ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 74 2/2005
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Nr. <strong>74</strong> | 2. Quartal <strong>2005</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />
B 42890<br />
LEBENSFORUM<br />
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />
Ausland<br />
Im Zweifel<br />
für den Tod<br />
Gesellschaft<br />
Gigant des<br />
Lebensschutzes<br />
Essay<br />
»Guter<br />
Hoffnung«?<br />
Forschungsklonen<br />
Die Jagd auf den<br />
Rohstoff Mensch<br />
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
ange Zeit galt in Deutschland<br />
INHALT<br />
LEBENSFORUM <strong>74</strong><br />
EDITORIAL<br />
Neue Fronten, neue Aufträge 3<br />
Dr. med. Claudia Kaminski<br />
TITEL<br />
Der Kampf um den Schutz des Embryos 4<br />
Tobias B. Ottmar<br />
AUSLAND<br />
Im Zweifel für den Tod 10<br />
Dr. med. Raymond Georg Snatzkze<br />
EUROPA<br />
4 - 9<br />
TITEL<br />
Der Embryonenschutz steht unter Beschuss. Trotz der UN-Deklaration, in welcher die Staaten<br />
aufgefordert werden, jegliches Klonen beim Menschen zu verbieten, will eine mächtige Lobby das<br />
Verbot des Klonens von Menschen zu Forschungszwecken hierzulande kippen.<br />
Von Tobias B. Ottmar<br />
L<br />
Der Kampf um den<br />
Schutz des Embryos<br />
eine Aufweichung des Embryonenschutz<br />
als tabu. Der Deutsche<br />
Bundestag stützt die restriktive Gesetzgebung<br />
auf diesem Feld bis auf den heutigen<br />
Tag mit einer breiten Mehrheit.<br />
Doch eine mächtige Lobby von Forscher<br />
und Investoren hält unvermindert dagegen:<br />
Die Verleihung des »Paul-Ehrlich<br />
und Ludwig-Darmstaedter-Preises <strong>2005</strong>«<br />
an den »Dolly«-Schöpfer Ian Wilmut<br />
(60) am Mitte März in der Frankfurter<br />
Paulskirche stellte denn auch so etwas<br />
wie einen Paukenschlag dar. Auch wenn<br />
die Paul-Ehrlich-Stiftung offiziell bestreitet,<br />
Wilmut wegen seiner geplanten Klon-<br />
Experimente am Menschen ausgezeichnet<br />
zu haben, so kommt dem geschickt eingefädelten<br />
öffentlichen Ehrenakt doch<br />
quasi die Funktion eines Neustart der<br />
zuletzt ins Stocken geratenen Klon-<br />
Debatte bei. Und die Bundesregierung<br />
spielt mit: Hatten deutsche Vertreter noch<br />
vier Tage zuvor bei der UN-Vollversammlung<br />
in New York einer Empfehlung<br />
zugestimmt hatten, die den Mitgliedsstaaten<br />
eine Ächtung aller Formen des Klonens<br />
beim Menschen nahe legt, so will<br />
die Bundesregierung das geltende Embryonen-Schutzgesetz<br />
nun offenbar aufweichen.<br />
In seiner Regierungserklärung<br />
vom 17. März äußerte sich Gerhard<br />
»Schröder leidet offensichtlich<br />
an Vergesslichkeit.«<br />
Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter<br />
Schröder (SPD) sehr deutlich zur anhaltenden<br />
Klon-Debatte: »Ich erinnere an<br />
die Debatten zum therapeutischen Klonen<br />
hier im Deutschen Bundestag, wo ich<br />
quer durch alle Fraktionen des Deutschen<br />
Bundestages <strong>–</strong> ich sage das mit allem<br />
Respekt <strong>–</strong> ein Maß an Zurückhaltung<br />
erlebt habe, das ich jedenfalls nicht für<br />
richtig halten konnte.« Dabei hat Schröder<br />
selbst den kritisierten Beschluss mitgetragen.<br />
»Schröder leidet offensichtlich<br />
an Vergesslichkeit«, so der Kommentar<br />
des EU-Abgeordneten Peter Liese<br />
(CDU). Bisher hatte Schröder lediglich<br />
indirekte Andeutungen zum Klonen gemacht,<br />
nun aber scheint es ihm an der<br />
Zeit, den Druck auf die Klongegner zu<br />
erhöhen. Seine Forschungsministerin<br />
Edelgard Bulmahn (SPD) steht ihm da<br />
kaum nach. Auf einem Kongress der<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung meinte sie, man<br />
solle »in der Stammzellforschung verschiedene<br />
Türen offen lassen.«<br />
Bei allem Negativen was die Preisverleihung<br />
an Ian Wilmut mit sich<br />
brachte: Lebensrechtler bot die Veranstaltung<br />
Gelegenheit, ihren Protest auf<br />
kreative Weise öffentlich zu machen. Auf<br />
Initiative der »Aktion Lebensrecht für<br />
Alle« (<strong>ALfA</strong>) und der »Jugend für das<br />
Leben«, wiesen Lebensrechtlern in einer<br />
medienwirksamen Aktion, ausgestattet<br />
mit Schafs- und Schröder-Masken, vor<br />
der Frankfurter Paulskirche denn auch<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
gründe hin: Im Grunde - so ist zu<br />
vermuten - geht es den Klonforschern<br />
nämlich gar nicht in erster Linie um die<br />
Heilung von Menschen, sondern um die<br />
Durchsetzung des profitabelsten Verfahrens.<br />
Denn ließen sich tatsächlich einmal<br />
mit embryonalen Stammzellen bislang<br />
unheilbare Krankheiten wirksam bekämpfen,<br />
wäre das Klonen menschlicher Embryonen<br />
und ihre anschließende Zerstörung<br />
dasjenige Verfahren, das die<br />
geringsten Kosten und die sattesten Gewinne<br />
verspricht. Die ethisch sowohl<br />
unproblematische als auch bislang erfolgreichere<br />
Forschung mit körpereigenen,<br />
so genannten adulten Stammzellen, würde,<br />
weil logistisch aufwendiger, hingegen<br />
weniger Profit abwerfen.<br />
Bei den Medien fand die Aktion großen<br />
Anklang. Sehr zum Leidwesen der Klon-<br />
Befürworter, zeigte der angekündigte<br />
Protest auch in politischer Hinsicht Erfolge:<br />
Frankfurts Oberbürgermeisterin<br />
Petra Roth (CDU) ließ sich kurzfristig<br />
vertreten und auch Bundespräsident<br />
Horst Köhler - immerhin Ehrenpräsident<br />
der Paul-Ehrlich-Stiftung <strong>–</strong> kam nicht<br />
zur Preisverleihung. Rückenwind erhielten<br />
die Lebensrechtler zudem aus den<br />
Reihen der Union, der Grünen und der<br />
ÖDP. So bezeichnete die Vorsitzende der<br />
Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />
Maria Eichhorn, Wilmuts Aus-<br />
»Die Entnahme von Eizellen setzt<br />
Frauen einem hohen Risiko aus.«<br />
Entschließung des Europäischen Parlaments<br />
zeichnung als »nicht verständlich« und<br />
verwies darauf, dass seine Forschungen<br />
in Deutschland strafbar wäre.<br />
Während sich Vertreter der SPD derzeit<br />
für das Klonen stark machen, hält<br />
der grüne Koalitionspartner bislang an<br />
seinem klaren Nein zum Klonen fest. Im<br />
Vordergrund der grünen Kritik stehen<br />
der undurchsichtige Eizellenhandel und<br />
deren Gewinnung, die für die Spenderinnen<br />
zuweilen lebensgefährlich sein kann.<br />
Die grüne Obfrau in der Bundestags-<br />
Enquetekommission »Ethik und Recht<br />
der modernen Medizin« Christa Nickels<br />
warf daher die Frage auf, woher Ian Wilmut<br />
eigentlich seine Eizellen bekäme.<br />
Schließlich würden für eine embryonale<br />
Stammzell-Linie rund 250 weibliche Eizellen<br />
benötigt. Die britische Embryonenbehörde<br />
HFEA (Human Fertilisation<br />
and Embryology Authority) bestätigte,<br />
dass Wilmut Eizellen verwendet, die bei »Global Art Klinik« im Zusammenhang<br />
einer Sterilisation gewonnen wurden. mit Eizellspenden staatsanwaltschaftliche<br />
Auch das europäische Parlament sieht Ermittlungen aufgenommen wurden. Recherchen<br />
der ARD ergaben zudem, dass<br />
dieses Vorgehen sehr kritisch. In einer<br />
Entschließung vom 10. März <strong>2005</strong> wurde<br />
darauf hingewiesen, »dass die Entnahme<br />
von Eizellen unter anderem infolge der<br />
»Recherchen ergaben, dass Frauen<br />
Überstimulierung der Eierstöcke, Frauen<br />
einem hohen medizinischen Risiko für Geld für Eizellen angeboten wurden.«<br />
das Leben und die Gesundheit aussetzt.«<br />
Nach Informationen von LifeSite.News<br />
war Anfang 2004 in Großbritannien eine<br />
32-jährige Frau an einer hormonellen<br />
Überstimulation gestorben.<br />
Frauen per Kleinanzeigen Geld für die<br />
Die Entschließung des EU-Parlaments Eizellen angeboten wurden. Inzwischen<br />
war Folge der Enthüllungen des britischen hat auch die rumänische EU-Vertretung<br />
Senders BBC im Dezember 2004. Dieser eingeräumt, dass in der Bukarester Klinik<br />
hatte berichtet, dass gegen die rumänische menschliche Eizellen illegal gesammelt<br />
INFO<br />
Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis<br />
Der Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis gehört weltweit zu den renommiertesten<br />
Medizinpreisen. Einige Wissenschaftler, die diesen Preis bekamen, wurden später auch<br />
mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.<br />
Der Preis geht auf den Chemiker, Mediziner und Serologen Paul Ehrlich (1854-1915)<br />
zurück. Er gilt als »Vater der Chemotherapie«. Die Auszeichnung wird jedes Jahr durch<br />
die Paul-Ehrlich-Stiftung, die der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main<br />
angehört, an dem Geburtstag Ehrlichs (14. März) verliehen. Dem Gremium, das über den<br />
jeweiligen Preisträger entscheidet, gehörten im vergangenen Jahr folgende Personen an:<br />
Ehrenpräsident:<br />
Dr. Horst Köhler<br />
Bundespräsident der Bundesrepubik<br />
Deutschland<br />
Vorsitzender:<br />
Hilmar Kopper<br />
(Vorsitzender der Freunde und Sponsoren<br />
d. Johann-Wolfgang-Goethe Universität<br />
Frankfurt/Main)<br />
Weitere Mitglieder:<br />
Prof. Dr. Josef Pfeilschifter<br />
(Dekan des Fachbereichs Medizin d. Johann-Wolfgang-Goethe<br />
Universität Frankfurt/Main)<br />
Dr. Volker Grigutsch<br />
(Bundesministerium für Gesundheit und<br />
Soziale Sicherung, Bonn)<br />
Prof: Ruth Anon<br />
(Weizmann Institute of Science, Rehovot)<br />
Prof. Dr. Dr. Manfred Eigen<br />
(Max Planck Institut, Göttingen)<br />
Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein<br />
(Institut für klinische und molekulare Virologie<br />
an der Friedrich- Alexander-Universität<br />
Erlangen/Nürnberg)<br />
Dr. Maurice Hillemann<br />
(Merck Sharp and Dome Labore, West<br />
Point)<br />
Prof: Dr. Joachim R. Kalden<br />
(Institut und Polyklinik für klinische Immunologie<br />
Friedrich-Alexander-Universität<br />
Erlangen/Nürnberg)<br />
Prof. Dr. Reinhard Kurth<br />
(Robert-Koch-Institut, Berlin)<br />
Prof: Dr. Hartmut Michel<br />
(Max Planck Institut für Biophysik, Frankfurt/Main)<br />
Prof. Dr. Erling Norrby<br />
(The Royal Swedish Academy of Sciences,<br />
Stockholm)<br />
Dr. Abner Louis Notkins<br />
(National Institute for Dental Research,<br />
Bethesda)<br />
Dr. Rino Rappuoli<br />
(Institute for Immuno-Biological Research<br />
IRIS, Chion SpA, Siena)<br />
Prof. Dr. Hans Wigzell<br />
(Karolinska Institut , Mikrobiologie und<br />
Tumorbiologie Center, Stockholm)<br />
4 <strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong><br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 5<br />
Politikziel Abtreibung 13<br />
Stephan Baier<br />
GESELLSCHAFT<br />
Die mächtige Lobby der Klonforscher nimmt den Embryonenschutz unter Beschuss.<br />
DPA<br />
Der Gigant auf dem Stuhl Petri 14<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
Schützt die Kinder 18<br />
Bischof Dr. Andreas Laun<br />
Weltjugendtag <strong>2005</strong> 20<br />
Sebastian Grundberger<br />
Stimmlose erhören 24<br />
Interview mit Denise Moutenay<br />
MEDIZIN<br />
14 - 17<br />
Heimkehrer: Der Gigant des<br />
Lebensschutzes verlässt die<br />
Weltbühne.<br />
Post Abortion Syndrom 21<br />
Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />
ESSAY<br />
»Guter Hoffnung«? 27<br />
Dr. med. Maria Overdick-Gulden<br />
MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />
1. Fuldaer Lebensrechtskongress 26<br />
BÜCHERFORUM 30<br />
KURZ VOR SCHLUSS 32<br />
LESERFORUM 34<br />
Das öffentliche Sterben der<br />
Komapatientin Terri Schiavo<br />
läutet eine neue »Kultur des<br />
Todes« ein und heizt die Debatte<br />
um Euthanasie weiter an.<br />
10 - 12<br />
IMPRESSUM 35<br />
DPA<br />
2<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
EDITORIAL<br />
24 - 25<br />
Seit 17 Jahren kämpft die Kanadierin<br />
Denise Moutenay für das Lebensrecht<br />
ungeborener Kinder. <strong>LebensForum</strong><br />
sprach mit ihr über ihre Arbeit.<br />
27 - 29<br />
ESSAY<br />
Im Zuge des technischen Fortschritts beginnt die Medizin maßlos zu werden. Statt um das Heilen von<br />
Krankheiten sorgt sie sich längst auch um die Optimierung der Evolution. Dabei droht der Blick für<br />
das Ganze wie für konkrete Bedürfnisse einzelner Patienten auf der Strecke zu bleiben.<br />
Von Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
G<br />
»Guter Hoffnung«?<br />
uter Hoffnung« zu sein, damit<br />
verband sich gedanklich bis vor<br />
einigen Jahrzehnten der Zustand<br />
einer schwangeren Frau wie von<br />
selbst. Sie erwartete ein Kind, neues Leben,<br />
ihr und dem Vater ähnlich, aber<br />
doch wieder ganz sich selbst gehörend.<br />
Das Kind wird zum Adressaten<br />
ihrer Gedanken, Wünsche und<br />
Hoffnungen. Ihm und für es verantwortlich<br />
zu sein <strong>–</strong> das ist ein<br />
Geschenk des Lebens besonderer<br />
Art, das der Konzentration bedarf.<br />
Wie werden sie von diesem kleinen<br />
Wesen gefragt sein? Welche Aufgaben<br />
kommen auf die Eltern zu?<br />
Doch heißt »guter Hoffnung« sein<br />
darüber hinaus auch, Wünsche in<br />
anderen Erwartungssituationen des<br />
Lebens zu hegen. »Dum spiro, spero«,<br />
sagte ein antiker Philosoph,<br />
solange ich atme, hoffe ich. Zum<br />
Beispiel in der Krankheit oder nach<br />
einem Unfall, dem Fall, den es eigentlich<br />
nicht geben sollte. Diesem<br />
Thema hat der Philosoph Ernst<br />
Bloch ein weitläufiges Werk gewidmet,<br />
dem er den Titel »Das Prinzip<br />
Hoffnung« gab. Hoffnung (englisch:<br />
hope) hat mit dem Wortstamm<br />
»hüpfen« (hoppeln) zu tun. Und<br />
Bloch meint: »Indem der Kranke<br />
nicht hüpft und springt, tun es desto<br />
mehr seine Wünsche«. Gleich darauf<br />
setzt auch seine Kritik ein: »Was<br />
immer weh tut, drückt und schwächt,<br />
soll weg«, aber: »Ein wenig nur<br />
aufzuatmen, das genügt nie lange.«<br />
So reicht heute der Wunsch nach<br />
mehr Lebensqualität immer weiter,<br />
ja so weit, dass der Philosoph Maximilian<br />
Forschner vor einiger Zeit<br />
vor den »Infantilisierungstendenzen«<br />
unserer Wunschwelten warnte, welche<br />
die Eingriffe zur Verbesserung unserer<br />
Körperfunktionen allmählich unbezahlbar<br />
machten. Vermutlich ist es ja wirklich<br />
kindisch, von Gesundheit als »dem höchsten<br />
Gut« des Menschen zu reden, aus<br />
der Medizin eine Art Erlösungsreligion<br />
zu machen und damit die prinzipielle<br />
Fragilität unserer menschlichen Existenz<br />
aus der eigenen Gedankenwelt zu streichen.<br />
Sollte man beim erwarteten Kind<br />
etwa auf Maximalanforderungen setzen?<br />
Die ursprünglichste Aufgabe, Leben weiterzugeben,<br />
dem technischen Perfektionismus<br />
überantworten? Darf man<br />
Schwangerschaft zur Krankheit umformulieren<br />
und in die Therapiekonzepte<br />
auch das Töten einbeziehen?<br />
Natürlich weiß die Medizin seit geraumer<br />
Zeit auch, dass der Schmalblick, der<br />
auf einen Tropfen Blut im Labor oder<br />
die Farbe des Urins gerichtet ist, nicht<br />
das ganze Krankheitsbild eines<br />
Menschen umfasst. Auch die dicke<br />
Nackenfalte im Ultraschallbild sagt<br />
nichts über die Entwicklung des<br />
Kindes und seine Lebenschancen aus.<br />
Vor den sog. »prima-vista-Diagnosen«<br />
sollte sich auch der erfahrene Arzt<br />
hüten und seinen ersten Eindruck<br />
stets hinterfragen beziehungsweise<br />
durch weitere Befunde untermauern.<br />
Aber auch der »objektive Befund«<br />
kann Irrtümer stützen und zu falschen<br />
Schlüssen führen. Trotz der großartigen<br />
Erfolge des seit dem 18. Jahrhundert<br />
so hilfreich angewandten<br />
»Maschinenmodells« des Menschen,<br />
besonders spektakulär in den operativen<br />
Fächern Chirurgie, Orthopädie<br />
und Gynäkologie, verblieb in der<br />
Betreuung der Patienten ein defizitärer<br />
Rest. Denn nicht jede objektive<br />
Therapie eines Magengeschwürs oder<br />
die einer Coronarstenose war auch<br />
schon die Heilung des betroffenen<br />
Subjekts. Die hervorragend gelungene<br />
Herzoperation konnte beispielsweise<br />
durch eine postoperative depressive<br />
Stimmung gestört werden: nicht jeder<br />
Rehabilitand ist auch schon gleich<br />
»heilfroh«. Er kann sich fragen: Was<br />
soll das Ganze? Bleibt am Ende nicht<br />
doch der Tod? Während wir in den<br />
Phasen des Gesundseins so genannte<br />
»letzte Dinge« gern verdrängen und<br />
die uns auferlegte »letzte Reise« in<br />
den Alltagspflichten und berechtigten<br />
Alltagsfreuden kaum zum Thema<br />
machen, sind der stetige Wandel der<br />
Verhältnisse und die Ungesichertheit<br />
unserer Arbeits- und Lebenswelt unser<br />
gemeinsames Dauer-Schicksal. Gerade<br />
das wird manchem Patienten in der Ruhe<br />
des Krankenzimmers dramatisch bewusst.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 27<br />
Statt sich um die Bedürfnisse ihrer<br />
Patienten zu kümmern, nehmen die<br />
Ärzte zunehmend die Evolution in die<br />
eigenen Hände.<br />
WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />
Neue Fronten,<br />
neue Aufträge<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
mit dem Tod von Johannes Paul II.<br />
hat die Lebensschutzbewegung ihren<br />
mächtigsten Fürsprecher auf Erden verloren.<br />
Das ist Grund zur Trauer, nicht<br />
aber zur Verzweiflung. Christen können<br />
sicher sein, dass sich dieser große Papst<br />
auch künftig für eine »Kultur des Lebens«<br />
einsetzen wird, nur eben nicht mehr hier<br />
auf Erden, sondern im Himmel, außerhalb<br />
der uns geläufigen Kategorien von Raum<br />
und Zeit. Was Johannes Paul II. zu Lebzeiten<br />
alles für den Aufbau der »Kultur<br />
des Lebens« getan<br />
und gewirkt hat, das<br />
fasst in dieser Ausgabe<br />
der Beitrag von Stefan<br />
Rehder noch einmal<br />
eindrucksvoll zusammen<br />
(vgl. S. 14 ff). Mit<br />
Papst Benedikt XVI.<br />
ist Johannes Paul II.<br />
zudem ein Hirte gefolgt, dem der Schutz<br />
des menschlichen Lebens in all seinen<br />
Phasen stets ein ähnlich dringendes Anliegen<br />
war. Für Lebensrechtler ist daher<br />
auch die Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger<br />
zum neuen Papst ein besonderes<br />
Geschenk des Himmels.<br />
Möglicherweise aber auch eines, das<br />
notwendig ist. Denn mit dem Fortschritt<br />
in der Medizin hat die »Kultur des Todes«<br />
neue Möglichkeiten zur Entfaltung erhalten.<br />
Eine mächtige Lobby, bestehend aus<br />
rücksichtslosen Wissenschaftlern und<br />
global operierenden Konzernen, hat den<br />
künstlich erzeugten Embryo ins Visier<br />
genommen. Aus dessen Stammzellen<br />
scheinen für nicht wenige die Träume<br />
gewebt zu sein, die neue Dienstleistungen<br />
und lukrative Margen versprechen. Die<br />
Jagd auf den Mensch als Rohstofflieferanten<br />
ist in vollem Gang. Mit der Demonstration<br />
anlässlich der Verleihung des<br />
»Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preises<br />
<strong>2005</strong>« an den britischen<br />
Klonforscher Ian Wilmut, zu der die<br />
»Aktion Lebensrecht für Alle« und ihre<br />
»Jugend für das Leben« aufgerufen hat,<br />
konnten wir unseren Protest überaus<br />
»Die Jagd auf den Rohstoff<br />
Mensch ist in vollem Gang.«<br />
medienwirksam öffentlich<br />
machen. In der<br />
Titelgeschichte dieser<br />
Ausgabe (vgl. S. 4ff)<br />
zeigt Tobias Ottmar, wo<br />
die Fronten verlaufen<br />
und nennt Ross und<br />
Reiter.<br />
Mit der Euthanasie<br />
beschäftigen sich diesmal<br />
zwei Beiträge. Zwar<br />
hat der Europarat Ende<br />
April mit beeindruckender<br />
Mehrheit sein bisheriges »Nein«<br />
zur »Tötung auf Verlangen« bekräftigt,<br />
doch ist mit dieser »gewonnenen<br />
Schlacht« (vgl. S. 36) der Durchbruch<br />
für ein »Sterben in Würde« noch keinesfalls<br />
erreicht. Im Gegenteil: Die Umstände<br />
des Todes von Terri Schiavo, den Raymond<br />
Georg Snatzke umfassend<br />
beleuchtet, zeigen wie<br />
unerlässlich unsere<br />
Aufklärungsarbeit<br />
auch auf diesem Feld<br />
sein wird (vgl. S. 10 ff).<br />
Aus diesem Grund<br />
veranstaltet die <strong>ALfA</strong><br />
unter dem Titel »Euthanasie<br />
<strong>–</strong> Heute ihr,<br />
morgen wir?« auch am 10./11. Juni ihren<br />
1. Lebensrechtskongress in Fulda, zu dem<br />
ich Sie herzlich einlade (vgl. S. 26).<br />
Trotz der neuen Herausforderungen,<br />
die sich uns mit dem Ruf nach Legalisierung<br />
des Forschungsklonens und der<br />
»Tötung auf Verlagen« stellen, bleibt<br />
unser Hauptaugenmerk auf den Kampf<br />
gegen Abtreibung gerichtet. Sowohl die<br />
Befürworter der Euthanasie als auch die,<br />
welche den Embryo im Reagenzglas als<br />
herrenloses Gut betrachten, rechtfertigen<br />
ihre Forderung auch mit der gesellschaftlichen<br />
Akzeptanz der Abtreibung. Von<br />
den vielen Beiträgen, die sich in dieser<br />
Ausgabe mit der vorgeburtlichen Kindstötung<br />
beschäftigen, sei stellvertretend<br />
der von Bischof Andreas Laun erwähnt,<br />
der das Dogma der Straflosigkeit in Frage<br />
stellt. Eine erhellende Lektüre wünscht<br />
Ihre<br />
Claudia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />
des Bundesverbandes Lebensrecht<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 3
TITEL<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
Der Kampf um den<br />
Schutz des Embryos<br />
Der Embryonenschutz steht unter Beschuss. Trotz der UN-Deklaration, in welcher die Staaten<br />
aufgefordert werden, jegliches Klonen beim Menschen zu verbieten, will eine mächtige Lobby das<br />
Verbot des Klonens von Menschen zu Forschungszwecken hierzulande kippen.<br />
Von Tobias B. Ottmar<br />
Lange Zeit galt in Deutschland<br />
eine Aufweichung des Embryonenschutz<br />
als tabu. Der Deutsche<br />
Bundestag stützt die restriktive Gesetzgebung<br />
auf diesem Feld bis auf den heutigen<br />
Tag mit einer breiten Mehrheit.<br />
Doch eine mächtige Lobby von Forschern<br />
und Investoren hält unvermindert dagegen:<br />
Die Verleihung des »Paul-Ehrlich<br />
und Ludwig-Darmstaedter-Preises <strong>2005</strong>«<br />
an den »Dolly«-Schöpfer Ian Wilmut<br />
(60) Mitte März in der Frankfurter Paulskirche<br />
stellte denn auch so etwas wie einen<br />
Paukenschlag dar. Auch wenn die<br />
Paul-Ehrlich-Stiftung offiziell bestreitet,<br />
Wilmut wegen seiner geplanten Klon-<br />
Experimente am Menschen ausgezeichnet<br />
zu haben, so kommt dem geschickt eingefädelten<br />
öffentlichen Ehrenakt doch<br />
quasi die Funktion eines Neustarts der<br />
zuletzt ins Stocken geratenen Klon-<br />
Debatte bei. Und die Bundesregierung<br />
spielt mit: Hatten deutsche Vertreter noch<br />
vier Tage zuvor bei der UN-Vollversammlung<br />
in New York einer Empfehlung<br />
4<br />
zugestimmt, die den Mitgliedsstaaten eine<br />
Ächtung aller Formen des Klonens beim<br />
Menschen nahe legt, so will die Bundesregierung<br />
das geltende Embryonen-<br />
Schutzgesetz nun offenbar aufweichen.<br />
In seiner Regierungserklärung vom 17.<br />
März äußerte sich Gerhard Schröder<br />
»Schröder leidet offensichtlich<br />
an Vergesslichkeit.«<br />
Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter<br />
(SPD) sehr deutlich zur anhaltenden<br />
Klon-Debatte: »Ich erinnere an die Debatten<br />
zum therapeutischen Klonen hier<br />
im Deutschen Bundestag, wo ich quer<br />
durch alle Fraktionen des Deutschen<br />
Bundestages <strong>–</strong> ich sage das mit allem<br />
Respekt <strong>–</strong> ein Maß an Zurückhaltung<br />
erlebt habe, das ich jedenfalls nicht für<br />
richtig halten konnte.« Dabei hat Schröder<br />
selbst den kritisierten Beschluss mitgetragen.<br />
»Schröder leidet offensichtlich<br />
an Vergesslichkeit«, so der Kommentar<br />
des EU-Abgeordneten Peter Liese<br />
(CDU). Bisher hatte Schröder lediglich<br />
indirekte Andeutungen zum Klonen gemacht,<br />
nun aber scheint es ihm an der<br />
Zeit, den Druck auf die Klongegner zu<br />
erhöhen. Seine Forschungsministerin<br />
Edelgard Bulmahn (SPD) steht ihm da<br />
kaum nach. Auf einem Kongress der<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung meinte sie, man<br />
solle »in der Stammzellforschung verschiedene<br />
Türen offen lassen.«<br />
Bei allem Negativen, was die Preisverleihung<br />
an Ian Wilmut mit sich brachte:<br />
Lebensrechtlern bot die Veranstaltung<br />
Gelegenheit, ihren Protest auf kreative<br />
Weise öffentlich zu machen. Auf Initiative<br />
der »Aktion Lebensrecht für Alle« (<strong>ALfA</strong>)<br />
und der »Jugend für das Leben« wiesen<br />
Lebensrechtler in einer medienwirksamen<br />
Aktion, ausgestattet mit Schafs- und<br />
Schröder-Masken, vor der Frankfurter<br />
Paulskirche denn auch auf die Hinter<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
»Die Entnahme von Eizellen setzt<br />
Frauen einem hohen Risiko aus.«<br />
Entschließung des Europäischen Parlaments<br />
gründe hin: Im Grunde - so ist zu vermuten<br />
- geht es den Klonforschern nämlich<br />
