Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lenbensart Nr. 55
Trennwände, Atemmasken, begrenzte Gästezahl und trotzdem...sind nicht nur wir mit dem neuen GARCON am Start. Wir besuchten einen Berliner Verlag, das Speisezimmer eines Spitzenkochs, eine Cucina Napoletana, ein Low Carb Superfood Kitchen, Song Lee in Hamburg, eine Rawfood-Bäckerin und eine feine Patisserie. Wir befragten 7 Gastronomen zum 'Stand der Dinge', sprachen mit einer Hoteldirektorin über das Berlin Food Kollektiv und machten einen ausgiebigen Besuch in Brandenburg (Kremmen, Schwante, Sommerswalde - tolle Gegend). Zimtschnecke, Haselnuss-Creme und japanischer Essig sind mit im Boot. Und natürlich blättern wir wieder in alten und neuen (Koch)Büchern. Also viel Spass beim Schmökern!
Trennwände, Atemmasken, begrenzte Gästezahl und trotzdem...sind nicht nur wir mit dem neuen GARCON am Start. Wir besuchten einen Berliner Verlag, das Speisezimmer eines Spitzenkochs, eine Cucina Napoletana, ein Low Carb Superfood Kitchen, Song Lee in Hamburg, eine Rawfood-Bäckerin und eine feine Patisserie. Wir befragten 7 Gastronomen zum 'Stand der Dinge', sprachen mit einer Hoteldirektorin über das Berlin Food Kollektiv und machten einen ausgiebigen Besuch in Brandenburg (Kremmen, Schwante, Sommerswalde - tolle Gegend). Zimtschnecke, Haselnuss-Creme und japanischer Essig sind mit im Boot. Und natürlich blättern wir wieder in alten und neuen (Koch)Büchern. Also viel Spass beim Schmökern!
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MISE EN PLACE
Liebe Freunde,
Ende März prophezeite Starkoch Tim Raue für sich und seine Branche den worst case: „Corona wird unser
kulinarisches Leben in Schutt und Asche legen.“ Mal abgesehen von der martialischen Wortwahl, mit der
ich in diesem Zusammenhang nichts anfangen kann, schien Raues Vorhersage damals so falsch nicht zu
sein. Ganz so schlimm ist es – Bund und Land sei Dank – zum Glück nicht gekommen.
Toshu Nakamura, 36, mit zwei Michelin-Sternen
und 19 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneter
Küchenchef – hier bei einem kulinarischen Workshop
2018 in Berlin (auf unserem Bild links).
Trotzdem mussten inzwischen die ersten Restaurants schließen. Die prominentesten Opfer in Berlin sind
das Cell in der Uhlandstraße in Wilmersdorf, das mit dem neuen Küchenchef Liam Fagotter gerade
wieder auf Kurs schien, Sarah Wieners Gastronomie- und Cateringbetriebe sowie Cynthia Barcomis Deli in
den Sophie-Gips-Höfen in Mitte. „Es hätte keinen Sinn gemacht, mit einem Kredit die fehlenden Umsätze
zu finanzieren“, so die Unternehmerin, „das hätte ich nicht überlebt.“
In Hamburg strich das erst 2017 eröffnete Izakaya die Segel, und in München schließlich kam es ganz
dicke. Hier verschwand mit dem Schwabinger Werneckhof by Geisel – Küchenchef Toshu Nakamura war
noch Ende 2019 zum „Koch des Jahres“ gekürt worden – eins der besten deutschen Restaurants von der
kulinarischen Landkarte. Und wenn man Branchenkennern glaubt, ist das noch längst nicht das Ende.
„Der Überlebenskampf hat gerade erst begonnen, und er wird noch weitere Opfer fordern“, sagte uns
kürzlich der Berliner Küchenchef Thomas Vetter. Damit es vielleicht doch nicht so hart kommt, sollten
wir – die Gäste – den Gastronomen unsere Solidarität zeigen. „Das Restaurant ist ein Ort, an den man
geht, um seinen Gaumen, sein soziales Gebilde wieder aufzufrischen“, so Tim Raue, „ein Ort, an dem im
besten Fall humanitäres Miteinander zelebriert wird.“ Ich finde, er hat Recht, also sollten wir das auch tun.
Gehen wir essen!
Eure Yvonne Weinlich
info@bildart-verlag.de
INHALT
MISE EN PLACE
TITEL
Kochen mit Jaja
Einem Berliner Kleinverlag
in die Töpfe geguckt
Lowkal:
44 Nische mit Zukunft.
LOKALTERMIN
Der Neustart — und nun? 23
Sieben Berliner Gastronomen
über den Stand der Dinge
Otto 32
Die Speisekammer eines Spitzenkochs
Berlin Food Kollektiv 36
Hoteldirektorin Verena Jaeschke im Interview
06
Kochen mit Jaja:
Einem Berliner Kleinverlag in die Töpfe geguckt.
GESCHMACKSSACHEN
Zimtschnecke Royal 52
Loblied auf eine Spezialität
Coco & Co. 55
Probiert in der Patisserie Gil Avnon
Anaïs Causse empfiehlt: 58
Crema di Nocciola
Nihon Mono: 60
Katsushi Oochi — Der japanische Gegenbauer
LimaLima 38
Cucina Napolitana im Schillerkiez
Lowkal 44
Nische mit Zukunft
Berliner Teller 48
Ceviche vom Müritzsaibling,
serviert im Rutz Zollhaus
Otto:
32 Speisekammer eines Spitzenkochs.
Kostproben 62
KOPFSALAT
Erika Kaneko 64
Rawfood-Meisterin und Kalligrafin
Wie geht's eigentlich...? 70
Song R. Lee
4 GARÇON
FINDE DEINEN GIN
91
Punkte
BAR- & SPIRITS GUIDE
Berliner Teller:
48 Serviert im Rutz Zollhaus.
Dieter Fuhrmann (1940-2020) 72
Zum Gedenken
KULINARISCHE EXKURSION
Unterwegs in Brandenburg 75
Kremmen
Schwante
Sommerswalde
RUBRIKEN
75
Unterwegs in Brandenburg:
Kremmen, Schwante, Sommerswalde.
Berliner Marktnischen 102
Stadtfarm-Angebote
im Landschaftspark Herzberge
Kulinarische Nachlese 104
In alten Kochbüchern geblättert
BOUQUET GARNI
Nachrichten und Neuigkeiten 106
Hofläden in Brandenburg
Der Weinlobbyist
Garcon-Quiz 110
Impressum 110
64
Erika Kaneko:
Rawfood-Meisterin und Kalligrafin.
GARÇON
5
TITEL Kochen mit Jaja
6 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Kochen mit Jaja
EINEM BERLINER KLEINVERLAG IN DIE TÖPFE GEGUCKT
VON JÖRG TEUSCHER
„Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück der Erde vermehrt:
die Kochbücher.“ Der Satz stammt von dem englischen Schriftsteller
Joseph Conrad (1857-1924). Ob Conrad auch so noch dächte
und schriebe, wenn er den aktuellen Kochbuchmarkt kennen würde?
Allein in Deutschland erscheinen jedes Jahr um die 1.900 neue
Kochbuchtitel oder – wie die Branche es formuliert – „Print-Novitäten
in der Warengruppe Essen und Trinken“. Viele davon kann man
durchblättern, ohne auch nur ein einziges Mal hängen zu bleiben.
Sie sind weder sorgfältig zubereitet noch machen sie Appetit, und
von kulinarischer Verführung kann erst recht keine Rede sein.
Rund ein Dutzend spezialisierter Großverlage von Dorling Kindersley
bis Gräfe und Unzer dominieren den deutschen Kochbuchmarkt,
der seit einigen Jahren aufgeht wie ein an der Heizung vergessener
Hefeteig: Länderküche, Regionalküche, schnelle Küche, leichte
Küche, Gemüseküche, Fleischküche, Fischküche, vegetarische Küche,
vegane Küche, Alltagsküche, Diätküche, Sterneküche, dazu die
jährlichen Pflichtbücher der Fernsehköche und ihrer Ghostwriter –
nichts, was es noch nicht gibt. Oder fast nichts, denn noch halten
sich die meisten Food-Blogger und Restaurant-Tester beim
Kochbuchschreiben vornehm zurück, obwohl ihre kulinarische
Kompetenz sie dazu nachgerade prädestinieren würde, etwa die
Lieblingsrezepte ihrer Lieblingsköche zu publizieren.
Aber vielleicht haben sie auch den Altmeister Wolfram Siebeck
(1928-2016) gelesen, der seinerZEIT urteilte, dass es bei
Kochbüchern mittlerweile völlig egal sei, welche Art von Rezepten
sie enthielten. „Jedes Gericht“, so Siebeck, „ist inzwischen
schon zigfach beschrieben worden. Deshalb lohnen sich nur
noch Kochbücher, die hübsch anzusehen oder auf eine kurzweilige
Weise geschrieben sind.“
Der Berliner Kleinverlag Jaja gibt solche Kochbücher heraus.
Sie liefern dem Leser einen Mehrwert, indem sie Wissen vermitteln,
Geschichten erzählen, die Kochlust fördern und die kulinarische
Intelligenz des Genussinteressierten auf neue Höhen
bringen. Ja, und hübsch anzusehen sind sie allemal.
GARÇON
7
TITEL Kochen mit Jaja
Verlegerin Annette Köhn.
Sonnenallee, Reuterstraße, Tellstraße. Die Bäckerei Sultan serviert
zum Frühstück Sucuklu Yumurta, Knoblauchwurst mit Ei; der Salon
Farhat bietet Haarschnitt und Bartrasur für 13 Euro; es gibt Copy- und
Shisha-Shops, das Ramen House Men Men, die Arethusa-Schnitzel-
Welt und das Schwabylon: Stark und groß durch Spätzle mit Soß`.
Hier, wo Neukölln am neuköllnischsten ist, hat der Jaja-Verlag
seinen Sitz. Drei Sandsteinskulpturen zwischen den Fenstern der
ersten Etage zieren das Mietshaus Tellstraße 2 – Göttinnen der
schönen Künste des Altertums. Welche der neun Musen die Gründerzeitbaumeister
dort oben aufstellten, blieb uns allerdings ein Rätsel.
Genauso ging es Annette Köhn als sie 2006 im Haus eine Ateliergemeinschaft
gründete. Dennoch nannte sie den künstlerischen Ort
Musenstube.
Die 44-jährige Fränkin stammt aus Erlangen, kam 1999 nach Berlin,
studierte an der Hochschule der Künste in Weißensee Kommunikationsdesign.
Ihre Liebe galt schon damals dem Comic.
8 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Ihren 2011 gegründeten Jaja-Verlag, auch heute noch eine One-
Woman-Company und ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, sieht
sie in erster Linie als Comic-Verlag. „Ich bewege mich haarscharf
an den Kanten und gleichzeitig im Spannungsfeld von Comic und
Illustration“, so die Verlagschefin, „beides Bereiche, deren Wirtschaftlichkeit
nicht gerade auf festen Füßen steht, und mit der
Anerkennung könnte es auch besser bestellt sein, vor allem im
Literaturbetrieb. Aber es ist auch gut, dass es Kanten und Ecken
gibt und wir uns hier noch Boden erkämpfen können.“
Übrigens: Die Musenstube hat inzwischen „ausgestubt“, Annette
Köhn wird künftig die Räume in der Neuköllner Tellstraße nur noch
als Verlagsbüro und -shop nutzen. Ein neues Schild sollte eigentlich
längst über der Tür hängen, aber da war Corona mit den vielen Folgen.
Buchmessen, Literaturfestivals, Lesungen wurden abgesagt,
die wochenlange Schließung der Buchhandlungen bescherte den
deutschen Verlagen – großen wie kleinen – einen Umsatzeinbruch
von rund einer halben Milliarde Euro. Und da war auch das Ausschreibungsende
für die Teilnahme am renommierten Comicbuchpreis
2021 der Berthold Leibinger Stiftung im baden-württembergischen
Ditzingen. Annette Köhn hat dafür einen Comic gezeichnet, eine
Art Einblick in ihre Arbeit – vor Corona und ein halbes Jahr später,
nachdem sich alles verändert hatte…
Wir stießen auf Annette Köhn und den Jaja-Verlag wegen seiner
Kochbücher, die universal stimulierend sind und Appetit aufs Leben
machen. Und auf viele Sachen, die man noch kochen könnte.
JAJA VERLAG
Tellstraße 2
12045 Berlin-Neukölln
Tel. 030 - 22 68 71 87
www.jajaverlag.com
GARÇON
9
TITEL Kochen mit Jaja
Dienstag, 5. Mai 2020
Anni von Bergen lebt seit einem Jahr in Hamburg. Wir verabreden
uns telefonisch. Der Termin ist kein Problem, aber der Ort. Auch in
der Hansestadt sind die Cafés und Restaurants Anfang Mai noch
geschlossen. Anni von Bergen schlägt den Jungfernstieg vor.
10 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Der frühe Intercity Express, 5.19 Uhr ab Berlin-Südkreuz, 7.25 Uhr
an Hamburg Hautbahnhof, ist normalerweise gut gebucht. Vor allem
Geschäftsleute und Tagestouristen lieben die schnelle Verbindung
in die Hansestadt.
Im Coronamonat Mai erkennt man die Schieflage der Dinge vor
allem daran, wie wenige Fahrgäste den ICE 608 nutzen. Ich zähle
zwölf Passagiere auf dem langen Südkreuz-Bahnsteig. „Mask
have?“, fragt mich ein junger Mann beim Einsteigen. Ich weiß es
nicht, bejahe aber vorsichtshalber, und dann sitzen wir beide, bemaskt
und meterweit entfernt, mutterseelenallein im Wagen Nummer
7 und rauschen Richtung Hamburg.
Der erste Eindruck auch dort: Leere. Nur wenige Passanten in
der Mönckebergstraße, auch auf dem Rathausmarkt, selbst an regnerischen
Tagen pickepackevoll, nur wenige Menschen. Und am
Jungfernstieg schließlich kann ich mir die Bank aussuchen, auf der
ich auf Anni von Bergen warte. Der Alsterpavillon ist geschlossen,
die Alsterdampfer sind am Schiffsanleger festgemacht, Enten und
Möwen haben die Binnenalster für sich.
Anni von Bergen lebt seit knapp einem Jahr im Hamburger
Stadtteil Wilhelmsburg, Europas größter bewohnter Flussinsel, früher
für gut situierte Hanseaten eine hässliche No-go-Area – heute
ein hipper Multikulti-Bezirk.
Anni von Bergen könnte mit der S-Bahn zum Jungfernstieg fahren,
aber sie nimmt für die zehn Kilometer lieber ihr Rennrad. „Ist
bequemer“, kommentiert sie locker, „und nützt der Gesundheit.“
Trotz des blauen Himmels weht ein kalter Wind über die Binnenalster,
nicht unbedingt die angenehmste Interviewsituation. Gegen
Zehn öffnet eine Starbucks-Filiale am Neuen Jungfernstieg, immerhin.
Der sündhaft teure Na-ja-Kaffee ist wenigstens heiß.
Anni von Bergen, Jahrgang 1989, stammt aus Kamen, einer
Stadt am Rande des Ruhrpotts, und studierte in Münster Visuelle
Kommunikation. Bachelorabschluss 2016, Umzug nach Berlin, Ar-
beit als Illustratorin und Dozentin. Im September 2019 dann Hamburg.
„Die Stadt hat viel zu bieten, der Austausch mit Kollegen ist
hier besser als in Berlin, und ich kann in Hamburg meinen Master
machen“, so Anni von Bergen.
„Lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen.“ „Über welches?“ Dezenter
Hinweis darauf, dass „A Sauerkraut´s Kitchen“ – über den
Titel wird noch zu reden sein – nicht das erste Buch der 31-Jährigen
ist. Bereits 2017 illustrierte sie ein Opernbuch – Don Giovanni
von Lorenzo da Ponte, Musik Wolfgang Amadeus Mozart. „Anni
von Bergen setzt die in der Oper gesungenen Emotionen mit ihren
dramatischen und expressiven Zeichnungen gekonnt in Szene“,
lobte die Kritik.
Ihr Kochbuch-Erstling ist eher weniger schwere Kost. Wobei: Für
Leute ihrer Generation dürften Arme Ritter, Kalter Hund oder Leipziger
Allerlei ebenso Bücher mit sieben Siegeln sein wie die Arien
des Don Giovanni oder der Donna Elvira. Anni von Bergen nickt
bestätigend. „Wir sind viel gereist“, erklärt sie, „wir wissen, wie Korea
kocht und Peru isst, kennen Bibimbap und Dulce de leche, die
Verbindung zur heimatlichen Küche ist uns aber verloren gegangen.“
Diese Erkenntnis und eine kindheitgeprägte Leidenschaft fürs
Kochen ließen bei der 31-Jährigen die Idee einer „zeichnerischen
Entdeckungsreise durch Deutschlands Küchen“ reifen — so übrigens
auch der Untertitel ihres Kochbuches.
Die meisten Verlage, denen Anni von Bergen ihr Konzept vorstellte,
reagierten skeptisch — erst bei Jaja war sie an der richtigen
Adresse. Ein Jahr lang zog sie kreuz und quer durch deutsche Lande,
besuchte Gasthöfe und Wirtshäuser, interviewte Fremde und
Freunde, sammelte Rezepte. „Eine kulinarische Identitätssuche“,
nennt sie diese Zeit heute. Probekochen, Testessen, mehr Lob als
Kritik. Den Buchtitel schließlich liefern Bekannte aus England — für
sie ist deutsche Küche eben A SAUERKRAUT´S KITCHEN.
www.annivonbergen.com
GARÇON
11
TITEL Kochen mit Jaja
FÜR 4 PERSONEN
BERLIN
BERLINER, BZW. OSTPREUSSISCHE SPEZIALITÄT. DER NAME
SETZT SICH ZUSAMMEN AUS DEM URSPRÜNGLICHEN NAMEN
„KÖNIGSBERG“ FÜR KALININGRAD UND DEM OSTPREUSSISCHEN
„KLOPS“ FÜR „KLEINER KLOSS“.
FÜR DIE BÄLLCHEN
500 g Rinderhackfleisch
1 Brötchen vom Vortag
1 Tasse Milch, lauwarm
2 Schalotten
3 Eier (M)
4 Sardellenfilets
50 g Butter
10 Kapern
Biozitronenschale, gerieben
2 Lorbeerblätter
1 Prise Rohrohrzucker
Salz und Pfeffer aus der Mühle
Muskatnuss, gerieben
KARTOFFELN UND SOSSE
1 kg Kartoffeln
2 Eier (M)
100 ml Sahne
Zitronensaft
Fleischbrühe
1 Glas Weißwein
3 EL Weizenmehl, Type 405
glatte Petersilie
ZEITAUFWAND
ca. 40 Minuten
1| Das Brötchen würfeln und
mit warmer Milch bedecken.
Das Hackfleisch in eine
Schüssel geben. Schalotten
häuten und fein würfeln. Sardellenfilets
klein schneiden.
Fleisch, Eier, Zitronenschale
zum Fleisch geben. Hände
mit Wasser befeuchten und
alles vermengen. Mit Pfeffer
und Salz würzen. Kleine
Fleischbällchen rollen.
2| Geschälte Kartoffeln in
einem Topf mit leicht gesalzenem
Wasser zum Kochen
bringen und gar kochen.
3| In einem großen Topf ca.
zwei Liter Fleischbrühe zum
Kochen bringen, Lorbeer und
etwas Zitronensaft hinzugeben.
Die Klopse hineinlegen,
sodass sie mit Flüssigkeit
bedeckt sind. 15 Minuten
bei wenig Hitze gar ziehen
lassen.
4| Anschließend die Fleischklopse
mit einem Schaumlöffel
aus dem Topf nehmen und
auf einem Teller mit Alufolie
warm halten. Etwa 2 Finger
breit Brühe im Topf behalten.
5| Die Oberfläche mit Mehl
bestäuben. Den Deckel 20
Sekunden auf den Topf legen.
Anschließend rühren
und mit Weißwein und
Sahne verfeinern. Den Topf
vom Herd nehmen und die
Eigelbe schnell in die Soße
rühren. Am Ende die Kapern
und etwas Zitronensaft
hinzugeben. Mit Pfeffer
und Salz abschmecken.
Die Kartoffeln aus dem Wasser
nehmen und auf einem
Teller mit Klopsen und Soße
anrichten. Mit etwas gehackter
Petersilie bestreuen.
64 Rezepte aus 16 Bundesländern bestanden die Aufnahmeprüfung
– Rezepte, die es so oder oder so ähnlich
natürlich auch in anderen Kochbüchern gibt.
Was „A Sauerkraut´s Kitchen“ zu etwas Besonderem
macht, sind die Illustrationen von Anni von Bergen – farbenfrohe
Einladungen zum Essen und an typische Orte, denen
die Künstlerin ihre Aufwartung machte: den Altonaer Fischmarkt
und den Viktualienmarkt in München, die Lüneburger
Heide und die Bodenseeinsel Reichenau, die Eltzer Mühle in
Uetze und den Reinickendorfer Flughafensee.
Mal arbeitet sie mit kräftigem Pastell, mal mit filigranem
Bleistift, oft überbordend, fast wild, immer aber ausdrucksstark,
eindringlich, sinnlich. Nein, es müssen nicht immer
die mittels Photoshop aufgemotzten Hochglanzfotografien
sein, möglicherweise sind solche Illustrationen sogar viel
intensiver.Individueller sind sie auf jeden Fall.
