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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 74 2/2005

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Nr. <strong>74</strong> | 2. Quartal <strong>2005</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />

B 42890<br />

LEBENSFORUM<br />

Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ausland<br />

Im Zweifel<br />

für den Tod<br />

Gesellschaft<br />

Gigant des<br />

Lebensschutzes<br />

Essay<br />

»Guter<br />

Hoffnung«?<br />

Forschungsklonen<br />

Die Jagd auf den<br />

Rohstoff Mensch<br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)


ange Zeit galt in Deutschland<br />

INHALT<br />

LEBENSFORUM <strong>74</strong><br />

EDITORIAL<br />

Neue Fronten, neue Aufträge 3<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

TITEL<br />

Der Kampf um den Schutz des Embryos 4<br />

Tobias B. Ottmar<br />

AUSLAND<br />

Im Zweifel für den Tod 10<br />

Dr. med. Raymond Georg Snatzkze<br />

EUROPA<br />

4 - 9<br />

TITEL<br />

Der Embryonenschutz steht unter Beschuss. Trotz der UN-Deklaration, in welcher die Staaten<br />

aufgefordert werden, jegliches Klonen beim Menschen zu verbieten, will eine mächtige Lobby das<br />

Verbot des Klonens von Menschen zu Forschungszwecken hierzulande kippen.<br />

Von Tobias B. Ottmar<br />

L<br />

Der Kampf um den<br />

Schutz des Embryos<br />

eine Aufweichung des Embryonenschutz<br />

als tabu. Der Deutsche<br />

Bundestag stützt die restriktive Gesetzgebung<br />

auf diesem Feld bis auf den heutigen<br />

Tag mit einer breiten Mehrheit.<br />

Doch eine mächtige Lobby von Forscher<br />

und Investoren hält unvermindert dagegen:<br />

Die Verleihung des »Paul-Ehrlich<br />

und Ludwig-Darmstaedter-Preises <strong>2005</strong>«<br />

an den »Dolly«-Schöpfer Ian Wilmut<br />

(60) am Mitte März in der Frankfurter<br />

Paulskirche stellte denn auch so etwas<br />

wie einen Paukenschlag dar. Auch wenn<br />

die Paul-Ehrlich-Stiftung offiziell bestreitet,<br />

Wilmut wegen seiner geplanten Klon-<br />

Experimente am Menschen ausgezeichnet<br />

zu haben, so kommt dem geschickt eingefädelten<br />

öffentlichen Ehrenakt doch<br />

quasi die Funktion eines Neustart der<br />

zuletzt ins Stocken geratenen Klon-<br />

Debatte bei. Und die Bundesregierung<br />

spielt mit: Hatten deutsche Vertreter noch<br />

vier Tage zuvor bei der UN-Vollversammlung<br />

in New York einer Empfehlung<br />

zugestimmt hatten, die den Mitgliedsstaaten<br />

eine Ächtung aller Formen des Klonens<br />

beim Menschen nahe legt, so will<br />

die Bundesregierung das geltende Embryonen-Schutzgesetz<br />

nun offenbar aufweichen.<br />

In seiner Regierungserklärung<br />

vom 17. März äußerte sich Gerhard<br />

»Schröder leidet offensichtlich<br />

an Vergesslichkeit.«<br />

Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter<br />

Schröder (SPD) sehr deutlich zur anhaltenden<br />

Klon-Debatte: »Ich erinnere an<br />

die Debatten zum therapeutischen Klonen<br />

hier im Deutschen Bundestag, wo ich<br />

quer durch alle Fraktionen des Deutschen<br />

Bundestages <strong>–</strong> ich sage das mit allem<br />

Respekt <strong>–</strong> ein Maß an Zurückhaltung<br />

erlebt habe, das ich jedenfalls nicht für<br />

richtig halten konnte.« Dabei hat Schröder<br />

selbst den kritisierten Beschluss mitgetragen.<br />

»Schröder leidet offensichtlich<br />

an Vergesslichkeit«, so der Kommentar<br />

des EU-Abgeordneten Peter Liese<br />

(CDU). Bisher hatte Schröder lediglich<br />

indirekte Andeutungen zum Klonen gemacht,<br />

nun aber scheint es ihm an der<br />

Zeit, den Druck auf die Klongegner zu<br />

erhöhen. Seine Forschungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn (SPD) steht ihm da<br />

kaum nach. Auf einem Kongress der<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung meinte sie, man<br />

solle »in der Stammzellforschung verschiedene<br />

Türen offen lassen.«<br />

Bei allem Negativen was die Preisverleihung<br />

an Ian Wilmut mit sich<br />

brachte: Lebensrechtler bot die Veranstaltung<br />

Gelegenheit, ihren Protest auf<br />

kreative Weise öffentlich zu machen. Auf<br />

Initiative der »Aktion Lebensrecht für<br />

Alle« (<strong>ALfA</strong>) und der »Jugend für das<br />

Leben«, wiesen Lebensrechtlern in einer<br />

medienwirksamen Aktion, ausgestattet<br />

mit Schafs- und Schröder-Masken, vor<br />

der Frankfurter Paulskirche denn auch<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

gründe hin: Im Grunde - so ist zu<br />

vermuten - geht es den Klonforschern<br />

nämlich gar nicht in erster Linie um die<br />

Heilung von Menschen, sondern um die<br />

Durchsetzung des profitabelsten Verfahrens.<br />

Denn ließen sich tatsächlich einmal<br />

mit embryonalen Stammzellen bislang<br />

unheilbare Krankheiten wirksam bekämpfen,<br />

wäre das Klonen menschlicher Embryonen<br />

und ihre anschließende Zerstörung<br />

dasjenige Verfahren, das die<br />

geringsten Kosten und die sattesten Gewinne<br />

verspricht. Die ethisch sowohl<br />

unproblematische als auch bislang erfolgreichere<br />

Forschung mit körpereigenen,<br />

so genannten adulten Stammzellen, würde,<br />

weil logistisch aufwendiger, hingegen<br />

weniger Profit abwerfen.<br />

Bei den Medien fand die Aktion großen<br />

Anklang. Sehr zum Leidwesen der Klon-<br />

Befürworter, zeigte der angekündigte<br />

Protest auch in politischer Hinsicht Erfolge:<br />

Frankfurts Oberbürgermeisterin<br />

Petra Roth (CDU) ließ sich kurzfristig<br />

vertreten und auch Bundespräsident<br />

Horst Köhler - immerhin Ehrenpräsident<br />

der Paul-Ehrlich-Stiftung <strong>–</strong> kam nicht<br />

zur Preisverleihung. Rückenwind erhielten<br />

die Lebensrechtler zudem aus den<br />

Reihen der Union, der Grünen und der<br />

ÖDP. So bezeichnete die Vorsitzende der<br />

Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />

Maria Eichhorn, Wilmuts Aus-<br />

»Die Entnahme von Eizellen setzt<br />

Frauen einem hohen Risiko aus.«<br />

Entschließung des Europäischen Parlaments<br />

zeichnung als »nicht verständlich« und<br />

verwies darauf, dass seine Forschungen<br />

in Deutschland strafbar wäre.<br />

Während sich Vertreter der SPD derzeit<br />

für das Klonen stark machen, hält<br />

der grüne Koalitionspartner bislang an<br />

seinem klaren Nein zum Klonen fest. Im<br />

Vordergrund der grünen Kritik stehen<br />

der undurchsichtige Eizellenhandel und<br />

deren Gewinnung, die für die Spenderinnen<br />

zuweilen lebensgefährlich sein kann.<br />

Die grüne Obfrau in der Bundestags-<br />

Enquetekommission »Ethik und Recht<br />

der modernen Medizin« Christa Nickels<br />

warf daher die Frage auf, woher Ian Wilmut<br />

eigentlich seine Eizellen bekäme.<br />

Schließlich würden für eine embryonale<br />

Stammzell-Linie rund 250 weibliche Eizellen<br />

benötigt. Die britische Embryonenbehörde<br />

HFEA (Human Fertilisation<br />

and Embryology Authority) bestätigte,<br />

dass Wilmut Eizellen verwendet, die bei »Global Art Klinik« im Zusammenhang<br />

einer Sterilisation gewonnen wurden. mit Eizellspenden staatsanwaltschaftliche<br />

Auch das europäische Parlament sieht Ermittlungen aufgenommen wurden. Recherchen<br />

der ARD ergaben zudem, dass<br />

dieses Vorgehen sehr kritisch. In einer<br />

Entschließung vom 10. März <strong>2005</strong> wurde<br />

darauf hingewiesen, »dass die Entnahme<br />

von Eizellen unter anderem infolge der<br />

»Recherchen ergaben, dass Frauen<br />

Überstimulierung der Eierstöcke, Frauen<br />

einem hohen medizinischen Risiko für Geld für Eizellen angeboten wurden.«<br />

das Leben und die Gesundheit aussetzt.«<br />

Nach Informationen von LifeSite.News<br />

war Anfang 2004 in Großbritannien eine<br />

32-jährige Frau an einer hormonellen<br />

Überstimulation gestorben.<br />

Frauen per Kleinanzeigen Geld für die<br />

Die Entschließung des EU-Parlaments Eizellen angeboten wurden. Inzwischen<br />

war Folge der Enthüllungen des britischen hat auch die rumänische EU-Vertretung<br />

Senders BBC im Dezember 2004. Dieser eingeräumt, dass in der Bukarester Klinik<br />

hatte berichtet, dass gegen die rumänische menschliche Eizellen illegal gesammelt<br />

INFO<br />

Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis<br />

Der Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis gehört weltweit zu den renommiertesten<br />

Medizinpreisen. Einige Wissenschaftler, die diesen Preis bekamen, wurden später auch<br />

mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.<br />

Der Preis geht auf den Chemiker, Mediziner und Serologen Paul Ehrlich (1854-1915)<br />

zurück. Er gilt als »Vater der Chemotherapie«. Die Auszeichnung wird jedes Jahr durch<br />

die Paul-Ehrlich-Stiftung, die der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main<br />

angehört, an dem Geburtstag Ehrlichs (14. März) verliehen. Dem Gremium, das über den<br />

jeweiligen Preisträger entscheidet, gehörten im vergangenen Jahr folgende Personen an:<br />

Ehrenpräsident:<br />

Dr. Horst Köhler<br />

Bundespräsident der Bundesrepubik<br />

Deutschland<br />

Vorsitzender:<br />

Hilmar Kopper<br />

(Vorsitzender der Freunde und Sponsoren<br />

d. Johann-Wolfgang-Goethe Universität<br />

Frankfurt/Main)<br />

Weitere Mitglieder:<br />

Prof. Dr. Josef Pfeilschifter<br />

(Dekan des Fachbereichs Medizin d. Johann-Wolfgang-Goethe<br />

Universität Frankfurt/Main)<br />

Dr. Volker Grigutsch<br />

(Bundesministerium für Gesundheit und<br />

Soziale Sicherung, Bonn)<br />

Prof: Ruth Anon<br />

(Weizmann Institute of Science, Rehovot)<br />

Prof. Dr. Dr. Manfred Eigen<br />

(Max Planck Institut, Göttingen)<br />

Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein<br />

(Institut für klinische und molekulare Virologie<br />

an der Friedrich- Alexander-Universität<br />

Erlangen/Nürnberg)<br />

Dr. Maurice Hillemann<br />

(Merck Sharp and Dome Labore, West<br />

Point)<br />

Prof: Dr. Joachim R. Kalden<br />

(Institut und Polyklinik für klinische Immunologie<br />

Friedrich-Alexander-Universität<br />

Erlangen/Nürnberg)<br />

Prof. Dr. Reinhard Kurth<br />

(Robert-Koch-Institut, Berlin)<br />

Prof: Dr. Hartmut Michel<br />

(Max Planck Institut für Biophysik, Frankfurt/Main)<br />

Prof. Dr. Erling Norrby<br />

(The Royal Swedish Academy of Sciences,<br />

Stockholm)<br />

Dr. Abner Louis Notkins<br />

(National Institute for Dental Research,<br />

Bethesda)<br />

Dr. Rino Rappuoli<br />

(Institute for Immuno-Biological Research<br />

IRIS, Chion SpA, Siena)<br />

Prof. Dr. Hans Wigzell<br />

(Karolinska Institut , Mikrobiologie und<br />

Tumorbiologie Center, Stockholm)<br />

4 <strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong><br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 5<br />

Politikziel Abtreibung 13<br />

Stephan Baier<br />

GESELLSCHAFT<br />

Die mächtige Lobby der Klonforscher nimmt den Embryonenschutz unter Beschuss.<br />

DPA<br />

Der Gigant auf dem Stuhl Petri 14<br />

Stefan Rehder, M.A.<br />

Schützt die Kinder 18<br />

Bischof Dr. Andreas Laun<br />

Weltjugendtag <strong>2005</strong> 20<br />

Sebastian Grundberger<br />

Stimmlose erhören 24<br />

Interview mit Denise Moutenay<br />

MEDIZIN<br />

14 - 17<br />

Heimkehrer: Der Gigant des<br />

Lebensschutzes verlässt die<br />

Weltbühne.<br />

Post Abortion Syndrom 21<br />

Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />

ESSAY<br />

»Guter Hoffnung«? 27<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden<br />

MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />

1. Fuldaer Lebensrechtskongress 26<br />

BÜCHERFORUM 30<br />

KURZ VOR SCHLUSS 32<br />

LESERFORUM 34<br />

Das öffentliche Sterben der<br />

Komapatientin Terri Schiavo<br />

läutet eine neue »Kultur des<br />

Todes« ein und heizt die Debatte<br />

um Euthanasie weiter an.<br />

10 - 12<br />

IMPRESSUM 35<br />

DPA<br />

2<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


EDITORIAL<br />

24 - 25<br />

Seit 17 Jahren kämpft die Kanadierin<br />

Denise Moutenay für das Lebensrecht<br />

ungeborener Kinder. <strong>LebensForum</strong><br />

sprach mit ihr über ihre Arbeit.<br />

27 - 29<br />

ESSAY<br />

Im Zuge des technischen Fortschritts beginnt die Medizin maßlos zu werden. Statt um das Heilen von<br />

Krankheiten sorgt sie sich längst auch um die Optimierung der Evolution. Dabei droht der Blick für<br />

das Ganze wie für konkrete Bedürfnisse einzelner Patienten auf der Strecke zu bleiben.<br />

Von Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

G<br />

»Guter Hoffnung«?<br />

uter Hoffnung« zu sein, damit<br />

verband sich gedanklich bis vor<br />

einigen Jahrzehnten der Zustand<br />

einer schwangeren Frau wie von<br />

selbst. Sie erwartete ein Kind, neues Leben,<br />

ihr und dem Vater ähnlich, aber<br />

doch wieder ganz sich selbst gehörend.<br />

Das Kind wird zum Adressaten<br />

ihrer Gedanken, Wünsche und<br />

Hoffnungen. Ihm und für es verantwortlich<br />

zu sein <strong>–</strong> das ist ein<br />

Geschenk des Lebens besonderer<br />

Art, das der Konzentration bedarf.<br />

Wie werden sie von diesem kleinen<br />

Wesen gefragt sein? Welche Aufgaben<br />

kommen auf die Eltern zu?<br />

Doch heißt »guter Hoffnung« sein<br />

darüber hinaus auch, Wünsche in<br />

anderen Erwartungssituationen des<br />

Lebens zu hegen. »Dum spiro, spero«,<br />

sagte ein antiker Philosoph,<br />

solange ich atme, hoffe ich. Zum<br />

Beispiel in der Krankheit oder nach<br />

einem Unfall, dem Fall, den es eigentlich<br />

nicht geben sollte. Diesem<br />

Thema hat der Philosoph Ernst<br />

Bloch ein weitläufiges Werk gewidmet,<br />

dem er den Titel »Das Prinzip<br />

Hoffnung« gab. Hoffnung (englisch:<br />

hope) hat mit dem Wortstamm<br />

»hüpfen« (hoppeln) zu tun. Und<br />

Bloch meint: »Indem der Kranke<br />

nicht hüpft und springt, tun es desto<br />

mehr seine Wünsche«. Gleich darauf<br />

setzt auch seine Kritik ein: »Was<br />

immer weh tut, drückt und schwächt,<br />

soll weg«, aber: »Ein wenig nur<br />

aufzuatmen, das genügt nie lange.«<br />

So reicht heute der Wunsch nach<br />

mehr Lebensqualität immer weiter,<br />

ja so weit, dass der Philosoph Maximilian<br />

Forschner vor einiger Zeit<br />

vor den »Infantilisierungstendenzen«<br />

unserer Wunschwelten warnte, welche<br />

die Eingriffe zur Verbesserung unserer<br />

Körperfunktionen allmählich unbezahlbar<br />

machten. Vermutlich ist es ja wirklich<br />

kindisch, von Gesundheit als »dem höchsten<br />

Gut« des Menschen zu reden, aus<br />

der Medizin eine Art Erlösungsreligion<br />

zu machen und damit die prinzipielle<br />

Fragilität unserer menschlichen Existenz<br />

aus der eigenen Gedankenwelt zu streichen.<br />

Sollte man beim erwarteten Kind<br />

etwa auf Maximalanforderungen setzen?<br />

Die ursprünglichste Aufgabe, Leben weiterzugeben,<br />

dem technischen Perfektionismus<br />

überantworten? Darf man<br />

Schwangerschaft zur Krankheit umformulieren<br />

und in die Therapiekonzepte<br />

auch das Töten einbeziehen?<br />

Natürlich weiß die Medizin seit geraumer<br />

Zeit auch, dass der Schmalblick, der<br />

auf einen Tropfen Blut im Labor oder<br />

die Farbe des Urins gerichtet ist, nicht<br />

das ganze Krankheitsbild eines<br />

Menschen umfasst. Auch die dicke<br />

Nackenfalte im Ultraschallbild sagt<br />

nichts über die Entwicklung des<br />

Kindes und seine Lebenschancen aus.<br />

Vor den sog. »prima-vista-Diagnosen«<br />

sollte sich auch der erfahrene Arzt<br />

hüten und seinen ersten Eindruck<br />

stets hinterfragen beziehungsweise<br />

durch weitere Befunde untermauern.<br />

Aber auch der »objektive Befund«<br />

kann Irrtümer stützen und zu falschen<br />

Schlüssen führen. Trotz der großartigen<br />

Erfolge des seit dem 18. Jahrhundert<br />

so hilfreich angewandten<br />

»Maschinenmodells« des Menschen,<br />

besonders spektakulär in den operativen<br />

Fächern Chirurgie, Orthopädie<br />

und Gynäkologie, verblieb in der<br />

Betreuung der Patienten ein defizitärer<br />

Rest. Denn nicht jede objektive<br />

Therapie eines Magengeschwürs oder<br />

die einer Coronarstenose war auch<br />

schon die Heilung des betroffenen<br />

Subjekts. Die hervorragend gelungene<br />

Herzoperation konnte beispielsweise<br />

durch eine postoperative depressive<br />

Stimmung gestört werden: nicht jeder<br />

Rehabilitand ist auch schon gleich<br />

»heilfroh«. Er kann sich fragen: Was<br />

soll das Ganze? Bleibt am Ende nicht<br />

doch der Tod? Während wir in den<br />

Phasen des Gesundseins so genannte<br />

»letzte Dinge« gern verdrängen und<br />

die uns auferlegte »letzte Reise« in<br />

den Alltagspflichten und berechtigten<br />

Alltagsfreuden kaum zum Thema<br />

machen, sind der stetige Wandel der<br />

Verhältnisse und die Ungesichertheit<br />

unserer Arbeits- und Lebenswelt unser<br />

gemeinsames Dauer-Schicksal. Gerade<br />

das wird manchem Patienten in der Ruhe<br />

des Krankenzimmers dramatisch bewusst.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 27<br />

Statt sich um die Bedürfnisse ihrer<br />

Patienten zu kümmern, nehmen die<br />

Ärzte zunehmend die Evolution in die<br />

eigenen Hände.<br />

WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />

Neue Fronten,<br />

neue Aufträge<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

mit dem Tod von Johannes Paul II.<br />

hat die Lebensschutzbewegung ihren<br />

mächtigsten Fürsprecher auf Erden verloren.<br />

Das ist Grund zur Trauer, nicht<br />

aber zur Verzweiflung. Christen können<br />

sicher sein, dass sich dieser große Papst<br />

auch künftig für eine »Kultur des Lebens«<br />

einsetzen wird, nur eben nicht mehr hier<br />

auf Erden, sondern im Himmel, außerhalb<br />

der uns geläufigen Kategorien von Raum<br />

und Zeit. Was Johannes Paul II. zu Lebzeiten<br />

alles für den Aufbau der »Kultur<br />

des Lebens« getan<br />

und gewirkt hat, das<br />

fasst in dieser Ausgabe<br />

der Beitrag von Stefan<br />

Rehder noch einmal<br />

eindrucksvoll zusammen<br />

(vgl. S. 14 ff). Mit<br />

Papst Benedikt XVI.<br />

ist Johannes Paul II.<br />

zudem ein Hirte gefolgt, dem der Schutz<br />

des menschlichen Lebens in all seinen<br />

Phasen stets ein ähnlich dringendes Anliegen<br />

war. Für Lebensrechtler ist daher<br />

auch die Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger<br />

zum neuen Papst ein besonderes<br />

Geschenk des Himmels.<br />

Möglicherweise aber auch eines, das<br />

notwendig ist. Denn mit dem Fortschritt<br />

in der Medizin hat die »Kultur des Todes«<br />

neue Möglichkeiten zur Entfaltung erhalten.<br />

Eine mächtige Lobby, bestehend aus<br />

rücksichtslosen Wissenschaftlern und<br />

global operierenden Konzernen, hat den<br />

künstlich erzeugten Embryo ins Visier<br />

genommen. Aus dessen Stammzellen<br />

scheinen für nicht wenige die Träume<br />

gewebt zu sein, die neue Dienstleistungen<br />

und lukrative Margen versprechen. Die<br />

Jagd auf den Mensch als Rohstofflieferanten<br />

ist in vollem Gang. Mit der Demonstration<br />

anlässlich der Verleihung des<br />

»Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preises<br />

<strong>2005</strong>« an den britischen<br />

Klonforscher Ian Wilmut, zu der die<br />

»Aktion Lebensrecht für Alle« und ihre<br />

»Jugend für das Leben« aufgerufen hat,<br />

konnten wir unseren Protest überaus<br />

»Die Jagd auf den Rohstoff<br />

Mensch ist in vollem Gang.«<br />

medienwirksam öffentlich<br />

machen. In der<br />

Titelgeschichte dieser<br />

Ausgabe (vgl. S. 4ff)<br />

zeigt Tobias Ottmar, wo<br />

die Fronten verlaufen<br />

und nennt Ross und<br />

Reiter.<br />

Mit der Euthanasie<br />

beschäftigen sich diesmal<br />

zwei Beiträge. Zwar<br />

hat der Europarat Ende<br />

April mit beeindruckender<br />

Mehrheit sein bisheriges »Nein«<br />

zur »Tötung auf Verlangen« bekräftigt,<br />

doch ist mit dieser »gewonnenen<br />

Schlacht« (vgl. S. 36) der Durchbruch<br />

für ein »Sterben in Würde« noch keinesfalls<br />

erreicht. Im Gegenteil: Die Umstände<br />

des Todes von Terri Schiavo, den Raymond<br />

Georg Snatzke umfassend<br />

beleuchtet, zeigen wie<br />

unerlässlich unsere<br />

Aufklärungsarbeit<br />

auch auf diesem Feld<br />

sein wird (vgl. S. 10 ff).<br />

Aus diesem Grund<br />

veranstaltet die <strong>ALfA</strong><br />

unter dem Titel »Euthanasie<br />

<strong>–</strong> Heute ihr,<br />

morgen wir?« auch am 10./11. Juni ihren<br />

1. Lebensrechtskongress in Fulda, zu dem<br />

ich Sie herzlich einlade (vgl. S. 26).<br />

Trotz der neuen Herausforderungen,<br />

die sich uns mit dem Ruf nach Legalisierung<br />

des Forschungsklonens und der<br />

»Tötung auf Verlagen« stellen, bleibt<br />

unser Hauptaugenmerk auf den Kampf<br />

gegen Abtreibung gerichtet. Sowohl die<br />

Befürworter der Euthanasie als auch die,<br />

welche den Embryo im Reagenzglas als<br />

herrenloses Gut betrachten, rechtfertigen<br />

ihre Forderung auch mit der gesellschaftlichen<br />

Akzeptanz der Abtreibung. Von<br />

den vielen Beiträgen, die sich in dieser<br />

Ausgabe mit der vorgeburtlichen Kindstötung<br />

beschäftigen, sei stellvertretend<br />

der von Bischof Andreas Laun erwähnt,<br />

der das Dogma der Straflosigkeit in Frage<br />

stellt. Eine erhellende Lektüre wünscht<br />

Ihre<br />

Claudia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />

des Bundesverbandes Lebensrecht<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 3


TITEL<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Der Kampf um den<br />

Schutz des Embryos<br />

Der Embryonenschutz steht unter Beschuss. Trotz der UN-Deklaration, in welcher die Staaten<br />

aufgefordert werden, jegliches Klonen beim Menschen zu verbieten, will eine mächtige Lobby das<br />

Verbot des Klonens von Menschen zu Forschungszwecken hierzulande kippen.<br />

Von Tobias B. Ottmar<br />

Lange Zeit galt in Deutschland<br />

eine Aufweichung des Embryonenschutz<br />

als tabu. Der Deutsche<br />

Bundestag stützt die restriktive Gesetzgebung<br />

auf diesem Feld bis auf den heutigen<br />

Tag mit einer breiten Mehrheit.<br />

Doch eine mächtige Lobby von Forschern<br />

und Investoren hält unvermindert dagegen:<br />

Die Verleihung des »Paul-Ehrlich<br />

und Ludwig-Darmstaedter-Preises <strong>2005</strong>«<br />

an den »Dolly«-Schöpfer Ian Wilmut<br />

(60) Mitte März in der Frankfurter Paulskirche<br />

stellte denn auch so etwas wie einen<br />

Paukenschlag dar. Auch wenn die<br />

Paul-Ehrlich-Stiftung offiziell bestreitet,<br />

Wilmut wegen seiner geplanten Klon-<br />

Experimente am Menschen ausgezeichnet<br />

zu haben, so kommt dem geschickt eingefädelten<br />

öffentlichen Ehrenakt doch<br />

quasi die Funktion eines Neustarts der<br />

zuletzt ins Stocken geratenen Klon-<br />

Debatte bei. Und die Bundesregierung<br />

spielt mit: Hatten deutsche Vertreter noch<br />

vier Tage zuvor bei der UN-Vollversammlung<br />

in New York einer Empfehlung<br />

4<br />

zugestimmt, die den Mitgliedsstaaten eine<br />

Ächtung aller Formen des Klonens beim<br />

Menschen nahe legt, so will die Bundesregierung<br />

das geltende Embryonen-<br />

Schutzgesetz nun offenbar aufweichen.<br />

In seiner Regierungserklärung vom 17.<br />

März äußerte sich Gerhard Schröder<br />

»Schröder leidet offensichtlich<br />

an Vergesslichkeit.«<br />

Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter<br />

(SPD) sehr deutlich zur anhaltenden<br />

Klon-Debatte: »Ich erinnere an die Debatten<br />

zum therapeutischen Klonen hier<br />

im Deutschen Bundestag, wo ich quer<br />

durch alle Fraktionen des Deutschen<br />

Bundestages <strong>–</strong> ich sage das mit allem<br />

Respekt <strong>–</strong> ein Maß an Zurückhaltung<br />

erlebt habe, das ich jedenfalls nicht für<br />

richtig halten konnte.« Dabei hat Schröder<br />

selbst den kritisierten Beschluss mitgetragen.<br />

»Schröder leidet offensichtlich<br />

an Vergesslichkeit«, so der Kommentar<br />

des EU-Abgeordneten Peter Liese<br />

(CDU). Bisher hatte Schröder lediglich<br />

indirekte Andeutungen zum Klonen gemacht,<br />

nun aber scheint es ihm an der<br />

Zeit, den Druck auf die Klongegner zu<br />

erhöhen. Seine Forschungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn (SPD) steht ihm da<br />

kaum nach. Auf einem Kongress der<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung meinte sie, man<br />

solle »in der Stammzellforschung verschiedene<br />

Türen offen lassen.«<br />

Bei allem Negativen, was die Preisverleihung<br />

an Ian Wilmut mit sich brachte:<br />

Lebensrechtlern bot die Veranstaltung<br />

Gelegenheit, ihren Protest auf kreative<br />

Weise öffentlich zu machen. Auf Initiative<br />

der »Aktion Lebensrecht für Alle« (<strong>ALfA</strong>)<br />

und der »Jugend für das Leben« wiesen<br />

Lebensrechtler in einer medienwirksamen<br />

Aktion, ausgestattet mit Schafs- und<br />

Schröder-Masken, vor der Frankfurter<br />

Paulskirche denn auch auf die Hinter<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


