04.09.2020 Aufrufe

Harald Braem: Atlantis-Botschaft (Blick ins Buch)

Auf Malta findet die Archäologin Eleonore Zammit in einem unterirdischen Labyrinth uralte Papyrusrollen. Sie sind mit ägyptischen Hieroglyphen bemalt und stammen offenbar von Atlantis. Eleonore Zammit und ein Team von Wissenschaftlern versuchen auf unterschiedliche Weise, den Inhalt der Papyri zu entschlüsseln. Welche Rolle spielt dabei der Ägypter Dr. Salek? Und warum ist der Journalist Danielo Mostar hinter einem geheimnisvollen Suchtrupp her, der das Gelände durchforscht? Schauplätze des Romans sind die magisch-mystischen Orte der Megalithkultur, u. a. Stonehenge, die Bretagne, Irland, und die Inseln und Küsten des Mittelmeers. Er schildert den Untergang des Atlantischen Reiches. Ein fantastisches Roadmovie zur See durch die Welt vor dreieinhalbtausend Jahren.

Auf Malta findet die Archäologin Eleonore Zammit in einem unterirdischen Labyrinth uralte Papyrusrollen.

Sie sind mit ägyptischen Hieroglyphen bemalt und stammen offenbar von Atlantis.

Eleonore Zammit und ein Team von Wissenschaftlern versuchen auf unterschiedliche Weise, den Inhalt der Papyri zu entschlüsseln. Welche Rolle spielt dabei der Ägypter Dr. Salek?
Und warum ist der Journalist Danielo Mostar hinter einem geheimnisvollen Suchtrupp her, der das Gelände durchforscht?
Schauplätze des Romans sind die magisch-mystischen Orte der Megalithkultur, u. a. Stonehenge, die Bretagne, Irland, und die Inseln und Küsten des Mittelmeers. Er schildert den Untergang des Atlantischen Reiches.

Ein fantastisches Roadmovie zur See durch die Welt vor dreieinhalbtausend Jahren.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

www.elveaverlag.de<br />

Kontakt: elvea@outlook.de<br />

© ELVEA 2020<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Das Werk darf, auch teilweise,<br />

nur mit Genehmigung des Verlages<br />

weitergegeben werden.<br />

Autor: <strong>Harald</strong> <strong>Braem</strong><br />

Titelbilder: Mikhail Dudarev<br />

Dmytro Tolokonov<br />

Małgorzata Duvendack<br />

Covergestaltung/Grafik: ELVEA<br />

Layout: Uwe Köhl<br />

Projektleitung<br />

www.bookunit.de ISBN:<br />

978-3-946751-94-6


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

<strong>Harald</strong> <strong>Braem</strong><br />

Die <strong>Atlantis</strong>-<strong>Botschaft</strong><br />

Historischer Fantasy-Roman<br />

<strong>Blick</strong> <strong>ins</strong> <strong>Buch</strong>


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Was sind wir Menschen denn anderes als Tiere,<br />

gefangen in den Echokammern der Zeit …<br />

(frei aus der Gedankencloud nach einem unbekannten<br />

Denker zitiert)<br />

Der Autor<br />

<strong>Harald</strong> <strong>Braem</strong>, geboren 1944<br />

in Berlin, war Professor für<br />

Kommunikation und Design<br />

an der Fachhochschule Wiesbaden<br />

und lebt heute in Nierstein<br />

am Rhein und auf der<br />

Kanaren<strong>ins</strong>el La Palma.<br />

Jüngste Veröffentlichung: ›Die abenteuerlichen<br />

Reisen des Juan G.‹ im Elvea Verlag 2020.<br />

Weitere Informationen: www.haraldbraem.de


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

1<br />

Malta, in einem Höhlensystem<br />

unterhalb von La Valletta<br />

Es ist warm, staubig und bedrückend eng hier unten. Die<br />

Luft scheint zu stehen. Im Schein der Stirnlampe tanzen<br />

winzige Partikel vor den Augen. Zweimal hat sie sich<br />

bereits beim Hineinkriechen an der niedrigen Decke gestoßen.<br />

Sie hasst Schutzhelme, weil sie darunter immer<br />

so schwitzt und sich wie eine Astronautin vorkommt. Sie<br />

nimmt lieber mal kleinere Kratzer und Schrammen in<br />

Kauf. Das gehört nun einmal zu ihrem Beruf. Aber diesmal<br />

sind es nicht die blöden Stöße an die Decke. Ihre<br />

Migräne scheint wieder im Anmarsch zu sein. Und das<br />

ausgerechnet jetzt, in dieser klaustrophobischen Situation<br />

… Sie kennt die Vorzeichen genau: zunehmender Druck<br />

im Schädel, der mitunter schwindelig macht. Dann das<br />

erste, unerwartete Stechen, nur in der linken Kopfhälfte,<br />

ein Schmerz, der, wie der Stich des Tentakels einer giftigen<br />

Feuerqualle, in ihr Bewusstsein greift. Dumpf, von<br />

hinten kommend, wie ein greller Blitz nach vorn durch<br />

bis zur Nasenwurzel. Zum Glück hat sie ihre Tabletten<br />

dabei. Sie trägt sie immer bei sich, in der rechten Außentasche<br />

ihrer Cargohose, und manchmal helfen sie wirklich.<br />

Aber sie muss sich vorsehen. Sie ist schließlich nicht<br />

mehr die Jüngste.<br />

7


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Eleonore, oder besser, Dr. Eleonore Zammit, ist siebzig<br />

