10.08.2020 Aufrufe

Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lenbensart Nr. 55

Trennwände, Atemmasken, begrenzte Gästezahl und trotzdem...sind nicht nur wir mit dem neuen GARCON am Start. Wir besuchten einen Berliner Verlag, das Speisezimmer eines Spitzenkochs, eine Cucina Napoletana, ein Low Carb Superfood Kitchen, Song Lee in Hamburg, eine Rawfood-Bäckerin und eine feine Patisserie. Wir befragten 7 Gastronomen zum 'Stand der Dinge', sprachen mit einer Hoteldirektorin über das Berlin Food Kollektiv und machten einen ausgiebigen Besuch in Brandenburg (Kremmen, Schwante, Sommerswalde - tolle Gegend). Zimtschnecke, Haselnuss-Creme und japanischer Essig sind mit im Boot. Und natürlich blättern wir wieder in alten und neuen (Koch)Büchern. Also viel Spass beim Schmökern!

Trennwände, Atemmasken, begrenzte Gästezahl und trotzdem...sind nicht nur wir mit dem neuen GARCON am Start. Wir besuchten einen Berliner Verlag, das Speisezimmer eines Spitzenkochs, eine Cucina Napoletana, ein Low Carb Superfood Kitchen, Song Lee in Hamburg, eine Rawfood-Bäckerin und eine feine Patisserie. Wir befragten 7 Gastronomen zum 'Stand der Dinge', sprachen mit einer Hoteldirektorin über das Berlin Food Kollektiv und machten einen ausgiebigen Besuch in Brandenburg (Kremmen, Schwante, Sommerswalde - tolle Gegend). Zimtschnecke, Haselnuss-Creme und japanischer Essig sind mit im Boot. Und natürlich blättern wir wieder in alten und neuen (Koch)Büchern. Also viel Spass beim Schmökern!

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MISE EN PLACE

Liebe Freunde,

Ende März prophezeite Starkoch Tim Raue für sich und seine Branche den worst case: „Corona wird unser

kulinarisches Leben in Schutt und Asche legen.“ Mal abgesehen von der martialischen Wortwahl, mit der

ich in diesem Zusammenhang nichts anfangen kann, schien Raues Vorhersage damals so falsch nicht zu

sein. Ganz so schlimm ist es – Bund und Land sei Dank – zum Glück nicht gekommen.

Toshu Nakamura, 36, mit zwei Michelin-Sternen

und 19 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneter

Küchenchef – hier bei einem kulinarischen Workshop

2018 in Berlin (auf unserem Bild links).

Trotzdem mussten inzwischen die ersten Restaurants schließen. Die prominentesten Opfer in Berlin sind

das Cell in der Uhlandstraße in Wilmersdorf, das mit dem neuen Küchenchef Liam Fagotter gerade

wieder auf Kurs schien, Sarah Wieners Gastronomie- und Cateringbetriebe sowie Cynthia Barcomis Deli in

den Sophie-Gips-Höfen in Mitte. „Es hätte keinen Sinn gemacht, mit einem Kredit die fehlenden Umsätze

zu finanzieren“, so die Unternehmerin, „das hätte ich nicht überlebt.“

In Hamburg strich das erst 2017 eröffnete Izakaya die Segel, und in München schließlich kam es ganz

dicke. Hier verschwand mit dem Schwabinger Werneckhof by Geisel – Küchenchef Toshu Nakamura war

noch Ende 2019 zum „Koch des Jahres“ gekürt worden – eins der besten deutschen Restaurants von der

kulinarischen Landkarte. Und wenn man Branchenkennern glaubt, ist das noch längst nicht das Ende.

„Der Überlebenskampf hat gerade erst begonnen, und er wird noch weitere Opfer fordern“, sagte uns

kürzlich der Berliner Küchenchef Thomas Vetter. Damit es vielleicht doch nicht so hart kommt, sollten

wir – die Gäste – den Gastronomen unsere Solidarität zeigen. „Das Restaurant ist ein Ort, an den man

geht, um seinen Gaumen, sein soziales Gebilde wieder aufzufrischen“, so Tim Raue, „ein Ort, an dem im

besten Fall humanitäres Miteinander zelebriert wird.“ Ich finde, er hat Recht, also sollten wir das auch tun.

Gehen wir essen!

Eure Yvonne Weinlich

info@bildart-verlag.de


INHALT

MISE EN PLACE

TITEL

Kochen mit Jaja

Einem Berliner Kleinverlag

in die Töpfe geguckt

Lowkal:

44 Nische mit Zukunft.

LOKALTERMIN

Der Neustart — und nun? 23

Sieben Berliner Gastronomen

über den Stand der Dinge

Otto 32

Die Speisekammer eines Spitzenkochs

Berlin Food Kollektiv 36

Hoteldirektorin Verena Jaeschke im Interview

06

Kochen mit Jaja:

Einem Berliner Kleinverlag in die Töpfe geguckt.

GESCHMACKSSACHEN

Zimtschnecke Royal 52

Loblied auf eine Spezialität

Coco & Co. 55

Probiert in der Patisserie Gil Avnon

Anaïs Causse empfiehlt: 58

Crema di Nocciola

Nihon Mono: 60

Katsushi Oochi — Der japanische Gegenbauer

LimaLima 38

Cucina Napolitana im Schillerkiez

Lowkal 44

Nische mit Zukunft

Berliner Teller 48

Ceviche vom Müritzsaibling,

serviert im Rutz Zollhaus

Otto:

32 Speisekammer eines Spitzenkochs.

Kostproben 62

KOPFSALAT

Erika Kaneko 64

Rawfood-Meisterin und Kalligrafin

Wie geht's eigentlich...? 70

Song R. Lee

4 GARÇON


FINDE DEINEN GIN

91

Punkte

BAR- & SPIRITS GUIDE

Berliner Teller:

48 Serviert im Rutz Zollhaus.

Dieter Fuhrmann (1940-2020) 72

Zum Gedenken

KULINARISCHE EXKURSION

Unterwegs in Brandenburg 75

Kremmen

Schwante

Sommerswalde

RUBRIKEN

75

Unterwegs in Brandenburg:

Kremmen, Schwante, Sommerswalde.

Berliner Marktnischen 102

Stadtfarm-Angebote

im Landschaftspark Herzberge

Kulinarische Nachlese 104

In alten Kochbüchern geblättert

BOUQUET GARNI

Nachrichten und Neuigkeiten 106

Hofläden in Brandenburg

Der Weinlobbyist

Garcon-Quiz 110

Impressum 110

64

Erika Kaneko:

Rawfood-Meisterin und Kalligrafin.

GARÇON

5


TITEL Kochen mit Jaja

6 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Kochen mit Jaja

EINEM BERLINER KLEINVERLAG IN DIE TÖPFE GEGUCKT

VON JÖRG TEUSCHER

„Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück der Erde vermehrt:

die Kochbücher.“ Der Satz stammt von dem englischen Schriftsteller

Joseph Conrad (1857-1924). Ob Conrad auch so noch dächte

und schriebe, wenn er den aktuellen Kochbuchmarkt kennen würde?

Allein in Deutschland erscheinen jedes Jahr um die 1.900 neue

Kochbuchtitel oder – wie die Branche es formuliert – „Print-Novitäten

in der Warengruppe Essen und Trinken“. Viele davon kann man

durchblättern, ohne auch nur ein einziges Mal hängen zu bleiben.

Sie sind weder sorgfältig zubereitet noch machen sie Appetit, und

von kulinarischer Verführung kann erst recht keine Rede sein.

Rund ein Dutzend spezialisierter Großverlage von Dorling Kindersley

bis Gräfe und Unzer dominieren den deutschen Kochbuchmarkt,

der seit einigen Jahren aufgeht wie ein an der Heizung vergessener

Hefeteig: Länderküche, Regionalküche, schnelle Küche, leichte

Küche, Gemüseküche, Fleischküche, Fischküche, vegetarische Küche,

vegane Küche, Alltagsküche, Diätküche, Sterneküche, dazu die

jährlichen Pflichtbücher der Fernsehköche und ihrer Ghostwriter –

nichts, was es noch nicht gibt. Oder fast nichts, denn noch halten

sich die meisten Food-Blogger und Restaurant-Tester beim

Kochbuchschreiben vornehm zurück, obwohl ihre kulinarische

Kompetenz sie dazu nachgerade prädestinieren würde, etwa die

Lieblingsrezepte ihrer Lieblingsköche zu publizieren.

Aber vielleicht haben sie auch den Altmeister Wolfram Siebeck

(1928-2016) gelesen, der seinerZEIT urteilte, dass es bei

Kochbüchern mittlerweile völlig egal sei, welche Art von Rezepten

sie enthielten. „Jedes Gericht“, so Siebeck, „ist inzwischen

schon zigfach beschrieben worden. Deshalb lohnen sich nur

noch Kochbücher, die hübsch anzusehen oder auf eine kurzweilige

Weise geschrieben sind.“

Der Berliner Kleinverlag Jaja gibt solche Kochbücher heraus.

Sie liefern dem Leser einen Mehrwert, indem sie Wissen vermitteln,

Geschichten erzählen, die Kochlust fördern und die kulinarische

Intelligenz des Genussinteressierten auf neue Höhen

bringen. Ja, und hübsch anzusehen sind sie allemal.

GARÇON

7


TITEL Kochen mit Jaja

Verlegerin Annette Köhn.

Sonnenallee, Reuterstraße, Tellstraße. Die Bäckerei Sultan serviert

zum Frühstück Sucuklu Yumurta, Knoblauchwurst mit Ei; der Salon

Farhat bietet Haarschnitt und Bartrasur für 13 Euro; es gibt Copy- und

Shisha-Shops, das Ramen House Men Men, die Arethusa-Schnitzel-

Welt und das Schwabylon: Stark und groß durch Spätzle mit Soß`.

Hier, wo Neukölln am neuköllnischsten ist, hat der Jaja-Verlag

seinen Sitz. Drei Sandsteinskulpturen zwischen den Fenstern der

ersten Etage zieren das Mietshaus Tellstraße 2 – Göttinnen der

schönen Künste des Altertums. Welche der neun Musen die Gründerzeitbaumeister

dort oben aufstellten, blieb uns allerdings ein Rätsel.

Genauso ging es Annette Köhn als sie 2006 im Haus eine Ateliergemeinschaft

gründete. Dennoch nannte sie den künstlerischen Ort

Musenstube.

Die 44-jährige Fränkin stammt aus Erlangen, kam 1999 nach Berlin,

studierte an der Hochschule der Künste in Weißensee Kommunikationsdesign.

Ihre Liebe galt schon damals dem Comic.

8 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Ihren 2011 gegründeten Jaja-Verlag, auch heute noch eine One-

Woman-Company und ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, sieht

sie in erster Linie als Comic-Verlag. „Ich bewege mich haarscharf

an den Kanten und gleichzeitig im Spannungsfeld von Comic und

Illustration“, so die Verlagschefin, „beides Bereiche, deren Wirtschaftlichkeit

nicht gerade auf festen Füßen steht, und mit der

Anerkennung könnte es auch besser bestellt sein, vor allem im

Literaturbetrieb. Aber es ist auch gut, dass es Kanten und Ecken

gibt und wir uns hier noch Boden erkämpfen können.“

Übrigens: Die Musenstube hat inzwischen „ausgestubt“, Annette

Köhn wird künftig die Räume in der Neuköllner Tellstraße nur noch

als Verlagsbüro und -shop nutzen. Ein neues Schild sollte eigentlich

längst über der Tür hängen, aber da war Corona mit den vielen Folgen.

Buchmessen, Literaturfestivals, Lesungen wurden abgesagt,

die wochenlange Schließung der Buchhandlungen bescherte den

deutschen Verlagen – großen wie kleinen – einen Umsatzeinbruch

von rund einer halben Milliarde Euro. Und da war auch das Ausschreibungsende

für die Teilnahme am renommierten Comicbuchpreis

2021 der Berthold Leibinger Stiftung im baden-württembergischen

Ditzingen. Annette Köhn hat dafür einen Comic gezeichnet, eine

Art Einblick in ihre Arbeit – vor Corona und ein halbes Jahr später,

nachdem sich alles verändert hatte…

Wir stießen auf Annette Köhn und den Jaja-Verlag wegen seiner

Kochbücher, die universal stimulierend sind und Appetit aufs Leben

machen. Und auf viele Sachen, die man noch kochen könnte.

JAJA VERLAG

Tellstraße 2

12045 Berlin-Neukölln

Tel. 030 - 22 68 71 87

www.jajaverlag.com

GARÇON

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TITEL Kochen mit Jaja

Dienstag, 5. Mai 2020

Anni von Bergen lebt seit einem Jahr in Hamburg. Wir verabreden

uns telefonisch. Der Termin ist kein Problem, aber der Ort. Auch in

der Hansestadt sind die Cafés und Restaurants Anfang Mai noch

geschlossen. Anni von Bergen schlägt den Jungfernstieg vor.

10 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Der frühe Intercity Express, 5.19 Uhr ab Berlin-Südkreuz, 7.25 Uhr

an Hamburg Hautbahnhof, ist normalerweise gut gebucht. Vor allem

Geschäftsleute und Tagestouristen lieben die schnelle Verbindung

in die Hansestadt.

Im Coronamonat Mai erkennt man die Schieflage der Dinge vor

allem daran, wie wenige Fahrgäste den ICE 608 nutzen. Ich zähle

zwölf Passagiere auf dem langen Südkreuz-Bahnsteig. „Mask

have?“, fragt mich ein junger Mann beim Einsteigen. Ich weiß es

nicht, bejahe aber vorsichtshalber, und dann sitzen wir beide, bemaskt

und meterweit entfernt, mutterseelenallein im Wagen Nummer

7 und rauschen Richtung Hamburg.

Der erste Eindruck auch dort: Leere. Nur wenige Passanten in

der Mönckebergstraße, auch auf dem Rathausmarkt, selbst an regnerischen

Tagen pickepackevoll, nur wenige Menschen. Und am

Jungfernstieg schließlich kann ich mir die Bank aussuchen, auf der

ich auf Anni von Bergen warte. Der Alsterpavillon ist geschlossen,

die Alsterdampfer sind am Schiffsanleger festgemacht, Enten und

Möwen haben die Binnenalster für sich.

Anni von Bergen lebt seit knapp einem Jahr im Hamburger

Stadtteil Wilhelmsburg, Europas größter bewohnter Flussinsel, früher

für gut situierte Hanseaten eine hässliche No-go-Area – heute

ein hipper Multikulti-Bezirk.

Anni von Bergen könnte mit der S-Bahn zum Jungfernstieg fahren,

aber sie nimmt für die zehn Kilometer lieber ihr Rennrad. „Ist

bequemer“, kommentiert sie locker, „und nützt der Gesundheit.“

Trotz des blauen Himmels weht ein kalter Wind über die Binnenalster,

nicht unbedingt die angenehmste Interviewsituation. Gegen

Zehn öffnet eine Starbucks-Filiale am Neuen Jungfernstieg, immerhin.

Der sündhaft teure Na-ja-Kaffee ist wenigstens heiß.

Anni von Bergen, Jahrgang 1989, stammt aus Kamen, einer

Stadt am Rande des Ruhrpotts, und studierte in Münster Visuelle

Kommunikation. Bachelorabschluss 2016, Umzug nach Berlin, Ar-

beit als Illustratorin und Dozentin. Im September 2019 dann Hamburg.

„Die Stadt hat viel zu bieten, der Austausch mit Kollegen ist

hier besser als in Berlin, und ich kann in Hamburg meinen Master

machen“, so Anni von Bergen.

„Lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen.“ „Über welches?“ Dezenter

Hinweis darauf, dass „A Sauerkraut´s Kitchen“ – über den

Titel wird noch zu reden sein – nicht das erste Buch der 31-Jährigen

ist. Bereits 2017 illustrierte sie ein Opernbuch – Don Giovanni

von Lorenzo da Ponte, Musik Wolfgang Amadeus Mozart. „Anni

von Bergen setzt die in der Oper gesungenen Emotionen mit ihren

dramatischen und expressiven Zeichnungen gekonnt in Szene“,

lobte die Kritik.

Ihr Kochbuch-Erstling ist eher weniger schwere Kost. Wobei: Für

Leute ihrer Generation dürften Arme Ritter, Kalter Hund oder Leipziger

Allerlei ebenso Bücher mit sieben Siegeln sein wie die Arien

des Don Giovanni oder der Donna Elvira. Anni von Bergen nickt

bestätigend. „Wir sind viel gereist“, erklärt sie, „wir wissen, wie Korea

kocht und Peru isst, kennen Bibimbap und Dulce de leche, die

Verbindung zur heimatlichen Küche ist uns aber verloren gegangen.“

Diese Erkenntnis und eine kindheitgeprägte Leidenschaft fürs

Kochen ließen bei der 31-Jährigen die Idee einer „zeichnerischen

Entdeckungsreise durch Deutschlands Küchen“ reifen — so übrigens

auch der Untertitel ihres Kochbuches.

Die meisten Verlage, denen Anni von Bergen ihr Konzept vorstellte,

reagierten skeptisch — erst bei Jaja war sie an der richtigen

Adresse. Ein Jahr lang zog sie kreuz und quer durch deutsche Lande,

besuchte Gasthöfe und Wirtshäuser, interviewte Fremde und

Freunde, sammelte Rezepte. „Eine kulinarische Identitätssuche“,

nennt sie diese Zeit heute. Probekochen, Testessen, mehr Lob als

Kritik. Den Buchtitel schließlich liefern Bekannte aus England — für

sie ist deutsche Küche eben A SAUERKRAUT´S KITCHEN.

www.annivonbergen.com

GARÇON

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TITEL Kochen mit Jaja

FÜR 4 PERSONEN

BERLIN

BERLINER, BZW. OSTPREUSSISCHE SPEZIALITÄT. DER NAME

SETZT SICH ZUSAMMEN AUS DEM URSPRÜNGLICHEN NAMEN

„KÖNIGSBERG“ FÜR KALININGRAD UND DEM OSTPREUSSISCHEN

„KLOPS“ FÜR „KLEINER KLOSS“.

FÜR DIE BÄLLCHEN

500 g Rinderhackfleisch

1 Brötchen vom Vortag

1 Tasse Milch, lauwarm

2 Schalotten

3 Eier (M)

4 Sardellenfilets

50 g Butter

10 Kapern

Biozitronenschale, gerieben

2 Lorbeerblätter

1 Prise Rohrohrzucker

Salz und Pfeffer aus der Mühle

Muskatnuss, gerieben

KARTOFFELN UND SOSSE

1 kg Kartoffeln

2 Eier (M)

100 ml Sahne

Zitronensaft

Fleischbrühe

1 Glas Weißwein

3 EL Weizenmehl, Type 405

glatte Petersilie

ZEITAUFWAND

ca. 40 Minuten

1| Das Brötchen würfeln und

mit warmer Milch bedecken.

Das Hackfleisch in eine

Schüssel geben. Schalotten

häuten und fein würfeln. Sardellenfilets

klein schneiden.

Fleisch, Eier, Zitronenschale

zum Fleisch geben. Hände

mit Wasser befeuchten und

alles vermengen. Mit Pfeffer

und Salz würzen. Kleine

Fleischbällchen rollen.

2| Geschälte Kartoffeln in

einem Topf mit leicht gesalzenem

Wasser zum Kochen

bringen und gar kochen.

3| In einem großen Topf ca.

zwei Liter Fleischbrühe zum

Kochen bringen, Lorbeer und

etwas Zitronensaft hinzugeben.

Die Klopse hineinlegen,

sodass sie mit Flüssigkeit

bedeckt sind. 15 Minuten

bei wenig Hitze gar ziehen

lassen.

4| Anschließend die Fleischklopse

mit einem Schaumlöffel

aus dem Topf nehmen und

auf einem Teller mit Alufolie

warm halten. Etwa 2 Finger

breit Brühe im Topf behalten.

5| Die Oberfläche mit Mehl

bestäuben. Den Deckel 20

Sekunden auf den Topf legen.

Anschließend rühren

und mit Weißwein und

Sahne verfeinern. Den Topf

vom Herd nehmen und die

Eigelbe schnell in die Soße

rühren. Am Ende die Kapern

und etwas Zitronensaft

hinzugeben. Mit Pfeffer

und Salz abschmecken.

Die Kartoffeln aus dem Wasser

nehmen und auf einem

Teller mit Klopsen und Soße

anrichten. Mit etwas gehackter

Petersilie bestreuen.

64 Rezepte aus 16 Bundesländern bestanden die Aufnahmeprüfung

– Rezepte, die es so oder oder so ähnlich

natürlich auch in anderen Kochbüchern gibt.

Was „A Sauerkraut´s Kitchen“ zu etwas Besonderem

macht, sind die Illustrationen von Anni von Bergen – farbenfrohe

Einladungen zum Essen und an typische Orte, denen

die Künstlerin ihre Aufwartung machte: den Altonaer Fischmarkt

und den Viktualienmarkt in München, die Lüneburger

Heide und die Bodenseeinsel Reichenau, die Eltzer Mühle in

Uetze und den Reinickendorfer Flughafensee.

Mal arbeitet sie mit kräftigem Pastell, mal mit filigranem

Bleistift, oft überbordend, fast wild, immer aber ausdrucksstark,

eindringlich, sinnlich. Nein, es müssen nicht immer

die mittels Photoshop aufgemotzten Hochglanzfotografien

sein, möglicherweise sind solche Illustrationen sogar viel

intensiver.Individueller sind sie auf jeden Fall.