»Die Entnahme von Eizellen setzt<br />

Frauen einem hohen Risiko aus.«<br />

Entschließung des Europäischen Parlaments<br />

gründe hin: Im Grunde - so ist zu vermuten<br />

- geht es den Klonforschern nämlich<br />

gar nicht in erster Linie um die Heilung<br />

von Menschen, sondern um die Durchsetzung<br />

des profitabelsten Verfahrens.<br />

Denn ließen sich tatsächlich einmal mit<br />

embryonalen Stammzellen bislang unheilbare<br />

Krankheiten wirksam bekämpfen,<br />

wäre das Klonen menschlicher Embryonen<br />

und ihre anschließende Zerstörung<br />

dasjenige Verfahren, das die geringsten<br />

Kosten und die sattesten Gewinne verspricht.<br />

Die ethisch sowohl unproblematische<br />

als auch bislang erfolgreichere<br />

Forschung mit körpereigenen, so genannten<br />

adulten Stammzellen, würde, weil<br />

logistisch aufwendiger, hingegen weniger<br />

Profit abwerfen.<br />

Bei den Medien fand die Aktion großen<br />

Anklang. Sehr zum Leidwesen der Klon-<br />

Befürworter zeigte der angekündigte Protest<br />

auch in politischer Hinsicht Erfolge:<br />

Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra<br />

Roth (CDU) ließ sich kurzfristig vertreten<br />

und auch Bundespräsident Horst Köhler<br />

<strong>–</strong> immerhin Ehrenpräsident der Paul-<br />

Ehrlich-Stiftung <strong>–</strong> kam nicht zur Preisverleihung.<br />

Rückenwind erhielten die<br />

Lebensrechtler zudem aus den Reihen<br />

der Union, der Grünen und der ÖDP.<br />

So bezeichnete die Vorsitzende der Arbeitsgruppe<br />

Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />

Maria Eichhorn, Wilmuts Auszeichnung<br />

als »nicht verständlich« und<br />

verwies darauf, dass seine Forschungen<br />

in Deutschland strafbar wären.<br />

Während sich Vertreter der SPD derzeit<br />

für das Klonen stark machen, hält<br />

der grüne Koalitionspartner bislang an<br />

seinem klaren Nein zum Klonen fest. Im<br />

Vordergrund der grünen Kritik stehen<br />

der undurchsichtige Eizellenhandel und<br />

deren Gewinnung, die für die Spenderinnen<br />

zuweilen lebensgefährlich sein kann.<br />

Die grüne Obfrau in der Bundestags-<br />

Enquetekommission »Ethik und Recht<br />

der modernen Medizin« Christa Nickels<br />

warf daher die Frage auf, woher Ian Wilmut<br />

eigentlich seine Eizellen bekäme.<br />

Schließlich würden für eine embryonale<br />

Stammzell-Linie rund 250 weibliche Eizellen<br />

benötigt. Die britische Embryonenbehörde<br />

HFEA (Human Fertilisation<br />

and Embryology Authority) bestätigte,<br />

dass Wilmut Eizellen verwendet, die bei<br />

einer Sterilisation gewonnen wurden.<br />

Auch das europäische Parlament sieht<br />

dieses Vorgehen sehr kritisch. In einer<br />

Entschließung vom 10. März <strong>2005</strong> wurde<br />

darauf hingewiesen, »dass die Entnahme<br />

von Eizellen unter anderem infolge der<br />

Überstimulierung der Eierstöcke, Frauen<br />

einem hohen medizinischen Risiko für<br />

das Leben und die Gesundheit aussetzt.«<br />

Nach Informationen von LifeSite.News<br />

war Anfang 2004 in Großbritannien eine<br />

32-jährige Frau an einer hormonellen<br />

Überstimulation gestorben.<br />

Die Entschließung des EU-Parlaments<br />

war Folge der Enthüllungen des britischen<br />

Senders BBC im Dezember 2004. Dieser<br />

hatte berichtet, dass gegen die rumänische<br />

INFO<br />

»Global Art Klinik« im Zusammenhang<br />

mit Eizellspenden staatsanwaltschaftliche<br />

Ermittlungen aufgenommen wurden. Recherchen<br />

der ARD ergaben zudem, dass<br />

Frauen per Kleinanzeigen Geld für die<br />

Eizellen angeboten wurden. Inzwischen<br />

hat auch die rumänische EU-Vertretung<br />

eingeräumt, dass in der Bukarester Klinik<br />

menschliche Eizellen illegal gesammelt<br />

Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis<br />

Der Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis gehört weltweit zu den renommiertesten<br />

Medizinpreisen. Einige Wissenschaftler, die diesen Preis bekamen, wurden später auch<br />

mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.<br />

Der Preis geht auf den Chemiker, Mediziner und Serologen Paul Ehrlich (1854-1915)<br />

zurück. Er gilt als »Vater der Chemotherapie«. Die Auszeichnung wird jedes Jahr durch<br />

die Paul-Ehrlich-Stiftung, die der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main<br />

angehört, an dem Geburtstag Ehrlichs (14. März) verliehen. Dem Gremium, das über den<br />

jeweiligen Preisträger entscheidet, gehörten im vergangenen Jahr folgende Personen an:<br />

Ehrenpräsident:<br />

Dr. Horst Köhler<br />

Bundespräsident der Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

Vorsitzender:<br />

Hilmar Kopper<br />

(Vorsitzender der Freunde und Sponsoren<br />

d. Johann-Wolfgang-Goethe Universität<br />

Frankfurt/Main)<br />

Weitere Mitglieder:<br />

Prof. Dr. Josef Pfeilschifter<br />

(Dekan des Fachbereichs Medizin d. Johann-Wolfgang-Goethe<br />

Universität Frankfurt/Main)<br />

Dr. Volker Grigutsch<br />

(Bundesministerium für Gesundheit und<br />

Soziale Sicherung, Bonn)<br />

Prof. Ruth Anon<br />

(Weizmann Institute of Science, Rehovot)<br />

Prof. Dr. Dr. Manfred Eigen<br />

(Max Planck Institut, Göttingen)<br />

Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein<br />

(Institut für klinische und molekulare Virologie<br />

an der Friedrich- Alexander-Universität<br />

Erlangen/Nürnberg)<br />

»Recherchen ergaben, dass Frauen<br />

Geld für Eizellen angeboten wurde.«<br />

Dr. Maurice Hillemann<br />

(Merck Sharp and Dome Labore, West<br />

Point)<br />

Prof: Dr. Joachim R. Kalden<br />

(Institut und Polyklinik für klinische Immunologie<br />

Friedrich-Alexander-Universität<br />

Erlangen/Nürnberg)<br />

Prof. Dr. Reinhard Kurth<br />

(Robert-Koch-Institut, Berlin)<br />

Prof. Dr. Hartmut Michel<br />

(Max Planck Institut für Biophysik, Frankfurt/Main)<br />

Prof. Dr. Erling Norrby<br />

(The Royal Swedish Academy of Sciences,<br />

Stockholm)<br />

Dr. Abner Louis Notkins<br />

(National Institute for Dental Research,<br />

Bethesda)<br />

Dr. Rino Rappuoli<br />

(Institute for Immuno-Biological Research<br />

IRIS, Chion SpA, Siena)<br />

Prof. Dr. Hans Wigzell<br />

(Karolinska Institut , Mikrobiologie und<br />

Tumorbiologie Center, Stockholm)<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 5


TITEL<br />

Löste neue Debatte aus: Klonforscher Ian Wilmut (links)<br />

und befruchtet worden seien. Die rumänische<br />

Forschungsministerin Monica Macovei<br />

zeigte sich bei einem Treffen mit<br />

den Europaabgeordneten Hiltrud Breyer<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Liese<br />

(CDU) sehr besorgt über diese Entwicklung.<br />

Wie die Abgeordneten berichten,<br />

scheinen Gelder in Höhe von bis zu 1000<br />

Pfund an die Eizellenspender geflossen<br />

zu sein. Andere Quellen sprechen »nur«<br />

von 200 bis 300 Pfund. Breyer meinte<br />

dazu: »Bei derartig hohen Summen kann<br />

nicht länger von einer Kompensation,<br />

sondern muss von einer Bezahlung gesprochen<br />

werden.« In einer einzigen rumänischen<br />

Klinik ständen mehr Spenderinnen<br />

zur Verfügung als in allen britischen<br />

Krankenhäusern zusammen. Angesichts<br />

dieser Entwicklung besteht die<br />

Befürchtung, dass Frauen in Ländern wie<br />

Rumänien zu Rohstofflieferanten degradiert<br />

werden.<br />

Das Europäische Parlament sprach<br />

sich daraufhin mit einer Mehrheit von<br />

307 zu 199 Stimmen gegen die Förderung<br />

der verbrauchenden Embryonenforschung<br />

aus dem europäischen Haushalt<br />

aus. Stattdessen sollten die EU-Mittel<br />

auf die Alternativen wie somatische<br />

Stammzellforschung (auch »adulte«<br />

Stammzellforschung genannt) und Forschung<br />

mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut<br />

konzentriert werden. Begründet<br />

wurde die Entscheidung unter anderem<br />

damit, dass die Charta der Grundrechte<br />

die Kommerzialisierung des<br />

6<br />

menschlichen Körpers und seiner Teile<br />

als solches verbietet. Damit ist ausdrücklich<br />

auch der Handel mit Embryonen<br />

untersagt. Bereits im vergangenen Jahr<br />

hatte der EU-Rat eine entsprechende<br />

Richtlinie verabschiedet. Liese, der auch<br />

Vorsitzender der Arbeitsgruppe<br />

Bioethik<br />

der EVP-Fraktion ist,<br />

begrüßte das Votum<br />

des Parlaments: »Jetzt<br />

ist die Position klar.<br />

Wir müssen uns auf die<br />

Alternativen konzentrieren,<br />

die nicht nur<br />

ethisch vertretbarer<br />

sind, sondern auch in<br />

der Praxis schon zu<br />

Erfolgen bei Patienten<br />

geführt haben.« Für<br />

den CDU-Politiker<br />

sind die Vorkommnisse<br />

in Großbritannien und<br />

Rumänien ein Beleg<br />

dafür, »dass die Reproduktionsmedizin<br />

und die damit verbundene<br />

Forschung in<br />

Großbritannien keinesfalls<br />

so streng geregelt<br />

ist, wie die Befürworter<br />

immer behaupten.<br />

Zum Glück<br />

sind viele Menschen<br />

nachdenklich geworden, die bisher die<br />

britische Praxis verteidigt haben«, so der<br />

Abgeordnete.<br />

EU-Forschungskommissar Janez Potocnik<br />

hält sich in der Frage des Klonens<br />

allerdings weiterhin sehr bedeckt. In einem<br />

Gespräch mit Vertretern der »Weltjugendallianz«<br />

(WYA), die in Brüssel für<br />

die umfassende Wahrung der Menschenrechte<br />

eintritt, sagte er, er versuche auf<br />

den Ethikrat zu hören. »Es ist ein sehr<br />

ROSLIN ISTITUTE<br />

STICHWORT<br />

Forschungsklonen<br />

Beim Forschungsklonen, das euphemistisch<br />

auch therapeutisches Klonen genannt<br />

wird, werden menschliche Embryonen<br />

durch Kerntransfer, Mehrlingsspaltung<br />

oder auch Blastozystenspaltung<br />

erzeugt und bis zu einem Entwicklungsstadium<br />

(5-7) Tage kultiviert. Danach<br />

wird der Embryo zerstört. Aus den bei<br />

der Tötung des Embryos gewonnenen<br />

embryonalen Stammzellen werden neue<br />

Kulturen angelegt. Aus ihnen wollen<br />

Forscher Zellen züchten, die zerstörtes<br />

Gewebe bei kranken Menschen ersetzen<br />

sollen.<br />

sensibles Thema«, so Potocnik. Jedoch<br />

betonte er, dass sich die EU mit ihrer<br />

Gesetzgebung weder dem liberalsten noch<br />

dem restriktivsten Staat annähern wolle.<br />

Der für Gesundheitsforschung zuständige<br />

Direktor in der EU-Kommission, Octavi<br />

Quintana Trias, ist da schon deutlicher.<br />

Er plädierte dafür, Klonprojekte auch<br />

weiterhin <strong>–</strong> mindestens bis 2013 <strong>–</strong> von<br />

der EU-Förderung auszunehmen. Im<br />

siebten EU-Forschungsrahmenprogramm<br />

wurde allerdings auf eine Formulierung<br />

verzichtet, die den Umgang mit<br />

einer so unethischen Forschung wie dieser<br />

regelt. »Theoretisch wäre es möglich,<br />

eine Technik, die in 24 Mitgliedstaaten<br />

verboten ist, und nur in einem Staat erlaubt<br />

ist, aus dem europäischen Haushalt<br />

zu unterstützen«, bemängelt Liese.<br />

Der FDP bereitet ein möglicher illegaler<br />

Handel mit Eizellen keine Sorgen.<br />

»Der FDP bereitet ein illegaler<br />

Handel mit Eizellen keine Sorgen«<br />

Sie kämpft schon seit langer Zeit für eine<br />

liberalere Gesetzgebung. Die forschungspolitische<br />

Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion,<br />

Ulrike Flach, nannte denn<br />

auch die Kritik an der Preisvergabe an<br />

Wilmut »kleinkariert«. »Es ist eben nicht<br />

alles auf dieser Welt mit dem engen Maß<br />

des deutschen Stammzellimportgesetzes<br />

zu messen«, giftete Flach. Mit dieser<br />

Position steht die FDP unter den im<br />

deutschen Bundestag vertretenen Parteien<br />

zurzeit aber noch alleine da. Sowohl Teile<br />

der SPD-Fraktion als auch die gesamte<br />

CDU/CSU-Fraktion im Bundestag setzten<br />

sich bislang für die Wahrung des<br />

Embryonen-Schutzgesetzes und ein umfassendes<br />

Klonverbot ein.<br />

Die Akteure der Paul-Ehrlich-Stiftung<br />

scheinen sich um die Proteste der Klongegner<br />

und die in Deutschland geltende<br />

Rechtslage nicht zu scheren. Stattdessen<br />

versuchen sie mit ihren Heilsversprechen<br />

das so genannte therapeutische Klonen<br />

attraktiv zu machen: Krebsforschung,<br />

Parkinson, Diabetes und andere Krankheiten<br />

sollen mit Hilfe der Embryonenforschung<br />

bald geheilt werden können.<br />

Ob das jemals gelingt, ist aber überaus<br />

fraglich. Selbst der Laudator Bernhard<br />

Fleckenstein räumte in seiner Laudatio<br />

auf Wilmut ein, dass »auf kürzere Sicht<br />

(…) das Klonen wohl nicht einsetzbar<br />

sein« wird. Gegenüber dem <strong>LebensForum</strong><br />

stellt der CDU-Politiker Liese klar,<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


FERDINAND CREUTZ<br />

Mit Dolly-Masken demonstrieren<br />

Mitglieder der <strong>ALfA</strong> gegen die<br />

Preisverleihung an Wilmut, der in<br />

Großbritannien jetzt Menschen<br />

klont.<br />

dass es keine Therapie gäbe, »die auf dem<br />

Klonen von menschlichen Embryonen<br />

basiert.«<br />

Dass sich aus den von den Forschern<br />

begehrten befruchteten Eizellen jeweils<br />

künftige, mit sich selbst stets identische<br />

Menschen, kontinuierlich entwickeln,<br />

ficht die Klonbefürworter nicht an. Die<br />

Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens<br />

beginnt für Forscher wie Fleckenstein<br />

offenbar erst später. »Ob volle Menschenwürde<br />

auch den genannten präembryonalen<br />

Phasen zukommt, ist weithin umstritten«,<br />

so seine Behauptung. »Gerade<br />

aus Sicht der heutigen Embryologie ist<br />

es kaum als sinnvoll anzusehen, einer<br />

totipotenten Einzelzelle einen solchen<br />

vollen Schutzanspruch zuzuweisen.« Das<br />

Embryonenschutzgesetz bezeichnete<br />

Fleckenstein gar als »ethisch widersprüchlich<br />

und wissenschaftsfeindlich.« Diesen<br />

klaren Angriff auf die deutsche Rechtslage<br />

geißelte der stellvertretende Chefredakteur<br />

des sonst so liberalen »Kölner Stadt-<br />

Anzeigers«, Joachim Frank, am Tag nach<br />

der Preisverleihung in einem mit »Grabenkrieg<br />

der Forscher« überschriebenen<br />

Kommentar. Die Festung der Klongegner<br />

solle nun »sturmreif geschossen werden«,<br />

stellte Frank fest. Die Heilsversprechen<br />

der Klonlobby sah er ähnlich kritisch wie<br />

die Lebensrechtsbewegung: »Prämiert<br />

worden sind diffuse Heilsversprechen<br />

anstelle handfester Erfolge in der Krankheitsbekämpfung«,<br />

so Frank.<br />

Der stellvertretende Vorsitzende der<br />

Enquetekommission »Ethik und Recht<br />

der modernen Medizin« und Bundestagsabgeordnete<br />

Hubert Hüppe hielt Fleckensteins<br />

Äußerungen entgegen, dass<br />

» Zweilfellos beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von<br />

Ei- und Samenzelle.« (Oliver Brüstle, Stammzellforscher)<br />

»Die Festung der Klongegner soll nun<br />

sturmreif geschossen werden.«<br />

J. Frank, Chefredakteur »Kölner Stadtanzeiger«<br />

INFO<br />

Auszug aus dem<br />

Embryonenschutzgesetz<br />

§ 2:<br />

(1) Wer einen extrakorporal erzeugten<br />

oder einer Frau vor Abschluss seiner<br />

Einnistung in der Gebärmutter entnommenen<br />

menschlichen Embryo veräußert<br />

oder zu einem nicht seiner Erhaltung<br />

dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder<br />

verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis<br />

zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.<br />

(2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem<br />

anderen Zweck als der Herbeiführung<br />

einer Schwangerschaft bewirkt, dass<br />

sich ein menschlicher Embryo extrakorporal<br />

weiterentwickelt.<br />

(3) Der Versuch ist strafbar.<br />

Deutschland nicht eine wissenschaftsfeindliche<br />

Sicht habe, sondern vielmehr<br />

die Menschenwürde achte. Hüppe kritisierte<br />

die Entscheidung der Stiftung ausdrücklich:<br />

»Eine Stiftung, die mit Steuergeldern<br />

arbeitet, ist nicht als Plattform<br />

gegen Stammzellgesetz und Embryonenschutzgesetz<br />

geeignet.«<br />

Die Mitfinanzierung des Paul-Ehrlich-<br />

Preises durch das Bundesgesundheitsministerium<br />

kann als Beleg dafür gelten,<br />

dass die Bundesregierung über diesen<br />

indirekten Förderweg versucht, den Embryonen-Schutz<br />

aufzuweichen. Doch die<br />

Verantwortung dafür weist das zuständige<br />

Ministerium von sich. Ein Sprecher des<br />

Bundesministeriums für Gesundheit und<br />

Soziale Sicherung (BMGS) verwies auf<br />

die Unabhängigkeit des Stiftungsrats:<br />

»Dieses Gremium ist ein vollkommen<br />

unabhängiger, wissenschaftlicher Beirat.<br />

Wir haben da keinen Einfluss.« Doch<br />

das ist schlichtweg falsch. Schließlich sitzt<br />

auch ein Vertreter des Gesundheitsministeriums<br />

im Stiftungsrat, der den Preisträger<br />

angeblich einstimmig auserkoren<br />

hat.<br />

Auffällig ist, dass sich bei der Definition<br />

über den Beginn des menschlichen Lebens<br />

offenbar auch die Klonforscher selbst<br />

nicht einig zu sein scheinen. Während<br />

Wilmut den sieben Tage alten Embryo<br />

schlicht mit einem Sandkorn vergleicht,<br />

bestätigte der prominteste deutsche<br />

Stammzellforscher Oliver Brüstle die<br />

allgemein gültige Definition des Beginns<br />

menschlichen Lebens. In einem Interview<br />

mit der Tageszeitung »Die Welt« sagte<br />

Brüstle: »Zweifellos beginnt menschliches<br />

Leben mit der Verschmelzung von Eiund<br />

Samenzelle« um aber gleich darauf<br />

die Frage aufzuwerfen, ob man diesem<br />

Menschen »dieselbe Schutzwürdigkeit<br />

beimessen (sollte) wie einem Embryo<br />

nach Einnistung in die Gebärmutter,<br />

sprich nach Eintritt der Schwangerschaft.«<br />

Grotesk wird es, wenn der Mikrobiologe<br />

Alexander Kekule das Klonen<br />

verteidigt und dabei auf die Abtreibungspraxis<br />

verweist: Während dort die Zerstörung<br />

von Embryos »alltäglich hingenommen«<br />

werde, begebe sich Deutschland<br />

mit seinem absoluten Nein zum<br />

Klonen in eine »Außenseiterrolle«, so<br />

Kekule in einem Kommentar für den<br />

Berliner »Tagesspiegel«. Wenn Abtreibung<br />

geduldet wird, könne man doch<br />

auch das Klonen erlauben, so die Argumentation<br />

vieler Klonbefürworter.<br />

Die Grünen ziehen diese Schlussfolgerung<br />

bislang noch nicht, sondern stehen<br />

»In fast allen EU-Ländern ist das<br />

Klonen von Embryonen verboten.«<br />

Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen<br />

zu ihrer ablehnenden Haltung. Bereits<br />

im Herbst 2004 bezeichnete der stellvertretende<br />

Vorsitzende der Bundestagsfraktion<br />

von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard<br />

Loske, die Forschung mit geklonten<br />

embryonalen Stammzellen als »teure<br />

Sackgasse« und verwies auf Stammzellforscher,<br />

die dies ebenso sähen. Dass<br />

Deutschland sich mit seiner restriktiven<br />

Haltung, wie Kekule behauptet, in einer<br />

»Außenseiterrolle« befände, widerlegt<br />

Loske: »Deutschland steht mit seinem<br />

Verbot des Forschungsklonens in der EU<br />

im Übrigen nicht alleine. Im Gegenteil:<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 7


TITEL<br />

In fast allen EU-Ländern ist das Klonen<br />

von Embryonen für Forschungszwecke<br />

verboten. Nur in Großbritannien und<br />

Belgien ist es erlaubt.« Die Bundestagsabgeordnete<br />

Christa Nickels unterstrich<br />

gegenüber <strong>LebensForum</strong>, dass die Grünen<br />

ihren klaren Kurs gegen das Forschungsklonen<br />

beibehalten würden. Auch<br />

die AG Gentechnik habe gegen die Förderung<br />

des Paul-Ehrlich-Preises an Wilmut<br />

protestiert. In einem Brief an Gesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt (SPD)<br />

»In diesem Jahr beginnt eine<br />

neue Zeitrechnung.«<br />

Hilmar Kopper<br />

habe man ihr die Kritik der Grünen an<br />

der Teilfinanzierung der Auszeichnung<br />

mitgeteilt. »Verhindert hat das die Preisverleihung<br />

allerdings nicht«, so Nickels.<br />

Das Vorgehen der Paul-Ehrlich-<br />

Stiftung kann sogar als versuchte Erpressung<br />

der Politik gewertet werden. Man<br />

könne nicht restriktive Gesetze machen<br />

und »die Gentechnik aus dem Land treiben<br />

und zugleich Wissenschaft und Wirtschaft<br />

beschimpfen, dass sie wegziehen«,<br />

kritisierte der Vorsitzende des Stiftungsrates<br />

der Paul-Ehrlich-Stiftung und frühere<br />

Deutsche Bank-Chef Hilmar Kopper<br />

bei seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche.<br />

Kopper, der bekanntlich die 25<br />

UN ächtet Klonen<br />

Am 8. März verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Deklaration,<br />

in der die Staaten der Welt aufgefordert werden, Gesetz zu erlassen, die sämtliche Formen des<br />

Klonens beim Menschen verbieten, da diese »unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Schutz<br />

menschlichen Lebens« seien. 89 Staaten stimmten für die Deklaration, 34 dagegen, 38, darunter<br />

viele muslimische Staaten, enthielten sich der Stimme.<br />

Dafür<br />

89<br />

WWW.UN.ORG<br />

Hat klar gegen die verbrauchende Embryonenforschung gestimmt: Die UN Vollversammlung<br />

Millionen Euro Verlust, welche die Deutsche<br />

Bank 1994 nach dem Zusammenbruch<br />

des Schneiderimmobilienimperiums<br />

hinnehmen musste, als »Peanuts«<br />

bezeichnet hatte, entpuppte sich auch bei<br />

der Feierstunde als Zyniker aller ersten<br />

Ranges: »Deutsche Unternehmen, die<br />

ihre einschlägigen Abteilungen rechtzeitig<br />

aus Deutschland verlagert haben«, lobte<br />

Kopper, »sorgen für Arbeitsplätze und<br />

zahlen Steuern. Nur eben nicht mehr<br />

hier.« Und er bekannte: Mit der Vergabe<br />

des Preises an Ian Wilmut habe man »ein<br />

Zeichen zu setzen« beabsichtigt. Dass<br />

der Preisträger in Großbritannien seit<br />

Anfang Februar tun darf, was ihn hierzulande<br />

für bis zu fünf Jahre hinter Gitter<br />

bringen würde, sei zwar, so Kopper »Zufall«,<br />

aber eben »Zufall mit Sinn«. Man<br />

hätte „keinen schöneren Zeitpunkt für<br />

die Auszeichnung« finden können, als<br />

»Möglicherweise würde damit auf<br />

eine große Chance verzichtet.«<br />

Prof. H. Michel, Max-Planck-Institut für Biophysik<br />

Dagegen<br />

34<br />

Enthaltungen<br />

38<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

den getroffenen. Denn, jubilierte Kopper,<br />

»soeben hat eine fortschrittsfreundliche<br />

Aufsichtsbehörde im Vereinigten Königreich<br />

dem Professor aus Edinburg grünes<br />

Licht gegeben, menschliche Embryonen<br />

zu klonen«. Fast konnte man den Eindruck<br />

gewinnen, die Paul-Ehrlich-Stiftung<br />

prämiere weniger einen Forscher<br />

als vielmehr eine Regierung, die 2001 als<br />

erste in Europa das Klonen von Menschen<br />

als Rohstofflieferanten legalisierte. »In<br />

diesem Jahr«, frohlockte Kopper, beginne<br />

8<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


eine »neue Zeitrechnung«. »Der Arbeit<br />

mit embryonalen Stammzellen, auch solchen,<br />

die geklont sein werden, steht nichts<br />

mehr im Wege. (...) Ein Zurück gibt es<br />

nicht mehr.«<br />

Auch ein dem <strong>LebensForum</strong> vorliegendes<br />

Schreiben der Paul-Ehrlich-<br />

Stiftung belegt, dass die Stiftung jeglichen<br />

Respekt vor der deutschen Rechtslage<br />

vermissen lässt: »Seien Sie versichert,<br />

dass der mit renommierten Wissenschaftlern<br />

international besetzte Stiftungsrat<br />

der Paul Ehrlich-Stiftung bei der Auswahl<br />

des Preisträgers sich in Übereinstimmung<br />

mit der Satzung an internationalen wissenschaftlichen<br />

Standards orientiert hat,<br />

die ganz überwiegend das therapeutische<br />

Klonen als Bestandteil der künftigen regenerativen<br />

Medizin begrüßen«, heißt es<br />

darin schwarz auf weiß. Diese »Standards«<br />

besitzen scheinbar einen höheren Wert<br />

»Das ist ein schwieriges Thema<br />

aber wir dürfen es nicht auslassen.«<br />

Franz Münterfering, SPD-Parteivorsitzender<br />

als der mit viel Bedacht und zu Recht<br />

gesetzlich manifestierte Embryonenschutz.<br />

Andere verweigern sich einer Stellungnahme<br />

wie das Robert-Koch-Institut, das<br />

über Einhaltung des Stammzellgesetzes<br />

zu wachen hat und dessen Direktor ebenfalls<br />

dem Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-<br />

Stiftung angehört: »Zur Entscheidung<br />

für den Preisträger verweisen wir auf die<br />

Äußerungen der Stiftung und des Juryvorsitzenden«,<br />

so die lapidare Antwort<br />

des Instituts.<br />

Fakt ist: Das Embryonenschutzgesetz<br />

ist in Gefahr <strong>–</strong> trotz parlamentarischer<br />

Mehrheiten. Schon vor gut einem Jahr<br />

versuchte Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries das Gesetz zu lockern. Damals<br />