gar nicht in erster Linie um die Heilung<br />
von Menschen, sondern um die Durchsetzung<br />
des profitabelsten Verfahrens.<br />
Denn ließen sich tatsächlich einmal mit<br />
embryonalen Stammzellen bislang unheilbare<br />
Krankheiten wirksam bekämpfen,<br />
wäre das Klonen menschlicher Embryonen<br />
und ihre anschließende Zerstörung<br />
dasjenige Verfahren, das die geringsten<br />
Kosten und die sattesten Gewinne verspricht.<br />
Die ethisch sowohl unproblematische<br />
als auch bislang erfolgreichere<br />
Forschung mit körpereigenen, so genannten<br />
adulten Stammzellen, würde, weil<br />
logistisch aufwendiger, hingegen weniger<br />
Profit abwerfen.<br />
Bei den Medien fand die Aktion großen<br />
Anklang. Sehr zum Leidwesen der Klon-<br />
Befürworter zeigte der angekündigte Protest<br />
auch in politischer Hinsicht Erfolge:<br />
Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra<br />
Roth (CDU) ließ sich kurzfristig vertreten<br />
und auch Bundespräsident Horst Köhler<br />
<strong>–</strong> immerhin Ehrenpräsident der Paul-<br />
Ehrlich-Stiftung <strong>–</strong> kam nicht zur Preisverleihung.<br />
Rückenwind erhielten die<br />
Lebensrechtler zudem aus den Reihen<br />
der Union, der Grünen und der ÖDP.<br />
So bezeichnete die Vorsitzende der Arbeitsgruppe<br />
Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />
Maria Eichhorn, Wilmuts Auszeichnung<br />
als »nicht verständlich« und<br />
verwies darauf, dass seine Forschungen<br />
in Deutschland strafbar wären.<br />
Während sich Vertreter der SPD derzeit<br />
für das Klonen stark machen, hält<br />
der grüne Koalitionspartner bislang an<br />
seinem klaren Nein zum Klonen fest. Im<br />
Vordergrund der grünen Kritik stehen<br />
der undurchsichtige Eizellenhandel und<br />
deren Gewinnung, die für die Spenderinnen<br />
zuweilen lebensgefährlich sein kann.<br />
Die grüne Obfrau in der Bundestags-<br />
Enquetekommission »Ethik und Recht<br />
der modernen Medizin« Christa Nickels<br />
warf daher die Frage auf, woher Ian Wilmut<br />
eigentlich seine Eizellen bekäme.<br />
Schließlich würden für eine embryonale<br />
Stammzell-Linie rund 250 weibliche Eizellen<br />
benötigt. Die britische Embryonenbehörde<br />
HFEA (Human Fertilisation<br />
and Embryology Authority) bestätigte,<br />
dass Wilmut Eizellen verwendet, die bei<br />
einer Sterilisation gewonnen wurden.<br />
Auch das europäische Parlament sieht<br />
dieses Vorgehen sehr kritisch. In einer<br />
Entschließung vom 10. März <strong>2005</strong> wurde<br />
darauf hingewiesen, »dass die Entnahme<br />
von Eizellen unter anderem infolge der<br />
Überstimulierung der Eierstöcke, Frauen<br />
einem hohen medizinischen Risiko für<br />
das Leben und die Gesundheit aussetzt.«<br />
Nach Informationen von LifeSite.News<br />
war Anfang 2004 in Großbritannien eine<br />
32-jährige Frau an einer hormonellen<br />
Überstimulation gestorben.<br />
Die Entschließung des EU-Parlaments<br />
war Folge der Enthüllungen des britischen<br />
Senders BBC im Dezember 2004. Dieser<br />
hatte berichtet, dass gegen die rumänische<br />
INFO<br />
»Global Art Klinik« im Zusammenhang<br />
mit Eizellspenden staatsanwaltschaftliche<br />
Ermittlungen aufgenommen wurden. Recherchen<br />
der ARD ergaben zudem, dass<br />
Frauen per Kleinanzeigen Geld für die<br />
Eizellen angeboten wurden. Inzwischen<br />
hat auch die rumänische EU-Vertretung<br />
eingeräumt, dass in der Bukarester Klinik<br />
menschliche Eizellen illegal gesammelt<br />
Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis<br />
Der Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis gehört weltweit zu den renommiertesten<br />
Medizinpreisen. Einige Wissenschaftler, die diesen Preis bekamen, wurden später auch<br />
mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.<br />
Der Preis geht auf den Chemiker, Mediziner und Serologen Paul Ehrlich (1854-1915)<br />
zurück. Er gilt als »Vater der Chemotherapie«. Die Auszeichnung wird jedes Jahr durch<br />
die Paul-Ehrlich-Stiftung, die der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main<br />
angehört, an dem Geburtstag Ehrlichs (14. März) verliehen. Dem Gremium, das über den<br />
jeweiligen Preisträger entscheidet, gehörten im vergangenen Jahr folgende Personen an:<br />
Ehrenpräsident:<br />
Dr. Horst Köhler<br />
Bundespräsident der Bundesrepublik<br />
Deutschland<br />
Vorsitzender:<br />
Hilmar Kopper<br />
(Vorsitzender der Freunde und Sponsoren<br />
d. Johann-Wolfgang-Goethe Universität<br />
Frankfurt/Main)<br />
Weitere Mitglieder:<br />
Prof. Dr. Josef Pfeilschifter<br />
(Dekan des Fachbereichs Medizin d. Johann-Wolfgang-Goethe<br />
Universität Frankfurt/Main)<br />
Dr. Volker Grigutsch<br />
(Bundesministerium für Gesundheit und<br />
Soziale Sicherung, Bonn)<br />
Prof. Ruth Anon<br />
(Weizmann Institute of Science, Rehovot)<br />
Prof. Dr. Dr. Manfred Eigen<br />
(Max Planck Institut, Göttingen)<br />
Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein<br />
(Institut für klinische und molekulare Virologie<br />
an der Friedrich- Alexander-Universität<br />
Erlangen/Nürnberg)<br />
»Recherchen ergaben, dass Frauen<br />
Geld für Eizellen angeboten wurde.«<br />
Dr. Maurice Hillemann<br />
(Merck Sharp and Dome Labore, West<br />
Point)<br />
Prof: Dr. Joachim R. Kalden<br />
(Institut und Polyklinik für klinische Immunologie<br />
Friedrich-Alexander-Universität<br />
Erlangen/Nürnberg)<br />
Prof. Dr. Reinhard Kurth<br />
(Robert-Koch-Institut, Berlin)<br />
Prof. Dr. Hartmut Michel<br />
(Max Planck Institut für Biophysik, Frankfurt/Main)<br />
Prof. Dr. Erling Norrby<br />
(The Royal Swedish Academy of Sciences,<br />
Stockholm)<br />
Dr. Abner Louis Notkins<br />
(National Institute for Dental Research,<br />
Bethesda)<br />
Dr. Rino Rappuoli<br />
(Institute for Immuno-Biological Research<br />
IRIS, Chion SpA, Siena)<br />
Prof. Dr. Hans Wigzell<br />
(Karolinska Institut , Mikrobiologie und<br />
Tumorbiologie Center, Stockholm)<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 5
TITEL<br />
Löste neue Debatte aus: Klonforscher Ian Wilmut (links)<br />
und befruchtet worden seien. Die rumänische<br />
Forschungsministerin Monica Macovei<br />
zeigte sich bei einem Treffen mit<br />
den Europaabgeordneten Hiltrud Breyer<br />
(Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Liese<br />
(CDU) sehr besorgt über diese Entwicklung.<br />
Wie die Abgeordneten berichten,<br />
scheinen Gelder in Höhe von bis zu 1000<br />
Pfund an die Eizellenspender geflossen<br />
zu sein. Andere Quellen sprechen »nur«<br />
von 200 bis 300 Pfund. Breyer meinte<br />
dazu: »Bei derartig hohen Summen kann<br />
nicht länger von einer Kompensation,<br />
sondern muss von einer Bezahlung gesprochen<br />
werden.« In einer einzigen rumänischen<br />
Klinik ständen mehr Spenderinnen<br />
zur Verfügung als in allen britischen<br />
Krankenhäusern zusammen. Angesichts<br />
dieser Entwicklung besteht die<br />
Befürchtung, dass Frauen in Ländern wie<br />
Rumänien zu Rohstofflieferanten degradiert<br />
werden.<br />
Das Europäische Parlament sprach<br />
sich daraufhin mit einer Mehrheit von<br />
307 zu 199 Stimmen gegen die Förderung<br />
der verbrauchenden Embryonenforschung<br />
aus dem europäischen Haushalt<br />
aus. Stattdessen sollten die EU-Mittel<br />
auf die Alternativen wie somatische<br />
Stammzellforschung (auch »adulte«<br />
Stammzellforschung genannt) und Forschung<br />
mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut<br />
konzentriert werden. Begründet<br />
wurde die Entscheidung unter anderem<br />
damit, dass die Charta der Grundrechte<br />
die Kommerzialisierung des<br />
6<br />
menschlichen Körpers und seiner Teile<br />
als solches verbietet. Damit ist ausdrücklich<br />
auch der Handel mit Embryonen<br />
untersagt. Bereits im vergangenen Jahr<br />
hatte der EU-Rat eine entsprechende<br />
Richtlinie verabschiedet. Liese, der auch<br />
Vorsitzender der Arbeitsgruppe<br />
Bioethik<br />
der EVP-Fraktion ist,<br />
begrüßte das Votum<br />
des Parlaments: »Jetzt<br />
ist die Position klar.<br />
Wir müssen uns auf die<br />
Alternativen konzentrieren,<br />
die nicht nur<br />
ethisch vertretbarer<br />
sind, sondern auch in<br />
der Praxis schon zu<br />
Erfolgen bei Patienten<br />
geführt haben.« Für<br />
den CDU-Politiker<br />
sind die Vorkommnisse<br />
in Großbritannien und<br />
Rumänien ein Beleg<br />
dafür, »dass die Reproduktionsmedizin<br />
und die damit verbundene<br />
Forschung in<br />
Großbritannien keinesfalls<br />
so streng geregelt<br />
ist, wie die Befürworter<br />
immer behaupten.<br />
Zum Glück<br />
sind viele Menschen<br />
nachdenklich geworden, die bisher die<br />
britische Praxis verteidigt haben«, so der<br />
Abgeordnete.<br />
EU-Forschungskommissar Janez Potocnik<br />
hält sich in der Frage des Klonens<br />
allerdings weiterhin sehr bedeckt. In einem<br />
Gespräch mit Vertretern der »Weltjugendallianz«<br />
(WYA), die in Brüssel für<br />
die umfassende Wahrung der Menschenrechte<br />
eintritt, sagte er, er versuche auf<br />
den Ethikrat zu hören. »Es ist ein sehr<br />
ROSLIN ISTITUTE<br />
STICHWORT<br />
Forschungsklonen<br />
Beim Forschungsklonen, das euphemistisch<br />
auch therapeutisches Klonen genannt<br />
wird, werden menschliche Embryonen<br />
durch Kerntransfer, Mehrlingsspaltung<br />
oder auch Blastozystenspaltung<br />
erzeugt und bis zu einem Entwicklungsstadium<br />
(5-7) Tage kultiviert. Danach<br />
wird der Embryo zerstört. Aus den bei<br />
der Tötung des Embryos gewonnenen<br />
embryonalen Stammzellen werden neue<br />
Kulturen angelegt. Aus ihnen wollen<br />
Forscher Zellen züchten, die zerstörtes<br />
Gewebe bei kranken Menschen ersetzen<br />
sollen.<br />
sensibles Thema«, so Potocnik. Jedoch<br />
betonte er, dass sich die EU mit ihrer<br />
Gesetzgebung weder dem liberalsten noch<br />
dem restriktivsten Staat annähern wolle.<br />
Der für Gesundheitsforschung zuständige<br />
Direktor in der EU-Kommission, Octavi<br />
Quintana Trias, ist da schon deutlicher.<br />
Er plädierte dafür, Klonprojekte auch<br />
weiterhin <strong>–</strong> mindestens bis 2013 <strong>–</strong> von<br />
der EU-Förderung auszunehmen. Im<br />
siebten EU-Forschungsrahmenprogramm<br />
wurde allerdings auf eine Formulierung<br />
verzichtet, die den Umgang mit<br />
einer so unethischen Forschung wie dieser<br />
regelt. »Theoretisch wäre es möglich,<br />
eine Technik, die in 24 Mitgliedstaaten<br />
verboten ist, und nur in einem Staat erlaubt<br />
ist, aus dem europäischen Haushalt<br />
zu unterstützen«, bemängelt Liese.<br />
Der FDP bereitet ein möglicher illegaler<br />
Handel mit Eizellen keine Sorgen.<br />
»Der FDP bereitet ein illegaler<br />
Handel mit Eizellen keine Sorgen«<br />
Sie kämpft schon seit langer Zeit für eine<br />
liberalere Gesetzgebung. Die forschungspolitische<br />
Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion,<br />
Ulrike Flach, nannte denn<br />
auch die Kritik an der Preisvergabe an<br />
Wilmut »kleinkariert«. »Es ist eben nicht<br />
alles auf dieser Welt mit dem engen Maß<br />
des deutschen Stammzellimportgesetzes<br />
zu messen«, giftete Flach. Mit dieser<br />
Position steht die FDP unter den im<br />
deutschen Bundestag vertretenen Parteien<br />
zurzeit aber noch alleine da. Sowohl Teile<br />
der SPD-Fraktion als auch die gesamte<br />
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag setzten<br />
sich bislang für die Wahrung des<br />
Embryonen-Schutzgesetzes und ein umfassendes<br />
Klonverbot ein.<br />
Die Akteure der Paul-Ehrlich-Stiftung<br />
scheinen sich um die Proteste der Klongegner<br />
und die in Deutschland geltende<br />
Rechtslage nicht zu scheren. Stattdessen<br />
versuchen sie mit ihren Heilsversprechen<br />
das so genannte therapeutische Klonen<br />
attraktiv zu machen: Krebsforschung,<br />
Parkinson, Diabetes und andere Krankheiten<br />
sollen mit Hilfe der Embryonenforschung<br />
bald geheilt werden können.<br />
Ob das jemals gelingt, ist aber überaus<br />
fraglich. Selbst der Laudator Bernhard<br />
Fleckenstein räumte in seiner Laudatio<br />
auf Wilmut ein, dass »auf kürzere Sicht<br />
(…) das Klonen wohl nicht einsetzbar<br />
sein« wird. Gegenüber dem <strong>LebensForum</strong><br />
stellt der CDU-Politiker Liese klar,<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
FERDINAND CREUTZ<br />
Mit Dolly-Masken demonstrieren<br />
Mitglieder der <strong>ALfA</strong> gegen die<br />
Preisverleihung an Wilmut, der in<br />
Großbritannien jetzt Menschen<br />
klont.<br />
dass es keine Therapie gäbe, »die auf dem<br />
Klonen von menschlichen Embryonen<br />
basiert.«<br />
Dass sich aus den von den Forschern<br />
begehrten befruchteten Eizellen jeweils<br />
künftige, mit sich selbst stets identische<br />
Menschen, kontinuierlich entwickeln,<br />
ficht die Klonbefürworter nicht an. Die<br />
Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens<br />
beginnt für Forscher wie Fleckenstein<br />
offenbar erst später. »Ob volle Menschenwürde<br />
auch den genannten präembryonalen<br />
Phasen zukommt, ist weithin umstritten«,<br />
so seine Behauptung. »Gerade<br />
aus Sicht der heutigen Embryologie ist<br />
es kaum als sinnvoll anzusehen, einer<br />
totipotenten Einzelzelle einen solchen<br />
vollen Schutzanspruch zuzuweisen.« Das<br />
Embryonenschutzgesetz bezeichnete<br />
Fleckenstein gar als »ethisch widersprüchlich<br />
und wissenschaftsfeindlich.« Diesen<br />
klaren Angriff auf die deutsche Rechtslage<br />
geißelte der stellvertretende Chefredakteur<br />
des sonst so liberalen »Kölner Stadt-<br />
Anzeigers«, Joachim Frank, am Tag nach<br />
der Preisverleihung in einem mit »Grabenkrieg<br />
der Forscher« überschriebenen<br />
Kommentar. Die Festung der Klongegner<br />
solle nun »sturmreif geschossen werden«,<br />
stellte Frank fest. Die Heilsversprechen<br />
der Klonlobby sah er ähnlich kritisch wie<br />
die Lebensrechtsbewegung: »Prämiert<br />
worden sind diffuse Heilsversprechen<br />
anstelle handfester Erfolge in der Krankheitsbekämpfung«,<br />
so Frank.<br />
Der stellvertretende Vorsitzende der<br />
Enquetekommission »Ethik und Recht<br />
der modernen Medizin« und Bundestagsabgeordnete<br />
Hubert Hüppe hielt Fleckensteins<br />
Äußerungen entgegen, dass<br />
» Zweilfellos beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von<br />
Ei- und Samenzelle.« (Oliver Brüstle, Stammzellforscher)<br />
»Die Festung der Klongegner soll nun<br />
sturmreif geschossen werden.«<br />
J. Frank, Chefredakteur »Kölner Stadtanzeiger«<br />
INFO<br />
Auszug aus dem<br />
Embryonenschutzgesetz<br />
§ 2:<br />
(1) Wer einen extrakorporal erzeugten<br />
oder einer Frau vor Abschluss seiner<br />
Einnistung in der Gebärmutter entnommenen<br />
menschlichen Embryo veräußert<br />
oder zu einem nicht seiner Erhaltung<br />
dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder<br />
verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis<br />
zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.<br />
(2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem<br />
anderen Zweck als der Herbeiführung<br />
einer Schwangerschaft bewirkt, dass<br />
sich ein menschlicher Embryo extrakorporal<br />
weiterentwickelt.<br />
(3) Der Versuch ist strafbar.<br />
Deutschland nicht eine wissenschaftsfeindliche<br />
Sicht habe, sondern vielmehr<br />
die Menschenwürde achte. Hüppe kritisierte<br />
die Entscheidung der Stiftung ausdrücklich:<br />
»Eine Stiftung, die mit Steuergeldern<br />
arbeitet, ist nicht als Plattform<br />
gegen Stammzellgesetz und Embryonenschutzgesetz<br />
geeignet.«<br />
Die Mitfinanzierung des Paul-Ehrlich-<br />
Preises durch das Bundesgesundheitsministerium<br />
kann als Beleg dafür gelten,<br />
dass die Bundesregierung über diesen<br />
indirekten Förderweg versucht, den Embryonen-Schutz<br />
aufzuweichen. Doch die<br />
Verantwortung dafür weist das zuständige<br />
Ministerium von sich. Ein Sprecher des<br />
Bundesministeriums für Gesundheit und<br />
Soziale Sicherung (BMGS) verwies auf<br />
die Unabhängigkeit des Stiftungsrats:<br />
»Dieses Gremium ist ein vollkommen<br />
unabhängiger, wissenschaftlicher Beirat.<br />
Wir haben da keinen Einfluss.« Doch<br />
das ist schlichtweg falsch. Schließlich sitzt<br />
auch ein Vertreter des Gesundheitsministeriums<br />
im Stiftungsrat, der den Preisträger<br />
angeblich einstimmig auserkoren<br />
hat.<br />
Auffällig ist, dass sich bei der Definition<br />
über den Beginn des menschlichen Lebens<br />
offenbar auch die Klonforscher selbst<br />
nicht einig zu sein scheinen. Während<br />
Wilmut den sieben Tage alten Embryo<br />
schlicht mit einem Sandkorn vergleicht,<br />
bestätigte der prominteste deutsche<br />
Stammzellforscher Oliver Brüstle die<br />
allgemein gültige Definition des Beginns<br />
menschlichen Lebens. In einem Interview<br />
mit der Tageszeitung »Die Welt« sagte<br />
Brüstle: »Zweifellos beginnt menschliches<br />
Leben mit der Verschmelzung von Eiund<br />
Samenzelle« um aber gleich darauf<br />
die Frage aufzuwerfen, ob man diesem<br />
Menschen »dieselbe Schutzwürdigkeit<br />
beimessen (sollte) wie einem Embryo<br />
nach Einnistung in die Gebärmutter,<br />
sprich nach Eintritt der Schwangerschaft.«<br />
Grotesk wird es, wenn der Mikrobiologe<br />
Alexander Kekule das Klonen<br />
verteidigt und dabei auf die Abtreibungspraxis<br />
verweist: Während dort die Zerstörung<br />
von Embryos »alltäglich hingenommen«<br />
werde, begebe sich Deutschland<br />
mit seinem absoluten Nein zum<br />
Klonen in eine »Außenseiterrolle«, so<br />
Kekule in einem Kommentar für den<br />
Berliner »Tagesspiegel«. Wenn Abtreibung<br />
geduldet wird, könne man doch<br />
auch das Klonen erlauben, so die Argumentation<br />
vieler Klonbefürworter.<br />
Die Grünen ziehen diese Schlussfolgerung<br />
bislang noch nicht, sondern stehen<br />
»In fast allen EU-Ländern ist das<br />
Klonen von Embryonen verboten.«<br />
Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen<br />
zu ihrer ablehnenden Haltung. Bereits<br />
im Herbst 2004 bezeichnete der stellvertretende<br />
Vorsitzende der Bundestagsfraktion<br />
von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard<br />
Loske, die Forschung mit geklonten<br />
embryonalen Stammzellen als »teure<br />
Sackgasse« und verwies auf Stammzellforscher,<br />
die dies ebenso sähen. Dass<br />
Deutschland sich mit seiner restriktiven<br />
Haltung, wie Kekule behauptet, in einer<br />
»Außenseiterrolle« befände, widerlegt<br />
Loske: »Deutschland steht mit seinem<br />
Verbot des Forschungsklonens in der EU<br />
im Übrigen nicht alleine. Im Gegenteil:<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 7
TITEL<br />
In fast allen EU-Ländern ist das Klonen<br />
von Embryonen für Forschungszwecke<br />
verboten. Nur in Großbritannien und<br />
Belgien ist es erlaubt.« Die Bundestagsabgeordnete<br />
Christa Nickels unterstrich<br />
gegenüber <strong>LebensForum</strong>, dass die Grünen<br />
ihren klaren Kurs gegen das Forschungsklonen<br />
beibehalten würden. Auch<br />
die AG Gentechnik habe gegen die Förderung<br />
des Paul-Ehrlich-Preises an Wilmut<br />
protestiert. In einem Brief an Gesundheitsministerin<br />
Ulla Schmidt (SPD)<br />
»In diesem Jahr beginnt eine<br />
neue Zeitrechnung.«<br />
Hilmar Kopper<br />
habe man ihr die Kritik der Grünen an<br />
der Teilfinanzierung der Auszeichnung<br />
mitgeteilt. »Verhindert hat das die Preisverleihung<br />
allerdings nicht«, so Nickels.<br />
Das Vorgehen der Paul-Ehrlich-<br />
Stiftung kann sogar als versuchte Erpressung<br />
der Politik gewertet werden. Man<br />
könne nicht restriktive Gesetze machen<br />
und »die Gentechnik aus dem Land treiben<br />
und zugleich Wissenschaft und Wirtschaft<br />
beschimpfen, dass sie wegziehen«,<br />
kritisierte der Vorsitzende des Stiftungsrates<br />
der Paul-Ehrlich-Stiftung und frühere<br />
Deutsche Bank-Chef Hilmar Kopper<br />
bei seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche.<br />
Kopper, der bekanntlich die 25<br />
UN ächtet Klonen<br />
Am 8. März verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Deklaration,<br />
in der die Staaten der Welt aufgefordert werden, Gesetz zu erlassen, die sämtliche Formen des<br />
Klonens beim Menschen verbieten, da diese »unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Schutz<br />
menschlichen Lebens« seien. 89 Staaten stimmten für die Deklaration, 34 dagegen, 38, darunter<br />
viele muslimische Staaten, enthielten sich der Stimme.<br />
Dafür<br />
89<br />
WWW.UN.ORG<br />
Hat klar gegen die verbrauchende Embryonenforschung gestimmt: Die UN Vollversammlung<br />
Millionen Euro Verlust, welche die Deutsche<br />
Bank 1994 nach dem Zusammenbruch<br />
des Schneiderimmobilienimperiums<br />
hinnehmen musste, als »Peanuts«<br />
bezeichnet hatte, entpuppte sich auch bei<br />
der Feierstunde als Zyniker aller ersten<br />
Ranges: »Deutsche Unternehmen, die<br />
ihre einschlägigen Abteilungen rechtzeitig<br />
aus Deutschland verlagert haben«, lobte<br />
Kopper, »sorgen für Arbeitsplätze und<br />
zahlen Steuern. Nur eben nicht mehr<br />
hier.« Und er bekannte: Mit der Vergabe<br />
des Preises an Ian Wilmut habe man »ein<br />
Zeichen zu setzen« beabsichtigt. Dass<br />
der Preisträger in Großbritannien seit<br />
Anfang Februar tun darf, was ihn hierzulande<br />
für bis zu fünf Jahre hinter Gitter<br />
bringen würde, sei zwar, so Kopper »Zufall«,<br />
aber eben »Zufall mit Sinn«. Man<br />
hätte „keinen schöneren Zeitpunkt für<br />
die Auszeichnung« finden können, als<br />
»Möglicherweise würde damit auf<br />
eine große Chance verzichtet.«<br />
Prof. H. Michel, Max-Planck-Institut für Biophysik<br />
Dagegen<br />
34<br />
Enthaltungen<br />
38<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
den getroffenen. Denn, jubilierte Kopper,<br />
»soeben hat eine fortschrittsfreundliche<br />
Aufsichtsbehörde im Vereinigten Königreich<br />
dem Professor aus Edinburg grünes<br />
Licht gegeben, menschliche Embryonen<br />
zu klonen«. Fast konnte man den Eindruck<br />
gewinnen, die Paul-Ehrlich-Stiftung<br />
prämiere weniger einen Forscher<br />
als vielmehr eine Regierung, die 2001 als<br />
erste in Europa das Klonen von Menschen<br />
als Rohstofflieferanten legalisierte. »In<br />
diesem Jahr«, frohlockte Kopper, beginne<br />
8<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
eine »neue Zeitrechnung«. »Der Arbeit<br />
mit embryonalen Stammzellen, auch solchen,<br />
die geklont sein werden, steht nichts<br />
mehr im Wege. (...) Ein Zurück gibt es<br />
nicht mehr.«<br />
Auch ein dem <strong>LebensForum</strong> vorliegendes<br />
Schreiben der Paul-Ehrlich-<br />
Stiftung belegt, dass die Stiftung jeglichen<br />
Respekt vor der deutschen Rechtslage<br />
vermissen lässt: »Seien Sie versichert,<br />
dass der mit renommierten Wissenschaftlern<br />
international besetzte Stiftungsrat<br />
der Paul Ehrlich-Stiftung bei der Auswahl<br />
des Preisträgers sich in Übereinstimmung<br />
mit der Satzung an internationalen wissenschaftlichen<br />
Standards orientiert hat,<br />
die ganz überwiegend das therapeutische<br />
Klonen als Bestandteil der künftigen regenerativen<br />
Medizin begrüßen«, heißt es<br />
darin schwarz auf weiß. Diese »Standards«<br />
besitzen scheinbar einen höheren Wert<br />
»Das ist ein schwieriges Thema<br />
aber wir dürfen es nicht auslassen.«<br />
Franz Münterfering, SPD-Parteivorsitzender<br />
als der mit viel Bedacht und zu Recht<br />
gesetzlich manifestierte Embryonenschutz.<br />
Andere verweigern sich einer Stellungnahme<br />
wie das Robert-Koch-Institut, das<br />
über Einhaltung des Stammzellgesetzes<br />
zu wachen hat und dessen Direktor ebenfalls<br />
dem Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-<br />
Stiftung angehört: »Zur Entscheidung<br />
für den Preisträger verweisen wir auf die<br />
Äußerungen der Stiftung und des Juryvorsitzenden«,<br />
so die lapidare Antwort<br />
des Instituts.<br />
Fakt ist: Das Embryonenschutzgesetz<br />
ist in Gefahr <strong>–</strong> trotz parlamentarischer<br />
Mehrheiten. Schon vor gut einem Jahr<br />
versuchte Bundesjustizministerin Brigitte<br />
Zypries das Gesetz zu lockern. Damals<br />
sprach sich Bundestagspräsident Wolfgang<br />
Thierse (beide SPD) noch deutlich<br />
für die unbedingte Schutzwürdigkeit aus,<br />
mit der Begründung, dass derjenige, der<br />
die damalige Entscheidung des Bundestags<br />
unterlaufen wolle, »schon außerordentlich<br />
gute Argumente beibringen<br />
(muss)«. Was unter diesen »guten Argumenten«<br />
allerdings zu verstehen sei, ließ<br />
er offen. Dafür machte der SPD-Parteivorsitzende<br />
Franz Müntefering (SPD) in<br />
einem Interview mit der Wochenzeitung<br />
»Rheinischer Merkur« Anfang April deutlich,<br />
worum es seiner Partei geht. »Wir<br />
können nicht andere im Ausland forschen<br />
lassen, von ihren Ergebnissen profitieren,<br />