und emeritierte Professorin der Università ta' Malta in<br />

Valletta. Sie ist klein, dünn, um nicht zu sagen spindeldürr,<br />

von zäher Konstitution. Kurz geschnittene, drahtige<br />

graue Haare umrahmen ein kantiges Gesicht. Sie ist solo,<br />

hat in ihrem Leben keine länger anhaltenden Liebesbeziehungen<br />

erlebt und dieses Thema irgendwann entschlossen<br />

ad acta gelegt. Sie hat auch keine Kinder; ihre<br />

Kinder sind die Bücher, die sie zur rätselhaften Tempelkultur<br />

ihrer Vorfahren schrieb. Viele Bände, die im hintersten<br />

Winkel des archäologischen Fachbereichs, wo<br />

man ihr ein winziges Studierzimmer samt Schreibtisch<br />

und Computer überlassen hat, die halbe Schrankwand<br />

füllen. Forschen und Schreiben, das ist ihr Leben, Feldforschung<br />

draußen und das Verfassen, Korrigieren, Überarbeiten<br />

tausender Manuskriptseiten in der muffigen Abstellkammer,<br />

die, wegen der düsteren Atmosphäre, die<br />

in jedem Winkel des Raumes hockt, außer ihr niemand zu<br />

betreten wagt.<br />

Eleonore ist ein Arbeitstier, sie hat sich in all den Jahren<br />

kaum eine Pause geschweige denn einen sinnlosen Urlaub<br />

gegönnt. Wenn sie erst einmal einem Gedanken oder<br />

Hinweis auf der Spur ist, ist sie nicht mehr zu bremsen.<br />

Das bekommt ihr gut. Bis auf die unregelmäßig auftretenden<br />

Migräneattacken ist sie einigermaßen gesund und<br />

in der Regel hellwach (abgesehen von einzelnen Phasen,<br />

in denen sie etwas zu viel dem Rotwein zuneigt). Sie<br />

denkt nur in Projekten, Epochen und Zeitfenstern. Living<br />

on the magic line nennt sie diesen Zustand, der sie ohne<br />

Drogen und Stimmungsaufheller glücklich macht. Und<br />

8


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

diese Entdeckung hier, tief unter den belebten Häusern<br />

und Straßen der Stadt, wo nur die Stille der Ewigkeit<br />

herrscht, hat sie von Anfang an euphorisch gemacht.<br />

Vor einem Jahr fing alles ganz harmlos an: Zuerst stürzte<br />

ein verlassenes, baufälliges Haus ein, das abgerissen<br />

werden sollte, um Platz für neuen Wohnraum zu schaffen<br />

(die Bevölkerung Maltas wächst, Wohnungen in der<br />

Stadt werden knapp, und die Mieten steigen in astronomische<br />

Höhen). Dann legte der Baggerführer einen verborgenen<br />

Eingang im Kellergewölbe frei. Da gerade<br />

Semesterferien waren und niemand Zeit und Lust hatte,<br />

sich darin stören zu lassen, wurde Eleonore beauftragt,<br />

dort nach dem Rechten zu sehen.<br />

»Die alte Professorin hat immer Zeit«, hatte der Direktor<br />

geäußert, »die kann das mal machen.«<br />

Und so war sie mit dem Taxi zur Baustelle gefahren,<br />

hatte sich tagelang mit mürrischen Bauarbeitern durch<br />

Schutt und Trümmer gewühlt und schließlich den Eingang<br />

zu einem Höhlensystem gefunden, dessen Ausmaße<br />

viel größer waren als Anfangs gedacht. In einem hinteren,<br />

halb verschütteten Winkel fand sie die Tongefäße,<br />

schräg aneinander geschichtet wie in einem Warenlager.<br />

Sie waren mit Lehmklumpen versiegelt und zum größten<br />

Teil noch gut erhalten. Als sie mit ihrem Schweizer<br />

Offiziersmesser (ein Utensil, das sich stets in der linken<br />

Außentasche ihrer Cargohose befand) das Lehmsiegel<br />

eines bereits rissig zersprungenen Gefäßes aufschnitt und<br />

vorsichtig ein paar größere Scherben entfernte, fiel ihr<br />

sofort der Inhalt auf: Es waren Papyrusblätter, eng aneinander<br />

gerollt, vielleicht an vielen Stellen zusammen-<br />

9


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

gebacken, aber auf den ersten <strong>Blick</strong> hin in einem erstaunlich<br />

heilen Zustand.<br />

Eleonore erinnert sich immer wieder an diesen Moment,<br />

obgleich er bereits ein Jahr zurückliegt, selbst in ihren<br />

Träumen erlebt sie die Szene real, als würde es gerade<br />

passieren. Ihr Herz klopft wild, ihre Hände zittern leicht,<br />

und die Gedanken in ihrem Kopf beginnen zu wirbeln.<br />

Instinktiv fühlt sie, dass sie soeben dabei ist, die größte<br />

Entdeckung ihres Lebens zu machen. Spektakulärer<br />

noch als der Sensationsfund damals von Hal-Saflieni,<br />

wo man vor vielen Jahrzehnten die schlafende Dame im<br />

Hypogäum fand. Eine kleine Tonfigur mit unglaublich<br />

dicken Körperteilen, die als sleeping lady in kurzer Zeit<br />

zu Weltruhm gelangte.<br />

Eleonore Zammit kommt mittlerweile alles wie ein<br />

Traum vor. Was macht sie hier unten noch weiter im<br />

Labyrinth, wo manche Decken gefährlich bröckelig<br />

wirken und in keiner Weise vorschriftsmäßig abgesichert<br />

sind? Was sucht sie? Müsste sie nicht eigentlich längst<br />

wieder im Yachthafen von Gzira sein, auf dem Hausboot,<br />

das dem Computerteam derzeit als Labor und Unterkunft<br />

dient?<br />

Aber sie hat ja den Stick dabei, ihren Laptop in der<br />

Nähe, eine Etage höher, wo sie zwischen Schuttbergen an<br />

einem Campingtisch ihr provisorisches Büro eingerichtet<br />

hat, um permanent online zu sein. Sie weiß, dass inzwischen<br />

mehrere Versionen der bisher übersetzten Papyrusschriften<br />

existieren. Wie bei den Rollen von Qumran.<br />

Eine, die sich streng wissenschaftlich an identifizierbaren<br />

10


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Bildzeichen und daraus ableitbaren Bedeutungszusammenhängen<br />

