ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 75 3/2005
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Nr. <strong>75</strong> | 3. Quartal <strong>2005</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />
B 42890<br />
LEBENSFORUM<br />
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />
Europa<br />
Eizellen werden<br />
zur Handelsware<br />
Medizin<br />
Ethisch fährt besser:<br />
Adulte Stammzellen<br />
Gesellschaft<br />
Kongress der<br />
<strong>ALfA</strong> in Fulda<br />
Heiko, heute 24 Jahre alt Ulf, heute 18 Jahre alt Mario, heute 15 Jahre alt Tanja, heute 22 Jahre alt Kerstin, heute 11 Jahre alt<br />
Susanne, heute 30 Jahre alt Sandra, heute 3 Jahre alt Christina, heute 16 Jahre alt Heiko, heute 24 Jahre alt Heiko, heute 24 Jahre alt<br />
Wir wurden abgetrieben!<br />
Heiko, heute 24 Jahre alt Heiko, heute 24 Jahre alt Anette, heute 8 Jahre alt Yvonne, heute 14 Jahre alt Lukas, heute 8 Monate alt<br />
Vor zehn Jahren wurde der § 218 zum vorläufig letzten Mal geändert. Die Bilanz: Mehr als 2,5 Millionen vorgeburtliche Kindstötungen.<br />
Peter, heute 17 Jahre alt Sonja, heute 12 Jahre alt Heinz, heute 23 Jahre alt Patrick, heute 3 Jahre alt Ruth, heute 27 Jahre alt<br />
Silke, heute 14 Jahre alt Thorsten, heute 18 Jahre alt Moritz, heute 5 Jahre alt Lisa, heute 15 Jahre alt Henning, heute 17 Jahre alt<br />
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
INHALT<br />
LEBENSFORUM <strong>75</strong><br />
EDITORIAL<br />
Die Revolution frisst ihre Kinder 3<br />
Dr. med. Claudia Kaminski<br />
TITEL<br />
Ein Volk stirbt im Mutterleib 4<br />
Tobias B. Ottmar<br />
»Befruchtung ist Zufall« 9<br />
Interview mit Harry Walter<br />
AUSLAND<br />
Respekt vor dem Leben 11<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
EUROPA<br />
enschliche Embryonen und Vermeidung und Behandlung von Unfruchtbarkeit<br />
voranzutreiben noch den ich nichts sehen will, sehe ich auch<br />
Vorbild für Deutschland hinstelle: »Wenn<br />
12 - 15<br />
Eizellen als Handelsware? Im<br />
Dezember 2004 schreckten Forderungen nach einem Klonverbot und nichts«, kritisiert Liese die halbherzige<br />
dubiose Geschäfte zwischen Großbritannien<br />
und Rumänien die europäische Öfschung<br />
an menschlichen embryonalen rest, wo ihre Abgesandten keine Unregel-<br />
dem Ausschluss der Förderung von For-<br />
Kontrollmission der HFEA nach Bukafentlichkeit<br />
auf. Die von dem israelischen Stammzellen aus dem 7. EU- mäßigkeiten in der »Global Art«-Klinik<br />
Mediziner Ilya Barr betriebene Bukarester Forschungsrahmen-programm. Letzteres entdecken konnten <strong>–</strong> ganz im Gegensatz<br />
»Global Art«-Klinik <strong>–</strong> sie gehört mit der wollten die Koalitionsfraktionen im Deutschen<br />
Bundestag am Tag<br />
zur BBC und zu anderen Medien, die<br />
ebenfalls in Bukarest ansässigen Klinik<br />
»Global Med Rom« zu Barrs nach der Göttinger Rede<br />
»International Fertility Medical Center« von Bundeskanzler Gerhard<br />
mit Kunden in den USA, in Europa und Schröder wohl nicht mehr<br />
Asien und einer Muttergesellschaft auf mittragen, weshalb sie am<br />
den Jungferninseln <strong>–</strong> hatte auf britische 15. Juni in letzter Minute<br />
Bestellungen hin einen schwunghaften eine geänderte Vorlage in<br />
Handel mit Embryonen und Eizellen den federführenden Bun-<br />
