Pascals Mutter vor) „Wenn du dich nicht<br />

än<strong>der</strong>st, dann muss ich dir sagen, dass du gehen musst. Ich kann<br />

es nicht mehr sehen, dass du fast alle terrorisierst und mich<br />

nervlich fertig machst. Ich habe momentan Wut auf dich, weil du<br />

dir nicht helfen lässt. Es tut sehr weh, so etwas zu sagen, aber ich<br />

muss es dir sagen, vielleicht än<strong>der</strong>st du dich ja. Das hoffe ich so<br />

sehr. Wenn du dich nicht än<strong>der</strong>st, dann muss ich dir sagen, dass<br />

du hier gehen musst.“<br />

(Pascal steht weinend auf und geht hinter sein Zelt)<br />

F3, 21:45 – 21:54<br />

Nahaufnahme von Kurt, <strong>der</strong> vor seinem Zelt sitzt und sich, während er Kris<br />

zuhört, immer wie<strong>der</strong> die Augen reibt. Zwischenzeitlich eine Detailaufnahme<br />

vom Brief seiner Eltern.<br />

Im Hintergrund hört man dramatische Geigenmusik.<br />

Kris: (liest aus dem Brief von Kurts Vater vor) „Jetzt werde ich mich<br />

wie<strong>der</strong> auf mein Leben mit Anke konzentrieren. Denn du bist<br />

dabei, unsere Familie und das Familienleben zu zerstören.“


Diese Einstellung <strong>der</strong> Eltern ist an sich wohl nicht ungewöhnlich. Es wäre jedoch<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Betreuer und sinnvoller Inhalt <strong>der</strong> Elternarbeit, ihnen zu vermitteln, dass es<br />

nicht um Schuldfragen, son<strong>der</strong>n um neue Wege für die Zukunft <strong>der</strong> Familien geht.<br />

Dieser Schritt bleibt jedoch aus, die Briefe <strong>der</strong> Eltern und die darin enthaltenen<br />

Vorwürfe bleiben unkommentiert. So verwun<strong>der</strong>t es nicht, dass die Teenager diese<br />

Sichtweise verinnerlichen und bald selbst <strong>der</strong> Meinung sind, für alles verantwortlich zu<br />

sein und nur für ihre Eltern an dem Programm teilzunehmen:<br />

F3, 27:38 – 27:47<br />

107<br />

Kevin sitzt bei Sonnenuntergang im Eingangsbereich seines Zelts und liest den<br />

Brief seiner Eltern. Bei einer Nahaufnahme seines Gesichts erscheint ein roter<br />

Kasten mit den Worten „Kevin, 15 Jahre. Gang-Mitglied.“<br />

Langsame, fast traurige Popmusik im Hintergrund.<br />

Kevin: „Ja, ich hab Schuldgefühle in mir von meinen Eltern. (schnieft,<br />

F2, 22:12 – 22:30<br />

wischt sich die Nase ab) Dass mir das alles Leid tut, was ich<br />

gemacht hab, dass ich das denen angetan hab.“<br />

Nahaufnahme von Stacey, im Hintergrund erkennt man die karge Landschaft.<br />

Einblende: „Stacey, 17 Jahre. Schulabbrecherin“. Anschließend sieht man sie<br />

aus <strong>der</strong> Froschperspektive, mit ihrem Rucksack und dem Wan<strong>der</strong>stock bepackt.<br />

Eine sehr leise, ruhige Melodie spielt im Hintergrund.<br />

Stacey: „Ich bin traurig, weil ik zu meiner Mutter möchte und deswegen<br />

mach ich eigentlich das auch hier (wischt sich eine Träne weg).<br />

Und deswegen geb ich mir auch so viel Mühe und deswegen hab<br />

ich auch eigentlich die ganze Kraft. Weil ich hoffe, dass wenn ich<br />

hier gut arbeite, und dass meine Mutter es dann hört, dass ich<br />

dann gleich mit darf, wenn sie mich besuchen kommt.“<br />

Viele weitere Szenen dieser Art habe ich in den Folgen gefunden. Durch die<br />

Schuldzuschreibungen fühlen sich die Jugendlichen verantwortlich und sind traurig<br />

darüber, was sie ihren Eltern „angetan” haben. Das führt letztendlich dazu, dass sie sich


durch das Programm durchkämpfen, um den Eltern einen Gefallen zu tun, um sie aber<br />

auch stolz zu machen. Sie hoffen, dass sie, wenn sie nur brav an sich arbeiten und alles<br />

befolgen, was von ihnen verlangt wird, wie<strong>der</strong> mit nach hause dürfen. Die Chancen<br />

eines Auslandsprojekts, als Hilfe und Angebot für die Jugendlichen und ihre Eltern,<br />

werden damit verspielt. Selbst als Vivien die Betreuer direkt darauf aufmerksam macht,<br />

dass die familiären Schwierigkeiten keinem allein zugeschrieben werden können, gehen<br />

diese nicht darauf ein.<br />

F3, 29:11 – 29:17<br />

108<br />

Situation: Die Teenager sollen während eines Gesprächskreises berichten, was<br />

für sie das Wichtigste war, dass ihre Eltern ihnen in den Elternbriefen<br />

geschrieben haben.<br />

Vivien in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Amerikanisch“ am Lagerfeuer.<br />

Ruhige Gitarrenmusik, die zur Lagerfeuerstimmung passt, im Hintergrund.<br />

Vivien: „Meine Mutter hat mir geschrieben, dass sie's endlich eingesehen<br />

hat, dass, .. dass sie auch Fehler gemacht hat.“<br />

Ich habe jedoch auch einige Szenen gefunden, in denen man meiner Meinung nach von<br />

einer gelungenen Elternarbeit sprechen kann:<br />

F3, 23:37 – 23:50<br />

Situation: David hat gerade den Brief seiner Eltern gelesen.<br />

Zurrst eine Detailaufnahme von seinem Gesicht, er ist weint. Dann sieht man ihn<br />

neben Frau Noble auf dem Boden vor seinem Zelt sitzen Statt sie anzuschauen<br />

blickt er runter und spielt im Sand herum.<br />

David: (schnieft) „Jetzt weiß ich auch wenigstens, wie sich meine Eltern<br />

Annegret: „Ja“<br />

gefühlt haben. (schluchzt)“<br />

David: „Hauptsächlich hatten sie eben Angst um mich. (schnieft) Und det<br />

hab ich nie begriffen vorher.“<br />

Hier hat die Elternarbeit, also die Briefe, die die Eltern ihren Kin<strong>der</strong>n schreiben sollten,<br />

offensichtlich zu mehr Verständnis für die Familienmitglie<strong>der</strong> geführt. David kann das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Eltern jetzt positiv deuten – nämlich als Sorge um ihn und daher als


Liebe. Diese Einsicht könnte <strong>der</strong> Grundstein für alternative Verhaltensweisen sein und<br />

zu mehr Kommunikation innerhalb <strong>der</strong> Familie führen. Von Schuldzuschreibungen<br />

wird abgesehen.<br />

F2, 13:39 – 13:57<br />

109<br />

Situation: Annegret schlägt den Jugendlichen vor, sich in Situationen, in denen<br />

sie wütend werden, eine Auszeit zu nehmen und zu gehen.<br />

Die Jugendlichen und Annegret Noble sitzen auf dem Boden unter einem<br />

Sonnendach im Kreis zusammen. Frau Noble hat einige Blätter Papier auf ihrem<br />

Schoß liegen und gestikuliert. Im Hintergrund sieht man David, <strong>der</strong> wie in <strong>der</strong><br />

Schule aufgeregt seinen Finger hebt und augenscheinlich etwas sagen will. Die<br />

meisten <strong>der</strong> Teenager scheinen interessiert zuzuhören, an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um flüstern,<br />

spielen mit ihrem Sonnenhut o<strong>der</strong> grinsen amüsiert.<br />

Annegret: „Und manchmal ist das Leben nicht so ideal. Aber das ist das<br />

Ziel. Und ich werde mit euren Eltern dran arbeiten, dass die das<br />

machen, ... hoffentlich lernt ihr, wie ihr diese, diese gelbe Karte<br />

euch dann nehmt und wirklich diese Auszeit euch nehmt, diese<br />

Ruhepause, damit ihr euch beruhigen könnt.“<br />

Hier wird also von einer einseitigen Schuldzuschreibung abgesehen, Kin<strong>der</strong> und Eltern<br />

sollen beide an sich arbeiten. Das gibt einerseits den Eltern das Gefühl wichtige<br />

Beteiligte zu sein und in ihrer Elternrolle wertgeschätzt zu werden und an<strong>der</strong>erseits<br />

vermittelt es den Jugendlichen, dass sie nicht allein für die familiären Probleme<br />

verantwortlich gemacht werden. Nach diesem Prinzip sollte die Elternarbeit eigentlich<br />

immer ablaufen, lei<strong>der</strong> handelt es sich bei „Teenager außer Kontrolle“ mit diesem<br />

Ausschnitt jedoch um eine Ausnahme. Es ist tatsächlich die einzige Szene in <strong>der</strong><br />

erwähnt wird, dass auch mit den Eltern an Zielen gearbeitet wird.<br />

F3, 39:40 – 41:10, 41:26 – 41:50<br />

Situation: Annegret Noble hat einen Brief mitgebracht, den Dzenetas Mutter<br />

geschrieben hat.<br />

Dzeneta und Frau Noble sitzen nebeneinan<strong>der</strong> auf dem Boden, sie werden<br />

abwechselnd in „Groß“ gezeigt. Aufgrund des schlechten Wetters sind beide


110<br />

sehr dick angezogen und tragen Mützen. Einmal wird <strong>der</strong> Brief in „Detail-“<br />

Aufnahme gezeigt.<br />

Dzeneta: „Kumma, kumma was n Shit, das regt mich jetzt schon auf!<br />

Kumma, was n Scheiß die da schreibt! Wie wenig, ey ne, Alter!“<br />

(traurige Gitarrenmusik beginnt zu spielen)<br />

Annegret: „Bist du jetzt enttäuscht?“<br />

Dzeneta: „Ich, ne, ich hab eigentlich gar nicht erwartet, dass irgendwie<br />

jetzt, ich find’s c o o l, PC-Schrift, ich glaub das war ihr Freund,<br />

dass <strong>der</strong> das geschrieben hat, o<strong>der</strong> meine Schwester am PC.“<br />

Annegret: „Deine Mutter schreibt am PC gar nicht?“<br />

Dzeneta: „Ne, ich glaub nicht, dass sie weiß wo die Tasten sind, (lacht)<br />

o<strong>der</strong> ne Maus bewegen kann.“<br />

Annegret: „Okay, ich les es dir jetzt mal vor.“<br />

Dzeneta: „Ja.“<br />

Annegret: (liest vor) „Liebe Dzena, wir vermissen dich sehr. Ich finde es<br />

schade, dass bei euch das Netz so schlecht ist und wir nicht näher<br />

erfahren können wie es euch läu, wie es bei euch läuft. Ich backe<br />

dir einen ganz großen Schokokuchen wenn du kommst.“<br />

Dzeneta: „Soll sich verpissen, Alter!“<br />

Annegret: (liest weiter) „Wenn du wie<strong>der</strong> hier bist, ist die neue Wohnung<br />

schon fertig. Danjo fragt auch die ganze Zeit wann du kommst.<br />

Ich schreib dir bald wie<strong>der</strong>. Ich hab dich sehr lieb. Deine Mama.<br />

Dzeneta: (lacht, dreht sich weg)<br />

Annegret: „Was geht dir jetzt grad durch den Kopf?“<br />

Dzeneta: „Gar nichts eigentlich.“<br />

Annegret: „Doch...“<br />

Dzeneta: „Scheiße, Alter.“<br />

Annegret: „Du hast Dich umgedreht und gelacht, dir ging was durch den<br />

Kopf.“<br />

Dzeneta: „Ja, ich find’s einfach nur lächerlich, was sie da schreiben.“<br />

Annegret: (nickt) „Bist du enttäuscht?“<br />

Dzeneta: „Ich bin nicht enttäuscht. Ich hab’s auch erwartet, meine Mutter,<br />

ich hab’s ja auch die ganze Zeit gedacht...“<br />

Annegret: (unterbricht sie) „Bist du enttäuscht?“


111<br />

Dzeneta: (überlegt, grinst ein bisschen) „Ich bin schon mein ganzes Leben<br />

von meiner Mutter enttäuscht. Von daher ist ja klar, ich hab, ich<br />

hab’s gewusst, dass sie's nicht war, weil meine Mutter nennt mich<br />

nicht Dzena. Meine Mutter nennt mich Jenny, will mich deutsch<br />

machen, geht nicht, meine Schwester ist diejenige und meine<br />

ganzen Freunde, die mich Dzena nennen. Und meine Mutter<br />

nicht.“<br />

Annegret: „Bist du enttäuscht?“<br />

Dzeneta: (lacht tonlos) „Ja, ’türlich bin ich enttäuscht! Ich bin doch die<br />

ganze…“<br />

Annegret: (ruft) „Danke ums zuzugeben, dass du’s zugegeben hast.“<br />

Etwas später:<br />

Annegret: „Deine Mutter ist so. Und vielleicht können wir die nie verän<strong>der</strong>n.<br />

Vielleicht än<strong>der</strong>t die sich nie. Und, und du wirst immer tief in dir<br />

drin traurig sein,<br />

Dzeneta: („Detail-“ Aufnahme von Dzenetas Gesicht). (Sehr ruhig, traurig)<br />

„Ja. ... Was soll ich machen.“<br />

Annegret: „Weiß ich auch nicht, aber vielleicht können wer j a mal dahin<br />

gehen. Können wir ja mal den See erforschen, und gucken, wo die<br />

Tränen alle herkommen, die du nicht geweint hast.<br />

Diese letzte Szene ist meiner Meinung nach ein gelungenes Beispiel für die sogenannte<br />

„Elternarbeit ohne Eltern“. Dzenetas Mutter, die ihre Tochter bereits nicht wie die<br />

an<strong>der</strong>en Eltern am Flughafen verabschiedet hat, schreibt ihr zwar eventuell einen Brief<br />

(vielleicht war es ja auch <strong>der</strong> Freund o<strong>der</strong> die Schwester), kümmert sich jedoch nicht so<br />

intensiv um ihre Tochter wie es die an<strong>der</strong>en Eltern tun. Abgesehen davon, dass es<br />

meiner Meinung nach Aufgabe <strong>der</strong> Professionellen wäre zu versuchen, Dzenetas Mutter<br />

mehr zu involvieren und zu motivieren, finde ich, dass Annegret Noble in diesem<br />

Ausschnitt sehr sensibel und verantwortungsbewusst mit Dzenetas Verletzung und<br />