orientiert, und eine andere, die frei assoziierend<br />

auf vergleichbare Algorithmen setzt. Und eine, die<br />

mehr auf Eleonores Fantasie und Erzählfreude beruht. So<br />

jedenfalls versteht sie den Text, würde ihn nach ihrem<br />

Gefühl so interpretieren. Diese Version hat sie auf ihrem<br />

Stick gespeichert. Vorerst hält sie sie noch geheim. Außerdem<br />

arbeitet sie noch ständig daran. Immer und immer<br />

wieder liest sie den Text, in den Pausen und den Nächten,<br />

in denen sie wenig Schlaf findet, ergänzt, verbessert,<br />

formuliert um und schmückt ihn an bestimmten Stellen<br />

nach bestem Wissen und Gewissen aus.<br />

Eleonore Zammit wischt sich den Schweiß von der Stirn,<br />

kriecht rückwärts wie ein Wurm aus dem Erdloch, richtet<br />

sich mit einem Stöhnen auf. Einen Moment lang steht<br />

sie mit geschlossenen Augen leicht schwankend da. Sie<br />

wartet auf den Schmerztentakel. Nichts. Nur ein Druck<br />

im Schädel, eine leichte Benommenheit. Sie öffnet die<br />

Augen und beginnt den Aufstieg über die Leiter aus<br />

Metall. Unendlich langsam, mit der Geschwindigkeit<br />

eines Chamäleons, klettert sie Stufe um Stufe nach oben.<br />

Als sie den Arbeitstisch und den Schemel davor erreicht<br />

hat, schiebt sie den Stick ein …<br />

Was für ein Glück, denkt sie, was für ein Glück, dass<br />

ausgerechnet dieses alte Haus eingestürzt ist und dass ich<br />

als erste informiert worden bin … Mittlerweile liebt sie<br />

die Ruine. Sie ist ihr Zuhause geworden. Der Bildschirm<br />

leuchtet auf. Sie beugt sich vor, um ohne Brille lesen zu<br />

können …<br />

11


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Es ist ein Papyrustext, den sie in mühsamer Kleinarbeit<br />

entziffert hat. (Es gibt da noch eine andere, fürchterlich<br />

schlecht erhaltene Rolle, die momentan nur aus winzigen<br />

Schnipseln besteht, welche sie schon seit vielen Tagen<br />

und Nächten auf dem Bildschirm hin- und herschiebt,<br />

um einen logischen Zusammenhang zu finden. Doch um<br />

den geht es momentan nicht.) Alle anderen Rollen sind<br />

inzwischen übersetzt und in die richtige Reihenfolge<br />

gebracht und nummeriert, behaupten jedenfalls die Kollegen<br />

aus dem Team. Sie ist anderer Meinung. Bei dieser<br />

hier muss es sich um die vorletzte Papyrusrolle handeln,<br />

davon ist sie fest überzeugt, obwohl die anderen Experten<br />

im Team sie für die Nummer e<strong>ins</strong> halten:<br />

12


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

2<br />

Ich, Mazdanuzi, Sohn des Merlin von Karnak und der<br />

weisen Meri vom Klan der Eulen im geliebten Armorika,<br />

Gesandter der Meere, Eingeweihter dritten Grades und<br />

<strong>Botschaft</strong>er von <strong>Atlantis</strong>, ich stehe mit leeren Händen hier,<br />

weil ich das Siegel des Hochkönigs beim großen Beben<br />

auf der Insel Minos verlor.<br />

Ich richte meine Rede auch nicht wie sonst an Adlige,<br />

Generäle und Hohepriester, sondern nur an meinen Diener<br />

Haremtab, damit er ein letztes Protokoll anfertigt.<br />

Ich, Mazdanuzi, bin Augenzeuge geworden vom Untergang<br />

unseres Reiches, ich sah das Imperium wanken,<br />

bersten und sinken, die e<strong>ins</strong>t so stolze und gefürchtete<br />

Großmacht der Meere, Inseln und Küsten im Erdkreis.<br />

Ich spüre das Land unter mir beben und bin schutzlos<br />

ausgeliefert, weil wir kein Schiff besitzen, nicht einmal<br />

ein winziges Schilfboot mit Segel, um zu entkommen.<br />

Wohin auch sollten wir uns wenden?<br />

Nun, in der Stunde der größten Not, vertraue ich das gesamte<br />

Wissen meinem Schreibsekretär an, der mir treu<br />

ergeben und ein gebildeter Mensch ist. Haremtab stammt<br />

aus der Nilprovinz des Falken-Klans, beherrscht beide<br />

Sprachen fließend, unsere und die der dunkelhäutigen<br />

Ureinwohner, und versteht es, sie in den Zeichen der<br />

geheimen Schrift mit raschen P<strong>ins</strong>elstrichen auf Papyrus<br />

zu malen. Ich hoffe, dass er alles umsetzt, was ich ihm<br />

13


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

sage, dass er die Bilder gut darstellen wird, auch komplexe<br />

Gedankengänge und Schilderungen in Hieroglyphen<br />

bannt. Vor allem aber hoffe ich, dass er so schnell schreiben<br />

kann, wie ich spreche. Ich habe keine andere Wahl,<br />

ich muss es auf diese Weise versuchen, denn es bleibt<br />

nur noch wenig Zeit, um über alles, was von Belang sein<br />

könnte, genau zu berichten. Diese Niederschrift wird<br />

wahrscheinlich meine letzte <strong>Botschaft</strong> sein …<br />

Unaufhaltsam versinkt <strong>Atlantis</strong> in den Fluten des Meeres,<br />

unter Asche und Lava, in Feuer und Sturm, als hätten<br />

sich alle Elemente gleichzeitig gegen uns verschworen.<br />

Die Gewalten der Natur, die wir so kühn herausforderten,<br />

um sie in unsere Dienste zu zwingen, sie erheben sich<br />

nun auf furchtbare Weise.<br />

Die letzten Jahre wurden von Katastrophen erschüttert.<br />

Die Vulkane Etna und Thera auf den Inseln im Meer der<br />

Mitte barsten auseinander, ebenso der mächtige Hermon<br />

an der waldreichen Küste nördlich der Nilprovinz, die<br />

vom Klan des Phoenix besiedelt wird. Die Berge spien<br />

giftige Nebel aus und sandten Feuer, die alles Leben im<br />

weiten Umkreis verbrannten. Mancherorts erblickte ich<br />

Stätten des Grauens, vernichtete Tempel und Städte, die<br />

vormals als berühmte Zentren des Handels galten. Dort<br />

strichen Schakale auf der Suche nach Beute herum, die<br />

sie reichlich im Leichenfeld fanden, Seuchen bringende<br />

Wesen der Unterwelt, sie dienen dem Tod.<br />

Nichts mehr gewahrte ich von den Palästen, den befestigten<br />

Häfen, den Schiffen, der großen Flotte, die bisher<br />

14


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Garant unseres Wohlstands waren. Das Meer indes sah<br />