aufgebaut: Junge Rumäninnen ließen sich destags-Gesundheits-<br />
ausschuss einbrachten, die<br />
gegen einen vergleichsweise geringen<br />
Geldbetrag <strong>–</strong> nach Medienberichten <strong>–</strong> dann auch vom Plenum<br />
insgesamt ca. 3000 Eizellen entnehmen, gebilligt wurde.<br />
die dann mit tiefgefroren aus Großbritannien<br />
importiertem Sperma künstlich befruchtet<br />
wurden. Die so erzeugten mehr Frage sei erlaubt: Woher<br />
Dabei liegt der Zusammenhang<br />
zwischen Eizellhandel<br />
und Stammzellforschung<br />
auf der Hand:<br />
»Wenn ich nichts sehen will,<br />
Eizellen sind der Rohstoff<br />
für die Technik des Klonens,<br />
deren Zulassung auch<br />
sehe ich auch nichts.«<br />
Der EU-Abgeordneter Peter Liese (CDU)<br />
in Deutschland Gerhard<br />
Schröder in Göttingen das<br />
Wort geredet hatte. Die<br />
als 1000 Embryonen wurden wiederum sollen die vielen Eizellen<br />
tiefgefroren und mit mutmaßlich erheblichem<br />
Gewinn an die Besteller im Ver-<br />
Klonversuche benötigt<br />
kommen, die für weitere<br />
einigten Königreich geliefert. Dieser werden? Diesen Zusammenhang<br />
sieht auch die<br />
Skandal rief das Europäische Parlament<br />
auf den Plan, das am 10. März <strong>2005</strong> eine Europaabgeordnete Hiltrud<br />
Entschließung verabschiedete, in der es Breyer (Grüne), Mitinitiatorin<br />
der Entschließung des<br />
Europaabgeordnete Hiltrud Breyer, Grüne<br />
»jeglichen Handel mit menschlichen Körpern<br />
und Teilen davon« verurteilte und Europäischen Parlaments. Nach ihrer nach zwei Tagen Recherche schon mehrere<br />
Frauen gefunden hatten, die Opfer<br />
daran erinnerte, dass die Mitgliedstaaten Meinung diene der aktuelle Konflikt um<br />
gemäß Art. 12 Abs. 1 der EU-Gewebe- die EU-Finanzierung »verbrauchender« der zweifelhaften Geschäfte geworden<br />
Richtlinie 2004/23/EG »danach zu streben<br />
haben, freiwillige und unentgeltliche extrem geringen Anteils am Gesamtbetrag Misstrauen gegenüber der britischen Be-<br />
Embryonenforschung angesichts deren waren. Breyer nennt folglich auch das<br />
Spenden von Geweben und Zellen <strong>–</strong> für das 6. Forschungs-Rahmenprogramm<br />
bezifferte ihn der zuständige den Erfolg der Resolution des Europäihörde<br />
HFEA als wichtigen Grund für<br />
sicherzustellen«. Weiterhin gab das Europäische<br />
Parlament seiner Auffassung<br />
schen Parlaments, denn in dem »Global<br />
Ausdruck, dass die Aktivitäten der »Global<br />
Art«-Skandal habe die HFEA versagt<br />
Art«-Klinik in Rumänien und ähnlicher<br />
und den Import der Embryonen nach<br />
Eizellen: heiß begehrt<br />
Einrichtungen »als gewerbliche Tätigkeit »Einer der größten Skandale<br />
Großbritannien ausdrücklich gebilligt.<br />
betrachtet werden können und daher<br />
inakzeptabel sind«. Inzwischen schloss des neuen Jahrtausends.«<br />
Grund genug also für die britische<br />
Menschliches Erbgut ist in Gestalt von Ei- und Samenzellen zur internationalen<br />
sich auch der Deutsche Bundestag in einer Die slowakische EU-Abgeordnete Anna Záborská Pro-Life-Organisation »Comment on<br />
am 30. Juni <strong>2005</strong> verabschiedeten Entschließung<br />
diesen Forderungen des Eu-<br />
(www.corethics.org), sich auf einer<br />
Reproductive Ethics«<br />
Handelsware geworden. Vor allem Frauen aus Osteuropa drohen Opfer der neuen<br />