uns selbst aber die Hände reinwaschen.<br />
Ich weiß, dass das ein schwieriges Thema<br />
ist, aber wir dürfen es nicht auslassen«,<br />
so Müntefering, der bekannte: Er lehne<br />
das Forschungsklonen nicht ab und sei<br />
dafür offen, weiter zu gehen.<br />
Der in diesem Zusammenhang bereits<br />
schwelende Streit um die EU-Gelder für<br />
das Klonen aus Mitteln des siebten EU-<br />
Forschungsrahmenprogramms für die<br />
Jahre 2007 bis 2013 ist im Grunde aus<br />
deutscher Sicht grotesk: Schließlich hätte<br />
Deutschland von diesen Fördermitteln<br />
aufgrund der Gesetzeslage kaum etwas.<br />
Das Geld würde nur in Staaten fließen,<br />
wo das Klonen erlaubt ist. Allerdings<br />
würde eine Förderung die Argumentation<br />
der deutschen Klonbefürworter stützen.<br />
Denn die Angst, auf diesem Forschungsfeld<br />
international ins Hintertreffen und<br />
beim Kampf um die abzusteckenden<br />
Claims schließlich ins Abseits zu geraten,<br />
ist groß.<br />
Wenn in Deutschland der Embryonenschutz<br />
fallen würde, hätte das nach Lieses<br />
Meinung auch für Europa »verheerende<br />
Folgen«. Schließlich habe Deutschland<br />
»als größtes Land und als Land mit einer<br />
sehr schlimmen Vergangenheit, was den<br />
Missbrauch der medizinischen Forschung<br />
angeht, eine Führungsrolle.«<br />
Die Klon-Lobby ist stark. Zu den Befürwortern<br />
des Klonens lassen sich auch<br />
renommierte Forschungsinstitute in<br />
Deutschland zählen. So bedauerte Hartmut<br />
Michel, Professor am Max-Planck-<br />
Institut für Biophysik, die jüngste UN-<br />
Empfehlung zum Klonen: »Möglicherweise<br />
würde damit auf eine große Chance<br />
verzichtet, vielen Patienten zu helfen.<br />
Deren Lebensrecht würde durch die Akzeptanz<br />
einer solchen Entscheidung beeinträchtigt.«<br />
Trotz der starken Lobbyarbeit, die<br />
auch deutsche Forscher zurzeit leisten,<br />
dürfte es für die Bundesregierung nicht<br />
leicht werden, den Embryonenschutz<br />
aufzuweichen. Nicht zuletzt nach den<br />
Medienberichten über die rumänische<br />
Klinik sind auch einige deutsche Abgeordnete<br />
sensibilisiert worden. Auch in<br />
der SPD gäbe es, so Liese, »entschiedene<br />
Gegner des so genannten therapeutischen<br />
Klonens.« Er sei sich deshalb auch relativ<br />
sicher, dass der Bundestag keine Liberalisierung<br />
beschließen werde. Eine sehr<br />
optimistische Einschätzung. In welche<br />
Richtung der Forschungszug letztendlich<br />
fährt, lässt sich derzeit aber kaum absehen.<br />
»Es wird sehr darauf ankommen, dass<br />
sich Jeder und Jede in ihrem Umfeld für<br />
das Leben einsetzt und sich möglichst<br />
kompetent in die Debatte einschaltet«,<br />
räumt denn auch Liese ein.<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
<strong>ALfA</strong> warnt SPD vor Kurswechsel<br />
Die »Aktion Lebensrecht für Alle« (<strong>ALfA</strong>) hat<br />
die SPD vor einem Richtungswechsel beim<br />
Embryonenschutz gewarnt. »Wer Menschenleben<br />
wirtschaftlichen Interessen opfert, ist<br />
für anständige Menschen nicht mehr wählbar.<br />
Das gilt sowohl für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen,<br />
als auch für die Bundestagswahl<br />
im kommenden Jahr«, erklärte die Bundesvorsitzende<br />
Claudia Kaminski. Äußerungen<br />
von Bundeskanzler Schröder sowie des SPD-<br />
Parteivorsitzenden Müntefering, die sich binnen<br />
kurzer Zeit nacheinander unmissverständlich<br />
für das in Deutschland verbotene Klonen<br />
von Menschen zu Forschungszwecken ausgesprochen<br />
hatten, sowie die jüngsten Formulierungen<br />
von Bundesforschungsministerin<br />
Bulmahn (SPD) zur Stammzellforschung stimmten<br />
»sehr bedenklich«. »Was sich in Deutschland<br />
binnen vier Wochen zusammengebraut<br />
hat, sieht verdächtig nach einem Kurswechsel<br />
aus.« Die <strong>ALfA</strong> werde sehr genau beobachten,<br />
wie sich die Regierung bei den Verhandlungen<br />
für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm<br />
verhält. Für den Fall, dass die Regierung etwas<br />
anderes unternehme, als vehement für die<br />
Beachtung der deutschen Rechtslage zu kämpfen,<br />
sondiere man »die Möglichkeit eines<br />
übergreifenden Bündnisses von Lebensrechtlern<br />
und anderen gesellschaftlichen Gruppierun-gen«,<br />
so die Ärztin, die auch Vorsitzende<br />
des Bundesverband Lebensrecht (BVL) ist. reh<br />
Wandlungsfähig: Adulte Stammzellen<br />
Stammzellen aus haarbildenden Follikeln<br />
können sich offenbar zu Nervenzellen entwickeln.<br />
Das haben Forscher festgestellt, die<br />
Mäusen die Zellen unter die Haut verpflanzten.<br />
Eine Woche nachdem sie unter die Haut der<br />
Spendertiere verpflanzt worden waren, entwickelten<br />
sich die Stammzellen zu Nervenzellen.<br />
Nach einigen weiteren Wochen bildeten<br />
sie ebenso Hautzellen, glatte Muskelzellen<br />
und so genannte Melanozyten, in denen Hautpigmente<br />
gebildet werden. Wie die Forscher<br />
um Robert Hoffman von der University of<br />
California in San Diego zeigten, bildeten diese<br />
Stammzellen auch ein Protein, das kennzeichnend<br />
für nervenbildende Stammzellen ist.<br />
»Diese Ergebnisse deuten darauf, dass Haarfollikel<br />
als leicht zugängliche Quelle für<br />
Stammzellen genutzt werden könnten«, berichtet<br />
das <strong>Magazin</strong> »Proceedings of the National<br />
Academy of Sciences«. Stammzellen<br />
könnten künftig Ersatzgewebe bilden, die<br />
Kranken implantiert werden, bei denen das<br />
Gewebe abgestorben ist oder seine Aufgabe<br />
nicht mehr erfüllt. Zur Gewinnung von adulten<br />
Stammzellen müssen im Gegensatz zu embryonalen<br />
keine menschlichen Embryonen<br />
erzeugt und zerstört werden. reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 9
A USLAND<br />
DPA<br />
Im Zweifel für den Tod<br />
Beim Sterben Terri Schiavos wurde die Weltöffentlichkeit Zeuge der neuen »Kultur des Todes«. Der<br />
Fall Schiavo zeigt beispielhaft, was bei der aktuellen Debatte um Euthanasie und die Durchsetzung<br />
des mutmaßlichen Patientenwillens auf dem Spiel steht.<br />
Von Dr. Raymond Georg Snatzke<br />
Als Theresa Marie Schiavo im<br />
Alter von 41 Jahren am 31. März<br />
<strong>2005</strong> in Pinellas Park in Florida<br />
starb, ging ein 15jähriges Leidens- und<br />
ein achtjähriges Gerichts- und Politdrama<br />
zu Ende. Die letzten Tage des Lebens<br />
von Terri Schiavo haben die ganze Welt<br />
in Atem gehalten. Die Internetsuchmaschine<br />
»Google« verzeichnet zum Stichwort<br />
»Terri Schiavo« über sechs Millionen<br />
Webseiten.<br />
Dabei ist das, was Terri Schiavo widerfahren<br />
ist, weder neu noch ungewöhnlich.<br />
Die künstliche Ernährung von Patienten<br />
einzustellen und sie dadurch sterben zu<br />
lassen, ist nicht nur in den USA gang und<br />
gäbe, auch wenn das den meisten Menschen<br />
nicht bewusst ist. Aber durch den<br />
scharfen Streit der Angehörigen und ihre<br />
Beharrlichkeit, diesen über Jahre hinweg<br />
vor Gericht auszutragen, wurde der Fall<br />
Schiavo vor die Augen der Weltöffentlichkeit<br />
gezerrt. Dadurch steht er stellvertretend<br />
für viele ähnlich gelagerte Fälle<br />
10<br />
und die damit einhergehende gesellschaftliche<br />
Kontroverse.<br />
DIE FAKTEN<br />
Was die Öffentlichkeit zu diesem Fall<br />
von den Medien erfahren hat, ist im Wesentlichen<br />
dies: Terri Schiavo fiel 1990<br />
in ein Wachkoma, aus dem sie nicht mehr<br />
erwacht ist. Hoffnung auf Besserung gebe<br />
es nicht. Seit 1998 bemühte sich ihr Ehemann<br />
Michael, die künstliche Versorgung<br />
mit Nahrung und Flüssigkeit mittels Magensonde<br />
einstellen zu lassen. Angeblich<br />
wollte er damit Terris Wunsch durchsetzen,<br />
nicht von Maschinen am Leben erhalten<br />
zu werden. Dagegen wehrten sich<br />
die Eltern von Terri Schiavo, Mary und<br />
Robert Schindler, mit immer neuen Eingaben<br />
vor Gericht, unterlagen jedoch<br />
und konnten das dritte und nunmehr<br />
endgültige Entfernen der Magensonde<br />
am 18. März <strong>2005</strong> schließlich nicht verhindern.<br />
Auch die Kongresse Floridas<br />
»Angeblich wollte er damit Terris<br />
Wunsch durchsetzen.«<br />
und der USA, der Gouverneur Floridas<br />
Jeb Bush sowie der amerikanische Präsident<br />
George W. Bush scheiterten mit<br />
dem Versuch, die Gerichte zu zwingen,<br />
die Wiedereinsetzung der Magensonde<br />
anzuordnen.<br />
Formal scheint alles mit rechten Dingen<br />
abgelaufen zu sein. Die Schindlers<br />
gingen vor Gericht, um Michael die Vormundschaft<br />
für Terri zu entziehen, um<br />
Terris angeblichen Wunsch anzuzweifeln,<br />
in einer solchen Situation sterben zu<br />
wollen, um eine neue medizinische Beurteilung<br />
ihrer Heilungschancen durchzusetzen<br />
und wegen vieler anderer Dinge<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
mehr. Es war der Bezirksrichter George<br />
W. Greer, der die meisten dieser Anträge<br />
verhandelte und ablehnte und der auch<br />
die Entfernung der Magensonde anordnete.<br />
Gegen praktisch alle seine Beschlüsse<br />
gingen die Schindlers in Berufung -<br />
zum Teil hatte ihnen ein spezielles Eilgesetz<br />
des US-Kongresses dies erst ermöglicht<br />
<strong>–</strong> unterlagen aber auch dort.<br />
DIE STREITPUNKTE<br />
Es lohnt sich jedoch, einige Details<br />
näher anzusehen, von denen in den deutschen<br />
Medien kaum die Rede war. Da ist<br />
»Die Experten waren sich in keiner Weise über die<br />
Unumkehrbarkeit von Terri Schiavos Zustand einig.«<br />
zunächst der Gesundheitszustand von<br />
Terri Schiavo vor ihrem Tod. Richter<br />
Greer befand mehrmals, dass sich Terri<br />
Schiavo in einem Wachkoma ohne Hoffnung<br />
auf Besserung befand. Grundlage<br />
dafür waren die Aussagen mehrerer Ärzte<br />
und Scans von Terri Schiavos Gehirn, die<br />
angeblich zeigten, dass sich ihr Großhirn<br />
im Wesentlichen verflüssigt habe. Aber<br />
die Experten waren sich in keiner Weise<br />
über die Unumkehrbarkeit von Terri<br />
Schiavos Zustand einig. Sie hat eindeutig<br />
auf Reize reagiert, schluckte ihren eigenen<br />
Speichel und schien in begrenztem Ausmaß<br />
sogar auf Ansprache zu reagieren.<br />
Kurz vor der letztmaligen Entfernung<br />
der Magensonde soll sie auf die Aufforderung<br />
einer Rechtsanwältin, sie solle<br />
doch sagen »Ich will leben!«, sogar sehr<br />
laute Töne von sich gegeben haben, die<br />
sich evtl. als »Ich wiii...« (»I waaa...« im<br />
Englischen) deuten ließen. Danach soll<br />
sie geweint haben aus Frust über ihr<br />
Unvermögen, den Satz zu Ende zu sprechen.<br />
Für Richter Greer waren all das<br />
nur Reflexe, Anzeichen für Aktivitäten<br />
des Stammhirns, automatische Reaktionen<br />
wie diejenige, die »Hand von einer<br />
heißen Herdplatte zu reißen, lange bevor<br />
man darüber nachgedacht hat«, so Greer<br />
in einem Urteil vom 26. März <strong>2005</strong>. Bereits<br />
lange vorher hatte Greer immer<br />
wieder weitere offizielle Untersuchungen<br />
zu dieser Frage an Terri Schiavo untersagt,<br />
weil der Fall längst eindeutig geklärt sei.<br />
Genauso umstritten war die eigentliche<br />
Grundlage für die Entfernung der Magensonde,<br />
nämlich der angebliche<br />
Wunsch von Terri Schiavo, in einer solchen<br />
Lage nicht weiter leben zu wollen.<br />
Schriftlich hatte Frau Schiavo, die bereits<br />
mit 26 Jahren ins Wachkoma fiel, nichts<br />
zu diesem Thema hinterlassen. Ihr Mann,<br />
einer seiner Brüder und eine Schwägerin<br />
von Michael Schiavo gaben an, Terri habe<br />
mehrmals gesagt, dass sie nicht an Maschinen<br />
angeschlossen am Leben erhalten<br />
werden und anderen Menschen dadurch<br />
zur Last fallen wolle. Dies habe sie im<br />
Zusammenhang mit dem Tod der Großmutter<br />
Michael Schiavos gesagt, die eben<br />
in einer solchen Lage gestorben sei, aber<br />
auch nach einer Fernsehsendung über<br />
Menschen mit Magensonde. Demgegenüber<br />
gaben Terri Schiavos Mutter und<br />
eine Jugendfreundin von<br />
Terri an, sie habe sich sehr<br />
skeptisch gegenüber dem<br />
Abschalten lebenserhaltender<br />
Geräte gezeigt.<br />
Wieder war es Richter<br />
Greer, der diesen Streitpunkt<br />
in Richtung des<br />
Wunsches »Sterben zu<br />
wollen« entschied. Die Zeugenaussagen<br />
von Michael Schiavo, seinem Bruder und<br />
einer Schwägerin schienen ihm glaubwürdiger.<br />
Sie bezogen sich auf spätere Ereignisse<br />
und schienen ihm daher offensichtlich<br />
eben irgendwie relevanter zu sein.<br />
Auch die Glaubwürdigkeit und die<br />
Motive Michael Schiavos sind heftig umstritten.<br />
Hier wird der ganze Fall allerdings<br />
noch viel undurchsichtiger. 1992<br />
wurden Michael Schiavo über eine Million<br />
Dollar wegen ärztlichen Fehlverhaltens<br />
zugesprochen, von denen ungefähr<br />
750.000 Dollar speziell zur Rehabilitation<br />
seiner Frau verwendet werden sollten.<br />
»Für sie war die Sachlage immer eindeutig:<br />
Es besteht keine Hoffnung auf Besserung.«<br />
Stattdessen gab er von diesem Geld mindestens<br />
über eine halbe Million Dollar<br />
für Anwälte aus, um den Abbruch der<br />
künstlichen Ernährung durchzusetzen.<br />
Auch ist Michael Schiavo seit Mitte der<br />
neunziger Jahre mit einer anderen Frau<br />
liiert, mit der er zwei eigene Kinder hat.<br />
Dennoch weigerte er sich, sich von Terri<br />
scheiden zu lassen oder die Vormundschaft<br />
niederzulegen. Er hat immer betont,<br />
er wolle für den Wunsch seiner Frau<br />
kämpfen, nicht von Maschinen am Leben<br />
erhalten zu werden. Um Geld <strong>–</strong> als Ehegatte<br />
erbt er nach dem Tod Terris das<br />
restliche Vermögen <strong>–</strong> schien es ihm dabei<br />
jedoch nicht zu gehen, da ihm von dritter<br />
Seite bis zu 10 Millionen Dollar dafür<br />
geboten wurden, die Vormundschaft abzugeben.<br />
Klar ist, dass Michael bereits<br />
seit 1993 weitere Rehabilitationsmaßnahmen<br />
für seine Frau untersagt hat. Dazu<br />
kommen unbewiesene Anschuldigungen,<br />
Michael habe Terri vor ihrem Unfall missbraucht<br />
und sie habe sich von ihm scheiden<br />
lassen wollen. Alle diese Dinge spielten<br />
bei den Gerichtsverfahren über die<br />
künstliche Ernährung Terri Schiavos jedoch<br />
praktisch keine Rolle.<br />
DIE KULTUR DES TODES<br />
Von Europa aus ist es unmöglich, die<br />
strittigen Punkte zu überprüfen und die<br />
Wahrheit zweifelsfrei festzustellen. Dies<br />
gelang selbst vor Ort in keiner Weise.<br />
Doch gerade das beängstigt. Man kann<br />
sich durchaus auf den Standpunkt stellen,<br />
dass Terri Schiavos medizinische Lage<br />
aussichtslos war, dass sie in ihrer Lage<br />
wirklich nicht weiterleben hätte wollen<br />
und dass ihr Mann tatsächlich in dem<br />
Glauben gehandelt hat, nur den Wunsch<br />
seiner Frau durchzusetzen. Ein solcher<br />
Standpunkt ist kaum mit Fakten zu widerlegen.<br />
Aber ebenso wenig kann diese<br />
Position bewiesen werden. Im Gegenteil:<br />
Zu jedem einzelnen Punkt lassen sich <strong>–</strong><br />
wie die oben angeführten Beispiele zeigen<br />
<strong>–</strong> sehr große Zweifel anmelden, die ebenfalls<br />
nicht überzeugend widerlegt werden<br />
können.<br />
Richter Greer und die verschiedenen<br />
Berufungsgerichte hat all das anscheinend<br />
nicht interessiert. Für sie war die Sachlage<br />
immer eindeutig: Es besteht keine Hoffnung<br />
auf Besserung, Terri<br />
Schiavo wollte sterben und<br />
an Michael Schiavos<br />
Glaubwürdigkeit besteht<br />
keinerlei Zweifel. Liest<br />
man einige der zum Teil<br />
unfassbar schlampig abgefassten<br />
Urteile von<br />
Greer, so bekommt man<br />
den Eindruck, dass der Richter nicht das<br />
geringste Problem damit hat, mit großer<br />
Lockerheit den Tod eines Menschen anzuordnen<br />
<strong>–</strong> und dies durch langsames<br />
Verhungern und Verdursten, einer Todesart,<br />
die aufgrund ihrer Grausamkeit als<br />
Todesstrafe undenkbar wäre.<br />
Die amerikanische Justiz hat bereits<br />
in der Vergangenheit gezeigt, dass sie<br />
keine Schwierigkeiten zu haben scheint,<br />
den Tod eines unmündigen Patienten als<br />
das Beste zu betrachten, was diesem passieren<br />
kann. Der wohl drastischste Fall<br />
ereignete sich 1995, als die dreiundachtzigjährige<br />
Marjorie Nighbert nach einem<br />
Schlaganfall künstlich ernährt wurde. Der<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 11
A USLAND<br />
von Frau Nighbert mit Vollmacht ausgestattete<br />
Bruder ließ die Magensonde entfernen,<br />
woraufhin Frau Nighbert explizit<br />
um Essen bat. Ein Richter urteilte, dass<br />
Frau Nighbert geistig nicht kompetent<br />
sei, für sich selbst zu entscheiden und<br />
ihrer eigenen erteilten Vollmacht zu widersprechen.<br />
Angeblich wurde Frau<br />
Nighbert daraufhin in ihrem Bett fixiert<br />
und dem Pflegepersonal strengstens verboten,<br />
sie mit Nahrung oder Flüssigkeit<br />
zu versorgen. Frau Nighbert starb am 6.<br />
April 1995.<br />
Auch bei Terri Schiavo begnügte man<br />
sich nicht mit der Entfernung der Magensonde.<br />
Ungefähr ein Dutzend Menschen<br />
wurden bei diversen Versuchen<br />
verhaftet, Terri Schiavo Wasser zum Trinken<br />
zu bringen, da dies Richter Greer<br />
explizit verboten hatte. Ganz offensichtlich<br />
ging es nicht darum, Frau Schiavo<br />
von den Apparaten zu befreien, sondern<br />
es sollte konkret ihr Tod herbeigeführt<br />
werden. Mit passivem Sterben lassen hat<br />
das nichts mehr zu tun.<br />
»Das ist die ›Kultur des Todes‹<br />
in voller Blüte.«<br />
Eine solche Entwicklung wie im Fall<br />
Schiavo ist eigentlich nur dann erklärbar,<br />
wenn im Zweifelsfall zugunsten des Todes<br />
entschieden werden soll. Der Wunsch zu<br />
Sterben, nicht mehr der Wille zum Leben,<br />
ist offenbar die Standard-Annahme und<br />
zum Maß der Dinge geworden. Die Beweislast<br />
wurde umgekehrt: Es muss jetzt<br />
bewiesen werden, dass jemand leben will,<br />
nicht, dass er sterben will. Das ist die<br />
»Kultur des Todes« in voller Blüte.<br />
DIE INTERNATIONALE SICHT<br />
12<br />
WWW.WHITEHOUSE.GOV<br />
Auch Präsident Bushs Einsatz hat Terri Schiavos Tod nicht verhindern können.<br />
Die Vorherrschaft der »Kultur des<br />
Todes« war auch in der Berichterstattung<br />
der deutschen Medien klar zu spüren.<br />
Von »Zwangsernährung« war da die Rede<br />
und davon, in Würde »sterben zu dürfen«.<br />
Die Kommentare deutscher Institutionen<br />
waren jedoch überwiegend klar ablehnend.<br />
So betonte die Bundesärztekammer,<br />
dass in Fällen wie dem von Schiavo, in<br />
dem der mutmaßliche Wille nicht einwandfrei<br />
ermittelt werden könne, die<br />
Erhaltung des Lebens absoluten Vorrang<br />
haben müsse. Dies gebiete der Respekt<br />
vor dem Leben und der Würde des Menschen.<br />
Der Vorsitzende der Deutschen<br />
Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann,<br />
erinnerte daran, dass das Verhungernlassen<br />
eines Menschen ethisch nicht<br />
erlaubt sei. Es gehe darum, Hilfe im<br />
Sterben zu leisten, nicht aber Hilfe zum<br />
Sterben. Der Bundestagsabgeordnete<br />
Thomas Rachel erklärte für die<br />
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass es<br />
völlig verfehlt sei, eine Entscheidung über<br />
Leben und Tod auf den mutmaßlichen<br />
Willen abzustellen.<br />
Die deutlichsten Stellungnahmen zum<br />
Tod Terri Schiavos kamen aus Rom. Vatikan-Sprecher<br />
Navarro-Valls sagte, die<br />
Umstände von Terri Schiavos Tod hätten<br />
die Gewissen der Menschen schockiert<br />
und es könne keine Ausnahmen vom Prinzip<br />
der geheiligten Natur des Lebens<br />
geben. Kardinal Saraiva Martins, Präfekt<br />
der Kongregation für Heiligsprechungen<br />
erklärte, dass ein Angriff gegen das Leben<br />
ein Angriff gegen Gott sei, den Urheber<br />
des Lebens. Kardinal Martino, der dem<br />
Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und<br />
Frieden vorsitzt, bezeichnete Terri Schiavos<br />
Tod als ungerechtes Todesurteil für<br />
eine unschuldige Person, das außerdem<br />
in einer der inhumansten und grausamsten<br />
Weisen vollstreckt wurde.<br />
POLITISCHE KONSEQUENZEN<br />
Sowohl die öffentliche Meinung in<br />
den USA als auch die Politik sind beim<br />
Fall Schiavo gespalten. Die Fronten scheinen<br />
eher zwischen Legislative/Exekutive<br />
und Judikative als zwischen Republikanern<br />
und Demokraten zu verlaufen. In den<br />
Vereinigten Staaten von Amerika könnte<br />
das Gerichtsdrama um Terri Schiavo dazu<br />
führen, dass die Rechte der Einzelstaaten<br />
weiter beschnitten werden, indem der<br />
Zugang zu Bundesgerichten bei ähnlich<br />
gelagerten Streitfällen vereinfacht wird.<br />
Auf Ebene der Bundesstaaten könnte es<br />
zu einer Überarbeitung der Regelungen<br />
bei Vormundschaften kommen.<br />
In Deutschland dürfte vor allem die<br />
Diskussion über Sterbehilfe und Patientenverfügungen<br />
beeinflusst werden. Insbesondere<br />
verdeutlicht der Fall Schiavo<br />
die Gefahren, wenn selbst beiläufige<br />
mündliche Bemerkungen als Patientenverfügung<br />
gewertet werden und diese<br />
auch dann verbindlich sein sollen, wenn<br />
sich der Betreffende nicht im Sterbeprozess<br />
befindet. Gerade in einem gesellschaftlichen<br />
Umfeld, in dem der Tod als<br />
natürliche Lösung angesehen wird, können<br />
dann sehr schnell der eigentliche<br />
Wille des Betroffenen in den Hintergrund<br />
geraten und statt dessen die Ansichten<br />
Dritter über ein lebenswertes Leben oder<br />
gar ökonomische Gründe den Ausschlag<br />
geben. Wenn sich Praktiken wie im Falle<br />
Schiavo ausweiten, kann dies auch zu<br />
einer verstärkten Akzeptanz direkter aktiver<br />
Euthanasie führen, da diese im Vergleich<br />
zu einem langsamen und qualvollen<br />
Tod durch Verdursten geradezu human<br />
erscheint.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />
Der in Jena lebende, promovierte Mathematiker,<br />
Jahrgang 1971, gehört der<br />
<strong>ALfA</strong> seit 1994 an. Zwei Jahre nach<br />
seinem Eintritt wurde er in den Bundesvorstand<br />
gewählt,<br />
wo er bis Juni 2004<br />
das Amt des<br />
Schriftführers im<br />
geschäftsführenden<br />
Bundesvorstand<br />
bekleidete. 1998 und 2002 war er verantwortlich<br />
für die Planung und Durchführung<br />
der Bundestagswahl-Aktionen<br />
der <strong>ALfA</strong>. Seit 1996 koordiniert er zudem<br />
die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle<br />
der <strong>ALfA</strong> in Augsburg.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
EUROPA<br />
Politikziel Abtreibung<br />
Wenn in Texten der EU von »sexuellen und reproduktiven<br />
Gesundheitsrechten« die Rede ist, heißt es: »Aufpassen«. Meist<br />
verbirgt sich dahinter ein Plädoyer für die Abtreibung, manchmal<br />
sogar finanzielle Mittel für Abtreibungen in Entwicklungsländern.<br />
Von Stephan Baier<br />
Als Mitte April im Europäischen<br />
Parlament in Straßburg eine<br />
Entschließung über die »Millenniums-Entwicklungsziele«<br />
verabschiedet<br />
wurde, hatten sich Christdemokraten<br />
einerseits, Liberale und Linke andererseits<br />
bereits im Vorfeld eine heftige Schlacht<br />
geliefert: Die zuständige Berichterstatterin,<br />
die britische Labour-Abgeordnete<br />
Glenys Kinnock, hatte in ihren Antrag<br />
geschrieben, die EU solle »die gesamte<br />
Palette der Familienplanungsdienste, einschließlich<br />
gegebenenfalls Abtreibung«<br />
zur Verfügung stellen und fördern. Für<br />
diese Position gab es im Entwicklungsausschuss<br />
keine Mehrheit.<br />
Andererseits fanden die Christdemokraten<br />
im Plenum keine Mehrheit, um<br />
folgende Formulierung zu verhindern:<br />
»Das Europäische Parlament fordert die<br />
Union nachdrücklich auf, auch weiterhin<br />
die Führungsrolle bei den sexuellen und<br />
reproduktiven Gesundheitsrechten zu<br />
übernehmen und einen Mittelumfang für<br />
eine breite Palette der sexuellen und reproduktiven<br />
Gesundheitsdienste einschließlich<br />
Familienplanung, Behandlung<br />
sexuell übertragener Krankheiten und<br />
sicherer Abtreibungen, wenn diese legal<br />
sind, aufrechtzuerhalten.« Während innerhalb<br />
der Europäischen Union die Abtreibungsgesetzgebung<br />
in die Kompetenz<br />
der Mitgliedstaaten fällt, fördert und<br />
finanziert die EU also in den Entwicklungsländern<br />
Abtreibungen, wo diese<br />
»legal sind«. Garniert wird diese Forderung<br />
mit dem »Bedauern, dass progressive<br />
Politikmaßnahmen im Bereich der sexuellen<br />
und reproduktiven Gesundheitsrechte<br />
auf Widerstand stoßen, was zu<br />
einer Zunahme ungewollter Schwangerschaften<br />
und riskanter Abtreibungen<br />
führt«.<br />
Damit soll bis 2015 verlängert werden,<br />
was bereits heute Entwicklungspolitik<br />
der EU ist. Gemäß einer Verordnung des<br />
Europäischen Parlaments und des Rats<br />
von 2003 finanziert die EU nämlich bereits<br />