SCHWIERIGKEITSGRAD
Normal
FLEISCH
12
Anni von Bergen, geboren 1989, gehört zu einer Altersgruppe,
die Soziologen als Generation Y bezeichnen. Y gesprochen
wie why, warum. Es ist eine Generation, die es buchstäblich
wissen will, die mit dem Internet groß geworden ist, die
Welt kennt und kulinarisch auf der kosmopolitischen Welle
surft. Dennoch ein Buch über Bremer Klaben, Königsberger
Klopse, Schwarzwälder Kirschtorte, Pfefferpotthast,
Rinderrouladen und Sauerbraten, Frau von Bergen? „Vor
allem im Ausland, aber auch von ausländischen Freunden
in Berlin wurde ich oft gefragt, was typische deutsche Küche
ist, was uns kulinarisch beglückt und was beleidigt.
What we love to eat at home.“ Die Antworten, die Anni von
Bergen auf ihre kulinarische Suchanzeige bekommt, sind
durchaus sympathisch.
12 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
„Es ist gut, dass solche Kochbücher noch verlegt werden und auch
ihre Leser finden“, sagt Michael Eilhoff, „zeigt es doch, dass die
deutsche Küche nicht tot ist, obwohl sie schon dutzendmal beerdigt
wurde.“
Sein Restaurant „Lutter & Wegner seit 1811“, das übrigens nicht
zum allgegenwärtigen Laggner-Imperium gehört, ist der äußerst lebendige
Beweis dafür. Seit 1995 steht Eilhoff hier am Herd, seine
Souschefin Cindy Menz ist seit 10 Jahren dabei. „Ich halte Kontinuität
und Konstanz durchaus für große Tugenden, auch in der Gastronomie“,
so Michael Eilhoff.
Das Auffälligste an dem 62-jährigen Sauerländer ist seine Unauffälligkeit,
das Aufregendste seine Unaufgeregtheit. Und dementsprechend
kocht er auch – handwerklich blitzsauber, schnörkellos
und geschmacksintensiv. Ob Königsberger Klopse, Schwäbische
Maultaschen oder Wiener Schnitzel, ob Blutwurst mit Schalotten-
Senfsauce oder Zander mit Blattspinat – viele Stamm-, aber auch
eine steigende Zahl von Zufallsgästen feiern Eilhoffs deutsche Regionalküche,
die schlüssigen Kombinationen seiner Gerichte, die
klare Würzung, die perfekten Garzeiten, eben das ganze Konzept.
Und obwohl die meisten Berufsesser auf der Suche nach dem
nächsten Kick das Restaurant mit dem gemütlichen Dunkelholz-
Ambiente links liegen lassen, hat es sich längst herumgesprochen:
Wer in Berlin unprätentiös speisen möchte, in zuverlässiger Qualität
und ohne pseudo-kreatives Chichi, der kommt am „Lutter &
Wegner seit 1811“ nicht vorbei.
LUTTER & WEGNER
Schlüterstraße 55
10629 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 881 34 40
www.restaurantlutterundwegner.de
Inhaber und Küchenchef Michael Eilhoff.
GARÇON
13
TITEL Kochen mit Jaja
Mittwoch, 20. Mai 2020
Auch in Berlin verbieten die Corona-Bestimmungen viele Treffpunkte.
Anne Wenkel und Ivette Pérez de Wenkel haben gute Beziehungen
und so öffnet Fernando Bolanos für unser Interview
ausnahmsweise seine Mezcal-Bar in der Friedrichshainer Scharnweberstraße.
Das Ambiente passt perfekt zum Gegenstand unseres
Gesprächs und auch der Juquila-Kaffee ist total authentisch.
14 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Corona, das ist leider eine unumstößliche Wahrheit, trifft die Gastronomie
besonders hart. Bisher prominentester Beleg: Die 57-jährige
deutsch-österreichische Unternehmerin, Autorin und Politikerin
Sarah Wiener. Am vorletzten Juli-Donnerstag gab sie auf ihrer
Facebook-Seite bekannt, dass sie für ihre Berliner Restaurants und
den Sarah-Wiener-Catering-Service Insolvenz anmelden musste.
Keine deutsche Zeitung, die nicht darüber berichtete. Andere, weniger
bekannte Gastronomien, sterben leiser...
Ob es die kleine Mezcal-Bar, die Fernando Bolanos und seine Partnerin
Fernanda Sueldo vor vier Jahren im Friedrichshainer Kiez eröffneten,
noch gibt, wenn dieses Heft erscheint, das wissen wir nicht.
Es wäre jedenfalls sehr schade um diesen authentischen, stimmungsvollen
Ort, den Anne Wenkel und Ivette Pérez de Wenkel für
unser Gespräch ausgesucht haben.
Die beiden Frauen sind Schwägerinnen. Ivette, 50, stammt aus
Mexico City, wuchs in einer Medizinerfamilie auf – Vater Arzt, Mutter
Krankenschwester – studierte an der Universidad Ibero Americana
von Tijuana Medienwissenschaften, arbeitete beim Fernsehen, in
der Werbung und sechs Jahre lang für die mexikanische Botschaft
in London. Dort lernte sie Lars Wenkel kennen, Architekt aus Berlin
und Annes Bruder. Übersiedlung in die deutsche Hauptstadt 2010,
Hochzeit. Ivette Pérez de Wenkel gründete die Taco-Tales-Unternehmung,
bietet Caterings an, veranstaltet Kochevents und vermittelt
in kulinarischen Kursen Wissenswertes über Zutaten und Zubereitungen
einer Küche, in der sich indigene und spanische Aromen vereinen
und deren regionale Vielfalt die UNESCO veranlasste, die traditionelle
mexikanische Küche als immaterielles Weltkulturerbe anzuerkennen.
Anne Wenkel, Jahrgang 1983, ist Berlinerin, studierte an der Hochschule
für Technik und Wirtschaft ihrer Heimatstadt Kommunikationsdesign,
reiste für ihre Diplomarbeit kreuz und quer durch Westafrika
und gestaltete ein afrikanisches Märchenbuch. Nach erfolgreichem
Abschluss entschied sie sich, fortan als Illustratorin zu arbeiten.
Weil Kunst und Kulinarik Schwestern sind, lag die Idee eines gemeinsamen
Kochbuches der beiden Schwägerinnen auf der Hand.
„Das Buch ist ein persönliches Andenken an meine Heimat Mexiko
mit Rezepten, die in meiner Familie von Generation zu Generation
überliefert wurden, und es ist gleichermaßen an meine deutsche Familie
adressiert, der ich mit ‚Taco Tales‘ erklären wollte, wer ich bin,
woher ich komme, was mir meine Heimat bedeutet“, so Ivette Pérez
de Wenkel. Und Anne Wenkel fügt hinzu: „Für mich war es sowohl ein
spannendes Projekt als auch eine Liebeserklärung an Mexiko, seine
Menschen und deren kulinarische Gebräuche.“
„Die mexikanische Küche ist wie ein Labyrinth“, schreibt die berühmte
Küchenchefin Margarita Carrillo Arronte, Restaurantbetreiberin
in Mexiko City, TV-Köchin und Dozentin am renommierten Culinary
Institute of America. Und tatsächlich gibt es Gerichte wie Tacos und
Tamales in schier unzähligen Variationen. Tortillas – Fladenbrote,
die seit Urzeiten das Aushängeschild der mexikanischen Küche sind
– werden auf hunderte verschiedene Arten verwendet. Und Chilis
schließlich, das Lieblingsgewürz der Mexikaner und die vielleicht berühmteste
Zutat in den Küchen zwischen Baja California Norte und
Chiapas im Süden gibt es in mehr als 60 Sorten, die nicht nur für Schärfe,
sondern vor allem für Aroma in den diversen Gerichten sorgen.
„Seit einigen Jahren entwickelt sich wieder verstärkt ein Gefühl
dafür, zu unserem Erbe und unserer Vergangenheit zurückzuschauen
und in einem Land, in dem sich die Menschen verletzt und verloren
fühlen, unsere Traditionen zu bewahren. Wir sind auf der Suche
nach uns selbst, nach ein wenig Frieden und Kraft in unserer Identität
als Mexikaner“, schreibt Ivette Pérez de Wenkel am Ende ihres
Kapitels über den „Dia de Muertos“, den Tag der Toten, der in
ihrer Heimat alljährlich am zweiten November gefeiert wird – eine
prähispanische Tradition zu Ehren der Verstorbenen. Starke Worte
einer beeindruckenden Frau.
www.annewenkel.com
GARÇON
15
TITEL Kochen mit Jaja
Gleichzeitig punktet Taco Tales mit den farbenfrohen Paper-Cuts
von Anne Wenkel und den atmosphärischen Reportagefotos
von Andreas Kannengießer. Dabei bebildern
die beiden Künstler nicht einfach Rezept- und Kommentartexte,
sondern heben sie in eine neue emotionale Situation.
Mexiko, wie es ist und isst – appetitanregend, bunt und
fröhlich und immer auch ein bisschen melancholisch.
Schlussendlich ist der Band auch Geschichtsbuch
und Reiseführer. So könnte man sich für ferne Nach-Corona-Zeiten
die Tour über die Halbinsel Baja California
im Norden Mexikos vormerken...
Übrigens: Taco Tales, die lesens- und ansehenswerten
Rezeptgeschichten von Ivette Pérez de Wenkel und
Anne Wenkel, wurden 2019 mit dem Gourmand World
Cookbook Award geehrt!
Sicher gibt es rezeptreichere mexikanische Kochbücher als
Taco Tales – etwa den 700-Seiten-Mexiko-Wälzer von Edel
Germany – eins allerdings bieten sie alle nicht: Storytelling.
Wie die Prise Salz im Tortillateig sind es die persönlichen
Geschichten von Ivette Pérez de Wenkel, die diesem Buch
eine besondere Würze geben.
Beispielsweise, wenn sie über ihre Kindheitserinnerungen
an den Straßenmarkt von Villa Coapa in der Megametropole
Mexico City berichtet – noch heute ein perfekter Ort,
um wirklich traditionelles mexikanisches Essen zu finden.
Oder, wenn sie ihre Guacamole-Geheimnisse preisgibt.
„Eine meiner Lieblingsspeisen“, verrät Ivette Pérez de Wenkel,
„die mir immer ein Gefühl von Heimat, aber auch von
Kraft und Halt gibt.“
16 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Während Mexiko-Stadt in den letzten Jahren neben Lima zum kulinarischen
Hauptreiseziel Lateinamerikas avancierte und mexikanische
Cuisiniers die Wiederentdeckung der indigenen Küche von Mayas,
Azteken, Zapoteken und Mixteken feiern, ist die Gastronomia de
Mexico hierzulande dabei – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen
– still und leise im Folkloristischen auszulaufen. „Um eine ferne
Küchenrichtung blühen zu lassen, reicht es auf Dauer nicht aus,
dass sie von ordentlichen Köchen ordentlich zubereitet wird“,
schreibt Berlins kompetentester Gastro-Autor Bernd Matthies in
diesem Zusammenhang, „sondern sie muss vielmehr ihre Elemente
mit jenen anderer Küchenrichtungen verbinden, und die Köche müssen
sich in sich weiterentwickeln, um nicht von der nächsten Modewelle
überholt zu werden.“
Unsere Bilder auf dieser Seite belegen den Trend. Das „Mexico“
im Neuköllner Ortsteil Britz (Bild oben) beispielsweise punktete einst
mit respektabler Tex-Mex-Küche und passablen Cocktails. Heute ist
das Haus an der Fulhamer Allee eine Baustelle, von Mexiko keine
Spur mehr. Vergangen, vergessen, vorüber.
Anders das La Lucha am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg – das Restaurant
mit der einladenden Terrasse und dem typisch lateinamerikanischen
Farb- und Materialmix gilt als Leuchtturm im Meer der mexikanischen
Gastronomie-Tristesse in Berlin. Hier treffen traditionelle
Gerichte und klassische Cocktails auf zeitgenössische Interpretationen
mexikanischer Genusswelten, lediglich solche Spezialitäten der
prähispanischen Küche wie Chapulines oder Chicatanes fehlen noch…
LA LUCHA
Paul-Lincke-Ufer 39-41
10999 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 - 55 20 09 14
www.laluchaberlin.com
GARÇON
17
TITEL Kochen mit Jaja
Donnerstag, 4. Juni 2020
„Es ist aber nicht aufgeräumt“, fügt Jenny Boidol dem Vorschlag
hinzu, unser Gespräch in ihrem Atelier zu führen: Berlin-Neukölln,
Wissmannstraße 21. Das Atelier ist Werkstatt und Laden zugleich
und natürlich herrscht überall penible Ordnung.
18 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Berlin-Neukölln, Wissmanstraße 21. Das schmucklose gegendtypische
Neuköllner Mietshaus hat vor einiger Zeit ein bisschen Farbe
gesehen und wirkt dadurch weniger trist als seine Umgebung. Eine
schmale Ladentür, ein kunterbunt dekoriertes Schaufenster. Dazwischen
eine Fahne: Bär von Pappe − Atelier und Shop.
Jenny Boidol begrüßt − coronabedingt − mit Handzeichen und
auf die Frage, ob ihr Nachname deutsch oder französisch ausgesprochen
wird, lacht sie ihr breites, ansteckendes Lachen. „Hat mich
noch nie jemand gefragt, alle haben immer ‚Boidol‘ gesagt, Betonung
auf der zweiten Silbe, daran habe ich mich gewöhnt. Aber eigentlich
ist der Name hugenottischen Ursprungs.“ Also wähle ich die französische
Aussprache. Wieder dieses Lachen. „Bitte sagen Sie Jenny.“
Sie hat einen kleinen Tisch aufgebaut, dazu zwei Sessel gestellt.
Es gibt Kaffee, Tee, Mineralwasser, Kuchen. Gesten der Freundlichkeit,
kleine Weltverbesserungen im Alltag.
Überhaupt diese Freundlichkeit. In einer Zeit, in der wir dazu neigen,
andere instrumentell zu behandeln und nur dann freundlich zu
sein, wenn es uns nützt, eine schöne persönliche Tugend. Jenny
Boidol wehrt ab: „Das ist meine Natur.“
Die 33-Jährige ist gebürtige Berlinerin, der das künstlerische
Gestalten offenbar in die Wiege gelegt wurde. „Schon in der Kita
war ich die, die immer am längsten gemalt, gebastelt und geklebt
hat“, erzählt sie. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Kulturwissenschaften
studieren, nach einem Praktikum in einer Berliner Werbeagentur
entschied sie sich für einen anderen Weg. Bei Dussman
in der Friedrichstraße absolvierte Jenny Boidol eine Ausbildung zur
Mediengestalterin und schrieb sich dann an der Hochschule für
Technik und Wirtschaft ein, Fachrichtung Kommunikationsdesign.
Abschluss wann? Sie lächelt ein wenig verlegen. „Abschluss
nein.“ Für die junge Berlinerin kein Problem, eher für ihre Eltern.
„Sie haben sich halt heftig Sorgen um meine Zukunft gemacht“,
kommentiert sie rückblickend milde.
2012 startete Jenny Boidol in die Selbstständigkeit, 25 ist sie da. Auf
ihrer Internetseite schreibt sie: „Ich denke mir liebevolle, nachhaltige
Papierwaren aus und entwerfe auch gern Logos, Hochzeitspapeterie
und vieles mehr.“ Ein freundliches Bärchen wird ihr Markenzeichen,
aus alten Schulheften entstehen farbenfrohe Postkarten, es
gibt Poster und Babybücher. „Ich bemale alles, was mir in die Finger
kommt“, sagt sie. Im Regal steht eine Tasse − darauf, unverkennbar,
das Konterfei der mexikanischen Malerin Frida Kahlo. Jenny Boidol
bestätigt meinen fragenden Blick. „Ja, sowas.“
„Ein Jahr quer durchs Beet“ ist ihr Kochbuch-Erstling. Die Rezepte
des 192-Seiten-Bandes stammen von Nicola „Nicky“ Kinghorn und
Julia Hofmann, zwei jungen Frauen, die im Frankfurter Westend bis
2017 gemeinsam Matilda‘s Kitchen betrieben − dann wurde Nicola
Kinghorn Mutter, stieg aus und Julia Hofmann führt seitdem den angesagten
kulinarischen Ort allein.
Den dringenden Wunsch nach einem eigenen Kochbuch hatten
die beiden koch- und backverliebten Seiteneinsteigerinnen ins gastronomische
Geschäft bereits im Sommer 2015. Sie schrieben ihre
Rezepte auf, fanden mit Gerhard Weber einen Fotografen, der ihre
Gerichte so ins Bild setzte, dass sie Appetit machen und auch noch
ein paar intensive Impressionen aus Matildaʼs Kitchen beisteuerte.
Eigentlich hätte das schon gereicht, um den Nutzer vor dem Verhungern
oder dem nächsten Treffen mit einem echauffierten Lieferando-
Boten zu bewahren. „Aber“, so Nicola Kinghorn und Julia Hofmann,
„irgendetwas fehlte uns.“
Und so geschah es, dass Jenny Boidol erst ins Gespräch und
dann ins Boot kam. Sie machte aus dem Rezeptbuch mit fotografischen
Serviervorschlägen ein herrlich buntes Lieblingskochbuch und
schreckte auch nicht davor zurück, einigen der großformatigen Fotos
von Gerhard Weber fette Schriften zu verpassen. Das macht aus „Ein
Jahr quer durchs Beet“ ein fast privates Küchen-Tagebuch. Chapeau!
www.baervonpappe.com
GARÇON
19
TITEL Kochen mit Jaja
Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten • Schwierig? Nein, man braucht nur einen starken Mixer
Corona, das dürfte sicher sein, hat diesen Trend beschleunigt.
Immer mehr Konsumenten sind neugierig auf alternative
pflanzliche Produkte, werden von Aspekten des Tierschutzes
geleitet, sehen geschmackliche Vorteile oder werden von ökologischen
Gründen angetrieben, ihr Ernährungsverhalten zu
überprüfen.
Wer es damit wirklich ernst meint, bekommt von „Ein Jahr
quer durchs Beet“ beste Unterstützung. Die Rezepte des
Kochbuches sind geradezu vorbildlich, was ihren Aufbau
und die Erklärungen angeht. Hinzu kommt, dass sie unkompliziert
sind und ohne Angeberzutaten auskommen, für
deren Beschaffung man Ralf Bos kennen oder tagelange
Recherchen in Kauf nehmen müsste. Nein, das ist ein Buch
für ganz normale Hobbyköche (übrigens nicht nur junge,
wie ich finde) mit ganz normaler Kochleidenschaft. Gut so!
1 Dose (500g)
Kichererbsen, abgetropft
100ml Rapsöl
1 Knoblauchzehe
1 Zitrone (Abrieb und Saft)
1 EL Tahin
1 Prise Kreuzkümmel
Salz/Zucker
Kichererbsen, Zitronensaft, Öl und Knoblauch
im Standmixer oder mit dem Pürierstab cremig
pürieren.
Zitronenabrieb, Tahin und Kreuzkümmel dazugeben
und mit Salz und Zucker abschmecken.
14
Mein Freund Uwe hat Flugzeugbau studiert, ist Ingenieur
und liebt strukturiertes, algorithmisches Denken. Bei ihm
hat alles einen Titel und eine dementsprechende Ordnung.
„Ein Jahr quer durchs Beet“ steht in seinem Kochbuchregal
in der Kategorie Junge-Leute-Kochbücher – wahrscheinlich,
weil seine Töchter auf internationale vegetarisch-vegane
Küche stehen.
Das Rezeptverzeichnis des Bandes weist 75 Positionen
aus, 71 davon sind vegetarisch oder vegan und reichen von
Banana-Bread und Carrot-Cake über Erdnuss-Falafel, Graupen-Salat
und Pfirsisch-Frangipani bis Spargel-Quiche und
Zitronen-Hummus. Rezepte, die im Trend liegen, denn einer
aktuellen Forsa-Studie zufolge essen nur noch 26 Prozent
14
der Deutschen täglich Fleisch oder Wurst. Rund 55 Prozent
aller Befragten verstehen sich als Reduzierer und Flexitarier.
20 GARÇON
Kochen mit Jaja TITEL
Omar Saad, 56, ist der kulinarische Kopf des Charlottenburger Cèdre
Blanc, das man getrost auch als Hommous-Paradies bezeichnen
könnte. Der gebürtige Libanese, der seit 1980 in Berlin lebt, serviert
in seinem Restaurant ein gutes Dutzend wirklich erstklassige
Spezialitäten der orientalischen Küche – von Baba Ghannough bis
Loubié bi Zeit – sein Hommous allerdings bedarf eines anderen
Attributs – „göttlich wäre passend“, meint mein Freund Uwe. Ich
stehe zwar nicht besonders auf den himmlischen Superlativ, aber
wo Uwe Recht hat, da hat er Recht.
Kein Wunder also, dass Omar Saad im Kochbuch „Ein Jahr quer
durchs Beet“ zuerst das schnelle Zitronen-Hummus-Rezept studiert.
Sein Urteil fällt milde aus: „Kann man machen.“
Der Berliner Hommous-König (er bevorzugt diese Schreibweise
des aus dem Arabischen stammenden Wortes, das schlicht Kichererbse
bedeutet) klärt uns auf, dass es im Nahen Osten über
das gleichnamige Gericht ähnlich viele Diskussionen gibt wie hierzulande
über die Zubereitung von Königsberger Klopsen. Welche
Kichererbsensorte? Wieviel Tahini? Kreuzkümmel oder kein Kreuzkümmel?
Knoblauch ja oder nein und wenn ja, wieviel?
„Jedes Land im Nahen Osten, jede Region, jedes Restaurant, sogar
jede Familie schwört auf das eigene Hommous-Rezept – selbst
die Frage, ob das Kichererbsenpüree von Arabern oder Juden erfunden
wurde, ist ein ewiger Streit“, erklärt Omar Saad, der für ihn
natürlich längst entschieden ist. „Entweder es stammt aus dem
Libanon oder der liebe Gott hat es erfunden.“
CÈDRE BLANC
Nehringstraße 34
14059 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 63 33 93 80
www.cedre-blanc.de
Cèdre-Blanc-Inhaber Omar Saad.
GARÇON
21
Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN
Neustart im Mai — und nun?
