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Polizei in Staat und Gesellschaft - Leseprobe

Dieses studienbegleitende Lehrbuch stellt die politikwissenschaftlichen und soziologischen Grundlagen für die Polizeiarbeit dar. Während die Politikwissenschaft Analysen bereitstellt, um die Polizei und ihr Handeln zu verstehen, bietet die Soziologie unverzichtbares Hintergrundwissen, um die Bedeutung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse für die Gewährung von Sicherheit und Ordnung zu erfassen und als Polizei hierauf zu reagieren. In zehn Kapiteln beschreiben die Autorinnen und Autoren, die an polizeiausbildenden Hochschulen und Akademien lehren, die sozialwissenschaftlichen Fragestellungen mit stetem Bezug zur Rolle, Funktion und Organisation der Polizei sowie zu den politischen Bedingungen und Anforderungen an polizeiliches Handeln in Deutschland.

Dieses studienbegleitende Lehrbuch stellt die politikwissenschaftlichen und soziologischen Grundlagen für die Polizeiarbeit dar. Während die Politikwissenschaft Analysen bereitstellt, um die Polizei und ihr Handeln zu verstehen, bietet die Soziologie unverzichtbares Hintergrundwissen, um die Bedeutung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse für die Gewährung von Sicherheit und Ordnung zu erfassen und als Polizei hierauf zu reagieren.

In zehn Kapiteln beschreiben die Autorinnen und Autoren, die an polizeiausbildenden Hochschulen und Akademien lehren, die sozialwissenschaftlichen Fragestellungen mit stetem Bezug zur Rolle, Funktion und Organisation der Polizei sowie zu den politischen Bedingungen und Anforderungen an polizeiliches Handeln in Deutschland.

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<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

Politikwissenschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziologische<br />

Gr<strong>und</strong>züge<br />

Herausgegeben von<br />

Bernhard Frevel & Vanessa Salzmann<br />

Mit Beiträgen von<br />

Carsten Dams, Bernhard Frevel,<br />

Hermann Groß, Thomas Grumke,<br />

Jonas Grutzpalk, Andreas Kohl,<br />

Mart<strong>in</strong> Mauri, Thoma Naplava,<br />

Christoph Riederer, Peter Römer,<br />

Vanessa Salzmann <strong>und</strong> Marschel Schöne<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH<br />

Buchvertrieb


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 <strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> – E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung 9<br />

von Bernhard Frevel<br />

1.1 Politikwissenschaft ................................................................................................. 10<br />

1.2 Soziologie ............................................................................................................... 11<br />

1.3 Zu diesem Buch ...................................................................................................... 13<br />

1.4 Literatur .................................................................................................................. 14<br />

I<br />

POLITIKWISSENSCHAFT<br />

2 Das politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland 15<br />

von Hermann Groß<br />

2.1 Politische Theorie ................................................................................................... 15<br />

2.2 Die Analyse politischer Systeme ............................................................................ 16<br />

2.3 Verfassung, B<strong>und</strong>esverfassungsgericht <strong>und</strong> <strong>Staat</strong>soberhaupt .............................. 18<br />

2.4 Parlament: B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat ................................................................... 20<br />

2.5 Regierung <strong>und</strong> M<strong>in</strong>isterialverwaltung ................................................................... 25<br />

2.6 Gesetzgebung ......................................................................................................... 28<br />

2.7 Wahlen <strong>und</strong> Wählerverhalten ................................................................................ 32<br />

2.8 Parteien <strong>und</strong> Interessengruppen ........................................................................... 34<br />

2.9 Deutschland: Perspektiven e<strong>in</strong>er etablierten Demokratie .................................... 37<br />

2.10 Literatur .................................................................................................................. 39<br />

3 Politikfeldanalyse Innere Sicherheit 40<br />

von Bernhard Frevel<br />

3.1 Gr<strong>und</strong>struktur der Politikfeldanalyse ..................................................................... 40<br />

3.2 Das Politikfeld „Innere Sicherheit“ ......................................................................... 47<br />

3.3 Fallbeispiele Politikfeldanalyse Innere Sicherheit .................................................. 49<br />

3.3.1 Verschärfung der Anti-Terror-Konzepte –<br />

e<strong>in</strong>e prozessanalytische Betrachtung .................................................................... 49<br />

3.3.2 Kennzeichnungspflicht für <strong>Polizei</strong>beamte –<br />

e<strong>in</strong>e akteursanalytische Betrachtung .................................................................... 50<br />

3.3.3 Jugendgefährdung – e<strong>in</strong>e steuerungsanalytische Betrachtung ............................ 51<br />

3.4 Literatur .................................................................................................................. 53<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

4 Politischer Extremismus <strong>und</strong> Terrorismus 54<br />

von Thomas Grumke<br />

4.1 Was ist Extremismus? ............................................................................................ 54<br />

4.1.1 Der Extremismusbegriff aus Sicht staatlicher Institutionen .................................. 54<br />

4.1.2 Der politikwissenschaftliche Extremismusbegriff .................................................. 55<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Inhaltsverzeichnis<br />

4.2 Rechtsextremismus ................................................................................................ 56<br />

4.2.1 Begriff <strong>und</strong> Ideologie .............................................................................................. 56<br />

4.2.2 Ideologie <strong>und</strong> Mobilisierung .................................................................................. 58<br />

4.2.3 Struktur <strong>und</strong> Aktion ................................................................................................ 60<br />

4.2.4 Gewalt <strong>und</strong> Rechtsextremismus ............................................................................ 62<br />

4.3 Islamismus .............................................................................................................. 64<br />

4.3.1 Der Salafismus ........................................................................................................ 65<br />

4.3.2 Dschihadismus ....................................................................................................... 67<br />

4.4 Fazit: Was tun? ....................................................................................................... 69<br />

4.5 Literatur .................................................................................................................. 71<br />

5 Europäisierung der Inneren Sicherheit 75<br />

von Andreas Kohl<br />

5.1 Die „Innere Sicherheit“, Europäisierung <strong>und</strong> Globalisierung ................................ 75<br />

5.2 Gefahren für die Innere Sicherheit <strong>in</strong> Europa ........................................................ 76<br />

5.2.1 Terrorismus ............................................................................................................. 76<br />

5.2.2 Organisierte Krim<strong>in</strong>alität (OK) ................................................................................ 78<br />

5.2.3 Migrationsbewegungen ......................................................................................... 79<br />

5.3 Die Europäische Union als Raum der Strafverfolgung ........................................... 80<br />

5.3.1 Die Anfänge <strong>und</strong> die TREVI-Kooperation ............................................................... 81<br />

5.3.2 Die Schengener Abkommen .................................................................................. 82<br />

5.3.3 Wichtige vertragliche Entwicklungen .................................................................... 83<br />

5.3.4 Europol ................................................................................................................... 86<br />

5.3.5 Eurojust .................................................................................................................. 88<br />

5.3.6 Die Europäische Agentur für die Grenz- <strong>und</strong> Küstenwache/Frontex .................... 89<br />

5.3.7 Die Europäische Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF ........................................... 91<br />

5.4 Aktuelle Herausforderungen .................................................................................. 91<br />

5.5 Literatur .................................................................................................................. 93<br />

II<br />

SOZIOLOGIE<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

6 E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Soziologie für die <strong>Polizei</strong> 98<br />

von Mart<strong>in</strong> Mauri<br />

6.1 Soziales Handeln .................................................................................................... 98<br />

6.2 Werte <strong>und</strong> soziale Normen .................................................................................... 102<br />

6.3 Soziale Rolle ............................................................................................................ 105<br />

6.4 Soziale Gruppen ..................................................................................................... 107<br />

6.4.1 Abgrenzungen: statistische Gruppe, Sozialkategorie<br />

<strong>und</strong> soziales Aggregat ............................................................................................. 108<br />

6.4.2 Kriterien der sozialen Gruppe ................................................................................ 109<br />

6.5 Masse ..................................................................................................................... 115<br />

6.6 Literatur .................................................................................................................. 118<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Inhaltsverzeichnis<br />

7 Sozialstruktur Deutschlands 121<br />

von Vanessa Salzmann<br />

7.1 Demografischer Wandel ........................................................................................ 123<br />

7.1.1 Aktuelle Altersstruktur ........................................................................................... 123<br />

7.1.2 Wanderungsbewegungen (Migration) .................................................................. 124<br />

7.1.3 Demografischer Wandel ........................................................................................ 125<br />

7.2 Migration <strong>und</strong> Integration ...................................................................................... 129<br />

7.2.1 Lebenssituation von Migranten <strong>in</strong> Deutschland .................................................... 130<br />

7.2.2 Lebenssituation von Geflüchteten ......................................................................... 131<br />

7.2.3 Integration von Geflüchteten <strong>und</strong> Migranten ....................................................... 133<br />

7.2.4 Folgen für die <strong>Polizei</strong> .............................................................................................. 134<br />

7.3 Soziale Ungleichheit ............................................................................................... 135<br />

7.3.1 Begriffsklärungen ................................................................................................... 135<br />

7.3.2 Erklärungsansätze .................................................................................................. 136<br />

7.3.3 Ausblick .................................................................................................................. 137<br />

7.4 Sozialer Wandel ...................................................................................................... 138<br />

7.4.1 Was bedeutet sozialer Wandel? ............................................................................ 138<br />

7.4.2 Wandel – wie schnell <strong>und</strong> woh<strong>in</strong>? ......................................................................... 138<br />

7.4.3 Eckpunkte des sozialen Wandels unserer <strong>Gesellschaft</strong> ......................................... 139<br />

7.4.4 Ausblick .................................................................................................................. 139<br />

7.5 Literatur .................................................................................................................. 140<br />

8 Stadtsoziologie: <strong>Polizei</strong>liches Handeln im urbanen Raum 142<br />

von Marschel Schöne<br />

8.1 Prolog – Raum <strong>und</strong> Sozialität ................................................................................. 142<br />

8.2 Stadt <strong>und</strong> Soziologie ............................................................................................... 142<br />

8.3 Segregation ............................................................................................................. 143<br />

8.3.1 Soziale Segregation ................................................................................................ 145<br />

8.3.2 Ethnische Segregation ............................................................................................ 146<br />

8.4 Raum, Sicherheit <strong>und</strong> Risiko .................................................................................. 147<br />

8.4.1 Brennpunkte ........................................................................................................... 148<br />

8.5 Reactio <strong>und</strong> Actio – Repression <strong>und</strong> Prävention ................................................... 150<br />

8.6 Community Polic<strong>in</strong>g – Vernetzte <strong>Polizei</strong>arbeit ....................................................... 153<br />

8.7 Literatur .................................................................................................................. 155<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

9 <strong>Polizei</strong> <strong>und</strong> Gewalt 159<br />

von Thomas Naplava<br />

9.1 Der Begriff der Gewalt ........................................................................................... 159<br />

9.2 Gewalt <strong>und</strong> soziale Interaktion .............................................................................. 164<br />

9.3 Gewalt durch <strong>Polizei</strong> ............................................................................................... 167<br />

9.4 Gewalt gegen die <strong>Polizei</strong> ........................................................................................ 172<br />

9.5 Literatur .................................................................................................................. 176<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Inhaltsverzeichnis<br />

10 Die Geschichte der deutschen <strong>Polizei</strong> 179<br />

von Carsten Dams, Christoph Riederer <strong>und</strong> Peter Römer<br />

10.1 Die Anfänge der <strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> Deutschland ................................................................. 179<br />

10.2 Die <strong>Polizei</strong> während des Kaiserreichs ..................................................................... 180<br />

10.3 Die <strong>Polizei</strong> der Weimarer Republik ........................................................................ 181<br />

10.4 Die deutsche <strong>Polizei</strong> im Nationalsozialismus ......................................................... 183<br />

10.5 Besatzungszeit <strong>und</strong> Entwicklung <strong>in</strong> den beiden deutschen <strong>Staat</strong>en ..................... 186<br />

10.6 Fazit ........................................................................................................................ 193<br />

10.7 Literatur .................................................................................................................. 193<br />

11 <strong>Polizei</strong> als Beruf : Berufswahl, berufliche Integration <strong>und</strong> Integration<br />

von M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> die <strong>Polizei</strong> 197<br />

von Jonas Grutzpalk<br />

11.1 Berufswahl .............................................................................................................. 197<br />

11.2 Berufliche Integration ............................................................................................ 199<br />

11.2.1 <strong>Polizei</strong>kultur <strong>und</strong> Polizistenkultur ........................................................................... 201<br />

11.2.2 Cop Culture als Erfahrungskultur ........................................................................... 202<br />

11.3 Integration von M<strong>in</strong>derheiten ............................................................................... 205<br />

11.4 Literatur .................................................................................................................. 210<br />

Die Autor<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Autoren 212<br />

Stichwortverzeichnis 216<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> – E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung<br />

1 <strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> – E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung<br />

Bernhard Frevel<br />

Die <strong>Polizei</strong> ist – nicht nur <strong>in</strong> Deutschland – e<strong>in</strong> zentrales Element der <strong>Staat</strong>lichkeit. Sie ist e<strong>in</strong><br />

wesentlicher Träger des staatlichen Gewaltmonopols, wobei hier sowohl die <strong>Staat</strong>sgewalt im<br />

S<strong>in</strong>ne hoheitlichen Handelns geme<strong>in</strong>t ist, als auch die besondere Befugnis zur Anwendung<br />

von Zwang im S<strong>in</strong>ne von physischer Gewalt. Sie ist Teil der Exekutive <strong>und</strong> (mit-)verantwortlich<br />

für die Gewährung von Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung, für die Gefahrenabwehr <strong>und</strong> Strafverfolgung.<br />

Gemäß Art. 20 (3) GG ist die <strong>Polizei</strong> als Exekutive an Gesetz <strong>und</strong> Recht geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> damit<br />

zählt die Lehre der Rechtswissenschaften z.B. zum <strong>Staat</strong>srecht, zum Straf-<strong>und</strong> Strafprozessrecht,<br />

zum Verkehrsrecht <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Bündelung des sogenannten „E<strong>in</strong>griffsrechts“ zum Kernbestand<br />

der hochschulischen Lehre für angehende <strong>Polizei</strong>vollzugsbeamt<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -beamte.<br />