heute Forschungs- und Aktionsprogramme,<br />
technische Hilfe, Ausbildungsmaßnahmen,<br />
Beratung und Dienstleistungen<br />
in Entwicklungsländern, die »der<br />
Förderung der reproduktiven und sexuellen<br />
Gesundheit in den Entwicklungsländern«<br />
dienen sollen. Dabei geht es,<br />
zugegebenermaßen, auch um die Eindämmung<br />
sexueller Gewalt, um Kinder- und<br />
Frühehen, um pränatale Betreuung und<br />
um qualifizierte Geburtshelfer. Vorrangig<br />
aber geht es um Methoden der Empfängnisverhütung,<br />
um Prävention und Diagnose<br />
sexuell übertragbarer Krankheiten<br />
sowie um Aufklärungsprogramme für<br />
Jugendliche.<br />
Folgende Zieldefinition aus der rechtsrelevanten<br />
EU-Verordnung gibt zu denken:<br />
Angestrebt sei die »Verringerung<br />
»Die EU fördert und finanziert in Entwicklungsländern<br />
Abtreibungen, wo diese ›legal‹ sind.«<br />
der Zahl unsachgemäß vorgenommener<br />
Abtreibungen durch Verringerung der<br />
Zahl ungewollter Schwangerschaften mittels<br />
Bereitstellung von Familienplanung,<br />
verständnisvoller Beratung und Informationen,<br />
auch in Bezug auf Empfängnisverhütungsmethoden,<br />
und durch Investitionen<br />
in Ausbildung und Ausstattung<br />
von geeignetem Personal, einschließlich<br />
medizinischen Personals zur Bewältigung<br />
der Komplikationen aufgrund unsachgemäß<br />
vorgenommener Abtreibungen unter<br />
hygienischen und sicheren Bedingungen«.<br />
Damit ist die Finanzierung der »Ausbildung<br />
und Ausstattung von geeignetem<br />
Personal« für Abtreibungen nicht ausgeschlossen.<br />
Verringert werden soll nicht die Zahl<br />
der Abtreibungen, sondern nur die Zahl<br />
der »unsachgemäß vorgenommenen<br />
Abtreibungen«. Da nicht die EU selbst<br />
die von ihr finanzierten Projekte in den<br />
Entwicklungsländern durchführt, sondern<br />
die Finanzmittel an »zentralstaatliche,<br />
regionale und kommunale Behörden«,<br />
an »Gebietskörperschaften«, an Nicht-<br />
Regierungsorganisationen, »Basisorganisationen<br />
und andere gemeinnützige natürliche<br />
und juristische Personen« gibt,<br />
werden ihre Rechtstexte so weit wie möglich<br />
interpretiert. Nach dieser Verordnung<br />
hätte die EU keine Möglichkeit, Gelder<br />
zu sperren, wenn ihre Partner vor Ort<br />
Abtreibungen und Abtreibungspropaganda<br />
fördern <strong>–</strong> es sei denn, die Abtreibungen<br />
seien »unsachgemäß vorgenommen«.<br />
Dass man das Schlimmste vermuten darf,<br />
zeigt die Auflistung der Projektpartner,<br />
zu denen neben Nicht-Regierungsorganisationen<br />
und den jeweiligen staatlichen<br />
und regionalen Behörden auch internationale<br />
Organisationen <strong>–</strong> etwa die Fonds<br />
und Programme der UNO, Entwicklungsbanken<br />
und globale NGOs <strong>–</strong> gehören.<br />
Unter dem Titel »reproduktive und<br />
sexuelle Gesundheit und damit verbundene<br />
Rechte in den Entwicklungsländern«<br />
hat die EU für den Zeitraum von 2003<br />
bis 2006 rund <strong>74</strong> Millionen Euro bereitgestellt.<br />
Es wäre aber naiv anzunehmen,<br />
dass jene, die das Geld der europäischen<br />
Steuerzahler für Abtreibungsprojekte und<br />
Abtreibungspropaganda in den Entwicklungsländern<br />
hergeben, die mitgliedstaatliche<br />
Kompetenz in der<br />
Abtreibungsgesetzgebung<br />
innerhalb der EU unangetastet<br />
lassen. Weil es<br />
noch immer EU-Mitgliedstaaten<br />
gibt, die Abtreibungen<br />
nicht oder nur<br />
sehr eingeschränkt erlauben,<br />
kritisierte das<br />
Europäische Parlament bereits 2001 »die<br />
bestehenden Unterschiede im Bereich<br />
der sexuellen und reproduktiven Gesundheit<br />
(…) insbesondere die enormen Unterschiede<br />
beim Zugang der Frauen in<br />
Europa zu den Diensten der Reproduktionsgesundheit,<br />
zur Empfängnisverhütung<br />
und zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch<br />
(...)«.<br />
Eine Mehrheit der Europaabgeordneten<br />
beteuerte damals zwar, »dass die Abtreibung<br />
nicht als Verfahren der Familienplanung<br />
gefördert werden darf«.<br />
Zugleich ließ das Europäische Parlament<br />
aber keinen Zweifel daran, was das Ziel<br />
einer Angleichung der mitgliedstaatlichen<br />
Gesetzgebungen sei: »dass Abtreibung<br />
zur Gewährleistung der reproduktiven<br />
Gesundheit und Rechte der Frau legal,<br />
sicher und für alle zugänglich sein sollte«.<br />
In diesem Sinn forderte das Europäische<br />
Parlament »die Regierungen der Mitgliedstaaten<br />
und der Beitrittsländer auf,<br />
jegliche Verfolgungen von Frauen, die<br />
illegal abgetrieben haben, zu unterlassen«.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 13
GESELLSCHAFT<br />
Der Gigant auf<br />
dem Stuhl Petri<br />
Dass ein Papst stirbt, sei allein noch kein Grund für einen Lebensrechtler zur<br />
Feder zu greifen. Bei Johannes Paul II. sei auch das anders. Niemand habe so viel<br />
für den Lebensschutz getan wie der Gigant auf dem Stuhl Petri, findet der Autor.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
DPA
»Wir stehen tatsächlich einer objektiven<br />
Verschwörung gegen das Leben gegenüber.«<br />
Johannes Paul II. war ein Gigant.<br />
Und Giganten lassen sich nun<br />
einmal nicht in Schablonen pressen.<br />
Schon gar nicht in solche, die mit<br />
Hilfe persönlicher Vorurteile gestanzt<br />
wurden. Wer in Johannes Paul II. einen<br />
»Papst der Widersprüche« erblickt, wie<br />
in Deutschland bereits zwei Tage nach<br />
dem Tod dieses Jahrhundert-Papstes verschiedentlich<br />
zu lesen und zu hören war,<br />
zeigt daher nur, dass er noch keinen hinreichenden<br />
Zugang zur Person und zum<br />
Denken des Polen auf dem Papstthron<br />
gefunden hat. Nicht, was Johannes Paul<br />
II. verkündete, war widersprüchlich, sondern<br />
das Echo, auf das er während seines<br />
fast 27 Jahre dauernden Pontifikats stieß.<br />
Dass sein weltweiter Einsatz für Frieden,<br />
soziale Gerechtigkeit und den Dialog der<br />
Religionen sich beinah ungeteilter Gegenliebe<br />
erfreute, während seine Positionen<br />
zur Abtreibung, zur Reproduktionsmedizin<br />
und zur Euthanasie in der Welt<br />
vielfach Unverständnis und Ablehnung<br />
hervorriefen <strong>–</strong> von der Sexualmoral ganz<br />
zu schweigen <strong>–</strong> mag viel über die Wertvorlieben<br />
unserer Zeit verraten, über<br />
Johannes Paul den Großen sagt das alles<br />
nichts.<br />
Gleichwohl darf man vermuten, dass<br />
die Reaktionen auf das, was er verkündigte,<br />
auch Johannes Paul II., der ein überaus<br />
herzlicher Mensch war, nicht kalt gelassen<br />
haben. Nur haben weder die Beifallsbekundungen<br />
noch die Missfallensäußerungen<br />
sein Denken nachhaltig zu beeinflussen<br />
vermocht. Als Stellvertreter Christi<br />
wusste sich Johannes Paul II. nicht nur<br />
Höherem verpflichtet, als Philosoph dachte<br />
er auch in ganz anderen Kategorien<br />
als in denen von Zustimmung und Ablehnung,<br />
Erfolg und Misserfolg. Der »Löwe«,<br />
wie ihn Spiegel-Autor Matthias Matussek<br />
nennt, dachte in Kategorien, die<br />
durch Begriffe wie Wahrheit, Freiheit,<br />
Liebe und Glück repräsentiert werden.<br />
Und er dachte sie zusammen. In seinem<br />
letzten, Anfang des Jahres erschienenen<br />
Buch »Erinnerung und Identität« erläutert<br />
Johannes Paul II. ihren Zusammenhang<br />
noch einmal ausführlich. Vereinfacht<br />
lässt er sich wie folgt wiedergeben: Ohne<br />
Wahrheit keine Freiheit, ohne Freiheit<br />
keine Liebe und ohne Liebe kein Glück.<br />
Aber auch wer Johannes Paul II. für<br />
ein einziges der vielen Themen, derer er<br />
sich in seinem langen Pontifikat mit besonderer<br />
Intensität annahm, nachträglich<br />
zu vereinnahmen sucht, würde dem Giganten<br />
auf dem Stuhl Petri nicht gerecht.<br />
Das gilt selbst für den Lebensschutz, auch<br />
wenn Johannes Paul II. diesem und seinen<br />
heute mannigfaltigen Bedrohungen sein<br />
ganzes Pontifikat über zweifelsfrei einen<br />
besonderen Stellenwert beimaß.<br />
»In der Geschichte jeder Kultur taucht<br />
oft eine große, entscheidende Frage auf.<br />
Für die USA im 19. Jahrhundert war das<br />
die Sklavenfrage, für das Deutschland der<br />
30er Jahre die Judenfrage. In der Sicht<br />
Johannes Pauls II. war die Abtreibung<br />
(...) das Thema für die sich entwickelnde<br />
Weltkultur, das die freien Gesellschaften<br />
der Zukunft stärken oder korrumpieren<br />
würde«, urteilt denn auch der US-Amerikaner<br />
George Weigel, der mit »Zeuge<br />
der Hoffnung« (Paderborn 1999) die<br />
wohl mit Abstand beste Biographie Papst<br />
Johannes Pauls II. vorgelegt hat, die bisher<br />
erschienen ist.<br />
Eine Sicht, mit der Johannes Paul II.,<br />
anders als es seine Kritiker gerne darzustellen<br />
pflegen, in der Kirche alles andere<br />
als allein stand und mit der er einmal<br />
mehr seinem Selbstverständnis als<br />
»Diener der Diener Gottes« Ausdruck<br />
verlieh. Denn wie er in der Einführung<br />
der 1995 erschienenen Enzyklika »Evangelium<br />
vitae« schreibt, war er drei Jahre<br />
zuvor von den Kardinälen, die zu einem<br />
außerordentlichen Konsistorium in Rom<br />
weilten, »einstimmig ersucht« worden,<br />
»den Wert des menschlichen Lebens und<br />
seine Unantastbarkeit unter Bezugnahme<br />
auf die gegenwärtigen Umstände und<br />
Angriffe, von denen es heute bedroht<br />
wird, mit der Autorität des Nachfolgers<br />
Petri zu bekräftigen.«<br />
»EVANGELIUM VITAE« FINDET ECHO<br />
CHRISTOPH HURNAUS<br />
Wurde zum Gewissen der Welt: Johannes Paul II.<br />
Dass im Denken Johannes Pauls II.<br />
der Einsatz der Kirche für soziale Gerechtigkeit<br />
und den Lebensschutz alles andere<br />
als ein Widerspruch ist, zeigt denn auch<br />
die anschließende Passage, in der er festhält:<br />
»Wie es vor einem Jahrhundert die<br />
Arbeiterklasse war, die in ihren fundamentalsten<br />
Rechten unterdrückt und von<br />
der Kirche mit großem Mut in Schutz<br />
genommen wurde, in dem sie die heiligen<br />
Rechte der Person des Arbeiters herausstellte,<br />
so weiß sie sich jetzt, wo eine<br />
andere Kategorie von Personen in ihren<br />
grundlegenden Lebensrechten unterdrückt<br />
wird, verpflichtet, mit unvermindertem<br />
Mut den Stimmlosen Stimme zu<br />
sein.«<br />
Mit Ausnahme von Deutschland stieß<br />
die Enzyklika auf ein sehr positives Echo.<br />
Das amerikanische Nachrichtenmagazin<br />
»Newsweek« widmete ihr gar eine Titelgeschichte,<br />
in der »Evangelium vitae«<br />
als »die klarste, leidenschaftlichste und<br />
imponierendste« Enzyklika des Papstes<br />
gelobt wurde. Und selbst der in London<br />
erscheinende »Independent« zollte dem<br />
264. Stellvertreter Christi auf Erden als<br />
der »einzigen wahrhaft globalen Führungspersönlichkeit«,<br />
die es noch gebe,<br />
Respekt.<br />
Ausdrücklich stellt Johannes Paul II.<br />
auch in diesem Schreiben die Kontinuität<br />
der kirchlichen Lehre zum II. Vatikanischen<br />
Konzil her: »Wenn ich mir nun im<br />
Abstand von dreißig Jahren die Worte<br />
der Konzilsversammlung zu eigen mache,<br />
erhebe ich im Namen der ganzen Kirche<br />
(...) noch einmal und mit gleichem Nachdruck<br />
klagend meine Stimme.« Und die<br />
Pastoralkonstitution »Gaudium et spes«<br />
zitierend, fährt er fort: »Was ferner zum<br />
Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede<br />
Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie<br />
und auch der freiwillige Selbstmord;<br />
was immer die Unantastbarkeit<br />
der menschlichen Person verletzt, wie<br />
Verstümmelung, körperliche oder seelische<br />
Folter und der Versuch, psychischen<br />
Zwang auszuüben; was immer die<br />
menschliche Würde angreift, wie unmenschliche<br />
Lebensbedingungen, willkürliche<br />
Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei,<br />
Prostitution, Mädchenhandel und<br />
Handel mit Jugendlichen, sodann auch<br />
unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen<br />
der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel<br />
und nicht als freie und verantwortliche<br />
Person behandelt wird: all diese und andere<br />
ähnliche Taten sind an sich schon<br />
eine Schande; sie sind eine Zersetzung<br />
der menschlichen Kultur, entwürdigen<br />
weit mehr jene, die das Unrecht tun, als<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 15
GESELLSCHAFT<br />
Johannes Paul II.: Im Dialog mit der Welt und den Religionen.<br />
jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in<br />
höchstem Maße ein Widerspruch gegen<br />
die Ehre des Schöpfers.«<br />
»Weit davon entfernt, sich einschränken<br />
zu lassen«, sei dieses »beunruhigende<br />
Panorama« heute »in Ausdehnung<br />
begriffen«. Die Tatsache, dass viele Länder<br />
»in Abweichung von den Grundprinzipien<br />
ihrer Verfassungen« Gesetze erlassen<br />
hätten, welche die »gegen das Leben<br />
gerichteten Praktiken« nicht nur nicht<br />
bestrafen, sondern ihnen mitunter »gar<br />
volle Rechtmäßigkeit« zuerkennen, bewertete<br />
der Papst, der zum »Gewissen<br />
der Welt« wurde, als »keineswegs nebensächliche<br />
Ursache« für den schweren<br />
»moralischen Verfall«, der ihn schließlich<br />
von einer »Kultur des Todes« reden ließ.<br />
»KULTUR DES LEBENS« SICHERT FREIHEIT<br />
Johannes Paul II. war sich nicht nur<br />
ihres ganzen Ausmaßes bewusst, er wusste<br />
auch um die sie treibenden Kräfte und<br />
scheute sich nicht, sie beim Namen zu<br />
nennen. In »Evangelium Vitae« schrieb<br />
er: »Das 20. Jahrhundert wird als eine<br />
Epoche massiver Angriffe auf das Leben,<br />
als endlose Serie von Kriegen und andauernde<br />
Vernichtung unschuldiger Menschenleben<br />
gelten«. Wir stünden, so Johannes<br />
Paul II. weiter, »tatsächlich einer<br />
objektiven ‚Verschwörung gegen das Leben'<br />
gegenüber, die auch internationale<br />
Institutionen einschließt, die mit großem<br />
Engagement regelrechte Kampagnen für<br />
die Verbreitung der Empfängnisverhütung,<br />
der Sterilisation und der Abtreibung<br />
anregen und planen.« Auch lasse sich<br />
nicht leugnen, »dass sich die Massenmedien<br />
häufig zu Komplizen dieser Verschwörung<br />
machen, indem sie jener Kultur,<br />
die die Anwendung der Empfängnisverhütung,<br />
der Sterilisation, der Abtreibung<br />
und selbst der Euthanasie als<br />
Zeichen des Fortschritts und als Errungenschaft<br />
der Freiheit hinstellt, in der<br />
öffentlichen Meinung Ansehen verschaffen,<br />
während sie Positionen, die bedingungslos<br />
für das Leben eintreten, als<br />
freiheits- und entwicklungsfeindlich<br />
beschreibt.«<br />
Ein Recht auf Abtreibung<br />
und Euthanasie zu fordern<br />
und es gesetzlich anzuerkennen,<br />
bedeute »der menschlichen<br />
Freiheit eine perverse,<br />
abscheuliche Bedeutung<br />
zuzuschreiben: nämlich<br />
die einer absoluten<br />
Macht über die anderen und<br />
gegen die anderen.« Das<br />
aber sei »der Tod der wahren<br />
Freiheit«.<br />
Wenn Johannes Paul II.<br />
über die »Kultur des Lebens«<br />
nachdachte, die er als<br />
Gegenmodell zu der<br />
»Kultur des Todes« empfahl,<br />
so dachte er immer<br />
zugleich auch über die<br />
sittlichen Grundlagen einer freien Gesellschaft<br />
nach. In Abschnitt 20 der Enzyklika<br />
zeigte Johannes Paul II. denn schonungslos<br />
auf, wohin Gesellschaften driften, in<br />
denen die »grundlegende Verbindung<br />
der Freiheit mit der Wahrheit« nicht<br />
mehr anerkannt und respektiert wird:<br />
»Wenn die Förderung des eigenen Ich<br />
als absolute Autonomie verstanden wird,<br />
gelangt man unvermeidlich zur Verneinung<br />
des anderen, der als Feind empfunden<br />
wird, gegen den man sich verteidigen<br />
muss. Auf diese Weise wird die Gesellschaft<br />
zu einer Gesamtheit von nebeneinanderstehenden<br />
Individuen, die aber keine<br />
gegenseitigen Beziehungen haben: ein<br />
jeder will sich unabhängig vom anderen<br />
CHRISTOPH HURNAUS<br />
behaupten, ja seinen eigenen Interessen<br />
Vorteil verschaffen. Angesichts gleichartiger<br />
Interessen des anderen muss man<br />
jedoch nachgeben und eine Art Kompromiss<br />
suchen, wenn man in der Gesellschaft<br />
jedem die größtmögliche Freiheit garantieren<br />
will.« Auf diese Weise schwinde<br />
»jeder Bezug zu gemeinsamen Werten<br />
und zu einer für alle geltenden absoluten<br />
Wahrheit: das gesellschaftliche Leben<br />
läuft Gefahr, in einen vollkommenen<br />
Relativismus abzudriften.« Ihn ihm lasse<br />
sich »über alles verhandeln« und »alles<br />
vereinbaren«, einschließlich des Rechts<br />
auf Leben, das Johannes Paul II. das »erste<br />
Grundrecht« nannte.<br />
DER WEG ZUM TOTALITARISMUS<br />
Genau das ereigne sich, so Johannes<br />
Paul II. weiter, denn auch tatsächlich<br />
gegenwärtig im politisch-staatlichen Bereich:<br />
»Das ursprüngliche, unveräußerliche<br />
Recht auf Leben wird auf Grund<br />
einer Parlamentsabstimmung oder des<br />
Willens eines <strong>–</strong> sei es auch mehrheitlichen<br />
<strong>–</strong> Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt<br />
oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis<br />
eines unangefochten herrschenden<br />
Relativismus: das ›Recht‹ hört auf Recht<br />
zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf<br />
die unantastbare Würde der Person gründet,<br />
sondern dem Willen des Stärkeren<br />
unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet<br />
die Demokratie ungeachtet ihrer<br />
Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus.<br />
Der Staat ist nicht mehr das<br />
›gemeinsame Haus‹, in dem alle nach den<br />
Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben<br />
können, sondern er verwandelt sich in<br />
einen tyrannischen Staat, der sich anmaßt,<br />
im Namen einer allgemeinen Nützlichkeit<br />
<strong>–</strong> die in Wirklichkeit nichts anderes als<br />
das Interesse einiger weniger ist <strong>–</strong> über<br />
das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten,<br />
vom ungeborenen Kind bis zum<br />
alten Menschen, verfügen zu können.«<br />
All das geschehe, so der verstorbene<br />
Papst, »scheinbar ganz auf dem Boden<br />
der Legalität, zumindest wenn über die<br />
Gesetze zur Freigabe der Abtreibung und<br />
der Euthanasie nach den so genannten<br />
demokratischen Regeln abgestimmt<br />
wird.« Tatsächlich stünden wir »lediglich<br />
einem tragischen Schein von Legalität<br />
gegenüber, der auch das demokratische<br />
»Der Schutz und die Förderung des menschlichen<br />
Lebens sind die vorrangige Aufgabe des Staates.«<br />
Ideal, das es tatsächlich ist, wenn es denn<br />
die Würde jeder menschlichen Person<br />
anerkennt und schützt«, in seinen Grundlagen<br />
verrate: »Wie kann man«, fragt Johannes<br />
Paul II., »noch von Würde jeder<br />
menschlichen Person reden, wenn die<br />
Tötung des schwächsten und unschuldigsten<br />
Menschen zugelassen wird? Im Namen<br />
welcher Gerechtigkeit begeht man<br />
unter den Menschen die ungerechteste<br />
aller Diskriminierungen, indem man ei-<br />
16<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
nige von ihnen für würdig erklärt verteidigt<br />
zu werden, während anderen diese<br />
Würde abgesprochen wird?«. Wenn solche<br />
Zustände herrschten, seien »bereits<br />
jene Dynamismen ausgelöst, die zum<br />
Zerfall eines echten menschlichen Zusammenlebens<br />
und zur Zersetzung der<br />
staatlichen Realität führen.«<br />
Das »Evangelium vom Leben« hat<br />
Johannes Paul II. auch denen stets eindringlich<br />
verkündet, die nicht unbedingt<br />
im Verdacht stehen, zu den eifrigsten<br />
Lesern päpstlicher Lehrschreiben zu zählen,<br />
sei es gelegen oder ungelegen. In<br />
einer seiner letzten Ansprachen, beim<br />
Neujahresempfang für das Diplomatische<br />
Corps in Rom, hat er denn auch den<br />
Schutz des Lebens als »die erste Herausforderung«<br />
bezeichnet. Im Laufe der<br />
letzten Jahre sei, so der Papst, »diese Herausforderung<br />
immer größer und entscheidender<br />
geworden«. Dabei liege der<br />
Schwerpunkt »vor allem auf dem Beginn<br />
des menschlichen Lebens, dem Moment,<br />
in dem der Mensch am schwächsten ist<br />
und am meisten des Schutzes bedarf«.<br />
Vor den beim Heiligen Stuhl akkreditierten<br />
Botschaftern von 1<strong>74</strong> Staaten betonte<br />
er: »Der Schutz und die Förderung des<br />
menschlichen Lebens sind die vorrangige<br />
Aufgabe des Staates.«<br />
EINGRIFFE IN DAS WELTGESCHEHEN<br />
Als Vordenker und globaler Mahner<br />
hat Johannes Paul II. jedoch nicht nur<br />
die Blaupausen geliefert, mit deren Hilfe<br />
Menschen guten Willens überall auf der<br />
Welt denn auch tatsächlich begonnen<br />
haben, ein gerechteres Zusammenleben<br />
zu organisieren, auch auf dem Feld des<br />
Lebensschutzes griff er des öfteren<br />
höchstpersönlich in das nationale wie in<br />
das Weltgeschehen ein. Als Erzbischof<br />
von Krakau etwa rief er Ende der 60er<br />
Jahre ein Institut ins Leben, das sich unter<br />
anderem um die Behandlung psychischer<br />
Folgeschäden kümmerte, an denen Frauen<br />
nach einer Abtreibung regelmäßig<br />
leiden. Und noch vier Tage vor seinem<br />
Tod ließ Johannes Paul II. der italienischen<br />
Lebensschutz-Vereinigung »Movimento<br />
per la Vita« (Bewegung für das Leben)<br />
25.000 Euro zukommen, die für das<br />
»Gemma-Projekt« verwendet werden<br />
sollen, das Frauen vor und nach der Geburt<br />
ihres Kindes für eine Dauer von 18<br />
Monaten finanziell unterstützt. In<br />
Deutschland ist vor allem das überaus<br />
geduldige Beharren Johannes Pauls II.,<br />
mit dem er schließlich dafür sorgte, dass<br />
von der Kirche getragene Beratungsstellen<br />
keine Scheine mehr ausstellten, welche<br />
vom Gesetzgeber als die entscheidende<br />
Voraussetzung für eine straffreie vorgeburtliche<br />
Kindstötung betrachtet werden,<br />
noch gut, wenn auch nicht überall in<br />
gleich guter Erinnerung. Weit weniger<br />
bekannt ist hierzulande jedoch, dass es<br />
Johannes Paul II. war, der letztlich verhindert<br />
hat, dass die Vereinigten Staaten<br />
von Amerika unter der Clinton-<br />
Administration auf der Weltkonferenz<br />
für Bevölkerung und Entwicklung 1994<br />
in Kairo ein weltweites Recht auf Abtreibung<br />
durchsetzten und dabei drohten,<br />
Ländern, die sich widersetzten, die Auslandshilfen<br />
zu kürzen. Laut seinem Biographen<br />
Weigel ging es in Kairo dabei<br />
um nicht weniger als um »die entscheidende<br />
Menschenrechtsfrage der 90er<br />
Jahre«. Was der Papst in diesem Zusammenhang<br />
alles persönlich unternahm und<br />
wozu er seine Mitarbeiter anhielt, lässt<br />
dem Leser geradezu den Atem stocken.<br />
Weigels Fazit: »Ohne die beharrliche<br />
Kampagne Johannes Pauls in den Monaten<br />
zuvor wäre die Kairoer Konferenz<br />
höchstwahrscheinlich anderes verlaufen.<br />
Der Papst hatte nicht akzeptiert, dass die<br />
Kirche - wie es das politische Drehbuch<br />
wollte - für diese Debatte irrelevant war.«<br />
Dadurch seien Verlauf und Ergebnis der<br />
Konferenz entscheidend gestaltet worden.<br />
»Die moralische Argumentation war, wie<br />
sich zeigte, imstande, einen wirksamen<br />
Widerstand dagegen zu organisieren,<br />
dass gewisse Lebensstile<br />
der ersten Welt<br />
durch internationales Recht<br />
und Auslandshilfe dem Rest<br />
der Menschheit aufgezwungen<br />
wurde.«<br />
Damit nicht genug,<br />
gelang es mit Hilfe des<br />
Papstes, dass das Augenmerk<br />
der Kairoer<br />
Bevölkerungskonferenz<br />
von der »Geburtenkontrolle«<br />
zur »Stärkung der<br />
Frauen« verschoben wurde.<br />
Dass man im Denken<br />
Johannes Pauls II.<br />
etwa von der sozialen<br />
Frage ausgehend,<br />
über<br />
den Schutz<br />
des Lebens<br />
plötzlich<br />
bei einem<br />
spezifischen<br />
Feminismus<br />
auskommen<br />
kann, der Frauen vor der sexuellen<br />
Ausbeutung durch Männer Schutz<br />
bietet, mag ein weiterer Hinweis dafür<br />
sein, wie in der Lehre Johannes Paul II.<br />
eins geradezu organisch ins andere greift.<br />
MAGNET FÜR DIE JUGENDLICHEN<br />
Dass vor allem die Jugendlichen von<br />
Johannes Paul II. so fasziniert sind, mag<br />
neben seiner Herzlichkeit auch daran<br />
liegen, dass sie sich in den Lebenslügen,<br />
von denen die heutige Welt nicht wenige<br />
bereithält, noch nicht häuslich eingerichtet<br />
haben. Für sie war Johannes Paul II.<br />
nicht der »Papst der Widersprüche«,<br />
sondern das »Gewissen der Welt«. Sie<br />
haben, wenn vielleicht auch nicht immer<br />
reflektiert, so doch gespürt, dass hier einer<br />
war, der keine selbst zusammengeschusterten<br />
Lehren verbreitete, sondern einer,<br />
der ihnen die tiefe Wahrheit über den<br />
Menschen entfaltete.<br />
CHRISTOPH HURNAUS<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
GESELLSCHAFT<br />
Schützt die Kinder!<br />
Weil Abtreibungen »straffrei« möglich sind, ist der Mutterleib zum gefährlichsten Ort der Welt<br />