GASTRONOMIE IM ZEICHEN DER CORONA-PANDEMIE: EINE UMFRAGE
VON UWE AHRENS UND JÖRG TEUSCHER
GARÇON
23
LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage
Herbert Beltle, Inhaber
Rôtisserie Weingrün
Berlin-Mitte, 9. Juli 2020
Wie ist der Stand der Dinge, Herr Beltle?
Meiner Familie und mir geht es gut, unsere Tochter hat die Zeit des
Lockdowns unbeschadet überstanden und sich gefreut, dass sie endlich
wieder zur Schule gehen kann, wenn auch nur eingeschränkt.
Und wie ist die Situation in Ihrer RÔtisserie Weingrün?
Wir haben den Neustart nach der Schließung so organisiert, wie
es die amtlichen Vorgaben vorsahen: Gästeempfang, Handdesinfektion,
Gästeregistrierung, Abstandsregelung, Maskenpflicht für
die Servicemitarbeiter. Wir haben unsere Take-away-Offerten beibehalten,
und als das Wetter es zuließ, Terrassenplätze angeboten,
aber…
Das klingt doch gut, wieso ‚aber’?
...aber es fehlten die Gäste und dementsprechend die Umsätze.
Besonders negativ auf unser Geschäft hat sich der
beispiellose Zusammenbruch des Tourismus mit Beginn der
Corona-Krise Mitte März in Berlin ausgewirkt. Allein im März
hat sich der Umsatz bei uns gegenüber dem vergleichbaren
Vorjahresmonat mehr als halbiert. Und von Erholung kann noch
längst keine Rede sein.
Das klingt nicht eben optimistisch, Herr Beltle.
Mag sein, aber das ist realistisch. Natürlich kommen seit Anfang
Juni, seit Touristen wieder in Berliner Hotels und Pensionen übernachten
dürfen, auch mehr Gäste, aber wirtschaftlich zufriedenstellend
ist das alles in keiner Weise. Nicht nur bei mir übrigens,
sondern das gilt für unsere gesamte Branche. Nehmen Sie nur mal
eine Zahl: 2019 hat die Berliner Gastronomie rund 3,6 Milliarden
Euro Umsatz erwirtschaftet, und wenn es am Ende des Jahres möglicherweise
nur zwei Milliarden sind, dann ist das schon dramatisch.
Das lässt sich weder durch Kostenreduzierung einschließlich
Kurzarbeit noch durch Gewinnverzicht ausgleichen. Deshalb sage
ich: Wenn es überhaupt nicht mehr geht, dann ist es eben so.
www.rotisserie-weingruen.de
24 GARÇON
Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN
Harry Wolleschak, Inhaber und Gastgeber
Restaurant Die Eselin von A.
Berlin-Charlottenburg, 20. Juni 2020
Ihr Kollege Herbert Beltle klagt über fehlende Touristen, Herr
Wolleschak. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Genauso. Normalerweise kommen zur Ferienzeit täglich hunderte
Besucher ins Schloss Charlotenburg. Wir liegen ganz in der Nähe
und partizipieren natürlich davon. Jetzt ist hier touristisch tote Hose,
sehen Sie, wir hatten zum Beispiel letzte Woche lediglich drei ausländische
Gäste, das ist schon ein Schlag ins Kontor.
Und die Stammgäste?
Die halten uns nach wie vor die Treue und kommen vor allen Dingen
regelmäßig – nicht nur aus Charlottenburg, sondern auch aus Wannsee
und Wilmersdorf. Ich sage immer: Nach Union Berlin hat die Eselin
von A. die besten Fans.
Also, lax gesagt, sie kriegen‘s gebacken – trotz Corona.
Zwischenruf eines Gastes am Nachbartisch: Wer den Berliner
Yachtclub überlebt hat, der überlebt auch Corona, oder Harry?
Kann man so sagen. Und noch einmal, das danke ich vor allem
meinen Stammgästen und natürlich meiner Familie und dem gesamten
Team. Mein Bruder Ernesto ist als mein Partner sowieso
an Bord, meine Schwester Caro, die eigentlich in Chania auf Kreta
lebt, hat monatelang im Service geholfen, ebenso meine Tochter
Alexa. Sie arbeitet normalerweise als Tennistrainerin in Melbourne,
darf aber derzeit nicht in Australien einreisen und spielt deshalb hier
in der Eselin mit, ganz selbstverständlich. Und mein anderer Bruder
Alex macht neben seinem eigentlichen Job bei mir den Haustechniker.
Familiärer Zusammenhalt kann den Auswirkungen der Coronakrise
Paroli bieten…
Durchaus, familiärer Zusammenhalt und kollegiale Kooperation.
Kollegiale Kooperation?
Ja, wir haben zum Beispiel unser Außer-Haus-Angebot in das vom
Restaurant Bahadur initiierte App-Projekt eatAround Delivery eingebracht,
andere Kollegen auch, sowas meine ich.
www.dieeselin.de
GARÇON
25
LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage
David Monnie, Inhaber und Gastgeber
Restaurant Christopher´s
Berlin-Charlottenburg, 30. Mai 2020
Reden wir über das Accessoire schlechthin, Herr Monnie.
Sie meinen die Gesichtsmaske?
Genau. Bei einigen Ihrer Kollegen ist sie Werbeträger, bei anderen
Fashion-Statement. Sie verzichten auf beides, weshalb?
Wir haben für alle Servicemitarbeiter die so genannten FFP-3-Masken
angeschafft. Bei einem Stückpreis von rund 50 Euro war das in
diesen Zeiten schon eine erhebliche Investition, aber sie sind eben
der beste Schutz für uns und unsere Gäste, obwohl die Arbeit unter
dieser Maske für uns schon eine Herausforderung darstellt.
Das Christopher‘s gehörte zu den ersten Berliner Restaurants, die
Take-aways und Home-delivery anboten. Hat sich das gelohnt?
Wenn Sie den Umsatz meinen, sicher nicht, aber wir haben damit
zumindest erreicht, dass die Menschen rund um die Mommsenstraße
gemerkt haben: Wir geben nicht klein bei und helfen, den
Kiez am Leben zu erhalten. Wir werden die Take-away-Offerten übrigens
beibehalten, ebenso wie unsere Grocery-Angebote, also Gerichte
im Weckglas, etwa ein Chili-Eintopf, eine Käse-Lauch-Suppe
oder ein Rindergulasch mit Paprika und Pilzen.
Wie lief der Neustart?
Wir haben die Zahl der Plätze halbiert, innen wie außen, wir arbeiten
mit einer Minimal-Besetzung, es gibt Einweg-Speisekarten, Gästelisten,
über die Gesichtsmasken haben wir schon gesprochen.
Das ist nicht besonders prickelnd, aber eben notwendig. Trotzdem
waren wir am 15. Mai ausgebucht, vor allem Stammgäste kamen,
auch um uns Mut zuzusprechen, damit wir durchhalten.
Und wie stehen die Chancen?
Fragen Sie mal die Glaskugel. Es wird davon abhängen, wie sich die
Pandemie entwickelt, ob sich das Konsumverhalten der Menschen
ändert, wann der Tourismus wieder auf die Beine kommt usw. Seit
dem 25. Mai dürfen wieder Touristen in Berlin übernachten – allzuviel
merken zumindest wir bisher aber nicht.
www.christophers.online
26 GARÇON
Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN
Oliver Reimann, Geschäftsführer
Braugasthaus Dolden Mädel
Berlin-Kreuzberg, 11. Juni 2020
Glücklich, dass es nun wieder losgegangen ist, Herr Reimann?
Glücklich? Ja, vielleicht. Vor allem aber bin ich dankbar.
Wem?
Ich bin unseren Mitarbeitern dankbar, die sich wahnsinnig ins Zeug
legen, um auch unter den wirklich schwierigen Bedingungen gute
Gastgeber zu sein – und ich bin besonders unseren Stammgästen
für ihre Unterstützung in den vergangenen Monaten dankbar.
Welche Art von Unterstützung war das?
Wir haben gleich am 15. März damit begonnen, einen Außer-Haus-
Service zu organisieren. Wir wussten natürlich, dass wir damit
keinen nennenswerten Umsatz machen würden, aber wir wollten
zumindest Flagge zeigen – hallo, wir sind noch da. Viele unserer
Stammgäste haben das verstanden und zwei-, dreimal in der Woche
unsere Gerichte bestellt. Und auch nach dem Neustart kommen
sie häufiger als früher.
Das heißt, der Umsatz pegelt sich wieder ein?
Nein, natürlich nicht. Im Mai und Juni 2020 liegen wir bei 35 bis 38
Prozent des Vorjahresumsatzes. Das ist auch kein Wunder. Nehmen
Sie zum Beispiel unseren Biergarten. Normalerweise ist hier
Platz für rund 220 Gäste, die Corona-Abstandsregeln reduzieren
diese Zahl auf 75. Und auch die müssen erstmal kommen.
Ihnen fehlen die Touristen?
Ganz extrem. Im vorigen Jahr zum Beispiel hatten wir sehr viele
Gäste aus Japan, weil unser Braugasthaus in einigen japanischen
Reiseführern als kulinarisches Berlin-Highlight erwähnt wird. Aber
auch auf Gäste aus anderen Ländern werden wir vergeblich warten,
zumal Großveranstaltungen wie das Bergmannstraßenfest in
diesem Jahr ausfallen.
Was erwarten Sie jetzt von der Politik?
Eine wirkliche Hilfe wäre die vollständige oder zumindest anteilige
Erstattung der Betriebskosten.
www.doldenmaedel.de
GARÇON
27
LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage
Michael Mödig, Koch, Caterer, Markthändler
Wochenmarkt am Karl-August-Platz
Berlin-Charlottenburg, 13. Mai 2020
Hallo Herr Mödig, wie geht es Ihnen?
Wenn Sie nach meiner Gesundheit fragen – gut, obwohl ich durch
die Wochenmarkt-Tätigkeit sicher mehr soziale Kontakte habe als
andere Menschen und mit meinen 65 Jahren auch zur sogenannten
Risikogruppe gehöre.
Wie sind Sie bisher durch die Krisenzeit gekommen?
Ich musste in meinem Leben schon einiges hinter mich bringen,
aber diese letzten Monate haben doch das meiste in den Schatten
gestellt. Als im März zwei Cateringfirmen, für die ich seit Jahren
arbeite, keine Aufträge mehr hatten, war auch ich außen vor. Vorbei
war es ebenfalls mit meinem Aushilfsjob in der Kempinski-Küche,
und auch als Privatkoch hatte ich nichts mehr zu tun. Wenn du über
Nacht dermaßen im Regen stehst, kommst du schon ins Grübeln.
Mit welchem Ergebnis?
Wie alle anderen Solo-Selbstständigen habe ich Soforthilfe in
Höhe von 5.000 Euro beantragt und auch innerhalb einer Woche
bekommen. Das hat für den Moment geholfen, konnte aber die Umsatzeinbußen
nicht ausgleichen. Zum Glück waren die Berliner Wochenmärkte
von dem Corona-Lockdown nicht betroffen, deshalb
habe ich mich um zusätzliche Standmöglichkeiten beworben. Das
hat geklappt, und so backe ich meine Flammkuchen nicht mehr nur
samstags, sondern auch mittwochs auf dem Karl-August-Platz.
Zusätzlich stehe ich am Donnerstag auf dem Breslauer und am
Freitag auf dem Rüdesheimer Platz. Außerdem habe ich das Angebot
um Pastéis de nata, eine portugiesische Blätterteigspezialität,
erweitert.
Können Sie damit Ihre Verluste kompensieren?
Nein, bei weitem nicht. Meine Umsatzeinbußen liegen bei 50 bis
60 Prozent, dementsprechend geringer ist auch mein Verdienst.
Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, ob ich damit leben kann, ich bin
gerade dabei, es herauszufinden.
www.pommboula.de
28 GARÇON
Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN
Kornelia Tonitz, Tortendesignerin
Koni Tonitz Tortenatelier
Berlin-Hellersdorf, 2. Juni 2020
Nicht mehr in Friedrichshain, Frau Tonitz?
Nein, ich habe hier in Hellersdorf einen optimalen und bezahlbaren
Ort für mein Tortenatelier gefunden und bin deshalb im September
2019 umgezogen. Und es lief von Anfang an hervorragend – meine
Backkurse waren bestens gebucht, es gab jede Menge Bestellungen
beispielsweise für Hochzeitstorten.
Dann kam Corona.
Am 25. Januar fand mein letzter Kurs statt, Thema Strudelbacken,
dann war Ende Gelände. 30 geplante Kurse danach musste ich absagen,
die meisten Hochzeiten wurden verschoben, also hatte es
sich auch mit den Hochzeitstorten. Eigentlich ging nichts mehr.
Und dann?
Das habe ich mich auch gefragt, nachdem die erste Schockstarre
vorüber war. Was nun? Wie weiter? Ich weiß nicht, ob Sie sich
eine solche Situation vorstellen können – plötzlich ist das ganze
Geschäft auf Null. Keine Kurse, keine Märkte, keine Messen und
Spontan-Aufträge sowieso nicht. Außerdem hatte ich Außenstände
im vierstelligen Bereich, vor allem bei Firmen, bei denen es auch
ums Überleben ging.
Sind die jetzt wenigstens beglichen?
Gott sei Dank, ja. Aber ehrlich, wenn ich meinen Mann und meine
Eltern nicht gehabt hätte, ich hätte mein Unternehmen aufgeben
müssen. Es war wirklich hammerhart, und mir war tagelang nur noch
zum Heulen.
Jetzt können Sie aber schon wieder lachen.
So ein bisschen, richtig befreit noch nicht. Ich gebe wieder Backkurse
– online – als Workshopleiterin des Tempelhofer Online-
Portals Bake Night, die Interessenten direkt bei Bake Night oder
auf meiner Internetseite buchen können. Der Ertrag ist zwar relativ
gering, aber für mich ist das auch Marketing, damit ich nicht in Vergessenheit
gerate.
www.tortendesignerin.com
GARÇON
29
LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage
Thomas Vetter, Inhaber und Küchenchef
Sardinen.Bar
Berlin-Schöneberg, 26. Mai 2020
Seit dem 15. Mai empfängt ihre Sardinenbar wieder Gäste, ist das
Schlimmste überstanden, Herr Vetter?
Schön wär´s, nein, der wirkliche Überlebenskampf beginnt jetzt.
Ist die Situation tatsächlich so dramatisch?
Leider ja, sehen Sie sich um. Ich muss die Zahl meiner Plätze von
40 auf 19 reduzieren, eine Bar, die ich für acht Gäste gebaut hatte,
kann ich nicht nutzen — wegen der Abstandsregelung. Und mit der
50-prozentigen Kapazität die 100-prozentigen Kosten decken, erklären
Sie mir doch mal, wie das gehen soll. Nein, es wird sicher ein
heißer Herbst für uns Kiezgastronomen. Bei mir kommt erschwerend
hinzu, dass ich erst im vierten Geschäftsjahr bin, Rücklagen
also absolute Mangelware sind.
Genügend Gäste haben Sie aber schon?
Ich lebe zu 50 bis 60 Prozent von Stammgästen, die der Sardinenbar
zum Glück die Treue halten. Allerdings, und da spreche ich nicht
nur für mich, wir dürfen nicht vergessen, dass auch unsere Gäste
Einbußen hinnehmen mussten. Kurzarbeit und damit weniger Geld
am Monatsende gab es nicht nur in der Gastronomie. Und wenn Kaufkraft
fehlt, dann merken wir Gastronomen das natürlich zuerst.
Das heißt, optimistisch blicken Sie nicht in die Zukunft.
Was wollen Sie jetzt hören? Ich stecke den Kopf jedenfalls nicht in
den Sand. Ich verzichte auf Investitionen, beispielsweise wäre in
diesem Jahr eine neue Außenbestuhlung dran gewesen, darauf verzichte
ich. Ich versuche, Vereinbarungen zu treffen, um Zahlungsziele
— Miete, Steuern, Energie — zu verlängern. Ich arbeite allein
und bemühe mich trotzdem, ein guter Gastgeber zu sein.
Und wie sehen Sie Ihre Chancen?
Ich kämpfe und sage: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Worauf hoffen Sie, Herr Vetter?
Auf das, worauf alle Berliner Gastronomen hoffen. Auf gutes Wetter,
konsumfreudige Gäste und darauf, dass wieder Touristen kommen.
www.sardinen.bar
30 GARÇON
LOKALTERMIN Restaurant Otto
Das waren noch Zeiten, damals Anfang März. Kein Mensch trug
jenseits seiner Haustür Gesichtsmaske, den Begriff Social Distancing
kannten allenfalls Epidemiologen und von einer Kurve, die
flach gehalten werden sollte, war noch nirgendwo die Rede.
Das Ende Oktober 2019 senkrecht gestartete Restaurant Otto
feierte seine Lunchtime-Premiere mit einer Gemüsesuppe, die
nicht nur dem Magen wärmte. An den Tagen darauf folgten Senfeier,
Spinatspätzle und Wildragout, die Gäste kamen nun auch mittags
in Scharen, das Konzept passte zum Ort und in die Zeit.
Doch dann erfasste das Coronavirus auch Deutschland, die Restaurants
mussten schließen und ein quälend langer Shutdown
bestimmte das Leben. Als endlich Lockerungen möglich wurden,
erklärte Vadim Otto Ursus: „Wir wollen das Restaurant nicht als
einen Kompromiss des ursprünglichen Konzepts wiedereröffnen.“
32 GARÇON
Restaurant Otto LOKALTERMIN
OTTO
GLAS
DIE SPEISEKAMMER EINES SPITZENKOCHS
VON JÖRG TEUSCHER
GARÇON
33
LOKALTERMIN Restaurant Otto
Inhaber Vadim Otto Ursus und Servicechefin Cate Gowers.
Bereits wenige Tage nach der coronabedingten Schließung seines
Restaurants am 15. März entschied der 27-jährige Inhaber
und Küchenchef, den Herd nicht kalt werden zu lassen. Auch die
Mitarbeiter blieben an Bord, entwickelten das Otto-Pantry-Shop-
Konzept, holten Lieferanten ins Boot und produzierten Haltbares:
Bärlauch-Pesto, Koji-Butter, Holunder-Sirup, Leinsamen-Cracker,
Linsen-Eintopf, Wild-Gulasch…
Womit selbst Vadim Otto Ursus, durchaus ein Mann vom Stamm
der Optimisten, nicht gerechnet hatte: Bereits in der ersten Woche
gab es 130 Bestellungen. Neben den eigenen Produkten kamen
auch Kreationen befreundeter Lebensmittelhandwerker aus Berlin
und Brandenburg in das Schaufenster-Regal: Sauerteigbrot vom
Domberger Brot-Werk, Pars-Pralinen von Kristiane Kegelmann,
Kartoffelsalat von Bruno Ebermann.
Wir haben uns durch das Otto-Angebot probiert, unsere Favoriten
auf Seite 35 platziert und mit dem jungen Koch gesprochen.
Wie viele Produkte bieten Sie an?
Etwa 20 bis 25, die Zahl wächst stetig. Allerdings wechselt das Angebot
auch, wenn beispielsweise die Bärlauchzeit vorbei ist, gibt
es eben irgendwann kein Pesto mehr.
Die Reaktion der Leute auf Ihre Offerten war zu Beginn – das haben
wir selbst erlebt – überwältigend. Hat das angehalten?
Ja, hat es, und eigentlich können wir das kaum fassen. Am Anfang,
also Ende März, als wir unseren Pantry-Shop eröffnet hatten, waren
viele einfach nur froh zu sehen, dass hier überhaupt was passiert.
Mittlerweile kommen eine Menge Leute regelmäßig einmal
die Woche, um ihre Lieblingsprodukte zu kaufen.
Ihre finanziellen Verluste durch die Schließung des Restaurants
halten sich also in Grenzen?
Natürlich mussten wir finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, aber wir
können uns ganz gut über Wasser halten. Der größte Verlust war die
– ich nenne es mal – ‚soziale Komponente‘.
34 GARÇON
Restaurant Otto LOKALTERMIN
Kandierte Vogelbeeren: Die Früchte der Gemeinen
Eberesche – wild gesammelt in der Schorfheide –
verlieren durch das Bad in Läuterzucker viel von ihrem
herb-sauren Geschmack und einen Teil ihrer Bitternoten.
Ein Hochgenuss zu Käse, Joghurt oder Vanilleeis.
Brombeerblätter-Tee: Einst probates Hausmittel bei
Bauchweh, verschwand das pektin-, tannin- und vitaminreiche
Getränk irgendwann in der Versenkung, um
nun – am besten kalt getrunken – eine grandiose kulinarische
Wiedererweckung zu feiern.
Holunder-Sirup: Basis sind wilde Holundersträuche
in der Schorfheide, deren Blüten diesem Sirup seinen
besonderen, frühlingsfrischen Geschmack geben.
Bestens für hausgemachte Limonaden geeignet, aber
auch als kleiner Kick zu Schaumwein nicht schlecht.
Was meinen Sie damit?
Wir haben unser Restaurant mit dem Ziel gegründet, einen Ort zu
schaffen, an dem sich nicht nur unsere Gäste, sondern auch wir
selbst wohlfühlen – weil das Essen schmeckt, weil die Atmosphäre
stimmt, weil sich das Otto alle leisten können. Ein Ort der Begegnung
und Kommunikation. Das ging auf. Und das fehlte lange.
Deshalb also keine Wiedereröffnung nach dem Shutdown, kein,
wie Sie sagen‚ Kompromiss des ursprünglichen Konzepts?
Genau. Wenn wir die geforderten Abstandsregeln einhalten, haben
wir Platz für acht Gäste – ein Ort, an dem geteilt wird, Menschen
miteinander reden wollen, Freundschaften gepflegt werden sollen,
kann das natürlich nicht sein. Deshalb gab es eben zuerst neben
unserem Online-Shop nur den Verkauf aus dem Fenster.