Enttäuschung umgeht. Statt über die Mutter zu schimpfen, Dzenetas Trauer<br />

herunterzuspielen, o<strong>der</strong> das Gespräch abzubrechen bietet sie ihr an, die Verletzungen<br />

aufzuarbeiten und mit ihr über die Beziehung zu ihrer Mutter zu sprechen.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es durchaus positiv zu bewerten ist, dass bei<br />

„Teenager außer Kontrolle“ trotz <strong>der</strong> großen räumlichen Distanz zwischen Deutschland<br />

und den USA viel Wert auf die Arbeit mit den Familien gelegt wird. Telefonate, Briefe<br />

und Besuche <strong>der</strong> Eltern gehören fest zum Konzept. Lei<strong>der</strong> ist die Ausgestaltung <strong>der</strong><br />

Elternarbeit jedoch meist weniger gelungen: Die Kontakte werden von Bedingungen<br />

abhängig gemacht und als Druckmittel verwendet, die Eltern werden für ihre bisherigen<br />

Leistungen nicht wertgeschätzt und nicht weiter in die Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> involviert.<br />

Die Arbeit vor Ort ist für sie nicht transparent genug und <strong>der</strong> Fokus liegt eher auf den<br />

Problemen <strong>der</strong> Vergangenheit statt auf den Ressourcen und <strong>der</strong> Zukunft. Die Kin<strong>der</strong><br />

werden außerdem in den meisten Fällen für die aufgetretenen Schwierigkeiten innerhalb<br />

<strong>der</strong> Familien verantwortlich gemacht. Letztendlich kann es so dazu kommen, dass die<br />

Elternarbeit zu Schuldgefühlen seitens <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und dem Gefühl <strong>der</strong> Nutzlosigkeit<br />

seitens <strong>der</strong> Eltern führt, was nicht ihrem Sinn entspricht. Szenen, die eine gute<br />

Elternarbeit zeigen, sind lei<strong>der</strong> sehr selten.<br />

112


4.3.3 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen: Die Bedeutung <strong>der</strong> Gruppe<br />

Die soziokulturelle Theorie besagt, dass sich Kin<strong>der</strong> über soziale Lernprozesse die<br />

Kultur ihrer Lebenswelt aneignen (vgl. Opp/Unger 2006, 58). Neben Erwachsenen, die<br />

Kin<strong>der</strong>n als Vorbild fungieren, für sie da sind und ihnen Grenzen setzten, benötigen<br />

Heranwachsende als Interaktionspartner aber auch ihresgleichen. Da die sogenannten<br />

„Peers“ in <strong>der</strong> Regel we<strong>der</strong> über einen Erfahrungs- noch einen Kompetenzvorsprung<br />

verfügen, sind Jugendliche im Umgang mit ihnen <strong>der</strong> Realität sehr viel stärker<br />

ausgesetzt, als in <strong>der</strong> asymmetrischen Beziehung zu Erwachsenen und können so<br />

wichtige soziale Kompetenzen erwerben. Das gleichaltrige Gegenüber ist we<strong>der</strong><br />

Versorger, noch Beschützer o<strong>der</strong> Welterklärer, son<strong>der</strong>n jemand mit dem auf gleicher<br />

Augenhöhe verhandelt wird (vgl. ebd., 202). Mit an<strong>der</strong>en Worten: „Der sozialisatorische<br />

Beitrag <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>interaktion kann sich nicht auf Erfahrung, Vorbild und Belehrung<br />

stützen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>welt konfrontieren sich relativ Gleiche mit ihren<br />

Erwartungen und Absichten und stehen vor <strong>der</strong> Aufgabe, ihre Sichtweisen und Vorhaben<br />

wechselseitig zu koordinieren“ (Krappmann 1998, 355f.). Nach Rein<strong>der</strong>s und Youniss<br />

(2005, 260) wird durch symmetrische Peerbeziehungen auch die moralische<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Heranwachsenden geför<strong>der</strong>t, denn oft befolgen Kin<strong>der</strong> lediglich aus<br />

Liebe o<strong>der</strong> Furcht die Anweisungen <strong>der</strong> Erwachsenen, noch bevor sie eigene Einsichten<br />

gewonnen haben. In <strong>der</strong> Beziehung zu den Gleichaltrigen hingegen müssen sie sich<br />

ihrer eigenen Ansicht bewusst werden und diese in Interaktion mit dem Gegenüber<br />

behaupten. Sozialpsychologische Forschungen zeigen des Weiteren, dass Vergleiche mit<br />

<strong>der</strong> Bezugsgruppe für die Bildung eines Selbstkonzepts und Selbstwertgefühls von<br />

zentraler Bedeutung sind. Denn das eigene Selbstbild kann korrigiert werden, wenn <strong>der</strong><br />

Jugendliche lernt, sich selbst aus <strong>der</strong> Perspektive an<strong>der</strong>er wahrzunehmen. Dies kann<br />

außerdem dazu führen, eigene Verhaltensweisen und Angewohnheiten neu zu bewerten<br />

und zu überdenken (vgl. Uhlendorff 2005, 91). Vor allem bei alltäglichen Problemen<br />

wird die Bedeutung <strong>der</strong> Peerbeziehungen verständlich: Oft haben Jugendliche das<br />

Gefühl, von Erwachsenen einfach nicht verstanden o<strong>der</strong> ernst genommen zu werden,<br />

manchmal bezieht sich <strong>der</strong> Konflikt auch gerade auf die erwachsene Bezugsperson. So<br />

kommt es nicht in Frage, bei ihr Rat zu holen. Sich hingegen im Austausch mit<br />

Freunden verstanden zu fühlen und zu erfahren, dass diese ganz ähnliche Probleme<br />

haben, kann schon einen ersten Schritt aus <strong>der</strong> Krise darstellen (vgl. Opp/Unger 2006,<br />

203).<br />

113<br />

Bei allen positiven Aspekten darf nicht verschwiegen werden, dass die Peers neben


einem entwicklungsför<strong>der</strong>nden auch einen entwicklungsgefährdenden Einfluss haben<br />

können (vgl. Rein<strong>der</strong>s/Youniss 2005, 272). So ist abweichendes Verhalten oft in<br />

Netzwerke von Gleichaltrigenbeziehungen eingebettet und wird durch gewisse<br />

Freundschaften sogar begünstigt. Statt aus Angst zu versuchen, Beziehungen zwischen<br />

den Jugendlichen von vorne herein zu verhin<strong>der</strong>n, sollte man um die för<strong>der</strong>lichen<br />

Aspekte wissen und versuchen, eine positive Peerkultur zu unterstützen (vgl.<br />

Opp/Unger 2006).<br />

Analyse<br />

In vielen Situationen zeigt sich, dass die Betreuer um jeden Preis versuchen zu<br />

verhin<strong>der</strong>n, dass die Jugendlichen untereinan<strong>der</strong> Beziehungen aufbauen.<br />

F1, 36:53 - 37:02<br />

114<br />

Frau Luepges steht während sie das Interview gibt in einem ungemütlich und<br />

kalt wirkenden Kellerraum und hält einen Notizblock in <strong>der</strong> Hand. Ein roter<br />

Kasten mit den Worten „Marlies Luepges. Betreuerin“ wird eingeblendet. Im<br />

Hintergrund sieht man einige <strong>der</strong> Jugendlichen auf dem Boden sitzen.<br />

Marlies: „Dann haben wir auch die Mitarbeiter so verteilt, das wir Deutsch<br />

F1, 37:12 – 37:18<br />

sprechende Leute haben, dass wir genügend, ähm, Betreuer<br />

zwischen den Jugendlichen haben und so weiter. Dass da keine<br />

negativen Verbindungen geschafft werden können.“<br />

Man sieht die Jugendlichen einen dunklen Flur entlanggehen.<br />

Harte und aggressive Rockmusik.<br />

Sprecher: „Die Teenager werden voneinan<strong>der</strong> getrennt. Den Betreuern ist<br />

F1, 1:16:52 – 1:16:59<br />

das Risiko eines weiteren Aufstands zu groß.“<br />

Die Jugendlichen stehen mit ihren Wan<strong>der</strong>sachen bepackt im Kreis auf einem<br />

Feld. Die Sonne scheint, man hat den Eindruck, dass es sich um einen sehr<br />

heißen und trockenen Tag handelt.


115<br />

Kami: „Es wird auch erwartet, ähm, dass während wir wan<strong>der</strong>n, dass ihr<br />

F4, 3:03 – 3:25<br />

auch Stille übt, ne?“<br />

Aufnahme aus <strong>der</strong> Froschperspektive: Im Vor<strong>der</strong>grund befindet sich eine gelbe<br />

Pflanze, die Gruppenmitglie<strong>der</strong> und Betreuer wan<strong>der</strong>n nacheinan<strong>der</strong> im<br />

Hintergrund an dieser Pflanze vorbei. Dann teilt sich das Bild in zwei Kästen,<br />

rechts sieht man Kris Schock beim Interview, links Betreuer Dan, <strong>der</strong> den<br />

Jugendlichen einen Zeltplatz zuweist.<br />

Leise, mysteriös wirkende Musik im Hintergrund.<br />

Kris: „Das Solo bedeutet ein konkretes Alleinseins. Das heißt, die<br />

Jugendliche sind alle verteilt worden und sie können die an<strong>der</strong>e<br />

Jugendliche nicht sehen. (...) Wir nehmen die Schuhe und die<br />

Stirnlampe weg, damit die Jugendliche sich nicht einan<strong>der</strong><br />

besuchen können und dass sie nicht weglaufen können.“<br />

Über die Gründe für dieses Vorgehen lässt sich nur spekulieren. Die ersten beiden Zitate<br />

legen die Befürchtung <strong>der</strong> Professionellen nahe, dass die Teenager sich gegen sie<br />

verbünden könnten. Möglich wäre auch, dass sie hoffen, einen größeren Einfluss auf die<br />

Jugendlichen zu haben, wenn sie für sie die einzigen Bezugspersonen sind. In zwei<br />

Situationen teilt man den Teenagern sogar wörtlich mit, dass es in diesem Programm<br />

nicht darum geht, mit an<strong>der</strong>en in Beziehungen zu treten o<strong>der</strong> gar Freunde zu finden:<br />

F2, 39:18 – 39:34<br />

Situation: Die Jugendlichen haben sich gestritten.<br />

Sie stehen zusammen mit mehreren Betreuern auf einem Feld, während<br />

Annegret Noble spricht, zoomt die Kamera ihr Gesicht bis zur Detailansicht<br />

heran. Zwischendurch werden Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendlichen in ihrer<br />

Wan<strong>der</strong>ausrüstung gezeigt.<br />

Annegret: (langsam, fast beschwörend) „Dzeneta. Du bist n u r für Dich<br />

verantwortlich. Für keinen an<strong>der</strong>en. Du bist dafür verantwortlich,<br />

dass du dich .. entsprechend benimmst. Mach dir über alle<br />

an<strong>der</strong>en keine Sorgen. Das ist unsere Sorge.“


F4, 35:32 – 35:54<br />

116<br />

Das Bild ist dunkler als sonst, was verdeutlichen soll, dass es sich um eine<br />

Rückblende handelt. Abwechselnd sieht man Marlies Luepges, die wild<br />

gestikuliert, in „amerikanischer“ Einstellung und Stacey, die betrübt vor sich hin<br />

schaut, in „Großaufnahme“.<br />

Einzelne, lang gezogene Töne, fast wie bei einem Western.<br />

Marlies: (streng und unfreundlich) „Ich möcht dass du mit dem ganzen<br />

Firlefanz aufhörst. Das ganze „Danke“, das viele Schwatzen und<br />

so weiter, ich hab dir das schon mal gesagt, und ich sag das noch<br />

mal: Ich möchte, dass all das weg geht, damit du dich auf solche<br />

wichtigen Sachen konzentrieren kannst! Probier dich nicht<br />

einzuschleimen, probier dir hier keine Freunde hier zu gewinnen,<br />

probier nur auf dich selber aufzupassen, damit du die Sachen, die<br />

du machen musst, richtig machst.“<br />

Auch mit diesen Aussagen versuchen die Betreuer, Beziehungen zwischen den<br />

Gleichaltrigen zu verhin<strong>der</strong>n. Um die möglichen positiven Effekte <strong>der</strong><br />

Peergemeinschaft wissen sie entwe<strong>der</strong> nicht, o<strong>der</strong> sie nehmen einfach in Kauf, auf sie<br />

zu verzichten. Frau Luepges verlangt von Stacey, sich entgegen aller gesellschaftlichen<br />

Verhaltensnormen zu benehmen. Um einen Menschen auf ein eigenständiges Leben<br />

nach dem Projekt vorzubereiten, ist diese Auffor<strong>der</strong>ung sehr kontraproduktiv.<br />

In an<strong>der</strong>en Szenen hingegen wird die Gruppe explizit genutzt, vor allem, wenn sie als<br />

Druckmittel fungieren soll:<br />

F1, 1:19:19 – 1:19:25<br />

Situation: Dzeneta hat beim Wan<strong>der</strong>n ihren Stock weggeschmissen und möchte<br />

nicht mehr weiter gehen.<br />

Die Wüstenlandschaft bei sehr sonnigem Wetter dominiert das Bild. Nachdem<br />

gezeigt wird, wie Dzeneta sich ein Stück von <strong>der</strong> Gruppe entfernt, sieht man<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> erschöpften Gruppenmitglie<strong>der</strong>, die sich auf ihren Stock stützen und<br />

Wasser trinken.<br />

Langsame, einzelne Töne im Hintergrund.