sprach sich Bundestagspräsident Wolfgang<br />

Thierse (beide SPD) noch deutlich<br />

für die unbedingte Schutzwürdigkeit aus,<br />

mit der Begründung, dass derjenige, der<br />

die damalige Entscheidung des Bundestags<br />

unterlaufen wolle, »schon außerordentlich<br />

gute Argumente beibringen<br />

(muss)«. Was unter diesen »guten Argumenten«<br />

allerdings zu verstehen sei, ließ<br />

er offen. Dafür machte der SPD-Parteivorsitzende<br />

Franz Müntefering (SPD) in<br />

einem Interview mit der Wochenzeitung<br />

»Rheinischer Merkur« Anfang April deutlich,<br />

worum es seiner Partei geht. »Wir<br />

können nicht andere im Ausland forschen<br />

lassen, von ihren Ergebnissen profitieren,<br />

uns selbst aber die Hände reinwaschen.<br />

Ich weiß, dass das ein schwieriges Thema<br />

ist, aber wir dürfen es nicht auslassen«,<br />

so Müntefering, der bekannte: Er lehne<br />

das Forschungsklonen nicht ab und sei<br />

dafür offen, weiter zu gehen.<br />

Der in diesem Zusammenhang bereits<br />

schwelende Streit um die EU-Gelder für<br />

das Klonen aus Mitteln des siebten EU-<br />

Forschungsrahmenprogramms für die<br />

Jahre 2007 bis 2013 ist im Grunde aus<br />

deutscher Sicht grotesk: Schließlich hätte<br />

Deutschland von diesen Fördermitteln<br />

aufgrund der Gesetzeslage kaum etwas.<br />

Das Geld würde nur in Staaten fließen,<br />

wo das Klonen erlaubt ist. Allerdings<br />

würde eine Förderung die Argumentation<br />

der deutschen Klonbefürworter stützen.<br />

Denn die Angst, auf diesem Forschungsfeld<br />

international ins Hintertreffen und<br />

beim Kampf um die abzusteckenden<br />

Claims schließlich ins Abseits zu geraten,<br />

ist groß.<br />

Wenn in Deutschland der Embryonenschutz<br />

fallen würde, hätte das nach Lieses<br />

Meinung auch für Europa »verheerende<br />

Folgen«. Schließlich habe Deutschland<br />

»als größtes Land und als Land mit einer<br />

sehr schlimmen Vergangenheit, was den<br />

Missbrauch der medizinischen Forschung<br />

angeht, eine Führungsrolle.«<br />

Die Klon-Lobby ist stark. Zu den Befürwortern<br />

des Klonens lassen sich auch<br />

renommierte Forschungsinstitute in<br />

Deutschland zählen. So bedauerte Hartmut<br />

Michel, Professor am Max-Planck-<br />

Institut für Biophysik, die jüngste UN-<br />

Empfehlung zum Klonen: »Möglicherweise<br />

würde damit auf eine große Chance<br />

verzichtet, vielen Patienten zu helfen.<br />

Deren Lebensrecht würde durch die Akzeptanz<br />

einer solchen Entscheidung beeinträchtigt.«<br />

Trotz der starken Lobbyarbeit, die<br />

auch deutsche Forscher zurzeit leisten,<br />

dürfte es für die Bundesregierung nicht<br />

leicht werden, den Embryonenschutz<br />

aufzuweichen. Nicht zuletzt nach den<br />

Medienberichten über die rumänische<br />

Klinik sind auch einige deutsche Abgeordnete<br />

sensibilisiert worden. Auch in<br />

der SPD gäbe es, so Liese, »entschiedene<br />

Gegner des so genannten therapeutischen<br />

Klonens.« Er sei sich deshalb auch relativ<br />

sicher, dass der Bundestag keine Liberalisierung<br />

beschließen werde. Eine sehr<br />

optimistische Einschätzung. In welche<br />

Richtung der Forschungszug letztendlich<br />

fährt, lässt sich derzeit aber kaum absehen.<br />

»Es wird sehr darauf ankommen, dass<br />

sich Jeder und Jede in ihrem Umfeld für<br />

das Leben einsetzt und sich möglichst<br />

kompetent in die Debatte einschaltet«,<br />

räumt denn auch Liese ein.<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

<strong>ALfA</strong> warnt SPD vor Kurswechsel<br />

Die »Aktion Lebensrecht für Alle« (<strong>ALfA</strong>) hat<br />

die SPD vor einem Richtungswechsel beim<br />

Embryonenschutz gewarnt. »Wer Menschenleben<br />

wirtschaftlichen Interessen opfert, ist<br />

für anständige Menschen nicht mehr wählbar.<br />

Das gilt sowohl für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen,<br />

als auch für die Bundestagswahl<br />

im kommenden Jahr«, erklärte die Bundesvorsitzende<br />

Claudia Kaminski. Äußerungen<br />

von Bundeskanzler Schröder sowie des SPD-<br />

Parteivorsitzenden Müntefering, die sich binnen<br />

kurzer Zeit nacheinander unmissverständlich<br />

für das in Deutschland verbotene Klonen<br />

von Menschen zu Forschungszwecken ausgesprochen<br />

hatten, sowie die jüngsten Formulierungen<br />

von Bundesforschungsministerin<br />

Bulmahn (SPD) zur Stammzellforschung stimmten<br />

»sehr bedenklich«. »Was sich in Deutschland<br />

binnen vier Wochen zusammengebraut<br />

hat, sieht verdächtig nach einem Kurswechsel<br />

aus.« Die <strong>ALfA</strong> werde sehr genau beobachten,<br />

wie sich die Regierung bei den Verhandlungen<br />

für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm<br />

verhält. Für den Fall, dass die Regierung etwas<br />

anderes unternehme, als vehement für die<br />

Beachtung der deutschen Rechtslage zu kämpfen,<br />

sondiere man »die Möglichkeit eines<br />

übergreifenden Bündnisses von Lebensrechtlern<br />

und anderen gesellschaftlichen Gruppierun-gen«,<br />

so die Ärztin, die auch Vorsitzende<br />

des Bundesverband Lebensrecht (BVL) ist. reh<br />

Wandlungsfähig: Adulte Stammzellen<br />

Stammzellen aus haarbildenden Follikeln<br />

können sich offenbar zu Nervenzellen entwickeln.<br />

Das haben Forscher festgestellt, die<br />

Mäusen die Zellen unter die Haut verpflanzten.<br />

Eine Woche nachdem sie unter die Haut der<br />

Spendertiere verpflanzt worden waren, entwickelten<br />

sich die Stammzellen zu Nervenzellen.<br />

Nach einigen weiteren Wochen bildeten<br />

sie ebenso Hautzellen, glatte Muskelzellen<br />

und so genannte Melanozyten, in denen Hautpigmente<br />

gebildet werden. Wie die Forscher<br />

um Robert Hoffman von der University of<br />

California in San Diego zeigten, bildeten diese<br />

Stammzellen auch ein Protein, das kennzeichnend<br />

für nervenbildende Stammzellen ist.<br />

»Diese Ergebnisse deuten darauf, dass Haarfollikel<br />

als leicht zugängliche Quelle für<br />

Stammzellen genutzt werden könnten«, berichtet<br />

das <strong>Magazin</strong> »Proceedings of the National<br />

Academy of Sciences«. Stammzellen<br />

könnten künftig Ersatzgewebe bilden, die<br />

Kranken implantiert werden, bei denen das<br />

Gewebe abgestorben ist oder seine Aufgabe<br />

nicht mehr erfüllt. Zur Gewinnung von adulten<br />

Stammzellen müssen im Gegensatz zu embryonalen<br />

keine menschlichen Embryonen<br />

erzeugt und zerstört werden. reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 9


A USLAND<br />

DPA<br />

Im Zweifel für den Tod<br />

Beim Sterben Terri Schiavos wurde die Weltöffentlichkeit Zeuge der neuen »Kultur des Todes«. Der<br />

Fall Schiavo zeigt beispielhaft, was bei der aktuellen Debatte um Euthanasie und die Durchsetzung<br />

des mutmaßlichen Patientenwillens auf dem Spiel steht.<br />

Von Dr. Raymond Georg Snatzke<br />

Als Theresa Marie Schiavo im<br />

Alter von 41 Jahren am 31. März<br />

<strong>2005</strong> in Pinellas Park in Florida<br />

starb, ging ein 15jähriges Leidens- und<br />

ein achtjähriges Gerichts- und Politdrama<br />

zu Ende. Die letzten Tage des Lebens<br />

von Terri Schiavo haben die ganze Welt<br />

in Atem gehalten. Die Internetsuchmaschine<br />

»Google« verzeichnet zum Stichwort<br />

»Terri Schiavo« über sechs Millionen<br />

Webseiten.<br />

Dabei ist das, was Terri Schiavo widerfahren<br />

ist, weder neu noch ungewöhnlich.<br />

Die künstliche Ernährung von Patienten<br />

einzustellen und sie dadurch sterben zu<br />

lassen, ist nicht nur in den USA gang und<br />

gäbe, auch wenn das den meisten Menschen<br />

nicht bewusst ist. Aber durch den<br />

scharfen Streit der Angehörigen und ihre<br />

Beharrlichkeit, diesen über Jahre hinweg<br />

vor Gericht auszutragen, wurde der Fall<br />

Schiavo vor die Augen der Weltöffentlichkeit<br />

gezerrt. Dadurch steht er stellvertretend<br />

für viele ähnlich gelagerte Fälle<br />

10<br />

und die damit einhergehende gesellschaftliche<br />

Kontroverse.<br />

DIE FAKTEN<br />

Was die Öffentlichkeit zu diesem Fall<br />

von den Medien erfahren hat, ist im Wesentlichen<br />

dies: Terri Schiavo fiel 1990<br />

in ein Wachkoma, aus dem sie nicht mehr<br />

erwacht ist. Hoffnung auf Besserung gebe<br />

es nicht. Seit 1998 bemühte sich ihr Ehemann<br />

Michael, die künstliche Versorgung<br />

mit Nahrung und Flüssigkeit mittels Magensonde<br />

einstellen zu lassen. Angeblich<br />

wollte er damit Terris Wunsch durchsetzen,<br />

nicht von Maschinen am Leben erhalten<br />

zu werden. Dagegen wehrten sich<br />

die Eltern von Terri Schiavo, Mary und<br />

Robert Schindler, mit immer neuen Eingaben<br />

vor Gericht, unterlagen jedoch<br />

und konnten das dritte und nunmehr<br />

endgültige Entfernen der Magensonde<br />

am 18. März <strong>2005</strong> schließlich nicht verhindern.<br />

Auch die Kongresse Floridas<br />

»Angeblich wollte er damit Terris<br />

Wunsch durchsetzen.«<br />

und der USA, der Gouverneur Floridas<br />

Jeb Bush sowie der amerikanische Präsident<br />

George W. Bush scheiterten mit<br />

dem Versuch, die Gerichte zu zwingen,<br />

die Wiedereinsetzung der Magensonde<br />

anzuordnen.<br />

Formal scheint alles mit rechten Dingen<br />

abgelaufen zu sein. Die Schindlers<br />

gingen vor Gericht, um Michael die Vormundschaft<br />

für Terri zu entziehen, um<br />

Terris angeblichen Wunsch anzuzweifeln,<br />

in einer solchen Situation sterben zu<br />

wollen, um eine neue medizinische Beurteilung<br />

ihrer Heilungschancen durchzusetzen<br />

und wegen vieler anderer Dinge<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


mehr. Es war der Bezirksrichter George<br />

W. Greer, der die meisten dieser Anträge<br />

verhandelte und ablehnte und der auch<br />

die Entfernung der Magensonde anordnete.<br />

Gegen praktisch alle seine Beschlüsse<br />

gingen die Schindlers in Berufung -<br />

zum Teil hatte ihnen ein spezielles Eilgesetz<br />

des US-Kongresses dies erst ermöglicht<br />

<strong>–</strong> unterlagen aber auch dort.<br />

DIE STREITPUNKTE<br />

Es lohnt sich jedoch, einige Details<br />

näher anzusehen, von denen in den deutschen<br />

Medien kaum die Rede war. Da ist<br />

»Die Experten waren sich in keiner Weise über die<br />

Unumkehrbarkeit von Terri Schiavos Zustand einig.«<br />

zunächst der Gesundheitszustand von<br />

Terri Schiavo vor ihrem Tod. Richter<br />

Greer befand mehrmals, dass sich Terri<br />

Schiavo in einem Wachkoma ohne Hoffnung<br />

auf Besserung befand. Grundlage<br />

dafür waren die Aussagen mehrerer Ärzte<br />

und Scans von Terri Schiavos Gehirn, die<br />

angeblich zeigten, dass sich ihr Großhirn<br />

im Wesentlichen verflüssigt habe. Aber<br />

die Experten waren sich in keiner Weise<br />

über die Unumkehrbarkeit von Terri<br />

Schiavos Zustand einig. Sie hat eindeutig<br />

auf Reize reagiert, schluckte ihren eigenen<br />

Speichel und schien in begrenztem Ausmaß<br />

sogar auf Ansprache zu reagieren.<br />

Kurz vor der letztmaligen Entfernung<br />

der Magensonde soll sie auf die Aufforderung<br />

einer Rechtsanwältin, sie solle<br />

doch sagen »Ich will leben!«, sogar sehr<br />

laute Töne von sich gegeben haben, die<br />

sich evtl. als »Ich wiii...« (»I waaa...« im<br />

Englischen) deuten ließen. Danach soll<br />

sie geweint haben aus Frust über ihr<br />

Unvermögen, den Satz zu Ende zu sprechen.<br />

Für Richter Greer waren all das<br />

nur Reflexe, Anzeichen für Aktivitäten<br />

des Stammhirns, automatische Reaktionen<br />

wie diejenige, die »Hand von einer<br />

heißen Herdplatte zu reißen, lange bevor<br />

man darüber nachgedacht hat«, so Greer<br />

in einem Urteil vom 26. März <strong>2005</strong>. Bereits<br />

lange vorher hatte Greer immer<br />

wieder weitere offizielle Untersuchungen<br />

zu dieser Frage an Terri Schiavo untersagt,<br />

weil der Fall längst eindeutig geklärt sei.<br />

Genauso umstritten war die eigentliche<br />

Grundlage für die Entfernung der Magensonde,<br />

nämlich der angebliche<br />

Wunsch von Terri Schiavo, in einer solchen<br />

Lage nicht weiter leben zu wollen.<br />

Schriftlich hatte Frau Schiavo, die bereits<br />

mit 26 Jahren ins Wachkoma fiel, nichts<br />

zu diesem Thema hinterlassen. Ihr Mann,<br />

einer seiner Brüder und eine Schwägerin<br />

von Michael Schiavo gaben an, Terri habe<br />

mehrmals gesagt, dass sie nicht an Maschinen<br />

angeschlossen am Leben erhalten<br />

werden und anderen Menschen dadurch<br />

zur Last fallen wolle. Dies habe sie im<br />

Zusammenhang mit dem Tod der Großmutter<br />

Michael Schiavos gesagt, die eben<br />

in einer solchen Lage gestorben sei, aber<br />

auch nach einer Fernsehsendung über<br />

Menschen mit Magensonde. Demgegenüber<br />

gaben Terri Schiavos Mutter und<br />

eine Jugendfreundin von<br />

Terri an, sie habe sich sehr<br />

skeptisch gegenüber dem<br />

Abschalten lebenserhaltender<br />

Geräte gezeigt.<br />

Wieder war es Richter<br />

Greer, der diesen Streitpunkt<br />

in Richtung des<br />

Wunsches »Sterben zu<br />

wollen« entschied. Die Zeugenaussagen<br />

von Michael Schiavo, seinem Bruder und<br />

einer Schwägerin schienen ihm glaubwürdiger.<br />

Sie bezogen sich auf spätere Ereignisse<br />

und schienen ihm daher offensichtlich<br />

eben irgendwie relevanter zu sein.<br />

Auch die Glaubwürdigkeit und die<br />

Motive Michael Schiavos sind heftig umstritten.<br />

Hier wird der ganze Fall allerdings<br />

noch viel undurchsichtiger. 1992<br />

wurden Michael Schiavo über eine Million<br />

Dollar wegen ärztlichen Fehlverhaltens<br />

zugesprochen, von denen ungefähr<br />

750.000 Dollar speziell zur Rehabilitation<br />

seiner Frau verwendet werden sollten.<br />

»Für sie war die Sachlage immer eindeutig:<br />

Es besteht keine Hoffnung auf Besserung.«<br />

Stattdessen gab er von diesem Geld mindestens<br />

über eine halbe Million Dollar<br />

für Anwälte aus, um den Abbruch der<br />

künstlichen Ernährung durchzusetzen.<br />

Auch ist Michael Schiavo seit Mitte der<br />

neunziger Jahre mit einer anderen Frau<br />

liiert, mit der er zwei eigene Kinder hat.<br />

Dennoch weigerte er sich, sich von Terri<br />

scheiden zu lassen oder die Vormundschaft<br />

niederzulegen. Er hat immer betont,<br />

er wolle für den Wunsch seiner Frau<br />

kämpfen, nicht von Maschinen am Leben<br />

erhalten zu werden. Um Geld <strong>–</strong> als Ehegatte<br />

erbt er nach dem Tod Terris das<br />

restliche Vermögen <strong>–</strong> schien es ihm dabei<br />

jedoch nicht zu gehen, da ihm von dritter<br />

Seite bis zu 10 Millionen Dollar dafür<br />

geboten wurden, die Vormundschaft abzugeben.<br />

Klar ist, dass Michael bereits<br />

seit 1993 weitere Rehabilitationsmaßnahmen<br />

für seine Frau untersagt hat. Dazu<br />

kommen unbewiesene Anschuldigungen,<br />

Michael habe Terri vor ihrem Unfall missbraucht<br />

und sie habe sich von ihm scheiden<br />

lassen wollen. Alle diese Dinge spielten<br />

bei den Gerichtsverfahren über die<br />

künstliche Ernährung Terri Schiavos jedoch<br />

praktisch keine Rolle.<br />

DIE KULTUR DES TODES<br />

Von Europa aus ist es unmöglich, die<br />

strittigen Punkte zu überprüfen und die<br />

Wahrheit zweifelsfrei festzustellen. Dies<br />

gelang selbst vor Ort in keiner Weise.<br />

Doch gerade das beängstigt. Man kann<br />

sich durchaus auf den Standpunkt stellen,<br />

dass Terri Schiavos medizinische Lage<br />

aussichtslos war, dass sie in ihrer Lage<br />

wirklich nicht weiterleben hätte wollen<br />

und dass ihr Mann tatsächlich in dem<br />

Glauben gehandelt hat, nur den Wunsch<br />

seiner Frau durchzusetzen. Ein solcher<br />

Standpunkt ist kaum mit Fakten zu widerlegen.<br />

Aber ebenso wenig kann diese<br />

Position bewiesen werden. Im Gegenteil:<br />

Zu jedem einzelnen Punkt lassen sich <strong>–</strong><br />

wie die oben angeführten Beispiele zeigen<br />

<strong>–</strong> sehr große Zweifel anmelden, die ebenfalls<br />

nicht überzeugend widerlegt werden<br />

können.<br />

Richter Greer und die verschiedenen<br />

Berufungsgerichte hat all das anscheinend<br />

nicht interessiert. Für sie war die Sachlage<br />

immer eindeutig: Es besteht keine Hoffnung<br />

auf Besserung, Terri<br />

Schiavo wollte sterben und<br />

an Michael Schiavos<br />

Glaubwürdigkeit besteht<br />

keinerlei Zweifel. Liest<br />

man einige der zum Teil<br />

unfassbar schlampig abgefassten<br />

Urteile von<br />

Greer, so bekommt man<br />

den Eindruck, dass der Richter nicht das<br />

geringste Problem damit hat, mit großer<br />

Lockerheit den Tod eines Menschen anzuordnen<br />

<strong>–</strong> und dies durch langsames<br />

Verhungern und Verdursten, einer Todesart,<br />

die aufgrund ihrer Grausamkeit als<br />

Todesstrafe undenkbar wäre.<br />

Die amerikanische Justiz hat bereits<br />

in der Vergangenheit gezeigt, dass sie<br />

keine Schwierigkeiten zu haben scheint,<br />

den Tod eines unmündigen Patienten als<br />

das Beste zu betrachten, was diesem passieren<br />

kann. Der wohl drastischste Fall<br />

ereignete sich 1995, als die dreiundachtzigjährige<br />

Marjorie Nighbert nach einem<br />

Schlaganfall künstlich ernährt wurde. Der<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 11


A USLAND<br />

von Frau Nighbert mit Vollmacht ausgestattete<br />

Bruder ließ die Magensonde entfernen,<br />

woraufhin Frau Nighbert explizit<br />

um Essen bat. Ein Richter urteilte, dass<br />

Frau Nighbert geistig nicht kompetent<br />

sei, für sich selbst zu entscheiden und<br />

ihrer eigenen erteilten Vollmacht zu widersprechen.<br />

Angeblich wurde Frau<br />

Nighbert daraufhin in ihrem Bett fixiert<br />

und dem Pflegepersonal strengstens verboten,<br />

sie mit Nahrung oder Flüssigkeit<br />

zu versorgen. Frau Nighbert starb am 6.<br />

April 1995.<br />

Auch bei Terri Schiavo begnügte man<br />

sich nicht mit der Entfernung der Magensonde.<br />

Ungefähr ein Dutzend Menschen<br />

wurden bei diversen Versuchen<br />

verhaftet, Terri Schiavo Wasser zum Trinken<br />

zu bringen, da dies Richter Greer<br />

explizit verboten hatte. Ganz offensichtlich<br />

ging es nicht darum, Frau Schiavo<br />

von den Apparaten zu befreien, sondern<br />

es sollte konkret ihr Tod herbeigeführt<br />

werden. Mit passivem Sterben lassen hat<br />

das nichts mehr zu tun.<br />

»Das ist die ›Kultur des Todes‹<br />

in voller Blüte.«<br />

Eine solche Entwicklung wie im Fall<br />

Schiavo ist eigentlich nur dann erklärbar,<br />

wenn im Zweifelsfall zugunsten des Todes<br />

entschieden werden soll. Der Wunsch zu<br />

Sterben, nicht mehr der Wille zum Leben,<br />

ist offenbar die Standard-Annahme und<br />

zum Maß der Dinge geworden. Die Beweislast<br />

wurde umgekehrt: Es muss jetzt<br />

bewiesen werden, dass jemand leben will,<br />

nicht, dass er sterben will. Das ist die<br />

»Kultur des Todes« in voller Blüte.<br />

DIE INTERNATIONALE SICHT<br />

12<br />

WWW.WHITEHOUSE.GOV<br />

Auch Präsident Bushs Einsatz hat Terri Schiavos Tod nicht verhindern können.<br />

Die Vorherrschaft der »Kultur des<br />

Todes« war auch in der Berichterstattung<br />

der deutschen Medien klar zu spüren.<br />

Von »Zwangsernährung« war da die Rede<br />

und davon, in Würde »sterben zu dürfen«.<br />

Die Kommentare deutscher Institutionen<br />

waren jedoch überwiegend klar ablehnend.<br />

So betonte die Bundesärztekammer,<br />

dass in Fällen wie dem von Schiavo, in<br />

dem der mutmaßliche Wille nicht einwandfrei<br />

ermittelt werden könne, die<br />

Erhaltung des Lebens absoluten Vorrang<br />

haben müsse. Dies gebiete der Respekt<br />

vor dem Leben und der Würde des Menschen.<br />

Der Vorsitzende der Deutschen<br />

Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann,<br />

erinnerte daran, dass das Verhungernlassen<br />

eines Menschen ethisch nicht<br />

erlaubt sei. Es gehe darum, Hilfe im<br />

Sterben zu leisten, nicht aber Hilfe zum<br />

Sterben. Der Bundestagsabgeordnete<br />

Thomas Rachel erklärte für die<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass es<br />

völlig verfehlt sei, eine Entscheidung über<br />

Leben und Tod auf den mutmaßlichen<br />

Willen abzustellen.<br />

Die deutlichsten Stellungnahmen zum<br />

Tod Terri Schiavos kamen aus Rom. Vatikan-Sprecher<br />

Navarro-Valls sagte, die<br />

Umstände von Terri Schiavos Tod hätten<br />

die Gewissen der Menschen schockiert<br />

und es könne keine Ausnahmen vom Prinzip<br />

der geheiligten Natur des Lebens<br />

geben. Kardinal Saraiva Martins, Präfekt<br />

der Kongregation für Heiligsprechungen<br />

erklärte, dass ein Angriff gegen das Leben<br />

ein Angriff gegen Gott sei, den Urheber<br />

des Lebens. Kardinal Martino, der dem<br />

Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und<br />

Frieden vorsitzt, bezeichnete Terri Schiavos<br />

Tod als ungerechtes Todesurteil für<br />

eine unschuldige Person, das außerdem<br />

in einer der inhumansten und grausamsten<br />

Weisen vollstreckt wurde.<br />

POLITISCHE KONSEQUENZEN<br />

Sowohl die öffentliche Meinung in<br />

den USA als auch die Politik sind beim<br />

Fall Schiavo gespalten. Die Fronten scheinen<br />

eher zwischen Legislative/Exekutive<br />

und Judikative als zwischen Republikanern<br />

und Demokraten zu verlaufen. In den<br />

Vereinigten Staaten von Amerika könnte<br />

das Gerichtsdrama um Terri Schiavo dazu<br />

führen, dass die Rechte der Einzelstaaten<br />

weiter beschnitten werden, indem der<br />

Zugang zu Bundesgerichten bei ähnlich<br />

gelagerten Streitfällen vereinfacht wird.<br />

Auf Ebene der Bundesstaaten könnte es<br />

zu einer Überarbeitung der Regelungen<br />

bei Vormundschaften kommen.<br />

In Deutschland dürfte vor allem die<br />

Diskussion über Sterbehilfe und Patientenverfügungen<br />

beeinflusst werden. Insbesondere<br />

verdeutlicht der Fall Schiavo<br />

die Gefahren, wenn selbst beiläufige<br />

mündliche Bemerkungen als Patientenverfügung<br />

gewertet werden und diese<br />

auch dann verbindlich sein sollen, wenn<br />

sich der Betreffende nicht im Sterbeprozess<br />

befindet. Gerade in einem gesellschaftlichen<br />

Umfeld, in dem der Tod als<br />

natürliche Lösung angesehen wird, können<br />

dann sehr schnell der eigentliche<br />

Wille des Betroffenen in den Hintergrund<br />

geraten und statt dessen die Ansichten<br />

Dritter über ein lebenswertes Leben oder<br />

gar ökonomische Gründe den Ausschlag<br />

geben. Wenn sich Praktiken wie im Falle<br />

Schiavo ausweiten, kann dies auch zu<br />

einer verstärkten Akzeptanz direkter aktiver<br />

Euthanasie führen, da diese im Vergleich<br />

zu einem langsamen und qualvollen<br />

Tod durch Verdursten geradezu human<br />

erscheint.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Der in Jena lebende, promovierte Mathematiker,<br />

Jahrgang 1971, gehört der<br />

<strong>ALfA</strong> seit 1994 an. Zwei Jahre nach<br />

seinem Eintritt wurde er in den Bundesvorstand<br />

gewählt,<br />

wo er bis Juni 2004<br />

das Amt des<br />

Schriftführers im<br />

geschäftsführenden<br />

Bundesvorstand<br />

bekleidete. 1998 und 2002 war er verantwortlich<br />

für die Planung und Durchführung<br />

der Bundestagswahl-Aktionen<br />

der <strong>ALfA</strong>. Seit 1996 koordiniert er zudem<br />

die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle<br />

der <strong>ALfA</strong> in Augsburg.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


EUROPA<br />

Politikziel Abtreibung<br />

Wenn in Texten der EU von »sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheitsrechten« die Rede ist, heißt es: »Aufpassen«. Meist<br />

verbirgt sich dahinter ein Plädoyer für die Abtreibung, manchmal<br />

sogar finanzielle Mittel für Abtreibungen in Entwicklungsländern.<br />

Von Stephan Baier<br />

Als Mitte April im Europäischen<br />

Parlament in Straßburg eine<br />

Entschließung über die »Millenniums-Entwicklungsziele«<br />

verabschiedet<br />

wurde, hatten sich Christdemokraten<br />

einerseits, Liberale und Linke andererseits<br />

bereits im Vorfeld eine heftige Schlacht<br />

geliefert: Die zuständige Berichterstatterin,<br />

die britische Labour-Abgeordnete<br />

Glenys Kinnock, hatte in ihren Antrag<br />

geschrieben, die EU solle »die gesamte<br />

Palette der Familienplanungsdienste, einschließlich<br />

gegebenenfalls Abtreibung«<br />

zur Verfügung stellen und fördern. Für<br />

diese Position gab es im Entwicklungsausschuss<br />

keine Mehrheit.<br />

Andererseits fanden die Christdemokraten<br />

im Plenum keine Mehrheit, um<br />

folgende Formulierung zu verhindern:<br />

»Das Europäische Parlament fordert die<br />

Union nachdrücklich auf, auch weiterhin<br />

die Führungsrolle bei den sexuellen und<br />

reproduktiven Gesundheitsrechten zu<br />

übernehmen und einen Mittelumfang für<br />

eine breite Palette der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheitsdienste einschließlich<br />