E<strong>in</strong>en besonderen Anteil haben die von manchen unter dem Begriff „<strong>Polizei</strong>wissenschaften“ 1<br />

subsumierten Fächer E<strong>in</strong>satzlehre, Verkehrsmanagement, Führungslehre oder die Krim<strong>in</strong>alwissenschaften<br />

mit Krim<strong>in</strong>alistik, Krim<strong>in</strong>altechnik <strong>und</strong> Krim<strong>in</strong>ologie.<br />

Die Ausbildung für den <strong>Polizei</strong>vollzugsdienst kann jedoch nicht auf die durch- <strong>und</strong> ausführungsrelevanten<br />

Aspekte beschränkt bleiben. Vielmehr muss sich die <strong>Polizei</strong> jederzeit<br />

bewusst se<strong>in</strong>, für wen sie eigentlich da ist <strong>und</strong> wer der Adressat ihres Handelns ist. Sie muss<br />

sich vergegenwärtigen, dass sie e<strong>in</strong>gebettet ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong> politisches System. Hierbei unterliegt<br />

sie e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>er politischen Führung <strong>und</strong> ist andererseits selbst e<strong>in</strong> wichtiger Akteur von<br />

Politik – hier zunächst verstanden als Regelung öffentlicher Angelegenheiten.<br />

<strong>Polizei</strong>liches Handeln ist immer auch Handeln <strong>in</strong> der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> für die <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Auf sehr vielfältige Weise s<strong>in</strong>d die Aktivitäten der <strong>Polizei</strong> e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> gesellschaftliche<br />

Prozesse. Sie s<strong>in</strong>d geprägt durch soziale Strukturen <strong>und</strong> stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wechselseitigen<br />

Verhältnis zum Handeln <strong>und</strong> Verhalten der Menschen, die als „polizeiliches Gegenüber“<br />

Leistungen der <strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> Form von Unterstützung <strong>und</strong> Hilfe erwarten oder eben auch als<br />

Sanktionen „erleiden“. Der soziale Wandel, den jede <strong>Gesellschaft</strong> vollzieht <strong>und</strong> vollziehen<br />

muss, bee<strong>in</strong>flusst auch die Arbeit der <strong>Polizei</strong>, fordert Anpassungen, Umorganisation <strong>und</strong><br />

veränderte Strategien. Eben weil sie <strong>in</strong> die <strong>Gesellschaft</strong> e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en ist, benötigt die <strong>Polizei</strong><br />

neben den Erkenntnissen der Rechtswissenschaften <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>satzlehre zur Erledigung<br />

ihrer Aufgaben auch die der Soziologie, die erklärt, wie <strong>Gesellschaft</strong> funktioniert, welche<br />

soziale Strukturen <strong>und</strong> Prozesse sich wie auf die unterschiedlichsten Probleme auswirken,<br />

die polizeiliches Handeln erfordern.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

E<strong>in</strong>e weitere Bezugswissenschaft für die <strong>Polizei</strong> ist die Politikwissenschaft. <strong>Polizei</strong> <strong>und</strong> Politik<br />

haben nicht nur e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Wortursprung im griechischen polis. Die Beziehungen<br />

zwischen Politik <strong>und</strong> <strong>Polizei</strong> s<strong>in</strong>d vielschichtiger <strong>und</strong> bedeutsamer: In der Übernahme der<br />

Sicherheitsgewährung als <strong>Staat</strong>saufgabe konstituiert sich erst der <strong>Staat</strong>, <strong>und</strong> so trägt die<br />

erfolgreiche <strong>Polizei</strong>arbeit ganz wesentlich zur Existenzberechtigung <strong>und</strong> Legitimation e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Staat</strong>es bei. Gel<strong>in</strong>gt es Politik nicht, den Bürgern Sicherheit <strong>in</strong> angemessenen Rahmen zu<br />

gewähren, so scheitert die Regierung <strong>und</strong> gegebenenfalls sogar der <strong>Staat</strong>. Aber auch im Kle<strong>in</strong>eren<br />

wird die Beziehung deutlich: Die politische Regelung der polizeilichen Aufgaben <strong>und</strong><br />

1 Der Begriff der <strong>Polizei</strong>wissenschaft oder <strong>Polizei</strong>wissenschaften ist sehr umstritten <strong>und</strong> es wird kontrovers diskutiert, ob<br />

er überhaupt s<strong>in</strong>nvoll sei. E<strong>in</strong>en Überblick über die Debatte gibt das Themenheft „Hat die deutsche <strong>Polizei</strong>wissenschaft<br />

e<strong>in</strong>e Zukunft? E<strong>in</strong>e Bestandsaufnahme“ der Zeitschrift <strong>Polizei</strong> & Wissenschaft, Heft 1/2015, hrsgg. von Thomas Feltes <strong>und</strong><br />

Bernhard Frevel.<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> – E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung<br />

der polizeilichen Kompetenzen steuert die tägliche Arbeit <strong>in</strong> den vielen Tätigkeitsfeldern im<br />

Bereich Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Prävention <strong>und</strong> Opferschutz. Nicht zuletzt muss<br />

zudem die <strong>Polizei</strong> als Träger<strong>in</strong> des staatlichen Gewaltmonopols auch aktiv werden, um politische<br />

Entscheidungen durchzusetzen.<br />

Soziologie <strong>und</strong> Politikwissenschaft s<strong>in</strong>d zwei Bezugswissenschaften für die <strong>Polizei</strong>, die <strong>in</strong><br />

diesem Lehrbuch mit ausgewählten Themen mit entweder gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung oder<br />

aber spezifischem Bezug auf den <strong>Polizei</strong>vollzugsdienst vorgestellt werden.<br />

1.1 Politikwissenschaft<br />

Politikwissenschaft ist die Wissenschaft, die sich mit Politik befasst. So e<strong>in</strong>fach, aber tautologisch<br />

<strong>und</strong> somit unbrauchbar, ließe sich diese Wissenschaft beschreiben. Aber was ist Politik?<br />

Wer sich mit – weitaus umfangreicheren – E<strong>in</strong>führungswerken zur Politikwissenschaft befasst,<br />

wird feststellen, dass die verschiedenen Autoren ihren Gegenstand äußerst vielfältig def<strong>in</strong>ieren.<br />

Verschiedene Gr<strong>und</strong>überzeugungen, historische Kontexte, Ideologien, Forschungsrichtungen<br />

<strong>und</strong> wissenschaftliche Selbstverständnisse der Forscher führen zu e<strong>in</strong>er solchen Begriffsvielfalt.<br />

So verb<strong>in</strong>den manche Autoren die Politik mit bestimmten Normen <strong>und</strong> Werten. Dolf Sternberger<br />

(1961) def<strong>in</strong>ierte: „Der Gegenstand <strong>und</strong> das Ziel der Politik ist Friede.“ Franz Leopold<br />

Neumann (1950) schrieb: „Politische Wissenschaft ist die Wissenschaft von der Freiheit.“<br />

Mit normativen Politikbegriffen, die z.B. auch „Demokratie“ oder die „rechte Ordnung“<br />

umfassen, werden also Ziele vorgestellt, die den Weg <strong>und</strong> das Ergebnis politischen Handelns<br />

bestimmen sollen. Soll- <strong>und</strong> Zielwerte prägen diese Politikbegriffe.<br />

E<strong>in</strong> anderer Ansatz zur Politikdef<strong>in</strong>ition orientiert sich mehr am <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> der Regierung. Diese<br />

gouvernementalen Politikbegriffe ranken sich um den <strong>Staat</strong> mit se<strong>in</strong>en Zwecken <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Organisation,<br />

um Machtgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> Machterhalt, um Führung <strong>und</strong> Herrschaft – <strong>und</strong> damit aber<br />

auch um Unterordnung des Bürgers <strong>und</strong> die Anerkennung von Hierarchien im Geme<strong>in</strong>wesen.<br />

E<strong>in</strong> dritter Ansatz lässt sich als konfliktorientierter Politikbegriff bezeichnen. Hierbei wird zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt, dass es <strong>in</strong> der <strong>Gesellschaft</strong> unterschiedliche Interessen gibt, die mite<strong>in</strong>ander<br />

konfligieren. Politik wird dann u.U. verstanden als „gesellschaftliches Handeln, [...] welches<br />

darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verb<strong>in</strong>dlich zu regeln“ (Lehmbruch<br />

1968, zit. nach von Alemann, Forndran 1990, S. 37).<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Diese Kurz-Typologie von Politikbegriffen ließe sich weiter fortführen. Es ließen sich jeweils<br />

gegensätzliche Ansätze benennen. Statt der <strong>Staat</strong>sbezogenheit des gouvernementalen Begriffes<br />

lässt sich e<strong>in</strong> emanzipatorischer setzen, der statt Macht <strong>und</strong> Herrschaft hervorzuheben,<br />

emanzipatorisch auf Teilhabe, Gleichheit <strong>und</strong> Demokratie setzt. Statt Konfliktorientierung<br />

kann e<strong>in</strong> weiterer Def<strong>in</strong>itionsansatz den Konsens <strong>in</strong> das Zentrum rücken.<br />

E<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung, was Politik ist <strong>und</strong> wie man sie def<strong>in</strong>ieren kann, besteht <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Politikwissenschaft nicht.<br />

Weith<strong>in</strong> durchgesetzt hat sich <strong>in</strong>zwischen jedoch bei der Suche nach e<strong>in</strong>em Wesensbegriff<br />

von Politik, dass diese mehrdimensional betrachtet werden muss. Nicht alle<strong>in</strong> die staatliche<br />

Ordnung, die gesellschaftlichen Konflikte oder die ideologischen Werte <strong>und</strong> Ziele können<br />

umschreiben, was Politik ist. In Übernahme des angelsächsischen Begriffstrios wird Politik <strong>in</strong><br />

polity-, policy- <strong>und</strong> politics-Dimensionen differenziert.<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Soziologie<br />

1. polity: Hiermit wird die Form von Politik bezeichnet, wie sie uns <strong>in</strong> Verfassung, Gesetzen<br />

<strong>und</strong> Institutionen begegnet, die Ordnung ist e<strong>in</strong> wesentliches Merkmal;<br />

2. policy: Umfasst den Inhalt von Politik, die Aufgaben <strong>und</strong> Ziele, die politischen Programme<br />

<strong>und</strong> die Gestaltung von Politik;<br />

3. politics: Hierunter wird der politische Prozess verstanden, die Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong><br />

Konflikten, die Suche nach Kompromissen <strong>und</strong> Konsens, die Vermittlung von Interessen.<br />

Hier geht es um Macht <strong>und</strong> Durchsetzung.<br />

Diese drei Dimensionen mit entsprechenden Kategorien <strong>und</strong> zugehörigen Schlüsselfragen<br />

liefern dem Politikwissenschaftler e<strong>in</strong> wichtiges Gerüst, um se<strong>in</strong> Erkenntnis<strong>in</strong>teresse, se<strong>in</strong>e<br />

analytischen Betrachtungsschwerpunkte <strong>und</strong> auch se<strong>in</strong>e Problemaufbereitung zu strukturieren.<br />

Sie s<strong>in</strong>d immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wechsel- bzw. Bee<strong>in</strong>flussungsverhältnis zu sehen. Wer sich beispielsweise<br />

als Wissenschaftler mit dem Problem der politischen Wirkung <strong>und</strong> Arbeitsweise<br />

von Interessensorganisationen (Gewerkschaften, Verbände etc.) befasst (politics), kann dies<br />

nur tun, <strong>in</strong>dem er die <strong>in</strong>stitutionellen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> dem jeweiligen <strong>Staat</strong> berücksichtigt<br />

(polity) <strong>und</strong> die zu vermittelnden politischen Inhalte (z.B. h<strong>in</strong>sichtlich der Verfassungskonformität)<br />

e<strong>in</strong>bezieht (policy).<br />

Das Arbeitsfeld der Politikwissenschaft ist sehr vielseitig. Im Wesentlichen lassen sich sechs<br />

große Arbeitsfelder differenzieren:<br />

• Methoden der Politikwissenschaft: Wissenschaftstheorie, Methodologie, quantitative<br />

<strong>und</strong> qualitative Methoden, statistische Verfahren u.Ä.<br />

• Theorien der Politik zu denen z.B. Ideengeschichte <strong>und</strong> politische Philosophie, Demokratietheorien,<br />

Entscheidungstheorien u.a. zählen.<br />

• Politisches System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>in</strong> der Europäischen Union mit den<br />

Bereichen der <strong>Staat</strong>sordnung, dem Parteien- <strong>und</strong> Wahlsystem, politischen Akteuren<br />

<strong>und</strong> Entscheidungsprozessen.<br />

• Politikfeldanalysen: Diese policy-Studien befassen sich mit ausgewählten politischen<br />

Feldern wie Verkehrspolitik, Umweltpolitik, Kulturpolitik, Sozialpolitik etc.<br />

• Vergleichende Politikwissenschaft, bei der i.d.R. E<strong>in</strong>zelaspekte von polity, policy <strong>und</strong> politics<br />

verschiedener <strong>Staat</strong>en mite<strong>in</strong>ander verglichen werden, z.B. Wirtschaftspolitik <strong>in</strong><br />

Italien <strong>und</strong> Deutschland oder die politischen Systeme von Deutschland <strong>und</strong> den USA.<br />

• Internationale Beziehungen <strong>und</strong> Konflikte befasst sich z.B. mit der Aufgabenstellung <strong>und</strong><br />

-erfüllung von NATO oder EU, Friedensforschung, Migrationspolitik etc.<br />

1.2 Soziologie<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Vom Wort ausgehend ist die Soziologie e<strong>in</strong>e Lehre bzw. Wissenschaft (-logie, von griech.<br />

„logos“), die sich mit dem (lat.) „socius“, also dem Menschen <strong>und</strong> Mitmenschen befasst.<br />

Soziologen <strong>in</strong>teressieren sich für Fragen, wie Menschen <strong>in</strong>nerhalb von Geme<strong>in</strong>schaften (z.B.<br />