ich wütend kochen und Wellen sich hoch zu Bergen<br />

wölben. Mehrfach entkam ich nur knapp dem Tod, bis<br />

endlich unser Schiff an den Klippen dieser Insel zerschellte,<br />

die den Namen Malta trägt, was in der alten<br />

Sprache Nabel der Welt bedeutet. Einzig Haremtab und<br />

ich blieben von der Besatzung am Leben.<br />

Wir fanden Malta verlassen vor, die Insel der hundert<br />

Tempel, und nirgends Anzeichen von Kampf. Das wundert<br />

uns sehr, denn es muss ein großes Volk gewesen<br />

sein, das am Nabel der Welt lebte, nach meiner Schätzung<br />

mehrere tausend Menschen umfassend. Allesamt<br />

sind sie weg, wie vom Erdboden verschluckt. Doch ihre<br />

Tempel, die sie mit riesigen Steinquadern erbauten, stehen<br />

unversehrt, und in den heiligen Stätten unter der Erde<br />

ruhen nur die Gebeine der Vorfahren sorgsam bestattet.<br />

Also müssen sie wohl Schiffe gebaut haben, Schilf in<br />

Massen geschnitten, viele große Boote mit Seitenrudern<br />

und Segeln. Sie verschwanden alle auf einen Schlag und<br />

ließen keinerlei Nachricht zurück. Wie sollten sie auch<br />

ahnen, dass unser Schiff an den Klippen zerschellte?<br />

Vielleicht sind sie in dem Toben des aufgewühlten Meeres<br />

entkommen. Falls nicht, dann werden Haremtab und ich<br />

wohl die letzten Menschen in weitem Umkreis sein. Eine<br />

Vorstellung, die mir Unbehagen bereitet und die ich deshalb<br />

von mir dränge. Nein, es wird, es muss Überlebende<br />

geben! An sie ist die letzte <strong>Botschaft</strong> gerichtet.<br />

Ich kann nur über das berichten, was ich mit eigenen<br />

Augen sah und mit meinen Ohren hörte, was ich an<br />

15


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Schrecknissen fühlte und nie mehr vergessen kann, denn<br />

es hat sich tief in mein Herz eingebrannt. Auch in meinen<br />

Träumen erlebe ich noch einmal das Unheil, so dass ich<br />

vermeide zu schlafen, obgleich ich unendlich müde bin.<br />

Das viele Wissen belastet mich schwer. Ich weiß: Mächtiger<br />

als die Götter sind die Feuer der Vulkane und die<br />

Macht des Meeres. Das haben wir schon immer geahnt<br />

und aus diesem Grunde Pyramiden gebaut. Auf den meisten<br />

Inseln im Meer der Mitte, auf Minos, Thera, am Fuße<br />

des Hermon, selbst auf den glücklichen Inseln der ewigen<br />

Jugend. In Armorika beobachteten wir von den Pyramiden<br />

aus den Himmel und die Meere und kontrollierten die<br />

Seefahrt, ebenso auf der Grünen Insel, in Dana, Wasa<br />

und Avalon. Auch am Ufer des Nils wurde, wie ich bei<br />

meinen Reisen feststellen konnte, in der südlichen Provinz<br />

von General Osiris eine Pyramide gebaut, obwohl<br />

dort weder Vulkane noch Meer sind, sondern nur endlose<br />

Wüste. Wir spähten zum nächtlichen Himmel, um Karten<br />

für die Seefahrt zu zeichnen, wir schufen einen Kalender,<br />

teilten die Zeit ein und lebten danach, wir kannten den<br />

ewigen Rhythmus der Meere, den Atem des Windes und<br />

die Unberechenbarkeit der feuerspeienden Berge. Wir<br />

wissen, wie gefährlich launisch die Natur sein kann. Aber<br />

es ist nicht die Wut der Naturelemente allein, die <strong>Atlantis</strong><br />