117<br />

Marlies: „Wenn du dich jetzt hinsetzt, o<strong>der</strong> wenn du es jetzt länger machst,<br />

F1, 1:21:00 – 1:21:22<br />

bedeutet das, dass all deine Freunde hier so lange mit den<br />

Rucksäcken rumstehen müssen.“<br />

Situation: Es ist <strong>der</strong> erste Tag <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung und Dzeneta möchte eine Pause<br />

machen, da sie erschöpft ist. Als Marlies keine Pause im Sitzen erlaubt, wirft<br />

Dzeneta ihren Rucksack zu Boden, läuft ein Stück von <strong>der</strong> Gruppe weg und setzt<br />

sich einfach hin. Die an<strong>der</strong>en Jugendlichen müssen so lang, bis Dzeneta wie<strong>der</strong><br />

weiter wan<strong>der</strong>t, mit den Rucksäcken bepackt in <strong>der</strong> Sonne stehen und warten.<br />

Aufnahme von Marlies aus <strong>der</strong> Froschperspektive (etwa Dzenetas Perspektive,<br />

da sie auf dem Boden sitzt). Dann schwenkt die Kamera erst zu Dzeneta<br />

herunter, die weinend ihr Gesicht in den angezogenen Beinen und zwischen<br />

ihren Armen vergraben hat und zum Schluss noch einmal zu Marlies zurück, die<br />

dann, halb zu Dzeneta gebeugt, in <strong>der</strong> „amerikanischen“ Einstellung zu sehen<br />

ist.<br />

Marlies: „Schau mir mal darüber bitte, (zeigt zur Gruppe) schau dir mal<br />

die Gruppe an. Dzeneta?<br />

Dzeneta: (weinend) „Ich hab keinen Bock mehr, lass mich in Ruhe, Mann,<br />

ich will nach Hause!“<br />

Marlies: (streng) „Dzeneta, du bist im Moment verantwortlich für die<br />

ganze Gruppe!“<br />

Dzeneta: „Die, ich scheiß auf die ganze Gruppe und auf euch scheiß ich<br />

genauso.“ (schluchzt)<br />

Marlies: „Die stehn, die stehn jetzt in <strong>der</strong> Sonne, im Moment haben sie<br />

Wasser, aber die stehen da mit ihren Rucksäcken an,<br />

währenddessen du hier sitzt. Ohne Rucksack.“<br />

Marlies Luepges versucht in mehreren Szenen Dzeneta zum Weiterwan<strong>der</strong>n zu<br />

bewegen, indem sie sie auf die Folgen für die Gruppe aufmerksam macht.<br />

Paradoxerweise haben die Betreuer selbst bestimmt, dass die an<strong>der</strong>en Teenager mit<br />

ihren Rucksäcken bepackt weiterhin in <strong>der</strong> Sonne stehen müssen, bis die Situation<br />

geklärt ist. Die Angst vor Sanktionen und negativen Reaktionen seitens <strong>der</strong> Peers wird


ewusst genutzt. Das folgende Zitat von Kevin (stellvertretend für mehrere<br />

aufgebrachte Kommentare <strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong>) zeigt, dass dieses Vorgehen durchaus<br />

erfolgreich ist:<br />

F1 1:22:00 – 1:22:10<br />

118<br />

Kevin wird in Großaufnahme gezeigt, während er ein Interview gibt. Er steht<br />

rechts im Bild, so dass man links bis zum Horizont die Wüstenlandschaft sieht.<br />

Einblende: „Kevin, 15 Jahre. War Mitglied einer Gang.“<br />

Kevin: „Ja, ich find das scheiße, dass wir wegen <strong>der</strong> hier rumstehen<br />

müssen. Wir, ich, wir haben hier alle Schmerzen, nur weil die das<br />

einzige ist, die dann, die faxen muss und das ausziehen müssen,<br />

müssen wir darunter leiden.“<br />

Statt auf die Betreuer zu schimpfen, die diese Regel aufgestellt haben, ärgern sich die<br />

Jugendlichen über Dzeneta, was natürlich ein positives Gruppenklima verhin<strong>der</strong>t. Als<br />

diese letztendlich von <strong>der</strong> Gruppe getrennt wird, um einen großen Teil <strong>der</strong> Strecke noch<br />

einmal allein zu wan<strong>der</strong>n, macht Kris Schock den Jugendlichen noch einmal bewusst,<br />

dass sie ohne Dzeneta eigentlich besser dran sind:<br />

F3, 6:30 – 7:03<br />

Die Jugendlichen und Kris Schock stehen mit ihren Rucksäcken bepackt im<br />

Kreis. Die Kamera schwenkt hin- und her und filmt die unterschiedlichen<br />

Beteiligten.<br />

Kris: „Wir sind wie eine Familie, o<strong>der</strong>?“<br />

Jugendliche: (murmeln)<br />

Kris: „Und wenn einer von uns Stress hat, o<strong>der</strong> Schwierigkeiten hat<br />

Jugendliche: „Ja“<br />

o<strong>der</strong> so .. hat fast je<strong>der</strong> von uns auch diesen Stress und diesen,<br />

diese Schwierigkeiten, o<strong>der</strong>?“<br />

Kris: „Das ist eigentlich so mit <strong>der</strong> Dzeneta ge, gewesen, o<strong>der</strong>? (…) Sie<br />

hat Schwierigkeiten, wir haben auch mit ihr .. diese<br />

Schwierigkeiten miterlebt, vor allem beim Wan<strong>der</strong>n haben wir<br />

das gesehen, o<strong>der</strong>?“ (nickt)


Jugendlicher: „Ja.“<br />

119<br />

Kris: „Heute sind wir ziemlich schnell gewan<strong>der</strong>t .., aber<br />

normalerweise, wenn sie dabei ist, gehen wir ziemlich langsam,<br />

o<strong>der</strong>?“<br />

Vivien: „Ja.“<br />

Kris: „Okay.“<br />

Mit diesem Vorgehen erreichen die Professionellen zweierlei: Erstens wird durch den<br />

vorübergehenden Ausschluss ein Gemeinschaftsgefühl <strong>der</strong> ganzen Gruppe verhin<strong>der</strong>t<br />

und zweitens werden die restlichen Jugendlichen Angst bekommen, selbst<br />

ausgeschlossen zu werden. Dass die Schuldzuschreibungen erfolgreich waren, zeigt das<br />

folgende Zitat von Andreas, welches für den Zuschauer noch durch die Anmerkungen<br />

des Sprechers bekräftigt wird:<br />

.<br />

F3, 12:58 – 13:14<br />

Die Kamera steht zuerst fest an einem Platz und filmt die Jugendlichen, die mit<br />

ihren Rucksäcken und Stöcken bepackt in einer Reihe an <strong>der</strong> Kamera vorbei<br />

laufen. Zuerst sieht man sie von vorn, dann von hinten. Bei Andreas’<br />

Kommentar wird er allein in „Nahaufnahme“ gezeigt, unter seinem Kopf<br />

erscheinen die Worte „Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“. Abschließend noch<br />

einmal Aufnahmen <strong>der</strong> wan<strong>der</strong>nden Jugendlichen, aus verschiedenen<br />

Perspektiven.<br />

Erst gruselig wirkenden, langsame Gitarrenklänge, dann lautere Rockmusik.<br />

Sprecher: Das frische Erfolgserlebnis ohne Dzeneta gibt ihnen zusätzliche<br />

Motivation.“<br />

Andreas: „Ja, normalerweise, äh, gehen wir immer langsamer, wegen<br />

Dzeneta. Aber die ist heute nicht da, deswegen können wir so n<br />

bisschen schneller gehen.“<br />

Sprecher: „Wie von einer Last befreit geben die Teenager noch mal Gas.“<br />

Dem Zuschauer wird also vermittelt: Wenn ein Jugendlicher nicht gehorcht, dann muss<br />

er aus <strong>der</strong> Gruppe ausgeschlossen werden, damit es den An<strong>der</strong>en besser geht. Welche<br />

Belastungen daraus für den Ausgeschlossenen und auch für den Rest <strong>der</strong> Gruppe<br />

entstehen, wird dabei verschwiegen.


Dass den Teenagern die Gruppengemeinschaft trotz allem sehr wichtig ist, zeigen die<br />

folgenden Zitate:<br />

F3, 37:00 – 37:18<br />

120<br />

Situation: Dzeneta hat ihren „Quest“ erfolgreich beendet und darf zurück zu den<br />

an<strong>der</strong>en Teenagern.<br />

Dzeneta, Tanja und Kris stehen nebeneinan<strong>der</strong> auf einem Weg. Als Dzeneta<br />

spricht, zoomt die Kamera heran, bis sie in „Nahaufnahme“ zu sehen ist.<br />

Anschließend sieht man die Gruppe in <strong>der</strong> Kameraeinstellung „Weit“ durch die<br />

weite Landschaft auf Dzeneta und die Betreuer zuwan<strong>der</strong>n.<br />

Kris: „Was ist dein Gefühl jetzt, die Gruppe wie<strong>der</strong> zu sehen?“<br />

Dzeneta: „Ja, ist cool. Ich weiß nicht. Erleichtert, dass ich wie<strong>der</strong> hier bin,<br />

auf jeden Fall.“<br />

Kris: „Mhm.“<br />

Dzeneta: „Dass ich nicht wie<strong>der</strong> so .. Einzelfall bin.“<br />

Sprecher: „Dzeneta trifft auf die Gruppe, die ihr vor drei Tagen noch völlig<br />

F3, 37:54 – 38:01<br />

egal war. Der Quest hat seinen Zweck mehr als erfüllt.“<br />

Die Jugendlichen stehen mit ihren Wan<strong>der</strong>sachen bepackt im Halbkreis. Kevin<br />

wird in <strong>der</strong> Einstellung „Amerikanisch“ gefilmt, er steht leicht vorn über<br />

gebeugt, wahrscheinlich aufgrund des Gewichts des Rucksacks.<br />

Kevin: „Ich fühl mich erleichtert, dass die Gruppe wie<strong>der</strong> zusammen ist<br />

und ich .. bin sehr stolz auf Dzeneta, dass sie's geschafft hat und<br />

überlebt hat.“<br />

Vor allem die Zeit des Solos, bei dem die Teenager keinen Kontakt zu den<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong>n haben dürfen, ist für sie eine große Belastung:<br />

F4, 7:07 – 7:18<br />

Als erstes sieht man Kris Schock, <strong>der</strong> Pascals Zeltplatz verlässt und zwischen<br />

Büschen verschwindet. Anschließen eine Aufnahme von Pascal im Interview; er<br />

sitzt im Schnei<strong>der</strong>sitz im Schatten eines großen Baumes. Die Einstellungsgröße


121<br />

ist die „Totale“, was Pascal klein erscheinen lässt. Einblende: „Pascal, 17 Jahre.<br />

Dealer“.<br />

Leise, traurige Klänge.<br />

Pascal: „Ich wär lieber in ner Gruppe, weil dann kann man auch mehr so,<br />

F4, 30:41 - 30:50<br />

ist man nicht alleine, so wie früher, bei mir. .. Ja.“<br />

Aufnahme <strong>der</strong> Gruppe, die zusammen im Schatten auf dem Boden sitzt. Nach<br />

einem Schwenk zur Landschaft wird Dzeneta, auf dem Boden sitzend und ein<br />

Interview gibt, gefilmt.<br />

Ruhige, aber fröhliche Klavierklänge.<br />

Dzeneta: „Also ich find's geil, dass wir jetzt wie<strong>der</strong> alle zusammen hier<br />

sind. .. Weil ... ich voll Angst hatte, alleine die vier Tage und ich<br />

voll die Alpträume hatte.“<br />

Viele <strong>der</strong> Teenager berichten über Ängste und Gefühle <strong>der</strong> Einsamkeit. Sie sehnen sich<br />

sehr nach Kontakt zu den an<strong>der</strong>en Teenagern, dürfen ihren Zeltplatz aber nicht<br />

verlassen. Die Betreuer ignorieren die Bedürfnisse <strong>der</strong> Jugendlichen und ziehen das<br />

Programm durch. Meines Erachtens wäre es viel sinnvoller, die Sehnsucht nach <strong>der</strong><br />

Gruppe zu nutzen, um gemeinsam an einer positiven Peerkultur zu arbeiten.<br />

Insgesamt habe ich nur zwei Szenen gefunden, in denen ein positives Gruppenklima<br />

explizit gezeigt wird:<br />

F2, 15:00 – 15:10<br />

Die Jugendlichen und Kami Schott stehen in einer Reihe nebeneinan<strong>der</strong>. Die<br />

Kamera schwenkt herum und man sieht das letzte Stück des Weges, das sie<br />

zurückgelegt haben.<br />

Kami: (ruft laut) „Eins, zwei, drei! Wuuuuuuhuuuuu!“<br />

Alle: „Wuuuuuhuuuuuuu!“<br />

Aufnahme <strong>der</strong> Jugendlichen im Halbkreis.<br />

Sprecher: „Zum erste Mal erlebt die Gruppe so etwas wie<br />

Gemeinschaftsgefühl.“


F4, 34:43 – 35:03<br />

122<br />

Situation: Pascal sollte im Gesprächskreis etwas Persönliches erzählen und ist in<br />

Tränen ausgebrochen.<br />

Die Teenager stehen, fast alle mit roten Fleecepullovern bekleidet, im Kreis und<br />

schauen betrübt zu Boden. Zwischendurch schauen sie kurz zu Annegret auf.<br />

Im Hintergrund hört man traurige Gitarrenmusik.<br />

Annegret: „Das hier ist Pascal (streicht Pascal über den Rücken). Ganz,<br />

ganz roh und ehrlich. Und, und sein innerster Kern. Und da<br />

müssen wir vorsichtig mit umgehen. .. Wenn man was von seinem<br />

innersten Kern, von seinem innersten Herzen sagt, dann muss<br />

man auch vertrauen können, dass die an<strong>der</strong>en Leute damit<br />

umgehen können. Und darum möcht ich das mit euch auch üben.“<br />

Interessanterweise lassen sich allerdings ab und zu im Hintergrund unkommentierte<br />

Szenen beobachten, in denen die Jugendlichen beispielsweise gemeinsam um das<br />

Lagerfeuer sitzen. Es scheint also durchaus angenehme Situationen in <strong>der</strong> Gruppe zu<br />

geben, die jedoch lei<strong>der</strong> für den Zuschauer unauffällig bleiben.<br />

Es ist also festzuhalten, dass Szenen überwiegen, in denen die Professionellen<br />

versuchen, Beziehungen zwischen den Gleichaltrigen zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die Gruppe im<br />

negativen Sinn, nämlich als Druckmittel benutzen, um die Jugendlichen zu einem<br />

bestimmten Verhalten zu bewegen. Obwohl die Teenager mehrfach äußern, dass ihnen<br />

die Gemeinschaft mit den an<strong>der</strong>en Jugendlichen wichtig ist, gehen die Betreuer nicht<br />

darauf ein. Unter diesen Umständen muss man zu dem Schluss kommen, dass die<br />

entwicklungsför<strong>der</strong>nden Chancen <strong>der</strong> Peerbeziehung nicht genutzt werden. Einige,<br />

meist unkommentierte Szenen zeigen hingegen, dass zumindest Ansätze einer<br />

angenehmen Gruppenatmosphäre vorhanden sind. Diese positiven Situationen bleiben<br />

für den Zuschauer jedoch weitgehend unauffällig.