Familie, Gruppe, Kollegenschaft, Nachbarschaft, Vere<strong>in</strong>) oder <strong>Gesellschaft</strong>en (<strong>Staat</strong>, Religionsgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

Großorganisationen) sozial handeln, wie sich diese sozialen Gebilde strukturieren<br />

<strong>und</strong> wandeln. Sie stellen sich die Frage, wie die Menschen für ihre Geme<strong>in</strong>schaften <strong>und</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong>en Regeln des Zusammenlebens erf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> ändern, wie diese Regeln auf das<br />

Handeln der Mitglieder wirken <strong>und</strong> wie die Regeln z.B. durch Strafen durchgesetzt werden.<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


 <strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong> – E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung<br />

Zwar haben viele Philosophen, Theologen <strong>und</strong> <strong>Staat</strong>stheoretiker auch schon seit der Antike<br />

über die <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft nachgedacht, aber der Begriff der Soziologie<br />

taucht erst <strong>in</strong> der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts auf, nachdem Auguste Comte (1798–1857)<br />

ihn benutzte. Ab dem letzten Viertel des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wird die Wissenschaft dann sehr<br />

<strong>in</strong>tensiv betrieben <strong>und</strong> noch heute haben Werke der „Klassiker“ der Soziologie wie Emile<br />

Durkheim (1858–1917), Georg Simmel (1858–1918) <strong>und</strong> Max Weber (1864–1920) große<br />

Bedeutung <strong>und</strong> nachhaltige Wirkung für ihre Theorien, Fragen, Denkmuster <strong>und</strong> Begrifflichkeiten<br />

(vgl. Schroer 2017). Seit jener Zeit entwickelt sich Soziologie zu e<strong>in</strong>er der Hauptdiszipl<strong>in</strong>en<br />

der Sozialwissenschaften, die sich von den normativ-ontologischen Deutungen,<br />

wie <strong>Gesellschaft</strong> (aus der Sicht der z.B. weltlich <strong>und</strong> geistlich Mächtigen <strong>und</strong> Herrschenden)<br />

se<strong>in</strong> soll, löst <strong>und</strong> empirisch, also erfahrungsbasiert untersucht, wie Geme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> wie sie sich entwickeln. Moderne Soziologie will untersuchen, verstehen,<br />

deuten <strong>und</strong> erklären wie sich die Zusammenschlüsse der Menschen strukturieren<br />

<strong>und</strong> verändern. <strong>Gesellschaft</strong>liche Krisen <strong>und</strong> Umbrüche sollen erklärt werden <strong>und</strong> manche<br />

Soziologen suchen auch nach H<strong>in</strong>weisen <strong>und</strong> Vorschlägen, wie Wege aus der Krise gestaltet<br />

werden können. Die Soziologie geht immer kritisch an die Betrachtung von Individuum, Geme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, h<strong>in</strong>terfragt das verme<strong>in</strong>tlich Selbstverständliche <strong>und</strong> analysiert<br />

die Bed<strong>in</strong>gungen von Zusammenleben.<br />

Diese Untersuchungen setzten an sehr unterschiedlichen Aspekten an. Da gibt es z.B. die<br />

so genannte Mikro-Soziologie, die sich mit dem Individuum <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>en gesellschaftlichen<br />

E<strong>in</strong>heiten wie Familie <strong>und</strong> Gruppen befasst. Sie möchte gern verstehen, wie die Menschen<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong>dividuelle Persönlichkeit mit eigener Handlungsgestaltung, persönlichen Vorlieben<br />

<strong>und</strong> sozialen Beziehungen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> andererseits <strong>Gesellschaft</strong>smitglieder, die sich den<br />

Normen <strong>und</strong> Erwartungen unterwerfen <strong>und</strong> damit auch teilweise standardisiert verhalten.<br />

Die Mikro-Soziologie fragt nach den Rollen <strong>und</strong> Positionen, die Menschen e<strong>in</strong>nehmen<br />

(Sohn/Tochter, Student/<strong>in</strong>, Auszubildende/r, Vere<strong>in</strong>skamerad, Fre<strong>und</strong>/<strong>in</strong>, Partner/<strong>in</strong> etc.),<br />

untersucht, wie diese Rollen im Laufe der Sozialisation erlernt <strong>und</strong> ver<strong>in</strong>nerlicht werden<br />

(<strong>in</strong>ternalisieren) <strong>und</strong> wie es den Menschen gel<strong>in</strong>gt – zumeist gewaltfrei – mite<strong>in</strong>ander zu<br />

kommunizieren <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>schaftlich zu handeln. Als kritische Wissenschaft wird dabei<br />

nicht nur geschaut, wie solche Prozesse gel<strong>in</strong>gen, sondern auch warum z.B. Partnerschaften<br />

scheitern, warum Krim<strong>in</strong>alität geschieht <strong>und</strong> woran wir <strong>in</strong> Kommunikationen versagen. Das<br />

soziale Handeln der Menschen wird vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sozialer Strukturen <strong>und</strong> Regeln<br />

<strong>in</strong>terpretiert – aber es wird auch andersherum untersucht, wie sich Veränderungen im <strong>in</strong>dividuellen<br />

Handeln auf die <strong>Gesellschaft</strong> auswirken.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

E<strong>in</strong>e andere Perspektive greift die Makro-Soziologie auf. Hier spielt das Individuum kaum<br />

e<strong>in</strong>e Rolle, während die übergeordneten Strukturen <strong>und</strong> Prozesse im Vordergr<strong>und</strong> stehen. So<br />

beschreibt die Makro-Soziologie die <strong>Gesellschaft</strong>, <strong>in</strong>dem z.B. das Volk <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en demografischen<br />

Merkmalen (z.B. Alter, Geschlecht, Ethnie) oder ökonomischen Unterschieden (Beruf,<br />

Bildung, E<strong>in</strong>kommen, Vermögen) betrachtet wird. Auch die Lebensstile der Menschen <strong>und</strong><br />

ihre kulturellen Prägungen werden analysiert. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden Modelle <strong>und</strong><br />

Theorien entwickelt, die z.B. die Ober- <strong>und</strong> Unterordnung <strong>in</strong> der <strong>Gesellschaft</strong> erfassen, Eliten<br />

identifizieren, die darlegen wie sozialer Auf- <strong>und</strong> Abstieg erfolgen oder wie gut/schlecht<br />

die Integration von (z.B. ethnischen) M<strong>in</strong>derheiten gel<strong>in</strong>gt. Damit verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d auch die<br />

Fragen sozialer Ungleichheit. Haben eigentlich alle Menschen die gleichen Lebenschancen<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Zu diesem Buch<br />

<strong>und</strong> -risiken? Ist z.B. Bildungserfolg nur von der persönlichen Intelligenz abhängig oder von<br />

den Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> gesellschaftlichen E<strong>in</strong>flüssen? E<strong>in</strong> weiterer Bereich der Makro-<br />

Soziologie befasst sich mit dem sozialen Wandel <strong>und</strong> analysiert, wie z.B. Individualisierung,<br />

Digitalisierung, Ökonomisierung, Säkularisierung etc. die <strong>Gesellschaft</strong> verändern <strong>und</strong> damit<br />

das Leben der Individuen bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Neben der Mikro- <strong>und</strong> Makro-Soziologie existieren vielfältige spezielle Soziologien, manche<br />

sprechen auch von B<strong>in</strong>destrich-Soziologien. Vor dem B<strong>in</strong>destrich stehen dann die vielfältigen<br />

Spezialbereiche unserer hochkomplexen <strong>Gesellschaft</strong>en, z.B.: Familiensoziologie,<br />

Mediensoziologie, Arbeitssoziologie – oder für die Zielgruppen dieses Buches relevanter –<br />

Krim<strong>in</strong>alsoziologie, Stadtsoziologie oder politische Soziologie. Diese speziellen Soziologien<br />

betrachten die besonderen Strukturen <strong>und</strong> Prozesse im jeweiligen Feld, stellen die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

sozialen Handelns dar, analysieren die Wirkungen auf das Individuum <strong>und</strong> zeichnen<br />

den sozialen Wandel themenorientiert nach.<br />

1.3 Zu diesem Buch<br />

Dieses Lehrbuch ist dazu konzipiert, für die <strong>Polizei</strong> wesentliche Themenfelder der Soziologie<br />

<strong>und</strong> Politikwissenschaft e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sachlogischen Folge, aber auch <strong>in</strong> der Systematik<br />

der beiden sozialwissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong>en andererseits aufzubereiten. Dabei liegt der<br />

Schwerpunkt e<strong>in</strong>deutig auf der sogenannten Makro-Perspektive. Weniger das e<strong>in</strong>zelne Individuum<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong> unmittelbares Umfeld, se<strong>in</strong> soziales oder politisches Handeln stehen im<br />

Vordergr<strong>und</strong> (wie dies die Mikro-Soziologie leisten würde), als vielmehr die übergeordneten<br />

Bezüge <strong>und</strong> Strukturen. Dabei werden die größeren sozialen E<strong>in</strong>heiten <strong>und</strong> die Systeme<br />

thematisiert.<br />

Hermann Groß skizziert das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Wesentliche<br />

Verfassungspr<strong>in</strong>zipien <strong>und</strong> Strukturen werden dargelegt <strong>und</strong> es wird klar, wie sich die<br />

politikwissenschaftliche Analyse von der staatsrechtlichen Betrachtung unterscheidet. Deutlich<br />

werden auch die Effekte des Systems auf die <strong>Polizei</strong>.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

<strong>Polizei</strong>spezifischer geht Bernhard Frevel auf politikwissenschaftliche Perspektiven e<strong>in</strong>, wenn<br />

er Fragestellungen der Politikfeldanalyse Innere Sicherheit aufzeigt <strong>und</strong> dabei die Sicherheitspolitik<br />

mit ihren Teilgebieten der <strong>Polizei</strong>politik, der Krim<strong>in</strong>alpolitik <strong>und</strong> Justizpolitik mit<br />

Blick auf prozess-, akteurs- <strong>und</strong> steuerungstheoretische Aspekte analysiert.<br />

Die Politikwissenschaft ist auch gefordert, wenn es darum geht, Politischen Extremismus<br />

<strong>und</strong> Terrorismus zu deuten. Was s<strong>in</strong>d es für politisch-ideologische Motive, die Radikale,<br />

Extremisten <strong>und</strong> ggf. Terroristen antreiben? Gegen welche politischen Strukturen wenden<br />

sie sich <strong>und</strong> wie kann sich der deutsche <strong>Staat</strong> mit se<strong>in</strong>em Selbstbild der „wehrhaften Demokratie“<br />

den Herausforderungen stellen? Diesen Fragen geht Thomas Grumke nach.<br />

E<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> nationalstaatlich orientierte <strong>Polizei</strong> stößt <strong>in</strong> Zeiten von grenzüberschreitender Krim<strong>in</strong>alität,<br />

transnationalem Terrorismus <strong>und</strong> unter dem E<strong>in</strong>druck der sich vertiefenden Europäisierung<br />

schnell an ihre Grenzen – was sowohl geografische als auch s<strong>in</strong>nbildlich zu verstehen ist. Andreas<br />

Kohl beschreibt zugehörige Herausforderungen, Strukturbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Handlungsansätze.<br />

Der Soziologie-Teil dieses Buches gliedert sich <strong>in</strong> sechs Kapitel. Hier gibt Mart<strong>in</strong> Mauri zunächst<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> Soziologie, wenn er sich Fragen des sozialen Handelns widmet <strong>und</strong><br />

die gesellschaftliche Relevanz der <strong>Polizei</strong> verdeutlicht.<br />

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Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

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<br />

Vanessa Salzmann beschreibt dann die Sozialstruktur Deutschlands mit besonderem Augenmerk<br />

auf den demografischen Wandel, Fragen von Migration <strong>und</strong> Integration, dem polizeilich<br />

besonders relevanten Untersuchungsfeld der sozialen Ungleichheit <strong>und</strong> den Schlussfolgerungen<br />

zum sozialen Wandel.<br />

Marschel Schöne nutzt e<strong>in</strong>e andere soziologische Teildiszipl<strong>in</strong>, um besondere Herausforderungen<br />

an polizeiliches Handeln zu analysieren. Die Stadtsoziologie liefert spannende<br />

Informationen zum Zusammenhang von Raum <strong>und</strong> Risiken, erläutert die Spannungen von<br />

Integration <strong>und</strong> Segregation. Und es wird verdeutlicht, dass Sicherheitsarbeit <strong>in</strong> der Stadt<br />

angesichts e<strong>in</strong>er bunten Akteursvielfalt die Kooperation der <strong>Polizei</strong> mit z.B. der Stadtverwaltung,<br />

zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Wohlfahrtsverbänden oder auch privatwirtschaftlichen<br />

Sicherheitsdiensten erfordert.<br />

Dass <strong>Polizei</strong> e<strong>in</strong> Träger des Gewaltmonopols ist, wurde schon zu Beg<strong>in</strong>n des Kapitels benannt.<br />

<strong>Polizei</strong> <strong>und</strong> Gewalt stehen aber noch <strong>in</strong> weiteren Bezügen. Gewalt ist e<strong>in</strong>e von vielen<br />

Interaktionsmöglichkeiten <strong>und</strong> sie wird häufig dann angewandt, wenn andere Mittel z.B. der<br />

Sprache oder auch weitere Möglichkeiten der Interessendurchsetzung, nicht ausreichend<br />

ersche<strong>in</strong>en. Und so gibt es Gewalt, die durch <strong>Polizei</strong> geschlichtet wird, aber auch Gewalt<br />

durch Polizisten im Rahmen des unmittelbaren Zwangs <strong>und</strong> auch Phänomene von Gewalt<br />

gegen <strong>Polizei</strong>bedienstete. Diesen verschiedenen Ersche<strong>in</strong>ungsformen geht Thomas Naplava<br />

auf den Gr<strong>und</strong>.<br />

Carsten Dams, Christoph Riederer <strong>und</strong> Peter Römer beleuchten die Entwicklung der <strong>Polizei</strong><br />

aus historisch-soziologischer Perspektive. Wie wandelte sich <strong>Polizei</strong> im Laufe der Zeit, welche<br />