geworden. Wer das Leben ungeborener Kinder wirksam schützen will, muss eine neue Debatte über<br />
die Bestrafung der Täter beginnen, findet der Autor und zettelt sie hier gleich selber an.<br />
Von Bischof Dr. Andreas Laun<br />
Tiger sind eine gefährdete Tierart,<br />
darum ist es streng verboten,<br />
sie zu jagen. Ungeborene<br />
Kinder sind auch gefährdet, aber nicht<br />
geschützt. Ich wollte, die ungeborenen<br />
Kinder wären Tiger. Dann wären auch<br />
sie geschützt, wie die Tiger.<br />
Tiger sind vor allem schön und ihr<br />
Nutzen gering. Kinder sind schön und<br />
bittet seine Landsleute geradezu flehend:<br />
»Bitte, bringt mehr Kinder zur Welt!«<br />
Werden Kinder, seltener und kostbarer<br />
»Rohstoff« der sie sind, deswegen geschützt?<br />
Nein, die Jagd auf sie, erklärt man uns,<br />
ist ein Menschenrecht. Das Europäische<br />
Parlament <strong>–</strong> lauter Geborene, deren Bejagung<br />
streng verboten ist <strong>–</strong> will sogar,<br />
geschützt wäre. Aber eben nur »eigentlich«,<br />
in Wirklichkeit nämlich nicht.<br />
Der Schutzschild des Gesetzes, unter dem<br />
die Menschen in Europa ziemlich sicher<br />
und gut leben können, beginnt erst nach<br />
der Geburt so richtig.<br />
Es war eine kulturelle Höchstleistung,<br />
den gesetzlichen Lebensschutz für alle<br />
einzurichten. Aber merkwürdigerweise<br />
gilt es heute als geradezu unmoralisch,<br />
diesen Schutz wieder auf ungeborene<br />
Kinder ausdehnen zu wollen. Was im<br />
Mutterleib geschieht, »geht keinen was<br />
an« <strong>–</strong> nicht wahr? Ach wären die Kinder<br />
doch Tiger, dann wären sie geschützt,<br />
erst recht, wenn die Tigermama trächtig<br />
ist.<br />
Europa ist einen unheimlichen Weg<br />
gegangen, es hat sich auf einen »slippery<br />
slope« begeben und seither rutscht es<br />
nach unten:<br />
Ob in Gefangenschaft oder in Freiheit: Tiger genießen einen höheren Schutz als ungeborene Menschenkinder.<br />
unendlich mehr als nur schön. Sie sind<br />
nicht nur nützlich, sondern wir brauchen<br />
sie dringend wie den sprichwörtlichen<br />
Bissen Brot.<br />
Das sagen heute verspätet, aber doch<br />
alle, sogar der deutsche Bundeskanzler<br />
18<br />
dass die Babyjagd bezahlt wird von den<br />
Steuergeldern.<br />
So ist das heutige Europa, und die<br />
gefährlichste Zeit des menschlichen Lebens<br />
sind jene neun Monate, in denen<br />
der Mensch »eigentlich« besonders gut<br />
WWW.PIXELQUELLE.DE<br />
• Abtreibung ist ein schweres Unrecht,<br />
Abtreibung wird bestraft. Das war der<br />
Ausgangspunkt.<br />
• Dann hieß es: Abtreibung ist Unrecht,<br />
Abtreibung ist verboten, aber es wird<br />
nicht bestraft.<br />
• Die Menschen auf der Straße sagten:<br />
Also ist Abtreibung erlaubt. Inzwischen<br />
sagen es auch die Politiker.<br />
• Erlaubt? Schon wieder überholt: Abtreibung<br />
ist Menschenrecht, heißt es,<br />
und die Politiker versprechen: Wir verhelfen<br />
den Frauen zu ihrem „Recht“ <strong>–</strong><br />
etwa in Salzburg am Landeskrankenhaus,<br />
das seinerzeit von einem Erzbischof<br />
gegründet wurde.<br />
• Wer soll das bezahlen? Das Europäische<br />
Parlament forderte erst kürzlich: der<br />
Steuerzahler.<br />
• Und jetzt will die Sozialistische Partei<br />
Österreichs auch wieder Strafe <strong>–</strong> nicht<br />
für Abtreiber, sondern für Lebensschützer,<br />
die Frauen auf dem Weg zur Abtreibung<br />
belästigen. Belästigen? Ja, etwa<br />
durch Rosenkranzbeten oder gar durch<br />
Hilfsangebote, die das Kind retten<br />
könnten.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
Kämpft für Ungeborene: Bischof Dr. Andreas Laun<br />
»Es ist unbestreitbar die heikelste Frage der<br />
Abtreibungsdebatte: Soll man Frauen bestrafen?«<br />
So geht der Weg von Strafe zu Strafe:<br />
Strafe <strong>–</strong> nicht bestraft <strong>–</strong> erlaubt <strong>–</strong> Menschenrecht<br />
<strong>–</strong> Hilfe und Geld für jene, die<br />
ihr »Menschenrecht« wahrnehmen wollen<br />
<strong>–</strong> (...) und wieder Strafe, aber jetzt<br />
nicht mehr für Abtreiber, sondern für<br />
Lebensschützer.<br />
Es ist unbestreitbar die heikelste Frage<br />
der Abtreibungsdebatte: »Soll man Frauen<br />
bestrafen?« Ein schriller Aufschrei ist<br />
die Antwort auf eine politisch so unkorrekte<br />
Frage, und der Fragesteller soll sich<br />
schämen ob seiner moralischen Verworfenheit:<br />
Strafen? Eine Frau? Niemals!<br />
Aber die Frage ist anders zu stellen:<br />
Sollte man die ungeborenen Kinder nicht<br />
unter den Schutzschild des Gesetzes holen?<br />
Sind wir Geborene nicht unendlich<br />
dankbar, dass es diesen Schild gibt, und<br />
überzeugt, dass er gut ist? Sollte man<br />
nicht die Diskussion, die »damals« abgebrochen<br />
wurde, neu aufgreifen und fragen,<br />
wie ein solches Gesetz ausschauen könnte,<br />
das die Kinder schützt und die verschiedenen<br />
Tätergruppen abschreckt?<br />
Der jüdische Schriftsteller Joseph Roth<br />
sagt einmal, in allen »gesitteten Staaten«<br />
der Welt werde Abtreibung bestraft. Für<br />
ihn war das noch selbstverständlich, und<br />
die in seinem Sinn »gesitteten Länder«<br />
sind fast gänzlich verschwunden.<br />
Was man in normalen Zeiten kaum<br />
glauben kann, bestätigt sich wieder einmal:<br />
Ideologische Verblendungen sind<br />
stärker als Fakten und sogar als der Eigennutz:<br />
Uns bedroht heute - in noch<br />
nicht ganz vorstellbarem Ausmaß <strong>–</strong> das<br />
ARCHIV<br />
Fehlen jener Kinder, die wir verhütet<br />
oder abgetrieben haben <strong>–</strong> und dennoch<br />
besteht man unbeirrbar auf dem »Recht«<br />
abzutreiben und will, so eine Forderung<br />
des EU-Parlaments, Abtreibung mit den<br />
Mitteln des Steuerzahlers noch leichter<br />
machen als sie es schon ist.<br />
Man vergleiche: Der Gefahr der Verkarstung<br />
begegnet man mit Schlägerungs-<br />
Verboten, das Edelweiß schützt man<br />
durch das Verbot, es zu pflücken, und<br />
gefährdete Tierarten rettet man durch<br />
Jagdverbote. Überall, wo ein Lebewesen<br />
in Gefahr ist, hält man Verbote, Strafen<br />
und Überwachungskameras für hilfreich<br />
- nur bei den Kindern behauptet man,<br />
Verbote nützten nichts. Im Gegenteil,<br />
man erleichtert weiterhin ihre Vernichtung<br />
und will Lebensschützer durch Gesetz<br />
und Strafe hindern, abtreibungswillige<br />
Frauen durch Worte und Hilfsangebote<br />
umzustimmen.<br />
Das Gebot Gottes »Du sollt nicht<br />
morden« hat Hitler abschätzig eine »jüdische<br />
Erfindung« genannt, und den Führerwillen<br />
an seine Stelle gesetzt. Wir<br />
reden nicht mehr von »jüdischer Erfindung«,<br />
wir reden nicht mehr darüber<br />
und behaupten, unsere »Mehrheit« sei<br />
Gott ebenbürtig und könne<br />
aus »gut« ein »böse«<br />
machen und aus »böse«<br />
ein »gut«.<br />
Der Prophet Jesaja<br />
(5,20-30) kannte das<br />
Phänomen: »Weh denen,<br />
die das Böse gut und das<br />
Gute böse nennen, die die<br />
Finsternis zum Licht und das Licht zur<br />
Finsternis machen (...).« Die Folgen, sagt<br />
der Prophet, werden furchtbar sein:<br />
»Darum entbrennt der Zorn des Herrn<br />
gegen sein Volk; er streckt seine Hand<br />
aus gegen das Volk und schlägt zu. Da<br />
erzittern die Berge, und die Leichen liegen<br />
auf den Gassen wie Abfall (...). Wohin<br />
»Weh denen, die das Böse gut und<br />
das Gute böse nennen.«<br />
Jesaja (5, 20-30)<br />
man blickt auf der Erde: nur Finsternis<br />
voller Angst; das Licht ist durch Wolken<br />
verdunkelt.« Der Grund: »Denn sie haben<br />
die Weisung des Herrn der Heere<br />
von sich gewiesen und über das Wort des<br />
Heiligen Israels gelästert.« Ach ja, Jesaja<br />
<strong>–</strong> wer soll das schon sein, wir haben doch<br />
Staat und Kirche feinsäuberlich »getrennt«.<br />
ARCHIV<br />
Was mich betrifft, gebe ich zu: Seit<br />
geraumer Zeit habe ich Angst auch für<br />
die schon Geborenen, auch für mich<br />
selbst. Das Blutvergießen an den Kindern,<br />
die Verhöhnung des Gebotes Gottes,<br />
diese ungeheuerliche »Lästerung des<br />
Herrn« kann nicht ohne Folgen bleiben.<br />
In der Geschichte sind blutige Ideen noch<br />
»Seit geraumer Zeit habe ich Angst<br />
auch für die Geborenen.«<br />
immer zu blutigen Tagen geworden. Ich<br />
weiß nicht, wie und wo und wann die<br />
bösen Folgen auftauchen werden, aber<br />
ich bin überzeugt: sie werden kommen <strong>–</strong><br />
und dann wehe uns und wehe den nächsten<br />
Generationen!<br />
Soviel ist sicher: In den ersten Monaten<br />
des Lebens wäre jedem europäischen<br />
Embryo und Fötus zu wünschen, er wäre<br />
ein Tiger! Ich bin für den Tigerschutz,<br />
aber noch mehr den der Kinder!<br />
IM PORTRAIT<br />
Bischof Dr. Andreas Laun<br />
Der Autor, 1942 in Wien geboren, ist<br />
Weihbischof in der Erzdiözese Salzburg.<br />
Nach dem Studium der Philosophie in<br />
Salzburg und der<br />
Theologie in Eichstätt<br />
sowie Fribourg<br />
wurde er 1967 in<br />
Eichstätt zum Priester<br />
geweiht. 1973<br />
promovierte der<br />
Salesianerpater über »Die naturrechtliche<br />
Begründung der Ethik in der neueren<br />
katholischen Moraltheologie«. 1981<br />
habilitierte er sich mit einer Arbeit über<br />
den »Liebesbegriff des heiligen Franz<br />
von Sales und sein Verständnis der zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen«. Laun<br />
lehrte Moraltheologie an den Hochschulen<br />
in Heiligenkreuz, Benediktbeuern<br />
und Eichstätt. 1993 nahm er als Vertreter<br />
der Österreichischen Bischofskonferenz<br />
an der UN-Weltbevölkerungskonferenz<br />
in Kairo teil. 1995 ernannte ihn der Papst<br />
zum Weihbischof in Salzburg. Auch als<br />
Buchautor machte sich Bischof Laun<br />
einen Namen, z.B. mit Veröffentlichungen<br />
zu »Liebe & Partnerschaft«,<br />
»Homosexualität aus katholischer Sicht«<br />
und »Unterwegs nach Jerusalem. Die<br />
Kirche auf der Suche nach ihren jüdischen<br />
Wurzeln«.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 19
GESELLSCHAFT<br />
WJT <strong>2005</strong><br />
Vom 16. bis 21. August findet in Köln der XX. Weltjugendtag statt.<br />
Papst Benedikt XVI. hatte noch am Tag seiner Wahl sein<br />
Kommen zugesagt. Aktiv dabei sind auch die <strong>ALfA</strong> und die<br />
»Jugend für das Leben«.<br />
Wir sind gekommen, um ihn<br />
anzubeten«, wird es diesen<br />
August heißen. Voraussichtlich<br />
800.000 meist junge Menschen werden<br />
sich dann in Köln zum XX. Weltjugendtag<br />
zusammenfinden, um zu beten,<br />
ihren Glauben zu bekennen und untereinander<br />
Gemeinschaft zu erleben.<br />
Die Botschaft des Lebens und der Lebensfreude,<br />
die von diesem Ereignis ausgeht,<br />
hat sehr viel zu tun mit dem Einsatz,<br />
den wir als »Jugend für das Leben« leisten.<br />
Wo sich so viele junge Menschen versammeln,<br />
darf die Botschaft davon, dass jedes<br />
Leben lebenswert ist, nicht fehlen. Der<br />
»Der Weltjugendtag muss zu einem<br />
Weltjugendtag für das Leben werden.«<br />
20<br />
Von Sebastian Grundberger<br />
Weltjugendtag muss auch zu einem Weltjugendtag<br />
für das Leben werden! Besonders<br />
hoffen wir in Köln auch Menschen<br />
zu finden, die bereit sind, mit uns zusammen<br />
den Kampf für das Leben führen<br />
und die mithelfen wollen, immer mehr<br />
in die Gesellschaft hinein zu sprechen<br />
und zu wirken.<br />
Aus diesem Grund werden wir von der<br />
»Jugend für das Leben Deutschland«,<br />
der Jugendorganisation der <strong>ALfA</strong>, auf<br />
dem Weltjugendtag in Köln mit zahlreichen<br />
Aktivitäten präsent sein und uns<br />
bemühen, die Botschaft des Lebensrechtes<br />
aller <strong>–</strong> egal ob alt oder jung, behindert<br />
oder ungeboren <strong>–</strong> unter den Teilnehmern<br />
zu verbreiten.<br />
Unser Hauptstandort wird St. Pantaleon<br />
in Köln sein, wo auch die <strong>ALfA</strong> ihre<br />
Zelte aufschlagen wird. Wir werden durch<br />
T<strong>–</strong>Shirts als »Jugend für das Leben« zu<br />
erkennen sein und gezielt versuchen,<br />
Leute anzusprechen. Zu diesem Zweck<br />
entsteht derzeit auch ein extra Weltjugentags<strong>–</strong>Flyer.<br />
Zudem wollen wir versuchen,<br />
durch überraschende Aktionen auf die<br />
Themenbereiche Abtreibung und Lebensrecht<br />
allgemein aufmerksam zu machen.<br />
Gerade auch die große Medienpräsenz<br />
in Köln bietet uns dabei eine einmalige<br />
Bühne, die es zu nutzen gilt; besonders<br />
in einer Zeit, in der Abtreibung in unserem<br />
Land immer mehr zur Normalität<br />
geworden zu sein scheint und in der gesellschaftlichen<br />
Mitte angekommen ist.<br />
Politiker trauen sich oft nicht mehr, davon<br />
zu sprechen. Und wer es tut, wird gerne<br />
als Extremist abgestempelt. Diese Gefahr<br />
gehen auch wir von der »Jugend für das<br />
Leben« gerne ein. Extremismus <strong>–</strong> ist das<br />
nicht viel eher eine Einstellung, die das<br />
Recht auf Leben diesen ungeborenen<br />
Menschen verwehren will?<br />
In Köln wissen wir uns nicht alleine<br />
mit unserem Anliegen. Deshalb freuen<br />
wir uns ganz besonders, auch an einem<br />
großen gemeinsamen Projekt mit anderen<br />
jungen Lebensrechtsbewegungen aus verschiedenen<br />
Teilen Europas zusammenzuarbeiten.<br />
Das »Haus des Lebens« (»Domus<br />
Vitae«) in St. Suitbertus in Düsseldorf<br />
wird ein Begegnungszentrum sein, das<br />
die Botschaft der Würde jeden Lebens<br />
auf dem Weltjugendtag präsent hält. Dort<br />
wird es beispielsweise Kulturveranstaltungen,<br />
Vorträge, ein »Talk-Café« sowie<br />
gemeinsame Gebete und Feiern geben.<br />
Mit dem verstorbenen Papst Johannes<br />
Paul II. wissen wir uns in unserem Einsatz<br />
verbunden. Er selbst war ein großer Lebensrechtler.<br />
»Es kann keinen echten<br />
Frieden ohne den Respekt für das Leben<br />
geben, vor allem wenn es sich um das<br />
unschuldige und wehrlose Leben ungeborener<br />
Kinder handelt«, so der Papst.<br />
Es wäre schön, wenn auch Papst Benedikt<br />
XVI., auf den wir uns sehr freuen, ebenso<br />
klare Worte finden würde.<br />
Die »Jugend für das Leben Deutschland«<br />
organisiert als <strong>ALfA</strong>-Jugendorganisation<br />
regelmäßig Einsätze, wie die<br />
»City-Life«, über die im <strong>LebensForum</strong><br />
Nr. 71 berichtet wurde oder die Verteilung<br />
von Süßigkeiten mit Lebensbotschaft auf<br />
Weihnachtsmärkten. Aber auch die Veranstaltung<br />
von Tagungen und Vorträgen<br />
zum Thema »Lebensrecht« sowie Demonstrationen,<br />
wie gegen die Verleihung<br />
ARCHIV<br />
des »Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preises<br />
<strong>2005</strong>« an den Klonforscher<br />
Ian Wilmut, gehören zu unseren<br />
Aufgaben. Wir möchten versuchen, das<br />
Thema Lebensrecht in der Öffentlichkeit<br />
präsent zu halten. Dazu schreiben wir<br />
Leserbriefe an große deutsche Zeitungen<br />
oder einen Brief an Bundespräsident Köhler,<br />
mit der Bitte, sich während seiner<br />
Amtszeit für das ungeborene Leben einzusetzen.<br />
Wir zeigen uns in der Öffentlichkeit,<br />
tauchen auf, möchten ansprechen,<br />
aufrütteln, überzeugen. So etwa<br />
beim »Forum Deutscher Katholiken« in<br />
Regensburg, beim evangelischen »Rhein-<br />
Main-Kirchentag« oder auch auf der<br />
Jugendmesse YOU <strong>–</strong> und natürlich ganz<br />
besonders beim Weltjugendtag in Köln.<br />
Deshalb wird nach dem Weltjugendtag<br />
ganz sicher nicht Schluss sein mit der<br />
»Jugend für das Leben«. Im Gegenteil<br />
wünschen wir uns, dass von ihm ein Startschuss<br />
ausgeht, der junge Menschen motiviert,<br />
sich mit uns für das Leben zu<br />
engagieren. Aus diesem Grund werden<br />
wir unsere neuen Freunde vom Weltjugendtag<br />
im Oktober zu einem großen<br />
Nachtreffen einladen, bei dem wir ausloten<br />
wollen, wie wir künftig unsere Anliegen<br />
noch wirkungsvoller zur heutigen<br />
Jugend bringen können. Der Einsatz für<br />
das Lebensrecht ist zu jeder Zeit eine der<br />
wichtigsten Aufgaben, mit der wir schon<br />
heute an einer besseren und gerechteren<br />
Zukunft mitbauen können.<br />
Die Aufgabe auf dem Weltjugendtag<br />
ist groß. Und wie es so oft ist, sind wir<br />
wenige. Deshalb brauchen wir dringend<br />
Unterstützung, finanzieller und besonders<br />
personeller Art. Junge Menschen, die uns<br />
in Köln helfen wollen sind deshalb sehr<br />
willkommen. Wer mit uns in Kontakt<br />
treten möchte, tue dies bitte unter<br />
youthforlifed@yahoo.de.<br />
IM PORTRAIT<br />
Sebastian Grundberger<br />
Sebastian Grundberger, Jahrgang 1979,<br />
studiert Politikwissenschaft, Geschichte<br />
Lateinamerikas und Amerikanistik an<br />
der Katholischen<br />
Universität Eichstätt<br />
- Ingolstadt.<br />
Von Sommer 2002<br />
bis Sommer 2003<br />
besuchte er die<br />
Universidad Católica<br />
de Valparaíso in Chile. Seit Dezember<br />
2003 ist er Öffentlichkeitsreferent der<br />
Jugend für das Leben Deutschland und<br />
gehört seit Juni 2004 dem Bundesvorstand<br />
der <strong>ALfA</strong> an.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
MEDIZIN<br />
DANIEL RENNEN<br />
Post Abortion Syndrom<br />
Immer mehr Frauen erkranken nach einer Abtreibung am Post-Abortion-Syndrom. In der vergangenen<br />
Ausgabe hat <strong>LebensForum</strong> dazu einen Überblick der Journalistin Veronika Blasel veröffentlicht.<br />
In dieser Ausgabe berichtet nun eine Ärztin und Psychotherapeutin aus ihrer Praxis.<br />
Von Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />
Als Ärztin und Psychotherapeutin<br />
werde ich auf verschiedene Weise<br />
mit dem Krankheitsbild des Post<br />
Abortion Syndroms konfrontiert. Diese<br />
Erkrankung gehört zu den bislang am<br />
wenigsten erforschten Leiden der Gegenwart.<br />
Da in weiten Kreisen ein gesellschaftlicher<br />
Konsens besteht, dass es ein<br />
Recht auf Abtreibung für Frauen geben<br />
müsse, werden die möglichen Folgen<br />
dieser vorgeburtlichen Kindstötung<br />
für die Mutter kollektiv in<br />
hohem Maße verschwiegen und<br />
verdrängt. Da nicht sein kann,<br />
was nicht sein darf, wird der Zusammenhang<br />
zwischen Krankheitssymptomen<br />
und einer Abtreibung<br />
nicht zugelassen.<br />
Wie zeigt sich nun dieses Krankheitsbild<br />
und wie kann man es behandeln?<br />
Das Post Abortion Syndrom ist eine<br />
Erkrankung nach einer Abtreibung, einhergehend<br />
mit seelischen aber auch körperlichen,<br />
oft psychosomatischen Beschwerden,<br />
welche schon kurz nach einer<br />
Abtreibung oder auch mit einem variablen<br />
zeitlichen Intervall auftreten können. Bei<br />
mangelnder Erkenntnis des Zusammenhanges<br />
des Auftretens von Symptomen<br />
nach einer oder mehreren Abtreibungen<br />
kann es zu einer jahrzehntelangen Leidensgeschichte<br />
für die Patientin kommen,<br />
wie ich kurz an einer anonymisierten<br />
Falldarstellung beschreiben möchte.<br />
Vor einem Jahr suchte mich eine 68<br />
Jahre alte Frau auf, welche an Angst und<br />
Depression litt. Sie war wenige Wochen<br />
zuvor aus einer psychiatrischen stationären<br />
Behandlung entlassen worden. In der<br />
Anamnese des Arztbriefes aus dem Krankenhaus<br />
las ich von vier Fehlgeburten.<br />
Bei vorsichtiger genauerer Nachfrage<br />
nach dem Verlauf der Fehlgeburten erfuhr<br />
ich, dass die Patientin eine Fehlgeburt<br />
und drei Abtreibungen hinter sich hatte.<br />
Sie hatte zwei Kinder geboren und danach<br />
drei Abtreibungen mit Unterstützung<br />
ihres Ehemannes vornehmen lassen. Nach<br />
der zweiten Abtreibung entwickelte sie<br />
Mitte dreißig Angst und Panikattacken<br />
vor allem bei Autobahnfahrten und beim<br />
Fliegen sowie einen zunehmend durch<br />
Alpträume gestörten Nachtschlaf. Körperliche<br />
Symptome wie unerklärbare<br />
Leibschmerzen führten zu stationären<br />
Behandlungen und Gabe von Valiuminfusionen.<br />
Auch ambulant wurde die Patientin<br />
über Jahrzehnte mit Tranquilizern<br />
(Beruhigungsmitteln) ruhig gestellt. Nach<br />
einer schweren Erkrankung des Ehemannes<br />
1998 kam es zur Entwicklung einer<br />
» Eine Mutter, die einmal Mutter geworden ist, bleibt immer Mutter, unabhängig<br />
davon, ob sie das Kind zur Welt bringt, oder nicht. Dieses tote Kind wird, so lange sie<br />
lebt, Teil ihres Lebens sein« (Prof. Dr. med. Wanda Franz)<br />
manifesten depressiven Erkrankung und<br />
zuletzt zu der stationären Therapie.<br />
In dreißig Jahren hatte niemand mit<br />
der Frau den zeitlichen Zusammenhang<br />
der Abtreibungen mit dem Beginn der<br />
Angst- und Panikattacken erwogen und<br />
sie über ihre Gefühle in Hinblick auf die<br />
Tötungen befragt. In einer tiefenpsychologisch<br />
ausgerichteten psychotherapeutischen<br />
Behandlung, einhergehend mit<br />
einer medikamentösen Behandlung der<br />
Depressionen, kam es zur langsamen<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 21
MEDIZIN<br />
Ausgelöst durch das schwere Trauma einer Abtreibung<br />
leiden die meisten Frauen am Post Abortion Syndrom.<br />
Depressionen und körperlicher Erkrankungen sind<br />
die Folge.<br />
STICHWORT<br />
Post Abortion Syndrom<br />
Das Post Abortion Syndrom ist eine<br />
seelische und/oder körperliche Erkrankung,<br />
die in einem zeitlich variablen<br />
Intervall nach Abtreibung auftritt. Sonderform<br />
von »Post Traumatic Stress<br />
Disorder« (PTSD) = einer durch schweres<br />
Trauma ausgelösten Störung körperlicher<br />
und seelischer Funktionen mit<br />
Krankheitswert, ausgelöst z.B. durch<br />
körperliche Gewaltanwendung, Vergewaltigung,<br />
nach passiver oder aktiver<br />
Teilnahme an einem gewaltsamen Tötungsgeschehen,<br />
beschrieben als Langzeitwirkung<br />
bei Vietnam-Kriegsveteranen<br />
(americ.psycholog.association). Der<br />
Zusammenhang mit dem Auslöser (Abtreibung)<br />
wird dabei oft verdrängt und<br />
ist für Betroffene und/oder Helfer oft<br />
nicht erkennbar.<br />
Typische seelische Störungen:<br />
Depressionen, (z.T. larviert), entsprechend<br />
Schlafstörungen, Alpträume,<br />
Angst- und Panikattacken, Schuldkomplexe,<br />
Beziehungsstörung (Scheidung,<br />
Überbehüten geborener Kinder <strong>–</strong> Post<br />
Abortion Surviver Syndrom), Suchtentwicklung,<br />
Psychosemanifestation.<br />
Typische körperliche Störungen:<br />
Psychosomatische Erkrankungen, funktionelle<br />
Störungen, Organmanifestationen<br />
je nach Disposition: Migräne, Rückenbeschwerden,<br />
Herzbeschwerden,<br />
Magen-Darm-Störungen, Menstruationsbeschwerden.<br />
Häufigkeit:<br />
Jede Abtreibung ist ein Trauma; geschätzte<br />
Manifestation von Störungen:<br />
80 Prozent.<br />
Besserung der Krankheitssymptome. Die<br />
Patientin erfuhr eine deutliche Besserung<br />
ihrer Symptome, als es ihr mit meiner<br />
Unterstützung gelungen war, sich an<br />
einen katholischen Priester zu wenden<br />
und ihre Mitschuld am Tode dreier ungeborener<br />
Kinder im Sakrament der Erlösung<br />
vor den Herrn zu bringen.<br />
Ein zweites Fallbeispiel: Eine junge<br />
Studentin, Ende zwanzig, suchte mich<br />
wegen therapieresistenter und fachärztlich<br />
abgeklärter Symptome auf. Sie litt an<br />
Migräne, Herzrhythmusstörungen und<br />
schwerem prämenstruellen Syndrom. Die<br />
Frau war in der DDR in einem sozialistischen<br />
Elternhaus ohne religiöse Erziehung<br />
herangewachsen. Anfang zwanzig<br />
hatte sie zwei Abtreibungen durchführen<br />
lassen, wobei dies, so die Patientin, in der<br />
DDR ganz normal war. Sie empfand seiner<br />
Zeit keine Schuldgefühle oder moralische<br />
Skrupel bei den Abtreibungen.<br />
Einige Jahre später litt sie zunehmend an<br />
den beschriebenen körperlichen Symptomen<br />
sowie an einer Depression, welche<br />
sie vor drei Jahren in eine psychotherapeutische<br />
Behandlung geführt hatte. Dort<br />
war in der ganzen Zeit der inhaltliche<br />
und zeitliche Zusammenhang der Erkrankung<br />
der Patientin nach den Abtreibungen<br />
kein Thema gewesen. Vom Post Abortion<br />
Syndrom hatte sie noch niemals<br />
gehört.<br />
Frauen, welche eine Abtreibung erleben,<br />
werden alle traumatisiert. Auch wenn<br />
sich die Frauen selbst zu einer Abtreibung<br />
entschieden haben, bleibt diese ein das<br />
Kind tötender und die Frau an Leib und<br />
Seele verletzender Eingriff. Die Folgekrankheit,<br />
das Post Abortion Syndrom,<br />
DANIEL RENNEN<br />
»Verdrängte Schuld macht krank <strong>–</strong><br />
auf die eine oder andere Weise.«<br />
tritt in rund 80 Prozent der Fälle nach<br />
einer Abtreibung auf, wobei sich das Post<br />
Abortion Syndrom unterschiedlich stark<br />
und auf unterschiedlichen Ebenen manifestieren<br />
kann. Es kann wenige Wochen<br />
nach der Tötung oder Monate oder Jahre<br />
später zur Manifestation der Erkrankung<br />
kommen. Man weiß, dass bestimmte Ereignisse<br />
im Leben einer Frau, etwa eine<br />
erneute Schwangerschaft, die Geburt<br />