zerstört und seine Trümmer in Vergessenheit sinken lässt,<br />

nicht die berstende Erde, die Feuer der Vulkane, das tobend<br />

tanzende Meer. All diese Katastrophen, so schlimm<br />

sie auch sind, betrachte ich nur als Begleitmusik einer<br />

Macht, die weitaus größer und gefährlicher ist. Die endgültige<br />

Vernichtung traf uns plötzlich und völlig unerwartet<br />

als wütender Sturm aus dem Osten. Einer gewal-<br />

16


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

tigen, alles verschlingenden Flutwelle gleich schlug er in<br />

unsere Welt, riss ganze Völker mit sich und warf sie in<br />

rasende Schlachten, tausend mal tausend Reiter aus den<br />

Steppen und hinter ihnen tausendfach mehr, so dass die<br />

Erde unter den Hufen ihrer Pferde erbebte. Dieses ständig<br />

anwachsende Beben kann die Ursache sein für die Risse<br />

im Boden, das Bersten der Feuerberge, die wilden Flutwellen<br />

im Meer …<br />

Wir wissen ja, wie Rhythmus die gesamte Natur bestimmt,<br />

speziell die Musik, wenn zum Beispiel unsere<br />

Zauberer manchmal die Trommeln schlagen, um Ewigkeit<br />

zu erzeugen. Man stelle sich dieses um ein Vielfaches<br />

stärker vor und von längerer Dauer. Unglaublich groß<br />

muss die Zahl der Menschen im Osten sein, unglaublich<br />

groß die Anzahl ihrer Pferde. Sie kamen schneller, als die<br />

Schiffe die Gefahr melden konnten, und sie kamen –<br />

womit niemand gerechnet hatte – über Land! Reitend<br />

überfielen sie das Reich, brandschatzend und plündernd<br />

fast gleichzeitig alle Länder und Städte der <strong>Atlantis</strong>chen<br />

Union, und vernichteten in wildem Rasen, was das Meer<br />

in seinem Wüten bisher noch verschont hatte. Viele Pyramiden<br />

und Tempel wurden unter Erd- und Steinhaufen<br />

begraben, heilige Plätze unserer Ahnen zugeschüttet, denn<br />

alles, was später einmal an uns erinnern könnte, soll<br />

ausgelöscht werden. Was unsichtbar ist, verliert nach und<br />

nach an Bedeutung.<br />

Bald gibt es <strong>Atlantis</strong> nicht mehr, nicht weil unsere Heere<br />

vernichtet wurden, sondern weil unsere Symbole verschwinden,<br />

unsere Tempelberge und Pyramiden, die<br />

17


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Plätze der Kraft, die das Imperium im Bewusstsein seiner<br />