Rolle hatte sie <strong>in</strong> der Weimarer Republik, welche im „Dritten Reich“ <strong>und</strong> welche Entwicklung<br />

vollzog sie <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland? Es wird hier deutlich, wie die <strong>Polizei</strong> sich<br />

ihren jeweiligen staatlichen, politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Umgebungen anpasste <strong>und</strong><br />

spezifische Rollen übernahm.<br />

Zum Abschluss wird mit soziologischer Brille auf die <strong>Polizei</strong>beamt/<strong>in</strong>nen bzw. die <strong>Polizei</strong>anwärter/<strong>in</strong>nen<br />

geschaut. Jonas Grutzpalk gibt Antworten auf die Fragen zur <strong>Polizei</strong> als Beruf:<br />

Wer will eigentlich warum zur <strong>Polizei</strong>? Wie werden aus „normalen“ Menschen Polizisten <strong>und</strong><br />

was macht das Polizist-Se<strong>in</strong> aus?<br />

Zwölf Sozialwissenschaftler, die an vier verschiedenen <strong>Polizei</strong> ausbildenden Hochschulen<br />

lehren <strong>und</strong> forschen, wünschen den Leser/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>teressante E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

sowie viele E<strong>in</strong>blicke <strong>und</strong> Denkanreize zur Rolle der <strong>Polizei</strong>.<br />

1.4 Literatur<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Feltes, T., Frevel, B. (2015) (Hrsg.). Hat die deutsche <strong>Polizei</strong>wissenschaft e<strong>in</strong>e Zukunft? <strong>Polizei</strong><br />

& Wissenschaft (1).<br />

Lehmbruch, G., Naschold, F. (1968). E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Politikwissenschaft. Stuttgart: Kohlhammer.<br />

Neumann, F.L. (1950). Die Wissenschaft der Politik <strong>in</strong> der Demokratie. Berl<strong>in</strong>: Gebrüder<br />

Weiss Verlag.<br />

Schroer, M. (2017). Soziologische Theorien. Von den Klassikern bis zur Gegenwart. Paderborn:<br />

Wilhelm F<strong>in</strong>k.<br />

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Politische Theorie<br />

2 Das politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

Hermann Groß<br />

2.1 Politische Theorie<br />

E<strong>in</strong>e klassische E<strong>in</strong>teilung der Politikwissenschaft unterscheidet die Teilgebiete Politische Theorien,<br />

Politische Systemlehre, Politikfeldanalyse <strong>und</strong> Internationale Politik. Es mag daher<br />

verw<strong>und</strong>ern, dass vor e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem politischen System der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland e<strong>in</strong>e kurze E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Welt politischer Theorien <strong>und</strong> Ideologien<br />

erfolgen soll. Hält man sich aber vor Augen, dass alle politischen Systeme auf Werten, Überzeugungen<br />

<strong>und</strong> theoretischen Vorstellungen fußen, wird klar, dass zum Verständnis <strong>und</strong> zur<br />

Analyse politischer Systeme der „ideologische Unterbau“ immer mit bedacht werden muß.<br />

In der politischen Philosophie <strong>und</strong> Ideengeschichte f<strong>in</strong>den sich seit der griechischen Antike<br />

Überlegungen zu Gr<strong>und</strong>fragen politischen Handelns <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere Aussagen darüber,<br />

wie der Mensch politisch handeln solle. Anhand von Aristoteles wird dabei klar, dass die Beschreibung<br />

verschiedener politischer Systeme <strong>und</strong> Ordnungsmodelle e<strong>in</strong>e „uralte“ Methode<br />

der politischen Philosophie darstellt. Aristoteles (384–322 v. Chr.) geht dabei „modern“ vor<br />

<strong>und</strong> versucht 158 Verfassungen griechischer Stadtstaaten (polis) anhand von zwei Dimensionen<br />

zu charakterisieren. Er bildet dabei e<strong>in</strong>e quantitative Achse <strong>und</strong> schaut, ob e<strong>in</strong>e Person,<br />

mehrere Personen oder alle Bürger (im alten Griechenland nur Männer mit Bürgerrechten;<br />

ausgespart bleiben Frauen, Sklaven <strong>und</strong> Metöken, also Bewohner ohne Bürgerstatus) regieren.<br />

Auf e<strong>in</strong>er qualitativen Achse unterschiedet er zwischen „guten, geme<strong>in</strong>wohlorientierten“<br />

Verfassungen <strong>und</strong> Systemen <strong>und</strong> „schlechten, am Eigennutz orientierten“ Geme<strong>in</strong>wesen<br />

(Waschkuhn 1995, S. 240–242).<br />

Abb. 1: Systemtypologie nach Aristoteles<br />

qualitativ<br />

quantitativ<br />

Alle<strong>in</strong>herrschaft<br />

Herrschaft<br />

weniger/e<strong>in</strong>iger<br />

Herrschaft<br />

vieler/aller<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

geme<strong>in</strong>wohlorientiert Monarchie Aristokratie Politie<br />

am Eigennutz orientiert Autokratie Oligarchie Demokratie<br />

Die von Aristoteles positiv bewertete Herrschaft e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelnen heißt also Monarchie, ihre<br />

negative Variante Autokratie. Handelt es sich um e<strong>in</strong>e (kle<strong>in</strong>e) Gruppe von Herrschenden,<br />

wird das Begriffspaar Aristokratie/Oligarchie verwendet. Interessant ist nun die Begriffsbildung<br />

bei der Herrschaft vieler bzw. aller Bürger. Hier wird die negative Herrschaftsform<br />

als Demokratie bezeichnet! Als moderner Begriff hat die Demokratie aber e<strong>in</strong>en Siegeszug<br />

ohnegleichen angetreten. Im Vergleich zu heute hatte aber die athenische Demokratie <strong>in</strong><br />

ihrer Blütezeit e<strong>in</strong>e vollkommene direktdemokratische Ausprägung, die im modernen Verfassungsleben<br />

nicht mehr anzutreffen ist: Gesetze <strong>und</strong> öffentliche Positionen wurden von<br />

der Volksversammlung <strong>und</strong> über Losverfahren bestimmt, sodass es pr<strong>in</strong>zipiell allen Bürgern<br />

möglich war, offizielle Ämter (<strong>in</strong>klusive der Gerichtsbarkeit) zu bekleiden. Kaum e<strong>in</strong> <strong>Staat</strong><br />

verzichtet heute auf „Demokratie“, wenn es um e<strong>in</strong>e Selbstbeschreibung geht, selbst dann<br />

nicht, wenn es sich um e<strong>in</strong> autoritäres oder totalitäres System handelt (z.B. verwenden<br />

totalitär-sozialistische <strong>Staat</strong>en den Begriff „Volksdemokratie“ oder afrikanische Militärdikta-<br />

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Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

turen s<strong>in</strong>d zum<strong>in</strong>dest offiziell „demokratische Republiken“). Demokratisierung ist e<strong>in</strong> positiv<br />

bewerteter Prozess, während die ursprüngliche aristotelische Systemvariante positiver<br />

„Volksherrschaft“, die Politie, verloren gegangen ist (vgl. Frevel, Voelzke 2017).<br />

Politische Gr<strong>und</strong>strömungen <strong>und</strong> Ideologien, die bis heute den politischen Raum strukturieren,<br />

bilden sich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert heraus <strong>und</strong> können <strong>in</strong> drei große Blöcke e<strong>in</strong>geteilt<br />

werden: Konservatismus – Liberalismus – Sozialismus. Im Laufe der Revolutionen der<br />

Neuzeit (<strong>in</strong>sbesondere der Französischen Revolution von 1789) <strong>und</strong> mit der Entstehung<br />

moderner Parteien sammeln sich politisch engagierte Menschen, die ähnliche Gr<strong>und</strong>werte<br />

teilen <strong>und</strong> Ziele verfolgen. Setzen sich Sozialisten für e<strong>in</strong>e Überw<strong>in</strong>dung des kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystems e<strong>in</strong>, für die Abschaffung von Privateigentum zugunsten von <strong>Staat</strong>seigentum<br />

<strong>und</strong> die Nivellierung von sozialen Unterschieden, vertreten Anhänger des Liberalismus<br />

e<strong>in</strong> politisches Modell, das den E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> den Mittelpunkt rückt, <strong>in</strong>dividuelle Freiheitsrechte<br />

(gegen den <strong>Staat</strong>) verfassungsrechtlich fixieren will <strong>und</strong> Privateigentum als Basis wirtschaftlicher<br />

Betätigung sieht. Konservative wollen wiederum traditionelle Werte wie Ehe,<br />

Familie <strong>und</strong> Religion stärken, setzen sich für Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung e<strong>in</strong> <strong>und</strong> akzeptieren<br />

soziale Unterschiede; sie wollen das gegebene politische System stützen.<br />

Moderne politische Theorien befassen sich anwendungsorientiert <strong>und</strong> empirisch mit den<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der Politikwissenschaft, entwickeln Modelle <strong>und</strong> Konzepte <strong>und</strong> versuchen, politisches<br />

Verhalten zu erklären <strong>und</strong> zu prognostizieren. Beispiele hierfür wären Theorien über das<br />

Wahlverhalten oder ökonomische Modelle der Politik, die e<strong>in</strong>en rationalen, eigennutzorientierten<br />

Bürger postulieren. Beispiele für moderne theoretische Ansätze s<strong>in</strong>d Postdemokratie<br />

(Crouch 2008) oder Liquid Democracy. Postdemokratie beschreibt dabei e<strong>in</strong>e Entwicklung bei<br />

der Repräsentation <strong>und</strong> Legitimation über Wahlen <strong>und</strong> damit der E<strong>in</strong>fluss des Bürgers zugunsten<br />

von privilegierten Wirtschafts-, Medien- <strong>und</strong> Experteneliten zurückgedrängt wird. Liquid<br />

Democracy versucht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mischsystem zwischen direkter <strong>und</strong> repräsentativer Demokratie<br />

<strong>und</strong> unter E<strong>in</strong>bezug neuer technischer Möglichkeiten der Digitalisierung (E-Democracy), e<strong>in</strong>e<br />

stärkere E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>zelner Bürger <strong>in</strong> den politischen Prozess zu ermöglichen.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

2.2 Die Analyse politischer Systeme<br />

In der Politikwissenschaft beschäftigt sich die politische Systemlehre mit der Beschreibung,<br />

Kategorisierung <strong>und</strong> Analyse des Aufbaus, der Funktionsweise <strong>und</strong> der theoretischen<br />

Begründungen verschiedener politischer Systeme der Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart. In<br />

Deutschland gibt es mit dem B<strong>und</strong> nicht nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges politisches System, sondern weitere<br />

16 politische Systeme der B<strong>und</strong>esländer. Außerdem müssen auch auf der kommunalen Ebene<br />

verschiedene politische Systeme e<strong>in</strong>bezogen werden, was politikwissenschaftlich ke<strong>in</strong><br />

Problem darstellt, auch wenn staatsrechtlich Kommunen als Teil der Länder gelten. Deutschland<br />

kann dabei als politisches Mehrebenensystem verortet werden, das sich durch e<strong>in</strong>e<br />

starke Politikverflechtung im föderalisierten <strong>Staat</strong>saufbau zwischen Kommunen, Ländern,<br />

B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Europäischer Union (EU) auszeichnet.<br />

In Bezug auf die differenziertere englische Begriffsbildung im Bereich „Politik“ wird <strong>in</strong> der<br />

Systemlehre dabei vor allem auf die Dimension polity, also die formalen <strong>und</strong> prozeduralen<br />

Abläufe geachtet, aber auch politics, der Politikprozess, spielt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle bei der<br />

Analyse politischer Systeme. Mit dem Begriffspaar von Verfassungstext <strong>und</strong> Verfassungswirklichkeit<br />

ist diese Spannweite ebenfalls beschrieben, wobei Verfassungstexte (neben<br />

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Die Analyse politischer Systeme<br />

dem Gr<strong>und</strong>gesetz <strong>und</strong> den Länderverfassungen gibt es auch noch Kommunalverfassungen)<br />

die polity-Dimension <strong>und</strong> der politische Prozess die Verfassungswirklichkeit umfassen. Spezielle<br />

Politikfelder oder Politikbereiche (policy-Dimension) spielen dagegen ke<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Versucht man, die politischen Systeme der knapp 200 <strong>Staat</strong>en der Erde zu kategorisieren, f<strong>in</strong>den<br />

sich neben den liberal-demokratischen Ländern Europas, Nordamerikas <strong>und</strong> Ostasiens/<br />

Ozeaniens autoritäre <strong>und</strong> totalitäre <strong>Staat</strong>en. Neben den noch verbliebenen sozialistischen<br />

Diktaturen Ch<strong>in</strong>a, Nord-Korea <strong>und</strong> Kuba f<strong>in</strong>den sich vor allem Militärdiktaturen (Afrika) <strong>und</strong><br />

autoritäre Präsidialsysteme (Mittel- <strong>und</strong> Südamerika; Osteuropa), aber auch Theokratien<br />

(Iran), bei denen der <strong>Staat</strong> primär von religiösen Überzeugungen geleitet wird. Außerdem ist es<br />

um die <strong>Staat</strong>squalität e<strong>in</strong>iger <strong>Staat</strong>en nicht besonders gut bestellt. Somalia oder Libyen existieren<br />

zwar auf der Landkarte, haben aber kaum funktionierende staatliche Strukturen, sondern<br />

s<strong>in</strong>d aufgr<strong>und</strong> von Bürgerkriegen <strong>in</strong> die Hände rivalisierender „Clans“ <strong>und</strong> „Warlords“ gefallen.<br />

Innerhalb liberal-demokratischer Länder, zu denen auch Deutschland zählt, können mit<br />

Monarchien <strong>und</strong> Republiken zunächst zwei <strong>Staat</strong>sformen unterschieden werden, die mit e<strong>in</strong>em<br />