»biotechnologischen Sklaverei« zu werden. Grund genug für die britische Pro-Life-<br />
ropäischen Parlaments an und verlangte Forschungskommissar Janez Potocnik Konferenz im Europäischen Parlament<br />
gleichfalls ein Verbot des Handels mit auf 0,0002 Prozent <strong>–</strong> dazu, in allen Mitgliedstaaten<br />
die Tür zur Forschung an Thema »Eizellhandel und die Ausbeutung<br />
in Brüssel mit dem überaus brisanten<br />
Organisation »CORE« sich auf einer Konferenz mit dem brisanten Thema »Eizellhandel<br />
Eizellen. Den weitergehenden anderen<br />
und die Ausbeutung von Frauen« zu befassen.<br />
Forderungen des Europäischen Parlaments<br />
in seiner Resolution vom 10. März Kollege Peter Liese (EVP-ED) verweist nehmer aus ganz Europa, darunter Ver-<br />
embryonalen Stammzellen zu öffnen. Ihr von Frauen« zu befassen. Etwa 60 Teil-<br />
Von Assessor iur. Christian Poplutz<br />
<strong>2005</strong> mochte sich der Bundestag indes auf das Versagen der britischen Behörde treter von Frauen- und Pro-Lifenicht<br />
anschließen, weder der Forderung, HFEA (Human Fertility and Embryology Organisationen ebenso wie Angehörige<br />
die Entwicklung von Alternativen zur Authority), welche Schröder immer als der EU-Organe, kamen zu der Veranstal-<br />
12 <strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong><br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 13<br />
Ei- und Samenzellen sind zu internationalen Handelswaren geworden.<br />
M<br />
ARCHIV<br />
EUROPA<br />
Eizellen: heiß begehrt 12<br />
Assessor iur. Christian Poplutz<br />
MEDIZIN<br />
Die Zukunft gehört adulten Stammzellen 16<br />
Matthias Lochner<br />
4 - 8<br />
Immer mehr Frauen treiben<br />
ihre Kinder ab, doch die<br />
Politiker wollen den § 218<br />
nicht anfassen.<br />
MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />
BDV künftig in Fulda 21<br />
Cornelia Kaminski<br />
GESELLSCHAFT<br />
»Heute ihr, morgen wir?« 22<br />
Cornelia Kaminski<br />
»Vorsicht Falle!« 25<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
BÜCHERFORUM 30<br />
KURZ VOR SCHLUSS 32<br />
LESERFORUM 34<br />
IMPRESSUM 35<br />
LETZTE SEITE 36<br />
2<br />
Politiker wie Gerhard Schröder<br />
fordern für Deutschland die<br />
Forschung an Embryonen. Dabei<br />
wird das Potenzial adulter<br />
Stammzellen völlig unterschätzt.<br />
16 - 20<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong><br />
REHDER MEDIENAGENTUR
EDITORIAL<br />
9 -10<br />
Harry Walter managte Anfang der 70er Jahre die<br />
so genannte »Pro-218-Kampagne«. <strong>LebensForum</strong><br />
sprach mit ihm über die Kampagne.<br />
25 - 29<br />
GESELLSCHAFT<br />
Die Reproduktionsmedizin fordert von Staat und Gesellschaft die Beseitigung von »Nebenwirkungen«,<br />
die es ohne sie gar nicht gäbe. Kritische Anmerkungen zu der Diskussionsveranstaltung »Kinderwunsch<br />
in der Krise« der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Ende Juni in Berlin, auf<br />
der eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes gefordert wurde.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
I<br />
mmer mehr Menschen leiden<br />
ernsthaft unter Kinderlosigkeit. In<br />
der Mehrzahl der Fälle sind die<br />
Ursachen dafür jedoch keineswegs pathologischer,<br />
sondern vielmehr sozialer Natur.<br />
Nicht zuletzt ein als »modern« apostrophierter<br />
Lebensstil sorgt heute dafür,<br />