Und wie sieht es jetzt aus?
Wir haben die Terrasse geöffnet, es gibt unsere Lunch-Angebote
und natürlich auch die Speisekammer-Offerten.
Wird sich die Gastronomie nach der Coronakrise verändern?
Sie hat sich schon verändert und wird sich meiner Meinung nach
weiter verändern. Ich glaube, dass Fine dining in Zukunft nur noch
eine untergeordnete Rolle spielen wird, dass die Nachfrage nach
immer exaltierteren Kompositionen und immer exklusiverem Service
abnehmen wird. Ich bin mir sicher, dass die Menschen eine
ehrliche Produktküche zukünftig mehr schätzen werden, möglicherweise
sogar bereit sind, für gute, nachhaltige Produkte mehr
Geld auszugeben als für Luxus und Prestige.
RESTAURANT OTTO
Oderberger Straße 56
10435 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel. 030-25 97 71 59
www.otto-pantry.net
Bachsaiblings-Garum: Schon die Römer kannten die
legendäre Würzsauce, die durch Fermentation von
Fischabschnitten und -innereien in Salzlake und Kräutern
entsteht und Dressings, Suppen und Saucen ein
wunderbar tiefes Aroma verleiht.
Jungschaf-Eintopf: Einfach mal eine gute Suppe.
Erstklassige Zutaten aus der Region, natürlich kein
Glutamat, keine künstlichen Aromen und keine Anfälligkeiten
für modische Verirrungen. Das ist perfekte
Gasthausküche à la Otto.
Waldmeister-Kombucha: Das trendige, vor allem
aber gesunde Zeitgeistgetränk in einer besonders
aromastarken Variante aus wildem Waldmeister und
wenig Zucker. Bestens geeignet, um es etwa mit Mineralwasser
oder Prosecco zu mischen.
GARÇON
35
LOKALTERMIN Berlin Food Kollektiv
Dr. Verena Jaeschke, geboren 1983 in Göttingen, wuchs in Berlin
auf, studierte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt
(Oder) und promovierte mit einem kulturgeschichtlichen Thema.
Ihre Familie kaufte 2011 den seit Jahrzehnten leer stehenden
denkmalgeschützten Neorenaissancebau des ehemaligen Stadtbades
in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg und startete
dessen Sanierung sowie den Umbau in ein Hotel.
Verena Jaeschke übernahm die Verantwortung für das Interior-Design
und fungiert seit der Wiedereröffnung des Hauses
– 70 Zimmer, zwei Apartments, 10 Seminarräume, die öffentliche
Schwimmhalle, das angesagte Restaurant Oderberger – als
Hoteldirektorin. Anfang Mai 2020 gehörte die 37-Jährige zu den
Mitgründern des Berlin Food Kollektivs.
www.hotel-oderberger.berlin
Aufbruch zu neuen Ufern
GESPRÄCH MIT DR. VERENA JAESCHKE ZUM PROJEKT BERLIN FOOD KOLLEKTIV
Zuerst mal zu den Fakten: Wann wurde denn das Berlin Food Kollektiv
gegründet, Frau Jaeschke?
Anfang April trafen sich ziemlich spontan einige Berliner Gastgeber,
Gastronomen und Hoteliers, im Hotel Michelberger. Unsere
Betriebe waren geschlossen. Wir wollten die Situation besprechen.
In der Diskussion entstand die Idee, das Berlin Food Kollektiv zu
gründen. Ja, und das haben wir dann auch gemacht, mit dem Wissen,
dass die Antwort auf diese Krise in der Kooperation besteht.
Wer gehört zum Kollektiv?
Gleichgesinnte. Die Hotels Michelberger und Orania, unser Haus,
also das Oderberger, die Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig,
Rutz, Coda Dessert Dining, Horváth, Tim Raue, Tulus Lotrek
sowie das Brlo Brwhouse, Lode & Stijn und das Restaurant Otto.
Was wollen Sie mit diesem Zusammenschluss erreichen?
Ich nenne es lieber Schulterschluss, aber es geht uns nicht um
begriffliche Feinheiten, sondern darum, die kulturelle und soziale
Funktion der Gastronomie in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.
Das klingt, ehrlich gesagt, ziemlich spröde. Worin besteht denn
Ihrer Meinung nach die kulturelle und soziale Funktion der Gastronomie,
Frau Jaeschke?
Darüber könnte ich jetzt lange referieren, aber das ist sicher nicht
in Ihrem Sinne. Sehen Sie, vordergründig geht es erstmal um Versorgung,
um Essen und Trinken, natürlich auch um Genuss. Das
wichtigste Verlangen jedoch ist – so jedenfalls sehe ich das – der
Wunsch nach Geselligkeit, nach Kommunikation, nach einem Miteinander.
Und die Gastronomie bietet Orte, an denen das möglich
ist. Orte der Begegnung eben. Und je mehr Seele diese Orte haben,
desto besser können sie auch diese Funktion erfüllen.
Auch unter den Bedingungen der so genannten ‚neuen Normalität‘,
also Maskenschutz und Abstandsregeln?
Mit Sicherheit. Dieser neue Alltag, die neuen Regeln für Hygiene
und zwischenmenschlichen Umgang erschweren zwar dieses Miteinander,
machen es aber nicht unmöglich. Und außerdem — wir
können doch jetzt nicht sagen – Gastronomie: rien ne va plus. Nein,
wir müssen unsere Arbeit eher neu definieren – mit mehr Umsicht
und einer gewissen Demut. Mit einem neuen Verständnis unserer
Gastgeberrolle. Mit einer größeren Wertschätzung regionaler Produkte,
mit mehr Nachhaltigkeit.
Dafür hat das Berlin Food Kollektiv dann auch eine erste Aktion
gestartet – #facesbehindplaces – wenn ich richtig gelesen habe?
Genau, mit dieser digitalen Aktion sind wir am 6. Mai online gegangen.
Wir haben deutschlandweit Gastronomen eingeladen, auf
ihren Instagram-Kanälen Porträts all der Menschen zu zeigen, die
an einem x-beliebigen Gericht direkt und indirekt beteiligt waren
– Köche, deren Helfer und Lieferanten, Bauern, Gärtner, Fischer,
natürlich auch die Servicemitarbeiter, Spüler usw., eben alle, die im
Ökosystem Gastronomie beschäftigt sind und hinter dem Erlebnis
stehen, das wir unseren Gästen jeden Tag bieten.
Mit welchem Ergebnis?
Es war großartig. Wir konnten mit dieser Aktion zeigen, wer die
Gastronomie zu dem macht, was sie ist.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Jaeschke.
36 GARÇON
Nahrhaft & schön
Das Paradies vor der Haustür!
Illustration: Martin Rümmele
Entdecken Sie die Brandenburger Hofläden!
brandenburger-hoflaeden.de
gefördert durch
Natürlich Brandenburg – pro agro
Brandenburger Landpartie
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pro agro e.V.
EUROPÄISCHE UNION
Europäischer Landwirtschaftsfonds
für die Entwicklung des
ländlichen Raums
EUROPÄISCHE UNION
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ländlichen Raums
LOKALTERMIN LimaLima
CUCINA NAPOLITANA IM SCHILLERKIEZ
VON UWE AHRENS UND JÖRG TEUSCHER
Es kamen schon Leute ins LimaLima, die
nach Anticuchos de corazón oder Suspiros
de Limeña fragten und bitter enttäuscht
waren, dass hier weder Kalbsherzspieße
noch Milchkaramellcreme und auch keine
anderen Klassiker der peruanischen Küche
serviert werden.
Aber mal ehrlich, hätten Sie geahnt, dass
LimaLima nichts mit der südamerikanischen
Hauptstadt zu tun hat, sondern dass es sich
dabei um eine sogenannte Feilenmuschel
handelt?
Sie lebt im Atlantischen und Indischen
Ozean, im Roten und im Mittelmeer, meist
unter Steinen oder Korallen und wurde
1758 von Carl von Linné entdeckt und beschrieben.
Als der Koch Rosario De Paola beim
Tauchen im Golf von Neapel ein Exemplar
der aussergewöhnlichen Muschelart fand,
war er dermaßen begeistert, dass er sein
erstes Restaurant im sardischen Cagliari
nach ihr benannte.
Jahre später kam De Paola mit seiner
Partnerin Daniela Schaube nach Berlin, im
Gepäck auch die Muschel. Die beiden Gastronomen
eröffneten im Charlottenburger
Schillerkiez ein Restaurant – klar, dass der
Name auf der Hand lag.
38 GARÇON
LimaLima LOKALTERMIN
LimaLima-Inhaber Daniela Schaube und Rosario De Paola.
Ja, es gibt sie mittlerweile in Berlin, diese Zwischenorte, wo man
sich auf ein Glas Wein und ein paar Vorspeisenkleinigkeiten treffen
und auf wunderbare Art die Zeit bis zum Abendessen dahinziehen
lassen kann.
In Charlottenburg geschieht das immer öfter im LimaLima. Direkt
an der Kreuzung Schlüterstraße/Goethestraße haben Daniela
Schaube und Rosario de Paola einen feinen Allzeit-Treffpunkt
etabliert, einen wirklich heißen Tipp für Menschen, die dem Leben
gerne ein paar Besonderheiten abringen wollen.
Die drei stärksten Faktoren an diesem winzigen, gemütlichen
Lokal mit dem muscheligen Namen: das mediterran luzide Ambiente
des Raumes, seine bis zur Decke reichenden maritimen
Dekorationen (einschließlich eines originalen Exemplares der
namensgebenden Feilenmuschel) und die von urbanen Strömen
dieser Gegend umflossene Terrasse. Und natürlich Daniela und
Maestro Rosario.
Sie, eine ruhige, sympathische Frau, die schon ein bisschen rumgekommen
ist in der Welt, managt den Service im LimaLima und
ist zuständig für die Auswahl der Weine. Die 55-Jährige stammt
aus Altenkunstadt, einem 5.400-Einwohner-Ort in der oberfränkischen
Provinz. Nach dem Abitur besuchte sie ihren Vater, einen
Bundeswehroffizier, der auf Sardinien stationiert war – und blieb.
Sie lernte italienisch und studierte an der Universität von Cagliari
Sprachen und Literatur. Auf der Suche nach einem Nebenjob
landete sie in einem Restaurant namens LimaLima, lernte den jungen
Küchenchef kennen und – wie das Leben so spielt – aus der
schönen Fränkin und dem feschen Neapolitaner wurde ein Paar.
Einige Jahre führten Daniela Schaube und Rosario de Paola
– sie hatte inzwischen auch ein Ausbildung im Hotelfach absolviert
– das Lokal in der sardischen Hauptstadt Cagliari gemeinsam.
2015 schließlich die Übersiedlung nach Berlin und die
Eröffnung des LimaLima hier.
GARÇON
39
LOKALTERMIN LimaLima
Sehen Sie, viele sind der Meinung, dass die neapolitanische
Küche ausschließlich aus Pizza und Pasta besteht. Sicher
sind Pizza Napoletana und Spaghetti Napoli weltweit
bekannte Gerichte, aber sie sind eben längst nicht alles. Es
gibt unzählige traditionelle Fisch- , Fleisch- und Gemüsezubereitungen,
die ebenso Teil unserer kulinarischen Kultur
sind wie Pizza und Pasta.
Wenn Sie sich intensiver mit der neapolitanischen Küche
beschäftigen, werden sie auf einige interessante historische
Aspekte stoßen — so zum Beispiel, dass man bereits in der
Antike in und um Neapel vielfältiger gekocht hat als etwa
in Rom oder, dass mit dem Liber de Coquina das erste
italienische Kochbuch überhaupt im 14. Jahrhundert am
neapolitanischen Hof entstand.
Es gibt Gäste, die bezeichnen unser Restaurant LimaLima
als Paradies der neapolitanischen Küche in Berlin. Natürlich
sind wir stolz auf dieses Lob, obwohl wir weiter nichts tun
als Gerichte zuzubereiten, die den Gast erreichen. Heute gibt
es dafür das Schlagwort Feel Good Food — ich nenne es eine
langsam und sorgfältig gekochte, den klassischen Tugenden
treue Küche.
40 GARÇON
Neapel ist schön und hässlich, romantisch
und chaotisch, freundlich und aggressiv. Neapel
fasziniert und Neapel schreckt ab. Nach
Neapel? Dio mio! – warnen die Einen. Die Anderen
empfehlen euphorisch eine Fahrt mit
der Circumvesuviana, einer Bahn, die den Vesuv
umrundet oder einen Spaziergang durch
die malerischen Altstadtgassen. In einem
sind sich die 960.000 Einwohner der kampanischen
Hauptstadt allerdings einig: Die
neapolitanische Küche ist die beste in ganz
Italien, wenn nicht sogar in der Welt.
Rosario De Paola hält sich mit solcherart
Hymnen zurück, er serviert lieber seine
Klassiker und überlässt den Gästen das
Urteil. Da sind zum Beispiel Polpo alla Luciana,
in Weißwein gedünsteter Oktopus
mit Tomatensauce, gehackten Oliven und
Kapern (Teller oben), benannt nach dem
Stadtteil Santa Lucia in Neapel; Salsiccia
alla Napoletana, eine würzige Bratwurst,
die traditionell mit Friarielli, einer besonderen
Art Stängelkohl serviert wird (Teller
unten) oder eben Ravioli con asparagi, mit
grünem Spargel gefüllte Teigtaschen (Teller
Mitte) – kräftig, schlicht, geschmacklich
harmonisch.
Und weiter geht’s – auf Seite 42.
GARÇON
41
Außer den vegetarischen Grünspargel-Ravioli
offeriert De Paola weitere Veggi-Gerichte:
Ravioli mit Steinpilzfüllung in Knoblauch-
Basilikum-Butter, Ravioli mit Auberginen-Ziegenkäse-Füllung
in Tomatensauce, Gnocchi
all Sorrentina, Gnocchi all´Amalfitana und
– natürlich – Parmigiana di Melanzane, den
berühmten Auberginenauflauf, um dessen
Urheberschaft man sich in Italiens Süden
immer mal wieder heftig streitet. Für jeden
echten Neapolitaner ist die Herkunft des
Gerichts natürlich sonnenklar: Sowas kann
nur die Cucina Napolitana. Und basta!
Gleiches gilt für die Pasta-Gerichte – etwa
für Maltagliati al Ragù Napoletano (Teller
oben) oder für Paccheria alla Genovese (Teller
Mitte). In beiden Fällen bringt De Paola
die Teigwarenspezialitäten mit (unterschiedlich
zubereiteten) würzigen Fleischsaucen
auf die Teller, und die ohnehin äußerst italominded
Berliner jubeln: Buono! Buonissimo!
Auch wir sagen bravo – was der Küchenchef
da macht, hat Stil und jede Menge Traditionsfeeling
und ist Versprechen und Erfüllung
zugleich. Erfüllung jetzt, Vorfreude
auf das, was noch kommt – etwa Spaghetti
alla Marinada (Teller unten) mit Sardellen,
Kirschtomaten, Kapern und Oliven.
42 GARÇON
GTS
Großküchentechnik &
Service GmbH
Planung
Montage
Kundendienst
Notdienst
Das Gros der Weine, die Daniela Schaube mit viel Sachverstand empfiehlt, stammt
direkt von italienischen Produzenten: Apulien, Friaul, Sardinien, Sizilien, Toskana,
Umbrien, Venetien. Und Kampanien? „Obwohl die Region auf eine lange Weinbautradition
zurückblicken kann“, sagt sie, „fehlt vielen Winzern noch der Sinn für den qualitätsorientierten
Weinbau.“ Dennoch — einige Gewächse hat sie gefunden, die ihren
Ansprüchen genügen. „Der rote Irpina Aglianico und der weiße Greco di Tufo von den
Mastroberardinos kommen bei den Berlinern gut an“, so Daniela Schaube. Einen Treffer
hat die Gastronomin auch mit dem fränkischen Leikeim-Bier gelandet. „Irgendwas
muss im LimaLima ja auch aus meiner Heimat kommen“, kommentiert sie die Offerte.
Ihr zuverlässiger Partner für:
Kochgruppen, Herde, Kombidämpfer,
Bratplatten, Kochkessel, Fritteusen u.v.m.
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Schlüterstraße 74
10625 Berlin-Charlottenburg
Tel. 0172 – 312 24 62
www.lima-lima.de
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10435 Berlin
Tel.: 030 - 440 540 48
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LOKALTERMIN LOWKAL
Nische mit Zukunft
LOW CARB IM WILMERSDORFER LOWKAL
VON JÖRG TEUSCHER
Lowkal-Inhaber Nadja Müller und Jens Bernert.
44 GARÇON
LOWKAL LOKALTERMIN
„Kohlenhydrate, also Zucker-, Stärke- und Cellulosestoffe, sind für den
menschlichen Körper ausschließlich Energielieferanten. Werden diese
Kohlenhydrate nicht sofort benötigt, landen sie automatisch auf den
Hüften. Deshalb favorisieren wir das Low-Carb-Ernährungskonzept,
bei dem Kohlenhydrate in unseren Gerichten reduziert werden. Kohlenhydratreiche
Lebensmittel wie Kartoffeln, Nudeln und Reis haben
wir aus unserer Küche verbannt, ebenso den allgegenwärtigen Haushaltszucker.
Fruchtzucker und Ballaststoffe eliminieren wir natürlich
nicht aus den Speisen, denn unsere Devise heißt, ‚low‘ und nicht ‚no‘.“
Nadja Müller
Nadja Müller weiß, wovon sie spricht. Die 32-jährige Berlinerin
hat in Leipzig den Bachelor in Ernährungsberatung gemacht und
in Saarbrücken den Master in Gesundheitsmanagement.
Vor ziemlich genau drei Jahren eröffnete sie mit Jens Bernert,
40, gebürtiger Thüringer, Diätkoch, Küchenmeister und ebenfalls
Low-Carb-Spezialist, das Wilmersdorfer Lowkal. Der Titel „1. Berliner
Low-Carb-Restaurant“ dürfte allerdings Tim Raue gebühren, aber
immerhin sind Nadja Müller und Jens Bernert da in bester Gesellschaft
− doch das nur am Rande.
In der an gastronomischen Ereignissen eher öden Pfalzburger
Straße tut es gut, ein modernes, kulinarisch ambitioniertes
Lokal vorzufinden, das zudem auch mittags geöffnet ist. Bernerts
Kochstil ist erfrischend klassisch geprägt, die Gerichte geschmacklich
fein abgestimmt und fern jeglicher Art von Verzichtküche.
„Leichter und gesünder essen, hat mit Verzicht nichts zu
tun“, erklärt Nadja Müller, die höchst kompetent den Service leitet.
GARÇON
45
LOKALTERMIN LOWKAL
Jens Bernert, vor seiner Berliner Zeit im Seehotel Zeuthen und im
Motzener Residenzhotel am Herd, hat eine Menge Geduld und Zeit
investiert, um der Low-Carb-Küche jene Besonderheiten abzuringen,
die wirklich schmecken und nicht nur kurios klingen.
Paradebeispiel sind seine in Rapsöl frittierten Kohlrabispalten,
die die meisten Pommes frites locker in den Schatten stellen. Um sie
allerdings so hinzukriegen, dass Gäste dieses Urteil fällen können,
bedurfte es schon einer längeren Testphase. „Man muss den Kohlrabi
vor dem Frittieren zuerst blanchieren und mit Kichererbsenmehl
bestreuen“, so der Lowkal-Küchenchef, „dann gelingen die Kohlrabi-
Pommes bestens.“ Übrigens: Bernert zaubert aus Kohlrabi auch einen
geschmacksstarken Salat − „falschen Kartoffelsalat“ − der solche Art
Entschuldigung aber wirklich nicht nötig hat. Ebensowenig wie die gebratenen
Steckrübenscheiben, die er „falsche Bratkartoffeln“ nennt.
Auf Fleisch und Fisch wird im Wilmersdorfer Lowkal nicht verzichtet.
Wir probierten gebratene Kalbsleber mit Selleriepüree, marinierten
roten Zwiebeln und Apfelchutney; eine perfekt gegarte Spreewälder
Rinderbrust mit Bohnenpüree, Brokkoli und Meerrettichsauce sowie
Seelachs mit Tomaten-Kapernsauce und Schinkenchips − das alles ist
deftig-köstliche Küche, bürgerlich-gediegen, dann und wann mit asiatischen
oder mediterranen Einsprengseln.
Die Mittagsofferten wechseln täglich, die Abendkarte wird viermal
im Jahr neu geschrieben. Lediglich Bernerts American Cheesecake
− der Boden besteht aus Mandelmehl und Kokosflocken, gesüßt wird
mit Birkenzucker − ist eine feste Größe im Lowkal.
LOWKAL
Pfalzburger Straße 72 A
10719 Berlin-Wilmersdorf
Tel. 030 – 88 72 08 36
www.lowkal.berlin
46 GARÇON
LOWKAL LOKALTERMIN
Spargelsuppe mit Mandelsplittern.
Spare Ribs mit Barbecue-Sauce
und Kohlrabi-Pommes.
American Cheesecake mit Kirschragout.
GARÇON
47
Berliner Teller
SERVIERT IM RUTZ ZOLLHAUS
Die erste Rutz-Zollhaus-Speisekarte nach dem Neustart des Traditionsrestaurants
beginnt mit sechs Vorneweg-Offerten, die den
Asia-Mainstream links liegen lassen und weitgehend auf heimische
Produkte setzen. Respektabel die Neuköllner Blutwurst,
nicht von schlechten Eltern auch der Königsberger Klops. Begeistert
hat uns das Karotten-Tatar, und gar hingerissen waren wir
vom Saiblings-Ceviche (Foto). Zum feinsäuerlichen Müritzsaibling
als Ceviche und der getrockneten und frittierten Fischhaut
als Streu arrangierte Küchenchef Florian Mennicken gebratenen
Romanasalat sowie die koriandergrüne Ceviche-Marinade und
eine intensiv tomatige Sauce Choron. Unser Berliner Teller!