Monarchen (König, Herzog, Fürst) oder e<strong>in</strong>en Präsidenten e<strong>in</strong> <strong>Staat</strong>soberhaupt haben,<br />

das entweder dem dynastischen Pr<strong>in</strong>zip (Erbfolge) oder e<strong>in</strong>em Wahlpr<strong>in</strong>zip unterliegt. War<br />

im Mittelalter <strong>und</strong> im Absolutismus der Monarch „Alle<strong>in</strong>herrscher“ spielt er <strong>in</strong> modernen<br />

Demokratien vor allem e<strong>in</strong>e symbolische <strong>und</strong> repräsentative Rolle, während die faktische<br />

Macht von Parlament <strong>und</strong> Regierung ausgeübt wird. Mith<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d auch Großbritannien, Dänemark,<br />

Norwegen, Belgien <strong>und</strong> Luxemburg, um e<strong>in</strong>ige west- <strong>und</strong> nordeuropäische Beispiele<br />

zu nennen, „echte“ Demokratien (vgl. Ismayr 2009).<br />

E<strong>in</strong>e zweite Analysekategorie bildet die Dimension Föderalismus, wobei E<strong>in</strong>heits- oder<br />

Zentralstaaten (z.B. Frankreich) von Föderalstaaten (z.B. USA oder Schweiz) unterschieden<br />

werden können. Deutschland ist dabei e<strong>in</strong> echter Föderalstaat mit den Ländern als Gebilden<br />

mit eigener <strong>Staat</strong>lichkeit. Die B<strong>und</strong>esländer verfügen über e<strong>in</strong> <strong>Staat</strong>sgebiet <strong>und</strong> e<strong>in</strong><br />

<strong>Staat</strong>svolk <strong>und</strong> erfüllen die politikwissenschaftlich relevanten Bed<strong>in</strong>gungen für <strong>Staat</strong>lichkeit:<br />

Verfassung, Regelungskompetenz (Gesetzgebung <strong>in</strong> den Ländern) <strong>und</strong> eigene E<strong>in</strong>nahmen<br />

(Landessteuern). Zwar verfügt der B<strong>und</strong> im Politikfeld Innere Sicherheit mit der B<strong>und</strong>espolizei<br />

(dem früheren B<strong>und</strong>esgrenzschutz BGS) <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong>eskrim<strong>in</strong>alamt über eigene <strong>Polizei</strong>en,<br />

die primäre Zuständigkeit haben aber heute die Länder mit ihren 16 Landespolizeien,<br />

während es bis <strong>in</strong> die 1970er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> noch kommunale <strong>Polizei</strong>en gab (Groß 2019; Frevel,<br />

Groß 2016; Groß, Frevel, Dams 2008).<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Bei der Ausübung demokratischer Macht kann e<strong>in</strong>erseits die Möglichkeit der direktdemokratischen<br />

Entscheidung auch über Sachfragen <strong>und</strong> auf der anderen Seite die E<strong>in</strong>flussnahme<br />

über Repräsentationsorgane (Parlamente) unterschieden werden. In der repräsentativen<br />

Demokratie werden dabei nur die Abgeordneten direkt gewählt. Fast alle liberal-demokratischen<br />

<strong>Staat</strong>en haben heute e<strong>in</strong> Repräsentativsystem, das durch e<strong>in</strong>ige plebiszitäre Elemente<br />

ergänzt wird. In weiterem Umfang f<strong>in</strong>den sich direktdemokratische Elemente <strong>in</strong> Europa alle<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> der Schweiz. In Deutschland gibt es auf der B<strong>und</strong>esebene nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Ausnahme<br />

vom Repräsentativsystem: In Art. 29 GG wird die Neugliederung des B<strong>und</strong>esgebietes geregelt,<br />

wobei die Bevölkerung der betroffenen Ländern beteiligt werden muss. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

f<strong>in</strong>den sich mittlerweile <strong>in</strong> allen B<strong>und</strong>esländern (Volksbegehren/Volksentscheid) <strong>und</strong> auf der<br />

Kommunalebene (Bürgerbegehren/Bürgerentscheid) Elemente der direkten Demokratie,<br />

Möglichkeiten, die <strong>in</strong> den letzten Jahren auch häufiger genutzt werden.<br />

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Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

Politikwissenschaftlich bedeutsam <strong>und</strong> für das Verständnis e<strong>in</strong>er modernen Gewaltenteilungslehre<br />

unverzichtbar ist die Unterscheidung zwischen dem parlamentarischen Regierungssystem<br />

(z.B. Deutschland oder Großbritannien) <strong>und</strong> dem präsidentiellen Regierungssystem<br />

(USA) (Hartmann 2011, S.13–44). Der amerikanische Präsident wird direkt vom<br />

Volk gewählt <strong>und</strong> hat damit e<strong>in</strong>e direkte Legitimation des Volkes. Er vere<strong>in</strong>t die Funktionen<br />

des <strong>Staat</strong>soberhauptes <strong>und</strong> des Regierungschefs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person <strong>und</strong> darf nicht dem<br />

Parlament (dem Kongress mit se<strong>in</strong>en beiden Kammern Senat <strong>und</strong> Repräsentantenhaus)<br />

angehören. Auch die von ihm berufenen Regierungsmitglieder gehören nicht der Legislative<br />

(dem Parlament) an. Somit ist im präsidentiellen Regierungssystem die klassische<br />

Variante der horizontalen Gewaltenteilung zwischen Legislative (Parlament), Exekutive<br />

(Regierung) <strong>und</strong> Judikative (Rechtssprechung) noch vorhanden, wie sie von Montesquieu<br />

(1689–1775) vorgeschlagen wurde. Im parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands<br />

s<strong>in</strong>d die Funktion des <strong>Staat</strong>soberhauptes (B<strong>und</strong>espräsident) <strong>und</strong> des Regierungschefs (B<strong>und</strong>eskanzler)<br />

getrennt, direkte Legitimation aufgr<strong>und</strong> von Wahlen haben nur die Abgeordneten<br />

<strong>und</strong> damit der B<strong>und</strong>estag. Entscheidend für die Funktionslogik des parlamentarischen<br />

Regierungssystems ist aber die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament: In Deutschland<br />

wählt der B<strong>und</strong>estag den B<strong>und</strong>eskanzler <strong>und</strong> kann ihn auch jederzeit abwählen, genauer<br />

mithilfe e<strong>in</strong>es konstruktiven Misstrauensvotums e<strong>in</strong>es anderen Kanzlers. Der Kanzler <strong>und</strong> die<br />

M<strong>in</strong>ister können selbst Parlamentarier se<strong>in</strong> <strong>und</strong> bleiben, es gibt also ke<strong>in</strong>e Unvere<strong>in</strong>barkeit<br />

(Inkompatibilität) von Regierungsamt <strong>und</strong> Parlamentsmandat. Damit s<strong>in</strong>d Legislative <strong>und</strong><br />

Exekutive mite<strong>in</strong>ander verschränkt. Die tatsächliche Trennl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Deutschland verläuft also<br />

nicht zwischen Parlament <strong>und</strong> Regierung, sondern zwischen parlamentarischer Mehrheit<br />

(also der/den Regierungsfraktionen) plus der B<strong>und</strong>esregierung auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong> der<br />

parlamentarischen Opposition auf der anderen Seite.<br />

2.3 Verfassung, B<strong>und</strong>esverfassungsgericht <strong>und</strong> <strong>Staat</strong>soberhaupt<br />

Die deutsche Verfassung (e<strong>in</strong>gebürgert hat sich die Bezeichnung „Gr<strong>und</strong>gesetz“, die bis zur<br />

deutschen Wiedervere<strong>in</strong>igung 1990 den provisorischen Charakter e<strong>in</strong>es geteilten Landes<br />

ausdrücken sollte, seitdem aber nur noch „aus alter Gewohnheit“ verwendet werden kann)<br />

steht wie alle Verfassungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er spezifischen Verfassungstradition <strong>und</strong> reflektiert damit<br />

geschichtliche Erfahrungen: Angeknüpft wurde im Parlamentarischen Rat, der das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

erarbeitete, an die Erfahrungen aus der (gescheiterten) Weimarer Republik. Der antitotalitäre<br />

Charakter der deutschen Verfassung reflektiert das Trauma der nationalsozialistischen<br />

Diktatur <strong>und</strong> des Zweiten Weltkrieges, während die Besatzungsmächte (im Westen<br />

die USA, Großbritannien <strong>und</strong> Frankreich) e<strong>in</strong>e stabile westliche Demokratie <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>und</strong> spätestens ab 1946 auch e<strong>in</strong> „Bollwerk gegen den Kommunismus“ <strong>in</strong> der Sowjetunion<br />

<strong>und</strong> den <strong>in</strong> deren Machtbereich gefallenen osteuropäischen <strong>Staat</strong>en errichten wollten. Der<br />

staatliche Wiederaufbau erfolgte dabei von unten nach oben, zunächst auf kommunaler<br />

Ebene, dann mit der Errichtung der Länder (die älteste Landesverfassung stammt aus Hessen<br />

<strong>und</strong> wurde am 1. Dezember 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Volksabstimmung verabschiedet) <strong>und</strong> erst 1949<br />

mit der Gründung der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (Rudzio 2019, S 25–45).<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Neben e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Menschenrechtsteil, der an die neuzeitlich-bürgerliche Verfassungstradition<br />

anknüpft, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Art. 20 GG, dem <strong>Staat</strong>sorganisationsartikel, vier wesentliche<br />

Elemente benannt: Demokratie (Volkssouveränität), Sozialstaat, Föderalismus, Rechtsstaat.<br />

Die hervorgehobene Bedeutung dieses Artikels wird durch die Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3)<br />

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Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

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Verfassung, B<strong>und</strong>esverfassungsgericht <strong>und</strong> <strong>Staat</strong>soberhaupt<br />

des Gr<strong>und</strong>gesetzes verstärkt: Alle<strong>in</strong> Art. 1 (Menschenwürde) <strong>und</strong> Art. 20 können im Zuge<br />

von Verfassungsänderungen <strong>in</strong> ihren „Gr<strong>und</strong>sätzen“ nicht verändert werden, alle anderen<br />

Verfassungsbestimmungen weisen pr<strong>in</strong>zipiell Flexibilität auf <strong>und</strong> wurden im Lauf der Jahrzehnte<br />

seit 1949 (teilweise) auch verändert. Bestes Beispiel hierfür ist die Verschärfung des<br />

Asylrechts <strong>in</strong> Art. 16a. Mit dem Begriff freiheitlich-demokratische Gr<strong>und</strong>ordnung werden <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes (1952), die im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em<br />

Parteienverbot erg<strong>in</strong>g, folgende Strukturmerkmale des politischen Systems zusammengefasst:<br />

Menschenrechte (Recht auf Leben <strong>und</strong> freie Entfaltung), Volkssouveränität, Gewaltenteilung,<br />

Regierungsverantwortung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte,<br />

Mehrparteienpr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> das Recht auf Opposition (Schreyer, Schwarzmeier 2005, S. 56f.).<br />

Im Rahmen der horizontalen Gewaltenteilung spielt das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht als<br />

„Hüter der Verfassung“ e<strong>in</strong>e besondere Rolle: Im Gegensatz etwa zum US-amerikanischen<br />

Supreme Court, das als höchstes Gericht alle<strong>in</strong> als letzte Instanz konkrete Fälle (auch auf die<br />

Vere<strong>in</strong>barkeit mit der Verfassung) prüft, ist das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht e<strong>in</strong> Spezialgericht<br />

alle<strong>in</strong> zum Zwecke der Verfassungsgerichtsbarkeit. Als Verfassungsorgan steht es auch über<br />

den anderen obersten Gerichten (z.B. B<strong>und</strong>esgerichtshof oder B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht).<br />

Es steht jedermann für Verfassungsbeschwerden offen, mit deren Hilfe Recht <strong>und</strong> Entscheidungen<br />

der „öffentlichen Gewalt“ auf ihre Vere<strong>in</strong>barkeit mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz überprüft<br />

werden können. Quantitativ ist damit die überwiegende Zahl der Fälle beschrieben, die <strong>in</strong><br />

„Karlsruhe“ (so die Bezeichnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts nach se<strong>in</strong>em Sitz) verhandelt<br />

werden. Politisch bedeutsamer s<strong>in</strong>d aber die abstrakte <strong>und</strong> konkrete Normenkontrolle,<br />

wobei im ersten Fall auf Antrag der B<strong>und</strong>esregierung, von Landesregierungen oder von e<strong>in</strong>em<br />

Drittel des B<strong>und</strong>estages Rechtsnormen auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden<br />

können, ohne dass – wie bei der zweiten Möglichkeit – e<strong>in</strong> förmlicher Rechtsstreit vorliegen<br />

muss. Weitere Kompetenzen hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht bei Verfassungsstreitigkeiten<br />

zwischen Verfassungsorganen oder zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern, bei Gr<strong>und</strong>rechtsverwirkungen<br />

(Art. 93 GG), bei e<strong>in</strong>er Anklage des B<strong>und</strong>espräsidenten (Art. 61) <strong>und</strong> beim<br />

Parteienverbot (Art. 21 Abs. 4). Ergänzt wird die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit durch<br />

Verfassungsgerichte der Länder, z.B. den Hessischen <strong>Staat</strong>sgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof<br />

für das Land Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat <strong>in</strong>sgesamt 16 Richter, die je zur Hälfte die beiden Senate<br />

bilden, wobei sich e<strong>in</strong>e „Aufgabenteilung“ herausgebildet hat: E<strong>in</strong> Senat behandelt primär<br />

Gr<strong>und</strong>rechtsbeschwerden, während der andere sich mit staatsrechtlichen Fragen befasst.<br />

Verfassungsrichter, die mit e<strong>in</strong>er 2/3-Mehrheit je zur Hälfte von e<strong>in</strong>em Wahlausschuss des<br />