Familienplanung, Behandlung<br />

sexuell übertragener Krankheiten und<br />

sicherer Abtreibungen, wenn diese legal<br />

sind, aufrechtzuerhalten.« Während innerhalb<br />

der Europäischen Union die Abtreibungsgesetzgebung<br />

in die Kompetenz<br />

der Mitgliedstaaten fällt, fördert und<br />

finanziert die EU also in den Entwicklungsländern<br />

Abtreibungen, wo diese<br />

»legal sind«. Garniert wird diese Forderung<br />

mit dem »Bedauern, dass progressive<br />

Politikmaßnahmen im Bereich der sexuellen<br />

und reproduktiven Gesundheitsrechte<br />

auf Widerstand stoßen, was zu<br />

einer Zunahme ungewollter Schwangerschaften<br />

und riskanter Abtreibungen<br />

führt«.<br />

Damit soll bis 2015 verlängert werden,<br />

was bereits heute Entwicklungspolitik<br />

der EU ist. Gemäß einer Verordnung des<br />

Europäischen Parlaments und des Rats<br />

von 2003 finanziert die EU nämlich bereits<br />

heute Forschungs- und Aktionsprogramme,<br />

technische Hilfe, Ausbildungsmaßnahmen,<br />

Beratung und Dienstleistungen<br />

in Entwicklungsländern, die »der<br />

Förderung der reproduktiven und sexuellen<br />

Gesundheit in den Entwicklungsländern«<br />

dienen sollen. Dabei geht es,<br />

zugegebenermaßen, auch um die Eindämmung<br />

sexueller Gewalt, um Kinder- und<br />

Frühehen, um pränatale Betreuung und<br />

um qualifizierte Geburtshelfer. Vorrangig<br />

aber geht es um Methoden der Empfängnisverhütung,<br />

um Prävention und Diagnose<br />

sexuell übertragbarer Krankheiten<br />

sowie um Aufklärungsprogramme für<br />

Jugendliche.<br />

Folgende Zieldefinition aus der rechtsrelevanten<br />

EU-Verordnung gibt zu denken:<br />

Angestrebt sei die »Verringerung<br />

»Die EU fördert und finanziert in Entwicklungsländern<br />

Abtreibungen, wo diese ›legal‹ sind.«<br />

der Zahl unsachgemäß vorgenommener<br />

Abtreibungen durch Verringerung der<br />

Zahl ungewollter Schwangerschaften mittels<br />

Bereitstellung von Familienplanung,<br />

verständnisvoller Beratung und Informationen,<br />

auch in Bezug auf Empfängnisverhütungsmethoden,<br />

und durch Investitionen<br />

in Ausbildung und Ausstattung<br />

von geeignetem Personal, einschließlich<br />

medizinischen Personals zur Bewältigung<br />

der Komplikationen aufgrund unsachgemäß<br />

vorgenommener Abtreibungen unter<br />

hygienischen und sicheren Bedingungen«.<br />

Damit ist die Finanzierung der »Ausbildung<br />

und Ausstattung von geeignetem<br />

Personal« für Abtreibungen nicht ausgeschlossen.<br />

Verringert werden soll nicht die Zahl<br />

der Abtreibungen, sondern nur die Zahl<br />

der »unsachgemäß vorgenommenen<br />

Abtreibungen«. Da nicht die EU selbst<br />

die von ihr finanzierten Projekte in den<br />

Entwicklungsländern durchführt, sondern<br />

die Finanzmittel an »zentralstaatliche,<br />

regionale und kommunale Behörden«,<br />

an »Gebietskörperschaften«, an Nicht-<br />

Regierungsorganisationen, »Basisorganisationen<br />

und andere gemeinnützige natürliche<br />

und juristische Personen« gibt,<br />

werden ihre Rechtstexte so weit wie möglich<br />

interpretiert. Nach dieser Verordnung<br />

hätte die EU keine Möglichkeit, Gelder<br />

zu sperren, wenn ihre Partner vor Ort<br />

Abtreibungen und Abtreibungspropaganda<br />

fördern <strong>–</strong> es sei denn, die Abtreibungen<br />

seien »unsachgemäß vorgenommen«.<br />

Dass man das Schlimmste vermuten darf,<br />

zeigt die Auflistung der Projektpartner,<br />

zu denen neben Nicht-Regierungsorganisationen<br />

und den jeweiligen staatlichen<br />

und regionalen Behörden auch internationale<br />

Organisationen <strong>–</strong> etwa die Fonds<br />

und Programme der UNO, Entwicklungsbanken<br />

und globale NGOs <strong>–</strong> gehören.<br />

Unter dem Titel »reproduktive und<br />

sexuelle Gesundheit und damit verbundene<br />

Rechte in den Entwicklungsländern«<br />

hat die EU für den Zeitraum von 2003<br />

bis 2006 rund <strong>74</strong> Millionen Euro bereitgestellt.<br />

Es wäre aber naiv anzunehmen,<br />

dass jene, die das Geld der europäischen<br />

Steuerzahler für Abtreibungsprojekte und<br />

Abtreibungspropaganda in den Entwicklungsländern<br />

hergeben, die mitgliedstaatliche<br />

Kompetenz in der<br />

Abtreibungsgesetzgebung<br />

innerhalb der EU unangetastet<br />

lassen. Weil es<br />

noch immer EU-Mitgliedstaaten<br />

gibt, die Abtreibungen<br />

nicht oder nur<br />

sehr eingeschränkt erlauben,<br />

kritisierte das<br />

Europäische Parlament bereits 2001 »die<br />

bestehenden Unterschiede im Bereich<br />

der sexuellen und reproduktiven Gesundheit<br />

(…) insbesondere die enormen Unterschiede<br />

beim Zugang der Frauen in<br />

Europa zu den Diensten der Reproduktionsgesundheit,<br />

zur Empfängnisverhütung<br />

und zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch<br />

(...)«.<br />

Eine Mehrheit der Europaabgeordneten<br />

beteuerte damals zwar, »dass die Abtreibung<br />

nicht als Verfahren der Familienplanung<br />

gefördert werden darf«.<br />

Zugleich ließ das Europäische Parlament<br />

aber keinen Zweifel daran, was das Ziel<br />

einer Angleichung der mitgliedstaatlichen<br />

Gesetzgebungen sei: »dass Abtreibung<br />

zur Gewährleistung der reproduktiven<br />

Gesundheit und Rechte der Frau legal,<br />

sicher und für alle zugänglich sein sollte«.<br />

In diesem Sinn forderte das Europäische<br />

Parlament »die Regierungen der Mitgliedstaaten<br />

und der Beitrittsländer auf,<br />

jegliche Verfolgungen von Frauen, die<br />

illegal abgetrieben haben, zu unterlassen«.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 13


GESELLSCHAFT<br />

Der Gigant auf<br />

dem Stuhl Petri<br />

Dass ein Papst stirbt, sei allein noch kein Grund für einen Lebensrechtler zur<br />

Feder zu greifen. Bei Johannes Paul II. sei auch das anders. Niemand habe so viel<br />

für den Lebensschutz getan wie der Gigant auf dem Stuhl Petri, findet der Autor.<br />

Von Stefan Rehder, M.A.<br />

DPA


»Wir stehen tatsächlich einer objektiven<br />

Verschwörung gegen das Leben gegenüber.«<br />

Johannes Paul II. war ein Gigant.<br />

Und Giganten lassen sich nun<br />

einmal nicht in Schablonen pressen.<br />

Schon gar nicht in solche, die mit<br />

Hilfe persönlicher Vorurteile gestanzt<br />

wurden. Wer in Johannes Paul II. einen<br />

»Papst der Widersprüche« erblickt, wie<br />

in Deutschland bereits zwei Tage nach<br />

dem Tod dieses Jahrhundert-Papstes verschiedentlich<br />

zu lesen und zu hören war,<br />

zeigt daher nur, dass er noch keinen hinreichenden<br />

Zugang zur Person und zum<br />

Denken des Polen auf dem Papstthron<br />

gefunden hat. Nicht, was Johannes Paul<br />

II. verkündete, war widersprüchlich, sondern<br />

das Echo, auf das er während seines<br />

fast 27 Jahre dauernden Pontifikats stieß.<br />

Dass sein weltweiter Einsatz für Frieden,<br />

soziale Gerechtigkeit und den Dialog der<br />

Religionen sich beinah ungeteilter Gegenliebe<br />

erfreute, während seine Positionen<br />

zur Abtreibung, zur Reproduktionsmedizin<br />

und zur Euthanasie in der Welt<br />

vielfach Unverständnis und Ablehnung<br />

hervorriefen <strong>–</strong> von der Sexualmoral ganz<br />

zu schweigen <strong>–</strong> mag viel über die Wertvorlieben<br />

unserer Zeit verraten, über<br />

Johannes Paul den Großen sagt das alles<br />

nichts.<br />

Gleichwohl darf man vermuten, dass<br />

die Reaktionen auf das, was er verkündigte,<br />

auch Johannes Paul II., der ein überaus<br />

herzlicher Mensch war, nicht kalt gelassen<br />

haben. Nur haben weder die Beifallsbekundungen<br />

noch die Missfallensäußerungen<br />

sein Denken nachhaltig zu beeinflussen<br />

vermocht. Als Stellvertreter Christi<br />

wusste sich Johannes Paul II. nicht nur<br />

Höherem verpflichtet, als Philosoph dachte<br />

er auch in ganz anderen Kategorien<br />

als in denen von Zustimmung und Ablehnung,<br />

Erfolg und Misserfolg. Der »Löwe«,<br />

wie ihn Spiegel-Autor Matthias Matussek<br />

nennt, dachte in Kategorien, die<br />

durch Begriffe wie Wahrheit, Freiheit,<br />

Liebe und Glück repräsentiert werden.<br />

Und er dachte sie zusammen. In seinem<br />

letzten, Anfang des Jahres erschienenen<br />

Buch »Erinnerung und Identität« erläutert<br />

Johannes Paul II. ihren Zusammenhang<br />

noch einmal ausführlich. Vereinfacht<br />

lässt er sich wie folgt wiedergeben: Ohne<br />

Wahrheit keine Freiheit, ohne Freiheit<br />

keine Liebe und ohne Liebe kein Glück.<br />

Aber auch wer Johannes Paul II. für<br />

ein einziges der vielen Themen, derer er<br />

sich in seinem langen Pontifikat mit besonderer<br />

Intensität annahm, nachträglich<br />

zu vereinnahmen sucht, würde dem Giganten<br />

auf dem Stuhl Petri nicht gerecht.<br />

Das gilt selbst für den Lebensschutz, auch<br />

wenn Johannes Paul II. diesem und seinen<br />

heute mannigfaltigen Bedrohungen sein<br />

ganzes Pontifikat über zweifelsfrei einen<br />

besonderen Stellenwert beimaß.<br />

»In der Geschichte jeder Kultur taucht<br />

oft eine große, entscheidende Frage auf.<br />

Für die USA im 19. Jahrhundert war das<br />

die Sklavenfrage, für das Deutschland der<br />

30er Jahre die Judenfrage. In der Sicht<br />

Johannes Pauls II. war die Abtreibung<br />

(...) das Thema für die sich entwickelnde<br />

Weltkultur, das die freien Gesellschaften<br />

der Zukunft stärken oder korrumpieren<br />

würde«, urteilt denn auch der US-Amerikaner<br />

George Weigel, der mit »Zeuge<br />

der Hoffnung« (Paderborn 1999) die<br />

wohl mit Abstand beste Biographie Papst<br />

Johannes Pauls II. vorgelegt hat, die bisher<br />

erschienen ist.<br />

Eine Sicht, mit der Johannes Paul II.,<br />

anders als es seine Kritiker gerne darzustellen<br />

pflegen, in der Kirche alles andere<br />

als allein stand und mit der er einmal<br />

mehr seinem Selbstverständnis als<br />

»Diener der Diener Gottes« Ausdruck<br />

verlieh. Denn wie er in der Einführung<br />

der 1995 erschienenen Enzyklika »Evangelium<br />

vitae« schreibt, war er drei Jahre<br />

zuvor von den Kardinälen, die zu einem<br />

außerordentlichen Konsistorium in Rom<br />

weilten, »einstimmig ersucht« worden,<br />

»den Wert des menschlichen Lebens und<br />

seine Unantastbarkeit unter Bezugnahme<br />

auf die gegenwärtigen Umstände und<br />

Angriffe, von denen es heute bedroht<br />

wird, mit der Autorität des Nachfolgers<br />

Petri zu bekräftigen.«<br />

»EVANGELIUM VITAE« FINDET ECHO<br />

CHRISTOPH HURNAUS<br />

Wurde zum Gewissen der Welt: Johannes Paul II.<br />

Dass im Denken Johannes Pauls II.<br />

der Einsatz der Kirche für soziale Gerechtigkeit<br />

und den Lebensschutz alles andere<br />

als ein Widerspruch ist, zeigt denn auch<br />

die anschließende Passage, in der er festhält:<br />

»Wie es vor einem Jahrhundert die<br />

Arbeiterklasse war, die in ihren fundamentalsten<br />

Rechten unterdrückt und von<br />

der Kirche mit großem Mut in Schutz<br />

genommen wurde, in dem sie die heiligen<br />

Rechte der Person des Arbeiters herausstellte,<br />

so weiß sie sich jetzt, wo eine<br />

andere Kategorie von Personen in ihren<br />

grundlegenden Lebensrechten unterdrückt<br />

wird, verpflichtet, mit unvermindertem<br />

Mut den Stimmlosen Stimme zu<br />

sein.«<br />

Mit Ausnahme von Deutschland stieß<br />

die Enzyklika auf ein sehr positives Echo.<br />

Das amerikanische Nachrichtenmagazin<br />

»Newsweek« widmete ihr gar eine Titelgeschichte,<br />

in der »Evangelium vitae«<br />

als »die klarste, leidenschaftlichste und<br />

imponierendste« Enzyklika des Papstes<br />

gelobt wurde. Und selbst der in London<br />

erscheinende »Independent« zollte dem<br />

264. Stellvertreter Christi auf Erden als<br />

der »einzigen wahrhaft globalen Führungspersönlichkeit«,<br />

die es noch gebe,<br />

Respekt.<br />

Ausdrücklich stellt Johannes Paul II.<br />

auch in diesem Schreiben die Kontinuität<br />

der kirchlichen Lehre zum II. Vatikanischen<br />

Konzil her: »Wenn ich mir nun im<br />

Abstand von dreißig Jahren die Worte<br />

der Konzilsversammlung zu eigen mache,<br />

erhebe ich im Namen der ganzen Kirche<br />

(...) noch einmal und mit gleichem Nachdruck<br />

klagend meine Stimme.« Und die<br />

Pastoralkonstitution »Gaudium et spes«<br />

zitierend, fährt er fort: »Was ferner zum<br />

Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede<br />

Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie<br />

und auch der freiwillige Selbstmord;<br />

was immer die Unantastbarkeit<br />

der menschlichen Person verletzt, wie<br />

Verstümmelung, körperliche oder seelische<br />

Folter und der Versuch, psychischen<br />

Zwang auszuüben; was immer die<br />

menschliche Würde angreift, wie unmenschliche<br />

Lebensbedingungen, willkürliche<br />

Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei,<br />

Prostitution, Mädchenhandel und<br />

Handel mit Jugendlichen, sodann auch<br />

unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen<br />

der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel<br />

und nicht als freie und verantwortliche<br />

Person behandelt wird: all diese und andere<br />

ähnliche Taten sind an sich schon<br />

eine Schande; sie sind eine Zersetzung<br />

der menschlichen Kultur, entwürdigen<br />

weit mehr jene, die das Unrecht tun, als<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 15


GESELLSCHAFT<br />

Johannes Paul II.: Im Dialog mit der Welt und den Religionen.<br />

jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in<br />

höchstem Maße ein Widerspruch gegen<br />

die Ehre des Schöpfers.«<br />

»Weit davon entfernt, sich einschränken<br />

zu lassen«, sei dieses »beunruhigende<br />

Panorama« heute »in Ausdehnung<br />

begriffen«. Die Tatsache, dass viele Länder<br />

»in Abweichung von den Grundprinzipien<br />

ihrer Verfassungen« Gesetze erlassen<br />

hätten, welche die »gegen das Leben<br />

gerichteten Praktiken« nicht nur nicht<br />

bestrafen, sondern ihnen mitunter »gar<br />

volle Rechtmäßigkeit« zuerkennen, bewertete<br />

der Papst, der zum »Gewissen<br />

der Welt« wurde, als »keineswegs nebensächliche<br />

Ursache« für den schweren<br />

»moralischen Verfall«, der ihn schließlich<br />

von einer »Kultur des Todes« reden ließ.<br />

»KULTUR DES LEBENS« SICHERT FREIHEIT<br />

Johannes Paul II. war sich nicht nur<br />

ihres ganzen Ausmaßes bewusst, er wusste<br />

auch um die sie treibenden Kräfte und<br />

scheute sich nicht, sie beim Namen zu<br />

nennen. In »Evangelium Vitae« schrieb<br />

er: »Das 20. Jahrhundert wird als eine<br />

Epoche massiver Angriffe auf das Leben,<br />

als endlose Serie von Kriegen und andauernde<br />

Vernichtung unschuldiger Menschenleben<br />

gelten«. Wir stünden, so Johannes<br />

Paul II. weiter, »tatsächlich einer<br />

objektiven ‚Verschwörung gegen das Leben'<br />

gegenüber, die auch internationale<br />

Institutionen einschließt, die mit großem<br />

Engagement regelrechte Kampagnen für<br />

die Verbreitung der Empfängnisverhütung,<br />

der Sterilisation und der Abtreibung<br />

anregen und planen.« Auch lasse sich<br />

nicht leugnen, »dass sich die Massenmedien<br />

häufig zu Komplizen dieser Verschwörung<br />

machen, indem sie jener Kultur,<br />

die die Anwendung der Empfängnisverhütung,<br />

der Sterilisation, der Abtreibung<br />

und selbst der Euthanasie als<br />

Zeichen des Fortschritts und als Errungenschaft<br />

der Freiheit hinstellt, in der<br />

öffentlichen Meinung Ansehen verschaffen,<br />

während sie Positionen, die bedingungslos<br />

für das Leben eintreten, als<br />

freiheits- und entwicklungsfeindlich<br />

beschreibt.«<br />

Ein Recht auf Abtreibung<br />

und Euthanasie zu fordern<br />

und es gesetzlich anzuerkennen,<br />

bedeute »der menschlichen<br />

Freiheit eine perverse,<br />

abscheuliche Bedeutung<br />

zuzuschreiben: nämlich<br />

die einer absoluten<br />

Macht über die anderen und<br />

gegen die anderen.« Das<br />

aber sei »der Tod der wahren<br />

Freiheit«.<br />

Wenn Johannes Paul II.<br />

über die »Kultur des Lebens«<br />

nachdachte, die er als<br />

Gegenmodell zu der<br />

»Kultur des Todes« empfahl,<br />

so dachte er immer<br />

zugleich auch über die<br />

sittlichen Grundlagen einer freien Gesellschaft<br />

nach. In Abschnitt 20 der Enzyklika<br />

zeigte Johannes Paul II. denn schonungslos<br />

auf, wohin Gesellschaften driften, in<br />

denen die »grundlegende Verbindung<br />

der Freiheit mit der Wahrheit« nicht<br />

mehr anerkannt und respektiert wird:<br />

»Wenn die Förderung des eigenen Ich<br />

als absolute Autonomie verstanden wird,<br />

gelangt man unvermeidlich zur Verneinung<br />

des anderen, der als Feind empfunden<br />

wird, gegen den man sich verteidigen<br />

muss. Auf diese Weise wird die Gesellschaft<br />

zu einer Gesamtheit von nebeneinanderstehenden<br />

Individuen, die aber keine<br />

gegenseitigen Beziehungen haben: ein<br />

jeder will sich unabhängig vom anderen<br />

CHRISTOPH HURNAUS<br />

behaupten, ja seinen eigenen Interessen<br />

Vorteil verschaffen. Angesichts gleichartiger<br />

Interessen des anderen muss man<br />

jedoch nachgeben und eine Art Kompromiss<br />

suchen, wenn man in der Gesellschaft<br />

jedem die größtmögliche Freiheit garantieren<br />

will.« Auf diese Weise schwinde<br />

»jeder Bezug zu gemeinsamen Werten<br />

und zu einer für alle geltenden absoluten<br />

Wahrheit: das gesellschaftliche Leben<br />

läuft Gefahr, in einen vollkommenen<br />

Relativismus abzudriften.« Ihn ihm lasse<br />

sich »über alles verhandeln« und »alles<br />

vereinbaren«, einschließlich des Rechts<br />

auf Leben, das Johannes Paul II. das »erste<br />

Grundrecht« nannte.<br />

DER WEG ZUM TOTALITARISMUS<br />

Genau das ereigne sich, so Johannes<br />

Paul II. weiter, denn auch tatsächlich<br />

gegenwärtig im politisch-staatlichen Bereich:<br />

»Das ursprüngliche, unveräußerliche<br />

Recht auf Leben wird auf Grund<br />

einer Parlamentsabstimmung oder des<br />

Willens eines <strong>–</strong> sei es auch mehrheitlichen<br />

<strong>–</strong> Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt<br />

oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis<br />

eines unangefochten herrschenden<br />

Relativismus: das ›Recht‹ hört auf Recht<br />

zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf<br />

die unantastbare Würde der Person gründet,<br />

sondern dem Willen des Stärkeren<br />

unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet<br />

die Demokratie ungeachtet ihrer<br />

Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus.<br />

Der Staat ist nicht mehr das<br />

›gemeinsame Haus‹, in dem alle nach den<br />

Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben<br />

können, sondern er verwandelt sich in<br />

einen tyrannischen Staat, der sich anmaßt,<br />

im Namen einer allgemeinen Nützlichkeit<br />

<strong>–</strong> die in Wirklichkeit nichts anderes als<br />

das Interesse einiger weniger ist <strong>–</strong> über<br />

das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten,<br />

vom ungeborenen Kind bis zum<br />

alten Menschen, verfügen zu können.«<br />

All das geschehe, so der verstorbene<br />

Papst, »scheinbar ganz auf dem Boden<br />

der Legalität, zumindest wenn über die<br />

Gesetze zur Freigabe der Abtreibung und<br />

der Euthanasie nach den so genannten<br />

demokratischen Regeln abgestimmt<br />

wird.« Tatsächlich stünden wir »lediglich<br />

einem tragischen Schein von Legalität<br />

gegenüber, der auch das demokratische<br />

»Der Schutz und die Förderung des menschlichen<br />

Lebens sind die vorrangige Aufgabe des Staates.«<br />

Ideal, das es tatsächlich ist, wenn es denn<br />

die Würde jeder menschlichen Person<br />

anerkennt und schützt«, in seinen Grundlagen<br />

verrate: »Wie kann man«, fragt Johannes<br />

Paul II., »noch von Würde jeder<br />

menschlichen Person reden, wenn die<br />

Tötung des schwächsten und unschuldigsten<br />

Menschen zugelassen wird? Im Namen<br />

welcher Gerechtigkeit begeht man<br />

unter den Menschen die ungerechteste<br />

aller Diskriminierungen, indem man ei-<br />

16<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


nige von ihnen für würdig erklärt verteidigt<br />

zu werden, während anderen diese<br />

Würde abgesprochen wird?«. Wenn solche<br />

Zustände herrschten, seien »bereits<br />

jene Dynamismen ausgelöst, die zum<br />

Zerfall eines echten menschlichen Zusammenlebens<br />

und zur Zersetzung der<br />

staatlichen Realität führen.«<br />

Das »Evangelium vom Leben« hat<br />

Johannes Paul II. auch denen stets eindringlich<br />

verkündet, die nicht unbedingt<br />

im Verdacht stehen, zu den eifrigsten<br />

Lesern päpstlicher Lehrschreiben zu zählen,<br />

sei es gelegen oder ungelegen. In<br />

einer seiner letzten Ansprachen, beim<br />

Neujahresempfang für das Diplomatische<br />

Corps in Rom, hat er denn auch den<br />

Schutz des Lebens als »die erste Herausforderung«<br />

bezeichnet. Im Laufe der<br />

letzten Jahre sei, so der Papst, »diese Herausforderung<br />

immer größer und entscheidender<br />

geworden«. Dabei liege der<br />

Schwerpunkt »vor allem auf dem Beginn<br />

des menschlichen Lebens, dem Moment,<br />

in dem der Mensch am schwächsten ist<br />

und am meisten des Schutzes bedarf«.<br />

Vor den beim Heiligen Stuhl akkreditierten<br />

Botschaftern von 1<strong>74</strong> Staaten betonte<br />

er: »Der Schutz und die Förderung des<br />

menschlichen Lebens sind die vorrangige<br />

Aufgabe des Staates.«<br />

EINGRIFFE IN DAS WELTGESCHEHEN<br />

Als Vordenker und globaler Mahner<br />

hat Johannes Paul II. jedoch nicht nur<br />

die Blaupausen geliefert, mit deren Hilfe<br />

Menschen guten Willens überall auf der<br />

Welt denn auch tatsächlich begonnen<br />

haben, ein gerechteres Zusammenleben<br />

zu organisieren, auch auf dem Feld des<br />

Lebensschutzes griff er des öfteren<br />

höchstpersönlich in das nationale wie in<br />

das Weltgeschehen ein. Als Erzbischof<br />

von Krakau etwa rief er Ende der 60er<br />

Jahre ein Institut ins Leben, das sich unter<br />

anderem um die Behandlung psychischer<br />

Folgeschäden kümmerte, an denen Frauen<br />

nach einer Abtreibung regelmäßig<br />

leiden. Und noch vier Tage vor seinem<br />

Tod ließ Johannes Paul II. der italienischen<br />

Lebensschutz-Vereinigung »Movimento<br />

per la Vita« (Bewegung für das Leben)<br />

25.000 Euro zukommen, die für das<br />

»Gemma-Projekt« verwendet werden<br />

sollen, das Frauen vor und nach der Geburt<br />

ihres Kindes für eine Dauer von 18<br />

Monaten finanziell unterstützt. In<br />

Deutschland ist vor allem das überaus<br />

geduldige Beharren Johannes Pauls II.,<br />

mit dem er schließlich dafür sorgte, dass<br />

von der Kirche getragene Beratungsstellen<br />

keine Scheine mehr ausstellten, welche<br />

vom Gesetzgeber als die entscheidende<br />

Voraussetzung für eine straffreie vorgeburtliche<br />

Kindstötung betrachtet werden,<br />

noch gut, wenn auch nicht überall in<br />

gleich guter Erinnerung. Weit weniger<br />

bekannt ist hierzulande jedoch, dass es<br />

Johannes Paul II. war, der letztlich verhindert<br />

hat, dass die Vereinigten Staaten<br />

von Amerika unter der Clinton-<br />

Administration auf der Weltkonferenz<br />

für Bevölkerung und Entwicklung 1994<br />

in Kairo ein weltweites Recht auf Abtreibung<br />

durchsetzten und dabei drohten,<br />

Ländern, die sich widersetzten, die Auslandshilfen<br />

zu kürzen. Laut seinem Biographen<br />

Weigel ging es in Kairo dabei<br />

um nicht weniger als um »die entscheidende<br />

Menschenrechtsfrage der 90er<br />

Jahre«. Was der Papst in diesem Zusammenhang<br />

alles persönlich unternahm und<br />

wozu er seine Mitarbeiter anhielt, lässt<br />

dem Leser geradezu den Atem stocken.<br />

Weigels Fazit: »Ohne die beharrliche<br />

Kampagne Johannes Pauls in den Monaten<br />

zuvor wäre die Kairoer Konferenz<br />

höchstwahrscheinlich anderes verlaufen.<br />

Der Papst hatte nicht akzeptiert, dass die<br />

Kirche - wie es das politische Drehbuch<br />

wollte - für diese Debatte irrelevant war.«<br />

Dadurch seien Verlauf und Ergebnis der<br />

Konferenz entscheidend gestaltet worden.<br />

»Die moralische Argumentation war, wie<br />

sich zeigte, imstande, einen wirksamen<br />

Widerstand dagegen zu organisieren,<br />

dass gewisse Lebensstile<br />

der ersten Welt<br />

durch internationales Recht<br />

und Auslandshilfe dem Rest<br />

der Menschheit aufgezwungen<br />

wurde.«<br />

Damit nicht genug,<br />

gelang es mit Hilfe des<br />

Papstes, dass das Augenmerk<br />

der Kairoer<br />

Bevölkerungskonferenz<br />

von der »Geburtenkontrolle«<br />

zur »Stärkung der<br />

Frauen« verschoben wurde.<br />

Dass man im Denken<br />

Johannes Pauls II.<br />

etwa von der sozialen<br />

Frage ausgehend,<br />

über<br />

den Schutz<br />

des Lebens<br />

plötzlich<br />

bei einem<br />

spezifischen<br />

Feminismus<br />

auskommen<br />

kann, der Frauen vor der sexuellen<br />

Ausbeutung durch Männer Schutz<br />

bietet, mag ein weiterer Hinweis dafür<br />

sein, wie in der Lehre Johannes Paul II.<br />

eins geradezu organisch ins andere greift.<br />

MAGNET FÜR DIE JUGENDLICHEN<br />

Dass vor allem die Jugendlichen von<br />

Johannes Paul II. so fasziniert sind, mag<br />

neben seiner Herzlichkeit auch daran<br />

liegen, dass sie sich in den Lebenslügen,<br />

von denen die heutige Welt nicht wenige<br />

bereithält, noch nicht häuslich eingerichtet<br />

haben. Für sie war Johannes Paul II.<br />

nicht der »Papst der Widersprüche«,<br />

sondern das »Gewissen der Welt«. Sie<br />

haben, wenn vielleicht auch nicht immer<br />

reflektiert, so doch gespürt, dass hier einer<br />

war, der keine selbst zusammengeschusterten<br />

Lehren verbreitete, sondern einer,<br />

der ihnen die tiefe Wahrheit über den<br />

Menschen entfaltete.<br />

CHRISTOPH HURNAUS<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


GESELLSCHAFT<br />

Schützt die Kinder!<br />

Weil Abtreibungen »straffrei« möglich sind, ist der Mutterleib zum gefährlichsten Ort der Welt<br />

geworden. Wer das Leben ungeborener Kinder wirksam schützen will, muss eine neue Debatte über<br />

die Bestrafung der Täter beginnen, findet der Autor und zettelt sie hier gleich selber an.<br />

