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pfalz-magazin Herbst 2020 Jahrgang 12 Ausg. 56

Alles erfahren aus der Pfalz, wenn es um Genuss, Wein, Kultur und Reisen geht!

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Essay<br />

Kintsugi<br />

Wertvolle Risse im Leben<br />

Mit Kintsugi lässt sich der Lieblingsteller aus Porzellan wieder kitten. Die uralte Reparaturkunst wird gerade neu entdeckt,<br />

denn sie ist ein schöner Zauberstreich gegen unsere moderne „Wegwerf-Mentalität“.<br />

Foto: Wikibedia<br />

J<br />

eder hat so seine Lieblingstasse oder Lieblingsschale,<br />

verbunden mit Kindheitserinnerungen, oder ein Erbstück<br />

von der Oma, die wir so lieb hatten. Ärgerlich ist<br />

es nur, wenn sie etwa durch eine ungeschickte Handbewegung<br />

oder Unachtsamkeit beim Spülen zerbricht.<br />

Und jetzt? Viel zu schade für den Mülleimer!<br />

Wir erinnern uns vielleicht an die schönen japanischen Schüsseln,<br />

die mit besonderen Goldadern verziert sind und welche wir schon<br />

einmal in einem Museum oder in einer Kunstausstellung gesehen<br />

haben. Eine uralte Kunst, welche schon vor 500 Jahren entdeckt<br />

wurde. Also kein Abfall, sondern Glücksfall: Der Riss wird zum<br />

wichtigsten Teil des Objekts. Dabei haben diese Scherben durchaus<br />

das Potenzial, ihrem Besitzer umso mehr Freude zu bereiten.<br />

„Kintsugi“ ist eine traditionelle Form der Keramikreparatur aus<br />

Japan. Dabei werden die zersprungenen Teile wieder in ihre ursprüngliche<br />

Form zusammengesetzt und die Bruchstellen bleiben<br />

nicht nur sichtbar; eine bewusste Entscheidung – und der Riss wird<br />

zum Teil seiner Geschichte. Nachdem die Stücke mit Japanlack<br />

wieder zusammengeklebt sind, überziehen die Kintsugi-Meister die<br />

Naht mit Gold- oder Silberstaub. Nun sieht es aus, als ob sich zarte<br />

Adern über den Teller ziehen und ein völlig neues Kunststück ist entstanden,<br />

ein einzigartiges Sammelstück.<br />

Da der natürliche Japanlack, der Wundsaft des Lackbaums,welcher<br />

mit dem bei uns bekannten Essigbaum verwandt ist, wasserbeständig<br />

und elastisch ist, kann das Teil nach seiner Reparatur wieder vollständig<br />

genutzt werden. Durch die Einzigartigkeit, die entstanden ist, sind<br />

die neuen Gegenstände kostbarer als zuvor.<br />

Diese Variante des Upcycling, also der Wiederverwertung, soll bereits<br />

im 15. Jahrhundert entstanden sein. Man sagt, dass Kintsugi auf<br />

Ashikaga Yoshimasa, einen Shōgun des 15. Jahrhunderts, zurückzuführen<br />

ist. Nachdem er eine seiner chinesischen Teeschalen aus<br />

Versehen zerbrach, schickte er diese zur Reparatur nach China – und<br />

wurde von dem endgültigen Ergebnis schwer enttäuscht. Daraufhin<br />

legte er japanischen Kunsthandwerkern ans Herz, eine ästhetisch<br />

ansprechendere Methode zu entwickeln, um seine Lieblingsschale<br />

wieder ansehnlich zu machen.<br />

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