oder Sterilität nach Abtreibung, die eintretenden<br />
Wechseljahre oder Krankheit<br />
und Tod in Familie oder Freundeskreis<br />
auslösende Faktoren sein können. Auch<br />
die Trennung oder Scheidung vom Vater<br />
des ungeboren getöteten Kindes, welche<br />
nicht selten eintritt, kann die Erkrankung<br />
auslösen. Die Frauen leiden an körperlichen<br />
Symptomen wie therapieresistenter<br />
Migräne, funktioneller Herzerkrankung,<br />
Magen-Darm-Störungen auf psychosomatischer<br />
Ebene, therapieresistenten Rückenschmerzen<br />
und Menstruationsbeschwerden,<br />
etc.<br />
Auf seelischer Ebene können Schlafstörungen<br />
und Antriebsmangel den Beginn<br />
einer depressiven Erkrankung skizzieren,<br />
welche über Jahre hinter körperlichen<br />
Beschwerden versteckt die Frau<br />
von Arzt zu Arzt führen kann. Eine Depression<br />
kann sich auch konkret manifestieren,<br />
wobei ihr <strong>–</strong> wie beschrieben <strong>–</strong><br />
leider häufig weder von der Frau noch<br />
von den behandelnden Ärzten und Therapeuten<br />
der oder den Abtreibungen ein<br />
pathogenetischer Stellenwert eingeräumt<br />
wird. Mir ist eine Frau bekannt, welche<br />
drei Abtreibungen vornehmen ließ und<br />
nach der dritten Abtreibung in eine psychische<br />
Erkrankung geriet, welche sie in<br />
die Berufsunfähigkeit führte. Sie selbst<br />
hat den Zusammenhang mit der Tötung<br />
ihrer Kinder erkannt, aber lange keinen<br />
Therapeuten gefunden, welcher ihr das<br />
glauben wollte.<br />
Verdrängte Schuld macht krank <strong>–</strong> auf<br />
die eine oder andere Weise, früher oder<br />
später. Im Falle der Abtreibung erschwert<br />
22<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
»Menschen mit so frühen Traumatisierungen<br />
fällt es oft schwer, Grenzen zu ziehen.«<br />
die Schuld die Heilungschancen, da sich<br />
die Frau unbewusst von ihrer Krankheit<br />
als Strafe nach Abtreibung nicht trennen<br />
kann. Wenn die Schuld bewusst wird, ist<br />
es nötig, sie nicht weg zu rationalisieren<br />
oder weg zu therapieren, sondern der<br />
betroffenen Frau Raum zu geben, in eine<br />
wirkliche Trauerarbeit eintreten zu können.<br />
Das Ziel der Therapie ist die Versöhnung.<br />
Diese Versöhnung muss auf<br />
verschiedenen Ebenen erfolgen und kann<br />
nur am Ende eines Weges stehen, welcher<br />
sich mit den verschiedenen Gefühlsanteilen<br />
der Frau authentisch auseinandergesetzt<br />
hat. Wut, auch auf den oft wenig<br />
hilfreichen Partner oder andere Personen;<br />
Wut auf sich selbst, Verletzungen <strong>–</strong> oft<br />
auch in der Kindheit der betroffenen Frau<br />
massiv erfolgt <strong>–</strong> Ängste; es muss vieles<br />
bearbeitet werden, bevor Versöhnung<br />
authentisch sein kann. Versöhnung mit<br />
wem? Die Heilung vom Post Abortion<br />
Syndrom ist in der Tiefe nur möglich,<br />
wenn die Versöhnung auf verschiedenen<br />
Ebenen erfolgt: Heilung und Versöhnung<br />
durch und mit Gott ist die tiefste Ebene,<br />
welche bei vielen Betroffenen auf Grund<br />
eines mangelnden religiösen Bewusstseins<br />
oft nicht oder nur schwer möglich ist. Im<br />
Falle einer Hinwendung zu Gott <strong>–</strong> bei<br />
katholischen Patientinnen im Sakrament<br />
der Versöhnung <strong>–</strong> ist nach meiner Erfahrung<br />
die Chance auf wirkliche, tiefe Versöhnung<br />
wesentlich größer als bei Frauen,<br />
deren Zugang zu ihrer Religion verschüttet<br />
ist oder nie angelegt wurde.<br />
An zweiter Stelle steht die Versöhnung<br />
mit dem getöteten Kind. Hier ist es oft<br />
sehr schwer, die Trauerarbeit konkret<br />
werden zu lassen, da dem Kind vor der<br />
Abtreibung ja Gesicht und personale<br />
Würde entzogen wurden, um die Tötung<br />
geschehen lassen zu können. Hier sind<br />
imaginative Techniken in der therapeutischen<br />
Arbeit hilfreich, um dem Kind auch<br />
im emotionalen Erleben Gestalt zu geben.<br />
Eine Vorstellung von einem Leben nach<br />
dem Tode in Gott erleichtert auch in<br />
dieser Phase der therapeutischen Arbeit<br />
die Trauer- und Versöhnungsschritte. An<br />
dritter Stelle erfolgt dann die Versöhnung<br />
mit sich selbst. Hier ist es wichtig, dass<br />
die Frau sich sowohl mit ihrer aggressiven<br />
Seite, welche das Kind töten lassen wollte<br />
als auch mit der Opferseite <strong>–</strong> die Mutter,<br />
»In Deutschland sterben an jedem Wochentag<br />
schätzungsweise tausend ungeborene Kinder.«<br />
der das Kind getötet wurde <strong>–</strong> erleben<br />
kann und erleben darf. Eine Frau, die<br />
abtreibt, ist Täter und Opfer zugleich.<br />
Die Therapie muss beiden Seiten versöhnlichen<br />
Raum bieten, wobei diese<br />
Versöhnlichkeit wie beschrieben kein<br />
Schönreden ist, sondern das Ziel eines<br />
Weges der Auseinandersetzung mit den<br />
verschiedenen Betroffenheiten der eigenen<br />
Persönlichkeit: mit Täter- und mit<br />
Opferrolle.<br />
Ein Beispiel zum Schluss: Ich weiß<br />
von einer Frau, welche mit 31 Jahren ungewollt<br />
schwanger wurde. Sie selbst wurde<br />
als Kind sexuell missbraucht. Menschen<br />
mit so frühen Traumatisierungen fällt es<br />
oft schwer, Grenzen zu ziehen, nein zu<br />
sagen, der eigenen Meinung Raum zu<br />
verschaffen. Ihr erster eigener Impuls<br />
war: ich möchte das Kind. Aber der<br />
Freund drohte mit Trennung, die Beratungsstelle<br />
stellte den Beratungsschein<br />
aus und riet zur Abtreibung. Die Schwangere<br />
wurde immer unsicherer. Nur die<br />
Freundin riet, das Kind zu behalten. Sie<br />
rief mich an, ich bestärkte ihre Meinung,<br />
dass die junge Schwangere nach einer<br />
Abtreibung wohl noch tiefer in ihre psychischen<br />
Probleme rutschen würde. Ich<br />
verdeutlichte die Gefahr des Post Abortion<br />
Syndroms.<br />
Das durch den Missbrauch verletzte<br />
innere Kind der Schwangeren würde in<br />
der Abtreibungssituation selbst missbrauchend<br />
erneut und irreversibel verletzt im<br />
Tod des ungeborenen<br />
Kindes. Die Falle wäre zu,<br />
die Frau womöglich für<br />
den Rest ihres Lebens in<br />
Depressionen gefangen.<br />
Ich verdeutlichte die<br />
Möglichkeit von Pflegeeltern<br />
und Adoption, falls<br />
es sich wirklich als unmöglich<br />
erweisen sollte, dass die Mutter<br />
ihr Kind behalten und groß ziehen könnte.<br />
Ich schickte der Freundin Informationsmaterial<br />
über die kindliche vorgeburtliche<br />
Entwicklung <strong>–</strong> das da viel mehr ist als ein<br />
Zellhaufen, sondern ein ganz kleines Kind<br />
mit einem schlagenden Herzen. Der<br />
Freund trennte sich von der Schwangeren,<br />
die Schwangere hatte einen Vorstellungstermin<br />
beim Abtreibungsarzt. Die Freundin<br />
gab ihr das Informationsmaterial und<br />
lud sie ein, mich anzurufen. Die Schwangere<br />
blieb anonym, sagte aber den Termin<br />
beim Abtreibungsarzt ab <strong>–</strong> bleibt es dabei?<br />
Die Mutter und der Bruder der<br />
Schwangeren gaben positive Signale, dass<br />
sie sich auf das Baby freuen. Wird das<br />
reichen?<br />
In Deutschland sterben an jedem Wochentag<br />
schätzungsweise tausend ungeborene<br />
Kinder durch<br />
Abtreibung. Davon sind<br />
täglich zweitausend<br />
Mütter und Väter betroffen,<br />
eine ungezählte<br />
Anzahl von Kindern hat<br />
Geschwister auf diese<br />
Weise verloren. Es gibt<br />
auch das Post Abortion<br />
Surviver Syndrom <strong>–</strong> die psychische und<br />
physische Erkrankung von Kindern nach<br />
der Ab-treibung ihrer ungeborenen Geschwisterkinder.<br />
Eine weitere Erkrankung<br />
mit vielen Facetten bis hin zur Verminderung<br />
der sozialen Kompetenz und<br />
Lernfähigkeit der Kinder, auf welche an<br />
dieser Stelle nicht weiter eingegangen<br />
werden kann. Unsere Gesellschaft überaltert<br />
und erkrankt an ihren Wurzeln.<br />
Wann wird endlich auf breiter Basis Ursachenforschung<br />
betrieben und das Post<br />
Abortion Syndrom hunderttausender von<br />
Frauen und weiterer Betroffener nicht<br />
länger ignoriert? Welche Rolle spielen<br />
die Leitbilder von Wissenschaft und Politik?<br />
Welche Rolle spielen »benefit« und<br />
»profit«? Welche Rolle spielen ethische<br />
Werte, welche am christlichen Menschenbild<br />
orientiert sind? Wir töten unsere<br />
eigene Zukunft mit jedem ungeborenen<br />
Kind. Wir lassen zu, dass die Zukunft<br />
von immer mehr Menschen überschattet<br />
ist durch die vorgeburtlichen Massentötungen<br />
unserer Gegenwart.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. Angelika Pokropp-Hippen<br />
Die Autorin, Jahrgang 1954, praktiziert<br />
als niedergelassene Ärztin, Psychotherapeutin<br />
und Traumatherapeutin in Münster.<br />
Zu ihren Arbeitsfeldern<br />
zählen<br />
Naturheilkunde und<br />
Homöopathie sowie<br />
Katathymes<br />
Bilderleben, eine<br />
tiefenpsychologische<br />
Tagtraumtechnik. Seit 1992 ist sie<br />
Vorsitzende des <strong>ALfA</strong>-Regionalverbands<br />
Münster. Im Fe-Medienverlag erschien<br />
2003 ihr »Kreuzweg für Ungeborene«.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 23<br />
ARCHIV
GESELLSCHAFT<br />
Stimmlose erhören<br />
Im Alter von 13 Jahren wurde sie vom älteren Bruder einer Freundin vergewaltigt. Danach begann sie<br />
zu trinken und Drogen zu nehmen. Mit 16 wurde sie schwanger und unterzog sich einer Abtreibung,<br />
Anfang 20 zum zweiten Mal. Zehn Jahre später kam die Wende. Seit 17 Jahren kämpft Denise Moutenay<br />
nun in Canada für das Lebensrecht ungeborener Kinder und dafür, dass Frauen endlich die Wahrheit<br />
über Abtreibungen erfahren. Für <strong>LebensForum</strong> sprach mit ihr Sebastian Grundberger.<br />
<strong>LebensForum</strong>: Frau Mountenay, seit vielen Jahren<br />
arbeiten Sie bereits mit Frauen, die eine Abtreibung<br />
erlebt haben. Was brachte Sie persönlich<br />
zu dieser Aufgabe?<br />
Denise Moutenay: Im Alter von 30<br />
Jahren erkannte ich, dass meine eigenen<br />
Kinder durch hinter mir liegende Abtreibungen<br />
getötet worden sind. Ich weinte,<br />
fühlte tiefen Schmerz und bat Gott demütig<br />
um Vergebung für diese schweren<br />
Sünden. Ich fing an, die Bibel zu lesen.<br />
Bald schon spürte ich, dass Gott wollte,<br />
dass ich mit meinem Schmerz an die<br />
Öffentlichkeit gehe und Zeugnis davon<br />
gebe, dass Abtreibung ein Übel und keine<br />
gute Sache ist. Seit 17 Jahren teile mittlerweile<br />
meinen eigenen Schmerz über<br />
die Abtreibungen und spreche darüber<br />
in Schulen, auf Konferenzen, in Kirchen,<br />
Gefängnissen, im Radio und im Fernsehen.<br />
Vor ungefähr zwei Jahren spürte ich,<br />
dass Gott mich bat, »Canada Silent No<br />
More« zu gründen und so zu versuchen,<br />
die zwei Millionen Frauen in unserem<br />
Land zu erreichen, die an den Folgen<br />
einer Abtreibung leiden.<br />
Welche sind die häufigsten physischen und<br />
psychologischen Folgen, unter denen Frauen nach<br />
einer Abtreibung leiden?<br />
Physische Folgen sind unter anderem:<br />
Infektionen, Vernarbungen im Uterus,<br />
Beschädigung des Gebärmutterhalses<br />
sowie eine erhöhte Gefahr von Frühgeburten,<br />
Unfruchtbarkeit und Brustkrebs.<br />
Psychische Folgen können sein: Depression,<br />
Abhängigkeit, Selbstmordgefahr,<br />
Essstörungen, Angstzustände oder eine<br />
gestörte Beziehung zu Männern.<br />
Wie viele Frauen, die eine Abtreibung erlebt<br />
haben, bereuen diese später?<br />
Ich würde sagen, dass neun von zehn<br />
Frauen, mit denen ich gesprochen habe,<br />
die Abtreibung bereuen. Manche Frauen<br />
24<br />
versuchen jedoch auch, die Abtreibung<br />
zu rechtfertigen, indem sie sagen, dass es<br />
kein Baby gewesen sei. Sie sind dann nicht<br />
überzeugt, dass es falsch war, ihren Kindern<br />
das Leben zu nehmen.<br />
Wie ist es möglich, dass eine Frau die Tötung<br />
ihres Kindes nicht bereuen kann?<br />
Denise Moutenay<br />
Sie verschließen sich einfach und versuchen<br />
sich zu rechtfertigen. Oft haben<br />
sie auch Angst davor, es zuzugeben und<br />
erahnen den tiefen Schmerz, den sie empfinden<br />
würden, wenn sie die Wahrheit<br />
zugeben.<br />
Wie versuchen Sie, diese Frauen zu erreichen?<br />
Wie helfen Sie ihnen?<br />
Wir bekommen Unterstützung von<br />
zahlreichen pro-life-Gruppen und Einzelpersonen,<br />
die Anzeigen schalten oder<br />
WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />
Plakate anbringen, auf denen unsere kostenfreie<br />
Telefon-Hotline zu sehen ist.<br />
Wenn die Frauen dann anrufen, spreche<br />
ich mit ihnen über meinen eigenen mit<br />
der Abtreibung verbundenen Schmerz.<br />
Sie fühlen sich verstanden, weil sie merken,<br />
dass ich sie verstehe. Dann versuche<br />
ich auszuloten, in welcher konkreten<br />
Situation sie sich befinden. Dementsprechend<br />
vermittle ich sie an Beratungsstellen,<br />
bei denen sie Hilfe finden können.<br />
Wir bitten die Frauen, uns ihr schriftliches<br />
Zeugnis zukommen zu lassen und so mit<br />
uns gemeinsam den Stimmlosen eine<br />
Stimme zu geben.<br />
Warum glauben Sie, schweigt die Gesellschaft<br />
zum Problem der Abtreibung allgemein und zu<br />
den Leiden der Frauen, die eine Abtreibung erlebt<br />
haben?<br />
Bis jetzt gibt es weder ein öffentliches<br />
Erkennen, noch eine Erziehung oder<br />
Information, dass Abtreibung Frauen<br />
sowohl physisch als auch psychisch verletzt.<br />
Es ist unglaublich wichtig, dass wir<br />
dieses Schweigen brechen und diesen<br />
vielen Frauen die Hand reichen.<br />
Haben Sie die Hoffnung, dass sich dies eines<br />
Tages ändern wird? Warum haben Sie diese Hoffnung?<br />
Ja, ich glaube, wenn immer mehr Frauen<br />
bereit sind, von ihrem Schmerz über<br />
die Abtreibung zu sprechen, Ärzte und<br />
Politiker davon überzeugt werden können,<br />
dass Abtreibung Frauen schadet. So<br />
können auch die Frauen davor bewahrt<br />
werden, sich für eine Abtreibung zu<br />
entscheiden.<br />
Können Sie uns vielleicht ein Beispiel von einer<br />
konkreten Erfahrung geben, die Sie bei Ihrer Arbeit<br />
gemacht haben?<br />
Eine alte Freundin, Stacey, meldete<br />
sich vor kurzem bei mir. Als sie jünger<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
Titelseite des Buchs »Forgiven Of Murder … A True Story«<br />
war, hatte sie zwei Abtreibungen. Sie<br />
bekam später Gebärmutterkrebs und musste<br />
sich im Alter von 37 Jahren einer<br />
Gebärmutter-Totaloperation unterziehen.<br />
Außerdem kämpfte sie gegen klinische<br />
Depression als Folge ihrer Abtreibungen.<br />
Sie rief mich an und sagte mir, dass sie<br />
mir ihr Zeugnis zuschicken wolle und<br />
dass sie hoffe, eines Tages den Mut zu<br />
besitzen, gemeinsam mit mir von ihrem<br />
Schmerz über die Abtreibung in der Öffentlichkeit<br />
zu berichten. Sie ist mittlerweile<br />
Christin geworden und sehr dankbar,<br />
dass Gott ihr vergeben hat.<br />
Was können Sie über die Verbindung zwischen<br />
Abtreibung und Brustkrebs sagen?<br />
Es ist mir sehr wichtig, dass die Menschen<br />
über das mit Abtreibung verbundene<br />
Brustkrebs-Risiko informiert werden,<br />
egal welche Meinung die<br />
Leute zum Thema »Abtreibung«<br />
besitzen.<br />
In Europa hören wir normalerweise<br />
nicht viel über die Abtreibungssituation<br />
in Kanada. Wie viele<br />
Abtreibungen gibt es bei Ihnen im<br />
Jahr? Wie ist die gesetzliche Situation?<br />
Kanada ist riesig und verfügt<br />
über viele natürliche Ressourcen.<br />
Trotzdem haben wir<br />
seit Jahrzehnten eine negative<br />
Geburtenrate und reproduzieren<br />
uns noch nicht einmal<br />
selbst. Traurigerweise bezahlen<br />
wir mit unserem Geld und<br />
unserem Schweigen jeden Tag<br />
die Tötung von 300 Babys.<br />
Henry Morgenthaler, ein jüdischer<br />
Arzt, der den Holocaust<br />
überlebt hat, ist der größte<br />
Abtreiber in diesem Land und<br />
hat mehrere Kliniken. Er allein<br />
hat mit seinen eigenen Händen<br />
das Blut von über 60.000 Kanadiern<br />
vergossen. Dadurch,<br />
dass er das Abtreibungsgesetz<br />
verletzte, trug er dazu bei, dass der Oberste<br />
Gerichtshof es 1988 abschaffte. Heute<br />
gibt es kein Abtreibungsgesetz mehr. Für<br />
die meisten Abtreibungen bezahlen wir<br />
durch unsere Krankenkassenbeiträge.<br />
In den Vereinigten Staaten von Amerika scheinen<br />
die Werte in letzter Zeit wieder an Bedeutung<br />
zu gewinnen. Gleichzeitig gewinnt dort auch die<br />
Pro-Life-Bewegung wieder an Kraft. Gibt es in<br />
Kanada ähnliche Entwicklungen?<br />
neue Initiative, die Frauen erreichen<br />
möchte, die von einer Abtreibung verletzt<br />
wurden. Wir möchten ihnen helfen und<br />
sie ermutigen, mit uns gemeinsam eine<br />
Stimme zu sein, die bekennt, dass Abtreibung<br />
falsch und nicht richtig ist.<br />
Gibt es noch etwas, was Sie den Lebensschützern<br />
in Deutschland sagen wollen?<br />
Mein Vater ist gebürtiger Deutscher,<br />
meine Mutter Schweizerin. Der Holocaust<br />
der Nazis war furchtbar, aber die<br />
Abtreibung hat insgesamt siebenmal mehr<br />
unschuldige Menschen in unserer Generation<br />
getötet. Heute gibt es sogar in<br />
»Ich möchte gerne meinen<br />
Schmerz über die Abtreibung teilen.«<br />
Israel jeden Tag 150 Abtreibungen. Ich<br />
möchte gerne meinen Schmerz über die<br />
Abtreibung mit den deutschen Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen teilen, so<br />
dass sie merken, dass Abtreibung keine<br />
Frage von schwarz oder weiß ist. Im Gegenteil.<br />
Sie ist blutrot. Wir müssen auf<br />
die Millionen von Frauen zugehen, die<br />
von der Abtreibung verletzt und zerstört<br />
worden sind und sie dazu bringen, mit<br />
uns die Abtreibung als das zu demaskieren<br />
was sie ist: ein Übel. So können wir helfen,<br />
Babys vor der Tötung zu bewahren. Wir<br />
brauchen Ihre Hilfe und Ihre Unterstützung,<br />
damit auch in Deutschland ein<br />
»Germany Silent No More« beginnen<br />
kann.<br />
Frau Mountenay, vielen Dank für das Gespräch.<br />
Seit 1957 gibt es mittlerweile weltweit<br />
28 Studien, die belegen, dass sich das<br />
Brustkrebsrisiko nach einer Abtreibung<br />
verdoppelt. Diese Information sollte allgemein<br />
präsent sein <strong>–</strong> in jeder Diskussion<br />
in jedem Land, in dem Abtreibungen<br />
staatlich finanziert werden. Frauen haben<br />
ein Recht zu wissen, dass es sein kann,<br />
dass wenn sie sich für eine Abtreibung<br />
entscheiden, sie damit auch eine Entscheidung<br />
für Brustkrebs treffen. Mir selbst<br />
wurden bereits zwei Klumpen aus der<br />
linken Brust entfernt.<br />
Studien belegen: Abtreibung fördert Brustkrebs<br />
Beten Sie für Kanada! Die politische<br />
Linke versucht, die »Homo-Ehe« zu<br />
legalisieren und die Abtreibungen gehen<br />
weiter. Aber es gibt einen Rest von Standhaften,<br />
die eine Hoffnung für unser Land<br />
sind. Wir sind wenige, aber wir tun unser<br />
Bestes. Canada Silent No More ist eine<br />
WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />
STICHWORT<br />
Canada Silent No More<br />
Mehr Informationen zu Canada Silent<br />
No More und der Arbeit von Frau Denise<br />
Mountenay:<br />
www.togetherforlife.ca<br />
www.canadasilentnomore.ca<br />
Mehr Informationen über die Leiden von<br />
Frauen nach der Abtreibung:<br />
www.afterabortion.org<br />
www.abortionbreastcancer.com<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 25
Euthanasie <strong>–</strong> Heute ihr, morgen wir?<br />
1. Fuldaer Lebensrechtskongress der Aktion Lebensrecht für Alle <strong>ALfA</strong> e.V.<br />
10. bis 11. Juni <strong>2005</strong><br />
Freitag, 10.6.<strong>2005</strong><br />
19.30 Uhr<br />
Podiumsdiskussion: Euthanasie: Heute ihr <strong>–</strong> morgen wir?<br />
Teilnehmer:<br />
Heinz Josef Algermissen, Bischof von Fulda<br />
Dr. Wolfgang Aschenbrenner, Allgemeinmediziner<br />
Rainer Beckmann, Sachverständiger der Enquete-Kommission »Ethik und Recht der<br />
modernen Medizin« des Deutschen Bundestags<br />
Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospizstiftung, Dortmund<br />
Rob Jonquiere, Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende<br />
Moderation: Dr. Kai Witzel, Ärztlicher Direktor des Helios St. Elisabeth<br />
Krankenhauses, Hünfeld<br />
Samstag, 11.6.<strong>2005</strong><br />
9.15 Uhr<br />
Vortrag: Recht auf Leben?<br />
Dr. Wolfgang Zöller, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />
14.00 Uhr<br />
Workshops:<br />
Marcus Mockler, Evangelische Nachrichtenagentur idea: Vom Umgang mit der<br />
Presse<br />
Orturd Tornow, Tornow & Partner Erfolgstraining, Fulda: Überzeugend auftreten<br />
20.00 Uhr<br />
Besuch des Musicals »Bonifatius« oder Teilnahme an abendlicher Stadtführung<br />
Tagungsort:<br />
Bonifatiushaus, Neuenbergerstr. 3-5, 36041 Fulda, Telefon (06 61) 8 39 80<br />
Tagungskosten: <strong>74</strong>,- € / 91,- € im DZ/EZ inkl. Vollpension und Tagungsgebühr für<br />
die gesamte Tagung. Kinder bis 12 Jahre frei, bis 18 Jahre 50 % des Tagungsbeitrags<br />
Anmeldung<br />
Am Kongress: »Euthanasie <strong>–</strong> heute ihr, morgen wir?« der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. nehme ich mit<br />
______ Erwachsenen, ______ Kindern bis 12 Jahren, ______ Kindern bis 18 Jahren teil.<br />
Ich buche ______ Übernachtung(en) im DZ, ______ Übernachtung(en) im EZ.<br />
Ich bestelle verbindlich folgende Karten für das Musical »Bonifatius«:<br />
______ Karten der Kategorie 1 zu 36,- €, ______ Karten der Kategorie 2 zu 31,- €, ______ Karten der Kategorie 3 zu 26,- €<br />
Kartenbestellungen für das Musical können nur bis zum 14.05. angenommen werden, da die Vorstellung bis auf die von uns reservierten<br />
Karten bereits ausverkauft ist!<br />
Bitte senden an: Bundesgeschäftsstelle der <strong>ALfA</strong>, Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg, Telefon (08 21) 51 20 31, Telefax: (08 21) 15 64 07
ESSAY<br />
»Guter Hoffnung«?<br />
Im Zuge des technischen Fortschritts beginnt die Medizin maßlos zu werden. Statt um das Heilen von<br />
Krankheiten sorgt sie sich längst auch um die Optimierung der Evolution. Dabei droht der Blick für<br />
das Ganze wie für konkrete Bedürfnisse einzelner Patienten auf der Strecke zu bleiben.<br />
Von Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Guter Hoffnung« zu sein, damit<br />
verband sich gedanklich bis vor<br />
einigen Jahrzehnten der Zustand<br />
einer schwangeren Frau wie von<br />
selbst. Sie erwartete ein Kind, neues Leben,<br />
ihr und dem Vater ähnlich, aber<br />
doch wieder ganz sich selbst gehörend.<br />
Das Kind wird zum Adressaten<br />
ihrer Gedanken, Wünsche und<br />
Hoffnungen. Ihm und für es verantwortlich<br />
zu sein <strong>–</strong> das ist ein<br />
Geschenk des Lebens besonderer<br />
Art, das der Konzentration bedarf.<br />
Wie werden sie von diesem kleinen<br />
Wesen gefragt sein? Welche Aufgaben<br />
kommen auf die Eltern zu?<br />
Doch heißt »guter Hoffnung« sein<br />
darüber hinaus auch, Wünsche in<br />
anderen Erwartungssituationen des<br />
Lebens zu hegen. »Dum spiro, spero«,<br />
sagte ein antiker Philosoph,<br />
solange ich atme, hoffe ich. Zum<br />
Beispiel in der Krankheit oder nach<br />
einem Unfall, dem Fall, den es eigentlich<br />
nicht geben sollte. Diesem<br />
Thema hat der Philosoph Ernst<br />
Bloch ein weitläufiges Werk gewidmet,<br />
dem er den Titel »Das Prinzip<br />
Hoffnung« gab. Hoffnung (englisch:<br />
hope) hat mit dem Wortstamm<br />
»hüpfen« (hoppeln) zu tun. Und<br />
Bloch meint: »Indem der Kranke<br />
nicht hüpft und springt, tun es desto<br />
mehr seine Wünsche«. Gleich darauf<br />
setzt auch seine Kritik ein: »Was<br />
immer weh tut, drückt und schwächt,<br />
soll weg«, aber: »Ein wenig nur<br />
aufzuatmen, das genügt nie lange.«<br />
So reicht heute der Wunsch nach<br />
mehr Lebensqualität immer weiter,<br />
ja so weit, dass der Philosoph Maximilian<br />
Forschner vor einiger Zeit<br />
vor den »Infantilisierungstendenzen«<br />
unserer Wunschwelten warnte, welche<br />
die Eingriffe zur Verbesserung unserer<br />
Körperfunktionen allmählich unbezahlbar<br />
machten. Vermutlich ist es ja wirklich<br />
kindisch, von Gesundheit als »dem höchsten<br />
Gut« des Menschen zu reden, aus<br />
der Medizin eine Art Erlösungsreligion<br />
zu machen und damit die prinzipielle<br />
Fragilität unserer menschlichen Existenz<br />
aus der eigenen Gedankenwelt zu streichen.<br />
Sollte man beim erwarteten Kind<br />
etwa auf Maximalanforderungen setzen?<br />
Die ursprünglichste Aufgabe, Leben weiterzugeben,<br />
dem technischen Perfektionismus<br />
überantworten? Darf man<br />
Schwangerschaft zur Krankheit umformulieren<br />
und in die Therapiekonzepte<br />
auch das Töten einbeziehen?<br />
Natürlich weiß die Medizin seit geraumer<br />
Zeit auch, dass der Schmalblick, der<br />
auf einen Tropfen Blut im Labor oder<br />
die Farbe des Urins gerichtet ist, nicht<br />
das ganze Krankheitsbild eines<br />
Menschen umfasst. Auch die dicke<br />