48 GARÇON
Berliner Teller LOKALTERMIN
Auf den ersten Blick sieht man dem Zollhaus am Kreuzberger
Carl-Herz-Ufer den Betreiberwechsel nicht an – zumindest nicht
am Tage. Lediglich die wahrscheinlich schon jahrzehntealte Kindl-
Werbung ist überklebt – anstelle des Industriebieres gibt es jetzt das
handwerklich gebraute Rollberg. Und auf dem ebenso betagten Zollhaus-Schild
wurde eine Rutz-Leuchtschrift installiert, die allerdings
erst abends den Hinweis darauf gibt, wer hier jetzt das Sagen hat.
Ein junges Serviceteam agiert betont umsichtig und mit jener
natürlichen Freundlichkeit, die sich Gäste wünschen. An der Spitze
der Brigade: Hendrik Canis. Der 51-Jährige, der nicht nur wegen
der äußerlichen Ähnlichkeit ein perfektes Matt-Damon-Double abgeben
würde (Canis hat auch mal an der Ernst-Busch-Hochschule
studiert), ist ein guter alter Bekannter. Geboren in Weimar, aufgewachsen
in Berlin, wechselte er nach der Schauspielausbildung
ins Restaurantfach, entdeckte schnell seine Liebe zum Wein und
begann, sich gründlich mit dieser Materie zu beschäftigen.
Canis arbeitete als Sommelier auf den Kreuzfahrtschiffen MS Arkona
und MS Deutschland, wechselte 1997 in das neu eröffnete
VAU am Gendarmenmarkt und später ins Rutz. Als er Ende 2008
mit dem Gasthaus Spindel in der Friedrichshagener Bölschestraße
ein eigenes Projekt an den Start brachte, gehörte Hendrik Canis
längst zur deutschen Sommelierelite.
„Er ist ein Weindetektiv, der in der Szene so einflussreich ist,
dass mancher deutsche Top-Winzer für ihn spezielle Abfüllungen
reserviert“, notiert der Gault-Millau bereits 2007. Das Lob ist auch
13 Jahre später kein bisschen verblasst, ganz im Gegenteil.
Die heimischen Gewächse liegen ihm besonders am Herzen –
dementsprechend dominieren auch die deutschen Anbaugebiete
seine Weinkarte im Rutz Zollhaus. An die Spitze hat er Saale-Unstrut
gesetzt. „Heimat bleibt Heimat“, kommentiert der Thüringer
lächelnd und serviert uns einen Grauburgunder Breitengrad 51 von
André Zahn aus Bad Sulza…
Gastgeber Hendrik Canis.
GARÇON
49
GESCHMACKSSACHEN Berliner Teller
Ess-Zimmer:
Das Design ist zwar schlicht, wirkt aber
wohnzimmergemütlich: Ein edles Lichtgrau
dominiert, dazu eichene Tischplatten
und Sessel, die bei einer Wahl des bestbestuhlten
Berliner Restaurants gute Chancen
hätten, so bequem, wie man hier sitzt.
In memoriam Lars Rutz. Der Mitbegründer
der Weinbar Rutz in der Chausseestraße
und bis zu seinem Tod 2003 deren Chefsommelier,
ist nun auch Namensgeber des
Rutz Zollhauses. Und er hätte sicher seine
helle Freude an diesem gastlichen Ort.
1988 hatte Herbert Beltle das Haus am
Landwehrkanal übernommen, es später
gekauft und im vorigen Jahr, inzwischen
62-jährig, neue Betreiber gesucht. Er fand sie
in den erfolgreichen Weinhändlern und Gastronomen
(Rutz, Rutz Weinbar, SchmidtZ &
Ko.) Anja und Carsten Schmidt.
Gemeinsam plante man den radikalen
Umbau der Küche und die behutsame Renovierung
der Gasträume zu ebener Erde
Bar-Hocker:
Noch darf hier (coronabedingt) keiner
hocken, aber die acht roten Thonet-Barstühle,
die demnächst geliefert werden,
dürften wohl schon bald die gefragtesten
Zollhaus-Plätze unter den Tom-Dixon-
Hängeleuchten sein. Jede Wette.
50 GARÇON
Berliner Teller LOKALTERMIN
Küchenchefs: Florian Mennicken und Günter Beyer, v. re.
Doppel-Spitze:
Zuständig für die À-la-carte-Offerten ist
der 33-jährige Belgier Florian Mennicken,
zuletzt Souschef im Restaurant
Slate am Monbijouplatz; das Bankett-Geschäft
verantwortet Günter Beyer, 59 und
Zollhaus-Urgestein.
sowie unterm Dach – sicher keine ganz
konfliktfreie Angelegenheit, aber wenn
man sich lange kennt und schätzt, einigt
man sich auch schnell.
Neben der edlen Bar und den blickfangenden
Weinklimaschränken, die eigens
für das Rutz Zollhaus gebaut wurden, fasziniert
vor allem die neue Küche. Florian
Mennicken, der neue Küchenchef, nennt
sie „einen Arbeitsplatz der Superlative“.
Sein fürs Bankett zuständiger Partner Günter
Beyer, seit 1996 im Zollhaus am Herd,
pflichtet ihm bei: „Besser geht’s nicht.“
Und irgendwo meint man den Geschäftsführenden
Rutz-Küchendirektor Marco Müller
still lächeln zu sehen…
RUTZ ZOLLHAUS
Carl-Herz-Ufer 30
10961 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 - 692 33 00
www.rutz-zollhaus.de
Zuständig für Vor- und Süßspeisen: Charlotte Mesikow.
GARÇON
51
GESCHMACKSSACHEN Zimtschnecke
„Heart of Sweden for me“
LOBLIED AUF EINE ZIMTSCHNECKE
Ehrlich gesagt, ein bisschen neidisch bin ich schon. Da entdeckt
eine Veggi-Bloggerin – „Hi, I am Yoli“ – die veganen Zimtschnecken
von Beumer&Lutum: Klick, ein Selfie mit Freundin und den Objekten
der süßen Begierde, ein bisschen Amazing-Gefühl und die
Bemerkung „Heart of Sweden for me“ ins smarte Mikrofon geflötet
– und klick, klick, klick – die Zahl derer, die mit Yoli einer Meinung
sind, ist schnell größer als die Auflage unseres Magazins. So läuft
eben die gesellschaftliche Kommunikation heutzutage – nicht immer,
aber meistens und nicht überall, aber vielerorts.
Wir machen uns, ganz old school, auf den Weg um nachzuschauen,
was es mit dieser hoch gelobten Zimtschnecke tatsächlich auf
sich hat. Die Bio-Bäckerei Beumer&Lutum befindet sich in einem
Neuköllner Gewerbegebiet an der Naumburger Straße. Es ist 6.00 Uhr
morgens und Bäckermeister Joachim Grunzke erwartet uns schon.
52 GARÇON
Zimtschnecke GESCHMACKSSACHEN
Bäckermeister Joachim Grunzke.
Deutschland ist nun nicht gerade das erste Land für Zimtschnecken,
das weiß natürlich auch Meister Grunzke. Der 62-Jährige ist
seit zehn Jahren bei Beumer&Lutum für die Feinbackwaren verantwortlich,
wozu neben Puddingbrezeln, Franz- und Splitterbrötchen
auch Streusel- und eben Zimtschnecken gehören.
Zu Hause ist das süße Gebäck eher in Skandinavien — in Dänemark
etwa, wo es zum Standardangebot selbst der kleinsten
Dorfbäckerei gehört oder in Schweden, wo ihm sogar ein Ehrentag
gestiftet wurde (Seit 1999 wird zwischen Malmö, Stockholm
und Kiruna der 4. Oktober als Kanelbullens dag, als Tag der Zimtschnecke
gefeiert.).
„So weit sind wir natürlich noch nicht“, lacht Joachim Grunzke,
„aber auf dem Vormarsch ist die Zimtschnecke natürlich auch bei
uns.“ Der erfahrene Meister und sein Helfer Christian Steinke backen
täglich immerhin über 800 Stück. „Das ist doch schon mal eine
Hausnummer“, so Grunzke.
Die Beumer-&-Lutum-Zimtschnecken bestehen aus Dinkelvollkornteig,
der nach dreistündiger Teigruhe zu Platten gewalzt wird. Die
wiederum werden ausgerollt und mit einer cremigen Masse aus
Pflanzenmargarine (vegan!), Rohrzucker und Zimt (cuminarmer
Ceylon-Zimt!) bestrichen und dann eng gerollt. Es entsteht eine
dicke Wurst, die in der Bäckersprache „Länge“ heißt und die Meister
Grunzke mit Augenmaß in Streifen schneidet. Dann geht´s ab in
den Ofen. Fertig gebacken, werden die Schnecken noch mit heißer
Aprikosenkonfitüre „abgeglänzt“. Voilà!
BEUMER&LUTUM
Körtestraße 36
10967 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 – 691 72 64
www.beumer-lutum.de
GARÇON
53
www.dieter-fuhrmann.de
Coco & Co. GESCHMACKSSACHEN
COCO & CO.
PROBIERT IN DER PATISSERIE GIL AVNON
VON JÖRG TEUSCHER
GARÇON
55
GESCHMACKSSACHEN Coco & Co.
Konditormeister Gil Avnon.
„Sie treffen sich täglich um viertel nach drei am Stammtisch im Eck‘
in der Konditorei und blasen zum Sturm auf das Kuchenbüfett, auf
Schwarzwälder Kirsch und auf Sahnebaiser...“ – als 1976 der Berliner
Kabarettist Eckart Hachfeld diese Zeilen reimte und Udo Jürgens zwei
Jahre später daraus einen Hit machte, war die Krise der wirtschaftswunderlichen
Fettlebe schon im vollen Gange. Buttercreme- und Marzipantorten
kamen auf den Index und der Beruf des Konditors oder
Patissiers geriet gar in den Ruf, gesundheitsgefährdend zu sein.
Das ist, Gott sei Dank, nur noch kulinarische Geschichte. Bei Berlins
aktuellen Spitzenpatissiers – etwa René Frank, Anna Plagens
oder Thomas Yoshida – taucht Omas Buttercremetorte höchstens
noch als dekonstruiertes Zitat auf, Zucker wird wie ein Gewürz behandelt
und Fertigprodukte sind ohnehin tabu.
Keine Frage, auch Gil Avnon ist in dieser Liga angesiedelt. Der
50-jährige Berliner mit jüdischen Wurzeln (deshalb Gil auch mit G,
also hebräisch ausgesprochen), lernte sein Handwerk in der Tradi-
56 GARÇON
Coco & Co. GESCHMACKSSACHEN
tionskonditorei Genenz, anschließend folgten Stationen in internationalen
Top-Hotels: Dolder Grand Zürich, Dorchester London,
Raffles Plaza Singapur, Kempinski Heiligendamm. Im Jahr 2000
erwarb er den Meistertitel, Anfang Oktober 2019 eröffnete er seine
Patisserie in der Schlüterstraße.
Wir probieren Avnons subtile Kreationen: Florentiner Apfeltörtchen,
Berliner Kranz, Limettentarte, Black-Forest-Schnitte – und immer
macht es peng im Mund. Keine Frage, mit dem Meisterkonditor
hat die süße Revolution nun auch Charlottenburg erreicht.
PATISSERIE GIL AVNON
Schlüterstraße 71
10625 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 — 28 65 45 13
www.patisserie-avnon.de
Konditorin Celina Käbisch.
GARÇON
57
GESCHMACKSSACHEN Crema di Nocciola
Anaïs Causse, 40, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an
der Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,
merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr
Ding ist. Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und
einer möglichen akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-
Lindner an und absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.
2003 stieg sie in das Feinkostgeschäfts ihres Vaters ein.
2014 folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den
Onlineshop, aus „Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“
– ein Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem
nach Frankreich pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den
ersten Adressen der Branche in Berlin zählt.
Für Garcon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten
Spezereien und deren Produzenten.
CREMA DI NOCCIOLA,
PER FAVORE
VON ANAÏS CAUSSE
Gibt es Glück im Glas? Ich behaupte: Ja! Das Glas kommt zwar relativ
unglamourös daher, sein Inhalt ist allerdings dermaßen köstlich,
dass er weit und breit seines Gleichen sucht: die Crema Nocciola des
Piemonteser Haselnuss-Zauberers Josè Noè von Papa dei Boschi.
Also: Vergessen Sie Nutella, Nusskati oder Nussetti und erst
recht die extrem flüssige Nutwave von Attila Hildmann, die zudem
noch sündhaft teuer ist – Josè Noès Crema ist die Nuss-Nugat-
Creme par excellence. Und wenn Sie mir nicht glauben sollten,
lesen Sie Thomas Platts Notizen zu seinem Nuss-Nugat-Creme-
Test (Tagespiegel, 16. Februar 2019), er bestätigt meine Behauptung
voll und ganz. „Papa dei Boschi Crema di Nocciola“, schreibt
er, „ist ein Süßwerk, das einen alle Konkurrenz augenblicklich
vergessen lässt.“
Kein Wunder – andere Nuss-Nugat-Cremes enthalten 13 bis 45
Prozent Haselnüsse, die meisten außerdem noch Palmöl und Milchpulver.
Die Crema di Nocciola dagegen besteht aus lediglich vier
Zutaten: sagenhaften 55 Prozent gerösteten Haselnüssen, Magerkakaopulver,
Rohrohrzucker und Bourbonvanille, alles perfekt aufeinander
abgestimmt. Man riecht und schmeckt das wunderbare
58 GARÇON
Crema di Nocciola GESCHMACKSSACHEN
Haselnussplantagen in der Provinz Cuneo im südlichen Piemont.
Aroma der gerösteten Haselnüsse, gleichzeitig ist die Crema aber
auch sagenhaft schokoladig, ohne dabei süß zu wirken. Die dezent
eingesetzte Bourbonvanille rundet das Ganze elegant ab.
Das Geheimnis dieser Creme sind die Haselnüsse – Nocciole Piemonte
I.G.P. – auch bekannt als Tonda Gentile delle Langhe. Es sind
Haselnüsse, die im Piemont angebaut werden und unter Kennern als
die besten weltweit gelten. Der Name übrigens bedeutet soviel wie
„Die nette Runde aus der Langhe“, weil die Kerne so schön rund sind.
Übrigens: Ich lerne seit Mitte Januar mittels einer großartigen
Tandem-App, die Sprachschüler weltweit verknüpft und die ich
wärmstens empfehlen kann, italienisch. Für diesen Artikel konnte
ich das bisher Gelernte praktisch anwenden und mich mit Josè Noès
Frau Marina problemlos über den Haselnussanbau in der Langhe
und die Herstellung der Crema di Nocciola unterhalten.
Die Azienda agricola, die Marina und Josè Noè gemeinsam mit
drei Mitarbeitern in dritter Generation bewirtschaften, liegt im südlichen
Piemont in einer Gegend, die wegen ihrer Höhenlage und des
relativ rauen Klimas perfekt für den Haselnussanbau geeignet ist.
Ende August beginnt die Erntezeit, immer und immer wieder wird
die Qualität der Nüsse geprüft, Josè Noè überlässt nichts dem Zufall;
„perfetto“, das ist für den Landwirt das Einzige, das zählt.
Die gesammelten Nüsse trocknen auf dem großen Hof in der
Sonne, geknackt und geröstet werden sie erst, wenn eine Bestellung
eingeht. Die Röstung erfolgt nur in kleinen Chargen und bei schonenden
150 Grad Celsius. Anschließend werden sie rasch wieder auf 20
Grad heruntergekühlt. So bleiben sie länger frisch und behalten – in
Vakuumbeuteln verpackt – über Monate ihr feines Aroma.
Noès Haselnüsse sind zum Kochen und Backen wunderbar geeignet
und passen hervorragend zu vielen Käsesorten. Eine ganz
besondere Verwendung verriet mir die Berliner Autorin Ursula Heinzelmann:
Crostini mit Lardo und gehackten Haselnüssen!
Als Haselnussmus sind sie sowohl Grundlage für ein sagenhaftes
Haselnusseis als auch ein ausgezeichneter Saucenbinder, der jedes
Gericht mit seinem dezenten Nussaroma adelt.
Die schokoladige Crema di Nocciola schmeckt köstlich auf Brot,
Crêpes oder Waffeln und zu Obst jeder Art. Oder eben einfach mit
dem Löffel aus dem Glas – mmh, che buono.
Haselnussbauer Josè Noè.
MAÎTRE PHILIPPE ET FILLES
Emser Straße 42
10719 Berlin-Wilmersdorf
Tel. 030 — 88 68 36 10
www.maitrephilippe.de
GARÇON
59
GESCHMACKSSACHEN Nihon Mono
Die gebürtige Niedersächsin Dagmar Maas studierte Betriebswirtschaftslehre
und startete ihre berufliche Karriere als Unternehmensberaterin.
Während sie tagsüber internationale Teams
coachte, drückte die genussfreudige Managerin abends selbst
die Schulbank des Wine and Spirit Education Trusts (WSET).
2011 ging sie mit ihrer Familie nach Japan und begann, sich
das weite Feld der japanischen Kulinarik zu erschließen. In Tokio
besuchte sie die renommierte Kochschule von Elizabeth Andoh
und war als Assistentin der weltweit bekannten Kochbuchautorin
tätig. Zudem absolvierte sie eine Lehre zur Sake-Sommelière und
wurde danach vom WSET als Sake-Ausbilderin zertifiziert.
Nach der Rückkehr der Familie nach Berlin machte die Mutter
dreier Töchter ihre kulinarischen Kenntnisse zum Beruf. Dagmar
Maas eröffnete in der Potsdamer Straße eine japanische Genusswerkstatt.
Für Garcon arbeitet sie als Autorin und schreibt regelmäßig
über das kulinarische Japan.
KATSUSHI OOCHI:
DER JAPANISCHE GEGENBAUER
VON DAGMAR MAAS
Kulinarisch gesehen kann ich mein Leben wohl grob in die Zeit vor
und nach Japan einteilen. Vor Japan war Reisessig nichts, worüber
ich mir viele Gedanken gemacht habe, nichts, auf das ich besonderen
Wert gelegt hätte. Zu selten habe ich ihn benutzt. Nur hier und
da hat mal ein Rezept nach einer vergleichsweise geringen Menge
verlangt, die nicht ausreichte, um mich näher mit diesem Produkt
zu beschäftigen. Außerdem gab es auch keine große Auswahl, die
mich animiert hätte, es doch zu tun.
Bei Balsamico übrigens war das anders. Große Auswahl und
große Unterschiede in Qualität und Preis, die einen veranlassen,
das Warum näher zu erkunden.
Mein Interesse für Reisessig änderte sich schlagartig, als ich
vor einiger Zeit Katsushi Oochi kennenlernte, einen der renommiertesten
Essigbrauer Japans und in Asien genauso bekannt wie der
Österreicher Erwin Gegenbauer in Europa. Oochis Familie stellt seit
fast 100 Jahren Reisessig her – nicht den, den ich aus deutschen
Asia-Märkten kenne, sondern einen – der voll mit Umami – einem
das Wasser im Munde zusammen laufen lässt.
60 GARÇON
Nihon Mono GESCHMACKSSACHEN
Für einen Japaner untypisch hochgewachsen, empfing mich Katsushi
Oochi mit einladendem Lächeln in seiner Manufaktur, die sich
– abseits der großen Straßen – in den grünen, dicht bewachsenen
Hügeln oberhalb der lauten Millionenstadt Hiroshima befindet.
Stolz zeigte er mir die Tanks, in denen bei Wind und Wetter monatelang
sein berühmter Essig reift, der – wie die Produkte des
Wiener Essigbrauers Erwin Gegenbauer auch – zum selbstverständlichen
Must-have asiatischer Spitzenrestaurants gehört.
Der Stolz wuchs noch als er mich zu seiner Quelle führte. Das
klare, kühle Wasser, das hier aus der Erde sprudelt, hat keinen weiten
Weg hinter sich, kaum Mineralien aus dem Gestein gelöst und
ist superweich. Nicht zufällig wird neben dieser Quelle Essig produziert,
sondern diese Quelle war der bestimmende Faktor bei der
Standortwahl für die Essigbrauerei.
Neben dem weichen Wasser ist der berühmte Akita-Komachi-Reis
– eine der geschmacksstärksten Reissorten weltweit – die zweite
Die Ernte des edlen Akita-Komachi-Reises ist Handarbeit...
schmilzt und die Körner des frisch gekochten Reises umschließt
– dann kann ich nur sagen: ein Gedicht.
Washoku nennen die Japaner die Harmonie einer Speise.
Washoku hält dazu an, bei ihrer Zubereitung den natürlichen Eigengeschmack
der Produkte in den Mittelpunkt zu stellen, ihn zu
unterstreichen. Reisessig, eines der ältesten Würzmittel in der japanischen
Küche, ist dafür essentiell. Deshalb zielt mein Plädoyer
darauf, Kome-su – so sein japanischer Name – auch hierzulande
kulinarisch mehr Bedeutung beizumessen.
NIHON MONO
Essigbrauer Katsushi Oochi.
Potsdamer Straße 91
10785 Berlin-Tiergarten
Tel. 0172 — 204 05 50
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Säule des Essiggeschäfts von Katsushi Oochi. Aus beidem wird ein
Premium Sake gebraut, der dann wiederum zu Essig vergoren wird.
„Je besser der Sake, desto besser der Essig“, sagt Oochi, „ein einfacher
Zusammenhang, der aber häufig vergessen wird.“
Neben Katsushi Oochi gibt es nicht viele Hersteller in Japan,
die Reisessig mit soviel Hingabe und Kompetenz produzieren. Wie
Erwin Gegenbauer in Wien gilt auch Oochi als Idealist, als kulinarischer
Künstler. Auf die Balance von süß und sauer komme es an,
erklärt der Essigbrauer, ohne Zusätze, ohne Tricks.