B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> vom B<strong>und</strong>esrat gewählt werden, kann werden, wer m<strong>in</strong>destens 40 Jahre<br />

alt <strong>und</strong> Volljurist ist. Dabei müssen m<strong>in</strong>destens jeweils drei Richter e<strong>in</strong>es Senats zuvor an<br />

obersten B<strong>und</strong>esgerichten tätig gewesen se<strong>in</strong>. Die zwölfjährige Amtszeit kann nicht verlängert<br />

werden, was den Verfassungsrichtern e<strong>in</strong>e besondere Unabhängigkeit garantieren<br />

soll. Unter den Bed<strong>in</strong>gungen des b<strong>und</strong>esdeutschen Parteiensystems <strong>und</strong> dem Zwang der<br />

2/3-Mehrheit haben sich Absprachen zwischen den Parteien herausgebildet, wobei die<br />

juristische Kompetenz des Gerichts <strong>in</strong> den meisten Fällen aber nicht bee<strong>in</strong>trächtigt wurde.<br />

Der Vorwurf der „Justizialisierung der Politik“ geht von der Tatsache aus, dass viele politische<br />

Richtungsentscheidungen Deutschlands auch vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht behandelt<br />

<strong>und</strong> letztendlich entschieden wurden (z.B. die Ostverträge <strong>in</strong> den 1970er-Jahren),<br />

während sich das Gericht dagegen wehrt, anstatt politischer Gremien entscheiden zu sollen<br />

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Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

(Ismayr 2009, S. 517). Das Vertrauen <strong>in</strong> die Institution B<strong>und</strong>esverfassungsgericht ist <strong>in</strong> der<br />

Bevölkerung sehr hoch, sodass es bei Umfragen immer an der ersten Stelle rangiert – zumeist<br />

gefolgt von der <strong>Polizei</strong>.<br />

Im parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands kommen dem B<strong>und</strong>espräsidenten<br />

vor allem Repräsentationsaufgaben nach <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> außen (<strong>Staat</strong>sbesuche, Ordensverleihungen)<br />

<strong>und</strong> notarielle Funktionen zu (Unterzeichnung von <strong>in</strong>ternationalen Verträgen;<br />

Ausfertigung, d.h. Unterzeichnung von verabschiedeten Gesetzen), während se<strong>in</strong> politischer<br />

E<strong>in</strong>fluss <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e politische Macht ansonsten stark begrenzt ist. E<strong>in</strong>e gewisse Rolle spielt<br />

der B<strong>und</strong>espräsident bei der Regierungsbildung, bei der der B<strong>und</strong>eskanzler auf Vorschlag<br />

des B<strong>und</strong>espräsidenten gewählt wird, <strong>und</strong> bei e<strong>in</strong>er vorgezogenen Parlamentsauflösung,<br />

da sich der B<strong>und</strong>estag, im Gegensatz zu den meisten Landtagen, nicht selbst auflösen kann.<br />

Das deutsche <strong>Staat</strong>soberhaupt verfügt (im Gegensatz etwa zum österreichischen B<strong>und</strong>espräsidenten)<br />

über ke<strong>in</strong>e direkte politische Legitimation <strong>und</strong> wird nicht vom Volk gewählt,<br />

sondern von der B<strong>und</strong>esversammlung, e<strong>in</strong>em Organ, das alle<strong>in</strong> zur Präsidentenwahl zusammentritt.<br />

Die B<strong>und</strong>esversammlung setzt sich aus allen Mitgliedern des B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er gleichen Anzahl von Mitgliedern der Landesparlamente zusammen, die ihre Vertreter<br />

proportional (also im Verhältnis) zu den Mandatsverteilungen im jeweiligen Landesparlament<br />

entsenden. Im Vorfeld r<strong>in</strong>gen die Parteien um Kandidaten <strong>und</strong> Koalitionen, um die <strong>in</strong><br />

den ersten beiden Wahlgängen notwendige absolute Mehrheit der Mitglieder der B<strong>und</strong>esversammlung<br />

auf ihren Kandidaten zu vere<strong>in</strong>en.<br />

Die Amtszeit des B<strong>und</strong>espräsidenten beträgt fünf Jahre, wobei e<strong>in</strong>e (e<strong>in</strong>malige) Wiederwahl<br />

zulässig ist. Weiterh<strong>in</strong> muss der Bewerber m<strong>in</strong>destens 40 Jahre alt se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Altersbestimmung,<br />

die es ansonsten nur noch bei den Richtern des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gibt. Sonstige öffentliche<br />

Ämter <strong>in</strong> Deutschland können mit Erreichen der Volljährigkeit übernommen werden. Ausdruck<br />

der Überparteilichkeit ist das „Ruhen“ der Parteimitgliedschaft während der Amtszeit. 1<br />

2.4 Parlament: B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat<br />

In der repräsentativen Demokratie Deutschlands stehen unter e<strong>in</strong>er legitimatorischen Perspektive<br />

Parlamente (Deutscher B<strong>und</strong>estag, Landesparlamente, kommunale Vertretungskörperschaften<br />

wie e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>derat oder e<strong>in</strong>e Stadtverordnetenversammlung) im Mittelpunkt<br />

des politischen Systems. Alle<strong>in</strong> Abgeordnete haben über Wahlen e<strong>in</strong>e direkte Bestätigung<br />

durch den Souverän (das Volk) erfahren. Auch wenn Exekutivpolitiker wie der B<strong>und</strong>eskanzler,<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten oder andere Regierungsmitglieder aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er personalisierten<br />

Berichterstattung <strong>in</strong> den Medien besonders häufig auftauchen, s<strong>in</strong>d doch Parlamente auch<br />

unter historischer Perspektive der Kern von Demokratien.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Mit 598 Abgeordneten (2015: aufgr<strong>und</strong> von Überhang- <strong>und</strong> Ausgleichsmandaten 631; 2019<br />

sogar 709) ist der Deutsche B<strong>und</strong>estag e<strong>in</strong> relativ großes Parlament. In der Parlamentarismusforschung<br />

wird zwischen dem Typus e<strong>in</strong>es Arbeitsparlaments (z.B. der amerikanische<br />

Kongress) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Redeparlaments (z.B. das englische Unterhaus) unterschieden, wobei<br />

der B<strong>und</strong>estag <strong>in</strong> Richtung Arbeitsparlament tendiert. Um die politische Arbeit im B<strong>und</strong>estag<br />

verstehen zu können, müssen folgende Strukturmerkmale bedacht werden: Es handelt sich<br />

um e<strong>in</strong>e professionelle, trotz aller Diskussionen um Nebentätigkeiten von Abgeordneten,<br />

1 E<strong>in</strong>en Überblick über die Namen <strong>und</strong> Amtszeiten der B<strong>und</strong>espräsidenten gibt u.a. der Internetauftritt des B<strong>und</strong>espräsidenten<br />

unter http://www.b<strong>und</strong>espraesident.de/DE/Die-B<strong>und</strong>espraesidenten/Die-B<strong>und</strong>espraesidenten-node.html.<br />

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Parlament: B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat<br />

hauptberufliche <strong>und</strong> strikt arbeitsteilige Politikbearbeitung. Neben dem e<strong>in</strong>zelnen Abgeordneten,<br />

der sich z.B. auf den Politikbereich Innenpolitik spezialisiert hat, bilden Organe des<br />

B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>estagsfraktionen den Rahmen der Arbeit (Ismayr 2012).<br />

Die Spitze des B<strong>und</strong>estages bildet der B<strong>und</strong>estagspräsident. Re<strong>in</strong> protokollarisch ist er nach<br />

dem B<strong>und</strong>espräsidenten <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong>esratspräsidenten noch vor dem B<strong>und</strong>eskanzler der<br />

„dritte Mann“ im <strong>Staat</strong>e. Er ist Vorgesetzter der gesamten B<strong>und</strong>estagsverwaltung, die sich<br />

um die Organisation der Parlamentsarbeit (z.B. Saaldiener, Stenografen oder Sekretariate<br />

von Ausschüssen) kümmert <strong>und</strong> Assistenzleistungen für Abgeordnete vorhält (z.B. Parlamentsbibliothek,<br />

wissenschaftlicher Dienst, Fahrdienst). Der B<strong>und</strong>estagspräsident wird vom<br />

B<strong>und</strong>estag gewählt, gehört entsprechend e<strong>in</strong>er (ungeschriebenen) Parlamentstradition der<br />

größten Fraktion an <strong>und</strong> bildet zusammen mit se<strong>in</strong>en Stellvertretern das B<strong>und</strong>estagspräsidium.<br />

Er (oder die Stellvertreter) leiten die Plenarsitzungen <strong>und</strong> sitzen dabei erhöht h<strong>in</strong>ter<br />

dem Rednerpult; sie sorgen für e<strong>in</strong>en geordneten Ablauf <strong>und</strong> können für dem Parlament<br />

nicht angemessenes Verhalten Ordnungsrufe erteilen oder Abgeordnete ausschließen. Im<br />

Ältestenrat, e<strong>in</strong>er Art Organisationsausschuss des B<strong>und</strong>estages, werden von Vertretern<br />

der Fraktionen (<strong>in</strong>sbesondere den parlamentarischen Geschäftsführern) im Zusammenspiel<br />

mit dem B<strong>und</strong>estagspräsidium dabei Tagesordnungen von Debatten festgelegt, Redezeiten<br />

verteilt oder über Mittel, Räume <strong>und</strong> Reisemöglichkeiten entschieden. Dem Ältestenrat<br />

müssen nicht, wie die Bezeichnung vielleicht suggerieren könnte, die ältesten Mitglieder<br />

des B<strong>und</strong>estages angehören. Es handelt sich um Fraktionsmanager, die zusammen mit dem<br />

Präsidium auch Streitfragen klären sollen. Das Alter e<strong>in</strong>es Abgeordneten spielt nur bei der<br />

ersten Parlamentssitzung zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Legislaturperiode (Wahlperiode) e<strong>in</strong>e Rolle. Hier<br />

leitet der Alterspräsident (der dienstälteste Abgeordnete des B<strong>und</strong>estages) solange die Sitzung,<br />

bis der B<strong>und</strong>estagspräsident gewählt ist.<br />

Im Arbeitsparlament s<strong>in</strong>d Fachausschüsse, die spiegelbildlich zu den B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterien<br />

gebildet werden (also z.B. Innenausschuss, Verteidigungsausschuss), das Rückgrat der Parlamentsarbeit.<br />

Verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist die Bildung von vier Ausschüssen:<br />

Damit müssen der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, e<strong>in</strong> EU-Ausschuss, der Verteidigungsausschuss<br />

<strong>und</strong> der Petitionsausschuss e<strong>in</strong>gerichtet werden. Die Bildung der anderen<br />

Fachausschüsse orientiert sich dabei an der Strukturierung, die über B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterien<br />

existiert. Zwischen 17 <strong>und</strong> 49 Parlamentarier bearbeiten dabei (<strong>in</strong> nicht-öffentlicher) Sitzung<br />

Parlamentsvorlagen (<strong>in</strong>sbesondere Gesetzentwürfe) im Detail <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d dabei im Gegensatz<br />

zum Plenum auch noch arbeitsfähig. Besondere Bedeutung kommt dem Haushaltsausschuss<br />

zu, der das traditionelle Parlamentsrecht der Entscheidung über die <strong>Staat</strong>sausgaben<br />

(den Haushaltsplan) im Parlamentsalltag ausübt. Formal entscheidet über den Haushalt<br />

natürlich das Plenum; Ausschüsse geben immer nur Empfehlungen ab. Im Gegensatz zur<br />

politischen Ause<strong>in</strong>andersetzung im Plenum ist die Ausschussarbeit, bei der auch M<strong>in</strong>isterialbeamte<br />

im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> mitwirken, von e<strong>in</strong>er sachbetonten Arbeitsatmosphäre geprägt.<br />

Ausschüsse haben e<strong>in</strong>en Vorsitzenden (beim Haushaltsausschuss kommt der Vorsitzende<br />

traditionell von der Opposition) <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Sekretariat <strong>und</strong> können für ihre Arbeit z.B. (öffentliche)<br />

Anhörungen veranstalten, bei denen von Gesetzesvorhaben betroffene Verbände<br />

oder Wissenschaftler ihren Sachverstand e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können. Die Ausschüsse werden gemäß<br />

der Sitzverteilung im Gesamtparlament verteilt, sodass die Regierungsfraktionen auch dort<br />

e<strong>in</strong>e Mehrheit haben, womit die Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems,<br />

nach der die Regierungsfraktionen e<strong>in</strong>e Mehrheit haben, e<strong>in</strong>gehalten wird.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

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Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

Neben den ständigen Fachausschüssen gibt es Untersuchungsausschüsse, <strong>in</strong> denen öffentlich<br />

politisches Fehlverhalten oder Skandale aufgeklärt werden. Sie können auf Antrag e<strong>in</strong>es<br />

Viertels des B<strong>und</strong>estages e<strong>in</strong>gerichtet werden <strong>und</strong> bilden damit primär e<strong>in</strong> Oppositions<strong>in</strong>strument<br />

zur Kontrolle der Regierung: Er<strong>in</strong>nert sei <strong>in</strong> diesem Zusammenhang an Parteispenden-Untersuchungsausschüsse<br />

wie den um Spendenzahlungen an die CDU <strong>und</strong> den früheren<br />

B<strong>und</strong>eskanzler Helmut Kohl oder die verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüsse<br />

des B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> mehrerer Landtage, die sich mit der Rolle der Sicherheitsbehörden im<br />

Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er rechtsextremistischen Mordserie befassen. Enquete-Kommissionen<br />

(wörtlich bedeutet „enquete“ Untersuchung) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e weitere Form von speziellen<br />

Ausschüssen: Bei ihnen geht es aber nicht um die Aufarbeitung von Skandalen, sondern um<br />

die Bearbeitung großer <strong>und</strong> komplexer Politikfelder über die Alltagspolitik h<strong>in</strong>aus (z.B. Enquete-Kommission<br />

„Demographischer Wandel“, die sich mit den politisch-gesellschaftlichen<br />

Folgen der Überalterung Deutschlands befasst hat). Interessant hierbei ist, dass neben Parlamentariern<br />

e<strong>in</strong>e gleiche Anzahl von Wissenschaftlern, die von den Fraktionen berufen werden,<br />

stimmberechtigt an der Arbeit teilnimmt. Der Petitionsausschuss ist e<strong>in</strong>e Anlaufstelle<br />

für alle Bürger, die sich nicht-förmlich an das Parlament wenden <strong>und</strong> Bitten, Vorschläge oder<br />