SCHWIERIGKEITSGRAD

Normal

FLEISCH

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Anni von Bergen, geboren 1989, gehört zu einer Altersgruppe,

die Soziologen als Generation Y bezeichnen. Y gesprochen

wie why, warum. Es ist eine Generation, die es buchstäblich

wissen will, die mit dem Internet groß geworden ist, die

Welt kennt und kulinarisch auf der kosmopolitischen Welle

surft. Dennoch ein Buch über Bremer Klaben, Königsberger

Klopse, Schwarzwälder Kirschtorte, Pfefferpotthast,

Rinderrouladen und Sauerbraten, Frau von Bergen? „Vor

allem im Ausland, aber auch von ausländischen Freunden

in Berlin wurde ich oft gefragt, was typische deutsche Küche

ist, was uns kulinarisch beglückt und was beleidigt.

What we love to eat at home.“ Die Antworten, die Anni von

Bergen auf ihre kulinarische Suchanzeige bekommt, sind

durchaus sympathisch.

12 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

„Es ist gut, dass solche Kochbücher noch verlegt werden und auch

ihre Leser finden“, sagt Michael Eilhoff, „zeigt es doch, dass die

deutsche Küche nicht tot ist, obwohl sie schon dutzendmal beerdigt

wurde.“

Sein Restaurant „Lutter & Wegner seit 1811“, das übrigens nicht

zum allgegenwärtigen Laggner-Imperium gehört, ist der äußerst lebendige

Beweis dafür. Seit 1995 steht Eilhoff hier am Herd, seine

Souschefin Cindy Menz ist seit 10 Jahren dabei. „Ich halte Kontinuität

und Konstanz durchaus für große Tugenden, auch in der Gastronomie“,

so Michael Eilhoff.

Das Auffälligste an dem 62-jährigen Sauerländer ist seine Unauffälligkeit,

das Aufregendste seine Unaufgeregtheit. Und dementsprechend

kocht er auch – handwerklich blitzsauber, schnörkellos

und geschmacksintensiv. Ob Königsberger Klopse, Schwäbische

Maultaschen oder Wiener Schnitzel, ob Blutwurst mit Schalotten-

Senfsauce oder Zander mit Blattspinat – viele Stamm-, aber auch

eine steigende Zahl von Zufallsgästen feiern Eilhoffs deutsche Regionalküche,

die schlüssigen Kombinationen seiner Gerichte, die

klare Würzung, die perfekten Garzeiten, eben das ganze Konzept.

Und obwohl die meisten Berufsesser auf der Suche nach dem

nächsten Kick das Restaurant mit dem gemütlichen Dunkelholz-

Ambiente links liegen lassen, hat es sich längst herumgesprochen:

Wer in Berlin unprätentiös speisen möchte, in zuverlässiger Qualität

und ohne pseudo-kreatives Chichi, der kommt am „Lutter &

Wegner seit 1811“ nicht vorbei.

LUTTER & WEGNER

Schlüterstraße 55

10629 Berlin-Charlottenburg

Tel. 030 - 881 34 40

www.restaurantlutterundwegner.de

Inhaber und Küchenchef Michael Eilhoff.

GARÇON

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TITEL Kochen mit Jaja

Mittwoch, 20. Mai 2020

Auch in Berlin verbieten die Corona-Bestimmungen viele Treffpunkte.

Anne Wenkel und Ivette Pérez de Wenkel haben gute Beziehungen

und so öffnet Fernando Bolanos für unser Interview

ausnahmsweise seine Mezcal-Bar in der Friedrichshainer Scharnweberstraße.

Das Ambiente passt perfekt zum Gegenstand unseres

Gesprächs und auch der Juquila-Kaffee ist total authentisch.

14 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Corona, das ist leider eine unumstößliche Wahrheit, trifft die Gastronomie

besonders hart. Bisher prominentester Beleg: Die 57-jährige

deutsch-österreichische Unternehmerin, Autorin und Politikerin

Sarah Wiener. Am vorletzten Juli-Donnerstag gab sie auf ihrer

Facebook-Seite bekannt, dass sie für ihre Berliner Restaurants und

den Sarah-Wiener-Catering-Service Insolvenz anmelden musste.

Keine deutsche Zeitung, die nicht darüber berichtete. Andere, weniger

bekannte Gastronomien, sterben leiser...

Ob es die kleine Mezcal-Bar, die Fernando Bolanos und seine Partnerin

Fernanda Sueldo vor vier Jahren im Friedrichshainer Kiez eröffneten,

noch gibt, wenn dieses Heft erscheint, das wissen wir nicht.

Es wäre jedenfalls sehr schade um diesen authentischen, stimmungsvollen

Ort, den Anne Wenkel und Ivette Pérez de Wenkel für

unser Gespräch ausgesucht haben.

Die beiden Frauen sind Schwägerinnen. Ivette, 50, stammt aus

Mexico City, wuchs in einer Medizinerfamilie auf – Vater Arzt, Mutter

Krankenschwester – studierte an der Universidad Ibero Americana

von Tijuana Medienwissenschaften, arbeitete beim Fernsehen, in

der Werbung und sechs Jahre lang für die mexikanische Botschaft

in London. Dort lernte sie Lars Wenkel kennen, Architekt aus Berlin

und Annes Bruder. Übersiedlung in die deutsche Hauptstadt 2010,

Hochzeit. Ivette Pérez de Wenkel gründete die Taco-Tales-Unternehmung,

bietet Caterings an, veranstaltet Kochevents und vermittelt

in kulinarischen Kursen Wissenswertes über Zutaten und Zubereitungen

einer Küche, in der sich indigene und spanische Aromen vereinen

und deren regionale Vielfalt die UNESCO veranlasste, die traditionelle

mexikanische Küche als immaterielles Weltkulturerbe anzuerkennen.

Anne Wenkel, Jahrgang 1983, ist Berlinerin, studierte an der Hochschule

für Technik und Wirtschaft ihrer Heimatstadt Kommunikationsdesign,

reiste für ihre Diplomarbeit kreuz und quer durch Westafrika

und gestaltete ein afrikanisches Märchenbuch. Nach erfolgreichem

Abschluss entschied sie sich, fortan als Illustratorin zu arbeiten.

Weil Kunst und Kulinarik Schwestern sind, lag die Idee eines gemeinsamen

Kochbuches der beiden Schwägerinnen auf der Hand.

„Das Buch ist ein persönliches Andenken an meine Heimat Mexiko

mit Rezepten, die in meiner Familie von Generation zu Generation

überliefert wurden, und es ist gleichermaßen an meine deutsche Familie

adressiert, der ich mit ‚Taco Tales‘ erklären wollte, wer ich bin,

woher ich komme, was mir meine Heimat bedeutet“, so Ivette Pérez

de Wenkel. Und Anne Wenkel fügt hinzu: „Für mich war es sowohl ein

spannendes Projekt als auch eine Liebeserklärung an Mexiko, seine

Menschen und deren kulinarische Gebräuche.“

„Die mexikanische Küche ist wie ein Labyrinth“, schreibt die berühmte

Küchenchefin Margarita Carrillo Arronte, Restaurantbetreiberin

in Mexiko City, TV-Köchin und Dozentin am renommierten Culinary

Institute of America. Und tatsächlich gibt es Gerichte wie Tacos und

Tamales in schier unzähligen Variationen. Tortillas – Fladenbrote,

die seit Urzeiten das Aushängeschild der mexikanischen Küche sind

– werden auf hunderte verschiedene Arten verwendet. Und Chilis

schließlich, das Lieblingsgewürz der Mexikaner und die vielleicht berühmteste

Zutat in den Küchen zwischen Baja California Norte und

Chiapas im Süden gibt es in mehr als 60 Sorten, die nicht nur für Schärfe,

sondern vor allem für Aroma in den diversen Gerichten sorgen.

„Seit einigen Jahren entwickelt sich wieder verstärkt ein Gefühl

dafür, zu unserem Erbe und unserer Vergangenheit zurückzuschauen

und in einem Land, in dem sich die Menschen verletzt und verloren

fühlen, unsere Traditionen zu bewahren. Wir sind auf der Suche

nach uns selbst, nach ein wenig Frieden und Kraft in unserer Identität

als Mexikaner“, schreibt Ivette Pérez de Wenkel am Ende ihres

Kapitels über den „Dia de Muertos“, den Tag der Toten, der in

ihrer Heimat alljährlich am zweiten November gefeiert wird – eine

prähispanische Tradition zu Ehren der Verstorbenen. Starke Worte

einer beeindruckenden Frau.

www.annewenkel.com

GARÇON

15


TITEL Kochen mit Jaja

Gleichzeitig punktet Taco Tales mit den farbenfrohen Paper-Cuts

von Anne Wenkel und den atmosphärischen Reportagefotos

von Andreas Kannengießer. Dabei bebildern

die beiden Künstler nicht einfach Rezept- und Kommentartexte,

sondern heben sie in eine neue emotionale Situation.

Mexiko, wie es ist und isst – appetitanregend, bunt und

fröhlich und immer auch ein bisschen melancholisch.

Schlussendlich ist der Band auch Geschichtsbuch

und Reiseführer. So könnte man sich für ferne Nach-Corona-Zeiten

die Tour über die Halbinsel Baja California

im Norden Mexikos vormerken...

Übrigens: Taco Tales, die lesens- und ansehenswerten

Rezeptgeschichten von Ivette Pérez de Wenkel und

Anne Wenkel, wurden 2019 mit dem Gourmand World

Cookbook Award geehrt!

Sicher gibt es rezeptreichere mexikanische Kochbücher als

Taco Tales – etwa den 700-Seiten-Mexiko-Wälzer von Edel

Germany – eins allerdings bieten sie alle nicht: Storytelling.

Wie die Prise Salz im Tortillateig sind es die persönlichen

Geschichten von Ivette Pérez de Wenkel, die diesem Buch

eine besondere Würze geben.

Beispielsweise, wenn sie über ihre Kindheitserinnerungen

an den Straßenmarkt von Villa Coapa in der Megametropole

Mexico City berichtet – noch heute ein perfekter Ort,

um wirklich traditionelles mexikanisches Essen zu finden.

Oder, wenn sie ihre Guacamole-Geheimnisse preisgibt.

„Eine meiner Lieblingsspeisen“, verrät Ivette Pérez de Wenkel,

„die mir immer ein Gefühl von Heimat, aber auch von

Kraft und Halt gibt.“

16 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Während Mexiko-Stadt in den letzten Jahren neben Lima zum kulinarischen

Hauptreiseziel Lateinamerikas avancierte und mexikanische

Cuisiniers die Wiederentdeckung der indigenen Küche von Mayas,

Azteken, Zapoteken und Mixteken feiern, ist die Gastronomia de

Mexico hierzulande dabei – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen

– still und leise im Folkloristischen auszulaufen. „Um eine ferne

Küchenrichtung blühen zu lassen, reicht es auf Dauer nicht aus,

dass sie von ordentlichen Köchen ordentlich zubereitet wird“,

schreibt Berlins kompetentester Gastro-Autor Bernd Matthies in

diesem Zusammenhang, „sondern sie muss vielmehr ihre Elemente

mit jenen anderer Küchenrichtungen verbinden, und die Köche müssen

sich in sich weiterentwickeln, um nicht von der nächsten Modewelle

überholt zu werden.“

Unsere Bilder auf dieser Seite belegen den Trend. Das „Mexico“

im Neuköllner Ortsteil Britz (Bild oben) beispielsweise punktete einst

mit respektabler Tex-Mex-Küche und passablen Cocktails. Heute ist

das Haus an der Fulhamer Allee eine Baustelle, von Mexiko keine

Spur mehr. Vergangen, vergessen, vorüber.

Anders das La Lucha am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg – das Restaurant

mit der einladenden Terrasse und dem typisch lateinamerikanischen

Farb- und Materialmix gilt als Leuchtturm im Meer der mexikanischen

Gastronomie-Tristesse in Berlin. Hier treffen traditionelle

Gerichte und klassische Cocktails auf zeitgenössische Interpretationen

mexikanischer Genusswelten, lediglich solche Spezialitäten der

prähispanischen Küche wie Chapulines oder Chicatanes fehlen noch…

LA LUCHA

Paul-Lincke-Ufer 39-41

10999 Berlin-Kreuzberg

Tel. 030 - 55 20 09 14

www.laluchaberlin.com

GARÇON

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TITEL Kochen mit Jaja

Donnerstag, 4. Juni 2020

„Es ist aber nicht aufgeräumt“, fügt Jenny Boidol dem Vorschlag

hinzu, unser Gespräch in ihrem Atelier zu führen: Berlin-Neukölln,

Wissmannstraße 21. Das Atelier ist Werkstatt und Laden zugleich

und natürlich herrscht überall penible Ordnung.

18 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Berlin-Neukölln, Wissmanstraße 21. Das schmucklose gegendtypische

Neuköllner Mietshaus hat vor einiger Zeit ein bisschen Farbe

gesehen und wirkt dadurch weniger trist als seine Umgebung. Eine

schmale Ladentür, ein kunterbunt dekoriertes Schaufenster. Dazwischen

eine Fahne: Bär von Pappe − Atelier und Shop.

Jenny Boidol begrüßt − coronabedingt − mit Handzeichen und

auf die Frage, ob ihr Nachname deutsch oder französisch ausgesprochen

wird, lacht sie ihr breites, ansteckendes Lachen. „Hat mich

noch nie jemand gefragt, alle haben immer ‚Boidol‘ gesagt, Betonung

auf der zweiten Silbe, daran habe ich mich gewöhnt. Aber eigentlich

ist der Name hugenottischen Ursprungs.“ Also wähle ich die französische

Aussprache. Wieder dieses Lachen. „Bitte sagen Sie Jenny.“

Sie hat einen kleinen Tisch aufgebaut, dazu zwei Sessel gestellt.

Es gibt Kaffee, Tee, Mineralwasser, Kuchen. Gesten der Freundlichkeit,

kleine Weltverbesserungen im Alltag.

Überhaupt diese Freundlichkeit. In einer Zeit, in der wir dazu neigen,

andere instrumentell zu behandeln und nur dann freundlich zu

sein, wenn es uns nützt, eine schöne persönliche Tugend. Jenny

Boidol wehrt ab: „Das ist meine Natur.“

Die 33-Jährige ist gebürtige Berlinerin, der das künstlerische

Gestalten offenbar in die Wiege gelegt wurde. „Schon in der Kita

war ich die, die immer am längsten gemalt, gebastelt und geklebt

hat“, erzählt sie. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Kulturwissenschaften

studieren, nach einem Praktikum in einer Berliner Werbeagentur

entschied sie sich für einen anderen Weg. Bei Dussman

in der Friedrichstraße absolvierte Jenny Boidol eine Ausbildung zur

Mediengestalterin und schrieb sich dann an der Hochschule für

Technik und Wirtschaft ein, Fachrichtung Kommunikationsdesign.

Abschluss wann? Sie lächelt ein wenig verlegen. „Abschluss

nein.“ Für die junge Berlinerin kein Problem, eher für ihre Eltern.

„Sie haben sich halt heftig Sorgen um meine Zukunft gemacht“,

kommentiert sie rückblickend milde.

2012 startete Jenny Boidol in die Selbstständigkeit, 25 ist sie da. Auf

ihrer Internetseite schreibt sie: „Ich denke mir liebevolle, nachhaltige

Papierwaren aus und entwerfe auch gern Logos, Hochzeitspapeterie

und vieles mehr.“ Ein freundliches Bärchen wird ihr Markenzeichen,

aus alten Schulheften entstehen farbenfrohe Postkarten, es

gibt Poster und Babybücher. „Ich bemale alles, was mir in die Finger

kommt“, sagt sie. Im Regal steht eine Tasse − darauf, unverkennbar,

das Konterfei der mexikanischen Malerin Frida Kahlo. Jenny Boidol

bestätigt meinen fragenden Blick. „Ja, sowas.“

„Ein Jahr quer durchs Beet“ ist ihr Kochbuch-Erstling. Die Rezepte

des 192-Seiten-Bandes stammen von Nicola „Nicky“ Kinghorn und

Julia Hofmann, zwei jungen Frauen, die im Frankfurter Westend bis

2017 gemeinsam Matilda‘s Kitchen betrieben − dann wurde Nicola

Kinghorn Mutter, stieg aus und Julia Hofmann führt seitdem den angesagten

kulinarischen Ort allein.

Den dringenden Wunsch nach einem eigenen Kochbuch hatten

die beiden koch- und backverliebten Seiteneinsteigerinnen ins gastronomische

Geschäft bereits im Sommer 2015. Sie schrieben ihre

Rezepte auf, fanden mit Gerhard Weber einen Fotografen, der ihre

Gerichte so ins Bild setzte, dass sie Appetit machen und auch noch

ein paar intensive Impressionen aus Matildaʼs Kitchen beisteuerte.

Eigentlich hätte das schon gereicht, um den Nutzer vor dem Verhungern

oder dem nächsten Treffen mit einem echauffierten Lieferando-

Boten zu bewahren. „Aber“, so Nicola Kinghorn und Julia Hofmann,

„irgendetwas fehlte uns.“

Und so geschah es, dass Jenny Boidol erst ins Gespräch und

dann ins Boot kam. Sie machte aus dem Rezeptbuch mit fotografischen

Serviervorschlägen ein herrlich buntes Lieblingskochbuch und

schreckte auch nicht davor zurück, einigen der großformatigen Fotos

von Gerhard Weber fette Schriften zu verpassen. Das macht aus „Ein

Jahr quer durchs Beet“ ein fast privates Küchen-Tagebuch. Chapeau!

www.baervonpappe.com

GARÇON

19


TITEL Kochen mit Jaja

Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten • Schwierig? Nein, man braucht nur einen starken Mixer

Corona, das dürfte sicher sein, hat diesen Trend beschleunigt.

Immer mehr Konsumenten sind neugierig auf alternative

pflanzliche Produkte, werden von Aspekten des Tierschutzes

geleitet, sehen geschmackliche Vorteile oder werden von ökologischen

Gründen angetrieben, ihr Ernährungsverhalten zu

überprüfen.

Wer es damit wirklich ernst meint, bekommt von „Ein Jahr

quer durchs Beet“ beste Unterstützung. Die Rezepte des

Kochbuches sind geradezu vorbildlich, was ihren Aufbau

und die Erklärungen angeht. Hinzu kommt, dass sie unkompliziert

sind und ohne Angeberzutaten auskommen, für

deren Beschaffung man Ralf Bos kennen oder tagelange

Recherchen in Kauf nehmen müsste. Nein, das ist ein Buch

für ganz normale Hobbyköche (übrigens nicht nur junge,

wie ich finde) mit ganz normaler Kochleidenschaft. Gut so!

1 Dose (500g)

Kichererbsen, abgetropft

100ml Rapsöl

1 Knoblauchzehe

1 Zitrone (Abrieb und Saft)

1 EL Tahin

1 Prise Kreuzkümmel

Salz/Zucker

Kichererbsen, Zitronensaft, Öl und Knoblauch

im Standmixer oder mit dem Pürierstab cremig

pürieren.

Zitronenabrieb, Tahin und Kreuzkümmel dazugeben

und mit Salz und Zucker abschmecken.

14

Mein Freund Uwe hat Flugzeugbau studiert, ist Ingenieur

und liebt strukturiertes, algorithmisches Denken. Bei ihm

hat alles einen Titel und eine dementsprechende Ordnung.

„Ein Jahr quer durchs Beet“ steht in seinem Kochbuchregal

in der Kategorie Junge-Leute-Kochbücher – wahrscheinlich,

weil seine Töchter auf internationale vegetarisch-vegane

Küche stehen.

Das Rezeptverzeichnis des Bandes weist 75 Positionen

aus, 71 davon sind vegetarisch oder vegan und reichen von

Banana-Bread und Carrot-Cake über Erdnuss-Falafel, Graupen-Salat

und Pfirsisch-Frangipani bis Spargel-Quiche und

Zitronen-Hummus. Rezepte, die im Trend liegen, denn einer

aktuellen Forsa-Studie zufolge essen nur noch 26 Prozent

14

der Deutschen täglich Fleisch oder Wurst. Rund 55 Prozent

aller Befragten verstehen sich als Reduzierer und Flexitarier.

20 GARÇON


Kochen mit Jaja TITEL

Omar Saad, 56, ist der kulinarische Kopf des Charlottenburger Cèdre

Blanc, das man getrost auch als Hommous-Paradies bezeichnen

könnte. Der gebürtige Libanese, der seit 1980 in Berlin lebt, serviert

in seinem Restaurant ein gutes Dutzend wirklich erstklassige

Spezialitäten der orientalischen Küche – von Baba Ghannough bis

Loubié bi Zeit – sein Hommous allerdings bedarf eines anderen

Attributs – „göttlich wäre passend“, meint mein Freund Uwe. Ich

stehe zwar nicht besonders auf den himmlischen Superlativ, aber

wo Uwe Recht hat, da hat er Recht.

Kein Wunder also, dass Omar Saad im Kochbuch „Ein Jahr quer

durchs Beet“ zuerst das schnelle Zitronen-Hummus-Rezept studiert.

Sein Urteil fällt milde aus: „Kann man machen.“

Der Berliner Hommous-König (er bevorzugt diese Schreibweise

des aus dem Arabischen stammenden Wortes, das schlicht Kichererbse

bedeutet) klärt uns auf, dass es im Nahen Osten über

das gleichnamige Gericht ähnlich viele Diskussionen gibt wie hierzulande

über die Zubereitung von Königsberger Klopsen. Welche

Kichererbsensorte? Wieviel Tahini? Kreuzkümmel oder kein Kreuzkümmel?

Knoblauch ja oder nein und wenn ja, wieviel?

„Jedes Land im Nahen Osten, jede Region, jedes Restaurant, sogar

jede Familie schwört auf das eigene Hommous-Rezept – selbst

die Frage, ob das Kichererbsenpüree von Arabern oder Juden erfunden

wurde, ist ein ewiger Streit“, erklärt Omar Saad, der für ihn

natürlich längst entschieden ist. „Entweder es stammt aus dem

Libanon oder der liebe Gott hat es erfunden.“

CÈDRE BLANC

Nehringstraße 34

14059 Berlin-Charlottenburg

Tel. 030 - 63 33 93 80

www.cedre-blanc.de

Cèdre-Blanc-Inhaber Omar Saad.