Von Bischof Dr. Andreas Laun<br />

Tiger sind eine gefährdete Tierart,<br />

darum ist es streng verboten,<br />

sie zu jagen. Ungeborene<br />

Kinder sind auch gefährdet, aber nicht<br />

geschützt. Ich wollte, die ungeborenen<br />

Kinder wären Tiger. Dann wären auch<br />

sie geschützt, wie die Tiger.<br />

Tiger sind vor allem schön und ihr<br />

Nutzen gering. Kinder sind schön und<br />

bittet seine Landsleute geradezu flehend:<br />

»Bitte, bringt mehr Kinder zur Welt!«<br />

Werden Kinder, seltener und kostbarer<br />

»Rohstoff« der sie sind, deswegen geschützt?<br />

Nein, die Jagd auf sie, erklärt man uns,<br />

ist ein Menschenrecht. Das Europäische<br />

Parlament <strong>–</strong> lauter Geborene, deren Bejagung<br />

streng verboten ist <strong>–</strong> will sogar,<br />

geschützt wäre. Aber eben nur »eigentlich«,<br />

in Wirklichkeit nämlich nicht.<br />

Der Schutzschild des Gesetzes, unter dem<br />

die Menschen in Europa ziemlich sicher<br />

und gut leben können, beginnt erst nach<br />

der Geburt so richtig.<br />

Es war eine kulturelle Höchstleistung,<br />

den gesetzlichen Lebensschutz für alle<br />

einzurichten. Aber merkwürdigerweise<br />

gilt es heute als geradezu unmoralisch,<br />

diesen Schutz wieder auf ungeborene<br />

Kinder ausdehnen zu wollen. Was im<br />

Mutterleib geschieht, »geht keinen was<br />

an« <strong>–</strong> nicht wahr? Ach wären die Kinder<br />

doch Tiger, dann wären sie geschützt,<br />

erst recht, wenn die Tigermama trächtig<br />

ist.<br />

Europa ist einen unheimlichen Weg<br />

gegangen, es hat sich auf einen »slippery<br />

slope« begeben und seither rutscht es<br />

nach unten:<br />

Ob in Gefangenschaft oder in Freiheit: Tiger genießen einen höheren Schutz als ungeborene Menschenkinder.<br />

unendlich mehr als nur schön. Sie sind<br />

nicht nur nützlich, sondern wir brauchen<br />

sie dringend wie den sprichwörtlichen<br />

Bissen Brot.<br />

Das sagen heute verspätet, aber doch<br />

alle, sogar der deutsche Bundeskanzler<br />

18<br />

dass die Babyjagd bezahlt wird von den<br />

Steuergeldern.<br />

So ist das heutige Europa, und die<br />

gefährlichste Zeit des menschlichen Lebens<br />

sind jene neun Monate, in denen<br />

der Mensch »eigentlich« besonders gut<br />

WWW.PIXELQUELLE.DE<br />

• Abtreibung ist ein schweres Unrecht,<br />

Abtreibung wird bestraft. Das war der<br />

Ausgangspunkt.<br />

• Dann hieß es: Abtreibung ist Unrecht,<br />

Abtreibung ist verboten, aber es wird<br />

nicht bestraft.<br />

• Die Menschen auf der Straße sagten:<br />

Also ist Abtreibung erlaubt. Inzwischen<br />

sagen es auch die Politiker.<br />

• Erlaubt? Schon wieder überholt: Abtreibung<br />

ist Menschenrecht, heißt es,<br />

und die Politiker versprechen: Wir verhelfen<br />

den Frauen zu ihrem „Recht“ <strong>–</strong><br />

etwa in Salzburg am Landeskrankenhaus,<br />

das seinerzeit von einem Erzbischof<br />

gegründet wurde.<br />

• Wer soll das bezahlen? Das Europäische<br />

Parlament forderte erst kürzlich: der<br />

Steuerzahler.<br />

• Und jetzt will die Sozialistische Partei<br />

Österreichs auch wieder Strafe <strong>–</strong> nicht<br />

für Abtreiber, sondern für Lebensschützer,<br />

die Frauen auf dem Weg zur Abtreibung<br />

belästigen. Belästigen? Ja, etwa<br />

durch Rosenkranzbeten oder gar durch<br />

Hilfsangebote, die das Kind retten<br />

könnten.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


Kämpft für Ungeborene: Bischof Dr. Andreas Laun<br />

»Es ist unbestreitbar die heikelste Frage der<br />

Abtreibungsdebatte: Soll man Frauen bestrafen?«<br />

So geht der Weg von Strafe zu Strafe:<br />

Strafe <strong>–</strong> nicht bestraft <strong>–</strong> erlaubt <strong>–</strong> Menschenrecht<br />

<strong>–</strong> Hilfe und Geld für jene, die<br />

ihr »Menschenrecht« wahrnehmen wollen<br />

<strong>–</strong> (...) und wieder Strafe, aber jetzt<br />

nicht mehr für Abtreiber, sondern für<br />

Lebensschützer.<br />

Es ist unbestreitbar die heikelste Frage<br />

der Abtreibungsdebatte: »Soll man Frauen<br />

bestrafen?« Ein schriller Aufschrei ist<br />

die Antwort auf eine politisch so unkorrekte<br />

Frage, und der Fragesteller soll sich<br />

schämen ob seiner moralischen Verworfenheit:<br />

Strafen? Eine Frau? Niemals!<br />

Aber die Frage ist anders zu stellen:<br />

Sollte man die ungeborenen Kinder nicht<br />

unter den Schutzschild des Gesetzes holen?<br />

Sind wir Geborene nicht unendlich<br />

dankbar, dass es diesen Schild gibt, und<br />

überzeugt, dass er gut ist? Sollte man<br />

nicht die Diskussion, die »damals« abgebrochen<br />

wurde, neu aufgreifen und fragen,<br />

wie ein solches Gesetz ausschauen könnte,<br />

das die Kinder schützt und die verschiedenen<br />

Tätergruppen abschreckt?<br />

Der jüdische Schriftsteller Joseph Roth<br />

sagt einmal, in allen »gesitteten Staaten«<br />

der Welt werde Abtreibung bestraft. Für<br />

ihn war das noch selbstverständlich, und<br />

die in seinem Sinn »gesitteten Länder«<br />

sind fast gänzlich verschwunden.<br />

Was man in normalen Zeiten kaum<br />

glauben kann, bestätigt sich wieder einmal:<br />

Ideologische Verblendungen sind<br />

stärker als Fakten und sogar als der Eigennutz:<br />

Uns bedroht heute - in noch<br />

nicht ganz vorstellbarem Ausmaß <strong>–</strong> das<br />

ARCHIV<br />

Fehlen jener Kinder, die wir verhütet<br />

oder abgetrieben haben <strong>–</strong> und dennoch<br />

besteht man unbeirrbar auf dem »Recht«<br />

abzutreiben und will, so eine Forderung<br />

des EU-Parlaments, Abtreibung mit den<br />

Mitteln des Steuerzahlers noch leichter<br />

machen als sie es schon ist.<br />

Man vergleiche: Der Gefahr der Verkarstung<br />

begegnet man mit Schlägerungs-<br />

Verboten, das Edelweiß schützt man<br />

durch das Verbot, es zu pflücken, und<br />

gefährdete Tierarten rettet man durch<br />

Jagdverbote. Überall, wo ein Lebewesen<br />

in Gefahr ist, hält man Verbote, Strafen<br />

und Überwachungskameras für hilfreich<br />

- nur bei den Kindern behauptet man,<br />

Verbote nützten nichts. Im Gegenteil,<br />

man erleichtert weiterhin ihre Vernichtung<br />

und will Lebensschützer durch Gesetz<br />

und Strafe hindern, abtreibungswillige<br />

Frauen durch Worte und Hilfsangebote<br />

umzustimmen.<br />

Das Gebot Gottes »Du sollt nicht<br />

morden« hat Hitler abschätzig eine »jüdische<br />

Erfindung« genannt, und den Führerwillen<br />

an seine Stelle gesetzt. Wir<br />

reden nicht mehr von »jüdischer Erfindung«,<br />

wir reden nicht mehr darüber<br />

und behaupten, unsere »Mehrheit« sei<br />

Gott ebenbürtig und könne<br />

aus »gut« ein »böse«<br />

machen und aus »böse«<br />

ein »gut«.<br />

Der Prophet Jesaja<br />

(5,20-30) kannte das<br />

Phänomen: »Weh denen,<br />

die das Böse gut und das<br />

Gute böse nennen, die die<br />

Finsternis zum Licht und das Licht zur<br />

Finsternis machen (...).« Die Folgen, sagt<br />

der Prophet, werden furchtbar sein:<br />

»Darum entbrennt der Zorn des Herrn<br />

gegen sein Volk; er streckt seine Hand<br />

aus gegen das Volk und schlägt zu. Da<br />

erzittern die Berge, und die Leichen liegen<br />

auf den Gassen wie Abfall (...). Wohin<br />

»Weh denen, die das Böse gut und<br />

das Gute böse nennen.«<br />

Jesaja (5, 20-30)<br />

man blickt auf der Erde: nur Finsternis<br />

voller Angst; das Licht ist durch Wolken<br />

verdunkelt.« Der Grund: »Denn sie haben<br />

die Weisung des Herrn der Heere<br />

von sich gewiesen und über das Wort des<br />

Heiligen Israels gelästert.« Ach ja, Jesaja<br />

<strong>–</strong> wer soll das schon sein, wir haben doch<br />

Staat und Kirche feinsäuberlich »getrennt«.<br />

ARCHIV<br />

Was mich betrifft, gebe ich zu: Seit<br />

geraumer Zeit habe ich Angst auch für<br />

die schon Geborenen, auch für mich<br />

selbst. Das Blutvergießen an den Kindern,<br />

die Verhöhnung des Gebotes Gottes,<br />

diese ungeheuerliche »Lästerung des<br />

Herrn« kann nicht ohne Folgen bleiben.<br />

In der Geschichte sind blutige Ideen noch<br />

»Seit geraumer Zeit habe ich Angst<br />

auch für die Geborenen.«<br />

immer zu blutigen Tagen geworden. Ich<br />

weiß nicht, wie und wo und wann die<br />

bösen Folgen auftauchen werden, aber<br />

ich bin überzeugt: sie werden kommen <strong>–</strong><br />

und dann wehe uns und wehe den nächsten<br />

Generationen!<br />

Soviel ist sicher: In den ersten Monaten<br />

des Lebens wäre jedem europäischen<br />

Embryo und Fötus zu wünschen, er wäre<br />

ein Tiger! Ich bin für den Tigerschutz,<br />

aber noch mehr den der Kinder!<br />

IM PORTRAIT<br />

Bischof Dr. Andreas Laun<br />

Der Autor, 1942 in Wien geboren, ist<br />

Weihbischof in der Erzdiözese Salzburg.<br />

Nach dem Studium der Philosophie in<br />

Salzburg und der<br />

Theologie in Eichstätt<br />

sowie Fribourg<br />

wurde er 1967 in<br />

Eichstätt zum Priester<br />

geweiht. 1973<br />

promovierte der<br />

Salesianerpater über »Die naturrechtliche<br />

Begründung der Ethik in der neueren<br />

katholischen Moraltheologie«. 1981<br />

habilitierte er sich mit einer Arbeit über<br />

den »Liebesbegriff des heiligen Franz<br />

von Sales und sein Verständnis der zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen«. Laun<br />

lehrte Moraltheologie an den Hochschulen<br />

in Heiligenkreuz, Benediktbeuern<br />

und Eichstätt. 1993 nahm er als Vertreter<br />

der Österreichischen Bischofskonferenz<br />

an der UN-Weltbevölkerungskonferenz<br />

in Kairo teil. 1995 ernannte ihn der Papst<br />

zum Weihbischof in Salzburg. Auch als<br />

Buchautor machte sich Bischof Laun<br />

einen Namen, z.B. mit Veröffentlichungen<br />

zu »Liebe & Partnerschaft«,<br />

»Homosexualität aus katholischer Sicht«<br />

und »Unterwegs nach Jerusalem. Die<br />

Kirche auf der Suche nach ihren jüdischen<br />

Wurzeln«.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 19


GESELLSCHAFT<br />

WJT <strong>2005</strong><br />

Vom 16. bis 21. August findet in Köln der XX. Weltjugendtag statt.<br />

Papst Benedikt XVI. hatte noch am Tag seiner Wahl sein<br />

Kommen zugesagt. Aktiv dabei sind auch die <strong>ALfA</strong> und die<br />

»Jugend für das Leben«.<br />

Wir sind gekommen, um ihn<br />

anzubeten«, wird es diesen<br />

August heißen. Voraussichtlich<br />

800.000 meist junge Menschen werden<br />

sich dann in Köln zum XX. Weltjugendtag<br />

zusammenfinden, um zu beten,<br />

ihren Glauben zu bekennen und untereinander<br />

Gemeinschaft zu erleben.<br />

Die Botschaft des Lebens und der Lebensfreude,<br />

die von diesem Ereignis ausgeht,<br />

hat sehr viel zu tun mit dem Einsatz,<br />

den wir als »Jugend für das Leben« leisten.<br />

Wo sich so viele junge Menschen versammeln,<br />

darf die Botschaft davon, dass jedes<br />

Leben lebenswert ist, nicht fehlen. Der<br />

»Der Weltjugendtag muss zu einem<br />

Weltjugendtag für das Leben werden.«<br />

20<br />

Von Sebastian Grundberger<br />

Weltjugendtag muss auch zu einem Weltjugendtag<br />

für das Leben werden! Besonders<br />

hoffen wir in Köln auch Menschen<br />

zu finden, die bereit sind, mit uns zusammen<br />

den Kampf für das Leben führen<br />

und die mithelfen wollen, immer mehr<br />

in die Gesellschaft hinein zu sprechen<br />

und zu wirken.<br />

Aus diesem Grund werden wir von der<br />

»Jugend für das Leben Deutschland«,<br />

der Jugendorganisation der <strong>ALfA</strong>, auf<br />

dem Weltjugendtag in Köln mit zahlreichen<br />

Aktivitäten präsent sein und uns<br />

bemühen, die Botschaft des Lebensrechtes<br />

aller <strong>–</strong> egal ob alt oder jung, behindert<br />

oder ungeboren <strong>–</strong> unter den Teilnehmern<br />

zu verbreiten.<br />

Unser Hauptstandort wird St. Pantaleon<br />

in Köln sein, wo auch die <strong>ALfA</strong> ihre<br />

Zelte aufschlagen wird. Wir werden durch<br />

T<strong>–</strong>Shirts als »Jugend für das Leben« zu<br />

erkennen sein und gezielt versuchen,<br />

Leute anzusprechen. Zu diesem Zweck<br />

entsteht derzeit auch ein extra Weltjugentags<strong>–</strong>Flyer.<br />

Zudem wollen wir versuchen,<br />

durch überraschende Aktionen auf die<br />

Themenbereiche Abtreibung und Lebensrecht<br />

allgemein aufmerksam zu machen.<br />

Gerade auch die große Medienpräsenz<br />

in Köln bietet uns dabei eine einmalige<br />

Bühne, die es zu nutzen gilt; besonders<br />

in einer Zeit, in der Abtreibung in unserem<br />

Land immer mehr zur Normalität<br />

geworden zu sein scheint und in der gesellschaftlichen<br />

Mitte angekommen ist.<br />

Politiker trauen sich oft nicht mehr, davon<br />

zu sprechen. Und wer es tut, wird gerne<br />

als Extremist abgestempelt. Diese Gefahr<br />

gehen auch wir von der »Jugend für das<br />

Leben« gerne ein. Extremismus <strong>–</strong> ist das<br />

nicht viel eher eine Einstellung, die das<br />

Recht auf Leben diesen ungeborenen<br />

Menschen verwehren will?<br />

In Köln wissen wir uns nicht alleine<br />

mit unserem Anliegen. Deshalb freuen<br />

wir uns ganz besonders, auch an einem<br />

großen gemeinsamen Projekt mit anderen<br />

jungen Lebensrechtsbewegungen aus verschiedenen<br />

Teilen Europas zusammenzuarbeiten.<br />

Das »Haus des Lebens« (»Domus<br />

Vitae«) in St. Suitbertus in Düsseldorf<br />

wird ein Begegnungszentrum sein, das<br />

die Botschaft der Würde jeden Lebens<br />

auf dem Weltjugendtag präsent hält. Dort<br />

wird es beispielsweise Kulturveranstaltungen,<br />

Vorträge, ein »Talk-Café« sowie<br />

gemeinsame Gebete und Feiern geben.<br />

Mit dem verstorbenen Papst Johannes<br />

Paul II. wissen wir uns in unserem Einsatz<br />

verbunden. Er selbst war ein großer Lebensrechtler.<br />

»Es kann keinen echten<br />

Frieden ohne den Respekt für das Leben<br />

geben, vor allem wenn es sich um das<br />

unschuldige und wehrlose Leben ungeborener<br />

Kinder handelt«, so der Papst.<br />

Es wäre schön, wenn auch Papst Benedikt<br />

XVI., auf den wir uns sehr freuen, ebenso<br />

klare Worte finden würde.<br />

Die »Jugend für das Leben Deutschland«<br />

organisiert als <strong>ALfA</strong>-Jugendorganisation<br />

regelmäßig Einsätze, wie die<br />

»City-Life«, über die im <strong>LebensForum</strong><br />

Nr. 71 berichtet wurde oder die Verteilung<br />

von Süßigkeiten mit Lebensbotschaft auf<br />

Weihnachtsmärkten. Aber auch die Veranstaltung<br />

von Tagungen und Vorträgen<br />

zum Thema »Lebensrecht« sowie Demonstrationen,<br />

wie gegen die Verleihung<br />

ARCHIV<br />

des »Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preises<br />

<strong>2005</strong>« an den Klonforscher<br />

Ian Wilmut, gehören zu unseren<br />

Aufgaben. Wir möchten versuchen, das<br />

Thema Lebensrecht in der Öffentlichkeit<br />

präsent zu halten. Dazu schreiben wir<br />

Leserbriefe an große deutsche Zeitungen<br />

oder einen Brief an Bundespräsident Köhler,<br />

mit der Bitte, sich während seiner<br />

Amtszeit für das ungeborene Leben einzusetzen.<br />

Wir zeigen uns in der Öffentlichkeit,<br />

tauchen auf, möchten ansprechen,<br />

aufrütteln, überzeugen. So etwa<br />

beim »Forum Deutscher Katholiken« in<br />

Regensburg, beim evangelischen »Rhein-<br />

Main-Kirchentag« oder auch auf der<br />

Jugendmesse YOU <strong>–</strong> und natürlich ganz<br />

besonders beim Weltjugendtag in Köln.<br />

Deshalb wird nach dem Weltjugendtag<br />

ganz sicher nicht Schluss sein mit der<br />

»Jugend für das Leben«. Im Gegenteil<br />

wünschen wir uns, dass von ihm ein Startschuss<br />

ausgeht, der junge Menschen motiviert,<br />

sich mit uns für das Leben zu<br />

engagieren. Aus diesem Grund werden<br />

wir unsere neuen Freunde vom Weltjugendtag<br />

im Oktober zu einem großen<br />

Nachtreffen einladen, bei dem wir ausloten<br />

wollen, wie wir künftig unsere Anliegen<br />

noch wirkungsvoller zur heutigen<br />

Jugend bringen können. Der Einsatz für<br />

das Lebensrecht ist zu jeder Zeit eine der<br />

wichtigsten Aufgaben, mit der wir schon<br />

heute an einer besseren und gerechteren<br />

Zukunft mitbauen können.<br />

Die Aufgabe auf dem Weltjugendtag<br />

ist groß. Und wie es so oft ist, sind wir<br />

wenige. Deshalb brauchen wir dringend<br />

Unterstützung, finanzieller und besonders<br />

personeller Art. Junge Menschen, die uns<br />

in Köln helfen wollen sind deshalb sehr<br />

willkommen. Wer mit uns in Kontakt<br />

treten möchte, tue dies bitte unter<br />

youthforlifed@yahoo.de.<br />

IM PORTRAIT<br />

Sebastian Grundberger<br />

Sebastian Grundberger, Jahrgang 1979,<br />

studiert Politikwissenschaft, Geschichte<br />

Lateinamerikas und Amerikanistik an<br />

der Katholischen<br />

Universität Eichstätt<br />

- Ingolstadt.<br />

Von Sommer 2002<br />

bis Sommer 2003<br />

besuchte er die<br />

Universidad Católica<br />

de Valparaíso in Chile. Seit Dezember<br />

2003 ist er Öffentlichkeitsreferent der<br />

Jugend für das Leben Deutschland und<br />

gehört seit Juni 2004 dem Bundesvorstand<br />

der <strong>ALfA</strong> an.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


MEDIZIN<br />

DANIEL RENNEN<br />

Post Abortion Syndrom<br />

Immer mehr Frauen erkranken nach einer Abtreibung am Post-Abortion-Syndrom. In der vergangenen<br />

Ausgabe hat <strong>LebensForum</strong> dazu einen Überblick der Journalistin Veronika Blasel veröffentlicht.<br />

In dieser Ausgabe berichtet nun eine Ärztin und Psychotherapeutin aus ihrer Praxis.<br />

Von Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />

Als Ärztin und Psychotherapeutin<br />

werde ich auf verschiedene Weise<br />

mit dem Krankheitsbild des Post<br />

Abortion Syndroms konfrontiert. Diese<br />

Erkrankung gehört zu den bislang am<br />

wenigsten erforschten Leiden der Gegenwart.<br />

Da in weiten Kreisen ein gesellschaftlicher<br />

Konsens besteht, dass es ein<br />

Recht auf Abtreibung für Frauen geben<br />

müsse, werden die möglichen Folgen<br />

dieser vorgeburtlichen Kindstötung<br />

für die Mutter kollektiv in<br />

hohem Maße verschwiegen und<br />

verdrängt. Da nicht sein kann,<br />

was nicht sein darf, wird der Zusammenhang<br />

zwischen Krankheitssymptomen<br />

und einer Abtreibung<br />

nicht zugelassen.<br />

Wie zeigt sich nun dieses Krankheitsbild<br />

und wie kann man es behandeln?<br />

Das Post Abortion Syndrom ist eine<br />

Erkrankung nach einer Abtreibung, einhergehend<br />

mit seelischen aber auch körperlichen,<br />

oft psychosomatischen Beschwerden,<br />

welche schon kurz nach einer<br />

Abtreibung oder auch mit einem variablen<br />

zeitlichen Intervall auftreten können. Bei<br />

mangelnder Erkenntnis des Zusammenhanges<br />

des Auftretens von Symptomen<br />

nach einer oder mehreren Abtreibungen<br />

kann es zu einer jahrzehntelangen Leidensgeschichte<br />

für die Patientin kommen,<br />

wie ich kurz an einer anonymisierten<br />

Falldarstellung beschreiben möchte.<br />

Vor einem Jahr suchte mich eine 68<br />

Jahre alte Frau auf, welche an Angst und<br />

Depression litt. Sie war wenige Wochen<br />

zuvor aus einer psychiatrischen stationären<br />

Behandlung entlassen worden. In der<br />

Anamnese des Arztbriefes aus dem Krankenhaus<br />

las ich von vier Fehlgeburten.<br />

Bei vorsichtiger genauerer Nachfrage<br />

nach dem Verlauf der Fehlgeburten erfuhr<br />

ich, dass die Patientin eine Fehlgeburt<br />

und drei Abtreibungen hinter sich hatte.<br />

Sie hatte zwei Kinder geboren und danach<br />

drei Abtreibungen mit Unterstützung<br />

ihres Ehemannes vornehmen lassen. Nach<br />

der zweiten Abtreibung entwickelte sie<br />

Mitte dreißig Angst und Panikattacken<br />

vor allem bei Autobahnfahrten und beim<br />

Fliegen sowie einen zunehmend durch<br />

Alpträume gestörten Nachtschlaf. Körperliche<br />

Symptome wie unerklärbare<br />

Leibschmerzen führten zu stationären<br />

Behandlungen und Gabe von Valiuminfusionen.<br />

Auch ambulant wurde die Patientin<br />

über Jahrzehnte mit Tranquilizern<br />

(Beruhigungsmitteln) ruhig gestellt. Nach<br />

einer schweren Erkrankung des Ehemannes<br />

1998 kam es zur Entwicklung einer<br />

» Eine Mutter, die einmal Mutter geworden ist, bleibt immer Mutter, unabhängig<br />

davon, ob sie das Kind zur Welt bringt, oder nicht. Dieses tote Kind wird, so lange sie<br />

lebt, Teil ihres Lebens sein« (Prof. Dr. med. Wanda Franz)<br />

manifesten depressiven Erkrankung und<br />

zuletzt zu der stationären Therapie.<br />

In dreißig Jahren hatte niemand mit<br />

der Frau den zeitlichen Zusammenhang<br />

der Abtreibungen mit dem Beginn der<br />

Angst- und Panikattacken erwogen und<br />

sie über ihre Gefühle in Hinblick auf die<br />

Tötungen befragt. In einer tiefenpsychologisch<br />

ausgerichteten psychotherapeutischen<br />

Behandlung, einhergehend mit<br />

einer medikamentösen Behandlung der<br />

Depressionen, kam es zur langsamen<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 21