dass die Zahl derer, die kinderlos bleiben,<br />
weiter zunimmt. Denn viele Paare warten<br />
mit der Verwirklichung eines »vorläufig«<br />
zurückgestellten Kinderwunsches de facto<br />
so lange, bis es dafür auf natürlichem<br />
Wege zu spät ist. Immer häufiger fallen<br />
auf diese Weise die »fruchtbaren Jahre«<br />
vieler Frauen einer linear verlaufenden<br />
»Vorsicht Falle!«<br />
Lebensplanung zum Opfer, bei der die<br />
gleichzeitig erfolgende Ausbildung beider<br />
Partner und der Einstieg in die jeweiligen<br />
beruflichen Karrieren im Vordergrund<br />
stehen. So hat sich die Zahl der Frauen,<br />
die erst nach dem 30. Lebensjahr ihren<br />
Kinderwunsch verwirklichen wollen, in<br />
den letzten zehn Jahren verdoppelt. Mehr<br />
als 10 Prozent der neugeborenen Kinder<br />
haben bereits heute eine Mutter, die bei<br />
der Geburt älter als 35 Jahre ist; Tendenz<br />
steigend.<br />
Dass eine solche Lebensplanung nicht<br />
ausschließlich von dem Wunsch nach<br />
»Selbstverwirklichung« gespeist wird,<br />
sondern etwa auch durch die Angst vor<br />
»Verarmung« <strong>–</strong> bei Frauen vor allem<br />
aufgrund der gravierenden Benachteiligung<br />
Erziehungsarbeit leistender gegenüber<br />
Erwerbsarbeit leistender Frauen bei<br />
der Altervorsorge sowie bei Männern,<br />
die im Falle einer Scheidung für erstere<br />
naturgemäß umfänglicher zur Kasse gebeten<br />
werden <strong>–</strong> begünstigt wird, sei der<br />
Vollständigkeit halber erwähnt, kann aber<br />
nicht näher behandelt werden.<br />
Wichtig ist hier die Tatsache, dass sich<br />
die Reproduktionsmedizin mit ihrem<br />
Angebot, Kinder im Labor zu erzeugen,<br />
heute keineswegs mehr nur an die über-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 25<br />
Kritische Anmerkungen zu der DGGG-Veranstaltung<br />
»Kinderwunsch in der Krise« Ende<br />
Juni in Berlin.<br />
WWW.TOGETHERFORLIFE.CA<br />
Die Revolution<br />
frisst ihre Kinder<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
vor zehn Jahren hat der Gesetzgeber<br />
zum letzten Mal Hand an den Paragrafen<br />
218 gelegt. Das Ziel: Die Zahl der vorgeburtlichen<br />
Kindstötungen spürbar zu<br />
verringern. Das Ergebnis: Mehr als 2,5<br />
Millionen Abtreibungen binnen nur eines<br />
Jahrzehnts. Das entspricht der Einwohnerzahl<br />
eines ganzen Bundeslandes von<br />
der Größe Sachsen-Anhalts.<br />
Sicher ist das »demografische« nicht<br />
das stärkste Argument, das sich gegen<br />
Abtreibung anführen lässt. Aber es müsste<br />
jenen zu denken geben, die trotz erdrückender<br />
Fakten immer noch nicht akzeptieren<br />
wollen, dass Menschen mit der<br />
Verschmelzung von<br />
Ei- und Samenzelle<br />
entstehen und ihr<br />
Leben daher auch ab<br />
diesem Zeitpunkt geschützt<br />
werden muss.<br />
Dass der Gesetzgeber<br />
sich seit Jahren<br />
weigert, diesen Schutz<br />
wirksam zu gestalten, hat weit reichende<br />
Folgen, wie Tobias-B. Ottmar in der<br />
Titelgeschichte dieser Ausgabe aufzeigt<br />
(vgl. S. 4ff.). Weite Teile der Bevölkerung<br />
besitzen überhaupt kein Unrechtsbewusstsein<br />
mehr. Der mangelhafte Schutz,<br />
den ungeborene Kinder hier und anderswo<br />
erfahren, hat Konsequenzen, die weit<br />
über den Mutterleib hinausreichen und<br />
betrifft ungeborene wie geborene Menschen<br />
gleichermaßen. Wie Christian Poplutz<br />