Nackenfalte im Ultraschallbild sagt<br />
nichts über die Entwicklung des<br />
Kindes und seine Lebenschancen aus.<br />
Vor den sog. »prima-vista-Diagnosen«<br />
sollte sich auch der erfahrene Arzt<br />
hüten und seinen ersten Eindruck<br />
stets hinterfragen beziehungsweise<br />
durch weitere Befunde untermauern.<br />
Aber auch der »objektive Befund«<br />
kann Irrtümer stützen und zu falschen<br />
Schlüssen führen. Trotz der großartigen<br />
Erfolge des seit dem 18. Jahrhundert<br />
so hilfreich angewandten<br />
»Maschinenmodells« des Menschen,<br />
besonders spektakulär in den operativen<br />
Fächern Chirurgie, Orthopädie<br />
und Gynäkologie, verblieb in der<br />
Betreuung der Patienten ein defizitärer<br />
Rest. Denn nicht jede objektive<br />
Therapie eines Magengeschwürs oder<br />
die einer Coronarstenose war auch<br />
schon die Heilung des betroffenen<br />
Subjekts. Die hervorragend gelungene<br />
Herzoperation konnte beispielsweise<br />
durch eine postoperative depressive<br />
Stimmung gestört werden: nicht jeder<br />
Rehabilitand ist auch schon gleich<br />
»heilfroh«. Er kann sich fragen: Was<br />
soll das Ganze? Bleibt am Ende nicht<br />
doch der Tod? Während wir in den<br />
Phasen des Gesundseins so genannte<br />
»letzte Dinge« gern verdrängen und<br />
die uns auferlegte »letzte Reise« in<br />
den Alltagspflichten und berechtigten<br />
Alltagsfreuden kaum zum Thema<br />
machen, sind der stetige Wandel der<br />
Verhältnisse und die Ungesichertheit<br />
unserer Arbeits- und Lebenswelt unser<br />
gemeinsames Dauer-Schicksal. Gerade<br />
das wird manchem Patienten in der Ruhe<br />
des Krankenzimmers dramatisch bewusst.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 27
ESSAY<br />
eine besondere Lebenschance. Nach dem<br />
Philosophen Josef Pieper ist die Hoffnung<br />
die »eigentliche Tugend« des menschlichen<br />
Unterwegsseins. Sie ist die Tugend<br />
»Immer schon war Medizin anfällig<br />
für Eugenik und Euthanasie.«<br />
Der Wechsel von Licht und Dunkelheit gehört zu den Konstanten menschlichen Lebens<br />
Unser »Endlichsein wirkt sich ja nicht<br />
nur am Ende des Lebens aus, ist ja nicht<br />
einfach ein Schluss und nur ein Schluss,<br />
sondern ist im konkretesten der Tod, der<br />
dem Leben innewohnt. Das Sichentwickeln,<br />
das Voranschreiten, Im-Fluss-Sein<br />
des Lebens ist nicht denkbar, ohne dass<br />
irgendetwas dieses Lebens vergeht. Die<br />
»Mit der Tötung des Ungeborenen ist das Schicksal<br />
der Frau nicht bereinigt, ihr Problem nicht gelöst.«<br />
Fülle des Daseins wird nur dadurch wahrgenommen,<br />
dass Leben immer wieder<br />
absterbend... sich erneuert« (H. Plügge<br />
1962). Die in Jahrtausenden praktizierte,<br />
aber kaum theoretisierte Psychologie, die<br />
sich seit gut einem Jahrhundert zur psychosomatischen<br />
Medizin und Psychoanalyse<br />
entwickelt hat, erweist: der Kranke<br />
als Subjekt ist mit seiner je eigenen Lebenssituation<br />
wahrzunehmen und nicht<br />
mehr nur der »Fall«, nicht nur das bestätigende<br />
Beispiel für spezialisiertes Lehrbuchwissen.<br />
Mit der Tötung des Ungeborenen<br />
ist das Schicksal der Frau nicht<br />
bereinigt, ihr Problem nicht gelöst: Leben<br />
und Freiheit des Kindes bleiben als Anfrage<br />
bestehen.<br />
LEBENSSINN NEU DEFINIEREN<br />
Die medizinische Anthropologie, die<br />
Lehre vom Menschen aus ärztlicher Sicht,<br />
sieht den Organismus nicht mehr als<br />
bloße Summe seiner Teile, beurteilt ihn<br />
28<br />
also nicht nur nach einzelnen Symptomen,<br />
sondern nimmt ihn als System eines einmaligen<br />
Ganzen wahr. Sie nimmt ihn in<br />
seinem physisch-psychisch-geistigen Zustand<br />
in den Blick. Gerade da spielt die<br />
Grundgestimmtheit eine Rolle, der Elan<br />
vitale, und in diesem Zusammenhang die<br />
Frage, welches energetische Potenzial an<br />
Hoffnung zwischen Patient<br />
und Arzt mobilisiert<br />
werden kann. Wenn ich<br />
hoffen darf, dass der Sinn<br />
meiner Situation vorgegeben<br />
ist und ich ihn<br />
finden kann, gewinnt auch<br />
das Leben im Rollstuhl<br />
oder in der Pflegeabhängigkeit<br />
im Seniorenheim eine Perspektive,<br />
eine Wendung auf Zukunft hin, da ist<br />
sich der Existenzanalytiker Viktor E.<br />
Frankl sicher. Sinnsuche und Hoffnung<br />
sind sozusagen Geschwister. Bei der Sinnwahrnehmung<br />
nämlich handelt es sich<br />
nicht um eigensinnige spektakuläre Projekte,<br />
sondern um die Möglichkeit, die<br />
Wirklichkeit zu verändern (V. Frankl).<br />
Es geht um die Frage der Einstellung<br />
zum Leben und seinen Zwischenfällen,<br />
um seine Anforderungen. Bei drohendem<br />
Sinnverlust soll der Arzt (und der Nahestehende)<br />
helfend eingreifen und Lebenssinn<br />
für und mit dem Patienten suchend<br />
zurückgewinnen. Behinderung und<br />
Krankheit werden dann zur Möglichkeit<br />
individueller Neugestaltung des Lebens,<br />
in Selbständigkeit und mit Hilfe anderer.<br />
Der Altersprozess wird als die Zeit der<br />
Ernte erkannt, bei der Lebenserfahrung<br />
an die Mitwelt weitergereicht werden<br />
kann. Der Ungeborene mit vermuteter<br />
Behinderung wird Hoffnungsträger für<br />
WWW.PIXELQUELLE.DE<br />
des »Noch nicht«, welche die Gegenwart<br />
ausmalt auf Zukunft hin, ja mit ihrer<br />
Phantasie bereits das »Jetzt« anreichert<br />
und füllt. Und damit verändert.<br />
Doch da mischen sich unsere Umgebung,<br />
die Gesellschaft und ihre Vorgaben<br />
ein und versuchen, unsere Alltagshoffnungen<br />
mitzuformulieren. Wenn wir heute<br />
von »ewiger Jugend« träumen, spinnen<br />
wir uralte Sehnsüchte weiter, die seit den<br />
ersten »Olympiaden« in der Antike die<br />
Begriffe »gesund, stark und gut« zusammendachten<br />
und in dieser Gleichsetzung<br />
das Humanum schlechthin zu erkennen<br />
glaubten. Die hoch frequentierten Fitnesszentren,<br />
Trainingshallen und Schönheitssalons,<br />
Lach- und Beglückungskurse<br />
erscheinen da als Bestätigung eines Indikativs<br />
des »mens sana in corpore sano«,<br />
der doch ursprünglich nur als Wunsch<br />
gedacht war.<br />
Von Utopien ähnlicher Art ist auch<br />
die medizinische Forschung angeregt.<br />
Längst geht es nicht mehr um das Heilen,<br />
um das »salus aegroti«, sondern um das<br />
Vorbeugen, die Aufbesserung, das<br />
»Größerformatieren« (P. Sloterdijk). Immer<br />
schon war Medizin anfällig für Eugenik<br />
und Euthanasie in ihrem Gefolge.<br />
Um Gesundheit in der Definition der<br />
Weltgesundheitsorganisation in Vollkommenheit<br />
zu erreichen, kommt heute eine<br />
»Die gute Hoffnung ist der Stoff, aus<br />
dem unsere Seele gemacht ist.«<br />
maßlose Ungeduld unter den Forschern<br />
auf. Da die ethisch unbedenkliche somatische<br />
Gentherapie beim Einzelnen bisher<br />
offensichtlich den schnellen Erfolg nicht<br />
gewährleisten kann, könnte man doch<br />
die erhoffte Evolution anders beschleunigen:<br />
das heißt durch Selektion genetisch<br />
»guter« Embryonen (PID) oder durch<br />
eine Keimbahntherapie während der Reagenzglasphase<br />
in Zukunft unsere Art ge-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
sund züchten! Vielleicht die ganze<br />
Menschheit gesunden lassen! Ist es nicht<br />
sogar Pflicht, fragen Ian Wilmut, der<br />
Erlanger Professor Fleckenstein und der<br />
Kölner Professor Hescherler weiter,<br />
Kranke mittels eigens für sie gezüchteten<br />
»menschlichen Lebens« gesund zu transplantieren<br />
und also »therapeutisch« zu<br />
klonen? Selbst wenn dazu Massen von<br />
Eizellen geliefert und Menschenembryonen<br />
in beliebigem Ausmaß getötet werden<br />
müssen. Bei solchen Erwägungen werden<br />
immer wieder die vielen »Hoffnungen«<br />
von Kranken in das argumentative Spiel<br />
eingebracht. Ist die Umsetzung von Erwartungen<br />
an solche Medizintechnik<br />
Ȁrztliches Handeln sieht Schwangerschaft<br />
nicht unter dem Verdacht des Schadensfalls.«<br />
schon ein hoffnungsvolles Bild? Sind dies<br />
Kulturleistungen? Und sind elterliche<br />
Wünsche nach einem Designerkind menschengerecht<br />
und nach menschlichem<br />
Maß?<br />
DAS NATÜRLICHE HOFFNUNGSPOTENZIAL<br />
EINES JEDEN MENSCHEN ENTDECKEN<br />
In der Tradition der Scholastik kennt<br />
man zwei Arten von Hoffnungslosigkeit:<br />
die Verzweiflung, die sagt, jetzt ist »alles<br />
aus« und laut der es auch nicht mehr den<br />
»Schimmer einer Hoffnung« gibt. Und<br />
es gibt die Vermessenheit, den Kurzschluss<br />
eines kindischen Eigensinns, alles<br />
jetzt gleich zu haben, koste es, was und<br />
wen es wolle. Diese Verkehrung der Hoffnung<br />
in Ungeduld, Eigensinn, Respektlosigkeit<br />
und den Mangel an Ehrfurcht<br />
vor dem Andern hat das Maß verloren<br />
und ist wirklich »hoffnungslos«. Sie verliert<br />
sich in sinnentleerte Beliebigkeit und<br />
versagt sich der Lebenskultur des menschlichen<br />
Miteinanders in Vielfalt und gegenseitiger<br />
Achtung.<br />
Wenn der Arzt, auch der forschende<br />
Mediziner, seine eigenen Grenzen und<br />
das Ethos seines Fachs nicht wahrnimmt<br />
und sich nicht zu ihnen bekennt, wird er<br />
die Medizin unmenschlich machen und<br />
die gute Hoffnung in ihr Gegenteil verkehren.<br />
Nicht der egozentrierte Jugendlichkeitskult,<br />
da sind sich der Sozialist<br />
Ernst Bloch und der Christ Josef Pieper<br />
einig, führt zur Lebensfrische. Es ist<br />
vielmehr das Prinzip der guten Hoffnung.<br />
Dieses weiß: »Ich bin. Aber ich habe mich<br />
nicht. Darum werden wir erst« (E. Bloch).<br />
ARCHIV<br />
Hoffnung ist von prophetischem Charakter.<br />
Dazu braucht es Geist, weit weniger<br />
raffinierte und schon gar keine albernen<br />
oder ethisch verwerflichen Techniken.<br />
Eine Physik oder Chemie der Hoffnung<br />
gibt es nicht und sie lässt sich nicht herstellen.<br />
In ihrer real menschlichen Dimension<br />
ist sie Begabung. Als »Glut zum<br />
Leben« bezeichnet sie der Philosoph<br />
Gabriel Marcel, als alles überwindende<br />
»innere Kraft«. Der Liebe verwandt bedeutet<br />
sie ihm »den Durchbruch durch<br />
die Zeit«. Als solche wird Hoffnung nicht<br />
selten bei unheilbar Kranken beobachtet,<br />
die nicht mehr physische Vitalität, nicht<br />
Heilung, sondern das Heil erwarten.<br />
Die gute Hoffnung ist<br />
der Stoff, aus dem unsere<br />
Seele gemacht ist, meint<br />
Gabriel Marcel, sie sei<br />
eine Form von Gnade.<br />
Deshalb müssen Philosophie<br />
und Theologie der<br />
Medizin widerstehen und<br />
sie zurechtweisen, wenn<br />
diese sich maßlos überhebt. Denn<br />
»spirituelle Bildung (...) macht auch die<br />
ärztliche Kunst besser« las man vor kurzem<br />
in »Christ in der Gegenwart«.<br />
»Religiös fähige Ärzte brauchen die Kranken<br />
wie die Gesunden«, und »die Leibsorge<br />
diesseits des Jenseits« verlange<br />
»ebenso nach einer guten Seelsorge jenseits<br />
des Diesseits.« Schwangerschaft<br />
nicht primär unter dem Verdacht des<br />
Schadensfalls zu sehen, Behinderung nicht<br />
als unzumutbar zu missdeuten, sondern<br />
das natürliche Hoffnungspotenzial eines<br />
jeden Menschen in allen Lebensphasen<br />
zu entdecken, das bedeutet ärztliches<br />
Handeln.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. med. Dr. theol. h.c.<br />
Maria Overdick-Gulden<br />
Jahrgang 1931, ist Ärztin. Sie war im<br />
Fach Innere Medizin als klinische Oberärztin<br />
und in freier Praxis tätig. Sie beschäftigt<br />
sich eingehend<br />
mit der wissenschaftlichen<br />
Thematik der Bioethik,<br />
hält Vorträge<br />
und publiziert, unter<br />
anderem im <strong>LebensForum</strong>,<br />
zu verschiedenen Lebensrechtsthemen.<br />
Für eines ihrer Bücher<br />
erhielt sie die Ehrendoktorwürde der<br />
Theologischen Fakultät der Universität<br />
Trier. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied<br />
des Bundesvorstands der Aktion Lebensrecht<br />
für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
ARCHIV<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
4320 Schulklassen abgetrieben<br />
Dr. Claudia Kaminski<br />
Die Zahl der in Deutschland durchgeführten<br />
vorgeburtlichen Kindstötungen ist 2004 wieder<br />
gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt<br />
in Wiesbaden wurden im vergangenen Jahr<br />
insgesamt 129.600 Abtreibungen gemeldet.<br />
Das sind 1,3 Prozent<br />
mehr als im Jahr davor.<br />
Die »Aktion Lebensrecht<br />
für Alle«<br />
(<strong>ALfA</strong>) nahm die Bekanntgabe<br />
der Abtreibungszahlen<br />
zum<br />
Anlass, die im Bundestag<br />
vertretenen<br />
Parteien erneut zu<br />
einer Reform des<br />
§ 218 aufzufordern. »Angesichts weiter steigender<br />
Abtreibungszahlen« müsse der Gesetzgeber<br />
»zehn Jahre nach der Reform des § 218<br />
der vom Bundesverfassungsgericht auferlegten<br />
Pflicht nachkommen und die geltenden<br />
gesetzlichen Bestimmungen korrigieren«, erklärte<br />
die Bundesvorsitzende Claudia Kaminski.<br />
»Dass Gesetze nachgebessert werden, zählt<br />
längst zum Standard in der Politik. Warum<br />
ausgerechnet dort darauf verzichtet werden<br />
soll, wo es um Leben und Tod geht, ist nicht<br />
nachvollziehbar«, sagte Kaminski. »129.600<br />
vorgeburtliche Kindstötungen <strong>–</strong> das entspricht<br />
4320 Schulklassen <strong>–</strong> sprechen eine deutliche<br />
Sprache«, so die Ärztin weiter. reh<br />
Verein »Donum Vitae« wächst<br />
Die aus Protest gegen eine Anweisung Papst<br />
Johannes Paul II. gegründete Organisation<br />
»Donum Vitae« wächst eigenen Angaben zu<br />
Folge weiter. Wie die Organisation mitteilte,<br />
sei die Anzahl der von »Donum Vitae« durchgeführten<br />
Beratungen im vergangenen Jahr<br />
um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr auf<br />
33.207 Fälle gestiegen. Die Anzahl der Beratungsstellen<br />
sei um vier auf nunmehr 105<br />
Beratungsstellen angewachsen. Zusammen<br />
mit den Außenstellen sei »Donum Vitae« in<br />
der deutschen Ortskirche nunmehr an 181<br />
Orten präsent. »Donum Vitae« war im Jahr<br />
2001 von katholischen Laien gegründet worden,<br />
nachdem das Oberhaupt der katholischen<br />
Kirche angeordnet hatte, dass Beratungsstellen<br />
in katholischer Trägerschaft künftig keine<br />
Nachweise mehr ausstellen dürfen, die vom<br />
Gesetzgeber zur Bedingung für die Durchführung<br />
einer straffreien vorgeburtlichen Kindstötung<br />
gemacht worden war. Wie viele Beratungsscheine,<br />
die von Bischöfen wie dem<br />
verstorbenen Erzbischof von Fulda Johannes<br />
Dyba als »Lizenzen zum Töten« bezeichnet<br />
worden waren, in den Beratungsstellen von<br />
Donum Vitae ausgestellt wurden, geht aus<br />
der Mitteilung nicht hervor.<br />
reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 29
BÜCHERFORUM<br />
Dem im Zusammenhang mit der<br />
Pränataldiagnostik (PND) erforderlichen<br />
Bedarf an psychosozialer<br />
Beratung wird in der europäischen<br />
Praxis nur<br />
unzureichend entsprochen.<br />
Erika<br />
Feldhaus-Plumin<br />
zeigt im Rahmen<br />
ihrer Promotionsarbeit<br />
nach umfangreicher<br />
Recherche in einschlägiger<br />
Literatur und Praxis, die sie aus eigener<br />
Beratungstätigkeit kennt, die diesbezüglich<br />
bestehenden Defizite in der Bundesrepublik<br />
auf. In einigen<br />
Nachbarländern sieht es<br />
noch lückenhafter aus:<br />
dort wird, ehrenamtlich<br />
tätige Gruppierungen<br />
ausgenommen, der Beratungsbedarf<br />
kaum wahrgenommen.<br />
So dominieren<br />
bei positivem Befund<br />
in der Lebenspraxis<br />
die gesellschaftlich tief<br />
verwurzelte Ablehnung<br />
und Tabuisierung von<br />
»Behinderung« und eine<br />
ärztlich forcierte Eugenik,<br />
die sich dem Lebensrecht<br />
des Ungeborenen entgegenstellt<br />
und zur Spätabtreibung<br />
mit ihren<br />
Folgen führt.<br />
Bisherigen Konzepten wird eine in<br />
acht Beratungsschritten erfolgende Begleitung<br />
gegenübergestellt. Denn viel zu<br />
häufig rekurrieren beteiligte Ärzte auf<br />
die Selbstbestimmung der Frau, die sich<br />
ihrerseits bei positivem Befund meist<br />
unvorbereitet vor die Entscheidung über<br />
Leben oder Tod ihres Kindes gestellt<br />
sieht. Wenn ihr nicht schon vor der Untersuchung<br />
ausführlich die Brisanz der<br />
PND und deren Konsequenzen beschrieben<br />
werden, bleibt ihre Autonomie angesichts<br />
der »Wissensautorität« vielfach<br />
illusionär. Zudem bilden Ultraschall und<br />
Risikoberechnungen nicht selten<br />
»Scheinrealitäten« ab (»Risikodilemma«),<br />
aus denen fehlerhafte Prognosen hervorgehen.<br />
Es ist ein Feld von Ängsten: für die<br />
Ärzte, die juristische Folgen fürchten, für<br />
die Frauen, die sich nur auf das gesunde<br />
Wunschkind einstellen, aber keine Vorstellung<br />
von den Integrationsmöglichkeiten<br />
behinderter Menschen im Alltag haben<br />
und so nichts von der Chance zur<br />
persönlichen Auseinandersetzung erfahren.<br />
Jüngste Studien stellen deshalb den<br />
»natürlichen« Blick von Hebammen auf<br />
30<br />
Oft allein<br />
gelassen<br />
Schwangerschaft als gesunde Lebensphase<br />
der gynäkologischen Perspektive der<br />
Schwangerschaft als Krankheit gegenüber<br />
(S. 59). Als wichtigstes Ergebnis aller<br />
Studien stellt sich<br />
die Stärkung der<br />
Entscheidungskompetenz<br />
der<br />
Frau dar, ethische<br />
und religiöse Perspektiven<br />
sowie<br />
psychische und partnerschaftliche Konsequenzen<br />
inbegriffen.<br />
Am Beispiel Berlin wird die Versorgungssituation<br />
qualitativ und quantitativ<br />
untersucht und das existierende<br />
Defizit an Beratungshilfe<br />
belegt. Aus<br />
den Interviews der Autorin<br />
mit Gynäkologen/Beraterinnen<br />
geht<br />
hervor, dass das Lebensrecht<br />
des Kindes nicht<br />
thematisiert wird (S. 289).<br />
Keine der interviewten<br />
Frauen und Experten geht<br />
auf die ethischen Aspekte<br />
der Entscheidung »Leben<br />
oder Tod« ein. Vielmehr<br />
wird im Fall der »medizinischen<br />
Indikation« innerhalb<br />
des Regelkreises<br />
Gynäkologe-Humangenetiker<br />
Verantwortung oft<br />
hin und her verschoben, bis sie letztlich<br />
der betroffenen Frau aufgelastet wird.<br />
Doch diese findet aus ihrer dramatischen<br />
Situation nur schwer heraus, wenn sie<br />
nicht durch Partner, Freundinnen, Kontakte<br />
zu Selbsthilfegruppen und kompetente<br />
Beratung gestützt wird. Daher sollten<br />
sich »Patientinnenautonomie und<br />
ärztliche Fachkompetenz (...) ergänzen«<br />
(S. 320), möglichst angstfrei und so, »dass<br />
das Kind nicht unter den Tisch fällt«.<br />
Könnte nicht eine gesetzlich verpflichtende<br />
psychosoziale Beratung bereits vor<br />
Inanspruchnahme jeglicher pränataler<br />
Diagnostik zu einer Stärkung der Kompetenz<br />
der Frauen führen? Eine neue<br />
»Scheinlösung« nach dem Muster der<br />
Regelung des § 218 wäre damit nicht<br />
automatisch vorgezeichnet. Denn unabhängig<br />
davon steht die gesellschaftliche<br />
und persönliche Klärung der Frage an:<br />
Was ist der Mensch?<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Erika Feldhaus-Plumin<br />
Versorgung und Beratung zu Pränataldiagnostik<br />
Göttingen <strong>2005</strong>. 342 Seiten. 39,90 EUR.<br />
Im Schaufenster<br />
Anerkennung, Ethik<br />
und Behinderung<br />
In den Kontroversen<br />
über die Chancen und<br />
Risiken der modernen<br />
Medizin ist neben der<br />
ethischen und rechtlichen<br />
Zulässigkeit der<br />
jeweiligen Verfahren<br />
auch die Veränderung von sozialen Werten,<br />
Normen und Weltbildern von erheblicher Bedeutung.<br />
In dem vorliegenden Sammelband<br />
stellen die Autoren den mit den Möglichkeiten<br />
der modernen Medizin verbundenen kulturellen<br />
Wandel in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen.<br />
Aus ethischer, rechtlicher, medizinischer,<br />
sozial- und kulturwissenschaftlicher<br />
Sicht thematisieren sie die Folgen, welche<br />
medizin-technische Verfahren wie die Pränatale<br />
Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik<br />
(PID) für die gesellschaftliche Anerkennung<br />
insbesondere von Menschen mit<br />
Behinderungen haben. reh<br />
Sigrid Graumann, Katrin Grüber (Hrsg.): Anerkennung,<br />
Ethik und Behinderung. Reihe: Mensch <strong>–</strong> Ethik <strong>–</strong><br />
Wissenschaft, Band 2. LIT Verlag. Münster <strong>2005</strong>.<br />
223 Seiten. 19,90 EUR.<br />
»Euthanasie«<br />
im NS-Staat<br />
In »›Euthanasie‹ im NS-<br />
Staat« beschreibt der<br />
Journalist Ernst Klee<br />
(Jahrgang 1942) erstmals<br />
umfassend und<br />
detailliert die als »Geheime<br />
Reichssache« bis<br />
1945 durchgeführte Massentötung von alten,<br />
kranken oder aus anderen Gründen für »lebensunwert«<br />
erklärten Menschen. Dabei zeigt<br />
Klee, dass auch nach dem von Hitler aufgrund<br />
von Protesten der Bevölkerung offiziell verhängten<br />
Euthanasie-Stopp, die Massenvernichtung,<br />
wenn auch besser getarnt, so doch<br />
unvermindert weiter ging. Ermordet wurden<br />
die als »unbrauchbar« erachteten Bürger nun<br />
durch Unterbringung in unbeheizten Anstalten,<br />
durch Nahrungsentzug oder durch Überdosierung<br />
von Medikamenten.<br />
Als Grundlage für die Darstellung der Greuel<br />
in der Zeit des Nationalsozialismus dienen<br />
dem Autor unter anderem bisher unbekannte<br />
Text- und Bilddokumente aus den Archiven<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
der Bundesrepublik, der ehemaligen DDR, aus<br />
Österreich, Polen sowie der früheren UdSSR,<br />
die er in über zwei Jahren andauernden Recherchen<br />
zusammengetragen hat. Fassungslos<br />
macht die Lektüre von Klees Buch aber auch<br />
aus einem anderen Grund. Denn vor dem<br />
Hintergrund dieser historischen Erfahrungen<br />
ist es kaum nachvollziehbar, dass hilfs- und<br />
pflegebedürftige Menschen heute erneut unter<br />
dem Gesichtspunkt von Kosten-Nutzen-<br />
Kalkulationen betrachtet und behandelt werden.<br />
reh<br />
Ernst Klee: »Euthanasie« im NS-Staat. Die »Vernichtung<br />
lebensunwerten Lebens«. Fischer Taschenbuch<br />
Verlag, Frankfurt am Main 2004. 11. Auflage.<br />
503 Seiten. 12,90 EUR.<br />
Das Klonen von<br />
Menschen<br />
Trotz der Anfang des<br />
Jahres verabschiedeten<br />
Deklaration der Vereinten<br />
Nationen, mit der<br />
die Staaten aufgefordert<br />
werden, in ihren nationalen<br />
Gesetzen jede<br />
Form des Klonen von Menschen zu verbieten,<br />
ist die Debatte um Zulassung des Klonens<br />
von Menschen zu Forschungszwecken neu<br />
entfacht. Vor diesem Hintergrund ist das im<br />
vergangenen Jahr erschienene Werk des Juristen<br />
Jens Kersten, in dem er für ein umfassendes<br />
Klonverbot plädiert, von immenser<br />
Aktualität. Das Verbot jeglichen Klonens, das<br />
auch das Klonen menschlicher Embryonen zu<br />
therapeutischen, wissenschaftlichen und diagnostischen<br />
Zwecken umfasst, begründet der<br />
Autor mit der Pflicht jeglicher Hoheitsgewalt<br />
zur Daseinvorsorge künftiger Menschen, die<br />
er eindrucksvoll aus den Präambeln des Grundgesetzes,<br />
der Grundrechte-Charta der Europäischen<br />
Union und der Charta der Vereinten<br />
Nationen herleitet. Sowohl der einzelne Staat<br />
als auch supranationale Gewalten seien verpflichtet,<br />
für den Schutz der Subjektqualität<br />
des einzelnen zu sorgen, auf deren Grundlage<br />
auch Prinzipien wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />
beruhten.<br />
Auf bestechende Weise widerlegt der Autor<br />
zudem die Argumente, die in der aktuellen<br />
Debatte von interessierter Seite gegen Kriterien<br />
wie Spezies, Potentialität, Kontinuität<br />
und Identität vorgebracht werden. Allein der<br />
Preis dieses so wichtigen Werkes stimmt<br />
traurig. reh<br />
Jens Kersten: »Das Klonen von Menschen«. Eine<br />
verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Kritik.<br />
Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2004. 679 Seiten.<br />
Gebunden 129,- EUR.<br />
Stand in früheren Zeiten die Frage<br />
im Vordergrund, wohin der Tod<br />
uns führen wird, also die nach<br />
einem Leben post mortem, einem vitam<br />
aeternam, überwiegt<br />
heute in der<br />
Medienwelt und<br />
der breiten Öffentlichkeit<br />
offenbar<br />
die nach einer<br />
»Zivilkultur des<br />
Tötens«. Die Sterbekultur früherer Jahrhunderte,<br />
die euthanasia interior, nahm<br />
die Angst vor einem jähen und<br />
»unversehenen« Ende auf und wünschte<br />
sich einen wohl bedachten<br />
und durchdachten<br />
Übergang. Man wollte<br />
bereit, vorbereitet sein.<br />
Das ist in unserer Zeit<br />
des »menschenwürdigen<br />
Sterbens« (Hans Küng,<br />
Walter Jens) anders geworden.<br />
Nicht Schicksalsmächte,<br />
nicht Gott<br />
bestimmen das Ende, es<br />
ist der Mensch in seiner<br />
Autonomie. Ein würdevolles<br />
Sterben ist demnach<br />
ein schmerzfreies,<br />
möglichst ohne Atemnot<br />
und vor allem ein punktuelles.<br />
Wir wollen »freiwillig<br />