MEDIZIN<br />

Ausgelöst durch das schwere Trauma einer Abtreibung<br />

leiden die meisten Frauen am Post Abortion Syndrom.<br />

Depressionen und körperlicher Erkrankungen sind<br />

die Folge.<br />

STICHWORT<br />

Post Abortion Syndrom<br />

Das Post Abortion Syndrom ist eine<br />

seelische und/oder körperliche Erkrankung,<br />

die in einem zeitlich variablen<br />

Intervall nach Abtreibung auftritt. Sonderform<br />

von »Post Traumatic Stress<br />

Disorder« (PTSD) = einer durch schweres<br />

Trauma ausgelösten Störung körperlicher<br />

und seelischer Funktionen mit<br />

Krankheitswert, ausgelöst z.B. durch<br />

körperliche Gewaltanwendung, Vergewaltigung,<br />

nach passiver oder aktiver<br />

Teilnahme an einem gewaltsamen Tötungsgeschehen,<br />

beschrieben als Langzeitwirkung<br />

bei Vietnam-Kriegsveteranen<br />

(americ.psycholog.association). Der<br />

Zusammenhang mit dem Auslöser (Abtreibung)<br />

wird dabei oft verdrängt und<br />

ist für Betroffene und/oder Helfer oft<br />

nicht erkennbar.<br />

Typische seelische Störungen:<br />

Depressionen, (z.T. larviert), entsprechend<br />

Schlafstörungen, Alpträume,<br />

Angst- und Panikattacken, Schuldkomplexe,<br />

Beziehungsstörung (Scheidung,<br />

Überbehüten geborener Kinder <strong>–</strong> Post<br />

Abortion Surviver Syndrom), Suchtentwicklung,<br />

Psychosemanifestation.<br />

Typische körperliche Störungen:<br />

Psychosomatische Erkrankungen, funktionelle<br />

Störungen, Organmanifestationen<br />

je nach Disposition: Migräne, Rückenbeschwerden,<br />

Herzbeschwerden,<br />

Magen-Darm-Störungen, Menstruationsbeschwerden.<br />

Häufigkeit:<br />

Jede Abtreibung ist ein Trauma; geschätzte<br />

Manifestation von Störungen:<br />

80 Prozent.<br />

Besserung der Krankheitssymptome. Die<br />

Patientin erfuhr eine deutliche Besserung<br />

ihrer Symptome, als es ihr mit meiner<br />

Unterstützung gelungen war, sich an<br />

einen katholischen Priester zu wenden<br />

und ihre Mitschuld am Tode dreier ungeborener<br />

Kinder im Sakrament der Erlösung<br />

vor den Herrn zu bringen.<br />

Ein zweites Fallbeispiel: Eine junge<br />

Studentin, Ende zwanzig, suchte mich<br />

wegen therapieresistenter und fachärztlich<br />

abgeklärter Symptome auf. Sie litt an<br />

Migräne, Herzrhythmusstörungen und<br />

schwerem prämenstruellen Syndrom. Die<br />

Frau war in der DDR in einem sozialistischen<br />

Elternhaus ohne religiöse Erziehung<br />

herangewachsen. Anfang zwanzig<br />

hatte sie zwei Abtreibungen durchführen<br />

lassen, wobei dies, so die Patientin, in der<br />

DDR ganz normal war. Sie empfand seiner<br />

Zeit keine Schuldgefühle oder moralische<br />

Skrupel bei den Abtreibungen.<br />

Einige Jahre später litt sie zunehmend an<br />

den beschriebenen körperlichen Symptomen<br />

sowie an einer Depression, welche<br />

sie vor drei Jahren in eine psychotherapeutische<br />

Behandlung geführt hatte. Dort<br />

war in der ganzen Zeit der inhaltliche<br />

und zeitliche Zusammenhang der Erkrankung<br />

der Patientin nach den Abtreibungen<br />

kein Thema gewesen. Vom Post Abortion<br />

Syndrom hatte sie noch niemals<br />

gehört.<br />

Frauen, welche eine Abtreibung erleben,<br />

werden alle traumatisiert. Auch wenn<br />

sich die Frauen selbst zu einer Abtreibung<br />

entschieden haben, bleibt diese ein das<br />

Kind tötender und die Frau an Leib und<br />

Seele verletzender Eingriff. Die Folgekrankheit,<br />

das Post Abortion Syndrom,<br />

DANIEL RENNEN<br />

»Verdrängte Schuld macht krank <strong>–</strong><br />

auf die eine oder andere Weise.«<br />

tritt in rund 80 Prozent der Fälle nach<br />

einer Abtreibung auf, wobei sich das Post<br />

Abortion Syndrom unterschiedlich stark<br />

und auf unterschiedlichen Ebenen manifestieren<br />

kann. Es kann wenige Wochen<br />

nach der Tötung oder Monate oder Jahre<br />

später zur Manifestation der Erkrankung<br />

kommen. Man weiß, dass bestimmte Ereignisse<br />

im Leben einer Frau, etwa eine<br />

erneute Schwangerschaft, die Geburt<br />

oder Sterilität nach Abtreibung, die eintretenden<br />

Wechseljahre oder Krankheit<br />

und Tod in Familie oder Freundeskreis<br />

auslösende Faktoren sein können. Auch<br />

die Trennung oder Scheidung vom Vater<br />

des ungeboren getöteten Kindes, welche<br />

nicht selten eintritt, kann die Erkrankung<br />

auslösen. Die Frauen leiden an körperlichen<br />

Symptomen wie therapieresistenter<br />

Migräne, funktioneller Herzerkrankung,<br />

Magen-Darm-Störungen auf psychosomatischer<br />

Ebene, therapieresistenten Rückenschmerzen<br />

und Menstruationsbeschwerden,<br />

etc.<br />

Auf seelischer Ebene können Schlafstörungen<br />

und Antriebsmangel den Beginn<br />

einer depressiven Erkrankung skizzieren,<br />

welche über Jahre hinter körperlichen<br />

Beschwerden versteckt die Frau<br />

von Arzt zu Arzt führen kann. Eine Depression<br />

kann sich auch konkret manifestieren,<br />

wobei ihr <strong>–</strong> wie beschrieben <strong>–</strong><br />

leider häufig weder von der Frau noch<br />

von den behandelnden Ärzten und Therapeuten<br />

der oder den Abtreibungen ein<br />

pathogenetischer Stellenwert eingeräumt<br />

wird. Mir ist eine Frau bekannt, welche<br />

drei Abtreibungen vornehmen ließ und<br />

nach der dritten Abtreibung in eine psychische<br />

Erkrankung geriet, welche sie in<br />

die Berufsunfähigkeit führte. Sie selbst<br />

hat den Zusammenhang mit der Tötung<br />

ihrer Kinder erkannt, aber lange keinen<br />

Therapeuten gefunden, welcher ihr das<br />

glauben wollte.<br />

Verdrängte Schuld macht krank <strong>–</strong> auf<br />

die eine oder andere Weise, früher oder<br />

später. Im Falle der Abtreibung erschwert<br />

22<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


»Menschen mit so frühen Traumatisierungen<br />

fällt es oft schwer, Grenzen zu ziehen.«<br />

die Schuld die Heilungschancen, da sich<br />

die Frau unbewusst von ihrer Krankheit<br />

als Strafe nach Abtreibung nicht trennen<br />

kann. Wenn die Schuld bewusst wird, ist<br />

es nötig, sie nicht weg zu rationalisieren<br />

oder weg zu therapieren, sondern der<br />

betroffenen Frau Raum zu geben, in eine<br />

wirkliche Trauerarbeit eintreten zu können.<br />

Das Ziel der Therapie ist die Versöhnung.<br />

Diese Versöhnung muss auf<br />

verschiedenen Ebenen erfolgen und kann<br />

nur am Ende eines Weges stehen, welcher<br />

sich mit den verschiedenen Gefühlsanteilen<br />

der Frau authentisch auseinandergesetzt<br />

hat. Wut, auch auf den oft wenig<br />

hilfreichen Partner oder andere Personen;<br />

Wut auf sich selbst, Verletzungen <strong>–</strong> oft<br />

auch in der Kindheit der betroffenen Frau<br />

massiv erfolgt <strong>–</strong> Ängste; es muss vieles<br />

bearbeitet werden, bevor Versöhnung<br />

authentisch sein kann. Versöhnung mit<br />

wem? Die Heilung vom Post Abortion<br />

Syndrom ist in der Tiefe nur möglich,<br />

wenn die Versöhnung auf verschiedenen<br />

Ebenen erfolgt: Heilung und Versöhnung<br />

durch und mit Gott ist die tiefste Ebene,<br />

welche bei vielen Betroffenen auf Grund<br />

eines mangelnden religiösen Bewusstseins<br />

oft nicht oder nur schwer möglich ist. Im<br />

Falle einer Hinwendung zu Gott <strong>–</strong> bei<br />

katholischen Patientinnen im Sakrament<br />

der Versöhnung <strong>–</strong> ist nach meiner Erfahrung<br />

die Chance auf wirkliche, tiefe Versöhnung<br />

wesentlich größer als bei Frauen,<br />

deren Zugang zu ihrer Religion verschüttet<br />

ist oder nie angelegt wurde.<br />

An zweiter Stelle steht die Versöhnung<br />

mit dem getöteten Kind. Hier ist es oft<br />

sehr schwer, die Trauerarbeit konkret<br />

werden zu lassen, da dem Kind vor der<br />

Abtreibung ja Gesicht und personale<br />

Würde entzogen wurden, um die Tötung<br />

geschehen lassen zu können. Hier sind<br />

imaginative Techniken in der therapeutischen<br />

Arbeit hilfreich, um dem Kind auch<br />

im emotionalen Erleben Gestalt zu geben.<br />

Eine Vorstellung von einem Leben nach<br />

dem Tode in Gott erleichtert auch in<br />

dieser Phase der therapeutischen Arbeit<br />

die Trauer- und Versöhnungsschritte. An<br />

dritter Stelle erfolgt dann die Versöhnung<br />

mit sich selbst. Hier ist es wichtig, dass<br />

die Frau sich sowohl mit ihrer aggressiven<br />

Seite, welche das Kind töten lassen wollte<br />

als auch mit der Opferseite <strong>–</strong> die Mutter,<br />

»In Deutschland sterben an jedem Wochentag<br />

schätzungsweise tausend ungeborene Kinder.«<br />

der das Kind getötet wurde <strong>–</strong> erleben<br />

kann und erleben darf. Eine Frau, die<br />

abtreibt, ist Täter und Opfer zugleich.<br />

Die Therapie muss beiden Seiten versöhnlichen<br />

Raum bieten, wobei diese<br />

Versöhnlichkeit wie beschrieben kein<br />

Schönreden ist, sondern das Ziel eines<br />

Weges der Auseinandersetzung mit den<br />

verschiedenen Betroffenheiten der eigenen<br />

Persönlichkeit: mit Täter- und mit<br />

Opferrolle.<br />

Ein Beispiel zum Schluss: Ich weiß<br />

von einer Frau, welche mit 31 Jahren ungewollt<br />

schwanger wurde. Sie selbst wurde<br />

als Kind sexuell missbraucht. Menschen<br />

mit so frühen Traumatisierungen fällt es<br />

oft schwer, Grenzen zu ziehen, nein zu<br />

sagen, der eigenen Meinung Raum zu<br />

verschaffen. Ihr erster eigener Impuls<br />

war: ich möchte das Kind. Aber der<br />

Freund drohte mit Trennung, die Beratungsstelle<br />

stellte den Beratungsschein<br />

aus und riet zur Abtreibung. Die Schwangere<br />

wurde immer unsicherer. Nur die<br />

Freundin riet, das Kind zu behalten. Sie<br />

rief mich an, ich bestärkte ihre Meinung,<br />

dass die junge Schwangere nach einer<br />

Abtreibung wohl noch tiefer in ihre psychischen<br />

Probleme rutschen würde. Ich<br />

verdeutlichte die Gefahr des Post Abortion<br />

Syndroms.<br />

Das durch den Missbrauch verletzte<br />

innere Kind der Schwangeren würde in<br />

der Abtreibungssituation selbst missbrauchend<br />

erneut und irreversibel verletzt im<br />

Tod des ungeborenen<br />

Kindes. Die Falle wäre zu,<br />

die Frau womöglich für<br />

den Rest ihres Lebens in<br />

Depressionen gefangen.<br />

Ich verdeutlichte die<br />

Möglichkeit von Pflegeeltern<br />

und Adoption, falls<br />

es sich wirklich als unmöglich<br />

erweisen sollte, dass die Mutter<br />

ihr Kind behalten und groß ziehen könnte.<br />

Ich schickte der Freundin Informationsmaterial<br />

über die kindliche vorgeburtliche<br />

Entwicklung <strong>–</strong> das da viel mehr ist als ein<br />

Zellhaufen, sondern ein ganz kleines Kind<br />

mit einem schlagenden Herzen. Der<br />

Freund trennte sich von der Schwangeren,<br />

die Schwangere hatte einen Vorstellungstermin<br />

beim Abtreibungsarzt. Die Freundin<br />

gab ihr das Informationsmaterial und<br />

lud sie ein, mich anzurufen. Die Schwangere<br />

blieb anonym, sagte aber den Termin<br />

beim Abtreibungsarzt ab <strong>–</strong> bleibt es dabei?<br />

Die Mutter und der Bruder der<br />

Schwangeren gaben positive Signale, dass<br />

sie sich auf das Baby freuen. Wird das<br />

reichen?<br />

In Deutschland sterben an jedem Wochentag<br />

schätzungsweise tausend ungeborene<br />

Kinder durch<br />

Abtreibung. Davon sind<br />

täglich zweitausend<br />

Mütter und Väter betroffen,<br />

eine ungezählte<br />

Anzahl von Kindern hat<br />

Geschwister auf diese<br />

Weise verloren. Es gibt<br />

auch das Post Abortion<br />

Surviver Syndrom <strong>–</strong> die psychische und<br />

physische Erkrankung von Kindern nach<br />

der Ab-treibung ihrer ungeborenen Geschwisterkinder.<br />

Eine weitere Erkrankung<br />

mit vielen Facetten bis hin zur Verminderung<br />

der sozialen Kompetenz und<br />

Lernfähigkeit der Kinder, auf welche an<br />

dieser Stelle nicht weiter eingegangen<br />

werden kann. Unsere Gesellschaft überaltert<br />

und erkrankt an ihren Wurzeln.<br />

Wann wird endlich auf breiter Basis Ursachenforschung<br />

betrieben und das Post<br />

Abortion Syndrom hunderttausender von<br />

Frauen und weiterer Betroffener nicht<br />

länger ignoriert? Welche Rolle spielen<br />

die Leitbilder von Wissenschaft und Politik?<br />

Welche Rolle spielen »benefit« und<br />

»profit«? Welche Rolle spielen ethische<br />

Werte, welche am christlichen Menschenbild<br />

orientiert sind? Wir töten unsere<br />

eigene Zukunft mit jedem ungeborenen<br />

Kind. Wir lassen zu, dass die Zukunft<br />

von immer mehr Menschen überschattet<br />

ist durch die vorgeburtlichen Massentötungen<br />

unserer Gegenwart.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />

Die Autorin, Jahrgang 1954, praktiziert<br />

als niedergelassene Ärztin, Psychotherapeutin<br />

und Traumatherapeutin in Münster.<br />

Zu ihren Arbeitsfeldern<br />

zählen<br />

Naturheilkunde und<br />

Homöopathie sowie<br />

Katathymes<br />

Bilderleben, eine<br />

tiefenpsychologische<br />

Tagtraumtechnik. Seit 1992 ist sie<br />

Vorsitzende des <strong>ALfA</strong>-Regionalverbands<br />

Münster. Im Fe-Medienverlag erschien<br />

2003 ihr »Kreuzweg für Ungeborene«.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 23<br />

ARCHIV


GESELLSCHAFT<br />

Stimmlose erhören<br />

Im Alter von 13 Jahren wurde sie vom älteren Bruder einer Freundin vergewaltigt. Danach begann sie<br />

zu trinken und Drogen zu nehmen. Mit 16 wurde sie schwanger und unterzog sich einer Abtreibung,<br />

Anfang 20 zum zweiten Mal. Zehn Jahre später kam die Wende. Seit 17 Jahren kämpft Denise Moutenay<br />

nun in Canada für das Lebensrecht ungeborener Kinder und dafür, dass Frauen endlich die Wahrheit<br />

über Abtreibungen erfahren. Für <strong>LebensForum</strong> sprach mit ihr Sebastian Grundberger.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Frau Mountenay, seit vielen Jahren<br />

arbeiten Sie bereits mit Frauen, die eine Abtreibung<br />

erlebt haben. Was brachte Sie persönlich<br />

zu dieser Aufgabe?<br />

Denise Moutenay: Im Alter von 30<br />

Jahren erkannte ich, dass meine eigenen<br />

Kinder durch hinter mir liegende Abtreibungen<br />

getötet worden sind. Ich weinte,<br />

fühlte tiefen Schmerz und bat Gott demütig<br />

um Vergebung für diese schweren<br />

Sünden. Ich fing an, die Bibel zu lesen.<br />

Bald schon spürte ich, dass Gott wollte,<br />

dass ich mit meinem Schmerz an die<br />

Öffentlichkeit gehe und Zeugnis davon<br />

gebe, dass Abtreibung ein Übel und keine<br />

gute Sache ist. Seit 17 Jahren teile mittlerweile<br />

meinen eigenen Schmerz über<br />

die Abtreibungen und spreche darüber<br />

in Schulen, auf Konferenzen, in Kirchen,<br />

Gefängnissen, im Radio und im Fernsehen.<br />

Vor ungefähr zwei Jahren spürte ich,<br />

dass Gott mich bat, »Canada Silent No<br />

More« zu gründen und so zu versuchen,<br />

die zwei Millionen Frauen in unserem<br />

Land zu erreichen, die an den Folgen<br />

einer Abtreibung leiden.<br />

Welche sind die häufigsten physischen und<br />

psychologischen Folgen, unter denen Frauen nach<br />

einer Abtreibung leiden?<br />

Physische Folgen sind unter anderem:<br />

Infektionen, Vernarbungen im Uterus,<br />

Beschädigung des Gebärmutterhalses<br />

sowie eine erhöhte Gefahr von Frühgeburten,<br />

Unfruchtbarkeit und Brustkrebs.<br />

Psychische Folgen können sein: Depression,<br />

Abhängigkeit, Selbstmordgefahr,<br />

Essstörungen, Angstzustände oder eine<br />

gestörte Beziehung zu Männern.<br />

Wie viele Frauen, die eine Abtreibung erlebt<br />

haben, bereuen diese später?<br />

Ich würde sagen, dass neun von zehn<br />

Frauen, mit denen ich gesprochen habe,<br />

die Abtreibung bereuen. Manche Frauen<br />

24<br />

versuchen jedoch auch, die Abtreibung<br />

zu rechtfertigen, indem sie sagen, dass es<br />

kein Baby gewesen sei. Sie sind dann nicht<br />

überzeugt, dass es falsch war, ihren Kindern<br />

das Leben zu nehmen.<br />

Wie ist es möglich, dass eine Frau die Tötung<br />

ihres Kindes nicht bereuen kann?<br />

Denise Moutenay<br />

Sie verschließen sich einfach und versuchen<br />

sich zu rechtfertigen. Oft haben<br />

sie auch Angst davor, es zuzugeben und<br />

erahnen den tiefen Schmerz, den sie empfinden<br />

würden, wenn sie die Wahrheit<br />

zugeben.<br />

Wie versuchen Sie, diese Frauen zu erreichen?<br />

Wie helfen Sie ihnen?<br />

Wir bekommen Unterstützung von<br />

zahlreichen pro-life-Gruppen und Einzelpersonen,<br />

die Anzeigen schalten oder<br />

WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />

Plakate anbringen, auf denen unsere kostenfreie<br />

Telefon-Hotline zu sehen ist.<br />

Wenn die Frauen dann anrufen, spreche<br />

ich mit ihnen über meinen eigenen mit<br />

der Abtreibung verbundenen Schmerz.<br />

Sie fühlen sich verstanden, weil sie merken,<br />

dass ich sie verstehe. Dann versuche<br />

ich auszuloten, in welcher konkreten<br />

Situation sie sich befinden. Dementsprechend<br />

vermittle ich sie an Beratungsstellen,<br />

bei denen sie Hilfe finden können.<br />

Wir bitten die Frauen, uns ihr schriftliches<br />

Zeugnis zukommen zu lassen und so mit<br />

uns gemeinsam den Stimmlosen eine<br />

Stimme zu geben.<br />

Warum glauben Sie, schweigt die Gesellschaft<br />

zum Problem der Abtreibung allgemein und zu<br />

den Leiden der Frauen, die eine Abtreibung erlebt<br />

haben?<br />

Bis jetzt gibt es weder ein öffentliches<br />

Erkennen, noch eine Erziehung oder<br />

Information, dass Abtreibung Frauen<br />

sowohl physisch als auch psychisch verletzt.<br />

Es ist unglaublich wichtig, dass wir<br />

dieses Schweigen brechen und diesen<br />

vielen Frauen die Hand reichen.<br />

Haben Sie die Hoffnung, dass sich dies eines<br />

Tages ändern wird? Warum haben Sie diese Hoffnung?<br />

Ja, ich glaube, wenn immer mehr Frauen<br />

bereit sind, von ihrem Schmerz über<br />

die Abtreibung zu sprechen, Ärzte und<br />

Politiker davon überzeugt werden können,<br />

dass Abtreibung Frauen schadet. So<br />

können auch die Frauen davor bewahrt<br />

werden, sich für eine Abtreibung zu<br />

entscheiden.<br />

Können Sie uns vielleicht ein Beispiel von einer<br />

konkreten Erfahrung geben, die Sie bei Ihrer Arbeit<br />

gemacht haben?<br />

Eine alte Freundin, Stacey, meldete<br />

sich vor kurzem bei mir. Als sie jünger<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


Titelseite des Buchs »Forgiven Of Murder … A True Story«<br />

war, hatte sie zwei Abtreibungen. Sie<br />

bekam später Gebärmutterkrebs und musste<br />

sich im Alter von 37 Jahren einer<br />

Gebärmutter-Totaloperation unterziehen.<br />

Außerdem kämpfte sie gegen klinische<br />

Depression als Folge ihrer Abtreibungen.<br />

Sie rief mich an und sagte mir, dass sie<br />

mir ihr Zeugnis zuschicken wolle und<br />

dass sie hoffe, eines Tages den Mut zu<br />

besitzen, gemeinsam mit mir von ihrem<br />

Schmerz über die Abtreibung in der Öffentlichkeit<br />

zu berichten. Sie ist mittlerweile<br />

Christin geworden und sehr dankbar,<br />

dass Gott ihr vergeben hat.<br />

Was können Sie über die Verbindung zwischen<br />

Abtreibung und Brustkrebs sagen?<br />

Es ist mir sehr wichtig, dass die Menschen<br />

über das mit Abtreibung verbundene<br />

Brustkrebs-Risiko informiert werden,<br />

egal welche Meinung die<br />

Leute zum Thema »Abtreibung«<br />

besitzen.<br />

In Europa hören wir normalerweise<br />

nicht viel über die Abtreibungssituation<br />

in Kanada. Wie viele<br />

Abtreibungen gibt es bei Ihnen im<br />

Jahr? Wie ist die gesetzliche Situation?<br />

Kanada ist riesig und verfügt<br />

über viele natürliche Ressourcen.<br />

Trotzdem haben wir<br />

seit Jahrzehnten eine negative<br />

Geburtenrate und reproduzieren<br />

uns noch nicht einmal<br />

selbst. Traurigerweise bezahlen<br />

wir mit unserem Geld und<br />

unserem Schweigen jeden Tag<br />

die Tötung von 300 Babys.<br />

Henry Morgenthaler, ein jüdischer<br />

Arzt, der den Holocaust<br />

überlebt hat, ist der größte<br />

Abtreiber in diesem Land und<br />

hat mehrere Kliniken. Er allein<br />

hat mit seinen eigenen Händen<br />

das Blut von über 60.000 Kanadiern<br />

vergossen. Dadurch,<br />

dass er das Abtreibungsgesetz<br />

verletzte, trug er dazu bei, dass der Oberste<br />

Gerichtshof es 1988 abschaffte. Heute<br />

gibt es kein Abtreibungsgesetz mehr. Für<br />

die meisten Abtreibungen bezahlen wir<br />

durch unsere Krankenkassenbeiträge.<br />

In den Vereinigten Staaten von Amerika scheinen<br />

die Werte in letzter Zeit wieder an Bedeutung<br />

zu gewinnen. Gleichzeitig gewinnt dort auch die<br />

Pro-Life-Bewegung wieder an Kraft. Gibt es in<br />

Kanada ähnliche Entwicklungen?<br />

neue Initiative, die Frauen erreichen<br />

möchte, die von einer Abtreibung verletzt<br />

wurden. Wir möchten ihnen helfen und<br />

sie ermutigen, mit uns gemeinsam eine<br />

Stimme zu sein, die bekennt, dass Abtreibung<br />

falsch und nicht richtig ist.<br />

Gibt es noch etwas, was Sie den Lebensschützern<br />

in Deutschland sagen wollen?<br />

Mein Vater ist gebürtiger Deutscher,<br />

meine Mutter Schweizerin. Der Holocaust<br />

der Nazis war furchtbar, aber die<br />

Abtreibung hat insgesamt siebenmal mehr<br />

unschuldige Menschen in unserer Generation<br />

getötet. Heute gibt es sogar in<br />

»Ich möchte gerne meinen<br />

Schmerz über die Abtreibung teilen.«<br />

Israel jeden Tag 150 Abtreibungen. Ich<br />

möchte gerne meinen Schmerz über die<br />

Abtreibung mit den deutschen Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen teilen, so<br />

dass sie merken, dass Abtreibung keine<br />

Frage von schwarz oder weiß ist. Im Gegenteil.<br />

Sie ist blutrot. Wir müssen auf<br />

die Millionen von Frauen zugehen, die<br />

von der Abtreibung verletzt und zerstört<br />

worden sind und sie dazu bringen, mit<br />

uns die Abtreibung als das zu demaskieren<br />

was sie ist: ein Übel. So können wir helfen,<br />

Babys vor der Tötung zu bewahren. Wir<br />

brauchen Ihre Hilfe und Ihre Unterstützung,<br />

damit auch in Deutschland ein<br />

»Germany Silent No More« beginnen<br />

kann.<br />

Frau Mountenay, vielen Dank für das Gespräch.<br />

Seit 1957 gibt es mittlerweile weltweit<br />

28 Studien, die belegen, dass sich das<br />

Brustkrebsrisiko nach einer Abtreibung<br />

verdoppelt. Diese Information sollte allgemein<br />

präsent sein <strong>–</strong> in jeder Diskussion<br />

in jedem Land, in dem Abtreibungen<br />

staatlich finanziert werden. Frauen haben<br />

ein Recht zu wissen, dass es sein kann,<br />

dass wenn sie sich für eine Abtreibung<br />

entscheiden, sie damit auch eine Entscheidung<br />

für Brustkrebs treffen. Mir selbst<br />

wurden bereits zwei Klumpen aus der<br />

linken Brust entfernt.<br />

Studien belegen: Abtreibung fördert Brustkrebs<br />

Beten Sie für Kanada! Die politische<br />

Linke versucht, die »Homo-Ehe« zu<br />

legalisieren und die Abtreibungen gehen<br />

weiter. Aber es gibt einen Rest von Standhaften,<br />

die eine Hoffnung für unser Land<br />

sind. Wir sind wenige, aber wir tun unser<br />

Bestes. Canada Silent No More ist eine<br />

WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />

STICHWORT<br />

Canada Silent No More<br />

Mehr Informationen zu Canada Silent<br />

No More und der Arbeit von Frau Denise<br />

Mountenay:<br />

www.togetherforlife.ca<br />

www.canadasilentnomore.ca<br />

Mehr Informationen über die Leiden von<br />

Frauen nach der Abtreibung:<br />

www.afterabortion.org<br />

www.abortionbreastcancer.com<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 25


Euthanasie <strong>–</strong> Heute ihr, morgen wir?<br />

1. Fuldaer Lebensrechtskongress der Aktion Lebensrecht für Alle <strong>ALfA</strong> e.V.<br />

10. bis 11. Juni <strong>2005</strong><br />

Freitag, 10.6.<strong>2005</strong><br />

19.30 Uhr<br />

Podiumsdiskussion: Euthanasie: Heute ihr <strong>–</strong> morgen wir?<br />

Teilnehmer:<br />

Heinz Josef Algermissen, Bischof von Fulda<br />

Dr. Wolfgang Aschenbrenner, Allgemeinmediziner<br />

Rainer Beckmann, Sachverständiger der Enquete-Kommission »Ethik und Recht der<br />

modernen Medizin« des Deutschen Bundestags<br />

Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospizstiftung, Dortmund<br />

Rob Jonquiere, Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende<br />

Moderation: Dr. Kai Witzel, Ärztlicher Direktor des Helios St. Elisabeth<br />

Krankenhauses, Hünfeld<br />

Samstag, 11.6.<strong>2005</strong><br />

9.15 Uhr<br />

Vortrag: Recht auf Leben?<br />

Dr. Wolfgang Zöller, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

14.00 Uhr<br />

Workshops:<br />

Marcus Mockler, Evangelische Nachrichtenagentur idea: Vom Umgang mit der<br />

Presse<br />

Orturd Tornow, Tornow & Partner Erfolgstraining, Fulda: Überzeugend auftreten<br />

20.00 Uhr<br />

Besuch des Musicals »Bonifatius« oder Teilnahme an abendlicher Stadtführung<br />

Tagungsort:<br />

Bonifatiushaus, Neuenbergerstr. 3-5, 36041 Fulda, Telefon (06 61) 8 39 80<br />

Tagungskosten: <strong>74</strong>,- € / 91,- € im DZ/EZ inkl. Vollpension und Tagungsgebühr für<br />

die gesamte Tagung. Kinder bis 12 Jahre frei, bis 18 Jahre 50 % des Tagungsbeitrags<br />

Anmeldung<br />

Am Kongress: »Euthanasie <strong>–</strong> heute ihr, morgen wir?« der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. nehme ich mit<br />

______ Erwachsenen, ______ Kindern bis 12 Jahren, ______ Kindern bis 18 Jahren teil.<br />

Ich buche ______ Übernachtung(en) im DZ, ______ Übernachtung(en) im EZ.<br />

Ich bestelle verbindlich folgende Karten für das Musical »Bonifatius«:<br />

______ Karten der Kategorie 1 zu 36,- €, ______ Karten der Kategorie 2 zu 31,- €, ______ Karten der Kategorie 3 zu 26,- €<br />

Kartenbestellungen für das Musical können nur bis zum 14.05. angenommen werden, da die Vorstellung bis auf die von uns reservierten<br />

Karten bereits ausverkauft ist!<br />

Bitte senden an: Bundesgeschäftsstelle der <strong>ALfA</strong>, Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg, Telefon (08 21) 51 20 31, Telefax: (08 21) 15 64 07


ESSAY<br />

»Guter Hoffnung«?<br />

Im Zuge des technischen Fortschritts beginnt die Medizin maßlos zu werden. Statt um das Heilen von<br />

Krankheiten sorgt sie sich längst auch um die Optimierung der Evolution. Dabei droht der Blick für<br />

das Ganze wie für konkrete Bedürfnisse einzelner Patienten auf der Strecke zu bleiben.<br />

Von Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Guter Hoffnung« zu sein, damit<br />

verband sich gedanklich bis vor<br />

einigen Jahrzehnten der Zustand<br />

einer schwangeren Frau wie von<br />

selbst. Sie erwartete ein Kind, neues Leben,<br />

ihr und dem Vater ähnlich, aber<br />

doch wieder ganz sich selbst gehörend.<br />

Das Kind wird zum Adressaten<br />

ihrer Gedanken, Wünsche und<br />

Hoffnungen. Ihm und für es verantwortlich<br />

zu sein <strong>–</strong> das ist ein<br />

Geschenk des Lebens besonderer<br />

Art, das der Konzentration bedarf.<br />

Wie werden sie von diesem kleinen<br />

Wesen gefragt sein? Welche Aufgaben<br />

kommen auf die Eltern zu?<br />

Doch heißt »guter Hoffnung« sein<br />

darüber hinaus auch, Wünsche in<br />

anderen Erwartungssituationen des<br />

Lebens zu hegen. »Dum spiro, spero«,<br />

sagte ein antiker Philosoph,<br />

solange ich atme, hoffe ich. Zum<br />

Beispiel in der Krankheit oder nach<br />

einem Unfall, dem Fall, den es eigentlich<br />

nicht geben sollte. Diesem<br />

Thema hat der Philosoph Ernst<br />

Bloch ein weitläufiges Werk gewidmet,<br />

dem er den Titel »Das Prinzip<br />

Hoffnung« gab. Hoffnung (englisch:<br />

hope) hat mit dem Wortstamm<br />

»hüpfen« (hoppeln) zu tun. Und<br />

Bloch meint: »Indem der Kranke<br />

nicht hüpft und springt, tun es desto<br />

mehr seine Wünsche«. Gleich darauf<br />

setzt auch seine Kritik ein: »Was<br />

immer weh tut, drückt und schwächt,<br />

soll weg«, aber: »Ein wenig nur<br />

aufzuatmen, das genügt nie lange.«<br />

So reicht heute der Wunsch nach<br />

mehr Lebensqualität immer weiter,<br />

ja so weit, dass der Philosoph Maximilian<br />

Forschner vor einiger Zeit<br />

vor den »Infantilisierungstendenzen«<br />

unserer Wunschwelten warnte, welche<br />

die Eingriffe zur Verbesserung unserer<br />

Körperfunktionen allmählich unbezahlbar<br />

machten. Vermutlich ist es ja wirklich<br />

kindisch, von Gesundheit als »dem höchsten<br />

Gut« des Menschen zu reden, aus<br />

der Medizin eine Art Erlösungsreligion<br />

zu machen und damit die prinzipielle<br />

Fragilität unserer menschlichen Existenz<br />

aus der eigenen Gedankenwelt zu streichen.<br />

Sollte man beim erwarteten Kind<br />

etwa auf Maximalanforderungen setzen?<br />

Die ursprünglichste Aufgabe, Leben weiterzugeben,<br />

dem technischen Perfektionismus<br />

überantworten? Darf man<br />

Schwangerschaft zur Krankheit umformulieren<br />

und in die Therapiekonzepte<br />

auch das Töten einbeziehen?<br />

Natürlich weiß die Medizin seit geraumer<br />

Zeit auch, dass der Schmalblick, der<br />

auf einen Tropfen Blut im Labor oder<br />

die Farbe des Urins gerichtet ist, nicht<br />

das ganze Krankheitsbild eines<br />

Menschen umfasst. Auch die dicke<br />

Nackenfalte im Ultraschallbild sagt<br />

nichts über die Entwicklung des<br />

Kindes und seine Lebenschancen aus.<br />

Vor den sog. »prima-vista-Diagnosen«<br />

sollte sich auch der erfahrene Arzt<br />

hüten und seinen ersten Eindruck<br />

stets hinterfragen beziehungsweise<br />

durch weitere Befunde untermauern.<br />

Aber auch der »objektive Befund«<br />

kann Irrtümer stützen und zu falschen<br />

Schlüssen führen. Trotz der großartigen<br />

Erfolge des seit dem 18. Jahrhundert<br />

so hilfreich angewandten<br />

»Maschinenmodells« des Menschen,<br />

besonders spektakulär in den operativen<br />

Fächern Chirurgie, Orthopädie<br />

und Gynäkologie, verblieb in der<br />

Betreuung der Patienten ein defizitärer<br />

Rest. Denn nicht jede objektive<br />

Therapie eines Magengeschwürs oder<br />

die einer Coronarstenose war auch<br />

schon die Heilung des betroffenen<br />

Subjekts. Die hervorragend gelungene<br />

Herzoperation konnte beispielsweise<br />

durch eine postoperative depressive<br />

Stimmung gestört werden: nicht jeder<br />

Rehabilitand ist auch schon gleich<br />

»heilfroh«. Er kann sich fragen: Was<br />

soll das Ganze? Bleibt am Ende nicht<br />

doch der Tod? Während wir in den<br />

Phasen des Gesundseins so genannte<br />

»letzte Dinge« gern verdrängen und<br />

die uns auferlegte »letzte Reise« in<br />

den Alltagspflichten und berechtigten<br />

Alltagsfreuden kaum zum Thema<br />

machen, sind der stetige Wandel der<br />

Verhältnisse und die Ungesichertheit<br />

unserer Arbeits- und Lebenswelt unser<br />

gemeinsames Dauer-Schicksal. Gerade<br />

das wird manchem Patienten in der Ruhe<br />

des Krankenzimmers dramatisch bewusst.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 27