Bewohner geistig zusammenhielt. Menschen fremder<br />

Rassen werden dann in den Mauerresten unserer Städte<br />

hausen, die neue Götterfiguren über den Ruinen und Geisterorten<br />

aufstellen und anbeten. Was aber das Schlimmste<br />

ist – sie werden Menschenopfer an unseren alten, heiligen<br />

Plätzen fordern. Wie man hört, sind sie nahezu vernarrt in<br />

diese Sitte. Im Namen ihrer zornigen Götter töten sie ihre<br />

Gefangenen, manchmal, im religiösen Wahnsinn, sogar<br />

sich selbst oder symbolisch die eigenen Götter, indem sie<br />

deren Söhne und Töchter auf Erden hinmetzeln. In dieser<br />

H<strong>ins</strong>icht ähneln sie sehr den Schakalen, denn gleich<br />

ihnen dienen auch sie dem Tod.<br />

Wir fragen uns Beide, Haremtab und ich, Mazdanuzi, die<br />

bisher wie durch ein Wunder am Leben blieben: Welche<br />

Aufgabe haben wir in einer Welt, die dem Tode geweiht<br />

ist? Wie viel Zeit verbleibt uns noch, um im großen <strong>Buch</strong><br />

der Geschichte ein Kapitel zu schreiben? Was kommt<br />

danach, wenn unsere Gebeine verblichen sind, die Spuren<br />

im Sande verweht, das Meer wieder ein glatter Spiegel?<br />

Wird man sich jemals an uns erinnern, wissen, dass wir<br />

einmal lebten, liebten und litten?<br />

Nun, da über unser Schicksal entschieden ist, bleibt mir<br />

nur noch, möglichst wahrheitsgetreu zu berichten und<br />

diese <strong>Botschaft</strong> in Maltas heiligem Schoß zu versenken,<br />

an einem halbwegs sicheren Ort, wo sie aufbewahrt<br />

bleiben kann, bis eine neue, bessere Menschheit sie findet<br />

und auch versteht. Deshalb muss alles notiert werden,<br />

was von Wichtigkeit ist, damit die Welt nach uns daraus<br />

18


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

lernen kann. Für sie will ich als Gedächtnis dienen. Wer<br />

ohne Gedächtnis ist, gleicht einem Schiff ohne Kurs,<br />

treibt sinnlos durchs Leben, das ihm stets wie Nebel und<br />

Gedankenspiel erscheint. Ein solcher wird sich nie den<br />

Geheimnissen nähern, die unser Schicksal lenken.<br />

Die Erde bebt erneut unter meinen Füßen, schon stürzen<br />

Teile der Tempelfassade ein, und Wind peitscht das brodelnde<br />

Meer. Wohin man auch blickt, ist nichts mehr<br />

sicher, kein Schiff, kein Hafen. Der Sturm heult so laut,<br />

dass ich gegen ihn anschreien muss. Haremtab hockt im<br />

schützenden Rund großer Steine, bemalt sein mit Kieseln<br />

beschwertes Papyrus. Später will er den Text im Innern<br />

eines Tonkruges bergen, den wir am Eingang des Gigantentempels<br />

fanden. Wir flohen hierher vor dem Sturm,<br />

suchten Schutz in den Mauern. Wir werden hier sitzen<br />

bleiben bis ans Ende der Zeit, so lange harren, wie unsere<br />

Kräfte ausreichen, um die Pflicht zu erfüllen.<br />

Jetzt, da ich diese letzte Nachricht diktiere, fällt ein<br />

schmaler Strahl Sonne durchs zerborstene Tempeldach<br />

direkt auf meine nackten Füße. Es gibt sie also noch, die<br />

Sonne, ein leichter Schimmer von ihr reicht aus, um mich<br />

mit Hoffnung zu erfüllen. Solange dieses Licht noch da<br />

ist und uns wärmt, werde ich sprechen, wird mein Diener<br />

Haremtab schreiben …<br />

19


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

3<br />

In den Katakomben unterhalb<br />

von La Valletta<br />

Eleonore Zammit reibt sich mit beiden Zeigefingern die<br />

Schläfen. Sie hat ihre Tablette genommen und mit einem<br />

Rest Tee aus der Thermoskanne hinuntergespült. Vorsichtshalber.<br />

Einen Migräneanfall kann sie jetzt überhaupt<br />

nicht gebrauchen. Ihn stoppen, bevor er beginnt …<br />

Sie ruft eine andere Datei auf. Die Übersetzung der zweiten<br />

Papyrusrolle. Jedenfalls haben sie alle im Team nach<br />

längerer Debatte entschieden, dass dieser Text unter der<br />

Nummer Zwei geführt werden soll. Der Papyrustext, den<br />

sie soeben gelesen hat, könnte auch nach den anderen,<br />

fortlaufend nummerierten, entstanden sein und trägt noch<br />

ein Fragezeichen. Bei dieser Rolle hat sich Eleonore noch<br />

nicht endgültig festgelegt. Wenn sie die letzte Rolle gelesen<br />

und eingeordnet hat, wird sie mehr darüber sagen<br />

können. Aber da sie eine stur und mit äußerster Selbstdisziplin<br />

arbeitende Wissenschaftlerin ist, wendet sie sich<br />

noch einmal mit höchster Konzentration dem Papyrus Nr.<br />

2 zu:<br />

20


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

4<br />

Meine Laufbahn begann im wahrsten Sinne des Wortes<br />

mit einem Lauf auf einer Bahn. Es geschah im zehnten<br />

Jahr meines bisher spielend und träumend in Armorika<br />

verbrachten Lebens, dass ich am großen Ritual von Menec<br />

teilnehmen durfte, denn es war die Zeit der Sonnenwende.<br />

Die langen Steinreihen dort hatte ich stets für die<br />

Grabstätten unserer Ahnen gehalten, und das sind sie ja<br />

auch, nur weitaus mehr noch: Es sind nämlich Bahnen,<br />

die für den Lauf der Sonne bestimmt sind, so konstruiert,<br />

dass wir ihnen folgen müssen, wenn wir selbst Sonne<br />

werden beim Lauf auf Karnak und Basilea zu, der Hauptstadt<br />

und ihrer großen Tempelpyramide, wo das Geheimnis<br />

unserer Herkunft aufbewahrt wird.<br />

Als Sohn des Merlin bekam ich die rechte Bahn zugewiesen,<br />

direkt neben Osiris, dem Spross des Falken-Klans,<br />

der später als General aufbrach, um in der Nilprovinz ein<br />

neues Karnak zu errichten. Neben ihm liefen die Kinder<br />

anderer Klans, unter ihnen auch ein Sohn des Königs, der<br />

in den Jahren der Wirrnis verschwand. An den Rändern<br />

der Anlage hatte sich viel Volk versammelt, um uns anzufeuern<br />

und zuzujubeln, wenn wir unsere letzten Kräfte<br />

mobilisierten, um dahinzustürmen wie die Strahlen der<br />

Sonne. Die Familien der Edlen von <strong>Atlantis</strong> lagerten dort<br />

zwischen den einfachen Fischern, Bauern und Viehzüchtern<br />

Armorikas, die von allen Stämmen herbeigeströmt<br />

waren, um dem seltenen Schauspiel beizuwohnen. Es<br />

wurden Wetten abgeschlossen, wer als erster von uns<br />

21


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Läufern zum Ziel gelangen würde, wer als Sieger den<br />

goldenen Sonnenball hinab zu den Ahnen bringen dürfte,<br />

<strong>ins</strong> tiefe, dunkle Herz der großen Pyramide, damit dort<br />

auch die Vorfahren an der warmen Kraft der Sonne teilhaben<br />

konnten.<br />

Es war ein früher Morgen, und vom Meer her blies ein<br />

kühler, frischer Wind, der uns frösteln ließ. Wir trugen,<br />

um besser laufen zu können, nur den Hüftschurz, unsere<br />

nackten Oberkörper waren zuvor von den Priestern mit<br />

Ockerstaub angemalt worden, damit wir dem rötlichen<br />

Glanz des Sonnenlichtes ähnelten. Bei den ersten Steinen<br />

von Menec standen wir und warteten auf das Zeichen<br />

zum Start. Die Zeremonie zog sich hin, da sich die Sonne<br />

an diesem Tag besonders viel Zeit ließ, um sich aus dem<br />

Dunst der Frühwolken zu schälen und den Tag zu beginnen.<br />

Ein Schwarm Möwen und anderer Meeresvögel<br />

kreiste landeinwärts und ließ sich schließlich mit lautem<br />

Gekreische auf den Spitzen der Steine nieder, so als<br />

wollten auch sie Augenzeugen des Wettkampfs werden.<br />

Als endlich das Startzeichen ertönte, das vom Hohepriester<br />

auf einem Muschelhorn geblasene Signal, stürmten<br />

wir nahezu gleichzeitig los. Ich achtete, mir der besonderen<br />

Bedeutung der Stunde bewusst, nicht auf den Lauf<br />

der anderen Kinder, sondern nur auf mich und meinen<br />

Körper, meinen gleichmäßigen Atem und darauf, dass ich<br />

meine Kräfte einteilte, mit gutem Rhythmus lief. Auch<br />

wenn ich in diesem Moment nicht wusste, an welcher<br />

Stelle der Bahn sich meine Familie unter den Zuschauern<br />

befand, wollte ich sie nicht mit einer schlechten Leistung<br />

enttäuschen. Wie die Anderen hatte ich Wochen zuvor<br />

22


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

für den Lauf geübt. Nun galt es, alles, was ich dabei an<br />

Technik gelernt hatte, unter Beweis zu stellen. Ich begann<br />

nicht zu schnell, lief aber ausdauernd und konnte,<br />

als ich den richtigen Bewegungsablauf gefunden und<br />

meinen Atem darauf eingestellt hatte, kontinuierlich das<br />

Tempo steigern. Die Steinreihen von Menec huschten an<br />

mir vorbei wie winkende Schatten, ich fühlte die Sonne<br />

im Rücken, und das anfeuernde Geschrei der Menge<br />

verriet mir, dass ich mit einem anderen Jungen gleichauf<br />

in vorderer Position lag. Ein rascher Seitenblick brachte<br />

die Gewissheit, dass es Osiris war. Sein blondes Haar<br />

glänzte wie ein Helm aus Gold in der Sonne. Dieser<br />

Osiris war ein ernsthafter Gegner für mich, schon damals,<br />

als wir kleine Kinder waren und das Leben in Armorika<br />

eine nie enden wollende glückselige Zeit für uns alle.<br />

Ich lief mit leicht gesenktem Kopf, um mich zu konzentrieren.<br />

Aber als ich einmal den <strong>Blick</strong> hob, sah ich vor mir<br />

die Konturen der großen Pyramide. Mächtig wie ein Bergrücken<br />

erhob sie sich aus der Hauptstadt Karnak, ein zum<br />

Himmel strebender Gedanke, der weit über die Dächer<br />

der Siedlung ragte. Niemals zuvor hatte ich Basilea wie<br />

an diesem Morgen erblickt, die wuchtigen Steinmassen<br />

der Stufen, die Erdrampen, das gleißende Licht auf der<br />

obersten Plattform, das nicht von Gold stammte, sondern<br />

aus jenem neuen, kostbaren Material bestand, das die<br />

Menschen von <strong>Atlantis</strong> Oreichalkos nannten. Dieses geschmolzene<br />