Ich lerne, dass solcher Qualitätsessig über 70 verschiedene
Säuren und Aminosäuren enthält, die sein wunderbares Aroma und
seinen Geschmack bestimmen. Kein Wunder, dass Spitzenköche
von New York bis Tokio davon schwärmen und Gerichte bis hin
zum Dessert darauf abstimmen. Bei mir ist das natürlich alles eine
Nummer kleiner, aber wenn ich Sushi-Reis zubereite und die milde
Säure von Oochis Reisessig mit Kombu-Algen, Zucker und Salz ver-
...ebenso wie die Reisverarbeitung.
GARÇON
61
KOSTPROBEN
Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des Lebensmittelhandels
in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte Fertiglebensmittel,
plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme Industrieware.
Nicht nur, aber größtenteils.
Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,
kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit ihrem Gegenentwurf
zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be setzt: manufakturell
hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlachtfabrik kommen;
handgefertigte Schokoladen, haus gemachte Liköre, Konser ven ohne E-Zusätze,
vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als Supermarktware gleichen
Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger und geschmackvoller.
Vier Kostproben dessen, was wir in den letzen Wochen entdeckten, probierten
und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir Ihnen
auf der folgenden Seite.
Jörg Kinskis Firma Goodvenience.bio im sächsischen
Magdala ist spezialisiert auf die Herstellung von
Brühen: Hühnerbrühe, Rinderbrühe, Gemüsebrühe –
insgesamt 16 Zubereitungen. Weil Kinski ein „harter
Japan-Fan“ ist, gibt es natürlich auch die berühmte
Dashi-Brühe aus Bonito-Flocken, Wakame-Algen,
Shiitake-Pilzen und einigen Gewürzen – und zwar in
einer Qualität, die selbst Japaner überzeugt.
Dass Ulrike und Noni Piecha kochen können, das steht
außer Frage. Manches gelingt den beiden Betreiberinnen
des BioBuffets in der Kreuzberger Marheinekehalle
sogar so gut, dass es höhere Weihen verdient. Zu
dieser Kategorie gehört ihr Sauerkraut, das eher würzig
denn sauer ist, die dunkle Farbe von karamellisiertem
Rohrzucker bekommt und geschmacklich seinen
vielen derben Verwandten meilenweit überlegen ist.
Preis: 35,94 Euro / 6 x 525 ml
Goodvienience.bio GmbH
Richard-Wagner-Straße 1a
99441 Magdala
Tel. 036454 – 59 99 04
Online-Bestellung: www.j-kinski.de
Preis: 6,90 Euro / 380 g
Piechas BioBuffet in der Marheinekehalle
Marheinekeplatz 15
10961 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 – 69 00 43 53
www.piechas.com
Der Auftragsrückgang während der Coronakrise bescherte
der Berliner Cateringunternehmerin Ricarda
Farnbacher viel freie Zeit. Die nutzte sie, um eine eigene
Feinkostlinie zu entwickeln – Farnkost, nachhaltig
und regional. Eins der ersten Prdukte: ein aromatisch
dichter, geschmacklich leicht herber Sirup aus jungen
Fichtentrieben, die aus der Müritz-Region stammen,
von Hand gepflückt, sortiert und verarbeitet wurden.
Bei guten Fruchtaufstrichen dominieren die Aromen
der verarbeiteten Früchte und nicht der Zucker. Natürlich
weiß das Cornelia Burkhard, Chef confiturière der
Bock & Gardener Manufaktur und komponiert dementsprechend
ihre Genüsse im Glas. Dieser Quittenaufstrich
zum Beispiel besteht aus Apfel- und Birnenquitten,
die so schonend eingekocht werden, dass ihr
Aroma voll zur Geltung kommt. Ein pures Vergnügen.
Preis: 5,90 Euro / 200 ml
Farnkost / Ricarda Farnbacher
Wochenmarkt am Kollwitzplatz
10435 Berlin-Prenzlauer Berg
Kollwitzstraße
Samstag 10.00 Uhr-16.00 Uhr
Preis: 4,50 Euro / 200 g
Bock & Gardener
Hauptstraße 13
15306 Gusow-Platkow
Tel. 03346 – 93 79 213
Online-Bestellung: www.marmelade.berlin
KOPFSALAT Erika Kaneko
Es hat schon beinahe etwas Meditatives, wenn Erika Kaneko ihren
dicken schwarzen Pinsel fast senkrecht auf das Papier setzt und
mit sanftem Druck Striche und Bögen formt.
Zwei japanische Schriftzeichen entstehen: REI WA, Schönheit und
Harmonie. Erika Kanekos Künstlername und ihr Lebensmotto.
64 GARÇON
Erika Kaneko KOPFSALAT
GOING RAW
ERIKA KANEKO: KÖCHIN, KONDITORIN, KALLIGRAFIN
VON JÖRG TEUSCHER
GARÇON
65
KOPFSALAT Erika Kaneko
Erika Kaneko, ihr Mann Robert Kuls und Tochter Aina.
Katrin Tiede ist ein eher sachlicher Typ. Im Falle des Hojicha
Cream Cheesecakes, den ihr Erika Kaneko vor ein paar Monaten anbot,
geriet die Inhaberin des japanischen Feinkostladens Hanabira
jedoch schier aus dem Häuschen: „Diese Fertigungsakkuratesse,
diese Geschmacksexplosion, ein Meisterwerk der Rohkost-Küche.“
Seitdem stehen die Kreationen der Raw-Konditorin in der Hanabira-
Kuchentheke und finden Woche für Woche neue Liebhaber. Bei so
viel Jubel wurden auch wir neugierig, probierten und staunten nicht
schlecht: Katrin Tiedes Euphorie ist tatsächlich berechtigt. Grund
genug also, uns mit Erika Kaneko zu verabreden.
Die 44-jährige Japanerin stammt aus Yokohama, studierte in Tokio
Landwirtschaft, Abschluss als Bachelor of Agricultural Science
und ergatterte einen Job in einem großen japanischen Reisebüro.
2008 kam ihre Tochter Aina zu Welt. Das Leben der freundlichen, eher
zurückhaltenden jungen Frau schien in geordneten Bahnen. 2012
dann die Diagnose: Schilddrüsenkrebs. Eine erfolgreiche Operation.
66 GARÇON
Erika Kaneko KOPFSALAT
„Die Krankheit hat mir die Augen geöffnet, was wirklich wichtig ist im
Leben“, sagt Erika Kaneko. Sie stellt ihre Ernährung auf Rohkost um,
erwirbt das Diplom als Raw-Food-Master, schreibt Artikel zum Thema
Rohkost und beginnt, Keks- und Kuchenkreationen zu verkaufen.
„Rohkost ist die natürlichste und harmonischste Lebensweise, die es
seit der Antike gibt“, Zitat Erika Kaneko. Sie tuscht drei japanische
Schriftzeichen: Gesundheit, Glück, Freude.
All das erschien ihr 2011 in Gefahr. Die Katastrophe von Fukushima.
Sie nennt den Supergau ihr Erweckungserlebnis. Diese plötzliche,
alles erschütternde Wahrnehmung, wie unnormal die Wirklichkeit
sein kann. Und wie nah jederzeit die Katastrophe.
Solche Gedanken spielten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung,
Japan zu verlassen. 2018 kommt Erika Kaneko mit ihrer Tochter nach
Berlin. Sie lernt Robert Kuls, IT-Manager bei Siemens kennen, findet
familiäres Glück. Und auch beruflich geht es voran — sowohl mit der
Raw-Bäckerei als auch mit ihrer zweiten Leidenschaft, der Kalligrafie.
GARÇON
67
KOPFSALAT Erika Kaneko
Es geht um eine besondere Form der Schriftkultur, die der allgemeinen
Definition „Kunst des schönen Schreibens“ zwar nahe kommt,
sie aber dennoch nur unzureichend beschreibt. Wichtiger als die
Leserlichkeit ist bei der Kalligrafie die ästhetische Ausgewogenheit
und – wie es Erika Kaneko nennt – „das Vermögen, Schrift so
zu gestalten, dass Emotionen sichtbar werden.“
Bereits als Kind interessierte sich Erika Kaneko für diese Art des
Schreibens, dann wurde anderes wichtiger. „Als Erwachsene habe
ich meine Leidenschaft aber wiedergefunden“, sagt sie. Sie erwarb
eine Lizenz, die sie berechtigt als Kalligrafie-Lehrerin zu arbeiten
– wer den hohen Stellenwert der Kalligrafie im gesellschaftlichen
Leben Japans kennt, kann ungefähr ermessen, wie schwer es ist,
solche Lehrer-Lizenz zu erhalten…
Auch in Berlin bietet Erika Kaneko – neben Rohkost-Kursen –
übrigens solche für Hobby-Kalligrafen an.
www.facebook.com/reiwaerika/
68 GARÇON
Alles für Jeden:
Profi- oder
Hobbykoch.
...und was wir nicht haben,
vermissen Sie nicht!
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KOPFSALAT Wie geht's eigentlich..?
2017 in Berlin: Song Lee und sein langjähriger Mentor Josef Eder.
Wie geht's eigentlich..?
SONG R. LEE
KINDHEIT UND SCHULE
Geboren am 23. Mai 1978 in Seoul
1988 Übersiedlung mit Familie nach Deutschland
Abitur in Berlin
AUSBILDUNG
Kochlehre im Grand Hyatt Hotel Berlin
BERUFLICHE STATIONEN
Mesa, Grand Hyatt (Commis de Cuisine)
MS Europa 1 (Guest Sushi Chef)
Tizian Lounge, Grand Hyatt (Souschef)
Tizian Lounge & Mesa, Grand Hyatt (Chef de Cuisine)
Dae Mon, Berlin (Chef de Cuisine)
Sticks‘n‘ Sushi, Berlin (Head Chef)
HEUTE TÄTIG
Chef de Cuisine
Nikkei Nine
Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Hamburg
15 Punkte Gault & Millau
„Ihn müsst ihr im Blick behalten“, sagte uns
vor gut zwölf Jahren Josef Eder, damals Küchendirektor
im Berliner Grand Hyatt über
seinen besten Koch-Azubi, „aus dem Jungen
wird mal was.“
Der Junge, Song Lee, war als Zehnjähriger
1988 mit seiner Familie aus Seoul nach
Berlin gekommen, hatte schnell die deutsche
Sprache gelernt, die Grundschule und
das Gymnasium absolviert, die Abiturprüfungen
bestanden und 2006 eine Lehrstelle
in seinem Traumberuf ergattert.
„Dass ich im Hyatt genommen wurde
und dort unter Josef Eders Fittiche kam,
das war wie eine Fügung“, weiß Song Lee
heute. Eder erkannte das Talent des jungen
Koreaners und förderte es behutsam,
machte ihn bereits nach dem ersten Commis-Jahr
2010 zum Sous Chef und 2011
zum Chef de cuisine der Tizian Lounge und
des Restaurants Mesa und riet ihm 2014
sogar zum Wechsel ins noble Dae Mon am
Monbijouplatz.
Dort schaffte es Song Lee mit seiner Interpretation
zeitgenössischer koreanischer
Küche sogar auf die Liste der mit Lob nicht
eben freigebigen Berliner Starkritikergilde.
Song Lee bedankte sich artig für so viel
Ehre – und zog weiter.
2016 wurde er Küchenchef im Berliner
Restaurant Sticks'n'Sushi, 2019 im Nikkei
Nine in Hamburg.
70 GARÇON
Wie geht's eigentlich..? KOPFSALAT
Als Song Lee im Mai 2019 Berlin verließ, verabredeten wir uns locker
– auf bald in Hamburg. Dass daraus ein Jahr werden würde, das
war nicht geplant – ebenso wenig wie ein Treffen mit Mundschutz
und im Coronaabstand vor einem geschlossenen Restaurant.
„Seit dem 18.März sind im Nikkei Nine die Türen zu und die gesamte
Mannschaft ist in Kurzarbeit“, erzählt Song Lee und sieht
dabei nicht eben besonders unglücklich aus. Darauf angesprochen,
ahnt man ein Lächeln unter der Maske. „Natürlich stehe ich am liebsten
am Herd“, so Song Lee, „aber am 16. März kam unsere Tochter
Jenna zur Welt, und da bedeutet jeder Tag zu Hause für mich ein
großes Glück. Hinzu kommt, dass die Inhaber des ‚Vier Jahreszeiten‘
entschieden haben, das Kurzarbeitergeld aufzustocken, weshalb
also sollte ich niedergeschlagen durch die Welt laufen?“
Keine Frage, Song Lee hat seine Entscheidung, im Nikkei Nine
die Nachfolge von Ben Dayag anzutreten, der die internationale
Küchenbrigade seit der Eröffnung Ende 2016 führte, bisher keine
einzige Minute bereut. „Ich bin dankbar, in dieser Stadt leben und
in diesem Haus arbeiten zu dürfen“, sagt er.
Besonders stolz ist Song Lee auf die Wahl des Nikkei Nine Ende
2019 in die „Lieblingsliste“ der F.A.S.-Kritiker Jürgen Dollase und
Stephan Reinhardt. Deren Begründung kann er noch Monate später
fast wörtlich zitieren: „Das Nikkei Nine im Souterrain des Hamburger
Hotels Vier Jahreszeiten gehört zu den spannendsten neuen
Restaurantformaten der Republik. Hier glänzt Song Lee mit einem
ungemein ausgereift wirkenden Mix aus japanischer und peruanischer
Küche.“ Kurze Pause, dann fügt er hinzu: „In einem Atemzug
mit solchen Größen wie Heiko Nieder (er wurde von Dollase/
Reinhardt zum Koch des Jahres international gewählt) und Torsten
Michel (Koch des Jahres national) genannt zu werden, das ist doch
schon was, oder?“ Wir bejahen und verabreden ein neues Treffen in
Hamburg, dann im geöffneten Nikkei Nine.
PS: Der Re-Start des Restaurants erfolgte am 19. Mai 2020.
NIKKEI NINE
Neuer Jungfernstieg 9-14
20354 Hamburg
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GARÇON
71
DIETER FUHRMANN
DIETER FUHRMANN
* 23. OKTOBER 1940 † 15. MAI 2020
72 GARÇON
DIETER FUHRMANN
Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nicht. Und es gibt Nachrichten,
die einen so unvorbereitet und überraschend treffen,
dass man glaubt, den Halt zu verlieren. Eine solche Nachricht
war die vom Tod Dieter Fuhrmanns am 15. Mai 2020.
Der Tag unserer ersten Begegnung liegt über zwanzig Jahre
zurück. Während einer Party im Hotel Adlon – den Anlass habe
ich vergessen – machte uns Karlheinz Hauser, der ehemalige
Küchendirektor der Nobelherberge, miteinander bekannt. „Mein
wichtigster Mann“, sagte Hauser damals, und ich glaubte tatsächlich,
Dieter Fuhrmann sei Koch in einer von Hausers Brigaden.
Darauf angesprochen, klärte er mich lächelnd über seine
wirkliche Profession auf und lud mich ein, sein Unternehmen auf
dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße zu besuchen.
Ich lernte einen klugen, uneitlen Menschen kennen, respektiert,
empathisch und sympathisch, in dessen Leben es zwei Dinge gab,
die für ihn so wichtig waren wie nichts anderes: die Familie und der
Fruchtgroßhandel.
Dieter Fuhrmanns berufliche Karriere begann wie die vieler
seiner Altersgenossen. Nach dem Krieg musste er seine schlesische
Heimat verlassen, die Familie fand in Berlin ein neues
Zuhause. Dem Schulabschluss folgte eine Kellnerlehre, seine
wichtigsten Stationen waren die Hotels Am Zoo und Windsor.
Als er 1977 mit einem Mitarbeiter und zwei VW-Bulli T2 in die
Selbstständigkeit startete, feierte das deutsche Küchenwunder
seine ersten Erfolge. Das Bekenntnis einer Avantgarde junger
Köche zu frischem Obst und Gemüse, kürzeren Garzeiten und
leichteren Saucen wurde zum Trend, an dem engagierte Lieferanten
wie Dieter Fuhrmann durchaus einen Anteil hatten.
Die Firma wuchs, die Zahl der Kunden stieg ebenso wie die
der Mitarbeiter. Dieter Fuhrmann blieb der, der er immer war: ein
Mann mit Charisma, Fleiß und Disziplin. Ein erdnaher Unternehmer,
der jeden auf Augenhöhe und mit Respekt behandelte. Ich
erinnere mich auch, wie gut er darin war, anderen Ratschläge zu
geben, dass sie sich schonen und auf sich aufpassen sollten.
Er dachte stets viel mehr an andere als an sich selbst. Ja, Uneigennützigkeit
hatte einen Namen: Dieter Fuhrmann.
Bereits zu Beginn dieses Jahres planten wir, ihm, dem Grand
Old Man seines Berufsstandes, den Titel unseres Oktober-Magazins
zu widmen. Ein großes Porträt zum 80. Geburtstag des
Fruchtgroßhändlers, Titel: Typisch Fuhrmann. Dass daraus nun
ein Nachruf werden musste, macht uns sehr traurig.
Jörg Teuscher im Namen der Garcon-Mitarbeiter
GARÇON
73
slube Hoteltürme – Wohnen an Orten wo man is(s)t
Für Gastronomen, die mehr machen wollen aus
ihren Locations, bieten die komfortabel ausgestatteten
slube Mini-Hotels eine komplette und
innovative Lösung.
Betreiber, die Restaurantbesucher bisher an attraktiven
Orten ausschließlich zum Essen empfangen, können
mit den slube Hoteltürmen ihre Gäste einladen, direkt
am Ort länger zu verweilen.
Die slube Mini-Hotels können über die bekannten
Online-Plattformen gebucht werden. Innovative Smart-
Home-Lösungen steuern Schließ- und Heizungssystem
zentral.
Bieten Sie Ihren Gästen noch mehr als gutes Essen, wie
der Forellenhof Rottstock im wunderschönen Fläming.
Die runden Hoteltürme können einzeln oder in Gruppen
aufgestellt, und mit Hotel-Lounges, eigener Dachterrasse,
separaten Toiletten oder Kiosks und Infoboxen
kombiniert werden.
© 25 Teiche
Auch für die Tischlerei am Yachthafen Greifswald und
die Hafenbar am Stadthafen in Neustrelitz funktionieren
die slube Hotels schon als Hingucker, als einmalige
Übernachtungs-Attraktion, und als extra Motivation
zum Verweilen.
© Yachthafen Greifswald
Veloform Media GmbH entwickelt und produziert
seit fast 20 Jahren ungewöhnliche Produkte für
Städte und Menschen. Besonders bekannt ist das
von Veloform entwickelte Velotaxi, welches heute
in 60 Ländern urbane Mobilität neu definiert.
Die slube GmbH wurde gegründet, um die bboxxen
„slube home“ professionell zu betreiben.
Es wurde ein ergänzendes Finanzierungs- und
Mietmodell entwickelt und umgesetzt, mit dem
das Netzwerk an buchbaren „slube home“ effizient
erweitert werden kann.
Fotos:
David Ludley
Veloform Media GmbH Tel. +49 (0)34903 595 595 _ info@veloform.com _ www.veloform.com _
VeloformMedia
Prignitz
Ruppiner Seenland
Uckermark
Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst
Liebe zu Land und Leuten mitbringen,
mindestens keine Voreingenommenheit.
Er muß den guten Willen haben, das
Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche
Vergleiche totzumachen. Der Reisende
in der Mark muß sich ferner mit einer feineren
Art von Natur- und Landschaftssinn
ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen,
die gleich einen Gletscher oder Meeressturm
verlangen, um befriedigt zu sein.
Diese mögen zu Hause bleiben.
Fläming
Dahme-Seenland
Spreewald
Unterwegs
in Brandenburg
KREMMEN — SCHWANTE — SOMMERSWALDE
VON JÖRG TEUSCHER
Barnimer Land
Seenland Oder-Spree
Es ist mit der märkischen Natur wie mit
machen Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ —
sagt das Sprichwort — ‚hat immer noch
sieben Schönheiten!‘ Ganz so ist es mit
dem Lande zwischen Oder und Elbe; wenige
Punkte sind so arm, daß sie nicht auch
ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß
sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge
dafür hat, der wag es und reise.
Lausitzer Seenland
Elbe-Elster-Land
Havelland
Theodor Fontane
Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Die Grafschaft Ruppin
Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864
GARÇON
75
KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Kremmen, vor über 700 Jahren gegründet,
zählt rund 7.500 Einwohner und ist eine stille
Stadt. Einst muss es hier allerdings weit
wuseliger zugegangen sein, der Ort galt als
strategisch wichtiges Tor zur Mark Brandenburg.
Jeder, der in der Gegend unterwegs
war, musste über den „Cremmener
Damm“, die einzige Verbindung durch das
sumpfige Rhinluch. Dessen Entwässerung
im 18. Jahrhundert änderte das – aus dem
Tor zur Mark wurde ein Tor zur Natur. Die
Touristiker werben also sowohl für Touren
in die traumhafte Landschaft als auch für
den Besuch der Kremmener Altstadt und des
historischen Scheunenviertels.
Sehenswertes Schwante. Das 2.200-Einwohner-Dorf
im brandenburgischen Landkreis
Oberhavel wurde 1355 erstmals urkundlich
erwähnt. Die evangelische Dorfkirche
stammt aus dem Jahr 1780, im
nahen Pfarrhaus wurde am 7. Oktober
1989 die Sozialdemokratische Partei der
DDR gegründet. In Schwante hat ein berühmter
Bäckermeister seine Backstube,
es gibt einen attraktiven Renaissancegarten,
und am 19. Juni 2020 eröffnete auf
dem Gelände des historischen Schlossgutes
ein Skulpturenpark, der das Zeug hat,
sich zu einem Hotspot des internationalen
Kulturtourismus zu entwickeln.