GARÇON

21



Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN

Neustart im Mai — und nun?

GASTRONOMIE IM ZEICHEN DER CORONA-PANDEMIE: EINE UMFRAGE

VON UWE AHRENS UND JÖRG TEUSCHER

GARÇON

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LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage

Herbert Beltle, Inhaber

Rôtisserie Weingrün

Berlin-Mitte, 9. Juli 2020

Wie ist der Stand der Dinge, Herr Beltle?

Meiner Familie und mir geht es gut, unsere Tochter hat die Zeit des

Lockdowns unbeschadet überstanden und sich gefreut, dass sie endlich

wieder zur Schule gehen kann, wenn auch nur eingeschränkt.

Und wie ist die Situation in Ihrer RÔtisserie Weingrün?

Wir haben den Neustart nach der Schließung so organisiert, wie

es die amtlichen Vorgaben vorsahen: Gästeempfang, Handdesinfektion,

Gästeregistrierung, Abstandsregelung, Maskenpflicht für

die Servicemitarbeiter. Wir haben unsere Take-away-Offerten beibehalten,

und als das Wetter es zuließ, Terrassenplätze angeboten,

aber…

Das klingt doch gut, wieso ‚aber’?

...aber es fehlten die Gäste und dementsprechend die Umsätze.

Besonders negativ auf unser Geschäft hat sich der

beispiellose Zusammenbruch des Tourismus mit Beginn der

Corona-Krise Mitte März in Berlin ausgewirkt. Allein im März

hat sich der Umsatz bei uns gegenüber dem vergleichbaren

Vorjahresmonat mehr als halbiert. Und von Erholung kann noch

längst keine Rede sein.

Das klingt nicht eben optimistisch, Herr Beltle.

Mag sein, aber das ist realistisch. Natürlich kommen seit Anfang

Juni, seit Touristen wieder in Berliner Hotels und Pensionen übernachten

dürfen, auch mehr Gäste, aber wirtschaftlich zufriedenstellend

ist das alles in keiner Weise. Nicht nur bei mir übrigens,

sondern das gilt für unsere gesamte Branche. Nehmen Sie nur mal

eine Zahl: 2019 hat die Berliner Gastronomie rund 3,6 Milliarden

Euro Umsatz erwirtschaftet, und wenn es am Ende des Jahres möglicherweise

nur zwei Milliarden sind, dann ist das schon dramatisch.

Das lässt sich weder durch Kostenreduzierung einschließlich

Kurzarbeit noch durch Gewinnverzicht ausgleichen. Deshalb sage

ich: Wenn es überhaupt nicht mehr geht, dann ist es eben so.

www.rotisserie-weingruen.de

24 GARÇON


Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN

Harry Wolleschak, Inhaber und Gastgeber

Restaurant Die Eselin von A.

Berlin-Charlottenburg, 20. Juni 2020

Ihr Kollege Herbert Beltle klagt über fehlende Touristen, Herr

Wolleschak. Wie ist die Situation bei Ihnen?

Genauso. Normalerweise kommen zur Ferienzeit täglich hunderte

Besucher ins Schloss Charlotenburg. Wir liegen ganz in der Nähe

und partizipieren natürlich davon. Jetzt ist hier touristisch tote Hose,

sehen Sie, wir hatten zum Beispiel letzte Woche lediglich drei ausländische

Gäste, das ist schon ein Schlag ins Kontor.

Und die Stammgäste?

Die halten uns nach wie vor die Treue und kommen vor allen Dingen

regelmäßig – nicht nur aus Charlottenburg, sondern auch aus Wannsee

und Wilmersdorf. Ich sage immer: Nach Union Berlin hat die Eselin

von A. die besten Fans.

Also, lax gesagt, sie kriegen‘s gebacken – trotz Corona.

Zwischenruf eines Gastes am Nachbartisch: Wer den Berliner

Yachtclub überlebt hat, der überlebt auch Corona, oder Harry?

Kann man so sagen. Und noch einmal, das danke ich vor allem

meinen Stammgästen und natürlich meiner Familie und dem gesamten

Team. Mein Bruder Ernesto ist als mein Partner sowieso

an Bord, meine Schwester Caro, die eigentlich in Chania auf Kreta

lebt, hat monatelang im Service geholfen, ebenso meine Tochter

Alexa. Sie arbeitet normalerweise als Tennistrainerin in Melbourne,

darf aber derzeit nicht in Australien einreisen und spielt deshalb hier

in der Eselin mit, ganz selbstverständlich. Und mein anderer Bruder

Alex macht neben seinem eigentlichen Job bei mir den Haustechniker.

Familiärer Zusammenhalt kann den Auswirkungen der Coronakrise

Paroli bieten…

Durchaus, familiärer Zusammenhalt und kollegiale Kooperation.

Kollegiale Kooperation?

Ja, wir haben zum Beispiel unser Außer-Haus-Angebot in das vom

Restaurant Bahadur initiierte App-Projekt eatAround Delivery eingebracht,

andere Kollegen auch, sowas meine ich.

www.dieeselin.de

GARÇON

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LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage

David Monnie, Inhaber und Gastgeber

Restaurant Christopher´s

Berlin-Charlottenburg, 30. Mai 2020

Reden wir über das Accessoire schlechthin, Herr Monnie.

Sie meinen die Gesichtsmaske?

Genau. Bei einigen Ihrer Kollegen ist sie Werbeträger, bei anderen

Fashion-Statement. Sie verzichten auf beides, weshalb?

Wir haben für alle Servicemitarbeiter die so genannten FFP-3-Masken

angeschafft. Bei einem Stückpreis von rund 50 Euro war das in

diesen Zeiten schon eine erhebliche Investition, aber sie sind eben

der beste Schutz für uns und unsere Gäste, obwohl die Arbeit unter

dieser Maske für uns schon eine Herausforderung darstellt.

Das Christopher‘s gehörte zu den ersten Berliner Restaurants, die

Take-aways und Home-delivery anboten. Hat sich das gelohnt?

Wenn Sie den Umsatz meinen, sicher nicht, aber wir haben damit

zumindest erreicht, dass die Menschen rund um die Mommsenstraße

gemerkt haben: Wir geben nicht klein bei und helfen, den

Kiez am Leben zu erhalten. Wir werden die Take-away-Offerten übrigens

beibehalten, ebenso wie unsere Grocery-Angebote, also Gerichte

im Weckglas, etwa ein Chili-Eintopf, eine Käse-Lauch-Suppe

oder ein Rindergulasch mit Paprika und Pilzen.

Wie lief der Neustart?

Wir haben die Zahl der Plätze halbiert, innen wie außen, wir arbeiten

mit einer Minimal-Besetzung, es gibt Einweg-Speisekarten, Gästelisten,

über die Gesichtsmasken haben wir schon gesprochen.

Das ist nicht besonders prickelnd, aber eben notwendig. Trotzdem

waren wir am 15. Mai ausgebucht, vor allem Stammgäste kamen,

auch um uns Mut zuzusprechen, damit wir durchhalten.

Und wie stehen die Chancen?

Fragen Sie mal die Glaskugel. Es wird davon abhängen, wie sich die

Pandemie entwickelt, ob sich das Konsumverhalten der Menschen

ändert, wann der Tourismus wieder auf die Beine kommt usw. Seit

dem 25. Mai dürfen wieder Touristen in Berlin übernachten – allzuviel

merken zumindest wir bisher aber nicht.

www.christophers.online

26 GARÇON


Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN

Oliver Reimann, Geschäftsführer

Braugasthaus Dolden Mädel

Berlin-Kreuzberg, 11. Juni 2020

Glücklich, dass es nun wieder losgegangen ist, Herr Reimann?

Glücklich? Ja, vielleicht. Vor allem aber bin ich dankbar.

Wem?

Ich bin unseren Mitarbeitern dankbar, die sich wahnsinnig ins Zeug

legen, um auch unter den wirklich schwierigen Bedingungen gute

Gastgeber zu sein – und ich bin besonders unseren Stammgästen

für ihre Unterstützung in den vergangenen Monaten dankbar.

Welche Art von Unterstützung war das?

Wir haben gleich am 15. März damit begonnen, einen Außer-Haus-

Service zu organisieren. Wir wussten natürlich, dass wir damit

keinen nennenswerten Umsatz machen würden, aber wir wollten

zumindest Flagge zeigen – hallo, wir sind noch da. Viele unserer

Stammgäste haben das verstanden und zwei-, dreimal in der Woche

unsere Gerichte bestellt. Und auch nach dem Neustart kommen

sie häufiger als früher.

Das heißt, der Umsatz pegelt sich wieder ein?

Nein, natürlich nicht. Im Mai und Juni 2020 liegen wir bei 35 bis 38

Prozent des Vorjahresumsatzes. Das ist auch kein Wunder. Nehmen

Sie zum Beispiel unseren Biergarten. Normalerweise ist hier

Platz für rund 220 Gäste, die Corona-Abstandsregeln reduzieren

diese Zahl auf 75. Und auch die müssen erstmal kommen.

Ihnen fehlen die Touristen?

Ganz extrem. Im vorigen Jahr zum Beispiel hatten wir sehr viele

Gäste aus Japan, weil unser Braugasthaus in einigen japanischen

Reiseführern als kulinarisches Berlin-Highlight erwähnt wird. Aber

auch auf Gäste aus anderen Ländern werden wir vergeblich warten,

zumal Großveranstaltungen wie das Bergmannstraßenfest in

diesem Jahr ausfallen.

Was erwarten Sie jetzt von der Politik?

Eine wirkliche Hilfe wäre die vollständige oder zumindest anteilige

Erstattung der Betriebskosten.

www.doldenmaedel.de

GARÇON

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LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage

Michael Mödig, Koch, Caterer, Markthändler

Wochenmarkt am Karl-August-Platz

Berlin-Charlottenburg, 13. Mai 2020

Hallo Herr Mödig, wie geht es Ihnen?

Wenn Sie nach meiner Gesundheit fragen – gut, obwohl ich durch

die Wochenmarkt-Tätigkeit sicher mehr soziale Kontakte habe als

andere Menschen und mit meinen 65 Jahren auch zur sogenannten

Risikogruppe gehöre.

Wie sind Sie bisher durch die Krisenzeit gekommen?

Ich musste in meinem Leben schon einiges hinter mich bringen,

aber diese letzten Monate haben doch das meiste in den Schatten

gestellt. Als im März zwei Cateringfirmen, für die ich seit Jahren

arbeite, keine Aufträge mehr hatten, war auch ich außen vor. Vorbei

war es ebenfalls mit meinem Aushilfsjob in der Kempinski-Küche,

und auch als Privatkoch hatte ich nichts mehr zu tun. Wenn du über

Nacht dermaßen im Regen stehst, kommst du schon ins Grübeln.

Mit welchem Ergebnis?

Wie alle anderen Solo-Selbstständigen habe ich Soforthilfe in

Höhe von 5.000 Euro beantragt und auch innerhalb einer Woche

bekommen. Das hat für den Moment geholfen, konnte aber die Umsatzeinbußen

nicht ausgleichen. Zum Glück waren die Berliner Wochenmärkte

von dem Corona-Lockdown nicht betroffen, deshalb

habe ich mich um zusätzliche Standmöglichkeiten beworben. Das

hat geklappt, und so backe ich meine Flammkuchen nicht mehr nur

samstags, sondern auch mittwochs auf dem Karl-August-Platz.

Zusätzlich stehe ich am Donnerstag auf dem Breslauer und am

Freitag auf dem Rüdesheimer Platz. Außerdem habe ich das Angebot

um Pastéis de nata, eine portugiesische Blätterteigspezialität,

erweitert.

Können Sie damit Ihre Verluste kompensieren?

Nein, bei weitem nicht. Meine Umsatzeinbußen liegen bei 50 bis

60 Prozent, dementsprechend geringer ist auch mein Verdienst.

Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, ob ich damit leben kann, ich bin

gerade dabei, es herauszufinden.

www.pommboula.de

28 GARÇON


Neustart im Mai: Eine Umfrage LOKALTERMIN

Kornelia Tonitz, Tortendesignerin

Koni Tonitz Tortenatelier

Berlin-Hellersdorf, 2. Juni 2020

Nicht mehr in Friedrichshain, Frau Tonitz?

Nein, ich habe hier in Hellersdorf einen optimalen und bezahlbaren

Ort für mein Tortenatelier gefunden und bin deshalb im September

2019 umgezogen. Und es lief von Anfang an hervorragend – meine

Backkurse waren bestens gebucht, es gab jede Menge Bestellungen

beispielsweise für Hochzeitstorten.

Dann kam Corona.

Am 25. Januar fand mein letzter Kurs statt, Thema Strudelbacken,

dann war Ende Gelände. 30 geplante Kurse danach musste ich absagen,

die meisten Hochzeiten wurden verschoben, also hatte es

sich auch mit den Hochzeitstorten. Eigentlich ging nichts mehr.

Und dann?

Das habe ich mich auch gefragt, nachdem die erste Schockstarre

vorüber war. Was nun? Wie weiter? Ich weiß nicht, ob Sie sich

eine solche Situation vorstellen können – plötzlich ist das ganze

Geschäft auf Null. Keine Kurse, keine Märkte, keine Messen und

Spontan-Aufträge sowieso nicht. Außerdem hatte ich Außenstände

im vierstelligen Bereich, vor allem bei Firmen, bei denen es auch

ums Überleben ging.

Sind die jetzt wenigstens beglichen?

Gott sei Dank, ja. Aber ehrlich, wenn ich meinen Mann und meine

Eltern nicht gehabt hätte, ich hätte mein Unternehmen aufgeben

müssen. Es war wirklich hammerhart, und mir war tagelang nur noch

zum Heulen.

Jetzt können Sie aber schon wieder lachen.

So ein bisschen, richtig befreit noch nicht. Ich gebe wieder Backkurse

– online – als Workshopleiterin des Tempelhofer Online-

Portals Bake Night, die Interessenten direkt bei Bake Night oder

auf meiner Internetseite buchen können. Der Ertrag ist zwar relativ

gering, aber für mich ist das auch Marketing, damit ich nicht in Vergessenheit

gerate.

www.tortendesignerin.com

GARÇON

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LOKALTERMIN Neustart im Mai: Eine Umfrage

Thomas Vetter, Inhaber und Küchenchef

Sardinen.Bar

Berlin-Schöneberg, 26. Mai 2020

Seit dem 15. Mai empfängt ihre Sardinenbar wieder Gäste, ist das

Schlimmste überstanden, Herr Vetter?

Schön wär´s, nein, der wirkliche Überlebenskampf beginnt jetzt.

Ist die Situation tatsächlich so dramatisch?

Leider ja, sehen Sie sich um. Ich muss die Zahl meiner Plätze von

40 auf 19 reduzieren, eine Bar, die ich für acht Gäste gebaut hatte,

kann ich nicht nutzen — wegen der Abstandsregelung. Und mit der

50-prozentigen Kapazität die 100-prozentigen Kosten decken, erklären

Sie mir doch mal, wie das gehen soll. Nein, es wird sicher ein

heißer Herbst für uns Kiezgastronomen. Bei mir kommt erschwerend

hinzu, dass ich erst im vierten Geschäftsjahr bin, Rücklagen

also absolute Mangelware sind.

Genügend Gäste haben Sie aber schon?

Ich lebe zu 50 bis 60 Prozent von Stammgästen, die der Sardinenbar

zum Glück die Treue halten. Allerdings, und da spreche ich nicht

nur für mich, wir dürfen nicht vergessen, dass auch unsere Gäste

Einbußen hinnehmen mussten. Kurzarbeit und damit weniger Geld

am Monatsende gab es nicht nur in der Gastronomie. Und wenn Kaufkraft

fehlt, dann merken wir Gastronomen das natürlich zuerst.

Das heißt, optimistisch blicken Sie nicht in die Zukunft.

Was wollen Sie jetzt hören? Ich stecke den Kopf jedenfalls nicht in

den Sand. Ich verzichte auf Investitionen, beispielsweise wäre in

diesem Jahr eine neue Außenbestuhlung dran gewesen, darauf verzichte

ich. Ich versuche, Vereinbarungen zu treffen, um Zahlungsziele

— Miete, Steuern, Energie — zu verlängern. Ich arbeite allein

und bemühe mich trotzdem, ein guter Gastgeber zu sein.

Und wie sehen Sie Ihre Chancen?

Ich kämpfe und sage: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Worauf hoffen Sie, Herr Vetter?

Auf das, worauf alle Berliner Gastronomen hoffen. Auf gutes Wetter,

konsumfreudige Gäste und darauf, dass wieder Touristen kommen.

www.sardinen.bar

30 GARÇON



LOKALTERMIN Restaurant Otto

Das waren noch Zeiten, damals Anfang März. Kein Mensch trug

jenseits seiner Haustür Gesichtsmaske, den Begriff Social Distancing

kannten allenfalls Epidemiologen und von einer Kurve, die

flach gehalten werden sollte, war noch nirgendwo die Rede.

Das Ende Oktober 2019 senkrecht gestartete Restaurant Otto

feierte seine Lunchtime-Premiere mit einer Gemüsesuppe, die

nicht nur dem Magen wärmte. An den Tagen darauf folgten Senfeier,

Spinatspätzle und Wildragout, die Gäste kamen nun auch mittags

in Scharen, das Konzept passte zum Ort und in die Zeit.

Doch dann erfasste das Coronavirus auch Deutschland, die Restaurants

mussten schließen und ein quälend langer Shutdown

bestimmte das Leben. Als endlich Lockerungen möglich wurden,

erklärte Vadim Otto Ursus: „Wir wollen das Restaurant nicht als

einen Kompromiss des ursprünglichen Konzepts wiedereröffnen.“

32 GARÇON


Restaurant Otto LOKALTERMIN

OTTO

GLAS

DIE SPEISEKAMMER EINES SPITZENKOCHS

VON JÖRG TEUSCHER

GARÇON

33


LOKALTERMIN Restaurant Otto

Inhaber Vadim Otto Ursus und Servicechefin Cate Gowers.

Bereits wenige Tage nach der coronabedingten Schließung seines

Restaurants am 15. März entschied der 27-jährige Inhaber

und Küchenchef, den Herd nicht kalt werden zu lassen. Auch die

Mitarbeiter blieben an Bord, entwickelten das Otto-Pantry-Shop-

Konzept, holten Lieferanten ins Boot und produzierten Haltbares:

Bärlauch-Pesto, Koji-Butter, Holunder-Sirup, Leinsamen-Cracker,

Linsen-Eintopf, Wild-Gulasch…

Womit selbst Vadim Otto Ursus, durchaus ein Mann vom Stamm

der Optimisten, nicht gerechnet hatte: Bereits in der ersten Woche

gab es 130 Bestellungen. Neben den eigenen Produkten kamen

auch Kreationen befreundeter Lebensmittelhandwerker aus Berlin

und Brandenburg in das Schaufenster-Regal: Sauerteigbrot vom

Domberger Brot-Werk, Pars-Pralinen von Kristiane Kegelmann,

Kartoffelsalat von Bruno Ebermann.

Wir haben uns durch das Otto-Angebot probiert, unsere Favoriten

auf Seite 35 platziert und mit dem jungen Koch gesprochen.

Wie viele Produkte bieten Sie an?

Etwa 20 bis 25, die Zahl wächst stetig. Allerdings wechselt das Angebot

auch, wenn beispielsweise die Bärlauchzeit vorbei ist, gibt

es eben irgendwann kein Pesto mehr.

Die Reaktion der Leute auf Ihre Offerten war zu Beginn – das haben

wir selbst erlebt – überwältigend. Hat das angehalten?

Ja, hat es, und eigentlich können wir das kaum fassen. Am Anfang,

also Ende März, als wir unseren Pantry-Shop eröffnet hatten, waren

viele einfach nur froh zu sehen, dass hier überhaupt was passiert.

Mittlerweile kommen eine Menge Leute regelmäßig einmal

die Woche, um ihre Lieblingsprodukte zu kaufen.

Ihre finanziellen Verluste durch die Schließung des Restaurants

halten sich also in Grenzen?

Natürlich mussten wir finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, aber wir

können uns ganz gut über Wasser halten. Der größte Verlust war die

– ich nenne es mal – ‚soziale Komponente‘.

34 GARÇON


Restaurant Otto LOKALTERMIN

Kandierte Vogelbeeren: Die Früchte der Gemeinen

Eberesche – wild gesammelt in der Schorfheide –

verlieren durch das Bad in Läuterzucker viel von ihrem

herb-sauren Geschmack und einen Teil ihrer Bitternoten.

Ein Hochgenuss zu Käse, Joghurt oder Vanilleeis.

Brombeerblätter-Tee: Einst probates Hausmittel bei

Bauchweh, verschwand das pektin-, tannin- und vitaminreiche

Getränk irgendwann in der Versenkung, um

nun – am besten kalt getrunken – eine grandiose kulinarische

Wiedererweckung zu feiern.

Holunder-Sirup: Basis sind wilde Holundersträuche

in der Schorfheide, deren Blüten diesem Sirup seinen

besonderen, frühlingsfrischen Geschmack geben.

Bestens für hausgemachte Limonaden geeignet, aber

auch als kleiner Kick zu Schaumwein nicht schlecht.

Was meinen Sie damit?

Wir haben unser Restaurant mit dem Ziel gegründet, einen Ort zu

schaffen, an dem sich nicht nur unsere Gäste, sondern auch wir

selbst wohlfühlen – weil das Essen schmeckt, weil die Atmosphäre

stimmt, weil sich das Otto alle leisten können. Ein Ort der Begegnung

und Kommunikation. Das ging auf. Und das fehlte lange.

Deshalb also keine Wiedereröffnung nach dem Shutdown, kein,

wie Sie sagen‚ Kompromiss des ursprünglichen Konzepts?