4.4 Ressourcenorientierung<br />

Um ihre Probleme zu bewältigen, benötigen Menschen Ressourcen. Darunter versteht<br />

man Hilfsmittel und Reserven jeglicher Art, beispielsweise finanzielle Mittel,<br />

Netzwerke, Orientierungsmittel, persönliche Stärken und Fähigkeiten o<strong>der</strong> ermutigende<br />

Lebenserfahrungen (vgl. Wolf Wintersemester 2005/2006, Seminarunterlagen; Herwig-<br />

Lempp 2007, 215). Fallen die vorhandenen und die für eine Situation benötigten<br />

Ressourcen auseinan<strong>der</strong>, kommt es zu einer in diesem Moment nicht zu bewältigenden<br />

Krise. Die Aufgabe <strong>der</strong> Sozialen Arbeit ist also, Ressourcen zur Verfügung zu stellen;<br />

entwe<strong>der</strong>, indem sie sie selbst schafft, o<strong>der</strong> indem sie den Zugang zu bereits<br />

vorhandenen Ressourcen erleichtert. Dieser Ansatz baut auf die Überzeugung, dass<br />

je<strong>der</strong> Mensch fähig ist, seinen Alltag zu meistern, wenn ihm die entsprechenden<br />

Ressourcen zur Verfügung stehen (vgl. Ritscher 2007, 27). Ressourcenorientierung<br />

bedeutet außerdem, an den bereits vorhandenen Ressourcen <strong>der</strong> Menschen anzusetzen<br />

und auf diese aufzubauen. Man erkundigt sich beispielsweise nach den Stärken des<br />

Klienten o<strong>der</strong> fragt nach wichtigen Personen in seinem Umfeld. Auch wenn <strong>der</strong> Klient<br />

anfangs <strong>der</strong> Meinung ist, we<strong>der</strong> über Stärken, noch über Bezugspersonen zu verfügen,<br />

vertraut dieser Ansatz darauf, dass bei jedem Menschen Ressourcen vorhanden sind<br />

(vgl. Herwig-Lempp 2007, 214ff.). Der Blick wird auf das gerichtet, was gut gelingt,<br />

man schaut in die Zukunft und auf Lösungen. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein Fokus<br />

auf die Probleme überflüssig wird (vgl. Hofer 2007, 140f.). Mit einer Distanzierung von<br />

Defizitorientierungen geht überdies eine Wertschätzung des Klienten einher und durch<br />

die Konzentration auf seine Fähigkeiten und seine Potenziale wird er von Beginn an<br />

positiv wahrgenommen.<br />

Ob die Professionellen <strong>der</strong> Sendung „Teenager außer Kontrolle“ ihren Blick auf die<br />

Stärken und Potenziale <strong>der</strong> Jugendlichen richten, ihnen Ressourcen zugänglich machen<br />

und von einer Defizitorientierung absehen, möchte ich im Folgenden untersuchen.<br />

Analyse<br />

Bei <strong>der</strong> Durchsicht <strong>der</strong> Folgen wird eines deutlich: Ausschnitte, in denen <strong>der</strong> Fokus auf<br />

negativen Aspekten liegt, dominieren die Sendung. Das beweist bereits die Einleitung<br />

des Sprechers eindrucksvoll:<br />

123


F1, 0:03-0:11<br />

124<br />

In vielen kurzen Ausschnitten wird nacheinan<strong>der</strong> Folgendes gezeigt: Pascal, <strong>der</strong><br />

eine Wasserpfeife raucht, Kevin, <strong>der</strong> ein Auto aufbricht, einige Jugendliche, die<br />

Kampfbewegungen demonstrieren, eine Hand, die ein Fahrradschloss knackt, ein<br />

Jugendlicher, <strong>der</strong> in einem Tarnanzug und mit einem Gewähr bewaffnet durch<br />

ein Gelände läuft und auf einen an<strong>der</strong>en Jugendlichen schießt, ein Außenspiegel<br />

eines Autos, <strong>der</strong> abgeschlagen wird. Alles wirkt hektisch und bedrohlich.<br />

Aggressive, laute Rockmusik.<br />

Sprecher: „Teenager außer Kontrolle. Drogen und Gewalt bestimmen ihren<br />

Alltag. Sie führen ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste und auf<br />

ihre Familien.“<br />

Dieser erste Satz <strong>der</strong> ersten Folge (und die dazu gezeigten Szenen) lassen keinerlei<br />

Raum für einen Blick auf die Potentiale <strong>der</strong> Jugendlichen. Bei dem Zitat handelt es sich<br />

um eine geradezu vernichtende Aussage, die kein gutes Haar an den Teenagern lässt. In<br />

unzählig vielen weiteren Szenen wird dem Zuschauer vermittelt: Die Jugendlichen sind<br />

kriminell und rücksichtslos, man muss sie bestrafen um dies zu verän<strong>der</strong>n. Ihre<br />

positiven Eigenschaften werden konsequent ausgeblendet, noch nicht einmal die Idee,<br />

an möglichen Potentialen anzusetzen, wird erwähnt. In den Sequenzen, in denen die<br />

einzelnen Jugendlichen und ihre Familien vorgestellt werden, geht es ebenfalls nur um<br />

die Probleme <strong>der</strong> Beteiligten, nicht um eine Suche nach positiven Ansatzpunkten.<br />

Folgen<strong>der</strong> Interviewausschnitt mit Viviens Mutter beweist, dass ausdrücklich nach<br />

Schwierigkeiten gesucht wird:<br />

F1, 13:51 – 14:03<br />

Während Viviens Mutter zu sprechen beginnt sieht man Vivien von hinten,<br />

Steine gegen eine Hauswand werfend. Dann werden Viviens Eltern<br />

nebeneinan<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Couch sitzend gezeigt. Im Hintergrund erkennt man eine<br />

große, altmodische Schrankwand aus dunklem Holz. Während die Mutter<br />

spricht, scheint <strong>der</strong> Vater kaum zuzuhören, er schaut in eine an<strong>der</strong>e Richtung<br />

und kratzt sich am Hals.


125<br />

V.’s Mutter: „Für mich das Allerschlimmste? .. Dass man nicht mit ihr reden<br />

kann, .. das Vertrauen ist weg, … (atmet hörbar ein) dass se<br />

wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> lügt.“<br />

Die Überlegung „Für mich das Allerschlimmste?“ steht am Anfang dieser<br />

Interviewsequenz und stellt damit meines Erachtens eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Frage dar,<br />

die man <strong>der</strong> Mutter gestellt hat. Explizit wird <strong>der</strong> Fokus auf das gelenkt, was in den<br />

Familien o<strong>der</strong> bei den Jugendlichen nicht gut funktioniert. Auch die zwischenzeitlich<br />

eingeblendeten Aufnahmen <strong>der</strong> sogenannten „Elternkamera“, mit <strong>der</strong> die Eltern ihren<br />

Familienalltag filmen, enthalten ausschließlich Szenen voller Gewalt, Eskalationen und<br />

Beschimpfungen. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass es im Alltag <strong>der</strong> Beteiligten<br />

einfach keinerlei angenehme Situationen gibt. Wahrscheinlich wurden jedoch einzig<br />

problematische Szenen zusammengeschnitten, um zu verdeutlichen, dass diese Familien<br />

ohne das Therapieprogramm in den USA keinerlei Chance mehr hätten. Zitate wie das<br />

folgende bestärken diese Vermutung:<br />

F1, 23:50 – 23:56<br />

Situation: Dzeneta soll ihre Kleiner ausziehen und ihre Wertgegenstände<br />

abgeben.<br />

Sie befindet sich in einer weißen Kammer. Marlies Luepges steht davor und<br />

schaut zu Dzeneta rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so<br />

dass man Dzeneta aus <strong>der</strong> Froschperspektive erst in <strong>der</strong> „Halbtotalen“, dann in<br />

<strong>der</strong> „amerikanischen“ Einstellung sieht.<br />

Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.<br />

Marlies: „Du wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten<br />

Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“<br />

Marlies Luepges impliziert mit den Worten „Nix von deinem alten Leben kannst du<br />

mitnehmen außer dir selbst.“, dass es am bisherigen Leben nichts gäbe, woran es<br />

festzuhalten lohnt, was gut war, woran man ansetzen könnte. Auch Kurt soll vor dem<br />

Programm alle persönlichen Sachen abgeben, dieser weigert sich jedoch:


F1, 44:59 – 48:58<br />

126<br />

Situation: Es ist die Nacht <strong>der</strong> Ankunft. Die Jugendlichen dürfen ihre Zelte<br />

aufschlagen und schlafen gehen, Marlies Luepges hält Kurt jedoch auf.<br />

Da es dunkel ist, erkennt man nichts außer den drei Beteiligten, Kami, Kurt und<br />

Marlies, die nebeneinan<strong>der</strong> stehen und angeleuchtet werden.<br />

Marlies: „Ich muss dich bitten, noch schnell hier zu bleiben.“<br />

Kurt: (grinst) „Wieso?“<br />

Marlies: (berührt ihren Hals) „Ähm, .. wegen <strong>der</strong> Halskette, unter<br />

an<strong>der</strong>em.“<br />

Rückblick zur Einkleidungssituation im Basislager: Kurt steht mit nacktem<br />

Oberkörper in einer Kammer, Kris Schock befindet sich davor. Die Kamera<br />

filmt über Herrn Schocks Schulter hinweg, manchmal zoomt sie Kurts Gesicht<br />

heran. Während <strong>der</strong> Worte des Sprechers öffnet <strong>der</strong> Teenager auf Befehl den<br />

Mund und lässt Kris hineinsehen.<br />

Sprecher: „Die romantische Erinnerung an seine Freundin wollte Kurt beim<br />

Umziehen nicht aufgeben.“<br />

Kris: „Ähm, kannst du mir deine Halskette geben?“<br />

Kurt: „Nein.“<br />

Kris: „Wir können nicht wirklich mit dem Programm anfangen, so<br />

lange du die, die Kette hast.“<br />

Kurt: (schüttelt mit einem beängstigenden Grinsen und weit<br />

aufgerissenen Augen den Kopf)<br />

Kris: „Und du, du kriegst sie…“<br />

Kurt: (sehr bestimmt) „Die gibt’s nicht.“<br />

Zurück in <strong>der</strong> Wildnis, die Umgebung ist nach wie vor dunkel, Kirs Schock und<br />

Kurt werden abwechselnd von <strong>der</strong> Seite in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Nah“ gezeigt:<br />

Kris: „Weil ich hab einfach Angst, dass du, dass die Kette mal ver,<br />

verloren geht“<br />

Kurt: „Die Kette gibt’s nicht.“


127<br />

Kris: Glaubst du, was ist, was ist deiner Freundin wichtiger: Dass du<br />

immer noch die Halskette hast, o<strong>der</strong> dass du dieses Programm .<br />

supergut absolvierst?“<br />

Kurt: (mit Tränen in den Augen) „Wenn ich ihr versprochen hab, dass<br />

ich die Kette nicht ablege, dann kriegst du die nicht.“<br />

Die Kamera zoomt heran, so dass Kurts Gesicht in „Detailaufnahme“ zu sehen<br />

ist.<br />

Sprecher: „Zum ersten mal seit langem zeigt Kurt Gefühle. In Deutschland<br />

war dafür nie Platz.“<br />

Rückblende zu Kurts Leben in Deutschland, begonnen mit rechtsradikalen<br />

Parolen seiner Freunde, im Hintergrund das Lied „Arschloch“ von den Ärzten.<br />

Wie<strong>der</strong> zurück in <strong>der</strong> Wüste:<br />

Kris: „Ich muss dir eins sagen, wir bleiben fest, bei diesem Thema. Das<br />

ist entwe<strong>der</strong>…“<br />

Kurt: (unterbricht ihn) „Ich auch.“ (wischt sich die Tränen weg)<br />

Kris: „Okay. Okay. Wir gehen jetzt zurück zum Kreis, okay?“<br />

Kurt: (zur Kamera gewandt, die filmt ihn aus <strong>der</strong> Froschperspektive)<br />

„Wenn <strong>der</strong> noch mal versucht, mir die Kette abzunehmen, dann<br />

schlag ich auf ihn ein.“<br />

Sprecher: „Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, lassen die Betreuer<br />

Kurt seine Halskette. Fürs erste.“<br />

Kurt hat seiner Freundin vor <strong>der</strong> Abreise versprochen, die Halskette als Andenken jeden<br />

Tag zu tragen, was nicht zuletzt symbolischen Wert besitzt. Die Beziehung zu ihr stellt<br />

für den Jugendlichen eine wichtige Ressource dar. Statt dies zu erkennen und darauf<br />

aufzubauen (zum Beispiel könnte ihm das Tragen <strong>der</strong> Kette und damit die ständige<br />

Erinnerung an seine Freundin Mut und Kraft geben, durchzuhalten und an sich zu<br />

arbeiten), versucht man, ihm diese Ressource zu nehmen. Die Auffor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Betreuer, die Kette, da sie ein Teil von Kurts altem Leben ist, abzugeben, bedeutet für<br />

den Teenager in diesem Moment Verrat an seiner Freundin.<br />

Auch in an<strong>der</strong>en Situationen erkennen die Betreuer die Möglichkeit zu einem<br />

ressourcenorientierten Ansatz nicht:


F2, 6:50 – 6:58<br />

128<br />

Während Annegret Noble zu sprechen beginnt, sieht man Dzeneta noch von<br />

hinten, die mit ihrem riesigen Wan<strong>der</strong>rucksack bepackt hinter Annegret hergeht.<br />

Während <strong>der</strong> Interviewsequenz sieht man Frau Noble in „Nahaufnahme“, im<br />

Hintergrund ist die Wüstenlandschaft zu erkennen. Einblende: „Annegret Noble.<br />

Cheftherapeutin“.<br />

Annegret: „Dzeneta .. ist ein bisschen faul und will hier eigentlich auch nur<br />

rum sitzen und nichts tun und ist immer die Letzte.“<br />

Dzeneta fällt das Wan<strong>der</strong>n tatsächlich sehr schwer. Sie gibt schneller auf und beklagt<br />

sich öfter als die an<strong>der</strong>en Jugendlichen. Letztendlich lässt sie sich aber jedes mal<br />

wie<strong>der</strong> motivieren und läuft Tag für Tag die komplette Strecke mit. Statt dies zu<br />

würdigen und Dzeneta darin zu bestärken, jeden Tag aufs Neue einfach ihr Bestes zu<br />

geben, beschwert sich Annegret Noble darüber, dass die Jugendliche faul und immer die<br />

Letzte sei.<br />

Sogar wenn sich die Jugendlichen den Auffor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Betreuer entsprechend<br />

verhalten, schaffen diese es häufig nicht, dies anzuerkennen und an das positive<br />

Ereignis anzuknüpfen:<br />

F4, 22:55 – 23:05<br />

Situation: Andreas soll als Strafe sein Zelt ab, auf, ab und wie<strong>der</strong> aufbauen.<br />

Da es Nacht ist und die Aufnahmen sehr dunkel sind, lässt sich kaum etwas<br />

erkennen. Marlies Luepges steht in einer leuchtend roten Jacke zusammen mit<br />

Kris Schock neben Andreas und schaut diesem beim Packen und beim Auf- und<br />

Abbauen des Zelts zu.<br />

Man hört verzerrte Gitarrenklänge.<br />

Sprecher: „Die Betreuer wollen testen, ob Andreas wirklich nachgegeben<br />

hat und ziehen die Maßnahme weiter durch. Noch trauen sie dem<br />

Frieden nicht. Zu sehr hat sich Andreas bisher dem Programm<br />

wi<strong>der</strong>setzt.“<br />

Andreas bekommt eine Strafe für seinen Fluchtversuch und nimmt diese nach<br />

anfänglichem Wi<strong>der</strong>stand an. Obwohl er letztendlich kooperiert, testen ihn die