Bergerz besteht aus einer Mischung von<br />

Kupfer und Zinn und wird neuerdings auch Bronze genannt.<br />

Das Kupfer wird aus den Gruben des Stier-Klans<br />

an der Küste von Mil geschürft, Zinn dagegen stammt<br />

23


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

von der Insel Avalon. Beides vermischt und in großer<br />

Hitze zum Schmelzen gebracht, ergibt ein hartes, honigfarbenes<br />

Metall, das in seinem Glanze der Sonne sehr<br />

ähnlich ist.<br />

An diesem Morgen schien das Oreichalkos von Basileia<br />

besonders stark zu glänzen, so als sei mir die Sonne<br />

schon vorausgeeilt und vor uns auf dem Dach der Pyramide<br />

angekommen. Dieser Gedankenblitz spornte mich<br />

an, noch schneller zu laufen. Aber gleich mir muss es<br />

auch Osiris passiert sein, denn er blieb beständig auf<br />

gleichem Abstand zu mir. Das Geschrei der Menge nahm<br />

zu, als wollten sie einen von uns beiden anstacheln, noch<br />

mehr als das Äußerste in den Lauf zu geben. Mein Körper<br />

dampfte bereits, und mein Herz schlug wie eine dumpfe<br />

Trommel. An den letzten Steinen von Karnak, dort, wo<br />

die Anlage endet, hatten Priester ein Band aus geflochtenem<br />

Frauenhaar über die Bahn gespannt. Osiris und ich<br />

durchtrennten es gleichzeitig mit unseren Oberkörpern.<br />

Jetzt brach erst recht lauter Jubel aus, denn einen Doppelsieg<br />

hatte es lange nicht mehr in Menec gegeben. Ein<br />

gutes Omen war dies, ein viel versprechender Hinweis<br />

auf unseren späteren Lebensweg und auch darauf, dass<br />

unsere Geschicke von diesem Moment an für immer<br />

verbunden waren.<br />

Drei solcher unsichtbarer Nabelschnüre gibt es, die unser<br />

Schicksal ein Leben lang bestimmen: Die eine bindet uns<br />

an die Mutter, auch wenn wir sie viele Jahre nicht sehen<br />

oder sie längst <strong>ins</strong> Reich der Ahnen eingekehrt ist wie die<br />

gute, weise Meri vom Klan der Eulen. Die zweite ist das<br />

24


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Meer, von dem wir alle abstammen und das wir nie, auch<br />

nach langem Aufenthalt auf festem Land, vergessen können.<br />

Die dritte Nabelschnur aber knüpft Schicksale zusammen,<br />

ob wir das wollen oder nicht, verbindet Leben<br />

auf nachhaltige Weise, sei es in der Liebe oder bei solch<br />

einem Sonnenlauf wie damals in Menec.<br />

Mehr noch als sonst üblich wurde daher unser Doppelsieg<br />

in Karnak gefeiert. Und von einer Sekunde zur<br />

anderen veränderte sich damit unser beider Leben. Der<br />

Sonnenlauf hatte uns in das <strong>Blick</strong>feld gerückt, mit einem<br />

Mal wurden wir in die Welt der Erwachsenen aufgenommen<br />

und plötzlich wie solche behandelt. Mein<br />

Oheim, der Priester des Tempels der Inschriften auf der<br />

von drei Flüssen umspülten Insel war, eilte auf mich zu,<br />

um mich in seine Arme zu schließen. Nachdem er das<br />

gleiche mit Osiris getan und uns Segenswünsche mitgegeben<br />

hatte an die Ahnen im Herz der großen Pyramide,<br />

die wir noch am selben Tag besuchen würden, raunte er<br />

uns noch mit geheimnisvoller Miene zu, dass wir uns<br />

bald schon, nämlich am kommenden Vollmond, im<br />

Tempel der Inschriften wiedersähen, wo uns ein großes<br />

Geheimnis erwarten würde.<br />

Erschöpft von dem anstrengenden Lauf, von jubelnden<br />

Menschen hin- und hergeschoben, auf Schultern gehoben<br />

und lautstark gepriesen, folgten wir nun den geistlichen<br />

Würdenträgern, die sich mit uns einen Weg durch die<br />

Menge bahnten. Durch die Straßen von Karnak führte der<br />

Zug, vorbei an festlich geschmückten Häusern, hinauf<br />

zur Anhöhe von Basilea und den Stufen der großen Pyra-<br />

25


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

mide. Aber nicht wie gewöhnlich über Erdrampen ging<br />

unser Weg, um auf der obersten Plattform den Göttern<br />

Freudenfeuer und Weihrauch zu opfern, sondern an der<br />

unteren Böschung entlang bis zu einem Tor, das durch<br />

einen gewaltigen Steinquader verschlossen war. Hier<br />

hielten wir mit unseren Begleitern an und warteten, bis<br />

mehrere Männer in geme<strong>ins</strong>amer Anstrengung den Stein<br />

beiseite schoben. Ein raffinierter Mechanismus erleichterte<br />

ihnen die Arbeit, dennoch mussten sie sich kräftig<br />

gegen die Felsplatte stemmen, bis endlich ein passierbarer<br />

Spalt im Berg offen entstand.<br />

Die Priester traten als erste ein und machten Osiris und<br />

mir, die wir zögernd und abwartend am Eingang zurückblieben,<br />

Zeichen, ihnen zu folgen. Wir stiegen in einen<br />

schmalen Schacht, der schräg nach unten <strong>ins</strong> Innere der<br />

Erde führte. Schwach leuchtete der Schein der Fackeln<br />

den Gang nur aus, so dass wir, vorsichtig die Schritte<br />

wählend, hinter den Priestern her tappten. Mehrmals<br />

sprang die Richtung des Ganges um, allmählich verloren<br />

wir völlig die Orientierung. Nach der kühlen, muffigen<br />

Luft zu urteilen, mussten wir uns bereits tief unter dem<br />

Zentrum der Pyramide befinden. Wir schritten stumm<br />

und in Ehrfurcht voran, wohl wissend, dass es den Wenigsten<br />

nur vergönnt war, und dann auch nur einmal im<br />

Leben, dem geheimnisvollen Herz von Basilea nahezukommen.<br />

Der Weg hinab in die Tiefe der Erde schien<br />

niemals zu enden.<br />

Schließlich aber stockte unsere Prozession so überraschend,<br />

dass ich in den Rücken des vor mir schreitenden<br />

26


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Priesters prallte. Er drehte sich mit ernstem Gesicht um<br />