Genau. Wenn wir die geforderten Abstandsregeln einhalten, haben

wir Platz für acht Gäste – ein Ort, an dem geteilt wird, Menschen

miteinander reden wollen, Freundschaften gepflegt werden sollen,

kann das natürlich nicht sein. Deshalb gab es eben zuerst neben

unserem Online-Shop nur den Verkauf aus dem Fenster.

Und wie sieht es jetzt aus?

Wir haben die Terrasse geöffnet, es gibt unsere Lunch-Angebote

und natürlich auch die Speisekammer-Offerten.

Wird sich die Gastronomie nach der Coronakrise verändern?

Sie hat sich schon verändert und wird sich meiner Meinung nach

weiter verändern. Ich glaube, dass Fine dining in Zukunft nur noch

eine untergeordnete Rolle spielen wird, dass die Nachfrage nach

immer exaltierteren Kompositionen und immer exklusiverem Service

abnehmen wird. Ich bin mir sicher, dass die Menschen eine

ehrliche Produktküche zukünftig mehr schätzen werden, möglicherweise

sogar bereit sind, für gute, nachhaltige Produkte mehr

Geld auszugeben als für Luxus und Prestige.

RESTAURANT OTTO

Oderberger Straße 56

10435 Berlin-Prenzlauer Berg

Tel. 030-25 97 71 59

www.otto-pantry.net

Bachsaiblings-Garum: Schon die Römer kannten die

legendäre Würzsauce, die durch Fermentation von

Fischabschnitten und -innereien in Salzlake und Kräutern

entsteht und Dressings, Suppen und Saucen ein

wunderbar tiefes Aroma verleiht.

Jungschaf-Eintopf: Einfach mal eine gute Suppe.

Erstklassige Zutaten aus der Region, natürlich kein

Glutamat, keine künstlichen Aromen und keine Anfälligkeiten

für modische Verirrungen. Das ist perfekte

Gasthausküche à la Otto.

Waldmeister-Kombucha: Das trendige, vor allem

aber gesunde Zeitgeistgetränk in einer besonders

aromastarken Variante aus wildem Waldmeister und

wenig Zucker. Bestens geeignet, um es etwa mit Mineralwasser

oder Prosecco zu mischen.

GARÇON

35


LOKALTERMIN Berlin Food Kollektiv

Dr. Verena Jaeschke, geboren 1983 in Göttingen, wuchs in Berlin

auf, studierte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt

(Oder) und promovierte mit einem kulturgeschichtlichen Thema.

Ihre Familie kaufte 2011 den seit Jahrzehnten leer stehenden

denkmalgeschützten Neorenaissancebau des ehemaligen Stadtbades

in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg und startete

dessen Sanierung sowie den Umbau in ein Hotel.

Verena Jaeschke übernahm die Verantwortung für das Interior-Design

und fungiert seit der Wiedereröffnung des Hauses

– 70 Zimmer, zwei Apartments, 10 Seminarräume, die öffentliche

Schwimmhalle, das angesagte Restaurant Oderberger – als

Hoteldirektorin. Anfang Mai 2020 gehörte die 37-Jährige zu den

Mitgründern des Berlin Food Kollektivs.

www.hotel-oderberger.berlin

Aufbruch zu neuen Ufern

GESPRÄCH MIT DR. VERENA JAESCHKE ZUM PROJEKT BERLIN FOOD KOLLEKTIV

Zuerst mal zu den Fakten: Wann wurde denn das Berlin Food Kollektiv

gegründet, Frau Jaeschke?

Anfang April trafen sich ziemlich spontan einige Berliner Gastgeber,

Gastronomen und Hoteliers, im Hotel Michelberger. Unsere

Betriebe waren geschlossen. Wir wollten die Situation besprechen.

In der Diskussion entstand die Idee, das Berlin Food Kollektiv zu

gründen. Ja, und das haben wir dann auch gemacht, mit dem Wissen,

dass die Antwort auf diese Krise in der Kooperation besteht.

Wer gehört zum Kollektiv?

Gleichgesinnte. Die Hotels Michelberger und Orania, unser Haus,

also das Oderberger, die Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig,

Rutz, Coda Dessert Dining, Horváth, Tim Raue, Tulus Lotrek

sowie das Brlo Brwhouse, Lode & Stijn und das Restaurant Otto.

Was wollen Sie mit diesem Zusammenschluss erreichen?

Ich nenne es lieber Schulterschluss, aber es geht uns nicht um

begriffliche Feinheiten, sondern darum, die kulturelle und soziale

Funktion der Gastronomie in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.

Das klingt, ehrlich gesagt, ziemlich spröde. Worin besteht denn

Ihrer Meinung nach die kulturelle und soziale Funktion der Gastronomie,

Frau Jaeschke?

Darüber könnte ich jetzt lange referieren, aber das ist sicher nicht

in Ihrem Sinne. Sehen Sie, vordergründig geht es erstmal um Versorgung,

um Essen und Trinken, natürlich auch um Genuss. Das

wichtigste Verlangen jedoch ist – so jedenfalls sehe ich das – der

Wunsch nach Geselligkeit, nach Kommunikation, nach einem Miteinander.

Und die Gastronomie bietet Orte, an denen das möglich

ist. Orte der Begegnung eben. Und je mehr Seele diese Orte haben,

desto besser können sie auch diese Funktion erfüllen.

Auch unter den Bedingungen der so genannten ‚neuen Normalität‘,

also Maskenschutz und Abstandsregeln?

Mit Sicherheit. Dieser neue Alltag, die neuen Regeln für Hygiene

und zwischenmenschlichen Umgang erschweren zwar dieses Miteinander,

machen es aber nicht unmöglich. Und außerdem — wir

können doch jetzt nicht sagen – Gastronomie: rien ne va plus. Nein,

wir müssen unsere Arbeit eher neu definieren – mit mehr Umsicht

und einer gewissen Demut. Mit einem neuen Verständnis unserer

Gastgeberrolle. Mit einer größeren Wertschätzung regionaler Produkte,

mit mehr Nachhaltigkeit.

Dafür hat das Berlin Food Kollektiv dann auch eine erste Aktion

gestartet – #facesbehindplaces – wenn ich richtig gelesen habe?

Genau, mit dieser digitalen Aktion sind wir am 6. Mai online gegangen.

Wir haben deutschlandweit Gastronomen eingeladen, auf

ihren Instagram-Kanälen Porträts all der Menschen zu zeigen, die

an einem x-beliebigen Gericht direkt und indirekt beteiligt waren

– Köche, deren Helfer und Lieferanten, Bauern, Gärtner, Fischer,

natürlich auch die Servicemitarbeiter, Spüler usw., eben alle, die im

Ökosystem Gastronomie beschäftigt sind und hinter dem Erlebnis

stehen, das wir unseren Gästen jeden Tag bieten.

Mit welchem Ergebnis?

Es war großartig. Wir konnten mit dieser Aktion zeigen, wer die

Gastronomie zu dem macht, was sie ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Jaeschke.

36 GARÇON


Nahrhaft & schön

Das Paradies vor der Haustür!

Illustration: Martin Rümmele

Entdecken Sie die Brandenburger Hofläden!

brandenburger-hoflaeden.de

gefördert durch

Natürlich Brandenburg – pro agro

Brandenburger Landpartie

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EUROPÄISCHE UNION

Europäischer Landwirtschaftsfonds

für die Entwicklung des

ländlichen Raums

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LOKALTERMIN LimaLima

CUCINA NAPOLITANA IM SCHILLERKIEZ

VON UWE AHRENS UND JÖRG TEUSCHER

Es kamen schon Leute ins LimaLima, die

nach Anticuchos de corazón oder Suspiros

de Limeña fragten und bitter enttäuscht

waren, dass hier weder Kalbsherzspieße

noch Milchkaramellcreme und auch keine

anderen Klassiker der peruanischen Küche

serviert werden.

Aber mal ehrlich, hätten Sie geahnt, dass

LimaLima nichts mit der südamerikanischen

Hauptstadt zu tun hat, sondern dass es sich

dabei um eine sogenannte Feilenmuschel

handelt?

Sie lebt im Atlantischen und Indischen

Ozean, im Roten und im Mittelmeer, meist

unter Steinen oder Korallen und wurde

1758 von Carl von Linné entdeckt und beschrieben.

Als der Koch Rosario De Paola beim

Tauchen im Golf von Neapel ein Exemplar

der aussergewöhnlichen Muschelart fand,

war er dermaßen begeistert, dass er sein

erstes Restaurant im sardischen Cagliari

nach ihr benannte.

Jahre später kam De Paola mit seiner

Partnerin Daniela Schaube nach Berlin, im

Gepäck auch die Muschel. Die beiden Gastronomen

eröffneten im Charlottenburger

Schillerkiez ein Restaurant – klar, dass der

Name auf der Hand lag.

38 GARÇON


LimaLima LOKALTERMIN

LimaLima-Inhaber Daniela Schaube und Rosario De Paola.

Ja, es gibt sie mittlerweile in Berlin, diese Zwischenorte, wo man

sich auf ein Glas Wein und ein paar Vorspeisenkleinigkeiten treffen

und auf wunderbare Art die Zeit bis zum Abendessen dahinziehen

lassen kann.

In Charlottenburg geschieht das immer öfter im LimaLima. Direkt

an der Kreuzung Schlüterstraße/Goethestraße haben Daniela

Schaube und Rosario de Paola einen feinen Allzeit-Treffpunkt

etabliert, einen wirklich heißen Tipp für Menschen, die dem Leben

gerne ein paar Besonderheiten abringen wollen.

Die drei stärksten Faktoren an diesem winzigen, gemütlichen

Lokal mit dem muscheligen Namen: das mediterran luzide Ambiente

des Raumes, seine bis zur Decke reichenden maritimen

Dekorationen (einschließlich eines originalen Exemplares der

namensgebenden Feilenmuschel) und die von urbanen Strömen

dieser Gegend umflossene Terrasse. Und natürlich Daniela und

Maestro Rosario.

Sie, eine ruhige, sympathische Frau, die schon ein bisschen rumgekommen

ist in der Welt, managt den Service im LimaLima und

ist zuständig für die Auswahl der Weine. Die 55-Jährige stammt

aus Altenkunstadt, einem 5.400-Einwohner-Ort in der oberfränkischen

Provinz. Nach dem Abitur besuchte sie ihren Vater, einen

Bundeswehroffizier, der auf Sardinien stationiert war – und blieb.

Sie lernte italienisch und studierte an der Universität von Cagliari

Sprachen und Literatur. Auf der Suche nach einem Nebenjob

landete sie in einem Restaurant namens LimaLima, lernte den jungen

Küchenchef kennen und – wie das Leben so spielt – aus der

schönen Fränkin und dem feschen Neapolitaner wurde ein Paar.

Einige Jahre führten Daniela Schaube und Rosario de Paola

– sie hatte inzwischen auch ein Ausbildung im Hotelfach absolviert

– das Lokal in der sardischen Hauptstadt Cagliari gemeinsam.

2015 schließlich die Übersiedlung nach Berlin und die

Eröffnung des LimaLima hier.

GARÇON

39


LOKALTERMIN LimaLima

Sehen Sie, viele sind der Meinung, dass die neapolitanische

Küche ausschließlich aus Pizza und Pasta besteht. Sicher

sind Pizza Napoletana und Spaghetti Napoli weltweit

bekannte Gerichte, aber sie sind eben längst nicht alles. Es

gibt unzählige traditionelle Fisch- , Fleisch- und Gemüsezubereitungen,

die ebenso Teil unserer kulinarischen Kultur

sind wie Pizza und Pasta.

Wenn Sie sich intensiver mit der neapolitanischen Küche

beschäftigen, werden sie auf einige interessante historische

Aspekte stoßen — so zum Beispiel, dass man bereits in der

Antike in und um Neapel vielfältiger gekocht hat als etwa

in Rom oder, dass mit dem Liber de Coquina das erste

italienische Kochbuch überhaupt im 14. Jahrhundert am

neapolitanischen Hof entstand.

Es gibt Gäste, die bezeichnen unser Restaurant LimaLima

als Paradies der neapolitanischen Küche in Berlin. Natürlich

sind wir stolz auf dieses Lob, obwohl wir weiter nichts tun

als Gerichte zuzubereiten, die den Gast erreichen. Heute gibt

es dafür das Schlagwort Feel Good Food — ich nenne es eine

langsam und sorgfältig gekochte, den klassischen Tugenden

treue Küche.

40 GARÇON


Neapel ist schön und hässlich, romantisch

und chaotisch, freundlich und aggressiv. Neapel

fasziniert und Neapel schreckt ab. Nach

Neapel? Dio mio! – warnen die Einen. Die Anderen

empfehlen euphorisch eine Fahrt mit

der Circumvesuviana, einer Bahn, die den Vesuv

umrundet oder einen Spaziergang durch

die malerischen Altstadtgassen. In einem

sind sich die 960.000 Einwohner der kampanischen

Hauptstadt allerdings einig: Die

neapolitanische Küche ist die beste in ganz

Italien, wenn nicht sogar in der Welt.

Rosario De Paola hält sich mit solcherart

Hymnen zurück, er serviert lieber seine

Klassiker und überlässt den Gästen das

Urteil. Da sind zum Beispiel Polpo alla Luciana,

in Weißwein gedünsteter Oktopus

mit Tomatensauce, gehackten Oliven und

Kapern (Teller oben), benannt nach dem

Stadtteil Santa Lucia in Neapel; Salsiccia

alla Napoletana, eine würzige Bratwurst,

die traditionell mit Friarielli, einer besonderen

Art Stängelkohl serviert wird (Teller

unten) oder eben Ravioli con asparagi, mit

grünem Spargel gefüllte Teigtaschen (Teller

Mitte) – kräftig, schlicht, geschmacklich

harmonisch.

Und weiter geht’s – auf Seite 42.

GARÇON

41


Außer den vegetarischen Grünspargel-Ravioli

offeriert De Paola weitere Veggi-Gerichte:

Ravioli mit Steinpilzfüllung in Knoblauch-

Basilikum-Butter, Ravioli mit Auberginen-Ziegenkäse-Füllung

in Tomatensauce, Gnocchi

all Sorrentina, Gnocchi all´Amalfitana und

– natürlich – Parmigiana di Melanzane, den

berühmten Auberginenauflauf, um dessen

Urheberschaft man sich in Italiens Süden

immer mal wieder heftig streitet. Für jeden

echten Neapolitaner ist die Herkunft des

Gerichts natürlich sonnenklar: Sowas kann

nur die Cucina Napolitana. Und basta!

Gleiches gilt für die Pasta-Gerichte – etwa

für Maltagliati al Ragù Napoletano (Teller

oben) oder für Paccheria alla Genovese (Teller

Mitte). In beiden Fällen bringt De Paola

die Teigwarenspezialitäten mit (unterschiedlich

zubereiteten) würzigen Fleischsaucen

auf die Teller, und die ohnehin äußerst italominded

Berliner jubeln: Buono! Buonissimo!

Auch wir sagen bravo – was der Küchenchef

da macht, hat Stil und jede Menge Traditionsfeeling

und ist Versprechen und Erfüllung

zugleich. Erfüllung jetzt, Vorfreude

auf das, was noch kommt – etwa Spaghetti

alla Marinada (Teller unten) mit Sardellen,

Kirschtomaten, Kapern und Oliven.

42 GARÇON


GTS

Großküchentechnik &

Service GmbH

Planung

Montage

Kundendienst

Notdienst

Das Gros der Weine, die Daniela Schaube mit viel Sachverstand empfiehlt, stammt

direkt von italienischen Produzenten: Apulien, Friaul, Sardinien, Sizilien, Toskana,

Umbrien, Venetien. Und Kampanien? „Obwohl die Region auf eine lange Weinbautradition

zurückblicken kann“, sagt sie, „fehlt vielen Winzern noch der Sinn für den qualitätsorientierten

Weinbau.“ Dennoch — einige Gewächse hat sie gefunden, die ihren

Ansprüchen genügen. „Der rote Irpina Aglianico und der weiße Greco di Tufo von den

Mastroberardinos kommen bei den Berlinern gut an“, so Daniela Schaube. Einen Treffer

hat die Gastronomin auch mit dem fränkischen Leikeim-Bier gelandet. „Irgendwas

muss im LimaLima ja auch aus meiner Heimat kommen“, kommentiert sie die Offerte.

Ihr zuverlässiger Partner für:

Kochgruppen, Herde, Kombidämpfer,

Bratplatten, Kochkessel, Fritteusen u.v.m.

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10625 Berlin-Charlottenburg

Tel. 0172 – 312 24 62

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10435 Berlin

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LOKALTERMIN LOWKAL

Nische mit Zukunft

LOW CARB IM WILMERSDORFER LOWKAL

VON JÖRG TEUSCHER

Lowkal-Inhaber Nadja Müller und Jens Bernert.

44 GARÇON


LOWKAL LOKALTERMIN

„Kohlenhydrate, also Zucker-, Stärke- und Cellulosestoffe, sind für den

menschlichen Körper ausschließlich Energielieferanten. Werden diese

Kohlenhydrate nicht sofort benötigt, landen sie automatisch auf den

Hüften. Deshalb favorisieren wir das Low-Carb-Ernährungskonzept,

bei dem Kohlenhydrate in unseren Gerichten reduziert werden. Kohlenhydratreiche

Lebensmittel wie Kartoffeln, Nudeln und Reis haben

wir aus unserer Küche verbannt, ebenso den allgegenwärtigen Haushaltszucker.

Fruchtzucker und Ballaststoffe eliminieren wir natürlich

nicht aus den Speisen, denn unsere Devise heißt, ‚low‘ und nicht ‚no‘.“

Nadja Müller

Nadja Müller weiß, wovon sie spricht. Die 32-jährige Berlinerin

hat in Leipzig den Bachelor in Ernährungsberatung gemacht und

in Saarbrücken den Master in Gesundheitsmanagement.

Vor ziemlich genau drei Jahren eröffnete sie mit Jens Bernert,

40, gebürtiger Thüringer, Diätkoch, Küchenmeister und ebenfalls

Low-Carb-Spezialist, das Wilmersdorfer Lowkal. Der Titel „1. Berliner

Low-Carb-Restaurant“ dürfte allerdings Tim Raue gebühren, aber

immerhin sind Nadja Müller und Jens Bernert da in bester Gesellschaft

− doch das nur am Rande.

In der an gastronomischen Ereignissen eher öden Pfalzburger

Straße tut es gut, ein modernes, kulinarisch ambitioniertes

Lokal vorzufinden, das zudem auch mittags geöffnet ist. Bernerts

Kochstil ist erfrischend klassisch geprägt, die Gerichte geschmacklich

fein abgestimmt und fern jeglicher Art von Verzichtküche.

„Leichter und gesünder essen, hat mit Verzicht nichts zu

tun“, erklärt Nadja Müller, die höchst kompetent den Service leitet.

GARÇON

45


LOKALTERMIN LOWKAL

Jens Bernert, vor seiner Berliner Zeit im Seehotel Zeuthen und im

Motzener Residenzhotel am Herd, hat eine Menge Geduld und Zeit

investiert, um der Low-Carb-Küche jene Besonderheiten abzuringen,

die wirklich schmecken und nicht nur kurios klingen.

Paradebeispiel sind seine in Rapsöl frittierten Kohlrabispalten,

die die meisten Pommes frites locker in den Schatten stellen. Um sie

allerdings so hinzukriegen, dass Gäste dieses Urteil fällen können,

bedurfte es schon einer längeren Testphase. „Man muss den Kohlrabi

vor dem Frittieren zuerst blanchieren und mit Kichererbsenmehl

bestreuen“, so der Lowkal-Küchenchef, „dann gelingen die Kohlrabi-

Pommes bestens.“ Übrigens: Bernert zaubert aus Kohlrabi auch einen

geschmacksstarken Salat − „falschen Kartoffelsalat“ − der solche Art

Entschuldigung aber wirklich nicht nötig hat. Ebensowenig wie die gebratenen

Steckrübenscheiben, die er „falsche Bratkartoffeln“ nennt.

Auf Fleisch und Fisch wird im Wilmersdorfer Lowkal nicht verzichtet.

Wir probierten gebratene Kalbsleber mit Selleriepüree, marinierten

roten Zwiebeln und Apfelchutney; eine perfekt gegarte Spreewälder

Rinderbrust mit Bohnenpüree, Brokkoli und Meerrettichsauce sowie

Seelachs mit Tomaten-Kapernsauce und Schinkenchips − das alles ist

deftig-köstliche Küche, bürgerlich-gediegen, dann und wann mit asiatischen

oder mediterranen Einsprengseln.

Die Mittagsofferten wechseln täglich, die Abendkarte wird viermal

im Jahr neu geschrieben. Lediglich Bernerts American Cheesecake

− der Boden besteht aus Mandelmehl und Kokosflocken, gesüßt wird

mit Birkenzucker − ist eine feste Größe im Lowkal.

LOWKAL

Pfalzburger Straße 72 A

10719 Berlin-Wilmersdorf

Tel. 030 – 88 72 08 36

www.lowkal.berlin

46 GARÇON


LOWKAL LOKALTERMIN

Spargelsuppe mit Mandelsplittern.

Spare Ribs mit Barbecue-Sauce

und Kohlrabi-Pommes.

American Cheesecake mit Kirschragout.

GARÇON

47


Berliner Teller

SERVIERT IM RUTZ ZOLLHAUS

Die erste Rutz-Zollhaus-Speisekarte nach dem Neustart des Traditionsrestaurants

beginnt mit sechs Vorneweg-Offerten, die den

Asia-Mainstream links liegen lassen und weitgehend auf heimische

Produkte setzen. Respektabel die Neuköllner Blutwurst,

nicht von schlechten Eltern auch der Königsberger Klops. Begeistert

hat uns das Karotten-Tatar, und gar hingerissen waren wir

vom Saiblings-Ceviche (Foto). Zum feinsäuerlichen Müritzsaibling

als Ceviche und der getrockneten und frittierten Fischhaut

als Streu arrangierte Küchenchef Florian Mennicken gebratenen

Romanasalat sowie die koriandergrüne Ceviche-Marinade und

eine intensiv tomatige Sauce Choron. Unser Berliner Teller!