Professionellen, da sie ihm misstrauen. Von Ressourcenorientierung kann also nicht die<br />

Rede sein.<br />

Vor allem auch die Kommentare des Sprechers und die eingeblendeten Rückblicke<br />

zeigen, dass selbst bei aktuellen Erfolgen <strong>der</strong> Blick immer wie<strong>der</strong> auf negative<br />

Ereignisse in <strong>der</strong> Vergangenheit gelenkt wird:<br />

F1, 35:25- 35:34<br />

129<br />

Verschiedene kurze Aufnahmen von Pascal während <strong>der</strong> Umkleidungssituation.<br />

Beim Entkleiden seines einen Oberkörper wird er aus <strong>der</strong> Froschperspektive<br />

gefilmt.<br />

Aggressive Gitarrenmusik.<br />

Sprecher: „Die an<strong>der</strong>en Jugendlichen zeigen sich zunächst beeindruckt von<br />

F1, 54:40 – 57:25<br />

<strong>der</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Betreuer. Zu Hause in Deutschland haben sie<br />

sich je<strong>der</strong> Regel wi<strong>der</strong>setzt und auf Anweisungen mit<br />

Aggressionen reagiert.“<br />

Dzeneta liegt im Schlafsack in ihrem Zelt, Kami Schott kniet vor ihr. Die<br />

Jugendliche streckt ihren Arm aus, wahrscheinlich, weil die Betreuerin den Puls<br />

messen will.<br />

Sprecher: „Obwohl Dzeneta den Gesundheitscheck zunächst über sich<br />

ergehen lässt, sperrt sie sich gleich darauf gegen die<br />

Klei<strong>der</strong>ordnung. Noch hat sie ihre Aggressivität im Griff, für die<br />

sie in ihrer Heimatstadt berüchtigt war.“<br />

Rückblende zu Dzenetas Leben in Deutschland, ausschließlich Szenen über ihre<br />

Strafanzeigen, Prügeleien und Schulschwierigkeiten.<br />

F4, 20:25 – 20:38<br />

Situation: Als Strafe muss Vivien ihr Zelt innerhalb von 15 Minuten abbauen<br />

und all ihre Sachen zusammenpacken. Als sie dies geschafft hat, wartet sie auf<br />

die Betreuer.


130<br />

Da es Nacht und sehr dunkel ist, sieht man nur Vivien in <strong>der</strong> Einstellungsgröße<br />

„Groß“, die während <strong>der</strong> Interviewsequenz von Scheinwerfern angestrahlt wird.<br />

Einblende: „Vivien, 16 Jahre. Ausreißerin.“<br />

Vivien: (lächelnd) „Vor allen Dingen, weil, mitten in <strong>der</strong> Nacht!<br />

Normalerweise schlaf ich schon um diese Uhrzeit!“ (lacht und<br />

trinkt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche)<br />

Aggressive Hardrockmusik beginnt laut zu spielen.<br />

Sprecher: „O<strong>der</strong> macht die Nächte durch, wie vor <strong>der</strong> Therapie.“<br />

Viele weitere negative Rückblicke dieser Art habe ich in den analysierten Folgen<br />

gefunden. Unabhängig davon, was die Jugendlichen sagen o<strong>der</strong> erreichen, es wird durch<br />

eine Rückblende zu ihrer Vergangenheit o<strong>der</strong> einen zurückblickenden Kommentar des<br />

Sprechers relativiert. Dem Zuschauer wird so vermittelt: „Vergiss nicht, dass die<br />

Jugendlichen eigentlich ganz furchtbare Menschen sind und wenn sie sich än<strong>der</strong>n, dann<br />

ausschließlich aufgrund unseres Programms.“<br />

Im Gegensatz zu den Machern <strong>der</strong> Sendung, die also durch diese Rückblenden den<br />

positiven Ereignissen meist einen negativen Beigeschmack geben, gelingt es den<br />

Betreuern an einigen Stellen sehr wohl, anzuerkennen, wenn die Jugendlichen etwas<br />

Beson<strong>der</strong>es erreicht haben:<br />

F3, 26:15 – 26:30<br />

Marlies Luepges in „Großaufnahme“ in einer Interviewsequenz. Sie sitzt bei<br />

blauem Himmel auf dem Boden <strong>der</strong> kargen Wüstenlandschaft. Während sie<br />

spricht, verkleinert sich dieses Bild zu einem Kasten auf <strong>der</strong> rechten Seite des<br />

Bildschirms, links sieht man Dzeneta wan<strong>der</strong>n.<br />

Marlies: „Dzeneta übertrifft sich selbst, von alledem, was wir hier bisher<br />

gesehen haben. S i e leistet sehr, sehr viel, s i e zeigt uns so<br />

richtig, was in ihr steckt, dass da n ganz, ganz starker<br />

Durchhaltewille auch drin ist und den . benutzt sie jetzt in einer<br />

positiven Art und Weise.“


F3, 35:41 – 35:57<br />

131<br />

Das Bild ist in zwei Kästen geteilt. Links sieht man Kris Schock in<br />

„Nahaufnahme“ ein Interview geben, rechts Dzeneta, die sich ihren großen<br />

Wan<strong>der</strong>rucksack aufschnallt.<br />

Kris: „Der Forstschritt ist unglaublich. Man kann ganz gut mit ihr<br />

F2, 21:22– 21:36<br />

reden, sie .. hört zu, sie klopft an, es ist echt <strong>der</strong> Wahnsinn, ist<br />

eine . total an<strong>der</strong>e Dzeneta.“<br />

Situation: Vivien hat Essen gekocht.<br />

Sie sitzt im Schnei<strong>der</strong>sitz auf einer Matte auf dem Boden, vor ihr stehen einige<br />

Koch-Utensilien. Kris Schock hockt ihr gegenüber.<br />

Ruhige Gitarrenklänge, die an eine Lagerfeuer-Situation erinnern.<br />

Kris: „Du kannst jetzt den Streichholz behalten, du hast alles im Griff.<br />

Vivien: „Danke.<br />

Kris: „Bitte sehr.“<br />

Super, bin stolz auf dich! Lass es dir schmecken.“<br />

Vivien: „Bin jetzt stolz auf m i c h.“ (macht grinsend ein stolzes Gesicht<br />

und klopft sich auf die Brust)<br />

Marlies Luepges und Kris Schock loben die Teenager – sowohl persönlich, als auch in<br />

Interviewsequenzen. Sie können hier eine positive Entwicklung o<strong>der</strong> eine gute Leistung<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen uneingeschränkt wertschätzen und sehen davon ab, dies mit negativen<br />

Situationen aus <strong>der</strong> Vergangenheit zu vergleichen. Der Fokus liegt also zumindest auf<br />

<strong>der</strong> Gegenwart. Würden die Professionellen nun an den festgestellten Fortschritten<br />

ansetzen und die Jugendlichen ermutigen, sich in an<strong>der</strong>en Situationen ähnlich zu<br />

verhalten, könnte man von Ressourcenorientierung sprechen.<br />

Es stellt sich die Frage, wie es mit dem Grundsatz aussieht, Klienten die benötigten<br />

Ressourcen zur Verfügung zu stellen o<strong>der</strong> ihnen den Zugang zu vorhanden Ressourcen<br />

zu erleichtern. In den allermeisten Szenen wird problematisches Verhalten <strong>der</strong><br />

Teenager, wie beispielsweise Fluchtversuche, nicht als Mangel an Ressourcen und<br />

somit aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Jugendlichen, son<strong>der</strong>n einfach als Regelverstoß verstanden. Das


jeweilige Verhalten wird entwe<strong>der</strong> unterdrückt o<strong>der</strong> bestraft, wie folgendes Beispiel<br />

zeigt:<br />

F1, 1:10:40 – 1:11:03<br />

132<br />

Situation: Pascal wollte weglaufen, wurde aber zurückgebracht. Als er wütend<br />

gegen einen Gegenstand tritt, nimmt ein männlichen Betreuer Pascals Arm und<br />

dreht in auf seinen Rücken, bis <strong>der</strong> Jugendliche zu Boden geht und sich nicht<br />

mehr bewegen kann.<br />

Das Bild ist in zwei Kästen geteilt. Links ein kleinerer Kasten mit Frau Noble im<br />

Interview, rechts ein größerer, in dem man in verschiedenen Einstellungen sieht,<br />

wie Pascal auf dem Boden gehalten wird.<br />

Annegret: „Der Pascal ist total ausgeflippt und hat Kontrolle über sich selbst<br />

verloren. Und in <strong>der</strong> Situation müssen wir dann Kontrolle<br />

übernehmen. Er hat da unsere Sachen getreten und wir haben da<br />

viele Sachen, die kaputt gehen können, die wir auch brauchen,<br />

damit die Kin<strong>der</strong> sicher sind. Das können wir nicht zulassen.“<br />

Pascal, <strong>der</strong> es in dem Programm offensichtlich nicht mehr aushält und fliehen will, wird<br />

daran gehin<strong>der</strong>t, indem man ihn zurückholt. Die Betreuer versäumen es jedoch, ihm<br />

Hilfe und Unterstützung anzubieten o<strong>der</strong> in zumindest zu fragen, unter welchen<br />

Umständen die weitere Teilnahme für ihn erträglicher wäre. Als er aus Wut und<br />

Verzweiflung beginnt zu randalieren, fügt man ihm so lange Schmerzen zu, bis er<br />

aufgibt. Annegret Noble deutet Pascals Verhalten schlichtweg als „ausflippen“, sieht<br />

jedoch nicht die Gründe und somit seine dahinter liegenden Bedürfnisse. So lange man<br />

sich aber nicht darum bemüht, die Bedürfnisse <strong>der</strong> Teenager zu erkennen, ist das zur<br />

Verfügung stellen von Ressourcen ausgeschlossen.<br />

In drei Situationen gelingt es den Betreuern, den Jugendlichen explizit Ressourcen zur<br />

Verfügung zu stellen o<strong>der</strong> sie ihnen anzubieten:<br />

F2, 12:40 – 13:17<br />

Die Jugendlichen und Annegret Noble sitzen auf dem Boden unter einem<br />

Sonnendach im Kreis zusammen und werden abwechselnd in verschiedenen<br />

Einstellungen gezeigt. Frau Noble hat einige Blätter Papier auf ihrem Schoß<br />

liegen und gestikuliert. Die meisten <strong>der</strong> Teenager scheinen interessiert


133<br />

zuzuhören, an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um flüstern, spielen mit ihrem Sonnenhut o<strong>der</strong> grinsen<br />

amüsiert.<br />

Sprecher: „Therapeutin Annegret hat ein an<strong>der</strong>es Ventil für die Wut <strong>der</strong><br />

Jugendlichen.“<br />

Annegret: „Es ist wie die gelbe Karte beim Fußball. Man macht so ne Pause.<br />

F3, 25:21 – 25:39<br />

Und da kommt man wie<strong>der</strong> und dann .. findet man irgendwie ne<br />

Lösung zu, zu <strong>der</strong> Situation. Und bei euch ist die gelbe Karte die<br />

Pausenkarte. So, jetzt nimm dir mal ne Auszeit, beruhig dich mal,<br />

dann darfst du wie<strong>der</strong> mitmachen. Und genauso ist das hier auch.<br />

Wenn ihr merkt, es fängt an zu köcheln und da sind schon die<br />

Blasen, dann muss ich hier sagen: Gelbe Karte für mich selbst, ich<br />

muss jetzt ne Pause machen, mich beruhigen und dann kann ich<br />

zu <strong>der</strong> Situation zurück.“<br />

Situation: Marlies bietet Dzeneta an, die Gruppe zu führen.<br />

Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen<br />

Einstellungsgrößen von Marlies und Dzeneta. Dann sieht man Marlies in<br />

„Groß“, ein Interview gebend. Die Worte „Marlies Luepges.<br />

Expeditionsleiterin“ werden in einem roten Kasten eingeblendet.<br />

Marlies: „Wir möchten einfach nur ein, ein Beispiel setzen, vor allem auch<br />

für die Dzeneta, dass sie das kann. Dass sie schnell wan<strong>der</strong>n kann.<br />

Dass sie auf sich aufpassen kann. Dass sie kommunizieren kann.<br />

Es geht uns wirklich darum, dass sie das selbst mal erlebt. Dass<br />

sie Erfolg hat und dass wir nachher darauf zurückgreifen können,<br />

als Erlebnis.“<br />

F1, 1:15:20 - 1:15:30<br />

Situation: Die Jugendlichen packen zum ersten Mal ihren Wan<strong>der</strong>rucksack.<br />

Kevin steht, auf seinen Wan<strong>der</strong>stock gestützt, in <strong>der</strong> Sonne und die Kamera<br />

schwenkt runter zu seinem Rucksack, <strong>der</strong> auf dem Boden steht.


134<br />

Kevin: „Ich schaff das eh nicht mehr! Wenn ich gleich nicht mehr kann,<br />

ich geh keinen Schritt mehr weiter dann!“<br />

Marlies: „Okay. Ich bin hier um dich zu unterstützen.“<br />

Kevin: „Ja weißte, wie schwer <strong>der</strong> ist?!“<br />

Marlies: „Bist du bereit dafür?“<br />

Kevin: „Hm.“<br />

Marlies: „Darf ich dir, darf ich dir helfen?“ (hilft beim Aufsetzen des<br />

Rucksacks)<br />

Die Ressource, die Annegret Noble den Teenagern im ersten Beispiel zur Verfügung<br />

stellt, würde ich „Handlungsoptionen“ nennen. Sie lernen hier, in problematischen<br />

Situationen alternativ zu ihren bisherigen Verhaltensmustern zu agieren, was für das<br />

Zusammenleben mit ihren Familienmitglie<strong>der</strong>n von Vorteil sein kann. Im zweiten<br />

Beispiel handelt es sich um die Ressource „ermutigende Lebenserfahrungen“. Marlies<br />

Luepges überlässt Dzeneta sehr bewusst die Führung <strong>der</strong> Gruppe, um ihr zu zeigen, was<br />

sie alles kann. In folgenden Situationen könnte die Jugendliche auf dieses positive<br />

Erlebnis zurückgreifen und mehr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Im<br />

dritten Beispiel ist die Ressource „tatkräftige Unterstützung“. Frau Luepges bietet<br />

Kevin Hilfe beim Aufsetzen seines Wan<strong>der</strong>rucksacks an und zeigt ihm damit auch, dass<br />

sie wahrnimmt, wenn er allein nicht zurecht kommt und in solchen Situationen für ihn<br />

da ist.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei den Betreuern zumindest Ansätze <strong>der</strong><br />

Ressourcenorientierung vorhanden sind. Sie können positive Entwicklungen<br />

anerkennen und den Jugendlichen in einigen Situationen die benötigten Ressourcen zur<br />

Verfügung stellen. Diese Situationen gehen in <strong>der</strong> Sendung jedoch unter, da die<br />

Produzenten mit allen Mitteln versuchen, negative Aspekte in den Vor<strong>der</strong>grund zu<br />

stellen – sei es durch die Kommentare des Sprechers o<strong>der</strong> die Rückblenden zu<br />

problematischen Szenen aus dem bisherigen Leben <strong>der</strong> Teenager, meist mit aggressiver<br />

Musik untermalt. Dem Zuschauer wird so vermittelt, dass es bei pädagogischer Arbeit<br />

darum geht, die Probleme, Schwierigkeiten und das antisoziale Verhalten <strong>der</strong><br />

Jugendlichen immer im Auge zu behalten, um daran „herumschrauben“ zu können.<br />

Dass es viel effektiver und wertschätzen<strong>der</strong> ist, die Teenager in dem zu bestärken, was<br />

gut klappt, zu erkennen und anzuerkennen, was sie, auch in ihrem bisherigen Leben,<br />

alles Positives geleistet haben und daran anzusetzen, wird übergangen.