(vgl. S. 12ff.) offen legt, drohen vor<br />
allem Frauen aus Osteuropa Opfer einer<br />
»biotechnologischen Sklaverei« zu werden.<br />
Angesichts des biomedizinischen<br />
Wettrüstens sind Eizellen zu einem knappen<br />
Gut geworden, das von Stammzellund<br />
Klonforschern sowie von Reproduktionsmedizinern<br />
heiß begehrt wird. Schon<br />
jetzt hat die Ausbeutung von Frauen als<br />
Eizell-Lieferantinnen bedrohliche Ausmaße<br />
angenommen. Und dies, obwohl<br />
die ethisch unbedenkliche Forschung mit<br />
adulten Stammzellen, für die weder Embryonen<br />
noch Eizellen benötigt werden,<br />
»Frauen werden Opfer einer<br />
biotechnologischen Sklaverei.«<br />
der embryonalen<br />
Stammzellforschung<br />
auch medizinisch überlegen<br />
ist. Wie Matthias<br />
Lochner zeigt (vgl. S.<br />
16ff.), werden adulte<br />
Stammzellen nicht nur<br />
auf verschiedenen Gebieten<br />
der Medizin bereits<br />
erfolgreich eingesetzt.<br />
Auch für die Bekämpfung<br />
bislang unheilbarer<br />
Krankheiten<br />
scheinen sie deutlich geeigneter zu sein,<br />
als embryonale Stammzellen, die dazu<br />
neigen, Tumore auszubilden.<br />
Wie die embryonale Stammzellforschung<br />
gebiert auch die künstliche Befruchtung<br />
Probleme, die es ohne sie nicht<br />
gäbe. Am dramatischsten zeigt sich dies<br />
beim Fetozid, der bei »Übererfolg« als<br />
»Therapie« zur »Reduktion von Mehrlingsschwangerschaften«<br />
betrachtet wird.<br />
Hinter diesem Fachchinesisch verbirgt<br />
sich nichts anderes<br />
als die Tötung eines<br />
Drillings oder auch<br />
Zwillings im Laufe<br />
der Schwangerschaft.<br />
Als Lebensrechtler<br />
begrüßen wir, dass<br />
sich die Deutsche<br />
Gesellschaft für Gynäkologie<br />
und Geburtshilfe (DGGG)<br />
diesem Problem nun stellt. Doch hat die<br />
»Lösung«, welche der DGGG vorschwebt,<br />
gleiche mehrere »Haken«. Ohne<br />
»Produktion« so genannter überzähliger<br />
Embryonen und ihrer anschließenden<br />
Selektion sowie einer Aufweichung des<br />
Embryonenschutzes ist sie nicht zu haben,<br />
wie der daher mit »Vorsicht Falle« treffend<br />
überschriebene Beitrag von Stefan<br />
Rehder zeigt (vgl. S. 25ff.).<br />
Dass <strong>LebensForum</strong> auch Erfreuliches<br />
nicht verschweigt, belegt in dieser Ausgabe<br />
nicht nur Cornelia Kaminski, die<br />
ausführlich über den 1. Lebensrechtskongress<br />
der <strong>ALfA</strong> in Fulda berichtet. Eine<br />
nicht nur interessante, sondern auch frohe<br />
Lektüre wünscht daher<br />
Ihre<br />
Claudia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />
des Bundesverbandes Lebensrecht<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 3
TITEL<br />
Ein Volk stirbt im<br />
Mutterleib<br />
Vor zehn Jahren legte der Gesetzgeber zum letzten Mal Hand an den Paragrafen 218. Die Folgen sind<br />
katastrophal: Statt die Zahl der vorgeburtlichen Kindstötungen zu verringern, treiben Frauen immer<br />
häufiger ab. In weiten Teilen der Bevölkerung schwindet zudem das Bewusstsein, dass Abtreibung ein<br />
schweres Unrecht darstellt. Doch trotz des offenkundigen Scheiterns der Reform wollen nur wenige<br />
Politiker daran noch einmal etwas ändern.<br />
Von Tobias-B. Ottmar<br />
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass<br />
Abtreibung in Deutschland<br />
unter bestimmten Bedingungen<br />