76 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Sommerswalde gehört zu Schwante und
trägt die Bezeichnung „Wohnplatz“. Die
Wirklichkeit ist zum Glück weniger spröde
als dieser Terminus. Sie besteht aus einem
eigenwilligen Gebäudekomplex: dem weißen
Schloss, das als „zweiter Reichstag“
in die Geschichte einging; einem Backsteinbau
sowie dem Forsthaus. Bauherr
des Ensembles war der Berliner Immobilienmillionär
Richard Sommer, nach dessen
Tod 1916 das Anwesen viele Besitzer sah.
Heute gehört das Schloss dem buddhistischen
Verein Tharpaland und dient als
Meditationszentrum. Das Forsthaus avancierte
zu einem Ausflugsziel erster Güte.
„Natürlich unseren Spargelhof mit Gastronomie,
Hofladen und einigen Kinderüberraschungen“,
lächelte Malte Voigts. Wir
hatten den Hofchef – seine offizielle Funktionsbezeichnung
lautet Geschäftsführer
der Spargelhof Kremmen GmbH & Co. KG
– um einige Ausflugstipps für die Gegend
rund um Kremmen gebeten. Wieso fragt ihr
eigentlich keinen Einheimischen?, hörten
wir dann von eben jenen häufig. Tatsächlich,
Voigts stammt aus der Lüneburger
Heide, studierte in Göttingen und kam erst
vor 13 Jahren ins Kremmener Land. Aber:
Er kennt seine neue Heimat inzwischen
besser als die meisten Fremdenführer.
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Stadt Kremmen
„SIE HABEN DA SO KURZE BETTEN..."
78 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Gottberg, Protzen, Tramnitz – weshalb Theodor Fontane solchen
Winzlingsdörfern in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“
vielseitige Kapitel widmete und ausgerechnet Kremmen
– von ein paar marginalen Bemerkungen mal abgesehen – links
liegen ließ, wird wohl das Geheimnis des Dichters bleiben.
Lediglich in seinem Alterswerk „Der Stechlin“ läßt er seinen Helden
Dubslav von Stechlin und dessen Diener Engelke über „Cremmen“
parlieren, wo Stechlins Sohn Woldemar auf dem Weg von
Berlin ins heimatliche Ruppiner Land übernachtet hatte.
„Die Nacht über in Cremmen. Auch kein Spaß.“ „Aber Cremmen
is doch soweit ganz gut.“ „Nu, gewiss, gewiss. Bloß haben sie da so
kurze Betten...“ Katharina Neuman kann darüber nur müde lächeln.
Die Hotelfachfrau betreibt seit Anfang Juli 2020 am Kremmener
Markt die Pension Alte Lebkuchenfabrik – sechs Zimmer mit garantiert
großen Betten. „Und bald auch ein Hofcafé“, fügt sie hinzu.
www.lebkuchenfabrik.com
GARÇON
79
KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Ein Dorf in der Stadt
DAS KREMMENER SCHEUNENVIERTEL
80 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Seit 2016 Kremmener Tourismus-Chefin: Andrea Busse.
Natürlich kennt Andrea Busse den Gelehrten Johann Grüwel (1638-
1710), der einst in Kremmen Bürgermeister war und mit Abhandlungen
über Imkerei und Seidenraupenzucht Aufsehen erregte (s. S.101).
Sie bedauert, dass Grüwel heute in Kremmen fast vergessen ist und
hat einige Ideen, das zu ändern.
Sie leitet die Touristeninformation im Scheunenviertel und scheint
nicht nur wegen ihres historischen Wissens für diesen Job prädestiniert
zu sein, sondern auch wegen ihres familiären Backgrounds.
Die Busses sind nachweislich seit 1402 in Kremmen ansässig.
Die 48-jährige Handelsfachwirtin organisiert Stadtführungen
sowie Natur- und Kulturwanderungen und weiß auch dann touristischen
Rat, wenn die gedruckten Reiseführer passen. Besonders
am Herzen liegt Andrea Busse das historische Scheunenviertel am
südlichen Stadtrand von Kremmen, „das in seiner Größe und Bauweise
wohl einzigartig in Deutschland, vielleicht sogar in Europa ist“, wie
sie sagt. „Und dessen Geschichte lange zurückreicht.“
GARÇON
81
KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Nach verheerenden Bränden im 16. Jahrhundert, die ihren Ausgangspunkt
zumeist in den mitten in der Stadt gebauten strohgedeckten
Scheunen hatten – Kremmen war eben eine Ackerbürgerstadt
– verfügte 1672 Kurfürst Friedrich Wilhelm, der nach dem
Sieg seiner Truppen über die Schweden 1675 bei Fehrbellin der
Große Kurfürst genannt wurde, „die Scheunen hinaus fürs Thor
zu schaffen“.
Die Kremmener folgten dem Befehl, das Scheunenviertel entstand.
Andrea Busse kennt die wechselvolle Geschichte aus dem Effeff
und ist natürlich stolz darauf, dass 54 Scheunen nach der Wende
saniert wurden, dass sich hier Handwerker, Künstler und Gastronomen
ansiedelten, auch „wenn man noch mehr aus diesem Kremmener
Schatz machen könnte.“
Zu den Scheunenviertlern der (fast) ersten Stunde gehört Norbert
Stolley, 69 und – wie er in einem autobiografischen Büchlein schreibt
– „ein leidenschaftlicher, sturer, friesischer Koch“ (s. S. 83).
82 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Coldehörn-Inhaber Norbert Stolley.
Und das seit 55 Jahren! Geboren in Brunsbüttel, Kochlehre im Kölner
Weinhaus Hugo Wolf in der Komödienstraße, zehn Jahre Seefahrt.
Dann, wieder an Land – selbständig in der kältesten Ecke Wilhelmshavens
– in Coldehörn. Später Stationen in Hannover, Berlin
und Eichstädt, seit 2007 dann Kremmen.
Zur Erinnerung an die Anfänge nannte Stolley seine Feinkost- und Probierscheune
auch hier Coldehörn. Seine kulinarische Offerte ist klein,
aber fein. „Ich liebe das Einfache“, sagt er, „allerdings muss es toll
zubereitet sein, frisch, schnörkellos, regional.“
RESTAURANT COLDEHÖRN
Scheunenweg 30
16766 Kremmen
Tel. 033055 – 20 0 04
www.coldehoern.de
GARÇON
83
KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Schlemmen in Kremmen
DER SPARGELHOF VIER JAHRESZEITEN
84 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Der Spargelhof Kremmen ist zuallererst natürlich ein Landwirtschaftsbetrieb,
dessen Beiname „Vier Jahreszeiten“ die Produktfolge
beschreibt. Dem Spargel, der von Anfang April bis Ende Juni
das Bild bestimmt, folgen Anfang Juli bis Ende August die Kulturheidelbeeren.
Von Anfang September bis Ende Oktober ist in Kremmen
Kürbiszeit und ab November haben die am Ort aufgezogenen Freilandgänse
und -enten Saison.
Dass der Hof auch ein beliebtes Ausflugsziel ist, liegt einerseits
an seiner Lage inmitten der idyllischen Landschaft des Rhinluchs,
andererseits und sicher vor allem aber daran, dass den Gästen zu
jeder „Kremmener Jahreszeit“ viel geboten wird. „Wir versuchen, in
jeder Hinsicht gute Gastgeber zu sein“, so Malte Voigts, seit zehn
Jahren Geschäftsführer des Spargelhofes. „Sowohl was die Angebote
in unserem Hofladen als auch die unserer Hofgastronomie
betrifft, haben wir Jahr für Jahr zugelegt“, fügt er hinzu, „aber nicht
nur das, wir bieten auch Erlebnis und Entspannung.“
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Spargelhof-Chef Malte Voigts und sein
Gastronomie-Leiter Frank Buthmann, v.li.
Hofgastronomien sind häufig wenig ambitionierte Abfertigungsstätten
für möglichst große Menschenmassen – kulinarisch total
uninteressant. Dass das auf dem Kremmener Spargelhof nicht so
ist, liegt an einem engagierten Team und einem alten Bekannten.
Frank Buthmann, gebürtiger Schleswig-Holsteiner und inzwischen
47, gehörte früher mal zu Kolja Kleebergs VAU-Brigade, war Küchenchef
im Berliner Weinstein, übernahm 2008 das Kleine Haus
in Linum und machte dort mit schnörkelloser Regionalküche auf
sich aufmerksam. 2018 heuerte er auf dem Spargelhof an und ist
seit diesem Jahr dessen gastronomischer Leiter – man darf also
durchaus gespannt sein, was da noch so kommt.
Buthmanns Frau Janina, zuletzt als Product Scout in der Kreuzberger
Markthalle Neun tätig und Marketing-Chefin Beate Gebauer
sind für das Hofladen-Angebot zuständig und bieten inzwischen eine
Offerte, die selbst den eingefleischtesten Homo sapiens Aldiensis
ins Grübeln versetzen dürfte.
86 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Zuständig für das Hofladen-Angebot:Marketingchefin
Beate Gebauer und Janina Buthmann, v. re.
In den Regalen jedenfalls drängen sich bekannte Brandenburger
Manufakturprodukte wie Büffelmozzarella, Bocconcini und Burrata
des Kremmener Paolella-Teams oder die Hanf-Spezialitäten von
Hempwood in Oranienburg neben regionalen Lebensmitteln von
Kleinsterzeugern wie die Wildsalami von Christian Haferkorn
oder das Bärlauchöl von Dirk Berdychowski. Honig aus Leegebruch,
Leinöl aus Schulzendorf, Speiseeis aus Schwante, Kyritzer
Säfte, Bruchhäuser Wurst, handwerklich hergestellte Käsesorten
– das ist ein Einkaufserlebnis wie man es sich wünscht.
SPARGELHOF KREMMEN
Groß-Ziethener Weg 2
16766 Kremmen
Tel. 033055 – 20 08
www.spargelhof-kremmen.de
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Laib und Seele
DIE BÄCKEREI PLENTZ IN SCHWANTE
Erdbeerfest in der Kremmener Plentz-Filiale: Meister Karl-Dietmar Plentz,
Verkäuferin Jessica Günther und ein Chevrolet Bel Air 1966.
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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Bäckermeister Volker Rothensee und Geselle Maximilian Plentz, v.li.
033 055 79 01 30, die Bäckerei Plentz in Schwante. Wer in der Warteschleife
landet, wird im Rammstein-Sound gerockt: „Wer will gutes
Brot uns machen, der muss haben sieben Sachen: Herz und Hand,
Fleiß und Verstand, Spaß und Stolz und ein gutes Nudelholz.“ Die
Bässe wummern, und man meint wirklich, die Stimme von Till Lindemann
zu erkennen. Ist es wirklich der Rammstein-Frontmann?
Bäckermeister Karl-Dietmar Plentz lächelt: „Möglich.“ Wie auch immer,
vor Überraschungen ist man bei dem 53-jährigen Zwei-Meter-
Mann nur selten sicher. So hätte man auf dem Band der Bäckerei
eher ein altes Kirchenlied erwartet — Plentz ist gläubiger Christ
und hat keine Scheu, auch darüber zu reden — aber Pustekuchen.
Karl-Dietmar Plentz ist Bäckermeister in vierter Generation.
1989 übernahm er die 112 Jahre zuvor in Oranienburg gegründete
Bäckerei von seinem Vater, führte sie erfolgreich durch die Wirren
der Wende, eröffnete Filialen – inzwischen sind es sieben – und
bewies mit immer neuen Ideen, dass auch das Bäckerhandwerk
GARÇON
89
KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
durchaus noch goldenen Boden haben kann. Eine davon ist der
Holzbackofen auf dem Schwanter Dorfanger, der zwischen März
und November immer freitags und samstags angeheizt wird und
in dem beispielsweise die drei Kilogramm schweren Roggen-Dinkel-
Krusten aus hauseigenem Sauerteig ausgebacken werden, deretwegen
Kunden auch von weither nach Schwante kommen.
Weitere Spezialitäten gibt es im großen, hellen Laden gleich nebenan:
Champagnerroggenbrot, Honigbrot, Ringelblumenbrot, handgedrückte
Brötchen, traditionelle Hefeblechkuchen und – unser Favorit
– saftige Walnuss-Honig-Muffins mit Nüssen aus dem nahen
Herzberg (Walnussmeisterei Böllersen) und Honig aus dem Fläming
(Imkerei Albe).
Und hier gibt es auch ein Buch, das Karl-Dietmar Plentz gemeinsam
mit der Potsdamer Autorin Andrea Specht verfasst hat:
Der Brotmacher, sechs Kapitel aus dem Leben eines Bäckermeisters,
die von seiner regionalen Verwurzelung erzählen, von sei-
90 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
nem christlichen Engagement und seiner lokalpolitischen Arbeit.
Von seiner Frau Agnes und den gemeinsamen fünf Kindern, auf die
er so unendlich stolz ist. Von einem Frühstück mit Barack Obama,
einer Planwagentour nach Weliki Nowgorod, von einer TV-Show
um den Titel „Deutschlands bester Bäcker“. Von Backrezepten und
Bibeltexten…
„Unser wertvollstes Rezept“, sagt Karl-Dietmar Plentz, „ist sehr
schlicht. Es lautet ‚Backen und Beten‘ und hat sich in guten und in
schwierigen Zeiten bewährt.“
BÄCKEREI & KONDITOREI PLENTZ
Dorfstraße 43
16727 Oberkrämer OT Schwante
Tel. 033055 –79 01 30
www.plentz.de
Agnes und Karl-Dietmar Plentz.
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Schlossgut Schwante
UNGEWÖHNLICHES KONZEPT FÜR EINEN BESONDEREN ORT
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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Ai Weiwei: Flag for Human Rights, 2018. George Rickey: Three Squares Vertical Diagonal II, 1986.
Eine Frau mit grauem Kurzhaar sitzt auf einer Parkbank und betrachtet
versonnen den gläsernen Pavillon von Dan Graham … ein schwergewichtiger
Mann hievt sich bäuchlings ins Gras, um dem Aluminium-
Garten von Toshihiko Mitsuya eine besondere Perspektive abzugewinnen
… eine Gruppe junger Leute umrundet gestenreich und lautstark
die meterhohe Säule von Gregor Hildebrandt aus gepressten und in
Bronze gegossenen Schallplatten … Beobachtungen am Eröffnungstag
des Skulpturenparks im Schlossgut Schwante und Bestätigung
der Erkenntnis, dass die Liebe zur Kunst viele Facetten kennt, die von
scheuer Verehrung bis zu wilder Zudringlichkeit reichen.
Ins Leben gerufen haben diesen Park, der Kunst in einem aufregenden
Ausmaß bietet, die neuen Schwanter Gutsbesitzer Loretta
Würtenberger und Daniel Tümpel. Das Powerpaar — sie ist promovierte
Juristin und war einst jüngste Richterin Deutschlands und
erfolgreiche Internetunternehmerin; er, diplomierter Betriebswirt und
Kunsthistoriker, arbeitete jahrelang als Investmentbanker — erwarb
Tony Cragg: Elliptical Column, 2012. Hans Arp: Architektonische Skulptur, 1958.
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel.
Küchenchefin Yogini Hufendiek und
Konditormeisterin Gloria Mara Baldi, v.re.
2019 das Schloss und den 20-Hektar-Park. „Der Ort war da, und aus
dem Ort heraus entstand das Projekt“, so Loretta Würtenberger. Ein
Projekt, das es in sich hatte: Sanierung des Schlosses Schwante,
das Würtenberger-Tümpel und ihre vier Kinder künftig bewohnen
werden, Rekultivierung des Schlossparks, Organisation der Skulpturenausstellung,
Aufbau eines Hofrestaurants, Einrichtung eines Hofladens,
dazu der Umzug der Familie und ihrer Firma Fine Art Partners
nach Schwante, Öffentlichkeitsarbeit, Personalsuche…
Über all das und vor allem natürlich über die 23 Skulpturen international
bekannter Künstler — darunter Ai Weiwei, Hans Arp, Tony Cragg,
Katja Strunz und Toby Ziegler — sprechen Loretta Würtenberger und
Daniel Tümpel ohne Selbstgefälligkeiten und ohne Geltungsbedürfnis.
„Der Reiz unseres Projekts liegt für uns in der standortlichen und
architektonischen Besonderheit des Schlossgutes“, sagen sie. Und:
„Wir sind kein Ausstellungsort im klassischen Sinne, sondern ein von
der ländlichen Umgebung geprägter Begegnungsraum.“
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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Gregor Hildebrandt: Säule, 2018.
Toshihiko Mitsuya: The Aluminium Garden —
Structural Study of Plants 2019/2020.
Am 30. September 1894 schrieb Theodor Fontane in einem Brief an
seine Tochter Mete: „Die Verpflegungsfrage ist für den Kulturmenschen
eigentlich das Wichtigste.“ Eine Erkenntnis, die Loretta Würtenberger
und Daniel Tümpel nicht anzweifeln. Ganz im Gegenteil.
In einem Backsteinhaus richteten sie einen Hofladen und ein Restaurant
ein und stellten mit der Konditormeisterin Gloria Mara Baldi
und der Küchenchefin Yogini Hufendiek zwei junge Frauen an, die
ihr Handwerk beherrschen. „Landhausküche mit Pfiff“, fassen sie
ihr Konzept zusammen. Wir sagen: Glückliches Schwante!
SCHLOSSGUT SCHWANTE
Schlossplatz 1-3
16727 Oberkrämer OT Schwante
Tel. 033055 – 20 24 60
www.schlossgut-schwante.de
Katja Strunz: Unfolding Process, 2020.
Martin Creed: Work No. 1086, 2011.
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Forsthaus Sommerswalde
GEHEIMTIPP FERNAB DER GROßEN STRAßEN
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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Forsthaus-Inhaber Andree Franke.
Dieses Forsthaus abseits der großen Straßen ist schon etwas besonderes
— nicht nur, weil hier kein Förster zu Hause ist und sein
Name in Versalien – also FORSTHAUS – geschrieben wird, sondern
vor allem deshalb, weil es Dinge bietet, die man hier nicht erwartet.
„Kleinod im Schwanter Forst“, „Perle im Kremmener Land“,
„architektonische Augenweide“, „kulinarischer Geheimtipp“ –
das Lob der Gäste, die den Weg hierher fanden (die einschlägigen
Reiseführer lassen das FORSTHAUS aus nicht nachvollziehbaren
Gründen links liegen), spricht Bände.
Hausherr des 1860 erbauten Anwesens ist Andree Franke, 53,
Bauingenieur mit eigenem Büro in Glienicke-Nordbahn. Der Berliner
entdeckte vor knapp acht Jahren das Haus mit den zugehörigen
Stallungen. „Die Gebäude waren Ruinen mit Wildnis drumherum“, erzählt
er, „trotzdem habe ich mich stante pede in das Areal verliebt.“
Er kaufte das Anwesen, plante ein Jahr lang und baute ein weiteres.
2015 eröffnete er das FORSTHAUS, den Sommergarten, die Ver-
Veranstaltungsleiter Heiko Franke.
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Restaurantleiterin Sandra Haase und Küchenchef Joachim Schöber.
anstaltungsscheune und drei Ferienwohnungen. Andree Franke,
selbst begeisterter Sportler, installierte Anlagen für Armbrust- und
Bogenschießen, legte einen Bouleplatz an und eine sommers wie
winters nutzbare Stockbahn. Es gibt einen Spielplatz und einen
Fahrradverleih, und aus dem verwilderten Park wurde eine grüne
Oase inklusive Kräutergarten und Streuobstwiese, an der selbst
Profi-Pomologen ihre Freude haben dürften.
Und Franke hat auf dem 7.000 Quadratmeter großen FORST-
HAUS-Gelände noch einiges vor – „aber wir wollen langsam wachsen.“
Weil der 53-jährige „Hobbygastronom“, wie er sich selbst
nennt, nichts dem Zufall überlässt, holte er seinen Bruder Heiko
und Schwägerin Sandra Haase ins Boot – ihn als Veranstaltungsmanager,
sie als Restaurantleiterin.
Irgendwie zur Familie gehört auch Küchenchef Joachim Schöber.
Der 41-jährige Oranienburger kam nach Stationen in Wiehl, Berlin, Regensburg
und im kanadischen Vancouver 2015 nach Sommerswalde
98 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
und realisiert hier ein sympathisch-unschnöselhaftes Konzept, das
man sich auch andernorts in Brandenburger Ausflugsgaststätten
gut vorstellen könnte. Dabei setzt Schöber vor allem auf die Produkte
der Region – vor allem auf Wild aus den Wäldern ringsum – und
kontemporäre Zubereitungen für Sie und Ihn und ihre Kids. Leicht
gekocht, geschmacklich fein abgestimmt und hübsch arrangiert.
Einen guten Ruf genießt das idyllische FORSTHAUS-Anwesen
inzwischen auch bei Berliner und Brandenburger Hochzeitsplanern,
2016 wurde es sogar Außenstelle des Hennigsdorfer Standesamtes.
FORSTHAUS SOMMERSWALDE
Sommerswalde 4-5
16727 Oberkrämer OT Schwante
Tel. 033055 – 21 55 98
www.forsthaus-sommerswalde.de
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde
Der Bienenkönig
DER BERLINER UNTERNEHMER MARCO SKALA PLANT GROßES IN KREMMEN
100 GARÇON
Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION
Die letzte Station unserer Brandenburger Landpartie führt uns wieder
zurück nach Kremmen, allerdings nur für einen Minutenstopp
mit laufendem Motor auf einem früheren Aldi-Parkplatz. Ein Berliner
Unternehmer will hier und in der nicht mehr genutzten Halle des
Discounters ein Kompetenzzentrum für Berufs- und Hobbyimker
einrichten. „Zudem wollen wir diesen Ort nutzen, um Probleme wie
das Insektensterben zu thematisieren“, sagt Marco Skala.