4.5 Die Darstellung <strong>der</strong> Jugendlichen – Zum Menschenbild<br />

Allgemein betrachtet ist das Menschenbild die Vorstellung über das Menschsein, also<br />

über das Wesen des Menschen. Das Menschenbild einer Person bestimmt ihre<br />

Vermutungen über die Eigenschaften, Charakterzüge und Intentionen ihres Gegenübers<br />

und bildet somit die Grundlage allen pädagogischen Handelns. Das humanistische<br />

Menschenbild beispielsweise, das in <strong>der</strong> sozialpädagogischen Arbeit wohl am weitesten<br />

verbreitet ist, geht davon aus, dass <strong>der</strong> Mensch im Grunde gut und bestrebt ist, sein<br />

Leben selbst zu bestimmen. Nach Carl Rogers ist er im Kern positiv, konstruktiv und<br />

vertrauenswürdig, „von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch.“<br />

(zit. nach Suter 1986, 96). Aggressives und asoziales Verhalten sieht Rogers als<br />

Abwehr- und Angstreaktion. Er geht außerdem davon aus, dass <strong>der</strong> Mensch eine<br />

„Aktualisierungstendenz“ besitzt. Das heißt, <strong>der</strong> Organismus ist zum Konstruktiven<br />

ausgerichtet und strebt nach Entwicklung und Entfaltung seiner selbst (ebd., 97).<br />

Je nach Menschenbild behandelt eine Person ihr Gegenüber, begegnet ihm aufgrund<br />

von Rückschlüssen positiv o<strong>der</strong> negativ. Hat man einen positiven Eindruck von einem<br />

Menschen, sieht man oftmals negative Ereignisse o<strong>der</strong> Äußerungen in einem an<strong>der</strong>en<br />

Licht. In jedem Fall sollten Pädagogen offen und wertschätzend mit ihren Klienten<br />

umgehen, um sie konstruktiv unterstützen zu können. Dies setzt ein positives<br />

Menschenbild voraus. Da sich durch die Handlungen und Aussagen einer Person<br />

Rückschlüsse auf ihr Menschenbild ziehen lassen, möchte ich im Folgenden<br />

untersuchen, wie die Jugendlichen in <strong>der</strong> Serie dargestellt werden, um zu beurteilen,<br />

welches Menschenbild durch die Sendung vermittelt wird.<br />

Analyse<br />

Bereits die ersten Szenen <strong>der</strong> Serie lassen erahnen, dass die Darstellung <strong>der</strong><br />

Jugendlichen zum größten Teil negativ ist:<br />

F1, 1:58 – 2:44<br />

135<br />

Portraitaufnahmen <strong>der</strong> Teenager (zwei Reihen mit jeweils vier Jugendlichen) auf<br />

einem roten Hintergrund. Während sie kurz einzeln vorgestellt werden<br />

vergrößert sich das jeweilige Portrait zum Vollbild und eine Einblende erscheint<br />

am linken, unteren Bildrand.<br />

Aggressive Rockmusik.


136<br />

Sprecher: „Für diese acht Jugendlichen ist die Therapie <strong>der</strong> letzte Ausweg<br />

Wil<strong>der</strong> Westen:<br />

− Andreas, <strong>der</strong> über 50 Einbrüche verübt hat, (Einblende:<br />

„Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“)<br />

− Stacey, die aggressive Schulverweigerin, (Einblende:<br />

„Stacey, 17 Jahre. Schulabbrecherin“)<br />

− David, <strong>der</strong> auf dem besten Weg ist ein Junkie zu werden,<br />

(Einblende: „David, 17 Jahre. Junkie“)<br />

− Pascal, <strong>der</strong> Dauerkiffer und Crack-Raucher, (Einblende:<br />

„Pascal, 17 Jahre. Dealer“)<br />

− Dzeneta, die Mitschüler und Lehrer verprügelt,<br />

(Einblende: „Dzeneta, 15 Jahre. Schlägerbraut“)<br />

− Kevin, Mitglied einer kriminellen Kölner Jugendgang,<br />

(Einblende: „Kevin, 15 Jahre, Gang-Mitglied“)<br />

− Vivien, die dauernd von zuhause ausreißt, (Einblende:<br />

„Vivien, 16 Jahre. Ausreißerin“)<br />

− und Kurt, <strong>der</strong> in die rechte Gewaltszene abgedriftet ist.“<br />

(Einblende: „Kurt, 16 Jahre. Neo-Nazi“)<br />

Diese erste Vorstellung <strong>der</strong> einzelnen Jugendlichen ist voll von Stigmatisierungen.<br />

Wie bereits im vorangehenden Kapitel über die Ressourcenorientierung deutlich<br />

wurde, liegt <strong>der</strong> Fokus nicht auf den positiven Eigenschaften o<strong>der</strong> Potenzialen <strong>der</strong><br />

Jugendlichen, sie werden hingegen durchgängig als aggressiv, gewalttätig,<br />

drogenabhängig und/o<strong>der</strong> kriminell dargestellt. In Interviewausschnitten wird die<br />

Stigmatisierung umso deutlicher: Während bei den Mitarbeitern von Catherin Freer<br />

die Berufsbezeichnungen eingeblendet werden (z.B. F4, 23:57, Einblende: „Marlies<br />

Luepges. Expeditionsleiterin), erscheinen bei den Teenagern ihre Straftaten wie<br />

„Dealer“ o<strong>der</strong> „Schlägerbraut“ (z.B. F2, 27:58, Einblende: „Andreas, 15 Jahre.<br />

Serieneinbrecher“). Dem Zuschauer wird so vermittelt: Die Jugendlichen sind<br />

kriminell. An<strong>der</strong>e, positive Eigenschaften haben sie nicht und sie haben sich diese<br />

Beschäftigungen ausgesucht wie an<strong>der</strong>e Menschen ihren Beruf. Auch in Szenen mit<br />

<strong>der</strong> Elternkamera o<strong>der</strong> kurzen Vorstellungssequenzen <strong>der</strong> einzelnen Jugendlichen,<br />

werden grundsätzlich negative Aspekte gezeigt. Die Familienszenen sind chaotisch,<br />

laut, voller Gewalt und Beschimpfungen. Die Teenager werden in den meisten


Fällen rauchend o<strong>der</strong> trinkend gezeigt und die Beteiligten werden ausschließlich zu<br />

Straftaten, Prügeleien, Drogen- und Alkoholkonsum <strong>der</strong> Jugendlichen befragt.<br />

Durch diese Konzentration auf Negatives wird dem Zuschauer unterschwellig<br />

vermittelt, dass es nichts Positives gibt, dass es zu erwähnen wert wäre. Dass diese<br />

Beschreibungen nicht nur für die Jugendlichen <strong>der</strong> Sendung, son<strong>der</strong>n für<br />

Jugendlichen in Deutschland im Allgemeinen gelten, zeigt dieses Zitat des<br />

Sprechers:<br />

F3, 0:04 – 0:13<br />

137<br />

Verschiedene kurze Aufnahmen von Kurt, <strong>der</strong> mit Waffen hantiert, Dzeneta, die<br />

raucht, Kevin, <strong>der</strong> ein Auto aufbricht und Stacey, die wütend gestikuliert.<br />

Aggressive Hardrock-Musik.<br />

Sprecher: „Teenie-Alltag in Deutschland: Gewalt, Drogen, Kriminalität.<br />

Skrupellose Jugendliche, die we<strong>der</strong> auf sich, noch auf ihre Eltern<br />

Rücksicht nehmen.“<br />

Junge Menschen prinzipiell als gewalttätig, kriminell und rücksichtslos darzustellen<br />

vermittelt ein Menschenbild, das von Feindseligkeit geprägt ist. Es scheint, als sei es<br />

das Ziel <strong>der</strong> Produzenten, möglichst viel Hass zu vermitteln. So werden auch an<br />

an<strong>der</strong>en Stellen überspitzte Verallgemeinerungen und Übertreibungen eingesetzt,<br />

um die teilnehmenden Teenager schlecht darzustellen:<br />

F1, 35:29 – 35:34<br />

Die Kamera zeigt Pascal aus <strong>der</strong> Froschperspektive. Er steht in einer Kammer,<br />

entkleidet sich, reicht seine Kleidungsstücke einem Betreuer und zieht zum<br />

Schluss ein orangefarbenes T-Shirt an.<br />

Sprecher: „Zu hause in Deutschland haben sie sich je<strong>der</strong> Regel wi<strong>der</strong>setzt<br />

und auf Anweisungen mit Aggressionen reagiert.“


F3, 14:32 – 14:39<br />

138<br />

Dzeneta und Marlies Luepges sitzen in <strong>der</strong> Dämmerung auf dem Wüstenboden<br />

um einen Kochtopf herum. Anschließend sieht man die Jugendliche in <strong>der</strong><br />

Einstellungsgröße „Groß“ in ihrem Zelt.<br />

Gruselig wirkende Gitarrenklänge im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Der erste Tag von Dzenetas Quest war zumindest ein Teilerfolg.<br />

Sie hat zum ersten Mal Verantwortung übernommen und ist<br />

weiter gewan<strong>der</strong>t als erwartet.“<br />

Natürlich haben sich die Jugendlichen in Deutschland nicht je<strong>der</strong> Regel wi<strong>der</strong>setzt<br />

und natürlich hat Dzeneta schon in vorherigen Situationen in ihrem Leben<br />

Verantwortung übernommen. Diese vom Sprecher gewählten Übertreibungen<br />

implizieren jedoch: Eigentlich sind die Jugendlichen schlechte Menschen, dank des<br />

Programms ist eine positive Verän<strong>der</strong>ung aber immerhin möglich. Entwicklungen<br />

<strong>der</strong> Heranwachsenden werden also nicht ihnen selbst, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Therapie<br />

zugeschrieben, die aus den rücksichtslosen Jugendlichen bessere Menschen macht.<br />

Auch die häufigen Rückblicke auf kriminelle o<strong>der</strong> aggressive Szenen aus <strong>der</strong><br />

Vergangenheit <strong>der</strong> Jugendlichen, die nach positiven Situationen während <strong>der</strong><br />

Therapie eingeblendet werden, verstärken dieses Bild (vgl. Kapitel 4.4 zur<br />

Ressourcenorientierung).<br />

Das negative Bild <strong>der</strong> Teenager wird auf zahlreiche verschiedene Arten vermittelt.<br />

Manche Zitate stellen sie beispielsweise als egoistisch und rücksichtslos dar:<br />

F1, 0:03-0:11<br />

In vielen kurzen Ausschnitten wird nacheinan<strong>der</strong> folgendes gezeigt: Pascal, <strong>der</strong><br />

eine Wasserpfeife raucht, Kevin, <strong>der</strong> ein Auto aufbricht, einige Freunde, die<br />

Kampfbewegungen demonstrieren, eine Hand, die ein Fahrradschloss knackt, ein<br />

Jugendlicher, <strong>der</strong> in einem Tarnanzug und mit einem Gewähr bewaffnet durch<br />

ein Gelände läuft und auf einen an<strong>der</strong>en Jugendlichen schießt, ein Außenspiegel<br />

eines Autos, <strong>der</strong> abgeschlagen wird. Alles wirkt hektisch und bedrohlich.<br />

Aggressive, laute Rockmusik.


139<br />

Sprecher: „Teenager außer Kontrolle. Drogen und Gewalt bestimmen ihren<br />

F1, 08:53 – 08:58:<br />

Alltag. Sie führen ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste und auf<br />

ihre Familien.“<br />

Abschieds-Szene am Frankfurter Flughafen, Andreas’ Mutter nimmt ihren Sohn<br />

lächelnd in die Arme und drückt ihn fest an sich.<br />

Langsame Rockmusik.<br />

Sprecher: „Wie sehr sie (seine Eltern, D.S.) unter Andreas Verhalten leiden<br />

war ihm bisher egal.“<br />

In an<strong>der</strong>en Situationen wird ihnen sogar unterstellt, ihre Mitmenschen bewusst und<br />

vorsätzlich zu schikanieren:<br />

F2, 34:19 - 34:23<br />

Verschiedene kurze Aufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven, die die<br />

Jugendlichen beim Wan<strong>der</strong>n zeigen.<br />

Rockige Gitarrenmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Dzeneta hat sich offenbar vorgenommen, an diesem Tag wie<strong>der</strong><br />

F2, 37:50 – 37:56<br />

mal quer zu schießen.“<br />

Auch hier verschiedene kurze Aufnahmen <strong>der</strong> wan<strong>der</strong>nden Jugendlichen.<br />

Rockige Gitarrenmusik im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Dzeneta ist fest entschlossen, ihre Machtprobe mit den Betreuern<br />

F1, 49:01 – 49:07<br />

fortzusetzen und damit die Gruppe aufzuhalten.“<br />

Verwackelte, dunkle Aufnahmen bei Nacht, man erkennt Stacey und Dzeneta,<br />

die Jacken in leuchtendem rot und gelb tragen.