48 GARÇON


Berliner Teller LOKALTERMIN

Auf den ersten Blick sieht man dem Zollhaus am Kreuzberger

Carl-Herz-Ufer den Betreiberwechsel nicht an – zumindest nicht

am Tage. Lediglich die wahrscheinlich schon jahrzehntealte Kindl-

Werbung ist überklebt – anstelle des Industriebieres gibt es jetzt das

handwerklich gebraute Rollberg. Und auf dem ebenso betagten Zollhaus-Schild

wurde eine Rutz-Leuchtschrift installiert, die allerdings

erst abends den Hinweis darauf gibt, wer hier jetzt das Sagen hat.

Ein junges Serviceteam agiert betont umsichtig und mit jener

natürlichen Freundlichkeit, die sich Gäste wünschen. An der Spitze

der Brigade: Hendrik Canis. Der 51-Jährige, der nicht nur wegen

der äußerlichen Ähnlichkeit ein perfektes Matt-Damon-Double abgeben

würde (Canis hat auch mal an der Ernst-Busch-Hochschule

studiert), ist ein guter alter Bekannter. Geboren in Weimar, aufgewachsen

in Berlin, wechselte er nach der Schauspielausbildung

ins Restaurantfach, entdeckte schnell seine Liebe zum Wein und

begann, sich gründlich mit dieser Materie zu beschäftigen.

Canis arbeitete als Sommelier auf den Kreuzfahrtschiffen MS Arkona

und MS Deutschland, wechselte 1997 in das neu eröffnete

VAU am Gendarmenmarkt und später ins Rutz. Als er Ende 2008

mit dem Gasthaus Spindel in der Friedrichshagener Bölschestraße

ein eigenes Projekt an den Start brachte, gehörte Hendrik Canis

längst zur deutschen Sommelierelite.

„Er ist ein Weindetektiv, der in der Szene so einflussreich ist,

dass mancher deutsche Top-Winzer für ihn spezielle Abfüllungen

reserviert“, notiert der Gault-Millau bereits 2007. Das Lob ist auch

13 Jahre später kein bisschen verblasst, ganz im Gegenteil.

Die heimischen Gewächse liegen ihm besonders am Herzen –

dementsprechend dominieren auch die deutschen Anbaugebiete

seine Weinkarte im Rutz Zollhaus. An die Spitze hat er Saale-Unstrut

gesetzt. „Heimat bleibt Heimat“, kommentiert der Thüringer

lächelnd und serviert uns einen Grauburgunder Breitengrad 51 von

André Zahn aus Bad Sulza…

Gastgeber Hendrik Canis.

GARÇON

49


GESCHMACKSSACHEN Berliner Teller

Ess-Zimmer:

Das Design ist zwar schlicht, wirkt aber

wohnzimmergemütlich: Ein edles Lichtgrau

dominiert, dazu eichene Tischplatten

und Sessel, die bei einer Wahl des bestbestuhlten

Berliner Restaurants gute Chancen

hätten, so bequem, wie man hier sitzt.

In memoriam Lars Rutz. Der Mitbegründer

der Weinbar Rutz in der Chausseestraße

und bis zu seinem Tod 2003 deren Chefsommelier,

ist nun auch Namensgeber des

Rutz Zollhauses. Und er hätte sicher seine

helle Freude an diesem gastlichen Ort.

1988 hatte Herbert Beltle das Haus am

Landwehrkanal übernommen, es später

gekauft und im vorigen Jahr, inzwischen

62-jährig, neue Betreiber gesucht. Er fand sie

in den erfolgreichen Weinhändlern und Gastronomen

(Rutz, Rutz Weinbar, SchmidtZ &

Ko.) Anja und Carsten Schmidt.

Gemeinsam plante man den radikalen

Umbau der Küche und die behutsame Renovierung

der Gasträume zu ebener Erde

Bar-Hocker:

Noch darf hier (coronabedingt) keiner

hocken, aber die acht roten Thonet-Barstühle,

die demnächst geliefert werden,

dürften wohl schon bald die gefragtesten

Zollhaus-Plätze unter den Tom-Dixon-

Hängeleuchten sein. Jede Wette.

50 GARÇON


Berliner Teller LOKALTERMIN

Küchenchefs: Florian Mennicken und Günter Beyer, v. re.

Doppel-Spitze:

Zuständig für die À-la-carte-Offerten ist

der 33-jährige Belgier Florian Mennicken,

zuletzt Souschef im Restaurant

Slate am Monbijouplatz; das Bankett-Geschäft

verantwortet Günter Beyer, 59 und

Zollhaus-Urgestein.

sowie unterm Dach – sicher keine ganz

konfliktfreie Angelegenheit, aber wenn

man sich lange kennt und schätzt, einigt

man sich auch schnell.

Neben der edlen Bar und den blickfangenden

Weinklimaschränken, die eigens

für das Rutz Zollhaus gebaut wurden, fasziniert

vor allem die neue Küche. Florian

Mennicken, der neue Küchenchef, nennt

sie „einen Arbeitsplatz der Superlative“.

Sein fürs Bankett zuständiger Partner Günter

Beyer, seit 1996 im Zollhaus am Herd,

pflichtet ihm bei: „Besser geht’s nicht.“

Und irgendwo meint man den Geschäftsführenden

Rutz-Küchendirektor Marco Müller

still lächeln zu sehen…

RUTZ ZOLLHAUS

Carl-Herz-Ufer 30

10961 Berlin-Kreuzberg

Tel. 030 - 692 33 00

www.rutz-zollhaus.de

Zuständig für Vor- und Süßspeisen: Charlotte Mesikow.

GARÇON

51


GESCHMACKSSACHEN Zimtschnecke

„Heart of Sweden for me“

LOBLIED AUF EINE ZIMTSCHNECKE

Ehrlich gesagt, ein bisschen neidisch bin ich schon. Da entdeckt

eine Veggi-Bloggerin – „Hi, I am Yoli“ – die veganen Zimtschnecken

von Beumer&Lutum: Klick, ein Selfie mit Freundin und den Objekten

der süßen Begierde, ein bisschen Amazing-Gefühl und die

Bemerkung „Heart of Sweden for me“ ins smarte Mikrofon geflötet

– und klick, klick, klick – die Zahl derer, die mit Yoli einer Meinung

sind, ist schnell größer als die Auflage unseres Magazins. So läuft

eben die gesellschaftliche Kommunikation heutzutage – nicht immer,

aber meistens und nicht überall, aber vielerorts.

Wir machen uns, ganz old school, auf den Weg um nachzuschauen,

was es mit dieser hoch gelobten Zimtschnecke tatsächlich auf

sich hat. Die Bio-Bäckerei Beumer&Lutum befindet sich in einem

Neuköllner Gewerbegebiet an der Naumburger Straße. Es ist 6.00 Uhr

morgens und Bäckermeister Joachim Grunzke erwartet uns schon.

52 GARÇON


Zimtschnecke GESCHMACKSSACHEN

Bäckermeister Joachim Grunzke.

Deutschland ist nun nicht gerade das erste Land für Zimtschnecken,

das weiß natürlich auch Meister Grunzke. Der 62-Jährige ist

seit zehn Jahren bei Beumer&Lutum für die Feinbackwaren verantwortlich,

wozu neben Puddingbrezeln, Franz- und Splitterbrötchen

auch Streusel- und eben Zimtschnecken gehören.

Zu Hause ist das süße Gebäck eher in Skandinavien — in Dänemark

etwa, wo es zum Standardangebot selbst der kleinsten

Dorfbäckerei gehört oder in Schweden, wo ihm sogar ein Ehrentag

gestiftet wurde (Seit 1999 wird zwischen Malmö, Stockholm

und Kiruna der 4. Oktober als Kanelbullens dag, als Tag der Zimtschnecke

gefeiert.).

„So weit sind wir natürlich noch nicht“, lacht Joachim Grunzke,

„aber auf dem Vormarsch ist die Zimtschnecke natürlich auch bei

uns.“ Der erfahrene Meister und sein Helfer Christian Steinke backen

täglich immerhin über 800 Stück. „Das ist doch schon mal eine

Hausnummer“, so Grunzke.

Die Beumer-&-Lutum-Zimtschnecken bestehen aus Dinkelvollkornteig,

der nach dreistündiger Teigruhe zu Platten gewalzt wird. Die

wiederum werden ausgerollt und mit einer cremigen Masse aus

Pflanzenmargarine (vegan!), Rohrzucker und Zimt (cuminarmer

Ceylon-Zimt!) bestrichen und dann eng gerollt. Es entsteht eine

dicke Wurst, die in der Bäckersprache „Länge“ heißt und die Meister

Grunzke mit Augenmaß in Streifen schneidet. Dann geht´s ab in

den Ofen. Fertig gebacken, werden die Schnecken noch mit heißer

Aprikosenkonfitüre „abgeglänzt“. Voilà!

BEUMER&LUTUM

Körtestraße 36

10967 Berlin-Kreuzberg

Tel. 030 – 691 72 64

www.beumer-lutum.de

GARÇON

53


www.dieter-fuhrmann.de


Coco & Co. GESCHMACKSSACHEN

COCO & CO.

PROBIERT IN DER PATISSERIE GIL AVNON

VON JÖRG TEUSCHER

GARÇON

55


GESCHMACKSSACHEN Coco & Co.

Konditormeister Gil Avnon.

„Sie treffen sich täglich um viertel nach drei am Stammtisch im Eck‘

in der Konditorei und blasen zum Sturm auf das Kuchenbüfett, auf

Schwarzwälder Kirsch und auf Sahnebaiser...“ – als 1976 der Berliner

Kabarettist Eckart Hachfeld diese Zeilen reimte und Udo Jürgens zwei

Jahre später daraus einen Hit machte, war die Krise der wirtschaftswunderlichen

Fettlebe schon im vollen Gange. Buttercreme- und Marzipantorten

kamen auf den Index und der Beruf des Konditors oder

Patissiers geriet gar in den Ruf, gesundheitsgefährdend zu sein.

Das ist, Gott sei Dank, nur noch kulinarische Geschichte. Bei Berlins

aktuellen Spitzenpatissiers – etwa René Frank, Anna Plagens

oder Thomas Yoshida – taucht Omas Buttercremetorte höchstens

noch als dekonstruiertes Zitat auf, Zucker wird wie ein Gewürz behandelt

und Fertigprodukte sind ohnehin tabu.

Keine Frage, auch Gil Avnon ist in dieser Liga angesiedelt. Der

50-jährige Berliner mit jüdischen Wurzeln (deshalb Gil auch mit G,

also hebräisch ausgesprochen), lernte sein Handwerk in der Tradi-

56 GARÇON


Coco & Co. GESCHMACKSSACHEN

tionskonditorei Genenz, anschließend folgten Stationen in internationalen

Top-Hotels: Dolder Grand Zürich, Dorchester London,

Raffles Plaza Singapur, Kempinski Heiligendamm. Im Jahr 2000

erwarb er den Meistertitel, Anfang Oktober 2019 eröffnete er seine

Patisserie in der Schlüterstraße.

Wir probieren Avnons subtile Kreationen: Florentiner Apfeltörtchen,

Berliner Kranz, Limettentarte, Black-Forest-Schnitte – und immer

macht es peng im Mund. Keine Frage, mit dem Meisterkonditor

hat die süße Revolution nun auch Charlottenburg erreicht.

PATISSERIE GIL AVNON

Schlüterstraße 71

10625 Berlin-Charlottenburg

Tel. 030 — 28 65 45 13

www.patisserie-avnon.de

Konditorin Celina Käbisch.

GARÇON

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GESCHMACKSSACHEN Crema di Nocciola

Anaïs Causse, 40, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an

der Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,

merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr

Ding ist. Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und

einer möglichen akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-

Lindner an und absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.

2003 stieg sie in das Feinkostgeschäfts ihres Vaters ein.

2014 folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den

Onlineshop, aus „Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“

– ein Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem

nach Frankreich pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den

ersten Adressen der Branche in Berlin zählt.

Für Garcon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten

Spezereien und deren Produzenten.

CREMA DI NOCCIOLA,

PER FAVORE

VON ANAÏS CAUSSE

Gibt es Glück im Glas? Ich behaupte: Ja! Das Glas kommt zwar relativ

unglamourös daher, sein Inhalt ist allerdings dermaßen köstlich,

dass er weit und breit seines Gleichen sucht: die Crema Nocciola des

Piemonteser Haselnuss-Zauberers Josè Noè von Papa dei Boschi.

Also: Vergessen Sie Nutella, Nusskati oder Nussetti und erst

recht die extrem flüssige Nutwave von Attila Hildmann, die zudem

noch sündhaft teuer ist – Josè Noès Crema ist die Nuss-Nugat-

Creme par excellence. Und wenn Sie mir nicht glauben sollten,

lesen Sie Thomas Platts Notizen zu seinem Nuss-Nugat-Creme-

Test (Tagespiegel, 16. Februar 2019), er bestätigt meine Behauptung

voll und ganz. „Papa dei Boschi Crema di Nocciola“, schreibt

er, „ist ein Süßwerk, das einen alle Konkurrenz augenblicklich

vergessen lässt.“

Kein Wunder – andere Nuss-Nugat-Cremes enthalten 13 bis 45

Prozent Haselnüsse, die meisten außerdem noch Palmöl und Milchpulver.

Die Crema di Nocciola dagegen besteht aus lediglich vier

Zutaten: sagenhaften 55 Prozent gerösteten Haselnüssen, Magerkakaopulver,

Rohrohrzucker und Bourbonvanille, alles perfekt aufeinander

abgestimmt. Man riecht und schmeckt das wunderbare

58 GARÇON


Crema di Nocciola GESCHMACKSSACHEN

Haselnussplantagen in der Provinz Cuneo im südlichen Piemont.

Aroma der gerösteten Haselnüsse, gleichzeitig ist die Crema aber

auch sagenhaft schokoladig, ohne dabei süß zu wirken. Die dezent

eingesetzte Bourbonvanille rundet das Ganze elegant ab.

Das Geheimnis dieser Creme sind die Haselnüsse – Nocciole Piemonte

I.G.P. – auch bekannt als Tonda Gentile delle Langhe. Es sind

Haselnüsse, die im Piemont angebaut werden und unter Kennern als

die besten weltweit gelten. Der Name übrigens bedeutet soviel wie

„Die nette Runde aus der Langhe“, weil die Kerne so schön rund sind.

Übrigens: Ich lerne seit Mitte Januar mittels einer großartigen

Tandem-App, die Sprachschüler weltweit verknüpft und die ich

wärmstens empfehlen kann, italienisch. Für diesen Artikel konnte

ich das bisher Gelernte praktisch anwenden und mich mit Josè Noès

Frau Marina problemlos über den Haselnussanbau in der Langhe

und die Herstellung der Crema di Nocciola unterhalten.

Die Azienda agricola, die Marina und Josè Noè gemeinsam mit

drei Mitarbeitern in dritter Generation bewirtschaften, liegt im südlichen

Piemont in einer Gegend, die wegen ihrer Höhenlage und des

relativ rauen Klimas perfekt für den Haselnussanbau geeignet ist.

Ende August beginnt die Erntezeit, immer und immer wieder wird

die Qualität der Nüsse geprüft, Josè Noè überlässt nichts dem Zufall;

„perfetto“, das ist für den Landwirt das Einzige, das zählt.

Die gesammelten Nüsse trocknen auf dem großen Hof in der

Sonne, geknackt und geröstet werden sie erst, wenn eine Bestellung

eingeht. Die Röstung erfolgt nur in kleinen Chargen und bei schonenden

150 Grad Celsius. Anschließend werden sie rasch wieder auf 20

Grad heruntergekühlt. So bleiben sie länger frisch und behalten – in

Vakuumbeuteln verpackt – über Monate ihr feines Aroma.

Noès Haselnüsse sind zum Kochen und Backen wunderbar geeignet

und passen hervorragend zu vielen Käsesorten. Eine ganz

besondere Verwendung verriet mir die Berliner Autorin Ursula Heinzelmann:

Crostini mit Lardo und gehackten Haselnüssen!

Als Haselnussmus sind sie sowohl Grundlage für ein sagenhaftes

Haselnusseis als auch ein ausgezeichneter Saucenbinder, der jedes

Gericht mit seinem dezenten Nussaroma adelt.

Die schokoladige Crema di Nocciola schmeckt köstlich auf Brot,

Crêpes oder Waffeln und zu Obst jeder Art. Oder eben einfach mit

dem Löffel aus dem Glas – mmh, che buono.

Haselnussbauer Josè Noè.

MAÎTRE PHILIPPE ET FILLES

Emser Straße 42

10719 Berlin-Wilmersdorf

Tel. 030 — 88 68 36 10

www.maitrephilippe.de

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GESCHMACKSSACHEN Nihon Mono

Die gebürtige Niedersächsin Dagmar Maas studierte Betriebswirtschaftslehre

und startete ihre berufliche Karriere als Unternehmensberaterin.

Während sie tagsüber internationale Teams

coachte, drückte die genussfreudige Managerin abends selbst

die Schulbank des Wine and Spirit Education Trusts (WSET).

2011 ging sie mit ihrer Familie nach Japan und begann, sich

das weite Feld der japanischen Kulinarik zu erschließen. In Tokio

besuchte sie die renommierte Kochschule von Elizabeth Andoh

und war als Assistentin der weltweit bekannten Kochbuchautorin

tätig. Zudem absolvierte sie eine Lehre zur Sake-Sommelière und

wurde danach vom WSET als Sake-Ausbilderin zertifiziert.

Nach der Rückkehr der Familie nach Berlin machte die Mutter

dreier Töchter ihre kulinarischen Kenntnisse zum Beruf. Dagmar

Maas eröffnete in der Potsdamer Straße eine japanische Genusswerkstatt.

Für Garcon arbeitet sie als Autorin und schreibt regelmäßig

über das kulinarische Japan.

KATSUSHI OOCHI:

DER JAPANISCHE GEGENBAUER

VON DAGMAR MAAS

Kulinarisch gesehen kann ich mein Leben wohl grob in die Zeit vor

und nach Japan einteilen. Vor Japan war Reisessig nichts, worüber

ich mir viele Gedanken gemacht habe, nichts, auf das ich besonderen

Wert gelegt hätte. Zu selten habe ich ihn benutzt. Nur hier und

da hat mal ein Rezept nach einer vergleichsweise geringen Menge

verlangt, die nicht ausreichte, um mich näher mit diesem Produkt

zu beschäftigen. Außerdem gab es auch keine große Auswahl, die

mich animiert hätte, es doch zu tun.

Bei Balsamico übrigens war das anders. Große Auswahl und

große Unterschiede in Qualität und Preis, die einen veranlassen,

das Warum näher zu erkunden.

Mein Interesse für Reisessig änderte sich schlagartig, als ich

vor einiger Zeit Katsushi Oochi kennenlernte, einen der renommiertesten

Essigbrauer Japans und in Asien genauso bekannt wie der

Österreicher Erwin Gegenbauer in Europa. Oochis Familie stellt seit

fast 100 Jahren Reisessig her – nicht den, den ich aus deutschen

Asia-Märkten kenne, sondern einen – der voll mit Umami – einem

das Wasser im Munde zusammen laufen lässt.

60 GARÇON


Nihon Mono GESCHMACKSSACHEN

Für einen Japaner untypisch hochgewachsen, empfing mich Katsushi

Oochi mit einladendem Lächeln in seiner Manufaktur, die sich

– abseits der großen Straßen – in den grünen, dicht bewachsenen

Hügeln oberhalb der lauten Millionenstadt Hiroshima befindet.

Stolz zeigte er mir die Tanks, in denen bei Wind und Wetter monatelang

sein berühmter Essig reift, der – wie die Produkte des

Wiener Essigbrauers Erwin Gegenbauer auch – zum selbstverständlichen

Must-have asiatischer Spitzenrestaurants gehört.

Der Stolz wuchs noch als er mich zu seiner Quelle führte. Das

klare, kühle Wasser, das hier aus der Erde sprudelt, hat keinen weiten

Weg hinter sich, kaum Mineralien aus dem Gestein gelöst und

ist superweich. Nicht zufällig wird neben dieser Quelle Essig produziert,

sondern diese Quelle war der bestimmende Faktor bei der

Standortwahl für die Essigbrauerei.

Neben dem weichen Wasser ist der berühmte Akita-Komachi-Reis

– eine der geschmacksstärksten Reissorten weltweit – die zweite

Die Ernte des edlen Akita-Komachi-Reises ist Handarbeit...

schmilzt und die Körner des frisch gekochten Reises umschließt

– dann kann ich nur sagen: ein Gedicht.

Washoku nennen die Japaner die Harmonie einer Speise.

Washoku hält dazu an, bei ihrer Zubereitung den natürlichen Eigengeschmack

der Produkte in den Mittelpunkt zu stellen, ihn zu

unterstreichen. Reisessig, eines der ältesten Würzmittel in der japanischen

Küche, ist dafür essentiell. Deshalb zielt mein Plädoyer

darauf, Kome-su – so sein japanischer Name – auch hierzulande

kulinarisch mehr Bedeutung beizumessen.

NIHON MONO

Essigbrauer Katsushi Oochi.

Potsdamer Straße 91

10785 Berlin-Tiergarten

Tel. 0172 — 204 05 50

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Säule des Essiggeschäfts von Katsushi Oochi. Aus beidem wird ein

Premium Sake gebraut, der dann wiederum zu Essig vergoren wird.

„Je besser der Sake, desto besser der Essig“, sagt Oochi, „ein einfacher

Zusammenhang, der aber häufig vergessen wird.“

Neben Katsushi Oochi gibt es nicht viele Hersteller in Japan,

die Reisessig mit soviel Hingabe und Kompetenz produzieren. Wie

Erwin Gegenbauer in Wien gilt auch Oochi als Idealist, als kulinarischer

Künstler. Auf die Balance von süß und sauer komme es an,

erklärt der Essigbrauer, ohne Zusätze, ohne Tricks.