sterben«, und zwar<br />
an einem von uns bestimmten Datum.<br />
Unser Tod wird als »Exit« und in »Dignitas«<br />
arrangiert, <strong>–</strong> zwei Begriffe, nach<br />
denen sich Sterbehilfeverbände in der<br />
Schweiz benennen.<br />
Die zahlreichen Marktanbieter agieren<br />
eifrig nicht nur in unseren Nachbarländern,<br />
der Niederlande und Belgien, sondern<br />
international und weltweit als World<br />
Federation of Right-to-Die Societies. Sie<br />
werben auch vor unseren Türen unter<br />
anderem als Deutsche Gesellschaft für<br />
Humanes Sterben (DGHS) und Humanistischer<br />
Verband Deutschlands (HVD).<br />
Angeboten werden diverse Strategien der<br />
Beihilfe und Mittel zum punktuellen Tod.<br />
Diskutiert wird in der Niederlande derzeit<br />
über die freie Zulassung der »Pille von<br />
Drion«, einer Selbsttötungspille für alle<br />
Menschen über 70, die ein Vizepräsident<br />
der niederländischen Ärztekammer dort<br />
bereits vor zehn Jahren gefordert hatte.<br />
Mediziner, Krankenpfleger und Sterbehelfer<br />
können sich in dieser Gedankenfolge<br />
als »Autonomie-Erfüllungsgehilfen«<br />
empfinden, ob sie nun den Stecker oder<br />
den Schlauch, über den die Ernährung<br />
erfolgt, herausziehen oder die Todesspritze<br />
setzen; natürlich immer im »besten<br />
Zivilkultur<br />
»Sterbehilfe?«<br />
Interesse« des Kranken oder eines (nur)<br />
Lebensmüden und gemäß seinem<br />
»mutmaßlichen Willen«. Dann ist die<br />
Grenze zwischen »passiver« und »aktiver«,<br />
»direkter«<br />
und »indirekter«<br />
Sterbehilfe aufgehoben:<br />
denn man<br />
beabsichtigt den<br />
Tod. Zu Zeiten<br />
begrenzter Finanzen<br />
und Personalabbaus im Gesundheitswesen<br />
vielleicht ein nicht allzu fern liegender<br />
Gedanke.<br />
Hinter dem Pathos der Patienten-<br />
Autonomie und hinter<br />
der Fiktion seines<br />
»mutmaßlichen Willens«<br />
kann sich de facto<br />
die vorsätzliche tödliche<br />
Gewalt gegen andere<br />
verbergen: Mit der<br />
Angst vor Schmerz und<br />
Würdelosigkeit wird<br />
gehandelt, die »selbstbestimmte«<br />
Patientenverfügung<br />
als Gegenmaßnahme<br />
propagiert<br />
und diese zum Dokument<br />
für die Tötungserlaubnis<br />
stilisiert. Das<br />
geschieht auch in manchem<br />
Hospiz. Leider.<br />
Die weltweit angestrebte<br />
Anerkennung eines »Rechts auf Sterben«<br />
würde sich, so die Befürchtung, in der<br />
Praxis zu einem Ausnahme-Recht auf<br />
Mord verkehren.<br />
Der Sterbehilfetod bietet sich unter<br />
Metaphern an. Aus dem Sterben wird ein<br />
kurzer selbstbestimmter »Schritt«. Der<br />
»gute Tod« nimmt Punktform an, Sterben<br />
wird auf den Punkt gebracht: »Es kommt<br />
zum Tod, ich komme zum Tod, nicht er<br />
zu mir« (S. 87). Verkauft wird der Tod,<br />
der das Sterben unterschlägt.<br />
Über die ethischen Probleme der Sterbehilfe<br />
in Theorie und Praxis legt die<br />
Lektüre ein Bündel von Perspektiven vor.<br />
Gut lesbar und empfehlenswert.<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Bioskop-AutorenInnenkollektiv<br />
»Sterbehilfe«. Die neue Zivilkultur des Tötens?<br />
Frankfurt a. M. 2002. 96 Seiten. 14,90 EUR.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 31
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis verbis<br />
»<br />
Zweifellos beginnt menschliches Leben mit<br />
der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.«<br />
Der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle, der<br />
mit embryonalen Stammzellen getöteter<br />
Embryonen forscht, im Interview der Zeitung<br />
»Die Welt«.<br />
»<br />
Für mich ist der Mord, der bei einer<br />
Abtreibung geschieht, schwerwiegender<br />
als der Mord an einem Erwachsenen.«<br />
Der Vorsitzende der Philippinischen Bischofskonferenz,<br />
Erzbischof Fernando Capalla von Davao,<br />
in einem Radiokommentar.<br />
»<br />
Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit.«<br />
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,<br />
Karl Kardinal Lehmann, über die dem<br />
Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht<br />
auferlegte Pflicht zur Überprüfung der gesetzlichen<br />
Bestimmung zur Abtreibung.<br />
»<br />
Es ist offensichtlich, dass es auf Seiten der<br />
USA (...) keine Intention gab, neue Rechte<br />
(...) zu schaffen, darunter eines auf Abtreibung.<br />
Durch die Auseinandersetzung zeigte<br />
sich, dass Kanada und einige europäische<br />
Staaten die damaligen Erklärungen zur<br />
Interpretation eines internationalen Rechtes<br />
auf Abtreibung verwenden wollten. (...) Wir<br />
sind sehr froh, dass so viele andere Regierungen<br />
ihre Übereinstimmung mit unserer<br />
Position signalisiert haben.«<br />
Tops & Flops<br />
Der »Schutz des menschlichen<br />
Lebens von der Empfängnis<br />
an bis zum natürlichen<br />
Tod« soll in der Verfassung<br />
des Fürstentums Liechtenstein verankert<br />
werden. Dafür sprach sich Erbprinz<br />
Alois von und zu Liechtenstein<br />
bei der Eröffnung des Landtags Mitte<br />
April in Vaduz aus.<br />
»Bei der Frage, ob<br />
menschliches Leben<br />
getötet werden<br />
darf, um anderem<br />
menschlichen Leben<br />
mehr Freiheit,<br />
Selbstbestimmung<br />
oder materiellen<br />
Wohlstand zu ermöglichen,<br />
wird die<br />
Erbrpinz Alois von und zu<br />
Liechtenstein<br />
Abwägung eindeutig in Richtung Schutz<br />
des menschlichen Lebens und Einschränkung<br />
von Freiheit und Selbstbestimmung<br />
gehen müssen«, erklärte der Erbprinz.<br />
Obwohl im Fürstentum Liechtenstein<br />
»Angriffe auf ungeborenes menschliches<br />
Leben unter Strafe« stehen, gebe es Bemühungen<br />
um eine Fristenlösung, sagte<br />
der Erbprinz. Er forderte die Abgeordneten<br />
auf, darüber nachzudenken, »wie<br />
einer ungewollt schwangeren Mutter besser<br />
geholfen werden kann, wie kinderreiche<br />
Familien durch den Staat besser geschützt<br />
werden können und wie ein Altern<br />
und Sterben in Würde durch Pflegeeinrichtungen,<br />
Schulung von Pflegepersonal,<br />
Hospizkarenz und andere Hilfen erleichtert<br />
werden kann«. sb<br />
WWW.FUERSTENHAUS.LI<br />
Der an der tödlich verlaufenden<br />
Nervenkrankenheit<br />
ALS leidende Maler Jörg<br />
Immendorff hat sich in<br />
China Zellen aus dem Gewebe abgetriebener<br />
Kinder ins Hirn spritzen lassen.<br />
Laut Presseberichten ließ sich der 59-<br />
jährige Düsseldorfer Kunstprofessor im<br />
Pekinger West-Berge-Krankenhaus zwei<br />
Millionen Nasenzellen von abgetriebenen<br />
Kindern an zwei Stellen ins Gehirn spritzen.<br />
Dort praktiziert der Neurochirurg<br />
Huang Hongyun weltweit als einziger<br />
das sowohl unethische als auch medizinisch<br />
umstrittene Verfahren.<br />
Bei ALS (Amyotrophischer Lateralsklerose)<br />
werden die Neuronen zerstört,<br />
was zur schrittweisen Lähmung des ganzen<br />
Körpers führt, bis<br />
am Ende auch die<br />
Atmung aussetzt.<br />
Immendorff hofft<br />
den Berichten zufolge<br />
nun, dass die<br />
Nasenzellen der<br />
abgetriebenen Kinder<br />
die beschädigten<br />
Nervenzellen<br />
wiederherstellen<br />
Prof. Jörg Immendorf<br />
und den Selbstheilungsmechanismus aktivieren.<br />
Der Maler hatte erst nach vollendeter<br />
Operation den ihn in Deutschland<br />
behandelnden Arzt Thomas Meyer von<br />
der Berliner Charité informiert. Tatsächlich<br />
hält Meyer das Vorgehen des chinesischen<br />
Kollegen denn auch für »unseriös<br />
und unethisch«.<br />
reh<br />
ARCHIV<br />
US-Botschafterin Ellen Sauerbrey Anfang März<br />
auf der Konferenz der Frauenkommission der<br />
Vereinten Nationen in New York, die die<br />
Ergebnisse der Weltfrauenkonferenz in Peking<br />
von 1995 überprüfte.<br />
»<br />
Frankenstein-Report«<br />
Die britische Labour-Abgeordnete Geraldine<br />
Smith über einen Bericht des Ausschusses für<br />
Wissenschaft und Technik des britischen Unterhauses,<br />
der empfiehlt, Eltern künftig das Recht<br />
einzuräumen, Kinder, die nach künstlicher Befruchtung<br />
entstanden sind, nach deren Geschlecht<br />
zu selektieren.<br />
32<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong>
Aus dem Netz gefischt<br />
»Hier wird der Besucher mit der<br />
traurigen Realität konfrontiert.«<br />
www.dasleuchterfeuer.de <strong>–</strong> so lautet<br />
die Domain einer den Besuch lohnenden<br />
Internetplattform für Frauen im Schwangerschafskonflikt.<br />
Die ansprechend gestaltete<br />
Homepage bietet nicht nur eine<br />
Notruf-Hotline an, die an sieben Tagen<br />
in der Woche rund um die Uhr durch<br />
geschulte Beraterinnen besetzt ist, sondern<br />
auch verschiedene Foren, in denen<br />
betroffene Frauen sich untereinander<br />
austauschen können. Wo besonders sensible<br />
Themen behandelt werden, wie etwa<br />
Familienleben nach einer Abtreibung, ist<br />
eine Registrierung für die Teilnahme<br />
erforderlich. Ansonsten sind die Foren<br />
offen. Laut Hans Leicher, der zusammen<br />
mit Ute Stummeyer »Das Leuchtfeuer«<br />
im Juni 2001 als Bürgerinitiative gründete,<br />
greifen mittlerweile »sogar Beratungsstellen<br />
aus dem ganzen Bundesgebiet« auf<br />
die Hotline zurück.<br />
Angeboten wird eine wertungsfreie,<br />
nicht konfessionell gebundene und zeitlich<br />
unbegrenzte Beratung, Begleitung bei<br />
www.dasleuchtfeuer.de<br />
»Deutschland. Das von morgen« (2)<br />
Millionen von Jugendlichen, die<br />
nach dem Tod Johannes Pauls II. nach<br />
Rom reisten, um von dem Jahrhundert-<br />
Papst Abschied zu nehmen, haben Politik<br />
und Wirtschaft in Angst und<br />
Schrecken versetzt. Schlagartig wurde<br />
den Staats- und Unternehmenslenkern<br />
bewusst, dass es in Deutschland an<br />
Angeboten für die Wähler und Konsumenten<br />
von morgen mangelt. Nun<br />
hagelt es Sofort-Maßnahmen: Telekom-Chef<br />
Kai Ricke soll sich bereits<br />
beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,<br />
Karl Kardinal Lehmann,<br />
erkundigt haben, mit wem die<br />
Telekom im Vatikan über die Rechte<br />
an geistlichem Liedgut verhandeln könne.<br />
Gerüchten zufolge will der Konzern<br />
Amtsgängen und Gesprächen, persönliche<br />
Begleitung, Betreuung und Unterstützung<br />
während und nach der Schwangerschaft.<br />
Falls gewünscht könne die Beratung aber<br />
auch »gerne glaubensorientiert und mit<br />
seelsorgerischem Ansatz« erfolgen.<br />
Aber auch für diejenigen, die vor allem<br />
Aufklärungsarbeit leisten, ist ein Besuch<br />
der Seite sicher lohnend. Zwar finden<br />
sich hier nur wenige Daten und Fakten,<br />
dafür gibt es aber eine ganze Menge<br />
persönlicher Zeugnisse. Statt mit »Werbung<br />
für Abtreibung« á la Pro familia<br />
(»nicht schlimmer als beim Zahnarzt«)<br />
wird der Besucher hier mit der traurigen<br />
Realität Betroffener konfrontiert. Auch<br />
für Lehrer, die das Thema »Abtreibung«<br />
im Unterricht behandeln, ist die Plattform<br />
www.dasleuchterfeuer.de sicher einen<br />
Klick wert.<br />
reh<br />
zum Weltjugendtag eine Kollektion<br />
neuer Klingeltöne für Mobiltelefone<br />
auf den Merkt bringen. Ganz oben auf<br />
der Liste stünden »Großer Gott wir<br />
loben Dich« und das »Salve Regina«.<br />
Bundeskanzler Gerhard Schröder soll<br />
beim Bundespräsidialamt angefragt<br />
haben, ob er seinem Amtseid die Formel<br />
»So wahr mir Gott helfe« auch<br />
noch nachträglich anhängen könne.<br />
Und FDP-Chef Guido Westerwelle<br />
hat dem Vernehmen nach im kleinen<br />
Kreis durchblicken lassen, dass er sich<br />
selbst eine Verkürzung der Frist, bis<br />
zu der Frauen straffrei und rechtswidrig<br />
abtreiben können, nun vorstellen könne.<br />
Im Gespräch seien 11 1/2 statt wie<br />
bislang 12 Wochen. Stefan Rehder<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
Ärzte lehnen Euthanasie ab<br />
Laut einer von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführten<br />
repräsentativen Umfrage sind nur<br />
10 Prozent der Ärzte in Deutschland bereit,<br />
bei der Tötung auf Verlangen zu assistieren.<br />
Danach lehnt ein Drittel der Ärzte jede Form<br />
der Sterbehilfe oder ihre Vorbereitung generell<br />
ab. 67 Prozent können sich lediglich vorstellen,<br />
auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten hin<br />
lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen,<br />
wenn durch diese nur der Todeseintritt<br />
verzögert, die Krankheit aber nicht mehr aufgehalten<br />
werden könne. Bei den Versicherten<br />
zeichnet die Umfrage ein abweichendes Bild.<br />
Zwar plädieren auch dort zwei Drittel der Befragten<br />
für das Unterlassen lebensverlängernder<br />
Maßnahmen. Allerdings lehnen nur 9 Prozent<br />
sowohl die aktive als auch passive Sterbehilfe<br />
generell ab. 45 Prozent finden, dass<br />
Ärzte bei der Selbsttötung des Patienten assistieren<br />
können sollten.<br />
reh<br />
Kirche will Lebensrechtler stützen<br />
Der Präsident des Päpstlichen Rates »Justitia<br />
et Pax«, Renato Kardinal Martino, hat die<br />
nationalen Bischofskonferenzen zu einer stärkeren<br />
Unterstützung<br />
der<br />
Lebensrechtsbewegungen<br />
in<br />
ihren Ländern<br />
aufgerufen.<br />
Während einer<br />
Konferenz anlässlich<br />
des<br />
vierzigsten<br />
Jahrestages<br />
der Verabschiedung<br />
der<br />
Renato Kardinal Martino<br />
Pastoralkonsitution über die Kirche in der<br />
Welt von heute (»Gaudium et Spes«) erklärte<br />
Martino, hätte der Heilige Stuhl bei den Weltkonferenzen<br />
der Vereinten Nationen 1994 in<br />
Kairo (Bevölkerung) und 1995 in Peking (Frauen)<br />
nicht so eng mit den Nichtregierungsorganisationen<br />
zusammengearbeitet, dann hätte er<br />
nicht erreicht, dass alle Anstrengungen scheiterten,<br />
die ein »Recht auf Abtreibung« in die<br />
Abschlussdokumente hineinschreiben wollten.<br />
Kardinal Martino vertrat sechzehn Jahre lang<br />
den Heiligen Stuhl bei den Vereinten Nationen<br />
in New York, bevor er 2002 die Nachfolge des<br />
verstorbenen vietnamesischen Kardinals van<br />
Thuan als Präsident des Rates für Frieden und<br />
Gerechtigkeit übernahm. In seiner Ansprache<br />
wies Martino auch darauf hin, dass der enge<br />
Schulterschluss von Bischöfen und Pro-Life-<br />
Bewegung in den Vereinigten Staaten von<br />
Amerika bereits sichtbare Früchte und eine<br />
Verbesserung des Lebensschutzes gebracht<br />
habe.<br />
reh<br />
ARCHIV<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong> 33
LESERFORUM<br />
Gratulation<br />
Kompliment, Kompliment: gefällt mir<br />
ausgesprochen gut: Übersichtlich, klar,<br />
ansprechend und hat Stil. Gratuliere zum<br />
neuen <strong>LebensForum</strong>.<br />
Markus Reder, Würzburg<br />
Ausgebremst<br />
Ich finde die Aufmachung sehr viel<br />
eindringlicher und übersichtlicher, wobei<br />
der Inhalt meines Erachtens nach wie vor<br />
das Wichtigste ist. Besonders angesprochen<br />
haben mich die Beiträge von Veronika<br />
Blasel und Hubert Hecker sowie die<br />
Buchbesprechung von Stefan Rehder und<br />
Christoph Kardinal Schönborn<br />
die Rubrik »Kurz vor Schluss«. Dass der<br />
Vorstoß der Jugend für das Leben in<br />
Salzburg ausgerechnet durch den Erzbischof<br />
von Wien, Christoph Kardinal<br />
Schönborn, kritisiert wird, erinnert mich<br />
34<br />
ARCHIV<br />
»Die Entwicklungen in den Niederlanden<br />
sollten jenen eine Lehre sein, die hierzulande<br />
eine Legalisierung der Euthanasie<br />
fordern! Erst waren es im Sterben liegende<br />
Patienten, dann ›lebensmüde‹ Menschen,<br />
nun sollen es Kinder sein, die ohne ihre<br />
Einwilligung getötet werden. Die Legalisierung<br />
der aktiven Sterbehilfe in unserem<br />
Nachbarland 1998 war ein Dammbruch,<br />
der nicht mehr aufzuhalten ist.«<br />
Mira Steinhauer, Kerpen<br />
zum Artikel »Das Groningen-Protokoll«<br />
fatal an die Zeit des Kirchenkampfes in<br />
Bayern während des Dritten Reiches, als<br />
Pater Rupert Mayer immer wieder vom<br />
damals ranghöchsten Kirchenvertreter<br />
Michael Kardinal von Faulhaber unschön<br />
ausgebremst wurde, weil dieser <strong>–</strong> und das<br />
ist die Parallele <strong>–</strong> auch partout glaubte,<br />
man könne mit den fanatischen Nationalsozialisten<br />
reden und verhandeln. Ich<br />
glaube, Kardinal von Faulhaber hat zu<br />
spät erkannt, dass ein von Anfang an<br />
entschiedenes Auftreten gegen die offenkundigen<br />
Gesetzesbrüche der Nazis die<br />
bessere Alternative gewesen wäre, zumindest<br />
aber die glaubwürdigere.<br />
Konrad Raab (per E-Mail)<br />
Ungeheuerliches<br />
Das <strong>LebensForum</strong> Nr. 73 ist wieder<br />
hervorragend! Danke für Ihre unermüdliche<br />
und mutige Arbeit. Beim Lesen des<br />
Artikels »Lernziel Sex« stockte mir der<br />
Atem, so ungeheuerliche Dinge musste<br />
ich da erfahren. Ich kann mir auch vorstellen,<br />
dass der Ministerpräsident von<br />
Hessen, Roland Koch, an den Schulen<br />
seines Landes derartige Aktionen nicht<br />
dulden wird.<br />
Gotthard Kleß, Wembach/Schwarzwald<br />
Betrüblicher Jargon<br />
Leider verfallen Sie inhaltlich in einen<br />
betrüblichen Jargon. An etlichen Stellen<br />
bezeichnen Sie die <strong>ALfA</strong>-Mitglieder und<br />
andere Engagierte als »Lebensrechtler«.<br />
Merken Sie nicht, wie Sie uns alle hierdurch<br />
in eine sektiererische Ecke stellen?<br />
Gerne bin ich <strong>ALfA</strong>-Mitglied; aber auf<br />
keinen Fall will ich »Lebensrechtler«<br />
sein. Das ist ein schlimmes Eigentor.<br />
Dieter Emmerling, Hagen-Holthausen<br />
Prophetisch<br />
Mit größtem Gewinn habe ich das<br />
letzte <strong>LebensForum</strong> in den denkwürdigen<br />
Wochen zwischen dem Tod von Papst<br />
Johannes Paul II. und der Amtseinführung<br />
von Papst Benedikt XVI. gelesen. Dass<br />
Sie in Rocco Buttiglione jetzt einen unbestechlichen<br />
(Laien-)Propheten der Gegenwart<br />
für ein Interview gewinnen konnten,<br />
begeistert mich. Dieser politische<br />
Philosoph bündelt und deutet die Schicksalsfragen<br />
Europas. Philosophisch in<br />
Hochform und politisch mitten in der<br />
Arena antwortet Buttiglione auf Ihre<br />
Frage: »Lohnt es überhaupt noch, sich<br />
für den Lebensschutz einzusetzen?« unter<br />
anderem mit einem leidenschaftlichen<br />
Appell, der die Vernetzung der schlafenden<br />
Mehrheit Europas fordert. In der<br />
nächsten Zeit entscheidet sich langfristig<br />
Steht für Werte ein: EU-Minister Rocco Buttiglione<br />
die Zukunft Europas. Moralisches Handeln<br />
ist dabei unerlässlich, weshalb Buttiglione<br />
an die Tugenden erinnert. Aber<br />
auf der Ebene der politischen Mitgestaltung<br />
ist jetzt Vernetzung notwendig; erst<br />
durch sie lässt sich der sichtbare politische<br />
Raum noch erschüttern. Wir müssen<br />
leider mehr öffentlich streiten, mit hörbaren<br />
Stellungnahmen, in der Mitte der<br />
»civil society«. Wer die fundamentalen<br />
Werte Europas retten will, darf den demokratischen<br />
Ringkampf nicht scheuen.<br />
Die demokratisch gewählten Parlamente<br />
sind aus sich heraus zur Zeit alleine nicht<br />
in der Lage sind, das Erbe und die Zukunft<br />
Europas zu sichern.<br />
Domvikar Dr. theol. Andreas Frick, Bonn<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>74</strong><br />
EUROPAPARLAMENT
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
LEBENSFORUM<br />
Ausgabe Nr. <strong>74</strong>, 2. Quartal <strong>2005</strong><br />
ISSN 0945-4586<br />
Verlag<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
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Herausgeber<br />
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Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />
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Redaktion<br />
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das Leben im Beitrag enthalten)<br />
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Institut Konto.-Nr. BLZ<br />
Datum, Unterschrift
Gescheitert<br />
Der Europarat sagt noch einmal »Nein« zur<br />
Euthanasie: Die Ablehnung des Berichts des<br />
Schweizers Dick Marty kommt einer<br />
gewonnenen Schlacht gleich. Der Ausgang<br />
des »Krieges« bleibt offen.<br />
Von Stephan Baier<br />
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />
Deutsche Post AG (DPAG)<br />
Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />
Bleibt klar bei seinem Nein: Der Europarat in Straßburg.<br />
Alle Versuche, den Europarat von<br />
seinem bisherigen strikten Nein<br />
zur Euthanasie abzubringen, sind<br />
vorerst gescheitert. Der liberale Schweizer<br />
Abgeordnete Dick Marty hatte sich drei<br />
Jahre lang hartnäckig bemüht, der »Entkriminalisierung<br />
der Euthanasie« über<br />
den 46 Staaten umfassenden Europarat<br />
einen Weg zu bahnen, doch scheiterte er<br />
am 27. April damit in der Parlamentarischen<br />
Versammlung des Europarates in<br />
Straßburg. 138 Abgeordnete lehnten den<br />
Marty-Bericht unter dem Titel »Begleitung<br />
von Patienten am Lebensende« ab,<br />
während nur 26 für ihn votierten. Nicht<br />
nur entschiedene Euthanasie-Gegner<br />
stimmten am Ende gegen Marty, sondern<br />
auch leidenschaftliche Befürworter der<br />
aktiven Euthanasie: Eine knappe Mehrheit<br />
hatte zuvor in 71 Änderungsanträgen<br />
Martys Text grundlegend verändert.<br />
Vorerst bleibt der Europarat also bei<br />
seiner Empfehlung 1418 aus dem Jahr<br />
1999, in der betont wurde, »dass der<br />
Sterbewunsch einer todkranken beziehungsweise<br />
sterbenden Person selbst keine<br />
gesetzmäßige Rechtfertigung darstellen<br />
kann, Handlungen auszuüben, mit<br />
denen die Herbeiführung des Todes beabsichtigt<br />
ist«. Das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Kranken und Sterbenden schließe<br />
nicht das Recht ein, Zeitpunkt und<br />
Art des eigenen Todes zu wählen. Eben<br />
dies hatte Marty zu untergraben versucht.<br />
So schrieb er in der Begründung seines<br />
Berichts: »Das Hauptargument für die<br />
Euthanasie und ihre<br />
Entkriminalisierung<br />
bezieht sich auf die<br />
Selbstbestimmung und<br />
Autonomie der Person:<br />
Jedes Individuum<br />
hat das Recht, Entscheidungen<br />
bezüglich<br />
seines eigenen Lebens<br />
und Todes zu treffen,<br />
in Übereinstimmung<br />
mit seinen eigenen<br />
Werten und seinem<br />
Glauben«.<br />
Es habe einen Wandel<br />
in der sozialen Bewertung<br />
des Suizids<br />
gegeben, »der einst<br />
von den zivilen Behörden<br />
als Verbrechen<br />
und von der Kirche als<br />
Sünde bewertet wurde«,<br />
so Marty. Auch die »Legalisierung«<br />
der Abtreibung diente ihm als Argument<br />
für die »Entkriminalisierung« der Euthanasie.<br />
In dem Bericht findet sich die höchst<br />
fragwürdige, weil zumindest doppeldeutige<br />
Forderung, »die Euthanasie davor<br />
zu bewahren, sich wegen gesetzlicher<br />
Unsicherheiten und überholter Normen<br />
in einer Hülle der Geheimhaltung zu<br />
entfalten«.<br />
In dem nun vorgelegten und abgelehnten<br />
Bericht hatte Marty jede direkte Empfehlung<br />
zugunsten der Euthanasie bereits<br />
vermieden. Er wusste aus seinem ersten<br />
gescheiterten Anlauf, dass »die kulturellen<br />
und religiösen Unterschiede in Europa«<br />
WWW:COE.INT<br />
»Sterbewunsch rechtfertigt nicht<br />
die Herbeiführung des Todes.«<br />
zu groß sind, um im Europarat »sofort«<br />
zu einer einheitlichen, für alle annehmbaren<br />
Lösung zu kommen. In seinem<br />
ursprünglichen »Euthanasie«-Bericht<br />
(damals noch nicht unter getarntem Titel)<br />
hatte Marty gepredigt: »Niemand hat das<br />
Recht, einem todkranken oder sterbenden<br />
Menschen die Pflicht aufzuerlegen, sein<br />
Leben unter unerträglichen Qualen fortzusetzen,<br />
wenn er selbst beharrlich den<br />
Wunsch geäußert hat, es zu beenden.«<br />
Solch ungeschminkte Euthanasie-Propaganda<br />
und das Bekenntnis zum niederländischen<br />
und belgischen Vorbild kosteten<br />
den liberalen Schweizer im Vorjahr jede<br />
Chance auf Zustimmung des Europarats.<br />
Doch auch seine Strategie der kleinen<br />
Schritte, also der Versuch mit einem entschärften<br />
und vorsichtigeren Bericht unter<br />
falschem Titel eine Kurskorrektur im<br />
Europarat herbeizuführen, wurde von<br />
Gegnern der aktiven Sterbehilfe durchschaut.<br />
Die konservative britische Parlamentarierin<br />
Jill Baroness of Collingtree<br />
nannte den Bericht schrecklich. Ärzte<br />
müssten davor geschützt werden, Tötungshandlungen<br />
vornehmen zu müssen.<br />
Die ganze Gesellschaft drohe Schaden<br />
zu nehmen. Behindertenverbände und<br />
Kirchenvertreter hatten bis zuletzt an die<br />
Mitglieder des Europarats appelliert, an<br />
der Ablehnung der Euthanasie festzuhalten.<br />
Es sei zu befürchten, dass die Hemmschwelle<br />
gegenüber »Mitleidstötungen«<br />
weiter sinke. Diese Kräfte dürfen die<br />
Straßburger Abstimmung nun als Sieg<br />
feiern, sollten aber nicht den Fehler machen,<br />
den Krieg um die Euthanasie für<br />
gewonnen zu halten.