140<br />

Sprecher: „Dzeneta und Stacey weigern sich, ihr Lager aufzuschlagen. Sie<br />

wollen testen, wie weit sie bei den Betreuern gehen können.“<br />

Kommentieren <strong>der</strong> Sprecher o<strong>der</strong> die Betreuer die Handlungen <strong>der</strong> Teenager, so<br />

werden den Jugendlichen in allen Fällen berechnende o<strong>der</strong> böswillige Motivationen<br />

unterstellt. Diese Vermutungen werden vor dem Zuschauer dann wie feststehende<br />

Tatsachen geäußert. Die folgenden fünf Zitate stehen beispielhaft für viele weitere<br />

ähnliche Kommentare.<br />

F1, 15:26 - 15:32<br />

Situation: Vivien ist vor dem Flug in die USA am Frankfurter Flughafen<br />

weggelaufen, dann aber zurück gekehrt, um an dem Programm teilzunehmen.<br />

Sie wird in <strong>der</strong> „Totalen” gezeigt, als sie mit einer Tasche bepackt zurück zum<br />

Terminal kommt.<br />

Töne einer E-Gitarre im Hintergrund.<br />

Sprecher: „Vivien kehrt zurück. Sie fährt lieber in die USA als mit ihrer<br />

Mutter zurück ins verhasste Zuhause.“<br />

Obwohl es viele denkbare Gründe gibt, warum Vivien letztendlich doch mit in die<br />

USA fliegt, wird ihr einfach unterstellt, sie wolle lediglich nicht zurück ins<br />

„verhasste Zuhause“. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Sie entscheidet sich nur für das geringere<br />

Übel. Mit einem positiveren Menschenbild als Grundannahme hätte man stattdessen<br />

mutmaßen können, dass sie an dem Programm teilnimmt, um etwas zu verän<strong>der</strong>n<br />

und wie<strong>der</strong> besser mit ihren Familienmitglie<strong>der</strong>n auszukommen (vgl. S.103).<br />

F1, 29:01 – 29:28<br />

Als Frau Noble zu sprechen beginnt, sieht man Vivien, die neben einem Mann<br />

an eine Kellerwand gelehnt sitzt, weint und ihr Mobiltelefon ans Ohr hält.<br />

Anschließend sieht man Annegret Noble in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Groß“, die in<br />

einem dunklen Raum sitzend ein Interview gibt. Zwischenzeitlich wird Vivien<br />

eingeblendet, die mit roten, aufgequollenen Augen noch immer versucht, zu<br />

telefonieren.<br />

Langsame, traurige Klänge einer E-Gitarre ertönen leise im Laufe des<br />

Interviews.


141<br />

Annegret: „Die Vivien probiert gerade mit allen möglichen und<br />

unmöglichen Mitteln hier weg zu kommen. (grinst) Und sie<br />

versucht Erpressung, sie versucht Drohungen, sie versucht ..<br />

(lacht ein wenig) nervöse Zusammenbrüche und ähm, im<br />

Endeffekt ist alles ein Mittel, um zu erreichen, was sie will. Und<br />

zu Hause hat das auch oft funktioniert und hier funktioniert das<br />

nicht. Jetzt probiert sie eben eins nach dem an<strong>der</strong>en aus, bis sie<br />

dann . wahrscheinlich nicht mehr weiter weiß und sich beruhigen<br />

wird und wahrscheinlich auch mitmachen wird.“<br />

F1, 1:03:31 - 1:03.39, F1, 1:08:35 – 1:08:38<br />

Abwechselnd Aufnahmen von David, <strong>der</strong> entfernt von <strong>der</strong> Gruppe zwischen<br />

Sträuchern steht und seinen Rucksack schultert und den restlichen Teenagern,<br />

die mit den Betreuern zusammen in einem Kreis sitzen.<br />

Sprecher: „In einem unbeobachteten Moment macht sich David bereit zur<br />

Flucht. Er hat jetzt schon genug von seinem neuen Leben ohne<br />

Drogen und Kriminalität.“<br />

Als die Betreuer ihn eingeholt haben erklärt er, dass er es in <strong>der</strong> Wüste nicht<br />

aushält und sich um seine Mutter kümmern muss.<br />

Er sitzt neben Annegret Noble am Wegrand, hat die Beine angezogen und den<br />

Kopf hinter seinen Armen vergraben.<br />

Sprecher: „Der wahre Grund für Davids Flucht: Drogenentzug.“<br />

Auch in diesen beiden Fällen wird den Teenagern eine negative Motivation<br />

unterstellt: Statt ihr Verhalten als Verzweiflung zu deuten, da sie sich mit dem<br />

Programm überfor<strong>der</strong>t fühlen, nach Hause wollen und dabei von niemandem ernst<br />

genommen o<strong>der</strong> unterstützt werden, behauptet Frau Noble im ersten Zitat, Vivien<br />

handle aus Berechnung, nur „um zu erreichen was sie will“. Der Sprecher unterstellt<br />

David in <strong>der</strong> zweiten Szene sogar zu lügen, da er sich nicht wie behauptet um seine<br />

Mutter sorge, son<strong>der</strong>n nur versuche wegzulaufen, da er „genug von seinem Leben<br />

ohne Drogen und Kriminalität“ habe.


F1, 1:01:43 – 1:01:59<br />

Situation: Dzeneta will keinen Sonnenhut tragen.<br />

142<br />

Zuerst sieht man Annegret Noble ein Stück hinter Dzeneta herlaufen. Sie<br />

befinden sich mit an<strong>der</strong>en Betreuen im „Staff-Camp“, um sie herum sieht man,<br />

abgesehen von einer aufgespannten Plane, nur vertrocknete Sträucher.<br />

Anschließend wird die Therapeutin beim Interview gezeigt, ein Kasten mit den<br />

Worten „Annegret Noble. ‚Dzeneta will unsere Grenzen testen’“ wird<br />

eingeblendet.<br />

Annegret: „Das Entscheidende für die Dzeneta war, dass sie gesehen hat,<br />

wir spielen die Spielchen nicht mehr. Sie hat die ganze Zeit<br />

gelacht, das war irgendwie w i t z i g, das ist hier nur, ich zeig den<br />

doofen Betreuern, wie man das hier macht und als sie gemerkt<br />

hat, dass wir da nicht mitspielen, son<strong>der</strong>n dass wir es ganz ernst<br />

meinen, hat sie dann glaub ich auch aufgegeben.“<br />

Dzenetas Verhalten wird als „Spielchen“ gedeutet, mit dem sie sich über die<br />

Betreuer lustig macht und lediglich versucht, ihren Kopf durchzusetzen. Dass sich<br />

die Jugendliche vielleicht tatsächlich schämt, den in ihren Augen hässlichen Hut<br />

aufzusetzen und so im Fernsehen von ihren Freunden gesehen zu werden, wird nicht<br />

in Betracht gezogen. In <strong>der</strong> bereits häufig zitierten Szene, in <strong>der</strong> Vivien stürzt, wird<br />

beson<strong>der</strong>s deutlich, dass den Teenagern negative Motivationen und Eigenschaften<br />

einfach unterstellt werden. (vgl. S. 67) Bereits im ersten Satz wird Vivien Faulheit<br />

und mangelnde Lust nachgesagt, obwohl sie möglicherweise einfach erschöpft und<br />

am Ende ihrer Kräfte ist. Auch die Aussage „sie täuscht einen Sturz vor“ impliziert,<br />

dass die Jugendliche berechnend und unehrlich ist. Dass Vivien tatsächlich<br />

gestolpert und gestürzt sein könnte, wird nicht für möglich gehalten.<br />

In den Rückblicken zu <strong>der</strong> vorangegangenen Sendung werden sogar Tatsachen<br />

verdreht, um ein möglichst schlechtes Bild <strong>der</strong> Jugendlichen zu vermitteln:<br />

F2, 3:15 – 3:23<br />

Zuerst eine Aufnahme von Stacey, die versucht Betreuer Dan zu treten, um sich<br />

so aus seinem „therapeutischem Griff“ zu befreien. Anschließend sieht man<br />

Pascal, <strong>der</strong> gegen einen Gegenstand tritt und gleich darauf von einem


143<br />

männlichen Betreuer zu Boden gerungen wird. Danach Dzeneta, die Dan mit den<br />

Worten „Mach Dich mal ab, du Hurensohn, Alter!“ abwehrt.<br />

Rockige Klänge einer E-Gitarre.<br />

Sprecher: „Die Teenager versuchten, sich mit körperlicher Gewalt zu<br />

F3, 2:11 - 2:18<br />

wi<strong>der</strong>setzen.“<br />

(Die selben Aufnahmen wie in <strong>der</strong> vorherigen Szene)<br />

Sprecher: „Die Jugendlichen wurden handgreiflich und zwangen die<br />

Betreuer zu harten Maßnahmen.“<br />

Tatsächlich werden nicht die Jugendlichen, son<strong>der</strong>n die Betreuer handgreiflich,<br />

wenn die Teenager ihre Anweisungen nicht befolgen. In den zu den Zitaten<br />

eingeblendeten Szenen erkennt man, dass die Jugendlichen lediglich versuchen, sich<br />

aus den Griffen <strong>der</strong> Professionellen zu befreien o<strong>der</strong> sich zu wehren.<br />

Auch die folgenden Szenen geben Hinweise auf das <strong>der</strong> Serien zugrunde liegende<br />

Menschenbild:<br />

F2, 29:36 – 30:01<br />

Zuerst sieht man die Gruppe im Kreis um ein Lagerfeuer sitzen und sich<br />

unterhalten. Dann wird links ein Kasten mit Annegret Noble in „Großaufnahme“<br />

eingeblendet, <strong>der</strong> im Laufe des Kommentars zum Vollbild wird. Einblende:<br />

„Annegret Noble. Cheftherapeutin“.<br />

Langsame und traurige Klavierklänge.<br />

Annegret: „Kevin sagt im Moment, dass es eigentlich nur die Schuld seiner<br />

Freunde ist, dass er so viele Probleme hat, mit <strong>der</strong> Polizei und<br />

dass er Diebstähle begangen hat und dass er drei<br />

Gerichtsverhandlungen noch hat. Und das stimmt auf keinen Fall.<br />

Da ist irgendwas in ihm ja auch drin, das da mitgemacht hat und<br />

das „ja“ gesagt hat. Und das wird er noch finden und das wird ihn<br />

vielleicht auch n bisschen erschrecken, dass er das wirklich in<br />

sich hat und dass das nicht nur seine Freunde sind.“


Laut dieser Formulierung von Annegret Noble hat Kevin etwas „in sich drin“, das<br />

ihn Straftaten begehen lässt. Sie argumentiert anhand einer dispositionalen<br />

Attribution, die besagt, dass die Ursachen für das Fehlverhalten einer Person in ihr<br />

selbst und nicht in äußeren Umständen liegen. Frau Noble unterstellt Kevin also,<br />

unabhängig von situationalen Bedingungen, etwas Destruktives in sich drin zu<br />

haben. Diese Ansicht zeugt von einem überaus negativen Menschenbild.<br />

F4, 12:44 – 12:56<br />

144<br />

Links im Bild sieht man ein Kasten mit einer Großaufnahme von Annegret<br />

Noble, die ein Interview gibt. Im rechten Kasten geht Pascal auf sein Zelt zu. Ein<br />

männlicher Betreuer beobachtet ihn dabei und ruft ihm etwas zu. Dann<br />

vergrößert sich <strong>der</strong> Kasten mit Annegrets Kopf, bis er den gesamten Bildschirm<br />

ausfüllt. Einblende: „Annegret Noble. Cheftherapeutin.“<br />

Annegret: (leicht grinsend) „Wir geben ihnen .. das, was sie brauchen, nicht<br />

unbedingt das, was sie wollen, damit sie lernen, was wirklich<br />

wichtig im Leben ist. Und wir vermitteln ihnen Einsichten, die<br />

ihnen helfen, sich selbst und ihr Leben besser zu verstehen.“<br />

Dieses Zitat besagt, dass die Mitarbeiter von Catherine Freer besser als die<br />

Jugendlichen selbst wissen, was diese brauchen und gut für sie ist, da sie laut<br />

Annegret Noble ihr Leben nicht richtig verstehen. Wie bereits im Kapitel über die<br />

Partizipationsmöglichkeiten (4.2.2) herausgearbeitet wurde, werden die Teenager<br />

als unmündig, wenn nicht sogar als dumm, verstanden und dargestellt.<br />

Auffällig ist außerdem, dass die Jugendlichen oft wie gefährliche Kriminelle<br />

betrachtet und behandelt werden, die man ständig bewachen muss und denen man<br />

nicht vertrauen kann:<br />

F1, 36:48 - 37:02<br />

Frau Luepges steht, während sie das Interview gibt, in einem ungemütlich und<br />

kalt wirkenden Kellerraum und hält einen Notizblock in <strong>der</strong> Hand. Ein roter<br />

Kasten mit den Worten „Marlies Luepges. Betreuerin“ wird eingeblendet. Im<br />

Hintergrund sieht man einige <strong>der</strong> Jugendlichen auf dem Boden sitzen.


145<br />

Marlies: „Es ist wichtig, dass wir auf <strong>der</strong> Fahrt so wenig Risiken wie<br />

F4, 3:16 – 3:25<br />

möglich eingehen. Dann haben wir auch die Mitarbeiter so<br />

verteilt, das wir Deutsch sprechende Leute haben, dass wir<br />

genügend, ähm, Betreuer zwischen den Jugendlichen haben und<br />

so weiter. Dass da keine negativen Verbindungen geschafft<br />

werden können.“<br />

Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig<br />

allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinan<strong>der</strong> entfernt stehen.<br />

Links im Bild befindet sich Kris Schock, <strong>der</strong> ein Interview gibt, rechts sieht man<br />

nacheinan<strong>der</strong> Vivien und Pascal ihre Schuhe abgeben.<br />

Im Hintergrund hört man sehr leisen Gesang mit Trommelgeräuschen.<br />

Kris: „Wir nehmen die Schuhe und die Stirnlampe weg, damit die<br />

Jugendlichen nicht einan<strong>der</strong> besuchen können und dass sie nicht<br />

weglaufen können.“<br />

Die Betreuer rechnen eigentlich zu jedem Zeitpunkt mit einem Aufstand o<strong>der</strong><br />

Fluchtversuchen seitens <strong>der</strong> Jugendlichen und behandeln sie dementsprechend von<br />

vorne herein wie Verbrecher. Dieses Misstrauen wi<strong>der</strong>spricht nicht nur, wie zuvor<br />

erwähnt, dem Prinzip <strong>der</strong> Ressourcenorientierung und verhin<strong>der</strong>t einen<br />

pädagogischen Bezug, es zeugt auch von einem sehr negativen Menschenbild. Die<br />

Botschaft, die sowohl dem Zuschauer, als auch den Jugendlichen selbst vermittelt<br />

wird, lautet: Man kann den Teenagern nicht vertrauen und muss vor ihnen immer<br />

auf <strong>der</strong> Hut sein, da sie von Grund auf schlechte Menschen sind.<br />

Insgesamt habe ich lei<strong>der</strong> nur vier Situationen gefunden, in denen die Jugendlichen<br />

etwas positiver betrachtet werden. Beispielhaft sei die folgende Szene aufgeführt:<br />

F1, 1:22:15 – 1:22:31<br />

Situation: Dzeneta hat ihren Rucksack abgeworfen und will nicht<br />

weiterwan<strong>der</strong>n.