straffrei gestellt wurde. Vor zehn<br />
Jahren, am 29. Juni 1995, verabschiedete<br />
der Deutsche Bundestag die bislang letzte<br />
Änderung am Paragrafen 218: Damals<br />
beschlossen die Parlamentarier das<br />
»Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz«,<br />
das am 1. Oktober desselben<br />
Jahres in Kraft treten sollte. Die seitherige<br />
Bilanz ist erschreckend: Allein<br />
nach Angaben des Statistischen Bundesamtes<br />
in Wiesbaden wurden seit 1995 in<br />
der Bundesrepublik rund 1,3 Millionen<br />
Kinder abgetrieben. Das Bundesinstitut<br />
für Bevölkerungsforschung (BiB) geht<br />
dagegen von höheren Zahlen aus. Nach<br />
Einschätzung des BiB werden von der<br />
offiziellen Statistik nur rund 60 Prozent<br />
der tatsächlich durchgeführten Abtreibungen<br />
erfasst. Demnach hätte Deutschland<br />
bereits für die Jahre von 1995 bis<br />
2004 de facto mehr als zwei Millionen<br />
4<br />
Kinder durch Abtreibungen verloren.<br />
Dabei sollten sämtliche Änderungen des<br />
Paragrafen 218 eigentlich den Lebensschutz<br />
verbessern und die Abtreibungen<br />
verringern. Doch das Gegenteil ist geschehen.<br />
Der Osnabrücker Sozialwissenschaftler<br />
Manfred Spieker kommt nach<br />
eingehenden Untersuchungen der Mängel<br />
bei der Erfassung von vorgeburtlichen<br />
Kindstötungen gar zu dem Schluss, dass<br />
»seit der faktischen Freigabe der Abtreibung«<br />
im Jahr 1974 »rund acht Millionen<br />
Kinder getötet« wurden (vgl. <strong>LebensForum</strong><br />
Nr. 70).<br />
Damit nicht genug: Heute werden fast<br />
90 Prozent der Abtreibungen aus Steuergeldern<br />
finanziert <strong>–</strong> im Jahr sind das mehr<br />
als vierzig Millionen Euro (vgl. Lebens-<br />
Forum Nr. 68). Geld, mit dem zum Beispiel<br />
das Kindergeld jeden Monat für<br />
mehr als 20.000 Kinder um 150 Euro<br />
erhöht werden könnte.<br />
Laut einer von dem <strong>Magazin</strong> »chrismon«<br />
in Auftrag gegebenen repräsentativen<br />
EMNID-Umfrage vom Juni dieses<br />
Jahres glauben 49 Prozent der Bundesbürger,<br />
die in Deutschland geltende Gesetze<br />
erlaubten Abtreibungen bis zum<br />
dritten Monat ohne jede Einschränkung.<br />
Unter den 14- bis 29jährigen sitzen diesem<br />
Irrtum sogar 63 Prozent der Bundesbürger<br />
auf. Dagegen wussten nur 28 Prozent,<br />
dass Abtreibungen grundsätzlich<br />
gegen das Gesetz verstoßen, aber unter<br />
bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft<br />
werden. »Die Ergebnisse zeigen<br />
unmissverständlich das Scheitern der<br />
Reform des § 218 von 1995 auf. Offensichtlich<br />
ist es dem Gesetzgeber nicht<br />
gelungen, mit diesem Gesetz einer Mehrheit<br />
der Bundesbürger zu vermitteln, dass<br />
die vorgeburtliche Kindstötung eine<br />
rechtswidrige Tat ist, auf deren Bestrafung<br />
der Gesetzgeber nach Beratung verzichtet«,<br />
kommentierte die Bundesvorsitzende<br />
der Aktion Lebensrecht für Alle<br />
(<strong>ALfA</strong>), Claudia Kaminski, die Umfrage.<br />
Sie forderte die im Bundestag vertretenen<br />
Parteien auf, nach Neuwahlen dafür zu<br />
sorgen, dass das neue Parlament unver-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
züglich die vom Bundesverfassungsgericht<br />
verfügte Nachbesserungspflicht in Angriff<br />
nimmt. Es könne nicht sein, dass die<br />
Parlamentarier weiter den offenkundigen<br />