Ich lerne, dass solcher Qualitätsessig über 70 verschiedene

Säuren und Aminosäuren enthält, die sein wunderbares Aroma und

seinen Geschmack bestimmen. Kein Wunder, dass Spitzenköche

von New York bis Tokio davon schwärmen und Gerichte bis hin

zum Dessert darauf abstimmen. Bei mir ist das natürlich alles eine

Nummer kleiner, aber wenn ich Sushi-Reis zubereite und die milde

Säure von Oochis Reisessig mit Kombu-Algen, Zucker und Salz ver-

...ebenso wie die Reisverarbeitung.

GARÇON

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KOSTPROBEN

Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des Lebensmittelhandels

in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte Fertiglebensmittel,

plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme Industrieware.

Nicht nur, aber größtenteils.

Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,

kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit ihrem Gegenentwurf

zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be setzt: manufakturell

hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlachtfabrik kommen;

handgefertigte Schokoladen, haus gemachte Liköre, Konser ven ohne E-Zusätze,

vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als Supermarktware gleichen

Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger und geschmackvoller.

Vier Kostproben dessen, was wir in den letzen Wochen entdeckten, probierten

und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir Ihnen

auf der folgenden Seite.


Jörg Kinskis Firma Goodvenience.bio im sächsischen

Magdala ist spezialisiert auf die Herstellung von

Brühen: Hühnerbrühe, Rinderbrühe, Gemüsebrühe –

insgesamt 16 Zubereitungen. Weil Kinski ein „harter

Japan-Fan“ ist, gibt es natürlich auch die berühmte

Dashi-Brühe aus Bonito-Flocken, Wakame-Algen,

Shiitake-Pilzen und einigen Gewürzen – und zwar in

einer Qualität, die selbst Japaner überzeugt.

Dass Ulrike und Noni Piecha kochen können, das steht

außer Frage. Manches gelingt den beiden Betreiberinnen

des BioBuffets in der Kreuzberger Marheinekehalle

sogar so gut, dass es höhere Weihen verdient. Zu

dieser Kategorie gehört ihr Sauerkraut, das eher würzig

denn sauer ist, die dunkle Farbe von karamellisiertem

Rohrzucker bekommt und geschmacklich seinen

vielen derben Verwandten meilenweit überlegen ist.

Preis: 35,94 Euro / 6 x 525 ml

Goodvienience.bio GmbH

Richard-Wagner-Straße 1a

99441 Magdala

Tel. 036454 – 59 99 04

Online-Bestellung: www.j-kinski.de

Preis: 6,90 Euro / 380 g

Piechas BioBuffet in der Marheinekehalle

Marheinekeplatz 15

10961 Berlin-Kreuzberg

Tel. 030 – 69 00 43 53

www.piechas.com

Der Auftragsrückgang während der Coronakrise bescherte

der Berliner Cateringunternehmerin Ricarda

Farnbacher viel freie Zeit. Die nutzte sie, um eine eigene

Feinkostlinie zu entwickeln – Farnkost, nachhaltig

und regional. Eins der ersten Prdukte: ein aromatisch

dichter, geschmacklich leicht herber Sirup aus jungen

Fichtentrieben, die aus der Müritz-Region stammen,

von Hand gepflückt, sortiert und verarbeitet wurden.

Bei guten Fruchtaufstrichen dominieren die Aromen

der verarbeiteten Früchte und nicht der Zucker. Natürlich

weiß das Cornelia Burkhard, Chef confiturière der

Bock & Gardener Manufaktur und komponiert dementsprechend

ihre Genüsse im Glas. Dieser Quittenaufstrich

zum Beispiel besteht aus Apfel- und Birnenquitten,

die so schonend eingekocht werden, dass ihr

Aroma voll zur Geltung kommt. Ein pures Vergnügen.

Preis: 5,90 Euro / 200 ml

Farnkost / Ricarda Farnbacher

Wochenmarkt am Kollwitzplatz

10435 Berlin-Prenzlauer Berg

Kollwitzstraße

Samstag 10.00 Uhr-16.00 Uhr

Preis: 4,50 Euro / 200 g

Bock & Gardener

Hauptstraße 13

15306 Gusow-Platkow

Tel. 03346 – 93 79 213

Online-Bestellung: www.marmelade.berlin


KOPFSALAT Erika Kaneko

Es hat schon beinahe etwas Meditatives, wenn Erika Kaneko ihren

dicken schwarzen Pinsel fast senkrecht auf das Papier setzt und

mit sanftem Druck Striche und Bögen formt.

Zwei japanische Schriftzeichen entstehen: REI WA, Schönheit und

Harmonie. Erika Kanekos Künstlername und ihr Lebensmotto.

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Erika Kaneko KOPFSALAT

GOING RAW

ERIKA KANEKO: KÖCHIN, KONDITORIN, KALLIGRAFIN

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KOPFSALAT Erika Kaneko

Erika Kaneko, ihr Mann Robert Kuls und Tochter Aina.

Katrin Tiede ist ein eher sachlicher Typ. Im Falle des Hojicha

Cream Cheesecakes, den ihr Erika Kaneko vor ein paar Monaten anbot,

geriet die Inhaberin des japanischen Feinkostladens Hanabira

jedoch schier aus dem Häuschen: „Diese Fertigungsakkuratesse,

diese Geschmacksexplosion, ein Meisterwerk der Rohkost-Küche.“

Seitdem stehen die Kreationen der Raw-Konditorin in der Hanabira-

Kuchentheke und finden Woche für Woche neue Liebhaber. Bei so

viel Jubel wurden auch wir neugierig, probierten und staunten nicht

schlecht: Katrin Tiedes Euphorie ist tatsächlich berechtigt. Grund

genug also, uns mit Erika Kaneko zu verabreden.

Die 44-jährige Japanerin stammt aus Yokohama, studierte in Tokio

Landwirtschaft, Abschluss als Bachelor of Agricultural Science

und ergatterte einen Job in einem großen japanischen Reisebüro.

2008 kam ihre Tochter Aina zu Welt. Das Leben der freundlichen, eher

zurückhaltenden jungen Frau schien in geordneten Bahnen. 2012

dann die Diagnose: Schilddrüsenkrebs. Eine erfolgreiche Operation.

66 GARÇON


Erika Kaneko KOPFSALAT

„Die Krankheit hat mir die Augen geöffnet, was wirklich wichtig ist im

Leben“, sagt Erika Kaneko. Sie stellt ihre Ernährung auf Rohkost um,

erwirbt das Diplom als Raw-Food-Master, schreibt Artikel zum Thema

Rohkost und beginnt, Keks- und Kuchenkreationen zu verkaufen.

„Rohkost ist die natürlichste und harmonischste Lebensweise, die es

seit der Antike gibt“, Zitat Erika Kaneko. Sie tuscht drei japanische

Schriftzeichen: Gesundheit, Glück, Freude.

All das erschien ihr 2011 in Gefahr. Die Katastrophe von Fukushima.

Sie nennt den Supergau ihr Erweckungserlebnis. Diese plötzliche,

alles erschütternde Wahrnehmung, wie unnormal die Wirklichkeit

sein kann. Und wie nah jederzeit die Katastrophe.

Solche Gedanken spielten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung,

Japan zu verlassen. 2018 kommt Erika Kaneko mit ihrer Tochter nach

Berlin. Sie lernt Robert Kuls, IT-Manager bei Siemens kennen, findet

familiäres Glück. Und auch beruflich geht es voran — sowohl mit der

Raw-Bäckerei als auch mit ihrer zweiten Leidenschaft, der Kalligrafie.

GARÇON

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KOPFSALAT Erika Kaneko

Es geht um eine besondere Form der Schriftkultur, die der allgemeinen

Definition „Kunst des schönen Schreibens“ zwar nahe kommt,

sie aber dennoch nur unzureichend beschreibt. Wichtiger als die

Leserlichkeit ist bei der Kalligrafie die ästhetische Ausgewogenheit

und – wie es Erika Kaneko nennt – „das Vermögen, Schrift so

zu gestalten, dass Emotionen sichtbar werden.“

Bereits als Kind interessierte sich Erika Kaneko für diese Art des

Schreibens, dann wurde anderes wichtiger. „Als Erwachsene habe

ich meine Leidenschaft aber wiedergefunden“, sagt sie. Sie erwarb

eine Lizenz, die sie berechtigt als Kalligrafie-Lehrerin zu arbeiten

– wer den hohen Stellenwert der Kalligrafie im gesellschaftlichen

Leben Japans kennt, kann ungefähr ermessen, wie schwer es ist,

solche Lehrer-Lizenz zu erhalten…

Auch in Berlin bietet Erika Kaneko – neben Rohkost-Kursen –

übrigens solche für Hobby-Kalligrafen an.

www.facebook.com/reiwaerika/

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Alles für Jeden:

Profi- oder

Hobbykoch.

...und was wir nicht haben,

vermissen Sie nicht!

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KOPFSALAT Wie geht's eigentlich..?

2017 in Berlin: Song Lee und sein langjähriger Mentor Josef Eder.

Wie geht's eigentlich..?

SONG R. LEE

KINDHEIT UND SCHULE

Geboren am 23. Mai 1978 in Seoul

1988 Übersiedlung mit Familie nach Deutschland

Abitur in Berlin

AUSBILDUNG

Kochlehre im Grand Hyatt Hotel Berlin

BERUFLICHE STATIONEN

Mesa, Grand Hyatt (Commis de Cuisine)

MS Europa 1 (Guest Sushi Chef)

Tizian Lounge, Grand Hyatt (Souschef)

Tizian Lounge & Mesa, Grand Hyatt (Chef de Cuisine)

Dae Mon, Berlin (Chef de Cuisine)

Sticks‘n‘ Sushi, Berlin (Head Chef)

HEUTE TÄTIG

Chef de Cuisine

Nikkei Nine

Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Hamburg

15 Punkte Gault & Millau

„Ihn müsst ihr im Blick behalten“, sagte uns

vor gut zwölf Jahren Josef Eder, damals Küchendirektor

im Berliner Grand Hyatt über

seinen besten Koch-Azubi, „aus dem Jungen

wird mal was.“

Der Junge, Song Lee, war als Zehnjähriger

1988 mit seiner Familie aus Seoul nach

Berlin gekommen, hatte schnell die deutsche

Sprache gelernt, die Grundschule und

das Gymnasium absolviert, die Abiturprüfungen

bestanden und 2006 eine Lehrstelle

in seinem Traumberuf ergattert.

„Dass ich im Hyatt genommen wurde

und dort unter Josef Eders Fittiche kam,

das war wie eine Fügung“, weiß Song Lee

heute. Eder erkannte das Talent des jungen

Koreaners und förderte es behutsam,

machte ihn bereits nach dem ersten Commis-Jahr

2010 zum Sous Chef und 2011

zum Chef de cuisine der Tizian Lounge und

des Restaurants Mesa und riet ihm 2014

sogar zum Wechsel ins noble Dae Mon am

Monbijouplatz.

Dort schaffte es Song Lee mit seiner Interpretation

zeitgenössischer koreanischer

Küche sogar auf die Liste der mit Lob nicht

eben freigebigen Berliner Starkritikergilde.

Song Lee bedankte sich artig für so viel

Ehre – und zog weiter.

2016 wurde er Küchenchef im Berliner

Restaurant Sticks'n'Sushi, 2019 im Nikkei

Nine in Hamburg.

70 GARÇON


Wie geht's eigentlich..? KOPFSALAT

Als Song Lee im Mai 2019 Berlin verließ, verabredeten wir uns locker

– auf bald in Hamburg. Dass daraus ein Jahr werden würde, das

war nicht geplant – ebenso wenig wie ein Treffen mit Mundschutz

und im Coronaabstand vor einem geschlossenen Restaurant.

„Seit dem 18.März sind im Nikkei Nine die Türen zu und die gesamte

Mannschaft ist in Kurzarbeit“, erzählt Song Lee und sieht

dabei nicht eben besonders unglücklich aus. Darauf angesprochen,

ahnt man ein Lächeln unter der Maske. „Natürlich stehe ich am liebsten

am Herd“, so Song Lee, „aber am 16. März kam unsere Tochter

Jenna zur Welt, und da bedeutet jeder Tag zu Hause für mich ein

großes Glück. Hinzu kommt, dass die Inhaber des ‚Vier Jahreszeiten‘

entschieden haben, das Kurzarbeitergeld aufzustocken, weshalb

also sollte ich niedergeschlagen durch die Welt laufen?“

Keine Frage, Song Lee hat seine Entscheidung, im Nikkei Nine

die Nachfolge von Ben Dayag anzutreten, der die internationale

Küchenbrigade seit der Eröffnung Ende 2016 führte, bisher keine

einzige Minute bereut. „Ich bin dankbar, in dieser Stadt leben und

in diesem Haus arbeiten zu dürfen“, sagt er.

Besonders stolz ist Song Lee auf die Wahl des Nikkei Nine Ende

2019 in die „Lieblingsliste“ der F.A.S.-Kritiker Jürgen Dollase und

Stephan Reinhardt. Deren Begründung kann er noch Monate später

fast wörtlich zitieren: „Das Nikkei Nine im Souterrain des Hamburger

Hotels Vier Jahreszeiten gehört zu den spannendsten neuen

Restaurantformaten der Republik. Hier glänzt Song Lee mit einem

ungemein ausgereift wirkenden Mix aus japanischer und peruanischer

Küche.“ Kurze Pause, dann fügt er hinzu: „In einem Atemzug

mit solchen Größen wie Heiko Nieder (er wurde von Dollase/

Reinhardt zum Koch des Jahres international gewählt) und Torsten

Michel (Koch des Jahres national) genannt zu werden, das ist doch

schon was, oder?“ Wir bejahen und verabreden ein neues Treffen in

Hamburg, dann im geöffneten Nikkei Nine.

PS: Der Re-Start des Restaurants erfolgte am 19. Mai 2020.

NIKKEI NINE

Neuer Jungfernstieg 9-14

20354 Hamburg

Tel. 040 - 34 94 33 99

www.nikkei-nine.de

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71


DIETER FUHRMANN

DIETER FUHRMANN

* 23. OKTOBER 1940 † 15. MAI 2020

72 GARÇON


DIETER FUHRMANN

Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nicht. Und es gibt Nachrichten,

die einen so unvorbereitet und überraschend treffen,

dass man glaubt, den Halt zu verlieren. Eine solche Nachricht

war die vom Tod Dieter Fuhrmanns am 15. Mai 2020.

Der Tag unserer ersten Begegnung liegt über zwanzig Jahre

zurück. Während einer Party im Hotel Adlon – den Anlass habe

ich vergessen – machte uns Karlheinz Hauser, der ehemalige

Küchendirektor der Nobelherberge, miteinander bekannt. „Mein

wichtigster Mann“, sagte Hauser damals, und ich glaubte tatsächlich,

Dieter Fuhrmann sei Koch in einer von Hausers Brigaden.

Darauf angesprochen, klärte er mich lächelnd über seine

wirkliche Profession auf und lud mich ein, sein Unternehmen auf

dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße zu besuchen.

Ich lernte einen klugen, uneitlen Menschen kennen, respektiert,

empathisch und sympathisch, in dessen Leben es zwei Dinge gab,

die für ihn so wichtig waren wie nichts anderes: die Familie und der

Fruchtgroßhandel.

Dieter Fuhrmanns berufliche Karriere begann wie die vieler

seiner Altersgenossen. Nach dem Krieg musste er seine schlesische

Heimat verlassen, die Familie fand in Berlin ein neues

Zuhause. Dem Schulabschluss folgte eine Kellnerlehre, seine

wichtigsten Stationen waren die Hotels Am Zoo und Windsor.

Als er 1977 mit einem Mitarbeiter und zwei VW-Bulli T2 in die

Selbstständigkeit startete, feierte das deutsche Küchenwunder

seine ersten Erfolge. Das Bekenntnis einer Avantgarde junger

Köche zu frischem Obst und Gemüse, kürzeren Garzeiten und

leichteren Saucen wurde zum Trend, an dem engagierte Lieferanten

wie Dieter Fuhrmann durchaus einen Anteil hatten.

Die Firma wuchs, die Zahl der Kunden stieg ebenso wie die

der Mitarbeiter. Dieter Fuhrmann blieb der, der er immer war: ein

Mann mit Charisma, Fleiß und Disziplin. Ein erdnaher Unternehmer,

der jeden auf Augenhöhe und mit Respekt behandelte. Ich

erinnere mich auch, wie gut er darin war, anderen Ratschläge zu

geben, dass sie sich schonen und auf sich aufpassen sollten.

Er dachte stets viel mehr an andere als an sich selbst. Ja, Uneigennützigkeit

hatte einen Namen: Dieter Fuhrmann.

Bereits zu Beginn dieses Jahres planten wir, ihm, dem Grand

Old Man seines Berufsstandes, den Titel unseres Oktober-Magazins

zu widmen. Ein großes Porträt zum 80. Geburtstag des

Fruchtgroßhändlers, Titel: Typisch Fuhrmann. Dass daraus nun

ein Nachruf werden musste, macht uns sehr traurig.

Jörg Teuscher im Namen der Garcon-Mitarbeiter

GARÇON

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slube Hoteltürme – Wohnen an Orten wo man is(s)t

Für Gastronomen, die mehr machen wollen aus

ihren Locations, bieten die komfortabel ausgestatteten

slube Mini-Hotels eine komplette und

innovative Lösung.

Betreiber, die Restaurantbesucher bisher an attraktiven

Orten ausschließlich zum Essen empfangen, können

mit den slube Hoteltürmen ihre Gäste einladen, direkt

am Ort länger zu verweilen.

Die slube Mini-Hotels können über die bekannten

Online-Plattformen gebucht werden. Innovative Smart-

Home-Lösungen steuern Schließ- und Heizungssystem

zentral.

Bieten Sie Ihren Gästen noch mehr als gutes Essen, wie

der Forellenhof Rottstock im wunderschönen Fläming.

Die runden Hoteltürme können einzeln oder in Gruppen

aufgestellt, und mit Hotel-Lounges, eigener Dachterrasse,

separaten Toiletten oder Kiosks und Infoboxen

kombiniert werden.

© 25 Teiche

Auch für die Tischlerei am Yachthafen Greifswald und

die Hafenbar am Stadthafen in Neustrelitz funktionieren

die slube Hotels schon als Hingucker, als einmalige

Übernachtungs-Attraktion, und als extra Motivation

zum Verweilen.

© Yachthafen Greifswald

Veloform Media GmbH entwickelt und produziert

seit fast 20 Jahren ungewöhnliche Produkte für

Städte und Menschen. Besonders bekannt ist das

von Veloform entwickelte Velotaxi, welches heute

in 60 Ländern urbane Mobilität neu definiert.

Die slube GmbH wurde gegründet, um die bboxxen

„slube home“ professionell zu betreiben.

Es wurde ein ergänzendes Finanzierungs- und

Mietmodell entwickelt und umgesetzt, mit dem

das Netzwerk an buchbaren „slube home“ effizient

erweitert werden kann.

Fotos:

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VeloformMedia


Prignitz

Ruppiner Seenland

Uckermark

Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst

Liebe zu Land und Leuten mitbringen,

mindestens keine Voreingenommenheit.

Er muß den guten Willen haben, das

Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche

Vergleiche totzumachen. Der Reisende

in der Mark muß sich ferner mit einer feineren

Art von Natur- und Landschaftssinn

ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen,

die gleich einen Gletscher oder Meeressturm

verlangen, um befriedigt zu sein.

Diese mögen zu Hause bleiben.

Fläming

Dahme-Seenland

Spreewald

Unterwegs

in Brandenburg

KREMMEN — SCHWANTE — SOMMERSWALDE

VON JÖRG TEUSCHER

Barnimer Land

Seenland Oder-Spree

Es ist mit der märkischen Natur wie mit

machen Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ —

sagt das Sprichwort — ‚hat immer noch

sieben Schönheiten!‘ Ganz so ist es mit

dem Lande zwischen Oder und Elbe; wenige

Punkte sind so arm, daß sie nicht auch

ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß

sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge

dafür hat, der wag es und reise.

Lausitzer Seenland

Elbe-Elster-Land

Havelland

Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Die Grafschaft Ruppin

Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Kremmen, vor über 700 Jahren gegründet,

zählt rund 7.500 Einwohner und ist eine stille

Stadt. Einst muss es hier allerdings weit

wuseliger zugegangen sein, der Ort galt als

strategisch wichtiges Tor zur Mark Brandenburg.

Jeder, der in der Gegend unterwegs

war, musste über den „Cremmener

Damm“, die einzige Verbindung durch das

sumpfige Rhinluch. Dessen Entwässerung

im 18. Jahrhundert änderte das – aus dem

Tor zur Mark wurde ein Tor zur Natur. Die

Touristiker werben also sowohl für Touren

in die traumhafte Landschaft als auch für

den Besuch der Kremmener Altstadt und des

historischen Scheunenviertels.

Sehenswertes Schwante. Das 2.200-Einwohner-Dorf

im brandenburgischen Landkreis

Oberhavel wurde 1355 erstmals urkundlich

erwähnt. Die evangelische Dorfkirche

stammt aus dem Jahr 1780, im

nahen Pfarrhaus wurde am 7. Oktober

1989 die Sozialdemokratische Partei der

DDR gegründet. In Schwante hat ein berühmter

Bäckermeister seine Backstube,

es gibt einen attraktiven Renaissancegarten,

und am 19. Juni 2020 eröffnete auf

dem Gelände des historischen Schlossgutes

ein Skulpturenpark, der das Zeug hat,

sich zu einem Hotspot des internationalen

Kulturtourismus zu entwickeln.