Probleme im Umgang mit Behörden vorbr<strong>in</strong>gen können. Er wirkt damit als „Kummerkasten<br />

der Nation“, hat selbst ke<strong>in</strong>e exekutiven Befugnisse, kann aber Empfehlungen <strong>und</strong> H<strong>in</strong>weise<br />

an politische Gremien abgeben <strong>und</strong> damit Entscheidungen bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Die B<strong>in</strong>nenstrukturierung des Parlaments f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den Parlamentsfraktionen (also den Parteien<br />

im Parlament) e<strong>in</strong>en parallelen Aufbau. Fraktionen s<strong>in</strong>d dabei Zusammenschlüsse von<br />

Mitgliedern derselben Partei, die m<strong>in</strong>destens 5 % aller Abgeordneten (aktuell 36) umfassen<br />

müssen. E<strong>in</strong>en Sonderfall bildet die CDU/CSU-Fraktion, die formal aus zwei Parteien besteht,<br />

die aber „<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em B<strong>und</strong>esland <strong>in</strong> Konkurrenz zue<strong>in</strong>ander“ kandidieren <strong>und</strong> sich zu e<strong>in</strong>er<br />

Fraktionsgeme<strong>in</strong>schaft zusammengeschlossen haben. Wird diese Grenze nicht erreicht,<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong>e parlamentarische Gruppe, die aber im Vergleich zu den weitreichenden<br />

Rechten von Fraktionen weniger Möglichkeiten besitzt <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziell-organisatorisch<br />

schlechter ausgestattet ist.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

An der Spitze e<strong>in</strong>er Fraktion steht der Fraktionsvorsitzende, der zusammen mit Stellvertretern<br />

<strong>und</strong> weiteren Mitgliedern den Fraktionsvorstand bildet. Fraktionsvorsitzende der<br />

Regierungskoalition(en) s<strong>in</strong>d unter dem Gesichtspunkt politischer Macht äußerst e<strong>in</strong>flussreich<br />

<strong>und</strong> damit Schlüsselfiguren nicht nur im parlamentarischen Betrieb, sondern auch<br />

im Regierungshandeln. Sie übertreffen <strong>in</strong> ihrer Position jeden „normalen“ M<strong>in</strong>ister, da sie<br />

an formellen (z.B. Kab<strong>in</strong>ett) <strong>und</strong> <strong>in</strong>formellen Regierungsprozessen (z.B. Koalitionsr<strong>und</strong>en)<br />

teilnehmen <strong>und</strong> der Regierung Mehrheiten im Parlament organisieren. Vergleichbar dem<br />

Plenum bildet die Fraktionsversammlung (bei großen B<strong>und</strong>estagsfraktionen können das<br />

über 300 Abgeordnete se<strong>in</strong>) das formelle Beschlussorgan der Fraktion <strong>und</strong> wählt den Vorsitzenden<br />

<strong>und</strong> Vorstandsmitglieder, entscheidet darüber, wer aus ihrer Mitte parlamentarische<br />

Führungspositionen übernimmt, hat bei der Regierungsbildung e<strong>in</strong> gewichtiges Wort mitzureden<br />

<strong>und</strong> beschließt über politische Themensetzungen. Auch <strong>in</strong> den Fraktionen hat sich<br />

e<strong>in</strong>e funktionale Arbeitsteilung herausgebildet, sodass sich Arbeitsgruppen <strong>und</strong> Arbeitskreise<br />

der Fraktionen e<strong>in</strong>zelnen Politikfeldern widmen oder bestimmte Gruppen repräsentieren<br />

(z.B. Arbeitskreis Mittelstand <strong>in</strong> der CDU/CSU-Fraktion). Ihre Mitglieder f<strong>in</strong>den sich dann <strong>in</strong><br />

den entsprechenden Parlamentsausschüssen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige vertreten als „Obleute“ ihrer Fraktion<br />

die Position der Gesamtfraktion im Ausschuss <strong>und</strong> oft auch im Plenum.<br />

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Parlament: B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat<br />

Die wichtigsten Kontroll<strong>in</strong>strumente des Parlaments gegenüber der Regierung s<strong>in</strong>d neben<br />

der E<strong>in</strong>setzung von Untersuchungsausschüssen die verschiedenen Möglichkeiten, der Regierung<br />

Informationen „abzufordern“. Neben der Großen Anfrage (etwa 50–150 pro Legislaturperiode),<br />

<strong>in</strong> der größere Themenfelder mit umfangreichen Fragekatalogen abgehandelt werden,<br />

spielen Kle<strong>in</strong>e Anfragen (etwa 400–1.400 pro Legislaturperiode) zu speziellen Themen<br />

e<strong>in</strong>e große Rolle im Parlamentsalltag. Beide Anfragen können nur von Fraktionen bzw. e<strong>in</strong>er<br />

M<strong>in</strong>destzahl von Abgeordneten, die e<strong>in</strong>er Fraktion entsprechen würden, gestellt werden.<br />

Interfraktionelle Initiativen mehrerer Fraktionen s<strong>in</strong>d aber relativ selten <strong>und</strong> zwischen Regierungs-<br />

<strong>und</strong> Oppositionsfraktionen kaum anzutreffen. An die Beantwortung <strong>in</strong>sbesondere der<br />

Großen Anfragen schließen sich fast immer Parlamentsdebatten an, bei denen (möglicherweise)<br />

im Zusammenhang mit Gesetzes<strong>in</strong>itiativen von den Fraktionen auch noch Anträge<br />

gestellt werden können, <strong>in</strong> denen die Regierung zu bestimmten Handlungen aufgefordert<br />

wird. Außerdem besteht die Möglichkeit, von der Regierung e<strong>in</strong>malige oder periodische<br />

Berichte anzufordern (z.B. Rentenbericht, Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsbericht), <strong>in</strong> denen detailliert<br />

Bestandsaufnahmen <strong>und</strong> Entwicklungen nachgezeichnet werden. Aktuelle St<strong>und</strong>en,<br />

die tatsächlich auch nur e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e dauern sollen <strong>und</strong> <strong>in</strong> denen sehr schnell auf politische<br />

Entwicklungen reagiert werden kann, s<strong>in</strong>d neben Fragest<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Regierungsbefragungen<br />

e<strong>in</strong> weiteres Instrument, das von der Opposition fast <strong>in</strong> jeder Sitzungswoche e<strong>in</strong>gesetzt wird,<br />

um öffentlichkeitswirksam auf politische Problemlagen e<strong>in</strong>gehen zu können. Angestrebt<br />

wird e<strong>in</strong> lebendiger Schlagabtausch zwischen Regierungs- <strong>und</strong> Oppositionsabgeordneten<br />

(Ismayr 2012, S. 289–438).<br />

Nach Art. 38 Gr<strong>und</strong>gesetz s<strong>in</strong>d Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge <strong>und</strong><br />

Weisungen nicht geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nur ihrem Gewissen unterworfen“. Sie haben damit e<strong>in</strong> freies<br />

Mandat, das im Gegensatz zum imperativen Mandat ke<strong>in</strong>e Festlegungen von anderer Seite<br />

(z.B. Wählern oder Interessengruppen) trifft. Da ohne parlamentarische Mehrheiten aber<br />

nicht regiert werden kann, ist die Fraktionsdiszipl<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Stimmabgabe im<br />

Regelfall notwendig. Die Negativformulierung „Fraktionszwang“ umschreibt dabei, dass Abgeordnete<br />

gegen ihren Willen <strong>und</strong> ihre Überzeugung auf Fraktionsl<strong>in</strong>ie gebracht werden. Ob<br />

e<strong>in</strong> Abgeordneter, der häufig konträr zu se<strong>in</strong>er Fraktion <strong>und</strong> Partei liegt, sich nicht die Frage<br />

stellen muss, ob er mit der Gr<strong>und</strong>l<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong>er Partei noch übere<strong>in</strong>stimmt, bildet dabei den<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>. Bei bestimmten Fragen werden Abstimmungen „freigegeben“, wenn es sich<br />

z.B. um moralisch-ethische Gr<strong>und</strong>fragen handelt, wie die Regelung von Abtreibungen oder<br />

Organtransplantationen. Dies gilt auch für Entscheidungen, bei denen Faktoren e<strong>in</strong>e Rolle<br />

spielen, die über Fraktionen nicht abgebildet werden können, wie es bei der Entscheidung<br />

für Berl<strong>in</strong> als Hauptstadt der Fall war. Hier entschieden die B<strong>und</strong>estagsabgeordneten nach<br />

ihrer regionalen Herkunft.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Zwei traditionelle Rechte schützen Abgeordnete: Zum e<strong>in</strong>en garantiert das Immunitätsrecht<br />

e<strong>in</strong>e Freiheit vor Strafverfolgung, außer sie werden bei der Begehung von Straftaten festgenommen.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass Abgeordnete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em rechtsfreien Raum leben.<br />

Ihre Immunität muss nur vom Parlament aufgehoben werden, bevor die Strafverfolgung<br />

e<strong>in</strong>tritt, was auch regelmäßig geschieht, wenn gegenüber Abgeordneten begründete Vorwürfe<br />

erhoben werden. Die Mehrzahl der Fälle betrifft dabei Verkehrsstraftaten, während<br />

die Aufhebung der Immunität im Zusammenhang mit illegalen Parteispenden die spektakuläre<br />

Ausnahme bildet. Die Immunität schützte <strong>und</strong> schützt Abgeordnete vor unberechtigter<br />

Strafverfolgung der Exekutive alle<strong>in</strong> um „missliebige“ Abgeordnete auszuschalten. Das<br />

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Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

Indemnitätsrecht garantiert Abgeordneten die freie Me<strong>in</strong>ungsäußerung im Parlament. Sie<br />

können nicht für Aussagen belangt werden, die dort gemacht wurden, außer es handelt sich<br />

um „Ehrverletzungen“.<br />

Der deutsche B<strong>und</strong>esrat bildet e<strong>in</strong>e im Verfassungsleben parlamentarischer Demokratien<br />

eigenartige <strong>und</strong> s<strong>in</strong>guläre Form e<strong>in</strong>er zweiten Kammer. Da er e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im Gesetzgebungsprozess<br />

spielt, kann er als Teil der Legislative gesehen werden. Schon e<strong>in</strong> Blick auf<br />

die Mitglieder zeigt aber, dass er auch als exekutives Organ der Länder auf B<strong>und</strong>esebene<br />

charakterisiert werden könnte: Denn die Länder (<strong>und</strong> damit der B<strong>und</strong>esrat) sowie die Kommunen<br />

spielen die Hauptrolle beim Verwaltungsvollzug auch von B<strong>und</strong>esgesetzen oder Bestimmungen<br />

der EU. Der B<strong>und</strong> hat nur <strong>in</strong> wenigen Bereichen eigenes Personal, das bis auf die<br />

eigentliche Arbeitsebene reicht (Ausnahmen s<strong>in</strong>d die B<strong>und</strong>eswehr, <strong>Polizei</strong>en des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

die Wasserwirtschaftsverwaltung), ansonsten ist er auf Personal der Länder <strong>und</strong> Kommunen<br />

angewiesen (z.B. Steuerverwaltung).<br />

Dem B<strong>und</strong>esrat gehören ke<strong>in</strong>e frei gewählten Abgeordneten an, sondern Mitglieder von<br />

Landesregierungen: Die Regierungschefs (M<strong>in</strong>isterpräsidenten, Bürgermeister der Stadtstaaten)<br />

<strong>und</strong> M<strong>in</strong>ister (Senatoren bei den Stadtstaaten), die nur über e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte Legitimation<br />

verfügen (Wahl durch Landesparlamente) oder gar nur von ihren Regierungschefs ohne<br />

Bestätigung durch das Landesparlament berufen wurden, bilden e<strong>in</strong>e exekutiv dom<strong>in</strong>ierte<br />

„Parlamentskammer“ auf B<strong>und</strong>esebene. E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> andere föderalistische <strong>Staat</strong>en macht<br />

dies deutlich: In den USA s<strong>in</strong>d beide Parlamentskammern des Kongresses mit direkt gewählten<br />

Abgeordneten besetzt <strong>und</strong> der Senat repräsentiert mit jeweils zwei Abgeordneten pro<br />

B<strong>und</strong>esstaat das Gleichheitspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong>nerhalb der Föderation.<br />

Bei der Verteilung der Sitze, die jedem B<strong>und</strong>esland im B<strong>und</strong>esrat zustehen, wurde e<strong>in</strong>e Kompromisslösung<br />

zwischen e<strong>in</strong>er Gleichgewichtung aller Gliedstaaten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er vollständigen<br />

Orientierung an den E<strong>in</strong>wohnerzahlen gewählt. In e<strong>in</strong>er Gr<strong>und</strong>mandatsklausel hat jedes<br />

B<strong>und</strong>esland m<strong>in</strong>destens drei Mitglieder, dann wird nach E<strong>in</strong>wohnerzahl gestaffelt (ab 2 Mio.<br />

E<strong>in</strong>wohnern vier B<strong>und</strong>esratsmandate, ab 6 Mio. E<strong>in</strong>wohnern fünf <strong>und</strong> über 7 Mio. E<strong>in</strong>wohner<br />

sechs Mandate) (Art. 51 Abs. 2). Damit s<strong>in</strong>d die Stadtstaaten (Berl<strong>in</strong>; Bremen; Hamburg)<br />

<strong>und</strong> kle<strong>in</strong>en Flächenländer (Saarland) im Vergleich zu den e<strong>in</strong>wohnerstarken großen B<strong>und</strong>esländern<br />

(Bayern, Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen) überrepräsentiert. Wie das Beispiel von Hessen<br />

zeigt, kann sich die Mitgliederzahl bei e<strong>in</strong>er veränderten E<strong>in</strong>wohnerzahl erhöhen (oder<br />

verr<strong>in</strong>gern). Ende der 1990er-Jahre stieg Hessens E<strong>in</strong>wohnerzahl über 6 Millionen <strong>und</strong> seit<br />

diesem Zeitpunkt kommen anstatt 4 Vertretern 5 Mitglieder des B<strong>und</strong>esrates aus Hessen.<br />