ESSAY<br />

eine besondere Lebenschance. Nach dem<br />

Philosophen Josef Pieper ist die Hoffnung<br />

die »eigentliche Tugend« des menschlichen<br />

Unterwegsseins. Sie ist die Tugend<br />

»Immer schon war Medizin anfällig<br />

für Eugenik und Euthanasie.«<br />

Der Wechsel von Licht und Dunkelheit gehört zu den Konstanten menschlichen Lebens<br />

Unser »Endlichsein wirkt sich ja nicht<br />

nur am Ende des Lebens aus, ist ja nicht<br />

einfach ein Schluss und nur ein Schluss,<br />

sondern ist im konkretesten der Tod, der<br />

dem Leben innewohnt. Das Sichentwickeln,<br />

das Voranschreiten, Im-Fluss-Sein<br />

des Lebens ist nicht denkbar, ohne dass<br />

irgendetwas dieses Lebens vergeht. Die<br />

»Mit der Tötung des Ungeborenen ist das Schicksal<br />

der Frau nicht bereinigt, ihr Problem nicht gelöst.«<br />

Fülle des Daseins wird nur dadurch wahrgenommen,<br />

dass Leben immer wieder<br />

absterbend... sich erneuert« (H. Plügge<br />

1962). Die in Jahrtausenden praktizierte,<br />

aber kaum theoretisierte Psychologie, die<br />

sich seit gut einem Jahrhundert zur psychosomatischen<br />

Medizin und Psychoanalyse<br />

entwickelt hat, erweist: der Kranke<br />

als Subjekt ist mit seiner je eigenen Lebenssituation<br />

wahrzunehmen und nicht<br />

mehr nur der »Fall«, nicht nur das bestätigende<br />

Beispiel für spezialisiertes Lehrbuchwissen.<br />

Mit der Tötung des Ungeborenen<br />

ist das Schicksal der Frau nicht<br />

bereinigt, ihr Problem nicht gelöst: Leben<br />

und Freiheit des Kindes bleiben als Anfrage<br />

bestehen.<br />

LEBENSSINN NEU DEFINIEREN<br />

Die medizinische Anthropologie, die<br />

Lehre vom Menschen aus ärztlicher Sicht,<br />

sieht den Organismus nicht mehr als<br />

bloße Summe seiner Teile, beurteilt ihn<br />

28<br />

also nicht nur nach einzelnen Symptomen,<br />

sondern nimmt ihn als System eines einmaligen<br />

Ganzen wahr. Sie nimmt ihn in<br />

seinem physisch-psychisch-geistigen Zustand<br />

in den Blick. Gerade da spielt die<br />

Grundgestimmtheit eine Rolle, der Elan<br />

vitale, und in diesem Zusammenhang die<br />

Frage, welches energetische Potenzial an<br />

Hoffnung zwischen Patient<br />

und Arzt mobilisiert<br />

werden kann. Wenn ich<br />

hoffen darf, dass der Sinn<br />

meiner Situation vorgegeben<br />

ist und ich ihn<br />

finden kann, gewinnt auch<br />

das Leben im Rollstuhl<br />

oder in der Pflegeabhängigkeit<br />

im Seniorenheim eine Perspektive,<br />

eine Wendung auf Zukunft hin, da ist<br />

sich der Existenzanalytiker Viktor E.<br />

Frankl sicher. Sinnsuche und Hoffnung<br />

sind sozusagen Geschwister. Bei der Sinnwahrnehmung<br />

nämlich handelt es sich<br />

nicht um eigensinnige spektakuläre Projekte,<br />

sondern um die Möglichkeit, die<br />

Wirklichkeit zu verändern (V. Frankl).<br />

Es geht um die Frage der Einstellung<br />

zum Leben und seinen Zwischenfällen,<br />

um seine Anforderungen. Bei drohendem<br />

Sinnverlust soll der Arzt (und der Nahestehende)<br />

helfend eingreifen und Lebenssinn<br />

für und mit dem Patienten suchend<br />

zurückgewinnen. Behinderung und<br />

Krankheit werden dann zur Möglichkeit<br />

individueller Neugestaltung des Lebens,<br />

in Selbständigkeit und mit Hilfe anderer.<br />

Der Altersprozess wird als die Zeit der<br />

Ernte erkannt, bei der Lebenserfahrung<br />

an die Mitwelt weitergereicht werden<br />

kann. Der Ungeborene mit vermuteter<br />

Behinderung wird Hoffnungsträger für<br />

WWW.PIXELQUELLE.DE<br />

des »Noch nicht«, welche die Gegenwart<br />

ausmalt auf Zukunft hin, ja mit ihrer<br />

Phantasie bereits das »Jetzt« anreichert<br />

und füllt. Und damit verändert.<br />

Doch da mischen sich unsere Umgebung,<br />

die Gesellschaft und ihre Vorgaben<br />

ein und versuchen, unsere Alltagshoffnungen<br />

mitzuformulieren. Wenn wir heute<br />

von »ewiger Jugend« träumen, spinnen<br />

wir uralte Sehnsüchte weiter, die seit den<br />

ersten »Olympiaden« in der Antike die<br />

Begriffe »gesund, stark und gut« zusammendachten<br />

und in dieser Gleichsetzung<br />

das Humanum schlechthin zu erkennen<br />

glaubten. Die hoch frequentierten Fitnesszentren,<br />

Trainingshallen und Schönheitssalons,<br />

Lach- und Beglückungskurse<br />

erscheinen da als Bestätigung eines Indikativs<br />

des »mens sana in corpore sano«,<br />

der doch ursprünglich nur als Wunsch<br />

gedacht war.<br />

Von Utopien ähnlicher Art ist auch<br />

die medizinische Forschung angeregt.<br />

Längst geht es nicht mehr um das Heilen,<br />

um das »salus aegroti«, sondern um das<br />

Vorbeugen, die Aufbesserung, das<br />

»Größerformatieren« (P. Sloterdijk). Immer<br />

schon war Medizin anfällig für Eugenik<br />

und Euthanasie in ihrem Gefolge.<br />

Um Gesundheit in der Definition der<br />

Weltgesundheitsorganisation in Vollkommenheit<br />

zu erreichen, kommt heute eine<br />

»Die gute Hoffnung ist der Stoff, aus<br />

dem unsere Seele gemacht ist.«<br />

maßlose Ungeduld unter den Forschern<br />

auf. Da die ethisch unbedenkliche somatische<br />

Gentherapie beim Einzelnen bisher<br />

offensichtlich den schnellen Erfolg nicht<br />

gewährleisten kann, könnte man doch<br />

die erhoffte Evolution anders beschleunigen:<br />

das heißt durch Selektion genetisch<br />

»guter« Embryonen (PID) oder durch<br />

eine Keimbahntherapie während der Reagenzglasphase<br />

in Zukunft unsere Art ge-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


sund züchten! Vielleicht die ganze<br />

Menschheit gesunden lassen! Ist es nicht<br />

sogar Pflicht, fragen Ian Wilmut, der<br />

Erlanger Professor Fleckenstein und der<br />

Kölner Professor Hescherler weiter,<br />

Kranke mittels eigens für sie gezüchteten<br />

»menschlichen Lebens« gesund zu transplantieren<br />

und also »therapeutisch« zu<br />

klonen? Selbst wenn dazu Massen von<br />

Eizellen geliefert und Menschenembryonen<br />

in beliebigem Ausmaß getötet werden<br />

müssen. Bei solchen Erwägungen werden<br />

immer wieder die vielen »Hoffnungen«<br />

von Kranken in das argumentative Spiel<br />

eingebracht. Ist die Umsetzung von Erwartungen<br />

an solche Medizintechnik<br />

Ȁrztliches Handeln sieht Schwangerschaft<br />

nicht unter dem Verdacht des Schadensfalls.«<br />

schon ein hoffnungsvolles Bild? Sind dies<br />

Kulturleistungen? Und sind elterliche<br />

Wünsche nach einem Designerkind menschengerecht<br />

und nach menschlichem<br />

Maß?<br />

DAS NATÜRLICHE HOFFNUNGSPOTENZIAL<br />

EINES JEDEN MENSCHEN ENTDECKEN<br />

In der Tradition der Scholastik kennt<br />

man zwei Arten von Hoffnungslosigkeit:<br />

die Verzweiflung, die sagt, jetzt ist »alles<br />

aus« und laut der es auch nicht mehr den<br />

»Schimmer einer Hoffnung« gibt. Und<br />

es gibt die Vermessenheit, den Kurzschluss<br />

eines kindischen Eigensinns, alles<br />

jetzt gleich zu haben, koste es, was und<br />

wen es wolle. Diese Verkehrung der Hoffnung<br />

in Ungeduld, Eigensinn, Respektlosigkeit<br />

und den Mangel an Ehrfurcht<br />

vor dem Andern hat das Maß verloren<br />

und ist wirklich »hoffnungslos«. Sie verliert<br />

sich in sinnentleerte Beliebigkeit und<br />

versagt sich der Lebenskultur des menschlichen<br />

Miteinanders in Vielfalt und gegenseitiger<br />

Achtung.<br />

Wenn der Arzt, auch der forschende<br />

Mediziner, seine eigenen Grenzen und<br />

das Ethos seines Fachs nicht wahrnimmt<br />

und sich nicht zu ihnen bekennt, wird er<br />

die Medizin unmenschlich machen und<br />

die gute Hoffnung in ihr Gegenteil verkehren.<br />

Nicht der egozentrierte Jugendlichkeitskult,<br />

da sind sich der Sozialist<br />

Ernst Bloch und der Christ Josef Pieper<br />

einig, führt zur Lebensfrische. Es ist<br />

vielmehr das Prinzip der guten Hoffnung.<br />

Dieses weiß: »Ich bin. Aber ich habe mich<br />

nicht. Darum werden wir erst« (E. Bloch).<br />

ARCHIV<br />

Hoffnung ist von prophetischem Charakter.<br />

Dazu braucht es Geist, weit weniger<br />

raffinierte und schon gar keine albernen<br />

oder ethisch verwerflichen Techniken.<br />

Eine Physik oder Chemie der Hoffnung<br />

gibt es nicht und sie lässt sich nicht herstellen.<br />

In ihrer real menschlichen Dimension<br />

ist sie Begabung. Als »Glut zum<br />

Leben« bezeichnet sie der Philosoph<br />

Gabriel Marcel, als alles überwindende<br />

»innere Kraft«. Der Liebe verwandt bedeutet<br />

sie ihm »den Durchbruch durch<br />

die Zeit«. Als solche wird Hoffnung nicht<br />

selten bei unheilbar Kranken beobachtet,<br />

die nicht mehr physische Vitalität, nicht<br />

Heilung, sondern das Heil erwarten.<br />

Die gute Hoffnung ist<br />

der Stoff, aus dem unsere<br />

Seele gemacht ist, meint<br />

Gabriel Marcel, sie sei<br />

eine Form von Gnade.<br />

Deshalb müssen Philosophie<br />

und Theologie der<br />

Medizin widerstehen und<br />

sie zurechtweisen, wenn<br />

diese sich maßlos überhebt. Denn<br />

»spirituelle Bildung (...) macht auch die<br />

ärztliche Kunst besser« las man vor kurzem<br />

in »Christ in der Gegenwart«.<br />

»Religiös fähige Ärzte brauchen die Kranken<br />

wie die Gesunden«, und »die Leibsorge<br />

diesseits des Jenseits« verlange<br />

»ebenso nach einer guten Seelsorge jenseits<br />

des Diesseits.« Schwangerschaft<br />

nicht primär unter dem Verdacht des<br />

Schadensfalls zu sehen, Behinderung nicht<br />

als unzumutbar zu missdeuten, sondern<br />

das natürliche Hoffnungspotenzial eines<br />

jeden Menschen in allen Lebensphasen<br />

zu entdecken, das bedeutet ärztliches<br />

Handeln.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. med. Dr. theol. h.c.<br />

Maria Overdick-Gulden<br />

Jahrgang 1931, ist Ärztin. Sie war im<br />

Fach Innere Medizin als klinische Oberärztin<br />

und in freier Praxis tätig. Sie beschäftigt<br />

sich eingehend<br />

mit der wissenschaftlichen<br />

Thematik der Bioethik,<br />

hält Vorträge<br />

und publiziert, unter<br />

anderem im <strong>LebensForum</strong>,<br />

zu verschiedenen Lebensrechtsthemen.<br />

Für eines ihrer Bücher<br />

erhielt sie die Ehrendoktorwürde der<br />

Theologischen Fakultät der Universität<br />

Trier. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied<br />

des Bundesvorstands der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

ARCHIV<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

4320 Schulklassen abgetrieben<br />

Dr. Claudia Kaminski<br />

Die Zahl der in Deutschland durchgeführten<br />

vorgeburtlichen Kindstötungen ist 2004 wieder<br />

gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt<br />

in Wiesbaden wurden im vergangenen Jahr<br />

insgesamt 129.600 Abtreibungen gemeldet.<br />

Das sind 1,3 Prozent<br />

mehr als im Jahr davor.<br />

Die »Aktion Lebensrecht<br />

für Alle«<br />

(<strong>ALfA</strong>) nahm die Bekanntgabe<br />

der Abtreibungszahlen<br />

zum<br />

Anlass, die im Bundestag<br />

vertretenen<br />

Parteien erneut zu<br />

einer Reform des<br />

§ 218 aufzufordern. »Angesichts weiter steigender<br />

Abtreibungszahlen« müsse der Gesetzgeber<br />

»zehn Jahre nach der Reform des § 218<br />

der vom Bundesverfassungsgericht auferlegten<br />

Pflicht nachkommen und die geltenden<br />

gesetzlichen Bestimmungen korrigieren«, erklärte<br />

die Bundesvorsitzende Claudia Kaminski.<br />

»Dass Gesetze nachgebessert werden, zählt<br />

längst zum Standard in der Politik. Warum<br />

ausgerechnet dort darauf verzichtet werden<br />

soll, wo es um Leben und Tod geht, ist nicht<br />

nachvollziehbar«, sagte Kaminski. »129.600<br />

vorgeburtliche Kindstötungen <strong>–</strong> das entspricht<br />

4320 Schulklassen <strong>–</strong> sprechen eine deutliche<br />

Sprache«, so die Ärztin weiter. reh<br />

Verein »Donum Vitae« wächst<br />

Die aus Protest gegen eine Anweisung Papst<br />

Johannes Paul II. gegründete Organisation<br />

»Donum Vitae« wächst eigenen Angaben zu<br />

Folge weiter. Wie die Organisation mitteilte,<br />

sei die Anzahl der von »Donum Vitae« durchgeführten<br />

Beratungen im vergangenen Jahr<br />

um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr auf<br />

33.207 Fälle gestiegen. Die Anzahl der Beratungsstellen<br />

sei um vier auf nunmehr 105<br />

Beratungsstellen angewachsen. Zusammen<br />

mit den Außenstellen sei »Donum Vitae« in<br />

der deutschen Ortskirche nunmehr an 181<br />

Orten präsent. »Donum Vitae« war im Jahr<br />

2001 von katholischen Laien gegründet worden,<br />

nachdem das Oberhaupt der katholischen<br />

Kirche angeordnet hatte, dass Beratungsstellen<br />

in katholischer Trägerschaft künftig keine<br />

Nachweise mehr ausstellen dürfen, die vom<br />

Gesetzgeber zur Bedingung für die Durchführung<br />

einer straffreien vorgeburtlichen Kindstötung<br />

gemacht worden war. Wie viele Beratungsscheine,<br />

die von Bischöfen wie dem<br />

verstorbenen Erzbischof von Fulda Johannes<br />

Dyba als »Lizenzen zum Töten« bezeichnet<br />

worden waren, in den Beratungsstellen von<br />

Donum Vitae ausgestellt wurden, geht aus<br />

der Mitteilung nicht hervor.<br />

reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 29


BÜCHERFORUM<br />

Dem im Zusammenhang mit der<br />

Pränataldiagnostik (PND) erforderlichen<br />

Bedarf an psychosozialer<br />

Beratung wird in der europäischen<br />

Praxis nur<br />

unzureichend entsprochen.<br />

Erika<br />

Feldhaus-Plumin<br />

zeigt im Rahmen<br />

ihrer Promotionsarbeit<br />

nach umfangreicher<br />

Recherche in einschlägiger<br />

Literatur und Praxis, die sie aus eigener<br />

Beratungstätigkeit kennt, die diesbezüglich<br />

bestehenden Defizite in der Bundesrepublik<br />

auf. In einigen<br />

Nachbarländern sieht es<br />

noch lückenhafter aus:<br />

dort wird, ehrenamtlich<br />

tätige Gruppierungen<br />

ausgenommen, der Beratungsbedarf<br />

kaum wahrgenommen.<br />

So dominieren<br />

bei positivem Befund<br />

in der Lebenspraxis<br />

die gesellschaftlich tief<br />

verwurzelte Ablehnung<br />

und Tabuisierung von<br />

»Behinderung« und eine<br />

ärztlich forcierte Eugenik,<br />

die sich dem Lebensrecht<br />

des Ungeborenen entgegenstellt<br />

und zur Spätabtreibung<br />

mit ihren<br />

Folgen führt.<br />

Bisherigen Konzepten wird eine in<br />

acht Beratungsschritten erfolgende Begleitung<br />

gegenübergestellt. Denn viel zu<br />

häufig rekurrieren beteiligte Ärzte auf<br />

die Selbstbestimmung der Frau, die sich<br />

ihrerseits bei positivem Befund meist<br />

unvorbereitet vor die Entscheidung über<br />

Leben oder Tod ihres Kindes gestellt<br />

sieht. Wenn ihr nicht schon vor der Untersuchung<br />

ausführlich die Brisanz der<br />

PND und deren Konsequenzen beschrieben<br />

werden, bleibt ihre Autonomie angesichts<br />

der »Wissensautorität« vielfach<br />

illusionär. Zudem bilden Ultraschall und<br />

Risikoberechnungen nicht selten<br />

»Scheinrealitäten« ab (»Risikodilemma«),<br />

aus denen fehlerhafte Prognosen hervorgehen.<br />

Es ist ein Feld von Ängsten: für die<br />

Ärzte, die juristische Folgen fürchten, für<br />

die Frauen, die sich nur auf das gesunde<br />

Wunschkind einstellen, aber keine Vorstellung<br />

von den Integrationsmöglichkeiten<br />

behinderter Menschen im Alltag haben<br />

und so nichts von der Chance zur<br />

persönlichen Auseinandersetzung erfahren.<br />

Jüngste Studien stellen deshalb den<br />

»natürlichen« Blick von Hebammen auf<br />

30<br />

Oft allein<br />

gelassen<br />

Schwangerschaft als gesunde Lebensphase<br />

der gynäkologischen Perspektive der<br />

Schwangerschaft als Krankheit gegenüber<br />

(S. 59). Als wichtigstes Ergebnis aller<br />

Studien stellt sich<br />

die Stärkung der<br />

Entscheidungskompetenz<br />

der<br />

Frau dar, ethische<br />

und religiöse Perspektiven<br />

sowie<br />

psychische und partnerschaftliche Konsequenzen<br />

inbegriffen.<br />

Am Beispiel Berlin wird die Versorgungssituation<br />

qualitativ und quantitativ<br />

untersucht und das existierende<br />

Defizit an Beratungshilfe<br />

belegt. Aus<br />

den Interviews der Autorin<br />

mit Gynäkologen/Beraterinnen<br />

geht<br />

hervor, dass das Lebensrecht<br />

des Kindes nicht<br />

thematisiert wird (S. 289).<br />

Keine der interviewten<br />

Frauen und Experten geht<br />

auf die ethischen Aspekte<br />

der Entscheidung »Leben<br />

oder Tod« ein. Vielmehr<br />

wird im Fall der »medizinischen<br />

Indikation« innerhalb<br />

des Regelkreises<br />

Gynäkologe-Humangenetiker<br />

Verantwortung oft<br />

hin und her verschoben, bis sie letztlich<br />

der betroffenen Frau aufgelastet wird.<br />

Doch diese findet aus ihrer dramatischen<br />

Situation nur schwer heraus, wenn sie<br />

nicht durch Partner, Freundinnen, Kontakte<br />

zu Selbsthilfegruppen und kompetente<br />

Beratung gestützt wird. Daher sollten<br />

sich »Patientinnenautonomie und<br />

ärztliche Fachkompetenz (...) ergänzen«<br />

(S. 320), möglichst angstfrei und so, »dass<br />

das Kind nicht unter den Tisch fällt«.<br />

Könnte nicht eine gesetzlich verpflichtende<br />

psychosoziale Beratung bereits vor<br />

Inanspruchnahme jeglicher pränataler<br />

Diagnostik zu einer Stärkung der Kompetenz<br />

der Frauen führen? Eine neue<br />

»Scheinlösung« nach dem Muster der<br />

Regelung des § 218 wäre damit nicht<br />

automatisch vorgezeichnet. Denn unabhängig<br />

davon steht die gesellschaftliche<br />

und persönliche Klärung der Frage an:<br />

Was ist der Mensch?<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Erika Feldhaus-Plumin<br />

Versorgung und Beratung zu Pränataldiagnostik<br />

Göttingen <strong>2005</strong>. 342 Seiten. 39,90 EUR.<br />

Im Schaufenster<br />

Anerkennung, Ethik<br />

und Behinderung<br />

In den Kontroversen<br />

über die Chancen und<br />

Risiken der modernen<br />

Medizin ist neben der<br />

ethischen und rechtlichen<br />

Zulässigkeit der<br />

jeweiligen Verfahren<br />

auch die Veränderung von sozialen Werten,<br />

Normen und Weltbildern von erheblicher Bedeutung.<br />

In dem vorliegenden Sammelband<br />

stellen die Autoren den mit den Möglichkeiten<br />

der modernen Medizin verbundenen kulturellen<br />

Wandel in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen.<br />

Aus ethischer, rechtlicher, medizinischer,<br />

sozial- und kulturwissenschaftlicher<br />

Sicht thematisieren sie die Folgen, welche<br />

medizin-technische Verfahren wie die Pränatale<br />

Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID) für die gesellschaftliche Anerkennung<br />

insbesondere von Menschen mit<br />

Behinderungen haben. reh<br />

Sigrid Graumann, Katrin Grüber (Hrsg.): Anerkennung,<br />

Ethik und Behinderung. Reihe: Mensch <strong>–</strong> Ethik <strong>–</strong><br />

Wissenschaft, Band 2. LIT Verlag. Münster <strong>2005</strong>.<br />

223 Seiten. 19,90 EUR.<br />

»Euthanasie«<br />

im NS-Staat<br />

In »›Euthanasie‹ im NS-<br />

Staat« beschreibt der<br />

Journalist Ernst Klee<br />

(Jahrgang 1942) erstmals<br />

umfassend und<br />

detailliert die als »Geheime<br />

Reichssache« bis<br />

1945 durchgeführte Massentötung von alten,<br />

kranken oder aus anderen Gründen für »lebensunwert«<br />

erklärten Menschen. Dabei zeigt<br />

Klee, dass auch nach dem von Hitler aufgrund<br />

von Protesten der Bevölkerung offiziell verhängten<br />

Euthanasie-Stopp, die Massenvernichtung,<br />

wenn auch besser getarnt, so doch<br />

unvermindert weiter ging. Ermordet wurden<br />

die als »unbrauchbar« erachteten Bürger nun<br />

durch Unterbringung in unbeheizten Anstalten,<br />

durch Nahrungsentzug oder durch Überdosierung<br />

von Medikamenten.<br />

Als Grundlage für die Darstellung der Greuel<br />

in der Zeit des Nationalsozialismus dienen<br />

dem Autor unter anderem bisher unbekannte<br />

Text- und Bilddokumente aus den Archiven<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


der Bundesrepublik, der ehemaligen DDR, aus<br />

Österreich, Polen sowie der früheren UdSSR,<br />

die er in über zwei Jahren andauernden Recherchen<br />

zusammengetragen hat. Fassungslos<br />

macht die Lektüre von Klees Buch aber auch<br />

aus einem anderen Grund. Denn vor dem<br />

Hintergrund dieser historischen Erfahrungen<br />

ist es kaum nachvollziehbar, dass hilfs- und<br />

pflegebedürftige Menschen heute erneut unter<br />

dem Gesichtspunkt von Kosten-Nutzen-<br />

Kalkulationen betrachtet und behandelt werden.<br />

reh<br />

Ernst Klee: »Euthanasie« im NS-Staat. Die »Vernichtung<br />

lebensunwerten Lebens«. Fischer Taschenbuch<br />

Verlag, Frankfurt am Main 2004. 11. Auflage.<br />

503 Seiten. 12,90 EUR.<br />

Das Klonen von<br />

Menschen<br />

Trotz der Anfang des<br />

Jahres verabschiedeten<br />

Deklaration der Vereinten<br />

Nationen, mit der<br />

die Staaten aufgefordert<br />

werden, in ihren nationalen<br />

Gesetzen jede<br />

Form des Klonen von Menschen zu verbieten,<br />

ist die Debatte um Zulassung des Klonens<br />

von Menschen zu Forschungszwecken neu<br />

entfacht. Vor diesem Hintergrund ist das im<br />

vergangenen Jahr erschienene Werk des Juristen<br />

Jens Kersten, in dem er für ein umfassendes<br />

Klonverbot plädiert, von immenser<br />

Aktualität. Das Verbot jeglichen Klonens, das<br />

auch das Klonen menschlicher Embryonen zu<br />

therapeutischen, wissenschaftlichen und diagnostischen<br />

Zwecken umfasst, begründet der<br />

Autor mit der Pflicht jeglicher Hoheitsgewalt<br />

zur Daseinvorsorge künftiger Menschen, die<br />

er eindrucksvoll aus den Präambeln des Grundgesetzes,<br />

der Grundrechte-Charta der Europäischen<br />

Union und der Charta der Vereinten<br />

Nationen herleitet. Sowohl der einzelne Staat<br />

als auch supranationale Gewalten seien verpflichtet,<br />

für den Schutz der Subjektqualität<br />

des einzelnen zu sorgen, auf deren Grundlage<br />

auch Prinzipien wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />

beruhten.<br />

Auf bestechende Weise widerlegt der Autor<br />

zudem die Argumente, die in der aktuellen<br />

Debatte von interessierter Seite gegen Kriterien<br />

wie Spezies, Potentialität, Kontinuität<br />

und Identität vorgebracht werden. Allein der<br />

Preis dieses so wichtigen Werkes stimmt<br />

traurig. reh<br />

Jens Kersten: »Das Klonen von Menschen«. Eine<br />

verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Kritik.<br />

Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2004. 679 Seiten.<br />

Gebunden 129,- EUR.<br />

Stand in früheren Zeiten die Frage<br />

im Vordergrund, wohin der Tod<br />

uns führen wird, also die nach<br />

einem Leben post mortem, einem vitam<br />

aeternam, überwiegt<br />

heute in der<br />

Medienwelt und<br />

der breiten Öffentlichkeit<br />

offenbar<br />

die nach einer<br />

»Zivilkultur des<br />

Tötens«. Die Sterbekultur früherer Jahrhunderte,<br />

die euthanasia interior, nahm<br />

die Angst vor einem jähen und<br />

»unversehenen« Ende auf und wünschte<br />

sich einen wohl bedachten<br />

und durchdachten<br />

Übergang. Man wollte<br />

bereit, vorbereitet sein.<br />

Das ist in unserer Zeit<br />

des »menschenwürdigen<br />

Sterbens« (Hans Küng,<br />

Walter Jens) anders geworden.<br />

Nicht Schicksalsmächte,<br />

nicht Gott<br />

bestimmen das Ende, es<br />

ist der Mensch in seiner<br />

Autonomie. Ein würdevolles<br />

Sterben ist demnach<br />

ein schmerzfreies,<br />

möglichst ohne Atemnot<br />

und vor allem ein punktuelles.<br />

Wir wollen »freiwillig<br />

sterben«, und zwar<br />

an einem von uns bestimmten Datum.<br />

Unser Tod wird als »Exit« und in »Dignitas«<br />

arrangiert, <strong>–</strong> zwei Begriffe, nach<br />

denen sich Sterbehilfeverbände in der<br />

Schweiz benennen.<br />

Die zahlreichen Marktanbieter agieren<br />

eifrig nicht nur in unseren Nachbarländern,<br />

der Niederlande und Belgien, sondern<br />

international und weltweit als World<br />

Federation of Right-to-Die Societies. Sie<br />

werben auch vor unseren Türen unter<br />

anderem als Deutsche Gesellschaft für<br />

Humanes Sterben (DGHS) und Humanistischer<br />

Verband Deutschlands (HVD).<br />

Angeboten werden diverse Strategien der<br />

Beihilfe und Mittel zum punktuellen Tod.<br />

Diskutiert wird in der Niederlande derzeit<br />

über die freie Zulassung der »Pille von<br />

Drion«, einer Selbsttötungspille für alle<br />

Menschen über 70, die ein Vizepräsident<br />

der niederländischen Ärztekammer dort<br />

bereits vor zehn Jahren gefordert hatte.<br />

Mediziner, Krankenpfleger und Sterbehelfer<br />

können sich in dieser Gedankenfolge<br />

als »Autonomie-Erfüllungsgehilfen«<br />

empfinden, ob sie nun den Stecker oder<br />

den Schlauch, über den die Ernährung<br />

erfolgt, herausziehen oder die Todesspritze<br />

setzen; natürlich immer im »besten<br />

Zivilkultur<br />

»Sterbehilfe?«<br />

Interesse« des Kranken oder eines (nur)<br />

Lebensmüden und gemäß seinem<br />

»mutmaßlichen Willen«. Dann ist die<br />

Grenze zwischen »passiver« und »aktiver«,<br />

»direkter«<br />

und »indirekter«<br />

Sterbehilfe aufgehoben:<br />

denn man<br />

beabsichtigt den<br />

Tod. Zu Zeiten<br />

begrenzter Finanzen<br />

und Personalabbaus im Gesundheitswesen<br />

vielleicht ein nicht allzu fern liegender<br />

Gedanke.<br />

Hinter dem Pathos der Patienten-<br />

Autonomie und hinter<br />

der Fiktion seines<br />

»mutmaßlichen Willens«<br />

kann sich de facto<br />

die vorsätzliche tödliche<br />

Gewalt gegen andere<br />

verbergen: Mit der<br />

Angst vor Schmerz und<br />

Würdelosigkeit wird<br />

gehandelt, die »selbstbestimmte«<br />

Patientenverfügung<br />

als Gegenmaßnahme<br />

propagiert<br />

und diese zum Dokument<br />

für die Tötungserlaubnis<br />

stilisiert. Das<br />

geschieht auch in manchem<br />

Hospiz. Leider.<br />

Die weltweit angestrebte<br />

Anerkennung eines »Rechts auf Sterben«<br />

würde sich, so die Befürchtung, in der<br />

Praxis zu einem Ausnahme-Recht auf<br />

Mord verkehren.<br />

Der Sterbehilfetod bietet sich unter<br />

Metaphern an. Aus dem Sterben wird ein<br />

kurzer selbstbestimmter »Schritt«. Der<br />

»gute Tod« nimmt Punktform an, Sterben<br />

wird auf den Punkt gebracht: »Es kommt<br />

zum Tod, ich komme zum Tod, nicht er<br />

zu mir« (S. 87). Verkauft wird der Tod,<br />

der das Sterben unterschlägt.<br />

Über die ethischen Probleme der Sterbehilfe<br />

in Theorie und Praxis legt die<br />

Lektüre ein Bündel von Perspektiven vor.<br />

Gut lesbar und empfehlenswert.<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Bioskop-AutorenInnenkollektiv<br />