76 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Sommerswalde gehört zu Schwante und

trägt die Bezeichnung „Wohnplatz“. Die

Wirklichkeit ist zum Glück weniger spröde

als dieser Terminus. Sie besteht aus einem

eigenwilligen Gebäudekomplex: dem weißen

Schloss, das als „zweiter Reichstag“

in die Geschichte einging; einem Backsteinbau

sowie dem Forsthaus. Bauherr

des Ensembles war der Berliner Immobilienmillionär

Richard Sommer, nach dessen

Tod 1916 das Anwesen viele Besitzer sah.

Heute gehört das Schloss dem buddhistischen

Verein Tharpaland und dient als

Meditationszentrum. Das Forsthaus avancierte

zu einem Ausflugsziel erster Güte.

„Natürlich unseren Spargelhof mit Gastronomie,

Hofladen und einigen Kinderüberraschungen“,

lächelte Malte Voigts. Wir

hatten den Hofchef – seine offizielle Funktionsbezeichnung

lautet Geschäftsführer

der Spargelhof Kremmen GmbH & Co. KG

– um einige Ausflugstipps für die Gegend

rund um Kremmen gebeten. Wieso fragt ihr

eigentlich keinen Einheimischen?, hörten

wir dann von eben jenen häufig. Tatsächlich,

Voigts stammt aus der Lüneburger

Heide, studierte in Göttingen und kam erst

vor 13 Jahren ins Kremmener Land. Aber:

Er kennt seine neue Heimat inzwischen

besser als die meisten Fremdenführer.

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Stadt Kremmen

„SIE HABEN DA SO KURZE BETTEN..."

78 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Gottberg, Protzen, Tramnitz – weshalb Theodor Fontane solchen

Winzlingsdörfern in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“

vielseitige Kapitel widmete und ausgerechnet Kremmen

– von ein paar marginalen Bemerkungen mal abgesehen – links

liegen ließ, wird wohl das Geheimnis des Dichters bleiben.

Lediglich in seinem Alterswerk „Der Stechlin“ läßt er seinen Helden

Dubslav von Stechlin und dessen Diener Engelke über „Cremmen“

parlieren, wo Stechlins Sohn Woldemar auf dem Weg von

Berlin ins heimatliche Ruppiner Land übernachtet hatte.

„Die Nacht über in Cremmen. Auch kein Spaß.“ „Aber Cremmen

is doch soweit ganz gut.“ „Nu, gewiss, gewiss. Bloß haben sie da so

kurze Betten...“ Katharina Neuman kann darüber nur müde lächeln.

Die Hotelfachfrau betreibt seit Anfang Juli 2020 am Kremmener

Markt die Pension Alte Lebkuchenfabrik – sechs Zimmer mit garantiert

großen Betten. „Und bald auch ein Hofcafé“, fügt sie hinzu.

www.lebkuchenfabrik.com

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Ein Dorf in der Stadt

DAS KREMMENER SCHEUNENVIERTEL

80 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Seit 2016 Kremmener Tourismus-Chefin: Andrea Busse.

Natürlich kennt Andrea Busse den Gelehrten Johann Grüwel (1638-

1710), der einst in Kremmen Bürgermeister war und mit Abhandlungen

über Imkerei und Seidenraupenzucht Aufsehen erregte (s. S.101).

Sie bedauert, dass Grüwel heute in Kremmen fast vergessen ist und

hat einige Ideen, das zu ändern.

Sie leitet die Touristeninformation im Scheunenviertel und scheint

nicht nur wegen ihres historischen Wissens für diesen Job prädestiniert

zu sein, sondern auch wegen ihres familiären Backgrounds.

Die Busses sind nachweislich seit 1402 in Kremmen ansässig.

Die 48-jährige Handelsfachwirtin organisiert Stadtführungen

sowie Natur- und Kulturwanderungen und weiß auch dann touristischen

Rat, wenn die gedruckten Reiseführer passen. Besonders

am Herzen liegt Andrea Busse das historische Scheunenviertel am

südlichen Stadtrand von Kremmen, „das in seiner Größe und Bauweise

wohl einzigartig in Deutschland, vielleicht sogar in Europa ist“, wie

sie sagt. „Und dessen Geschichte lange zurückreicht.“

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Nach verheerenden Bränden im 16. Jahrhundert, die ihren Ausgangspunkt

zumeist in den mitten in der Stadt gebauten strohgedeckten

Scheunen hatten – Kremmen war eben eine Ackerbürgerstadt

– verfügte 1672 Kurfürst Friedrich Wilhelm, der nach dem

Sieg seiner Truppen über die Schweden 1675 bei Fehrbellin der

Große Kurfürst genannt wurde, „die Scheunen hinaus fürs Thor

zu schaffen“.

Die Kremmener folgten dem Befehl, das Scheunenviertel entstand.

Andrea Busse kennt die wechselvolle Geschichte aus dem Effeff

und ist natürlich stolz darauf, dass 54 Scheunen nach der Wende

saniert wurden, dass sich hier Handwerker, Künstler und Gastronomen

ansiedelten, auch „wenn man noch mehr aus diesem Kremmener

Schatz machen könnte.“

Zu den Scheunenviertlern der (fast) ersten Stunde gehört Norbert

Stolley, 69 und – wie er in einem autobiografischen Büchlein schreibt

– „ein leidenschaftlicher, sturer, friesischer Koch“ (s. S. 83).

82 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Coldehörn-Inhaber Norbert Stolley.

Und das seit 55 Jahren! Geboren in Brunsbüttel, Kochlehre im Kölner

Weinhaus Hugo Wolf in der Komödienstraße, zehn Jahre Seefahrt.

Dann, wieder an Land – selbständig in der kältesten Ecke Wilhelmshavens

– in Coldehörn. Später Stationen in Hannover, Berlin

und Eichstädt, seit 2007 dann Kremmen.

Zur Erinnerung an die Anfänge nannte Stolley seine Feinkost- und Probierscheune

auch hier Coldehörn. Seine kulinarische Offerte ist klein,

aber fein. „Ich liebe das Einfache“, sagt er, „allerdings muss es toll

zubereitet sein, frisch, schnörkellos, regional.“

RESTAURANT COLDEHÖRN

Scheunenweg 30

16766 Kremmen

Tel. 033055 – 20 0 04

www.coldehoern.de

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Schlemmen in Kremmen

DER SPARGELHOF VIER JAHRESZEITEN

84 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Der Spargelhof Kremmen ist zuallererst natürlich ein Landwirtschaftsbetrieb,

dessen Beiname „Vier Jahreszeiten“ die Produktfolge

beschreibt. Dem Spargel, der von Anfang April bis Ende Juni

das Bild bestimmt, folgen Anfang Juli bis Ende August die Kulturheidelbeeren.

Von Anfang September bis Ende Oktober ist in Kremmen

Kürbiszeit und ab November haben die am Ort aufgezogenen Freilandgänse

und -enten Saison.

Dass der Hof auch ein beliebtes Ausflugsziel ist, liegt einerseits

an seiner Lage inmitten der idyllischen Landschaft des Rhinluchs,

andererseits und sicher vor allem aber daran, dass den Gästen zu

jeder „Kremmener Jahreszeit“ viel geboten wird. „Wir versuchen, in

jeder Hinsicht gute Gastgeber zu sein“, so Malte Voigts, seit zehn

Jahren Geschäftsführer des Spargelhofes. „Sowohl was die Angebote

in unserem Hofladen als auch die unserer Hofgastronomie

betrifft, haben wir Jahr für Jahr zugelegt“, fügt er hinzu, „aber nicht

nur das, wir bieten auch Erlebnis und Entspannung.“

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Spargelhof-Chef Malte Voigts und sein

Gastronomie-Leiter Frank Buthmann, v.li.

Hofgastronomien sind häufig wenig ambitionierte Abfertigungsstätten

für möglichst große Menschenmassen – kulinarisch total

uninteressant. Dass das auf dem Kremmener Spargelhof nicht so

ist, liegt an einem engagierten Team und einem alten Bekannten.

Frank Buthmann, gebürtiger Schleswig-Holsteiner und inzwischen

47, gehörte früher mal zu Kolja Kleebergs VAU-Brigade, war Küchenchef

im Berliner Weinstein, übernahm 2008 das Kleine Haus

in Linum und machte dort mit schnörkelloser Regionalküche auf

sich aufmerksam. 2018 heuerte er auf dem Spargelhof an und ist

seit diesem Jahr dessen gastronomischer Leiter – man darf also

durchaus gespannt sein, was da noch so kommt.

Buthmanns Frau Janina, zuletzt als Product Scout in der Kreuzberger

Markthalle Neun tätig und Marketing-Chefin Beate Gebauer

sind für das Hofladen-Angebot zuständig und bieten inzwischen eine

Offerte, die selbst den eingefleischtesten Homo sapiens Aldiensis

ins Grübeln versetzen dürfte.

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Zuständig für das Hofladen-Angebot:Marketingchefin

Beate Gebauer und Janina Buthmann, v. re.

In den Regalen jedenfalls drängen sich bekannte Brandenburger

Manufakturprodukte wie Büffelmozzarella, Bocconcini und Burrata

des Kremmener Paolella-Teams oder die Hanf-Spezialitäten von

Hempwood in Oranienburg neben regionalen Lebensmitteln von

Kleinsterzeugern wie die Wildsalami von Christian Haferkorn

oder das Bärlauchöl von Dirk Berdychowski. Honig aus Leegebruch,

Leinöl aus Schulzendorf, Speiseeis aus Schwante, Kyritzer

Säfte, Bruchhäuser Wurst, handwerklich hergestellte Käsesorten

– das ist ein Einkaufserlebnis wie man es sich wünscht.

SPARGELHOF KREMMEN

Groß-Ziethener Weg 2

16766 Kremmen

Tel. 033055 – 20 08

www.spargelhof-kremmen.de

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Laib und Seele

DIE BÄCKEREI PLENTZ IN SCHWANTE

Erdbeerfest in der Kremmener Plentz-Filiale: Meister Karl-Dietmar Plentz,

Verkäuferin Jessica Günther und ein Chevrolet Bel Air 1966.

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Bäckermeister Volker Rothensee und Geselle Maximilian Plentz, v.li.

033 055 79 01 30, die Bäckerei Plentz in Schwante. Wer in der Warteschleife

landet, wird im Rammstein-Sound gerockt: „Wer will gutes

Brot uns machen, der muss haben sieben Sachen: Herz und Hand,

Fleiß und Verstand, Spaß und Stolz und ein gutes Nudelholz.“ Die

Bässe wummern, und man meint wirklich, die Stimme von Till Lindemann

zu erkennen. Ist es wirklich der Rammstein-Frontmann?

Bäckermeister Karl-Dietmar Plentz lächelt: „Möglich.“ Wie auch immer,

vor Überraschungen ist man bei dem 53-jährigen Zwei-Meter-

Mann nur selten sicher. So hätte man auf dem Band der Bäckerei

eher ein altes Kirchenlied erwartet — Plentz ist gläubiger Christ

und hat keine Scheu, auch darüber zu reden — aber Pustekuchen.

Karl-Dietmar Plentz ist Bäckermeister in vierter Generation.

1989 übernahm er die 112 Jahre zuvor in Oranienburg gegründete

Bäckerei von seinem Vater, führte sie erfolgreich durch die Wirren

der Wende, eröffnete Filialen – inzwischen sind es sieben – und

bewies mit immer neuen Ideen, dass auch das Bäckerhandwerk

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

durchaus noch goldenen Boden haben kann. Eine davon ist der

Holzbackofen auf dem Schwanter Dorfanger, der zwischen März

und November immer freitags und samstags angeheizt wird und

in dem beispielsweise die drei Kilogramm schweren Roggen-Dinkel-

Krusten aus hauseigenem Sauerteig ausgebacken werden, deretwegen

Kunden auch von weither nach Schwante kommen.

Weitere Spezialitäten gibt es im großen, hellen Laden gleich nebenan:

Champagnerroggenbrot, Honigbrot, Ringelblumenbrot, handgedrückte

Brötchen, traditionelle Hefeblechkuchen und – unser Favorit

– saftige Walnuss-Honig-Muffins mit Nüssen aus dem nahen

Herzberg (Walnussmeisterei Böllersen) und Honig aus dem Fläming

(Imkerei Albe).

Und hier gibt es auch ein Buch, das Karl-Dietmar Plentz gemeinsam

mit der Potsdamer Autorin Andrea Specht verfasst hat:

Der Brotmacher, sechs Kapitel aus dem Leben eines Bäckermeisters,

die von seiner regionalen Verwurzelung erzählen, von sei-

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

nem christlichen Engagement und seiner lokalpolitischen Arbeit.

Von seiner Frau Agnes und den gemeinsamen fünf Kindern, auf die

er so unendlich stolz ist. Von einem Frühstück mit Barack Obama,

einer Planwagentour nach Weliki Nowgorod, von einer TV-Show

um den Titel „Deutschlands bester Bäcker“. Von Backrezepten und

Bibeltexten…

„Unser wertvollstes Rezept“, sagt Karl-Dietmar Plentz, „ist sehr

schlicht. Es lautet ‚Backen und Beten‘ und hat sich in guten und in

schwierigen Zeiten bewährt.“

BÄCKEREI & KONDITOREI PLENTZ

Dorfstraße 43

16727 Oberkrämer OT Schwante

Tel. 033055 –79 01 30

www.plentz.de

Agnes und Karl-Dietmar Plentz.

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Schlossgut Schwante

UNGEWÖHNLICHES KONZEPT FÜR EINEN BESONDEREN ORT

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Ai Weiwei: Flag for Human Rights, 2018. George Rickey: Three Squares Vertical Diagonal II, 1986.

Eine Frau mit grauem Kurzhaar sitzt auf einer Parkbank und betrachtet

versonnen den gläsernen Pavillon von Dan Graham … ein schwergewichtiger

Mann hievt sich bäuchlings ins Gras, um dem Aluminium-

Garten von Toshihiko Mitsuya eine besondere Perspektive abzugewinnen

… eine Gruppe junger Leute umrundet gestenreich und lautstark

die meterhohe Säule von Gregor Hildebrandt aus gepressten und in

Bronze gegossenen Schallplatten … Beobachtungen am Eröffnungstag

des Skulpturenparks im Schlossgut Schwante und Bestätigung

der Erkenntnis, dass die Liebe zur Kunst viele Facetten kennt, die von

scheuer Verehrung bis zu wilder Zudringlichkeit reichen.

Ins Leben gerufen haben diesen Park, der Kunst in einem aufregenden

Ausmaß bietet, die neuen Schwanter Gutsbesitzer Loretta

Würtenberger und Daniel Tümpel. Das Powerpaar — sie ist promovierte

Juristin und war einst jüngste Richterin Deutschlands und

erfolgreiche Internetunternehmerin; er, diplomierter Betriebswirt und

Kunsthistoriker, arbeitete jahrelang als Investmentbanker — erwarb

Tony Cragg: Elliptical Column, 2012. Hans Arp: Architektonische Skulptur, 1958.

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel.

Küchenchefin Yogini Hufendiek und

Konditormeisterin Gloria Mara Baldi, v.re.

2019 das Schloss und den 20-Hektar-Park. „Der Ort war da, und aus

dem Ort heraus entstand das Projekt“, so Loretta Würtenberger. Ein

Projekt, das es in sich hatte: Sanierung des Schlosses Schwante,

das Würtenberger-Tümpel und ihre vier Kinder künftig bewohnen

werden, Rekultivierung des Schlossparks, Organisation der Skulpturenausstellung,

Aufbau eines Hofrestaurants, Einrichtung eines Hofladens,

dazu der Umzug der Familie und ihrer Firma Fine Art Partners

nach Schwante, Öffentlichkeitsarbeit, Personalsuche…

Über all das und vor allem natürlich über die 23 Skulpturen international

bekannter Künstler — darunter Ai Weiwei, Hans Arp, Tony Cragg,

Katja Strunz und Toby Ziegler — sprechen Loretta Würtenberger und

Daniel Tümpel ohne Selbstgefälligkeiten und ohne Geltungsbedürfnis.

„Der Reiz unseres Projekts liegt für uns in der standortlichen und

architektonischen Besonderheit des Schlossgutes“, sagen sie. Und:

„Wir sind kein Ausstellungsort im klassischen Sinne, sondern ein von

der ländlichen Umgebung geprägter Begegnungsraum.“

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Gregor Hildebrandt: Säule, 2018.

Toshihiko Mitsuya: The Aluminium Garden —

Structural Study of Plants 2019/2020.

Am 30. September 1894 schrieb Theodor Fontane in einem Brief an

seine Tochter Mete: „Die Verpflegungsfrage ist für den Kulturmenschen

eigentlich das Wichtigste.“ Eine Erkenntnis, die Loretta Würtenberger

und Daniel Tümpel nicht anzweifeln. Ganz im Gegenteil.

In einem Backsteinhaus richteten sie einen Hofladen und ein Restaurant

ein und stellten mit der Konditormeisterin Gloria Mara Baldi

und der Küchenchefin Yogini Hufendiek zwei junge Frauen an, die

ihr Handwerk beherrschen. „Landhausküche mit Pfiff“, fassen sie

ihr Konzept zusammen. Wir sagen: Glückliches Schwante!

SCHLOSSGUT SCHWANTE

Schlossplatz 1-3

16727 Oberkrämer OT Schwante

Tel. 033055 – 20 24 60

www.schlossgut-schwante.de

Katja Strunz: Unfolding Process, 2020.

Martin Creed: Work No. 1086, 2011.

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Forsthaus Sommerswalde

GEHEIMTIPP FERNAB DER GROßEN STRAßEN

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Forsthaus-Inhaber Andree Franke.

Dieses Forsthaus abseits der großen Straßen ist schon etwas besonderes

— nicht nur, weil hier kein Förster zu Hause ist und sein

Name in Versalien – also FORSTHAUS – geschrieben wird, sondern

vor allem deshalb, weil es Dinge bietet, die man hier nicht erwartet.

„Kleinod im Schwanter Forst“, „Perle im Kremmener Land“,

„architektonische Augenweide“, „kulinarischer Geheimtipp“ –

das Lob der Gäste, die den Weg hierher fanden (die einschlägigen

Reiseführer lassen das FORSTHAUS aus nicht nachvollziehbaren

Gründen links liegen), spricht Bände.

Hausherr des 1860 erbauten Anwesens ist Andree Franke, 53,

Bauingenieur mit eigenem Büro in Glienicke-Nordbahn. Der Berliner

entdeckte vor knapp acht Jahren das Haus mit den zugehörigen

Stallungen. „Die Gebäude waren Ruinen mit Wildnis drumherum“, erzählt

er, „trotzdem habe ich mich stante pede in das Areal verliebt.“

Er kaufte das Anwesen, plante ein Jahr lang und baute ein weiteres.

2015 eröffnete er das FORSTHAUS, den Sommergarten, die Ver-

Veranstaltungsleiter Heiko Franke.

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Restaurantleiterin Sandra Haase und Küchenchef Joachim Schöber.

anstaltungsscheune und drei Ferienwohnungen. Andree Franke,

selbst begeisterter Sportler, installierte Anlagen für Armbrust- und

Bogenschießen, legte einen Bouleplatz an und eine sommers wie

winters nutzbare Stockbahn. Es gibt einen Spielplatz und einen

Fahrradverleih, und aus dem verwilderten Park wurde eine grüne

Oase inklusive Kräutergarten und Streuobstwiese, an der selbst

Profi-Pomologen ihre Freude haben dürften.

Und Franke hat auf dem 7.000 Quadratmeter großen FORST-

HAUS-Gelände noch einiges vor – „aber wir wollen langsam wachsen.“

Weil der 53-jährige „Hobbygastronom“, wie er sich selbst

nennt, nichts dem Zufall überlässt, holte er seinen Bruder Heiko

und Schwägerin Sandra Haase ins Boot – ihn als Veranstaltungsmanager,

sie als Restaurantleiterin.

Irgendwie zur Familie gehört auch Küchenchef Joachim Schöber.

Der 41-jährige Oranienburger kam nach Stationen in Wiehl, Berlin, Regensburg

und im kanadischen Vancouver 2015 nach Sommerswalde

98 GARÇON


Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

und realisiert hier ein sympathisch-unschnöselhaftes Konzept, das

man sich auch andernorts in Brandenburger Ausflugsgaststätten

gut vorstellen könnte. Dabei setzt Schöber vor allem auf die Produkte

der Region – vor allem auf Wild aus den Wäldern ringsum – und

kontemporäre Zubereitungen für Sie und Ihn und ihre Kids. Leicht

gekocht, geschmacklich fein abgestimmt und hübsch arrangiert.

Einen guten Ruf genießt das idyllische FORSTHAUS-Anwesen

inzwischen auch bei Berliner und Brandenburger Hochzeitsplanern,

2016 wurde es sogar Außenstelle des Hennigsdorfer Standesamtes.

FORSTHAUS SOMMERSWALDE

Sommerswalde 4-5

16727 Oberkrämer OT Schwante

Tel. 033055 – 21 55 98

www.forsthaus-sommerswalde.de

GARÇON

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KULINARISCHE EXKURSION Kremmen-Schwante-Sommerswalde

Der Bienenkönig

DER BERLINER UNTERNEHMER MARCO SKALA PLANT GROßES IN KREMMEN

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Kremmen-Schwante-Sommerswalde KULINARISCHE EXKURSION

Die letzte Station unserer Brandenburger Landpartie führt uns wieder

zurück nach Kremmen, allerdings nur für einen Minutenstopp

mit laufendem Motor auf einem früheren Aldi-Parkplatz. Ein Berliner

Unternehmer will hier und in der nicht mehr genutzten Halle des

Discounters ein Kompetenzzentrum für Berufs- und Hobbyimker

einrichten. „Zudem wollen wir diesen Ort nutzen, um Probleme wie

das Insektensterben zu thematisieren“, sagt Marco Skala.

Der 39-Jährige, gelernter Gas-Wasser-Installateur, betreibt seit

acht Jahren im Spandauer Ortsteil Haselhorst den Fachhandel für

Imkereibedarf „beekeepers“ – mit rund 4.000 Artikeln auf 1.000

Quadratmetern Verkaufsfläche einer der größten seiner Art in Berlin

und Brandenburg.