146<br />

Die Jugendliche ist in <strong>der</strong> Einstellungsgröße „Amerikanisch“ zu sehen, sie sitzt<br />

im Schnei<strong>der</strong>sitz am Boden und hat den Kopf gesenkt, so dass man nur ihren<br />

Hut sieht. Die Kamera schwenkt hoch zu Frau Luepges, die mit ihrem Rucksack<br />

bepackt und einer Wasserflasche in <strong>der</strong> Hand hinter <strong>der</strong> Jugendlichen steht.<br />

Traurige Musik im Hintergrund.<br />

Marlies: „Und jetzt wär deine erste Möglichkeit, mal da was an<strong>der</strong>es<br />

auszuprobieren. Ich versteh das schon, wenn man immer die<br />

gleichen Art und Weise hat, mit Problemen umzugehen, dann,<br />

dann (hockt sich hin, so dass sie sich mit Dzeneta auf einer<br />

Augenhöhe befindet) fährt man sich da so in ne<br />

Gewohnheitssachen rein. Jetzt hier in dem Moment hast du die<br />

Möglichkeit, das zu än<strong>der</strong>n.“<br />

Das hier vermittelte Menschenbild ist insofern positiv, als das den Jugendlichen<br />

etwas zugetraut wird. Im ersten Zitat ist Marlies Luepges davon überzeugt, dass<br />

Dzeneta alte Verhaltensweisen ablegen und neue ausprobieren kann, also<br />

entwicklungsfähig ist.<br />

Alles in allem muss man jedoch festhalten, dass die Darstellung <strong>der</strong> Jugendlichen -<br />

und somit das vermittelte Menschenbild - überwiegend negativ ist. Sie werden als<br />

kriminell, gewalttätig, egoistisch und rücksichtslos vorgestellt, Stärken und positive<br />

Eigenschaften werden nicht erwähnt. Die Motivationen für ihre Handlungen sind<br />

laut Sprecher und Mitarbeiter <strong>der</strong> Wille, den eigenen Kopf durchzusetzen, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Wunsch, an<strong>der</strong>e zu schikanieren. Laut Annegret Nobles dispositionaler Attribution<br />

haben die Jugendlichen diese destruktiven Eigenschaften „in sich drin“, Verständnis<br />

für ihr Verhalten ist somit höchst wahrscheinlich nicht zu erwarten. Passend dazu<br />

werden sie als faul, dumm und unmündig dargestellt. Dass die Betreuer den<br />

Teenagern in manchen Szenen immerhin zutrauen, sich zu entwickeln, wird an dem<br />

negativen Eindruck, den <strong>der</strong> Zuschauer von den Jugendlichen erhält, wenig än<strong>der</strong>n.<br />

Ihm wird damit hingegen vermittelt, dass positive Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Heranwachsenden, die während des Therapieprogramms zu beobachten sind, dem<br />

Projekt und den Betreuern, nicht aber den Teenagern selbst zuzuschreiben sind.


5 Fazit<br />

Die kritische Analyse <strong>der</strong> Szenen hat viele Differenzen zwischen den<br />

Erziehungspraktiken <strong>der</strong> Betreuer bei „Teenager außer Kontrolle“ und einer<br />

professionellen Pädagogik sichtbar gemacht. Aufgrund dieser Unterschiede stimme ich<br />

<strong>der</strong> Behauptung, meine spätere berufliche Praxis sei mit den in <strong>der</strong> Sendung<br />

dargestellten Inhalten vergleichbar, nicht zu. Im Folgenden möchte ich noch einmal die<br />

wichtigsten Differenzen herausstellen:<br />

- Bereits die Grundlage allen pädagogischen Handelns, das Menschenbild, ist bei<br />

147<br />

„Teenager außer Kontrolle“ negativ. Im Gegensatz zu professionellen<br />

Pädagogen, die ihren Klienten mit Wertschätzung begegnen und sie prinzipiell<br />

für gute Menschen halten, treten die Mitarbeiter des „Catherine Freer Therapy<br />

Program“ den Jugendlichen von vorne herein mit Misstrauen und Abneigung<br />

gegenüber. Sie unterstellen ihnen für ihre Handlungen negative Motivationen,<br />

wie Berechnung o<strong>der</strong> das vorsätzliche Schikanieren ihrer Mitmenschen und<br />

behandeln sie wie gefährliche Kriminelle. Den positiven Eigenschaften und<br />

Potenzialen <strong>der</strong> Teenager wird keinerlei Beachtung geschenkt.<br />

- Dies geht einher mit einer kaum vorhandenen Ressourcenorientierung. Der<br />

Fokus <strong>der</strong> Sendung liegt grundsätzlich auf negativen Aspekten: Selbst wenn es<br />

den Betreuern partiell gelingt, positive Entwicklungen <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

anzuerkennen o<strong>der</strong> ihnen benötigte Ressourcen zur Verfügung zu stellen, lenken<br />

abwertende Kommentare des Sprechers o<strong>der</strong> Rückblicke zum vorherigen Leben<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen, die Aufmerksamkeit des Beobachters auf das, was in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit nicht funktioniert hat. Dem Zuschauer wird vermittelt, dass es in<br />

den Hilfen zur Erziehung darum geht, die Probleme und „Fehler“ <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendlichen ständig im Auge zu behalten und darauf „herumzureiten“. Ein<br />

guter Pädagoge hingegen würde anerkennen, was dem Klienten bisher gelungen<br />

ist, ihn darin bestärken und daran ansetzen.<br />

- Bei „Teenager außer Kontrolle“ geht es kaum um die Beziehungen <strong>der</strong><br />

Jugendlichen, obwohl diese eine wichtige Ressource im Leben eines Menschen<br />

darstellen. Vor allem auf positive Beziehungen <strong>der</strong> Jugendlichen untereinan<strong>der</strong><br />

wird kaum Wert gelegt, die Peergruppe wird lediglich als Druckmittel benutzt.<br />

Häufig versuchen die Mitarbeiter des Programms sogar, Freundschaften unter


148<br />

den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n zu verhin<strong>der</strong>n. Pädagogisch betrachtet wäre es weitaus<br />

sinnvoller und professioneller, eine positive Peerkultur zu unterstützen, um die<br />

entwicklungsför<strong>der</strong>nden Aspekte <strong>der</strong> Gleichaltrigenbeziehungen zu nutzen und<br />

mit den Teenagern an einem konstruktiven Verhältnis zu ihren Mitmenschen zu<br />

arbeiten. Positiv ist zu erwähnen, dass trotz <strong>der</strong> großen räumlichen Distanz Wert<br />

auf Elternarbeit gelegt wird. Sie von Bedingungen abhängig zu machen und als<br />

Druckmittel zu benutzen, um die Jugendlichen zum Einhalten <strong>der</strong> Regeln zu<br />

bewegen, ist pädagogisch betrachtet jedoch nicht sinnvoll. Auch die<br />

Ausgestaltung <strong>der</strong> Elternarbeit ist mangelhaft: Die Eltern erfahren keine<br />

Wertschätzung ihrer bisherigen Erziehungsleistungen und die Teenager werden<br />

mit Schuldzuschreibungen konfrontiert. Des weiteren entspricht die Beziehung<br />

zwischen Erzieher und Zögling nicht den Kriterien guter pädagogischer Arbeit:<br />

Obwohl es den Betreuern in einigen Situationen gelingt, freundlich und<br />

hilfsbereit zu sein, verhin<strong>der</strong>n harte, teils demütigende Strafen, ein großes<br />

Misstrauen den Jugendlichen gegenüber, ein Mangel an Akzeptanz und<br />

Verständnis, sowie hartes körperliches Durchgreifen <strong>der</strong> Betreuer die<br />

Entstehung eines pädagogischen Bezugs, ohne den laut Nohl „alles übrige<br />

vergeblich“ bleibt. Die Möglichkeit, für die Teenager zu wichtigen<br />

Bezugspersonen zu werden und einen positiven Einfluss auf sie zu haben, ist als<br />

äußerst gering einzuschätzen.<br />

- Das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle ist außerdem als dem Alter<br />

und Entwicklungsstand <strong>der</strong> Jugendlichen nicht angemessen zu bewerten.<br />

Partizipationsmöglichkeiten werden den Heranwachsenden nur bei relativ<br />

unbedeutenden Punkten zugesprochen, häufig werden sie noch nicht einmal über<br />

die sie betreffenden Entscheidungen informiert. Das verhin<strong>der</strong>t natürlich<br />

jegliche Mitsprache und somit eine Selbstbestimmung <strong>der</strong> Teenager. Eine<br />

Vorbereitung auf ein verantwortungsvolles Leben findet nicht statt, denn den<br />

Jugendlichen wird die Chance auf eine Entwicklung zur Selbständigkeit<br />

genommen. Die Fremdbestimmung wurde an den beobachteten Strafpraktiken<br />

deutlich: Schon die Tatsache, dass die Strafen ein fest geplanter und häufiger<br />

Bestandteil des Programms sind, steht im Wi<strong>der</strong>spruch zu einer professionellen<br />

Pädagogik. Da sie zu Scheinanpassungen führen, sollten sie lediglich in<br />

Ausnahmefällen angewandt werden und immer logisch und auf<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung ausgelegt sein. Die Strafen bei „Teenager außer Kontrolle“<br />

scheinen hingegen als willkürliche Racheakte und Schikanen.


Mit Blick auf all diese Mängel kann davon ausgegangen werden, dass es bei „Teenager<br />

außer Kontrolle“ nicht um die Bedürfnisse <strong>der</strong> teilnehmenden Jugendlichen geht. Die<br />

Methoden sind darauf ausgelegt, in möglichst kurzer Zeit sichtbare Verän<strong>der</strong>ungen zu<br />

erreichen, Scheinanpassungen werden dabei in Kauf genommen. Statt auf lang<br />

anhaltende Entwicklungen hinzuarbeiten, wird versucht, große Effekte zu erzielen, um<br />

Eltern und Zuschauer von <strong>der</strong> Wirkung des Programms zu überzeugen. Die<br />

Heranwachsenden durch Strafen und Demütigungen gefügig zu machen und sie somit<br />

zum Einhalten von Regeln zu bringen, mag für den Laien wie eine funktionierende<br />

Maßnahme aussehen, ist jedoch Dressur und hat mit Erziehung nichts zu tun.<br />

Eigenständig und verantwortlich mit ihrem Leben zurechtzukommen lernen die<br />

Jugendlichen hierbei jedenfalls nicht.<br />

Eltern, die Probleme mit ihren Kin<strong>der</strong>n haben und diese Sendung sehen, könnten zu <strong>der</strong><br />

Überzeugung gelangen, dass ihre Kin<strong>der</strong> durch Strafen und sogar körperliche Gewalt zu<br />

erziehen seien und dass Heranwachsende nach acht Wochen Jugendhilfemaßnahme als<br />

neue, geheilte Menschen zu ihren Eltern zurückkehren. Die dargestellte Elternarbeit und<br />

die mangelhafte Ressourcenorientierung könnten außerdem dazu führen, dass Eltern<br />

sich in Krisensituationen nicht an das Jugendamt wenden, da sie befürchten aufgrund<br />

<strong>der</strong> Konzentration auf Probleme bloßgestellt zu werden. Die zuschauenden Kin<strong>der</strong><br />

werden beim Anblick des Programms wahrscheinlich Angst vor pädagogischen<br />

Maßnahmen bekommen, da sie die Teilnahme an <strong>der</strong> Therapie als Strafe und die<br />

dargestellten Jugendlichen als Objekte erleben, <strong>der</strong>en Willen es zu brechen gilt.<br />

Fernsehzuschauer, die <strong>der</strong> Meinung sind „die Jugendlichen von heute müssen nur mal<br />

richtig bestraft werden“ und „manchmal muss man zum Besten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> auch mal<br />

handgreiflich werden“, sehen sich durch „Teenager außer Kontrolle“ in ihren Aussagen<br />

bestätigt und schalten gern Woche für Woche ein. Dass die Mitarbeiter von Catherine<br />

Freer demnach nicht über eine (schlechte) Alttagspädagogik hinauskommen und die<br />

Darstellung <strong>der</strong> Teenager zu Abneigung gegen junge Menschen führen kann, scheint die<br />

Produzenten <strong>der</strong> Sendung nicht zu stören – denn Gewalt und Hass bringen hohe<br />

Einschaltquoten.<br />

Alles in allem führt die Sendung also zu Missverständnissen und einem falschen Bild<br />

pädagogischer Arbeit, was schwerwiegende und verheerende Folgen bezüglich <strong>der</strong><br />

Erwartungen an „echte“ Hilfen zur Erziehung und die zukünftigen<br />

Erziehungsmaßnahmen <strong>der</strong> zuschauenden Eltern haben kann.<br />

149


6 Literaturverzeichnis<br />

Monographien, (Lehr-)Bücher, Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften<br />

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Zugriff: Februar 2009<br />

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Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wil<strong>der</strong> Westen (Staffel 2)<br />

Zugriff: Februar 2009<br />

Verfügbar unter: http://snyelmn.wordpress.com/teenager-ausser-kontrolle-<br />

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letzter-ausweg-wil<strong>der</strong>-westen-staffel-1/teenager-ausser-kontrolle-letzter-ausweg-<br />

wil<strong>der</strong>-westen-staffel-2/<br />

• RTL – Teenager außer Kontrolle:<br />

Das sind die acht Teenager<br />

Zugriff: Februar 2009<br />

Verfügbar unter:<br />

http://www.rtl.de/tv/tv_932657.php?media=galerie1&set_id=8263<br />

• RTV:<br />

Noch mehr „Teenager außer Kontrolle“<br />

Zugriff: Februar 2009<br />

Verfügbar unter: www.rtv.de<br />

• Wikipedia. Die freie Enzyklopädie:<br />

Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wil<strong>der</strong> Westen.<br />

Zugriff: Februar 2009<br />

Verfügbar unter:<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Teenager_au%C3%9Fer_Kontrolle


• Wolf, Klaus:<br />

„Macht, Pädagogik und ethische Legitimation“<br />

Zugriff: Juni 2009<br />

Verfügbar unter: http://www.uni-<br />

siegen.de/fb2/mitarbeiter/wolf/wissarbeiten/wissarbeiten_veroeffentlichungen.ht<br />

ml?lang=de<br />

• Wolf, Klaus: Downloads zum Wintersemester 2005/2006<br />

„Der Sozialpädagogische Blick. Einführung in die Soziale<br />

Arbeit/Sozialpädagogik“<br />

Zugriff: Januar 2006<br />

Verfügbar unter: http://www.uni-<br />

siegen.de/fb2/mitarbeiter/wolf/download_alt.html?lang=de<br />

155


7 Ehrenwörtliche Erklärung<br />

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit in allen Teilen selbstständig<br />

verfasst und keine an<strong>der</strong>en als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel<br />

verwendet habe.<br />

________________________ _____________________________<br />

Datum Unterschrift<br />

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