und wies uns mit Zeichen an zu schweigen. Von nun an<br />

wurde weder gesprochen, noch etwas von dem erklärt,<br />

was geschah. Ich kann mich nur noch an das erinnern,<br />

was ich sah, und hoffe, dass ich die Zusammenhänge<br />

richtig interpretiere. Auch heute, nach so vielen Jahren,<br />

bin ich mir nicht sicher, ob ich damals alles verstand.<br />

Zunächst zeigte man uns die Grabkammern der Ahnen,<br />

die allerdings durch Steintüren verschlossen waren. In<br />

ihnen ruhten die durch medizinische Kunst wohl präparierten<br />

Körper der königlichen Familien früherer Zeiten<br />

in ewigem Schlaf. Die Überlieferung sagt aber, dass sie<br />

eines Tages aus diesem Schlaf erwachen und zu neuem<br />

Leben aufsteigen werden. Dies betrifft ihre Körper. Ihre<br />

Seelen wandern indes schon jetzt, im Zyklus der Sonne<br />

nämlich, besonders zu deren Wenden. Da diese Wanderungen<br />

ohne Körper beschwerlich sind, brauchen sie<br />

regelmäßig Nahrung, die von den Priestern vor den Grabkammern<br />

abgestellt wird. Ich hörte, dass viele Ahnen von<br />

den dargebrachten Gaben nichts annehmen würden, weshalb<br />

die Priester die Speisen und Getränke an ihrer statt<br />

verzehren müssen. Wichtiger noch als diese direkten,<br />

greifbaren Dinge sollen aber die unsichtbaren Geschenke<br />

sein, die den Ahnen im Kult angeboten werden, vor allem<br />

das lebensspendende Licht und die heilende Wärme der<br />

Sonne, weshalb einer der Priester auch eine im Fackelschein<br />

glänzende Kugel aus Oreichalkos mit sich trug.<br />

Dieses kostbare Bergerz, durch unseren von einem Doppelsieg<br />

gekrönten Sonnenlauf zusätzlich mit Bedeutung<br />

27


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

aufgeladen, wurde nun vorsichtig im Zentrum der Halle<br />

vor den Grabkammern abgelegt.<br />

Wir starrten gebannt die Kugel an und glaubten nach<br />

einer Weile wahrzunehmen, dass sie sich im Rhythmus<br />

unseres Atems bewegte, als würde sie selber atmen. Auch<br />

schien sie, je länger wir sie im <strong>Blick</strong> behielten, in ihrer<br />

Größe zu wachsen, was eigentlich völlig unmöglich ist.<br />

Doch war ich mir damals und bin mir heute erst recht<br />

nicht mehr sicher, ob dem nicht doch so war. Hier im<br />

Herzen von Basilea schienen andere Gesetze als sonst in<br />

der Natur draußen zu herrschen. Nach längerer Andacht<br />

wies uns schließlich der Hohepriester an, ihm in einen<br />

weiteren Gang zu folgen, der von der Halle abzweigte.<br />

Nur Osiris und ich sowie zwei weitere Priester durften<br />

ihm nachgehen, als er uns zu einer zweiten Halle führte,<br />

die hinter den Grabkammern lag. Hier erhellte das<br />

tanzende Licht der Fackel eine sonderbare Szenerie.<br />

Neben Beilen und Äxten aus edlem Gestein, einer Schale<br />

mit geschliffenen, glänzenden Perlen und vielerlei Gerätschaften,<br />

deren Verwendungszweck mir weder damals<br />

einleuchteten noch heute, lagen im hintersten Winkel<br />

vermoderte Hölzer, Teile von Bastmatten und Tuch.<br />

Heute weiß ich, dass es die Reste eines uralten Schiffes<br />

waren. Wenn mein Oheim im Tempel der Inschriften die<br />

Wahrheit sagte – und ich habe keinen Grund, an seinen<br />

Worten zu zweifeln –, so müssen das die letzten Überreste<br />

jenes Schiffes gewesen sein, mit dem der erste König<br />

unseres Volkes, der legendäre Atlas mit seinem Klan, an<br />

der Küste von Armorika landete, um Karnak zu erbauen<br />

und die viele Inseln und Länder umfassende Union zu<br />

28


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

gründen. Woher dieser König und seine Gefolgschaft<br />

kamen, weiß niemand mehr, denn es liegt mehr als tausend<br />

Jahre zurück, und das Erinnerungsvermögen der<br />

Menschen gleicht einer Steinlampe, deren Talgfüllung<br />

und Docht langsam verbrennen. Danach herrscht nur<br />

noch Dunkelheit.<br />

...<br />

Das <strong>Buch</strong> ist bei AMAZON<br />

und im gesamten, gut sortierten<br />

<strong>Buch</strong>handel, als eBook und<br />

Taschenbuch erhältlich.<br />

29


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Gilgamesch – Band 1 – Der Löwe von Uruk<br />

ISBN: 978-3-946751-90-8<br />

299


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Gilgamesch – Band 2 – Reise zum Licht<br />

ISBN: 978-3-946751-91-5<br />

300


© ELVEA | Alle Rechte vorbehalten!<br />

Die Wälder meiner Kindheit<br />

ISBN: 978-3-946751-92-2<br />

301

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!