Jahr für Jahr nehme die Zahl derer zu, die das faszinierende

Imker-Hobby ausüben, so Marco Skala. „Die Zeiten, in denen es

lediglich als Altherrenbeschäftigung in ländlichen Regionen galt,

sind längst vorbei.“

Tatsächlich summt und brummt es etwa in Berlin seit Jahren, selbst

auf Hoteldächern und sogar im Innenhof des Bundestages stehen

Bienenstöcke. Marco Skala: „Allein in der Hauptstadt gibt es rund

2.000 Imker, die etwa 11.000 Bienenvölker betreuen, und Brandenburg

zählt sogar 5.100 Bienenhalter mit rund 52.600 Völkern.“

Der Bienen-Boom und die Tatsache, dass in Haselhorst Wohnungen

gebaut werden sollen, ließen Marco Skala auf die Suche nach

einem neuen Domizil gehen – und in Kremmen fündig werden. Neben

dem Angebot all dessen, was Imker brauchen, plant der Unternehmer

dort einen Bienenlehrpfad, ein Bienen-Café und eine Schauimkerei.

Ende des Jahres will er „beekeepers Bienenwelt“ eröffnen.

Kremmen wird’s freuen, zumal in der Stadt schon vor 300 Jahren

Imkereigeschichte geschrieben wurde: Johann Grüwel, einst

Kremmener Bürgermeister, veröffentlichte 1709 die Abhandlung

„Brandenburgische Bewährte Bienen-Kunst“.

www.beekeepers24.com

GARÇON 101


RUBRIKEN Berliner Marktnischen

Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.

Wochenmärkte haben in Berlin eine lange

Tradition. Der erste urkundlich erwähnte

Markt ist der Spandauer, bereits im Stadtgründungsdokument

vom 7. März 1232 wird

er genannt. Im benachbarten Berlin sind

der Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich

Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss

ge schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten

öffentlichen Verkaufsplätze für

Butter, Eier, Honig, Käse, Korn und Wolle.

Deren Zahl stieg mit der Zeit zunehmend,

so gab es 1882 innerhalb der Stadtgrenzen

19 Wochenmärkte mit rund 10.500

Marktständen, die jedoch mit dem Bau

der Markthallen wieder verschwanden.

1952, die meisten Markthallen waren

zerstört, forderte der Regierende Bürgermeister

Ernst Reuter: „Vor's Rathaus gehört

ein Markt!“ Er meinte das Rathaus

Schöneberg und beendete mit seinem

Machtwort eine jahrelange Diskussion um

den wichtigsten Wochenmarkt Berlins.

Heute gibt es wieder rund 120 Wochenmärkte

in Berlin – nicht nur vor Rathäusern

– die sich wachsender Beliebtheit erfreuen.

Unter der Rubrik „Marktnischen“

stellt Garcon Händler vor, deren Offerten

auch eine weite Anreise wert sind.

BERLINER MARKTNISCHEN

ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER

„Die regionale Alternative fürs Lachsfrühstück“, mit diesem Slogan wirbt

die Stadtfarm Berlin für ihre mit einem Rote-Bete-Würzmix gebeizten

Filets des African Catfish. Das grätenfreie Fleisch dieses zur Familie der

Raubwelse gehörenden und in nachhaltiger Aquakultur am Standort des

Unternehmens in Berlin-Lichtenberg gezüchteten Süßwasserfisches ist

bissfest, fettarm und von einer feinen Aromatik.

Die Berliner Stadtfarm befindet sich gefühlt

ziemlich j.w.d., aber in diesem Fall

täuscht das Gefühl. Das Gewächshausareal

liegt im östlichen Lichtenberg zwischen

dem Landschaftspark Herzberge und dem

Zentralfriedhof Friedrichsfelde, sicher ein

bisschen versteckt, aber der Blick ins Internet

oder das Navi helfen Erstbesuchern

schnell.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrieb

die Städtische Irrenanstalt Herzberge hier

Ackerbau und Viehzucht, zu DDR-Zeiten

wurde das Gelände vom Volkseigenen Gut

Gartenbau genutzt, um Blumen für den

Westexport zu züchten, nach der Wende

übernahm die Natur das Regiment.

2017 schließlich ging die Stadtfarm Berlin

mit dem Ziel an den Start, eine landwirtschaftliche

Produktion zur Versorgung der

Menschen in der Stadt mit Produkten aus

der Stadt zu etablieren. Stichwort: Smart

Urban Farming.

102 GARÇON


Bertliner Marktnischen RUBRIKEN

Die Stadtfarmer haben eine Catfish-Zucht aufgebaut, kultivieren

außerdem Kräuter und Gemüse und verarbeiten einen Teil ihrer

Produkte sogar selbst. Das klingt erstmal nicht besonders spektakulär,

wird es aber dann, wenn man erfährt, wie sie das tun.

Sowohl der Fisch als auch die Kräuter und das Gemüse stammen

aus einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die auf Antibiotika,

Hormone, Pestizide und künstliche Düngemittel verzichten

kann. Ein zweites Stichwort: Aqua Terra Ponic.

Die Technologie führt Wasser in einen vollständig geschlossenen

Kreislauf: Wenn es von den Ausscheidungen der Fische

verunreinigt ist, wird es aus den Bassins abgepumpt – in natürlichen

Filtern geschieht die Umwandlung von Ammoniak durch

eine sogenannte Bakterien-Oxidation erst in Nitrit, dann in Nitrat

– anschließend fließt das nährstoffreiche Wasser in die Kräuterund

Gemüsegärten – wird danach aufgefangen und wieder in die

Fischbassins geleitet. „Bei uns fällt kein Abwasser an, und im Ver-

gleich zur konventionellen Landwirtschaft benötigen wir auch weit

weniger Wasser, genau gesagt, 80 Prozent weniger“, so Stadtfarm-

Geschäftsführerin Anne-Kathrin Kuhlemann.

50 Tonnen Catfish, 30 Tonnen Kräuter sowie Gurken, Tomaten,

Paprika, Mangold und Grünkohl erzeugt das Unternehmen auf diese

Weise jährlich. Den African Catfish gibt es frisch, gebeizt oder

geräuchert im eigenen Hofladen oder im Online-Shop des Unternehmens.

Und einmal im Monat ist Markttag auf der Stadtfarm mit

weiteren Anbietern – etwa dem Biohof Zühlke, dem Gut Hirschaue

und der Berliner Biobäckerei Endorphina.

Stadtfarm im Landschaftspark Herzberge

Allee der Kosmonauten 16

10315 Berlin-Lichtenberg

www.stadtfarm.de

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RUBRIKEN Kulinarische Nachlese

Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v.re.

„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher

werden immer ein Kulturgut blei-

aus dem Ruhrpott nach Berlin und be-

Die beiden Männer zogen im Januar 2010

ben“, davon sind Johannes Mohr und Swen treiben seitdem in einem restaurierten

Kernemann-Mohr überzeugt.

Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der

Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands

vermutlich größtes, auf jeden Fall

aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.

Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb

Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca

Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,

etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte

Originale, handgeschriebene

Unikate, kulinarische Enzyklopädien,

Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher

von Sophia Loren bis Vico Torriani,

Kriegs- und Nachkriegskochbücher.

„Das Stöbern in diesem Fundus ist

immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“,

sagen die Antiquare.

Nun stöbern Johannes Mohr und Swen

Kernemann-Mohr sozusagen auch öffentlich.

Für Garcon blättern sie in Kochbüchern

aus vergangenen Zeiten und notieren,

was sie dabei bewegt.

KULINARISCHE NACHLESE

IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT

VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR

Der heruntergekommene Lucull

Kochende Probleme

von Karola Moll

Illustrationen von G. Woldemar Hörnig

J.P. Toth Verlag Hamburg

Hamburg 1947

63 Seiten

Preis (antiquarisch): 28,00 Euro

Ein Kochbuch mit Illustrationen wünschte sich die Chefredakteurin

für unsere Nachlese-Kolumne in dieser Garcon-Ausgabe. „Passend

zum Titel des Heftes“, ließ sie uns ausrichten. Ein Kochbuch mit

Illustrationen? Zuerst fiel uns Hans Haas ein, bis Ende 2020 noch

Küchenchef im Münchner Tantris. Der große Meister am Herd ist

nämlich auch ein begnadeter Maler und Zeichner, was die meisten

seiner Kochbücher eindrucksvoll belegen – „Lust auf Genuss“ (1998)

beispielsweise oder „Kulinarische Skizzen“ (2002).

Am Ende entschieden wir uns dann doch für das Bändchen „Der

heruntergekommene Lucull“ – einfach weil es älter und seltener ist.

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Kulinarische Nachlese RUBRIKEN

Ein schlichter Pappeinband, einfache Klebebindung und grobes Papier

– das sind die äußeren Kennzeichen dieses 63-Seiten-Bandes.

Das Erscheinungsjahr erklärt die Aufmachung: 1947. Damit dürfte

„Der heruntergekommene Lucull“ eines der ersten Kochbücher

sein, die nach dem Krieg in Deutschland herausgegeben wurden.

Was kochten die vom Mangel traumatisierten Hausfrauen im

zerbombten Deutschland – einem Land, in dem Lebensmittelkarten,

Hamsterfahrten und Schwarzmarktkäufe an der Tagesordnung

waren?

Bei uns zu Hause im Ruhrgebiet beispielsweise gab es folgenden

Reim: „Deutschland, Deutschland ohne alles, ohne Butter,

ohne Speck. Und das bisschen Marmelade frisst uns die Besatzung

weg.“ Schmalhans war Küchenmeister in den meisten

Haushalten, die Küche praktisch fettfrei. Kein Wunder, musste

man für ein Pfund Butter auf dem Schwarzmarkt 250 Mark hinblättern.

Fleisch und Fisch waren Raritäten, Obst sowieso. Was

kam also dann auf die Teller?

Karola, die Autorin des Bandes, wohnt – weil ausgebombt – mit

ihrem Mann Lucull teilmöbliert in Hamburg-Barmbek und ist als

Köchin gnadenlos kreativ. Sie verarbeitet Brennnesseln und Zuckerrübenblätter,

macht aus Margarine, Apfelmus, Grieß und Zwiebeln

künstliches Schmalz und aus Kartoffelmehl, Magermilch und Backpulver

falsche Schlagsahne. Es gibt Brotsuppe, Haferflockenklopse

und Kohlklöße.

Die Anregung, ihre Rezepte aufzuschreiben, kommt von Lucull.

Karola wird so zur Kochbuchautorin und – aus heutiger Sicht –

auch zur Geschichtsschreiberin. Ihr Büchlein hatte aber nicht

lange Bestand – mit der Währungsreform 1948 verbesserte sich

auch die Versorgungslage, 1950 wurden die Lebensmittelkarten

abgeschafft.

Die Illustrationen stammen übrigens von G. Woldemar Hörnig,

der sich 16 Jahre später mit der Gestaltung des ersten ZDF-

Senderlogos einen Namen machte.

www.bibliotheca-culinaria.de

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ADVERTORIAL

SERIE: L‘Art de Vivre Residenzen – eine Vereinigung herausragender Gastgeber, Spitzen- und

Sterne-Köche, die zu den besten Restaurants & Hotels im deutschsprachigen Raum zählen. Sie

verbindet seit mehr als 30 Jahren ein besonderer Wertekanon sowie die Solidarität untereinander.

SPITZENTYPEN

DIE HÜTER DER BURG

Drei Generationen, zwei Familien, eine Vision: Hoch über dem Filstal haben weitsichtige

Gastronomen in historischer Kulisse ihren Stammsitz eingerichtet: Hotel Burg Staufeneck.

Burgherr sein – das klingt romantisch. Man denkt an wehrhafte

Mauern, gewaltige Tore und herrliche Weitsicht, in

grauer Vorzeit überlebenswichtig. Die Geschichte der Burg

Staufeneck im baden-württembergischen Salach geht auf

das Jahr 1080 zurück, als Ludwig von Staufen den Bau eines

Stammsitzes in Auftrag gab. Mehr als 250 Jahre blieb

sie im Besitz des Adelsgeschlechts. Später wird sie verkauft,

vererbt – und verfällt.

Bis 1926 der Burgfried wieder zugänglich gemacht wird.

Pächterin Hildegard Wörner eröffnet einen Kiosk. Damit beginnt

eine neue Familienchronik: Fast 50 Jahre später übernimmt

ihre Tochter Lore mit Ehemann Erich Straubinger die

Wirtschaft, Restaurant und Bankettsaal entstehen. Familie

Straubinger erwirbt die Burganlage. Sohn Rolf wird Küchenchef

und holt 1991 den Michelin-Stern; seine Frau und

seine Schwester Karin organisieren Events. Karin heiratet

ihren Jugendfreund Klaus Schurr, der als Manager einsteigt.

Beide Paare haben eine gemeinsame Vision: Sie bauen ein

Spitzenhotel in historischer Kulisse, mit erstklassigem Restaurant

und Wellnessbereich.

Der Auszeichnung als „Hoteliers des Jahres 2011“

folgte die Fünf-Sterne-Superior-Zertifizierung.

Heute zählt die Burg zu den 30 besten Hotels

in Deutschland und ist als Hochzeitslocation beliebt.

2020 präsentieren sich Burgrestaurant und

Gourmetlokal in neuer Gestalt. Staufeneck hat

einen exzellenten Ruf zu verteidigen. Von Gästen

lässt man sich dabei gern belagern.

Gutes Team: Küchenchef Rolf Straubinger (links)

und Hotelchef Klaus Schurr Fotos © Hotel

www.lartdevivre-residenzen.com

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GARÇON


Nachrichten und Neuigkeiten BOUQUET GARNI

Inhaber und Sommelier Serhat Aktaş...

NACHRICHTEN UND NEUIGKEITEN

Todesmutig oder erfolgsgläubig? Während die meisten Berliner

Gastronomen in den letzten Monaten von der Krise geschüttelt

wurden und einige sogar das Handtuch warfen, wagten andere den

Start ins Essen-und-Trinken-Business. So eröffneten am 16. Mai

Marisa und Egbert Möller in Charlottenburg ihr Restaurant Anouki;

Lara und Franklin Edmond zogen am 23. Mai mit ihrem Le Cellier

im Friedrichshainer Kiez nach, und am 30. Juni schließlich luden

Serhat Aktaş und Antje Ewald zur Eröffnungsparty in ihr Bistro „Der

Weinlobbyist“ in der Schöneberger Kolonnenstraße, das mit gästefreundlichen

Öffnungszeiten (11.00 bis 23.00 Uhr), einem idyllischen

Innenhof und einer sorgfältig zusammengestellten Weinofferte

punktet.

Keine Frage, Aktaş ist – wenn es um Wein geht – ein Auskenner.

Der 28-Jährige stammt aus Izmir, kam – elfjährig – mit seiner

Familie nach Berlin, beendete hier die Schule und eine Ausbildung

zum Restaurantfachmann im Aigner am Gendarmenmarkt. „Herbert

Beltle weckte in mir das Interesse an der Welt der Weine“, sagt

er. Es wurde seine Welt. Staatlich geprüfter Sommelier, Chefsommelier

im Sternerestaurant SAVU am Kurfürstendamm, Önologiestudium

an der Universität Geisenheim – da war die eigene Weinbar

nur konsequent. Ende Frebruar 2020 übernahm Serhat Aktaş

das einstige Café Linz nahe des Kaiser-Wilhelm-Platzes, investierte

und sanierte und schuf einen atmosphärisch höchst gelungen

urbanen Zufluchtsort.

DER WEINLOBBYIST

Kolonnenstraße 62

10827 Berlin-Schöneberg

Tel. 030 – 30 64 07 72

kontakt@weinlobbyist.de

… und seine Partnerin Antje Ewald, früher

Bankett-Chefin im Regent Hotel.

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„Wer wissen will, was genau er eigentlich

isst, kann das am besten in Erfahrung

bringen, wenn er in der eigenen Region

direkt beim Erzeuger kauft und ihm quasi

bei der Arbeit über die Schulter schaut“, rät

der Berliner Autor Robert Zagolla in seinem

Anfang des Jahres bei be.bra erschienenen

Band „Hofläden in Brandenburg“. Ein Satz,

den sicher die meisten Verbraucher unterschreiben

würden. Aber wie das eben oft im

Leben ist – zwischen allgemeiner Zustimmung

und konkretem Handeln klafft dann

doch eine ziemliche Lücke.

Einer Umfrage des Bundesministeriums

für Ernährung und Landwirtschaft zum Einkaufsverhalten

der Deutschen zufolge, erledigen

die meisten ihre Einkäufe im Supermarkt

– 64 Prozent. Rund 35 Prozent kaufen

beim Discounter ein, 11 Prozent im Bioladen

oder Biosupermarkt, und 9 Prozent nutzen

die Angebote von Wochenmärkten. Lediglich

7 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig

regionale Hofläden zu besuchen,

um dort frisches Obst und Gemüse, Fleisch

aus artgerechter Haltung, hausgemachte

Wurst, Honig, manufakturell hergestellten

Käse oder Fisch aus nachhaltiger Zucht

zu kaufen.

Zagollas Führer durch die Welt der Brandenburger

Hofläden – der Autor beschreibt

rund 300 dieser kulinarischen Orte – ist nun

beileibe keine Aufforderung, seinen Wochenendeinkauf

etwa in der Prignitz zu erledigen,

obwohl regional und direkt immer besser ist

als von weither und aus dem Supermarkt.

Und so empfiehlt er Berlinern und Potsdamern

– ohnehin die wohl wichtigsten

potentiellen Rezipienten dieses Guides

– Hofläden in der näheren Umgebung per

Fahrrad zu entdecken (schade, dass Zagolla

den Blankenfelder Bauernhof nicht

erwähnt – Sabina Lischkas Käsespezialitäten

hätten einen Tipp verdient gehabt,

so geschmacksstark wie sie sind) oder

aber den nächsten Landausflug nach Brandenburg

zu nutzen, um einige Hofläden, die

ohnehin auf der Route liegen, zu besuchen.

Robert Zagolla rät aus gutem Grund, die

angegebenen Adressen und Öffnungszeiten

noch einmal zu überprüfen. Die Recherchen

zu seinem Guide erstreckten sich über

mehrere Jahre – verständlich, wenn es in

dieser Zeit da und dort Änderungen gab.

HOFLÄDEN IN BRANDENBURG

Die besten Ideen und Adressen

für kulinarische Landausflüge

Robert Zagolla

edition q im be.bra verlag GmbH

Berlin-Brandenburg 2020

www.hoflaeden-in-brandenburg.de

ISBN 978-3-86124-714-2

www.bebraverlag.de


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GARCON-QUIZ

VERLAG UND REDAKTION

Bild Art Media Verlag

Inh. Yvonne Weinlich

Marzahner Promenade 26

12679 Berlin

Fon 0 30 - 28 86 79 70

Fax 0 30 - 28 86 79 69

info@bildart-verlag.de

www.garcon24.de | facebook.de/garcon24

HERAUSGEBER

Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.)

REDAKTION

Petra Leonhardt (Leitung)

Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer,

Wolf-Dietrich Strobel

Julia Junker, Heiko Schweter (Praktikanten)

AUTOREN UND KOLUMNISTEN

Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,

Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,

Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,

Dagmar Maas, Johannes Mohr,

Rafael Neitzsch, Jörg Teuscher,

Thorsten Tonski, Christian Zeltner

GRAFIK UND LAYOUT

Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de)

Maik Kleinhanns (info@davin-c.de)

Vor 115 Jahren entdeckte der elfjährige

Frank Epperson in San Francisco per Zufall

das Stiel-Eis. 1923 meldete er es als „Popsicle“

(„pop“: ein Synonym für Limonade

– „sicle“: eine Abwandlung von „icicle“=

Eiszapfen) zum Patent an.

Wer wissen will, wie das Stiel-Eis aus den

USA in deutsche Tiefkühlfächer kam, landet

unweigerlich bei Theo Schöller. Der Sohn

eines Nürnberger Büromöbel-Fabrikanten

hatte Mitte der 1930er die eisige Spezialität

probiert und war davon dermaßen begeistert,

dass er gemeinsam mit seinem Bruder

Karl eine Firma für die Herstellung von Stiel-

Eis gründete.

Schnell folgte das Hamburger Unternehmen

Langnese, das im Jahr 1937 bereits

20 Millionen Eis am Stiel produzierte

und dessen Klassiker Capri (1959), Nogger

(1963) und Magnum (1989) noch heute in

aller Munde sind.

Wir wollen wissen, wie hoch der jährliche Eisam-Stiel-Konsum

in Deutschland derzeit ist:

A ca. 500 Millionen Stück

B ca. eine Milliarde Stück

C ca. zwei Milliarden Stück

Ihre Antwort bitte an:

Bildart Media Verlag

Redaktion GARÇON

Marzahner Promenade 26

12679 Berlin

E-Mail: info@bildart-verlag.de

Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden

unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig

beantwortet haben.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Einsendeschluss: 15. September 2020.

Die Gewinne werden per Post zugesandt.

TITELBILD

Marie Geißler

www.mariegeissler.de

FOTOS UND ILLUSTRATIONEN

Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon,

Anette Köhn (1/Illustration S.8),

Marie Geißler (4/Porträt-Illustrationen S.11, 15, 19

und Illustration S.33),

La Lucha (2/S.17 unten), Hotel Oderberger (1/S.36)

www.yolcsita.com (1/S.52 unten),

Azienda Agricola Josè Noè,

Papa dei Boschi(2/S.59),

Katsushi Oochi (3/S.61)

ANZEIGEN

Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngel

anzeigen@bildart-verlag.de

DRUCK

www.pingoprint.de

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Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im Abonnement.

Einzelheftbestellung: Jedes Heft kostet

6,00 Euro, zuzüglich 1,55 Euro Versandkosten pro

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