Insgesamt hat der B<strong>und</strong>esrat zurzeit 69 Mitglieder. Als „ewiges Organ“ kennt der B<strong>und</strong>esrat<br />

ke<strong>in</strong>e Legislaturperioden: Die Zusammensetzung ändert sich, wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land Wahlen<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e neue Regierung an die Macht gekommen ist.<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Der B<strong>und</strong>esratspräsident ist protokollarisch der zweite Mann im <strong>Staat</strong>e <strong>und</strong> vertritt den<br />

B<strong>und</strong>espräsidenten. Die Präsidentschaft wechselt dabei jährlich, wobei die Reihenfolge<br />

nach dem Königste<strong>in</strong>er Abkommen (1950) beg<strong>in</strong>nend mit dem e<strong>in</strong>wohnerstärksten Land<br />

bestimmt wird. B<strong>und</strong>esratspräsidenten, die unter anderem die etwa e<strong>in</strong>mal pro Monat<br />

freitags stattf<strong>in</strong>denden B<strong>und</strong>esratssitzungen leiten, s<strong>in</strong>d die jeweiligen Regierungschefs der<br />

Länder. Während der Sitzungen wird über e<strong>in</strong>e Vielzahl von Tagesordnungspunkten <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>sbeson dere Gesetze abgestimmt, wobei e<strong>in</strong> „Stimmführer“ e<strong>in</strong>es Landes alle Stimmen<br />

komplett (per Handzeichen) abgibt. In den Ländern s<strong>in</strong>d zumeist Koalitionsregierungen<br />

tätig (Mitte 2019 <strong>in</strong> allen B<strong>und</strong>esländern), die sich im Vorfeld auf ihre Position im B<strong>und</strong>esrat<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Regierung <strong>und</strong> M<strong>in</strong>isterialverwaltung<br />

verständigen müssen. Die Entscheidungen f<strong>in</strong>den damit <strong>in</strong> den Ländern statt <strong>und</strong> werden<br />

<strong>in</strong> Koalitionsgremien oder Kab<strong>in</strong>ettssitzungen getroffen. Im B<strong>und</strong>esrat selbst wird damit e<strong>in</strong><br />

quasi-imperatives Mandat ausgeübt. Können sich Koalitionspartner auf ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />

Haltung e<strong>in</strong>igen, wird zumeist Stimmenthaltung geübt, wie <strong>in</strong> Koalitionsvere<strong>in</strong>barungen<br />

zuvor festgelegt. E<strong>in</strong>e Enthaltung wirkt dabei wie e<strong>in</strong>e Ne<strong>in</strong>-Stimme. Zur Annahme von Gesetzen<br />

wird im Regelfall e<strong>in</strong>e absolute Mehrheit der Stimmen (aktuell also 35 Stimmen) benötigt.<br />

Ausnahmen s<strong>in</strong>d parallel zum Verfahren im Deutschen B<strong>und</strong>estag Verfassungsänderungen<br />

oder die Wahl von Verfassungsrichtern, bei denen e<strong>in</strong>e 2/3-Mehrheit erforderlich ist.<br />

Die Arbeitsweise des B<strong>und</strong>esrates, der sich zur Vorbereitung von Entscheidungen wie der<br />

B<strong>und</strong>estag e<strong>in</strong>es Systems von ständigen Ausschüssen bedient, ist exekutiv-adm<strong>in</strong>istrativ<br />

ausgerichtet <strong>und</strong> wird von M<strong>in</strong>isterialbeamten der Länder, also nicht von den politischen<br />

Akteuren, geprägt. B<strong>und</strong>esratssitzungen, an denen Mitglieder der B<strong>und</strong>esregierung teilnehmen<br />

können, laufen im Vergleich zu Plenardebatten im B<strong>und</strong>estag relativ ruhig ab. Zwischenrufe<br />

oder politische „Flammenreden“ s<strong>in</strong>d weitgehend unbekannt.<br />

Entgegen den Intentionen der „Väter des Gr<strong>und</strong>gesetzes“, die mit dem B<strong>und</strong>esrat im S<strong>in</strong>ne<br />

der Gewaltenteilung e<strong>in</strong> <strong>in</strong>haltlich-sachorientiertes Gegenstück zum B<strong>und</strong>estag etablierten,<br />

hat sich der B<strong>und</strong>esrat aufgr<strong>und</strong> der Vielzahl an zustimmungspflichtigen Gesetzen,<br />

die ohne e<strong>in</strong>e Mehrheit im B<strong>und</strong>esrat nicht <strong>in</strong> Kraft treten können, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Zeiten<br />

unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheiten, <strong>in</strong> B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat zu e<strong>in</strong>em „politisierten“<br />

Organ entwickelt. Verfügt die (B<strong>und</strong>estags-)Opposition im B<strong>und</strong>esrat über e<strong>in</strong>e<br />

Mehrheit, kann sie dort versuchen, die Regierungsarbeit zu beh<strong>in</strong>dern oder weitgehende<br />

Zugeständnisse zu erzw<strong>in</strong>gen. Dieser Fall des „divided government“ spielt vor allem <strong>in</strong> Wahlkampfzeiten<br />

dann e<strong>in</strong>e große Rolle, wenn der Vermittlungsausschuss, der sich aus e<strong>in</strong>er<br />

gleichen Anzahl von Mitgliedern des B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esrates zusammensetzt, <strong>und</strong><br />

im Konfliktfall angerufen werden kann, auch zum medial <strong>in</strong>szenierten faktischen Entscheidungsorgan<br />

entwickelt, das über der Regierung <strong>und</strong> den Parlamentskammern „schwebt“<br />

(Rudzio 2019; Ismayr 2009, S. 526f.). 2<br />

2.5 Regierung <strong>und</strong> M<strong>in</strong>isterialverwaltung<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

Im Gegensatz zu Parteien, Parlamenten, Interessengruppen <strong>und</strong> Wahlen ist die Exekutive<br />

Deutschlands weniger gut erforscht. Hält man sich aber die Schlüsselstellung der Regierung<br />

<strong>und</strong> der M<strong>in</strong>isterialverwaltung im politischen Prozess vor Augen, verw<strong>und</strong>ert diese Zurückhaltung.<br />

Zwischen Regierungshandeln auf der B<strong>und</strong>esebene <strong>und</strong> der Länderebene gibt es<br />

ke<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipiellen Unterschiede. Im Rahmen der föderalistischen Arbeitsteilung kompliziert<br />

aber e<strong>in</strong>e vertikale Politikverflechtung, die mit Kooperationszwängen verb<strong>und</strong>en ist, den<br />

Politikprozess. Je nach Politikfeld <strong>und</strong> Kompetenzverteilung zwischen B<strong>und</strong>, Ländern <strong>und</strong><br />

Kommunen ergeben sich dabei Unterschiede (Bogumil, Jann 2009; Hildebrandt, Wolf 2016).<br />

Im parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands wird der B<strong>und</strong>eskanzler vom B<strong>und</strong>estag<br />

gewählt <strong>und</strong> kann vom Parlament jederzeit mithilfe e<strong>in</strong>es konstruktiven Misstrauensvotums<br />

(vor Ablauf der Legislaturperiode mit darauffolgenden B<strong>und</strong>estagswahlen) abgewählt<br />

werden. Zur Wahl ist e<strong>in</strong>e absolute Mehrheit der B<strong>und</strong>estagsmitglieder (<strong>in</strong> den<br />

ersten beiden Wahlgängen) notwendig, wobei der publizistische Begriff Kanzlermehrheit<br />

2 E<strong>in</strong>e ausgezeichnete Quelle mit detaillierten Informationen zur Parlaments- <strong>und</strong> Regierungsarbeit ist das Datenhandbuch<br />

zur Geschichte des Deutschen B<strong>und</strong>estages (https://www.b<strong>und</strong>estag.de/datenhandbuch).<br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9


Das Politische System der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

nichts anderes bedeutet. Erst im dritten Wahlgang genügt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Mehrheit, wobei<br />

der B<strong>und</strong>espräsident dann den Kandidaten akzeptieren oder aber den B<strong>und</strong>estag auflösen<br />

kann. Da es sich um e<strong>in</strong>e geheime Wahl handelt, besteht die Gefahr, dass bei knappen Mehrheiten<br />

Abgeordnete die Chance nutzen als „Heckenschützen“ gegen ihre eigene Fraktion zu<br />

stimmen, ohne befürchten zu müssen, dass sie entdeckt werden. Die M<strong>in</strong>ister werden vom<br />

Parlament nicht e<strong>in</strong>zeln gewählt (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen B<strong>und</strong>esländern ist dies aber der Fall), sondern<br />

auf Vorschlag des Kanzlers vom B<strong>und</strong>espräsidenten ernannt. Beim komplexen Prozess der<br />

Regierungsbildung muss der Kanzler Ansprüche aus se<strong>in</strong>er Partei <strong>und</strong> Fraktion sowie deren<br />

Flügeln austarieren. Im Fall von Koalitionsregierungen f<strong>in</strong>den vor der formellen Wahl des Regierungschefs<br />

Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern statt, <strong>in</strong> denen neben e<strong>in</strong>em<br />

<strong>in</strong>haltlichen Programm auch die Ressortverteilung festgelegt wird. Diese Koalitionsvere<strong>in</strong>barung<br />

(Koalitionsvertrag) ist zwar staatsrechtlich unverb<strong>in</strong>dlich, soll aber die Richtschnur<br />

für das Regierungshandeln bieten.<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>e Inkompatibilität zwischen Parlamentsmandat <strong>und</strong> Regierungsamt. Tatsächlich<br />

verfügen die meisten Kanzler, M<strong>in</strong>isterpräsidenten, M<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> Senatoren auch über e<strong>in</strong><br />

Parlamentsmandat mit allen Rechten <strong>und</strong> Pflichten. Als Parlamentarier s<strong>in</strong>d sie demnach<br />

wahlberechtigt <strong>und</strong> entscheiden als Kanzlerkandidat über sich selbst <strong>und</strong> später über alle<br />

Regierungs<strong>in</strong>itiativen. Deutsche Regierungsmitglieder müssen also ihr Mandat nicht wie <strong>in</strong><br />

anderen parlamentarischen Demokratien aufgeben oder ruhen lassen, es ist aber auch ke<strong>in</strong>e<br />

zw<strong>in</strong>gende Vorbed<strong>in</strong>gung wie <strong>in</strong> Großbritannien.<br />

Wesentliche formale Regierungspr<strong>in</strong>zipien legt Art. 65 GG fest, <strong>in</strong> dem die Richtl<strong>in</strong>ienkompetenz<br />

des B<strong>und</strong>eskanzlers, das Ressortpr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> das (kollegiale) Kab<strong>in</strong>ettspr<strong>in</strong>zip formuliert<br />

s<strong>in</strong>d. Insbesondere die Richtl<strong>in</strong>ienkompetenz darf dabei nicht überschätzt werden, da<br />

die Macht <strong>und</strong> Autorität des B<strong>und</strong>eskanzlers mit ihr nicht erzwungen werden kann <strong>und</strong><br />

eher e<strong>in</strong> Indiz für schw<strong>in</strong>dende Macht <strong>und</strong> Erosionsprozesse der Regierung markiert, wenn<br />

sie denn e<strong>in</strong>gesetzt wird. Die Macht des Kanzlers hängt stärker von den (partei-)politischen<br />

Konstellationen, dem Zusammenhalt <strong>in</strong> der Koalition, dem Ansehen <strong>in</strong> der Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />

nicht zuletzt von der Persönlichkeit des Kanzlers ab. Mit dem Ressortpr<strong>in</strong>zip ist die eigenverantwortliche<br />

Leitung e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isteriums verknüpft, die am Amt <strong>und</strong> der Person des M<strong>in</strong>isters<br />

festgemacht wird. So ist zu begründen, dass e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ister zurücktritt, wenn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Hause schwerwiegendes Fehlverhalten festgestellt wird, selbst wenn er persönlich nichts<br />

davon gewusst hat. Er trägt die „politische Verantwortung“. Das Kab<strong>in</strong>ettspr<strong>in</strong>zip betont<br />

die Verantwortung der gesamten Regierung, die Entscheidungen auch geme<strong>in</strong>sam (nach<br />

außen) zu vertreten hat. Die wöchentlich stattf<strong>in</strong>denden Kab<strong>in</strong>ettssitzungen können je nach<br />

Regierungsstil zwar auch für e<strong>in</strong>e offene politische Aussprache genutzt werden, es werden<br />

dort aber ke<strong>in</strong>e politischen Konflikte ausgetragen oder gar „Kampfabstimmungen“ abgehalten.<br />

Neben dem Kanzler mit se<strong>in</strong>er hervorgehobenen Funktion, die bei e<strong>in</strong>igen Kanzlern<br />

auch als „Kanzlerdemokratie“ mit präsidentiellen Zügen <strong>in</strong>terpretiert wurde, haben der<br />

Vizekanzler (meist der Außenm<strong>in</strong>ister), der regelmäßig von der zweiten Regierungspartei<br />

gestellt wird sowie der F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister <strong>und</strong> e<strong>in</strong>geschränkt der Justizm<strong>in</strong>ister e<strong>in</strong>e besondere<br />

Position, die sich aus ihrer Verantwortung für den Haushalt bzw. die Verfassung ableitet. So<br />

wird z.B. ausgeschlossen, dass sich Fachm<strong>in</strong>ister gegen den F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister verbünden, um<br />

ihre Haushaltsansätze auszuweiten (vgl. Hesse, Ellwe<strong>in</strong> 2012).<br />

<strong>Leseprobe</strong><br />

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb, Hilden<br />

Frevel, Salzmann (Hrsg.) „<strong>Polizei</strong> <strong>in</strong> <strong>Staat</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>“, 2. Auflage 2019<br />

ISBN 978-3-8011-0864-9

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