Der 39-Jährige, gelernter Gas-Wasser-Installateur, betreibt seit
acht Jahren im Spandauer Ortsteil Haselhorst den Fachhandel für
Imkereibedarf „beekeepers“ – mit rund 4.000 Artikeln auf 1.000
Quadratmetern Verkaufsfläche einer der größten seiner Art in Berlin
und Brandenburg.
Jahr für Jahr nehme die Zahl derer zu, die das faszinierende
Imker-Hobby ausüben, so Marco Skala. „Die Zeiten, in denen es
lediglich als Altherrenbeschäftigung in ländlichen Regionen galt,
sind längst vorbei.“
Tatsächlich summt und brummt es etwa in Berlin seit Jahren, selbst
auf Hoteldächern und sogar im Innenhof des Bundestages stehen
Bienenstöcke. Marco Skala: „Allein in der Hauptstadt gibt es rund
2.000 Imker, die etwa 11.000 Bienenvölker betreuen, und Brandenburg
zählt sogar 5.100 Bienenhalter mit rund 52.600 Völkern.“
Der Bienen-Boom und die Tatsache, dass in Haselhorst Wohnungen
gebaut werden sollen, ließen Marco Skala auf die Suche nach
einem neuen Domizil gehen – und in Kremmen fündig werden. Neben
dem Angebot all dessen, was Imker brauchen, plant der Unternehmer
dort einen Bienenlehrpfad, ein Bienen-Café und eine Schauimkerei.
Ende des Jahres will er „beekeepers Bienenwelt“ eröffnen.
Kremmen wird’s freuen, zumal in der Stadt schon vor 300 Jahren
Imkereigeschichte geschrieben wurde: Johann Grüwel, einst
Kremmener Bürgermeister, veröffentlichte 1709 die Abhandlung
„Brandenburgische Bewährte Bienen-Kunst“.
www.beekeepers24.com
GARÇON 101
RUBRIKEN Berliner Marktnischen
Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.
Wochenmärkte haben in Berlin eine lange
Tradition. Der erste urkundlich erwähnte
Markt ist der Spandauer, bereits im Stadtgründungsdokument
vom 7. März 1232 wird
er genannt. Im benachbarten Berlin sind
der Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich
Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss
ge schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten
öffentlichen Verkaufsplätze für
Butter, Eier, Honig, Käse, Korn und Wolle.
Deren Zahl stieg mit der Zeit zunehmend,
so gab es 1882 innerhalb der Stadtgrenzen
19 Wochenmärkte mit rund 10.500
Marktständen, die jedoch mit dem Bau
der Markthallen wieder verschwanden.
1952, die meisten Markthallen waren
zerstört, forderte der Regierende Bürgermeister
Ernst Reuter: „Vor's Rathaus gehört
ein Markt!“ Er meinte das Rathaus
Schöneberg und beendete mit seinem
Machtwort eine jahrelange Diskussion um
den wichtigsten Wochenmarkt Berlins.
Heute gibt es wieder rund 120 Wochenmärkte
in Berlin – nicht nur vor Rathäusern
– die sich wachsender Beliebtheit erfreuen.
Unter der Rubrik „Marktnischen“
stellt Garcon Händler vor, deren Offerten
auch eine weite Anreise wert sind.
BERLINER MARKTNISCHEN
ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER
„Die regionale Alternative fürs Lachsfrühstück“, mit diesem Slogan wirbt
die Stadtfarm Berlin für ihre mit einem Rote-Bete-Würzmix gebeizten
Filets des African Catfish. Das grätenfreie Fleisch dieses zur Familie der
Raubwelse gehörenden und in nachhaltiger Aquakultur am Standort des
Unternehmens in Berlin-Lichtenberg gezüchteten Süßwasserfisches ist
bissfest, fettarm und von einer feinen Aromatik.
Die Berliner Stadtfarm befindet sich gefühlt
ziemlich j.w.d., aber in diesem Fall
täuscht das Gefühl. Das Gewächshausareal
liegt im östlichen Lichtenberg zwischen
dem Landschaftspark Herzberge und dem
Zentralfriedhof Friedrichsfelde, sicher ein
bisschen versteckt, aber der Blick ins Internet
oder das Navi helfen Erstbesuchern
schnell.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrieb
die Städtische Irrenanstalt Herzberge hier
Ackerbau und Viehzucht, zu DDR-Zeiten
wurde das Gelände vom Volkseigenen Gut
Gartenbau genutzt, um Blumen für den
Westexport zu züchten, nach der Wende
übernahm die Natur das Regiment.
2017 schließlich ging die Stadtfarm Berlin
mit dem Ziel an den Start, eine landwirtschaftliche
Produktion zur Versorgung der
Menschen in der Stadt mit Produkten aus
der Stadt zu etablieren. Stichwort: Smart
Urban Farming.
102 GARÇON
Bertliner Marktnischen RUBRIKEN
Die Stadtfarmer haben eine Catfish-Zucht aufgebaut, kultivieren
außerdem Kräuter und Gemüse und verarbeiten einen Teil ihrer
Produkte sogar selbst. Das klingt erstmal nicht besonders spektakulär,
wird es aber dann, wenn man erfährt, wie sie das tun.
Sowohl der Fisch als auch die Kräuter und das Gemüse stammen
aus einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die auf Antibiotika,
Hormone, Pestizide und künstliche Düngemittel verzichten
kann. Ein zweites Stichwort: Aqua Terra Ponic.
Die Technologie führt Wasser in einen vollständig geschlossenen
Kreislauf: Wenn es von den Ausscheidungen der Fische
verunreinigt ist, wird es aus den Bassins abgepumpt – in natürlichen
Filtern geschieht die Umwandlung von Ammoniak durch
eine sogenannte Bakterien-Oxidation erst in Nitrit, dann in Nitrat
– anschließend fließt das nährstoffreiche Wasser in die Kräuterund
Gemüsegärten – wird danach aufgefangen und wieder in die
Fischbassins geleitet. „Bei uns fällt kein Abwasser an, und im Ver-
gleich zur konventionellen Landwirtschaft benötigen wir auch weit
weniger Wasser, genau gesagt, 80 Prozent weniger“, so Stadtfarm-
Geschäftsführerin Anne-Kathrin Kuhlemann.
50 Tonnen Catfish, 30 Tonnen Kräuter sowie Gurken, Tomaten,
Paprika, Mangold und Grünkohl erzeugt das Unternehmen auf diese
Weise jährlich. Den African Catfish gibt es frisch, gebeizt oder
geräuchert im eigenen Hofladen oder im Online-Shop des Unternehmens.
Und einmal im Monat ist Markttag auf der Stadtfarm mit
weiteren Anbietern – etwa dem Biohof Zühlke, dem Gut Hirschaue
und der Berliner Biobäckerei Endorphina.
Stadtfarm im Landschaftspark Herzberge
Allee der Kosmonauten 16
10315 Berlin-Lichtenberg
www.stadtfarm.de
GARÇON 103
RUBRIKEN Kulinarische Nachlese
Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v.re.
„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher
werden immer ein Kulturgut blei-
aus dem Ruhrpott nach Berlin und be-
Die beiden Männer zogen im Januar 2010
ben“, davon sind Johannes Mohr und Swen treiben seitdem in einem restaurierten
Kernemann-Mohr überzeugt.
Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der
Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands
vermutlich größtes, auf jeden Fall
aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.
Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb
Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca
Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,
etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte
Originale, handgeschriebene
Unikate, kulinarische Enzyklopädien,
Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher
von Sophia Loren bis Vico Torriani,
Kriegs- und Nachkriegskochbücher.
„Das Stöbern in diesem Fundus ist
immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“,
sagen die Antiquare.
Nun stöbern Johannes Mohr und Swen
Kernemann-Mohr sozusagen auch öffentlich.
Für Garcon blättern sie in Kochbüchern
aus vergangenen Zeiten und notieren,
was sie dabei bewegt.
KULINARISCHE NACHLESE
IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT
VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR
Der heruntergekommene Lucull
Kochende Probleme
von Karola Moll
Illustrationen von G. Woldemar Hörnig
J.P. Toth Verlag Hamburg
Hamburg 1947
63 Seiten
Preis (antiquarisch): 28,00 Euro
Ein Kochbuch mit Illustrationen wünschte sich die Chefredakteurin
für unsere Nachlese-Kolumne in dieser Garcon-Ausgabe. „Passend
zum Titel des Heftes“, ließ sie uns ausrichten. Ein Kochbuch mit
Illustrationen? Zuerst fiel uns Hans Haas ein, bis Ende 2020 noch
Küchenchef im Münchner Tantris. Der große Meister am Herd ist
nämlich auch ein begnadeter Maler und Zeichner, was die meisten
seiner Kochbücher eindrucksvoll belegen – „Lust auf Genuss“ (1998)
beispielsweise oder „Kulinarische Skizzen“ (2002).
Am Ende entschieden wir uns dann doch für das Bändchen „Der
heruntergekommene Lucull“ – einfach weil es älter und seltener ist.
104 GARÇON
Kulinarische Nachlese RUBRIKEN
Ein schlichter Pappeinband, einfache Klebebindung und grobes Papier
– das sind die äußeren Kennzeichen dieses 63-Seiten-Bandes.
Das Erscheinungsjahr erklärt die Aufmachung: 1947. Damit dürfte
„Der heruntergekommene Lucull“ eines der ersten Kochbücher
sein, die nach dem Krieg in Deutschland herausgegeben wurden.
Was kochten die vom Mangel traumatisierten Hausfrauen im
zerbombten Deutschland – einem Land, in dem Lebensmittelkarten,
Hamsterfahrten und Schwarzmarktkäufe an der Tagesordnung
waren?
Bei uns zu Hause im Ruhrgebiet beispielsweise gab es folgenden
Reim: „Deutschland, Deutschland ohne alles, ohne Butter,
ohne Speck. Und das bisschen Marmelade frisst uns die Besatzung
weg.“ Schmalhans war Küchenmeister in den meisten
Haushalten, die Küche praktisch fettfrei. Kein Wunder, musste
man für ein Pfund Butter auf dem Schwarzmarkt 250 Mark hinblättern.
Fleisch und Fisch waren Raritäten, Obst sowieso. Was
kam also dann auf die Teller?
Karola, die Autorin des Bandes, wohnt – weil ausgebombt – mit
ihrem Mann Lucull teilmöbliert in Hamburg-Barmbek und ist als
Köchin gnadenlos kreativ. Sie verarbeitet Brennnesseln und Zuckerrübenblätter,
macht aus Margarine, Apfelmus, Grieß und Zwiebeln
künstliches Schmalz und aus Kartoffelmehl, Magermilch und Backpulver
falsche Schlagsahne. Es gibt Brotsuppe, Haferflockenklopse
und Kohlklöße.
Die Anregung, ihre Rezepte aufzuschreiben, kommt von Lucull.
Karola wird so zur Kochbuchautorin und – aus heutiger Sicht –
auch zur Geschichtsschreiberin. Ihr Büchlein hatte aber nicht
lange Bestand – mit der Währungsreform 1948 verbesserte sich
auch die Versorgungslage, 1950 wurden die Lebensmittelkarten
abgeschafft.
Die Illustrationen stammen übrigens von G. Woldemar Hörnig,
der sich 16 Jahre später mit der Gestaltung des ersten ZDF-
Senderlogos einen Namen machte.
www.bibliotheca-culinaria.de
GARÇON 105
ADVERTORIAL
SERIE: L‘Art de Vivre Residenzen – eine Vereinigung herausragender Gastgeber, Spitzen- und
Sterne-Köche, die zu den besten Restaurants & Hotels im deutschsprachigen Raum zählen. Sie
verbindet seit mehr als 30 Jahren ein besonderer Wertekanon sowie die Solidarität untereinander.
SPITZENTYPEN
DIE HÜTER DER BURG
Drei Generationen, zwei Familien, eine Vision: Hoch über dem Filstal haben weitsichtige
Gastronomen in historischer Kulisse ihren Stammsitz eingerichtet: Hotel Burg Staufeneck.
Burgherr sein – das klingt romantisch. Man denkt an wehrhafte
Mauern, gewaltige Tore und herrliche Weitsicht, in
grauer Vorzeit überlebenswichtig. Die Geschichte der Burg
Staufeneck im baden-württembergischen Salach geht auf
das Jahr 1080 zurück, als Ludwig von Staufen den Bau eines
Stammsitzes in Auftrag gab. Mehr als 250 Jahre blieb
sie im Besitz des Adelsgeschlechts. Später wird sie verkauft,
vererbt – und verfällt.
Bis 1926 der Burgfried wieder zugänglich gemacht wird.
Pächterin Hildegard Wörner eröffnet einen Kiosk. Damit beginnt
eine neue Familienchronik: Fast 50 Jahre später übernimmt
ihre Tochter Lore mit Ehemann Erich Straubinger die
Wirtschaft, Restaurant und Bankettsaal entstehen. Familie
Straubinger erwirbt die Burganlage. Sohn Rolf wird Küchenchef
und holt 1991 den Michelin-Stern; seine Frau und
seine Schwester Karin organisieren Events. Karin heiratet
ihren Jugendfreund Klaus Schurr, der als Manager einsteigt.
Beide Paare haben eine gemeinsame Vision: Sie bauen ein
Spitzenhotel in historischer Kulisse, mit erstklassigem Restaurant
und Wellnessbereich.
Der Auszeichnung als „Hoteliers des Jahres 2011“
folgte die Fünf-Sterne-Superior-Zertifizierung.
Heute zählt die Burg zu den 30 besten Hotels
in Deutschland und ist als Hochzeitslocation beliebt.
2020 präsentieren sich Burgrestaurant und
Gourmetlokal in neuer Gestalt. Staufeneck hat
einen exzellenten Ruf zu verteidigen. Von Gästen
lässt man sich dabei gern belagern.
Gutes Team: Küchenchef Rolf Straubinger (links)
und Hotelchef Klaus Schurr Fotos © Hotel
www.lartdevivre-residenzen.com
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GARÇON
Nachrichten und Neuigkeiten BOUQUET GARNI
Inhaber und Sommelier Serhat Aktaş...
NACHRICHTEN UND NEUIGKEITEN
Todesmutig oder erfolgsgläubig? Während die meisten Berliner
Gastronomen in den letzten Monaten von der Krise geschüttelt
wurden und einige sogar das Handtuch warfen, wagten andere den
Start ins Essen-und-Trinken-Business. So eröffneten am 16. Mai
Marisa und Egbert Möller in Charlottenburg ihr Restaurant Anouki;
Lara und Franklin Edmond zogen am 23. Mai mit ihrem Le Cellier
im Friedrichshainer Kiez nach, und am 30. Juni schließlich luden
Serhat Aktaş und Antje Ewald zur Eröffnungsparty in ihr Bistro „Der
Weinlobbyist“ in der Schöneberger Kolonnenstraße, das mit gästefreundlichen
Öffnungszeiten (11.00 bis 23.00 Uhr), einem idyllischen
Innenhof und einer sorgfältig zusammengestellten Weinofferte
punktet.
Keine Frage, Aktaş ist – wenn es um Wein geht – ein Auskenner.
Der 28-Jährige stammt aus Izmir, kam – elfjährig – mit seiner
Familie nach Berlin, beendete hier die Schule und eine Ausbildung
zum Restaurantfachmann im Aigner am Gendarmenmarkt. „Herbert
Beltle weckte in mir das Interesse an der Welt der Weine“, sagt
er. Es wurde seine Welt. Staatlich geprüfter Sommelier, Chefsommelier
im Sternerestaurant SAVU am Kurfürstendamm, Önologiestudium
an der Universität Geisenheim – da war die eigene Weinbar
nur konsequent. Ende Frebruar 2020 übernahm Serhat Aktaş
das einstige Café Linz nahe des Kaiser-Wilhelm-Platzes, investierte
und sanierte und schuf einen atmosphärisch höchst gelungen
urbanen Zufluchtsort.
DER WEINLOBBYIST
Kolonnenstraße 62
10827 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 30 64 07 72
kontakt@weinlobbyist.de
… und seine Partnerin Antje Ewald, früher
Bankett-Chefin im Regent Hotel.
GARÇON 107
„Wer wissen will, was genau er eigentlich
isst, kann das am besten in Erfahrung
bringen, wenn er in der eigenen Region
direkt beim Erzeuger kauft und ihm quasi
bei der Arbeit über die Schulter schaut“, rät
der Berliner Autor Robert Zagolla in seinem
Anfang des Jahres bei be.bra erschienenen
Band „Hofläden in Brandenburg“. Ein Satz,
den sicher die meisten Verbraucher unterschreiben
würden. Aber wie das eben oft im
Leben ist – zwischen allgemeiner Zustimmung
und konkretem Handeln klafft dann
doch eine ziemliche Lücke.
Einer Umfrage des Bundesministeriums
für Ernährung und Landwirtschaft zum Einkaufsverhalten
der Deutschen zufolge, erledigen
die meisten ihre Einkäufe im Supermarkt
– 64 Prozent. Rund 35 Prozent kaufen
beim Discounter ein, 11 Prozent im Bioladen
oder Biosupermarkt, und 9 Prozent nutzen
die Angebote von Wochenmärkten. Lediglich
7 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig
regionale Hofläden zu besuchen,
um dort frisches Obst und Gemüse, Fleisch
aus artgerechter Haltung, hausgemachte
Wurst, Honig, manufakturell hergestellten
Käse oder Fisch aus nachhaltiger Zucht
zu kaufen.
Zagollas Führer durch die Welt der Brandenburger
Hofläden – der Autor beschreibt
rund 300 dieser kulinarischen Orte – ist nun
beileibe keine Aufforderung, seinen Wochenendeinkauf
etwa in der Prignitz zu erledigen,
obwohl regional und direkt immer besser ist
als von weither und aus dem Supermarkt.
Und so empfiehlt er Berlinern und Potsdamern
– ohnehin die wohl wichtigsten
potentiellen Rezipienten dieses Guides
– Hofläden in der näheren Umgebung per
Fahrrad zu entdecken (schade, dass Zagolla
den Blankenfelder Bauernhof nicht
erwähnt – Sabina Lischkas Käsespezialitäten
hätten einen Tipp verdient gehabt,
so geschmacksstark wie sie sind) oder
aber den nächsten Landausflug nach Brandenburg
zu nutzen, um einige Hofläden, die
ohnehin auf der Route liegen, zu besuchen.
Robert Zagolla rät aus gutem Grund, die
angegebenen Adressen und Öffnungszeiten
noch einmal zu überprüfen. Die Recherchen
zu seinem Guide erstreckten sich über
mehrere Jahre – verständlich, wenn es in
dieser Zeit da und dort Änderungen gab.
HOFLÄDEN IN BRANDENBURG
Die besten Ideen und Adressen
für kulinarische Landausflüge
Robert Zagolla
edition q im be.bra verlag GmbH
Berlin-Brandenburg 2020
www.hoflaeden-in-brandenburg.de
ISBN 978-3-86124-714-2
www.bebraverlag.de
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GARCON-QUIZ
VERLAG UND REDAKTION
Bild Art Media Verlag
Inh. Yvonne Weinlich
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
Fon 0 30 - 28 86 79 70
Fax 0 30 - 28 86 79 69
info@bildart-verlag.de
www.garcon24.de | facebook.de/garcon24
HERAUSGEBER
Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.)
REDAKTION
Petra Leonhardt (Leitung)
Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer,
Wolf-Dietrich Strobel
Julia Junker, Heiko Schweter (Praktikanten)
AUTOREN UND KOLUMNISTEN
Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,
Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,
Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,
Dagmar Maas, Johannes Mohr,
Rafael Neitzsch, Jörg Teuscher,
Thorsten Tonski, Christian Zeltner
GRAFIK UND LAYOUT
Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de)
Maik Kleinhanns (info@davin-c.de)
Vor 115 Jahren entdeckte der elfjährige
Frank Epperson in San Francisco per Zufall
das Stiel-Eis. 1923 meldete er es als „Popsicle“
(„pop“: ein Synonym für Limonade
– „sicle“: eine Abwandlung von „icicle“=
Eiszapfen) zum Patent an.
Wer wissen will, wie das Stiel-Eis aus den
USA in deutsche Tiefkühlfächer kam, landet
unweigerlich bei Theo Schöller. Der Sohn
eines Nürnberger Büromöbel-Fabrikanten
hatte Mitte der 1930er die eisige Spezialität
probiert und war davon dermaßen begeistert,
dass er gemeinsam mit seinem Bruder
Karl eine Firma für die Herstellung von Stiel-
Eis gründete.
Schnell folgte das Hamburger Unternehmen
Langnese, das im Jahr 1937 bereits
20 Millionen Eis am Stiel produzierte
und dessen Klassiker Capri (1959), Nogger
(1963) und Magnum (1989) noch heute in
aller Munde sind.
Wir wollen wissen, wie hoch der jährliche Eisam-Stiel-Konsum
in Deutschland derzeit ist:
A ca. 500 Millionen Stück
B ca. eine Milliarde Stück
C ca. zwei Milliarden Stück
Ihre Antwort bitte an:
Bildart Media Verlag
Redaktion GARÇON
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
E-Mail: info@bildart-verlag.de
Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden
unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig
beantwortet haben.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsendeschluss: 15. September 2020.
Die Gewinne werden per Post zugesandt.
TITELBILD
Marie Geißler
www.mariegeissler.de
FOTOS UND ILLUSTRATIONEN
Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon,
Anette Köhn (1/Illustration S.8),
Marie Geißler (4/Porträt-Illustrationen S.11, 15, 19
und Illustration S.33),
La Lucha (2/S.17 unten), Hotel Oderberger (1/S.36)
www.yolcsita.com (1/S.52 unten),
Azienda Agricola Josè Noè,
Papa dei Boschi(2/S.59),
Katsushi Oochi (3/S.61)
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Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngel
anzeigen@bildart-verlag.de
DRUCK
www.pingoprint.de
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