»Sterbehilfe«. Die neue Zivilkultur des Tötens?<br />

Frankfurt a. M. 2002. 96 Seiten. 14,90 EUR.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis verbis<br />

»<br />

Zweifellos beginnt menschliches Leben mit<br />

der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.«<br />

Der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle, der<br />

mit embryonalen Stammzellen getöteter<br />

Embryonen forscht, im Interview der Zeitung<br />

»Die Welt«.<br />

»<br />

Für mich ist der Mord, der bei einer<br />

Abtreibung geschieht, schwerwiegender<br />

als der Mord an einem Erwachsenen.«<br />

Der Vorsitzende der Philippinischen Bischofskonferenz,<br />

Erzbischof Fernando Capalla von Davao,<br />

in einem Radiokommentar.<br />

»<br />

Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit.«<br />

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,<br />

Karl Kardinal Lehmann, über die dem<br />

Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht<br />

auferlegte Pflicht zur Überprüfung der gesetzlichen<br />

Bestimmung zur Abtreibung.<br />

»<br />

Es ist offensichtlich, dass es auf Seiten der<br />

USA (...) keine Intention gab, neue Rechte<br />

(...) zu schaffen, darunter eines auf Abtreibung.<br />

Durch die Auseinandersetzung zeigte<br />

sich, dass Kanada und einige europäische<br />

Staaten die damaligen Erklärungen zur<br />

Interpretation eines internationalen Rechtes<br />

auf Abtreibung verwenden wollten. (...) Wir<br />

sind sehr froh, dass so viele andere Regierungen<br />

ihre Übereinstimmung mit unserer<br />

Position signalisiert haben.«<br />

Tops & Flops<br />

Der »Schutz des menschlichen<br />

Lebens von der Empfängnis<br />

an bis zum natürlichen<br />

Tod« soll in der Verfassung<br />

des Fürstentums Liechtenstein verankert<br />

werden. Dafür sprach sich Erbprinz<br />

Alois von und zu Liechtenstein<br />

bei der Eröffnung des Landtags Mitte<br />

April in Vaduz aus.<br />

»Bei der Frage, ob<br />

menschliches Leben<br />

getötet werden<br />

darf, um anderem<br />

menschlichen Leben<br />

mehr Freiheit,<br />

Selbstbestimmung<br />

oder materiellen<br />

Wohlstand zu ermöglichen,<br />

wird die<br />

Erbrpinz Alois von und zu<br />

Liechtenstein<br />

Abwägung eindeutig in Richtung Schutz<br />

des menschlichen Lebens und Einschränkung<br />

von Freiheit und Selbstbestimmung<br />

gehen müssen«, erklärte der Erbprinz.<br />

Obwohl im Fürstentum Liechtenstein<br />

»Angriffe auf ungeborenes menschliches<br />

Leben unter Strafe« stehen, gebe es Bemühungen<br />

um eine Fristenlösung, sagte<br />

der Erbprinz. Er forderte die Abgeordneten<br />

auf, darüber nachzudenken, »wie<br />

einer ungewollt schwangeren Mutter besser<br />

geholfen werden kann, wie kinderreiche<br />

Familien durch den Staat besser geschützt<br />

werden können und wie ein Altern<br />

und Sterben in Würde durch Pflegeeinrichtungen,<br />

Schulung von Pflegepersonal,<br />

Hospizkarenz und andere Hilfen erleichtert<br />

werden kann«. sb<br />

WWW.FUERSTENHAUS.LI<br />

Der an der tödlich verlaufenden<br />

Nervenkrankenheit<br />

ALS leidende Maler Jörg<br />

Immendorff hat sich in<br />

China Zellen aus dem Gewebe abgetriebener<br />

Kinder ins Hirn spritzen lassen.<br />

Laut Presseberichten ließ sich der 59-<br />

jährige Düsseldorfer Kunstprofessor im<br />

Pekinger West-Berge-Krankenhaus zwei<br />

Millionen Nasenzellen von abgetriebenen<br />

Kindern an zwei Stellen ins Gehirn spritzen.<br />

Dort praktiziert der Neurochirurg<br />

Huang Hongyun weltweit als einziger<br />

das sowohl unethische als auch medizinisch<br />

umstrittene Verfahren.<br />

Bei ALS (Amyotrophischer Lateralsklerose)<br />

werden die Neuronen zerstört,<br />

was zur schrittweisen Lähmung des ganzen<br />

Körpers führt, bis<br />

am Ende auch die<br />

Atmung aussetzt.<br />

Immendorff hofft<br />

den Berichten zufolge<br />

nun, dass die<br />

Nasenzellen der<br />

abgetriebenen Kinder<br />

die beschädigten<br />

Nervenzellen<br />

wiederherstellen<br />

Prof. Jörg Immendorf<br />

und den Selbstheilungsmechanismus aktivieren.<br />

Der Maler hatte erst nach vollendeter<br />

Operation den ihn in Deutschland<br />

behandelnden Arzt Thomas Meyer von<br />

der Berliner Charité informiert. Tatsächlich<br />

hält Meyer das Vorgehen des chinesischen<br />

Kollegen denn auch für »unseriös<br />

und unethisch«.<br />

reh<br />

ARCHIV<br />

US-Botschafterin Ellen Sauerbrey Anfang März<br />

auf der Konferenz der Frauenkommission der<br />

Vereinten Nationen in New York, die die<br />

Ergebnisse der Weltfrauenkonferenz in Peking<br />

von 1995 überprüfte.<br />

»<br />

Frankenstein-Report«<br />

Die britische Labour-Abgeordnete Geraldine<br />

Smith über einen Bericht des Ausschusses für<br />

Wissenschaft und Technik des britischen Unterhauses,<br />

der empfiehlt, Eltern künftig das Recht<br />

einzuräumen, Kinder, die nach künstlicher Befruchtung<br />

entstanden sind, nach deren Geschlecht<br />

zu selektieren.<br />

32<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>


Aus dem Netz gefischt<br />

»Hier wird der Besucher mit der<br />

traurigen Realität konfrontiert.«<br />

www.dasleuchterfeuer.de <strong>–</strong> so lautet<br />

die Domain einer den Besuch lohnenden<br />

Internetplattform für Frauen im Schwangerschafskonflikt.<br />

Die ansprechend gestaltete<br />

Homepage bietet nicht nur eine<br />

Notruf-Hotline an, die an sieben Tagen<br />

in der Woche rund um die Uhr durch<br />

geschulte Beraterinnen besetzt ist, sondern<br />

auch verschiedene Foren, in denen<br />

betroffene Frauen sich untereinander<br />

austauschen können. Wo besonders sensible<br />

Themen behandelt werden, wie etwa<br />

Familienleben nach einer Abtreibung, ist<br />

eine Registrierung für die Teilnahme<br />

erforderlich. Ansonsten sind die Foren<br />

offen. Laut Hans Leicher, der zusammen<br />

mit Ute Stummeyer »Das Leuchtfeuer«<br />

im Juni 2001 als Bürgerinitiative gründete,<br />

greifen mittlerweile »sogar Beratungsstellen<br />

aus dem ganzen Bundesgebiet« auf<br />

die Hotline zurück.<br />

Angeboten wird eine wertungsfreie,<br />

nicht konfessionell gebundene und zeitlich<br />

unbegrenzte Beratung, Begleitung bei<br />

www.dasleuchtfeuer.de<br />

»Deutschland. Das von morgen« (2)<br />

Millionen von Jugendlichen, die<br />

nach dem Tod Johannes Pauls II. nach<br />

Rom reisten, um von dem Jahrhundert-<br />

Papst Abschied zu nehmen, haben Politik<br />

und Wirtschaft in Angst und<br />

Schrecken versetzt. Schlagartig wurde<br />

den Staats- und Unternehmenslenkern<br />

bewusst, dass es in Deutschland an<br />

Angeboten für die Wähler und Konsumenten<br />

von morgen mangelt. Nun<br />

hagelt es Sofort-Maßnahmen: Telekom-Chef<br />

Kai Ricke soll sich bereits<br />

beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,<br />

Karl Kardinal Lehmann,<br />

erkundigt haben, mit wem die<br />

Telekom im Vatikan über die Rechte<br />

an geistlichem Liedgut verhandeln könne.<br />

Gerüchten zufolge will der Konzern<br />

Amtsgängen und Gesprächen, persönliche<br />

Begleitung, Betreuung und Unterstützung<br />

während und nach der Schwangerschaft.<br />

Falls gewünscht könne die Beratung aber<br />

auch »gerne glaubensorientiert und mit<br />

seelsorgerischem Ansatz« erfolgen.<br />

Aber auch für diejenigen, die vor allem<br />

Aufklärungsarbeit leisten, ist ein Besuch<br />

der Seite sicher lohnend. Zwar finden<br />

sich hier nur wenige Daten und Fakten,<br />

dafür gibt es aber eine ganze Menge<br />

persönlicher Zeugnisse. Statt mit »Werbung<br />

für Abtreibung« á la Pro familia<br />

(»nicht schlimmer als beim Zahnarzt«)<br />

wird der Besucher hier mit der traurigen<br />

Realität Betroffener konfrontiert. Auch<br />

für Lehrer, die das Thema »Abtreibung«<br />

im Unterricht behandeln, ist die Plattform<br />

www.dasleuchterfeuer.de sicher einen<br />

Klick wert.<br />

reh<br />

zum Weltjugendtag eine Kollektion<br />

neuer Klingeltöne für Mobiltelefone<br />

auf den Merkt bringen. Ganz oben auf<br />

der Liste stünden »Großer Gott wir<br />

loben Dich« und das »Salve Regina«.<br />

Bundeskanzler Gerhard Schröder soll<br />

beim Bundespräsidialamt angefragt<br />

haben, ob er seinem Amtseid die Formel<br />

»So wahr mir Gott helfe« auch<br />

noch nachträglich anhängen könne.<br />

Und FDP-Chef Guido Westerwelle<br />

hat dem Vernehmen nach im kleinen<br />

Kreis durchblicken lassen, dass er sich<br />

selbst eine Verkürzung der Frist, bis<br />

zu der Frauen straffrei und rechtswidrig<br />

abtreiben können, nun vorstellen könne.<br />

Im Gespräch seien 11 1/2 statt wie<br />

bislang 12 Wochen. Stefan Rehder<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

Ärzte lehnen Euthanasie ab<br />

Laut einer von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführten<br />

repräsentativen Umfrage sind nur<br />

10 Prozent der Ärzte in Deutschland bereit,<br />

bei der Tötung auf Verlangen zu assistieren.<br />

Danach lehnt ein Drittel der Ärzte jede Form<br />

der Sterbehilfe oder ihre Vorbereitung generell<br />

ab. 67 Prozent können sich lediglich vorstellen,<br />

auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten hin<br />

lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen,<br />

wenn durch diese nur der Todeseintritt<br />

verzögert, die Krankheit aber nicht mehr aufgehalten<br />

werden könne. Bei den Versicherten<br />

zeichnet die Umfrage ein abweichendes Bild.<br />

Zwar plädieren auch dort zwei Drittel der Befragten<br />

für das Unterlassen lebensverlängernder<br />

Maßnahmen. Allerdings lehnen nur 9 Prozent<br />

sowohl die aktive als auch passive Sterbehilfe<br />

generell ab. 45 Prozent finden, dass<br />

Ärzte bei der Selbsttötung des Patienten assistieren<br />

können sollten.<br />

reh<br />

Kirche will Lebensrechtler stützen<br />

Der Präsident des Päpstlichen Rates »Justitia<br />

et Pax«, Renato Kardinal Martino, hat die<br />

nationalen Bischofskonferenzen zu einer stärkeren<br />

Unterstützung<br />

der<br />

Lebensrechtsbewegungen<br />

in<br />

ihren Ländern<br />

aufgerufen.<br />

Während einer<br />

Konferenz anlässlich<br />

des<br />

vierzigsten<br />

Jahrestages<br />

der Verabschiedung<br />

der<br />

Renato Kardinal Martino<br />

Pastoralkonsitution über die Kirche in der<br />

Welt von heute (»Gaudium et Spes«) erklärte<br />

Martino, hätte der Heilige Stuhl bei den Weltkonferenzen<br />

der Vereinten Nationen 1994 in<br />

Kairo (Bevölkerung) und 1995 in Peking (Frauen)<br />

nicht so eng mit den Nichtregierungsorganisationen<br />

zusammengearbeitet, dann hätte er<br />

nicht erreicht, dass alle Anstrengungen scheiterten,<br />

die ein »Recht auf Abtreibung« in die<br />

Abschlussdokumente hineinschreiben wollten.<br />

Kardinal Martino vertrat sechzehn Jahre lang<br />

den Heiligen Stuhl bei den Vereinten Nationen<br />

in New York, bevor er 2002 die Nachfolge des<br />

verstorbenen vietnamesischen Kardinals van<br />

Thuan als Präsident des Rates für Frieden und<br />

Gerechtigkeit übernahm. In seiner Ansprache<br />

wies Martino auch darauf hin, dass der enge<br />

Schulterschluss von Bischöfen und Pro-Life-<br />

Bewegung in den Vereinigten Staaten von<br />

Amerika bereits sichtbare Früchte und eine<br />

Verbesserung des Lebensschutzes gebracht<br />

habe.<br />

reh<br />

ARCHIV<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 33


LESERFORUM<br />

Gratulation<br />

Kompliment, Kompliment: gefällt mir<br />

ausgesprochen gut: Übersichtlich, klar,<br />

ansprechend und hat Stil. Gratuliere zum<br />

neuen <strong>LebensForum</strong>.<br />

Markus Reder, Würzburg<br />

Ausgebremst<br />

Ich finde die Aufmachung sehr viel<br />

eindringlicher und übersichtlicher, wobei<br />

der Inhalt meines Erachtens nach wie vor<br />

das Wichtigste ist. Besonders angesprochen<br />

haben mich die Beiträge von Veronika<br />

Blasel und Hubert Hecker sowie die<br />

Buchbesprechung von Stefan Rehder und<br />

Christoph Kardinal Schönborn<br />

die Rubrik »Kurz vor Schluss«. Dass der<br />

Vorstoß der Jugend für das Leben in<br />

Salzburg ausgerechnet durch den Erzbischof<br />

von Wien, Christoph Kardinal<br />

Schönborn, kritisiert wird, erinnert mich<br />

34<br />

ARCHIV<br />

»Die Entwicklungen in den Niederlanden<br />

sollten jenen eine Lehre sein, die hierzulande<br />

eine Legalisierung der Euthanasie<br />

fordern! Erst waren es im Sterben liegende<br />

Patienten, dann ›lebensmüde‹ Menschen,<br />

nun sollen es Kinder sein, die ohne ihre<br />

Einwilligung getötet werden. Die Legalisierung<br />

der aktiven Sterbehilfe in unserem<br />

Nachbarland 1998 war ein Dammbruch,<br />

der nicht mehr aufzuhalten ist.«<br />

Mira Steinhauer, Kerpen<br />

zum Artikel »Das Groningen-Protokoll«<br />

fatal an die Zeit des Kirchenkampfes in<br />

Bayern während des Dritten Reiches, als<br />

Pater Rupert Mayer immer wieder vom<br />

damals ranghöchsten Kirchenvertreter<br />

Michael Kardinal von Faulhaber unschön<br />

ausgebremst wurde, weil dieser <strong>–</strong> und das<br />

ist die Parallele <strong>–</strong> auch partout glaubte,<br />

man könne mit den fanatischen Nationalsozialisten<br />

reden und verhandeln. Ich<br />

glaube, Kardinal von Faulhaber hat zu<br />

spät erkannt, dass ein von Anfang an<br />

entschiedenes Auftreten gegen die offenkundigen<br />

Gesetzesbrüche der Nazis die<br />

bessere Alternative gewesen wäre, zumindest<br />

aber die glaubwürdigere.<br />

Konrad Raab (per E-Mail)<br />

Ungeheuerliches<br />

Das <strong>LebensForum</strong> Nr. 73 ist wieder<br />

hervorragend! Danke für Ihre unermüdliche<br />

und mutige Arbeit. Beim Lesen des<br />

Artikels »Lernziel Sex« stockte mir der<br />

Atem, so ungeheuerliche Dinge musste<br />

ich da erfahren. Ich kann mir auch vorstellen,<br />

dass der Ministerpräsident von<br />

Hessen, Roland Koch, an den Schulen<br />

seines Landes derartige Aktionen nicht<br />

dulden wird.<br />

Gotthard Kleß, Wembach/Schwarzwald<br />

Betrüblicher Jargon<br />

Leider verfallen Sie inhaltlich in einen<br />

betrüblichen Jargon. An etlichen Stellen<br />

bezeichnen Sie die <strong>ALfA</strong>-Mitglieder und<br />

andere Engagierte als »Lebensrechtler«.<br />

Merken Sie nicht, wie Sie uns alle hierdurch<br />

in eine sektiererische Ecke stellen?<br />

Gerne bin ich <strong>ALfA</strong>-Mitglied; aber auf<br />

keinen Fall will ich »Lebensrechtler«<br />

sein. Das ist ein schlimmes Eigentor.<br />

Dieter Emmerling, Hagen-Holthausen<br />

Prophetisch<br />

Mit größtem Gewinn habe ich das<br />

letzte <strong>LebensForum</strong> in den denkwürdigen<br />

Wochen zwischen dem Tod von Papst<br />

Johannes Paul II. und der Amtseinführung<br />

von Papst Benedikt XVI. gelesen. Dass<br />

Sie in Rocco Buttiglione jetzt einen unbestechlichen<br />

(Laien-)Propheten der Gegenwart<br />

für ein Interview gewinnen konnten,<br />

begeistert mich. Dieser politische<br />

Philosoph bündelt und deutet die Schicksalsfragen<br />

Europas. Philosophisch in<br />

Hochform und politisch mitten in der<br />

Arena antwortet Buttiglione auf Ihre<br />

Frage: »Lohnt es überhaupt noch, sich<br />

für den Lebensschutz einzusetzen?« unter<br />

anderem mit einem leidenschaftlichen<br />

Appell, der die Vernetzung der schlafenden<br />

Mehrheit Europas fordert. In der<br />

nächsten Zeit entscheidet sich langfristig<br />

Steht für Werte ein: EU-Minister Rocco Buttiglione<br />

die Zukunft Europas. Moralisches Handeln<br />

ist dabei unerlässlich, weshalb Buttiglione<br />

an die Tugenden erinnert. Aber<br />

auf der Ebene der politischen Mitgestaltung<br />

ist jetzt Vernetzung notwendig; erst<br />

durch sie lässt sich der sichtbare politische<br />

Raum noch erschüttern. Wir müssen<br />

leider mehr öffentlich streiten, mit hörbaren<br />

Stellungnahmen, in der Mitte der<br />

»civil society«. Wer die fundamentalen<br />

Werte Europas retten will, darf den demokratischen<br />

Ringkampf nicht scheuen.<br />

Die demokratisch gewählten Parlamente<br />

sind aus sich heraus zur Zeit alleine nicht<br />

in der Lage sind, das Erbe und die Zukunft<br />

Europas zu sichern.<br />

Domvikar Dr. theol. Andreas Frick, Bonn<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong><br />

EUROPAPARLAMENT


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>74</strong>, 2. Quartal <strong>2005</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />

z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />

Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels<br />

Tel.: 0 62 54 / 4 30, Email: dr.b.dirksen@gmx.de<br />

www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />

Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V.<br />

Olgastr. 57a, 70182 Stuttgart<br />

Tel.: 0711 / 237 19 53-12, Fax 0711 / 237 19 53-53<br />

www.tclrg.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder, M.A., Dr. phil. nat. Andreas Reimann<br />

Redaktion<br />

Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />

Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

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Satz / Layout<br />

Rehder Medienagentur, Aachen<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Auflage<br />

7.500 Exemplare<br />

Anzeigen<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2003<br />

Erscheinungweise<br />

Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 75 erscheint am 5.08.<strong>2005</strong>,<br />

Redaktionsschluss ist der 8.07.<strong>2005</strong><br />

Jahresbezugspreis<br />

12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />

das Leben im Beitrag enthalten)<br />

Bankverbindung<br />

Augusta-Bank<br />

Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00<br />

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Druck<br />

Reiner Winters GmbH<br />

Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />

www.rewi.de<br />

Titelbild<br />

[M] Life Issues Institute / Rehder Medienagentur<br />

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Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem<br />

Papier gedruckt.<br />

Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder und stehen in<br />

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Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck <strong>–</strong> auch auszugsweise<br />

<strong>–</strong> nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für<br />

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werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor,<br />

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Institut Konto.-Nr. BLZ<br />

Datum, Unterschrift


Gescheitert<br />

Der Europarat sagt noch einmal »Nein« zur<br />

Euthanasie: Die Ablehnung des Berichts des<br />

Schweizers Dick Marty kommt einer<br />

gewonnenen Schlacht gleich. Der Ausgang<br />

des »Krieges« bleibt offen.<br />

Von Stephan Baier<br />

Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />

Deutsche Post AG (DPAG)<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />

Bleibt klar bei seinem Nein: Der Europarat in Straßburg.<br />

Alle Versuche, den Europarat von<br />

seinem bisherigen strikten Nein<br />

zur Euthanasie abzubringen, sind<br />

vorerst gescheitert. Der liberale Schweizer<br />

Abgeordnete Dick Marty hatte sich drei<br />

Jahre lang hartnäckig bemüht, der »Entkriminalisierung<br />

der Euthanasie« über<br />

den 46 Staaten umfassenden Europarat<br />

einen Weg zu bahnen, doch scheiterte er<br />

am 27. April damit in der Parlamentarischen<br />

Versammlung des Europarates in<br />

Straßburg. 138 Abgeordnete lehnten den<br />

Marty-Bericht unter dem Titel »Begleitung<br />

von Patienten am Lebensende« ab,<br />

während nur 26 für ihn votierten. Nicht<br />

nur entschiedene Euthanasie-Gegner<br />

stimmten am Ende gegen Marty, sondern<br />

auch leidenschaftliche Befürworter der<br />

aktiven Euthanasie: Eine knappe Mehrheit<br />

hatte zuvor in 71 Änderungsanträgen<br />

Martys Text grundlegend verändert.<br />

Vorerst bleibt der Europarat also bei<br />

seiner Empfehlung 1418 aus dem Jahr<br />

1999, in der betont wurde, »dass der<br />

Sterbewunsch einer todkranken beziehungsweise<br />

sterbenden Person selbst keine<br />

gesetzmäßige Rechtfertigung darstellen<br />

kann, Handlungen auszuüben, mit<br />

denen die Herbeiführung des Todes beabsichtigt<br />

ist«. Das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Kranken und Sterbenden schließe<br />

nicht das Recht ein, Zeitpunkt und<br />

Art des eigenen Todes zu wählen. Eben<br />

dies hatte Marty zu untergraben versucht.<br />

So schrieb er in der Begründung seines<br />

Berichts: »Das Hauptargument für die<br />

Euthanasie und ihre<br />

Entkriminalisierung<br />

bezieht sich auf die<br />

Selbstbestimmung und<br />

Autonomie der Person:<br />

Jedes Individuum<br />

hat das Recht, Entscheidungen<br />

bezüglich<br />

seines eigenen Lebens<br />

und Todes zu treffen,<br />

in Übereinstimmung<br />

mit seinen eigenen<br />

Werten und seinem<br />

Glauben«.<br />

Es habe einen Wandel<br />

in der sozialen Bewertung<br />

des Suizids<br />

gegeben, »der einst<br />

von den zivilen Behörden<br />

als Verbrechen<br />

und von der Kirche als<br />

Sünde bewertet wurde«,<br />

so Marty. Auch die »Legalisierung«<br />

der Abtreibung diente ihm als Argument<br />

für die »Entkriminalisierung« der Euthanasie.<br />

In dem Bericht findet sich die höchst<br />

fragwürdige, weil zumindest doppeldeutige<br />

Forderung, »die Euthanasie davor<br />

zu bewahren, sich wegen gesetzlicher<br />

Unsicherheiten und überholter Normen<br />

in einer Hülle der Geheimhaltung zu<br />

entfalten«.<br />

In dem nun vorgelegten und abgelehnten<br />

Bericht hatte Marty jede direkte Empfehlung<br />

zugunsten der Euthanasie bereits<br />

vermieden. Er wusste aus seinem ersten<br />

gescheiterten Anlauf, dass »die kulturellen<br />

und religiösen Unterschiede in Europa«<br />

WWW:COE.INT<br />

»Sterbewunsch rechtfertigt nicht<br />

die Herbeiführung des Todes.«<br />

zu groß sind, um im Europarat »sofort«<br />

zu einer einheitlichen, für alle annehmbaren<br />

Lösung zu kommen. In seinem<br />

ursprünglichen »Euthanasie«-Bericht<br />

(damals noch nicht unter getarntem Titel)<br />

hatte Marty gepredigt: »Niemand hat das<br />

Recht, einem todkranken oder sterbenden<br />

Menschen die Pflicht aufzuerlegen, sein<br />

Leben unter unerträglichen Qualen fortzusetzen,<br />

wenn er selbst beharrlich den<br />

Wunsch geäußert hat, es zu beenden.«<br />

Solch ungeschminkte Euthanasie-Propaganda<br />

und das Bekenntnis zum niederländischen<br />

und belgischen Vorbild kosteten<br />

den liberalen Schweizer im Vorjahr jede<br />

Chance auf Zustimmung des Europarats.<br />

Doch auch seine Strategie der kleinen<br />

Schritte, also der Versuch mit einem entschärften<br />

und vorsichtigeren Bericht unter<br />

falschem Titel eine Kurskorrektur im<br />

Europarat herbeizuführen, wurde von<br />

Gegnern der aktiven Sterbehilfe durchschaut.<br />

Die konservative britische Parlamentarierin<br />

Jill Baroness of Collingtree<br />

nannte den Bericht schrecklich. Ärzte<br />

müssten davor geschützt werden, Tötungshandlungen<br />

vornehmen zu müssen.<br />

Die ganze Gesellschaft drohe Schaden<br />

zu nehmen. Behindertenverbände und<br />

Kirchenvertreter hatten bis zuletzt an die<br />

Mitglieder des Europarats appelliert, an<br />

der Ablehnung der Euthanasie festzuhalten.<br />

Es sei zu befürchten, dass die Hemmschwelle<br />

gegenüber »Mitleidstötungen«<br />

weiter sinke. Diese Kräfte dürfen die<br />

Straßburger Abstimmung nun als Sieg<br />

feiern, sollten aber nicht den Fehler machen,<br />

den Krieg um die Euthanasie für<br />

gewonnen zu halten.

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