GAMM Rundbrief 2007/Heft 1
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Patente - fast eine<br />
Wissenschaft für sich !<br />
Persönliche Eindrücke aus<br />
einem Patentverfahren<br />
Andreas Griewank, Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Die Anhörung in der Einspruchsabteilung des Europäischen<br />
Patentamtes ist eigentlich öffentlich, aber außer<br />
den drei Patentprüfern und jeweils fünf Vertretern der beiden<br />
Streitparteien stellt sich niemand zu dem 9-Uhr-Termin<br />
ein. Dabei geht es um mehrere Millionen Euro und<br />
letztlich um das wirtschaftliche Überleben eines mittelständischen<br />
Unternehmens mit knapp tausend Arbeitnehmern.<br />
In den letzten Jahren hat sich die deutsche<br />
Maschinenbaufirma gegen den einzigen wesentlichen<br />
Konkurrenten auf dem Weltmarkt recht gut behauptet.<br />
Nun droht der amerikanische Marktführer sie mit einer<br />
Patentverletzungsklage in ernste Bedrängnis zu bringen<br />
oder gar vom Markt zu drängen, was praktisch ein globales<br />
Monopol zur Folge hätte.<br />
Die Branche gehört zur ‘Old Economy’, also dem, was<br />
manche moderne Wirtschaftslenker als ‘Alteisen’ belächeln<br />
und möglichst schnell zu Schrottpreisen entsorgen<br />
möchten. Und doch bewegt sich ohne die Produkte dieser<br />
Branche fast nichts, kein Schiff, keine Drehmaschine, kein<br />
Humvee. In diesem Bereich gab es an einigen deutschsprachigen<br />
Hochschulinstituten und Betrieben eine lange<br />
Tradition, die bis vor kurzem international führend war,<br />
ganz im Gegensatz zu den Verhältnissen etwa in der<br />
Mikroelektronik.<br />
Die Patentschrift<br />
Der Patentanspruch, um den es geht, wurde schon vor<br />
längerer Zeit in den USA anerkannt und soll nun auch<br />
zum europäischen Patent erhoben werden. Ich hatte<br />
gehört, daß die Kriterien der amerikanischen Patentbe-<br />
<strong>Rundbrief</strong> 1/<strong>2007</strong><br />
hörden nicht gerade streng sind, aber das vorliegende<br />
Dokument raubt mir ob seiner Mischung aus technischer<br />
Unzulänglichkeit und redundanter Trivialität dennoch die<br />
Sprache. Als Seminarausarbeitung wäre dieses Papier<br />
völlig unakzeptabel. Das folgende Originalzitat aus der<br />
Patentschrift sollte man umgehend für einen Münchhausen-Preis<br />
der rekursiven Unbestimmtheit nominieren.<br />
‘A desired surface modification is determined by defining<br />
a set of coefficients for each active setting and the function<br />
for each active setting is then determined based upon<br />
the respective coefficients for each active setting.’<br />
Ein mir persönlich bekannter Patentanwalt versicherte mir<br />
später, daß dieser Satz aus der Zusammenfassung für<br />
Eingeweihte Sinn mache und sein Stil für Patentschriften<br />
durchaus typisch sei. Den Vorsitzenden der Einspruchskammer<br />
scheint die äußerst zweifelhafte Qualität der<br />
Patentschrift nicht zu beunruhigen. Er blickt die meiste<br />
Zeit gelassen aus dem Fenster, während 'unser' Patentanwalt<br />
den Einspruch der Familienfirma im Detail begründet.<br />
Auch die Beisitzerin erweckt nicht gerade den Eindruck,<br />
als ob die vorliegende Problematik sie brennend interessiere.<br />
Man könnte sie sich gut als Hauptrollenbesetzung<br />
für eine Folgeshow ‘Ally Mac Beal im Patentamt’ vorstellen.<br />
Einzig der Beisitzer hört aufmerksam zu und scheint<br />
unseren Argumenten zu folgen. Keiner der drei stellt während<br />
der vierstündigen Sitzung auch nur eine einzige<br />
Frage. Vielleicht bleiben sie von technisch-mathematischen<br />
Erörterungen genau so verwirrt wie ich von der<br />
patentrechtlichen Rabulistik in Sachen ‘Hinreichende<br />
Offenbarung (Sufficient Disclosure)’ und ‘Erfindungshöhe<br />
(Inventive Step)’.