Handlungsbedarf ignorieren, der sich<br />
angesichts unverändert hoher Abtreibungszahlen,<br />
eines flächendeckenden<br />
Netzes von Abtreibungseinrichtungen,<br />
der Finanzierung von Abtreibungen aus<br />
Steuergeldern über die Länderhaushalte<br />
sowie der so genannten »Kind als Schaden«-Rechtsprechung,<br />
aufgestaut habe.<br />
»Denn offensichtlich sind diese Regelungen<br />
und die aus ihnen resultierende<br />
Rechtsprechung der Grund dafür, dass<br />
das Unrechtsbewusstsein in weiten Teilen<br />
der Bevölkerung dramatisch geschwunden<br />
ist. Wer sich der Verfassung verpflichtet<br />
weiß, kann hier nicht mehr die Hände in<br />
den Schoß legen«, so Kaminski weiter.<br />
»Das war eine politische Provokation<br />
und kein persönliches Bekenntnis.«<br />
Alice Schwarzer zur Stern-Kampagne von 1971<br />
Die Historie des Paragrafen 218 reicht<br />
freilich weit hinter das Jahr 1995 zurück.<br />
Bereits im Mai 1871 wurde er im Reichsstrafgesetzbuch<br />
festgeschrieben. Allerdings<br />
sah der Paragraf bei einer Abtreibung<br />
eine <strong>–</strong> im Verhältnis zu heute <strong>–</strong><br />
drastische Strafe vor: »Eine Schwangere,<br />
welche vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib<br />
tötet, wird mit Zuchthaus bis zu<br />
fünf Jahren bestraft (...)«, hieß es dort.<br />
Trotz dieser klaren Regelung wurden<br />
Abtreibungen nach medizinischer Indikation<br />
spätestens ab der Jahrhundertwende<br />
nicht nur praktiziert, sondern auch<br />
toleriert. In der Weimarer Republik stand<br />
der Paragraf 218 ununterbrochen in der<br />
politischen Diskussion: KPD und SPD<br />
unternahmen mehrere Versuche das Gesetz<br />
ganz abzuschaffen oder zumindest<br />
eine Fristenregelung bis zum dritten Monat<br />
einzuführen. 1926 wurde unter dem<br />
Eindruck der sich verstärkenden Proteste<br />
die Bewertung der Abtreibung vom Verbrechen<br />
zum Vergehen abgestuft, was<br />
auch eine Milderung der Strafe bedeutete:<br />
Die Mindeststrafe betrug nur noch einen<br />
Tag, oftmals wurde auch ganz auf eine<br />
Freiheitsstrafe verzichtet und lediglich<br />
eine Geldstrafe verhängt. Im Jahr darauf<br />
legalisierte das Reichsgericht durch die<br />
Entscheidung in einem Präzedenzfall die<br />
Abtreibung nach medizinischer Indikation.<br />
Eine Abtreibung sei nicht rechtswidrig<br />
»wenn sie das einzige Mittel ist, um die<br />
Schwangere aus einer gegenwärtigen Gefahr<br />
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung<br />
(...) zu befreien«,<br />
hieß es zur Begründung. Darüber hinaus<br />
gehende Beratungen über eine weitere<br />
Reform des Paragrafen 218 wurden 1932<br />
unterbrochen. Unter den Nationalsozialisten<br />
wurde diese Debatte zunächst auch<br />
nicht mehr weitergeführt. Der Grund:<br />
Die Nazis bewerteten Abtreibungen<br />
höchst unterschiedlich, nämlich danach,<br />
welcher Zweck sich mit ihren verfolgen<br />
ließe: So erlaubte etwa das Erbgesundheitsgesetz<br />
eine Abtreibung ausdrücklich<br />
»zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses«.<br />
Eine am 9. März 1943 erlassene<br />
Verordnung stellte dagegen die Abtreibung<br />
unter Strafe; der entsprechende<br />
Paragraf sah eine Gefängnis- oder sogar<br />
Zuchthausstrafe vor. Für den Fall, dass<br />
»der Täter dadurch die Lebenskraft des<br />
deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt<br />
(hat)«, wurde gar die Todesstrafe<br />
angedroht. Die Abtreibungsgesetzgebung<br />
der Nationalsozialisten war allerdings<br />
nicht auf den Lebensschutz ausgerichtet,<br />
sondern als Mittel zu Erlangung von<br />
eugenischen, rassistischen und bevölkerungspolitischen<br />
Ziele konzipiert.<br />
Aber auch nach Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges blieb die Abtreibungsgesetzgebung<br />
in den drei Westzonen diffus.<br />
Einheitlich war lediglich der Verzicht auf<br />
Strafe bei Abtreibungen nach medizinischer<br />
Indikation. Ansonsten galt in den<br />
meisten Bundesländern wieder der Paragraf<br />
218, so wie er vor der Schreckensherrschaft<br />
der Nazis bestanden hatte. In<br />
der Sowjetischen Besatzungszone wurde<br />
die Abtreibung sowohl nach medizinischer<br />
als auch kriminologischer Indikation straffrei<br />
gestellt. Die sächsischen, thüringischen<br />
und mecklenburgischen Gesetze<br />
gestatteten darüber hinaus eine Abtreibung<br />
nach sozialer Indikation. In den<br />
Westzonen spielte dagegen die kriminologische<br />
Indikation lange Zeit in der<br />
»Die Bilanz des Gesetzes ist ein<br />
trauriges Kapitel für unser Land.«<br />
Dorothea Dehn, KALEB e.V.<br />
ohnehin sehr ruhig gewordenen Diskussion<br />
praktisch keine Rolle <strong>–</strong> vorrangig,<br />
weil sie sich statistisch als irrelevant erwies.<br />
Erst gegen Ende der fünfziger und Anfang<br />
der sechziger Jahre rückte das Thema<br />
»Abtreibung« wieder stärker in das öffentliche<br />
Bewusstsein. Anlass war der<br />
Wunsch, die kriminologische Indikation<br />
in das Strafrecht der Bundesrepublik einzuführen.<br />
Nach knapp vierjähriger Debatte<br />
sprach sich die große Strafrechtskommission<br />
schließlich für eine solche<br />
Einführung aus.<br />
Unter dem Eindruck der 68er-<br />
Bewegung und verschiedener feministischer<br />
Organisationen wuchs gegen Ende<br />
der sechziger Jahre der Druck auf die<br />
Politik, den Paragrafen 218 zu ändern.<br />
Die Selbstbezichtigungskampagne 1971<br />
in der Illustrierten »Stern«, bei der 374<br />
Frauen öffentlich behaupteten eine (illegale)<br />
Abtreibung vorgenommen zu haben,<br />
sorgte für den Durchbruch. Initiiert wurde<br />
diese Kampagne allerdings nicht vom<br />
»Stern«, sondern von Angehörigen verschiedener<br />
Feministinnengruppen und<br />
Prominenten wie Alice Schwarzer. Die<br />
gab unlängst in einem Interview mit der<br />
»Weltwoche« zu, dass »einige« der 374<br />
Frauen und auch sie selbst, anders als auf<br />
dem »Stern«-Cover behauptet, nie abgetrieben<br />
haben. »Aber ich hätte es getan,<br />
wenn nötig« so Schwarzer, die die Kampagne<br />
heute als »politische Provokation«<br />
und nicht als »persönliches Bekenntnis«<br />
verstanden wissen will.<br />
Nahezu zeitgleich mit der sich nun in<br />
Westdeutschland verschärfenden Debatte<br />
wurde in der DDR 1972 eine Fristenre-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 5
TITEL<br />
gelung von zwölf Wochen verabschiedet.<br />
Und auch in Westdeutschland liefen die<br />
medienwirksamen Aktionen bis zur Verabschiedung<br />
des Gesetzes weiter <strong>–</strong> aus<br />
Sicht der Abtreibungsbefürworter mit<br />
Erfolg: Am 26. April 1974 beschloss der<br />
Deutsche Bundestag mit den Stimmen<br />
von SPD und FDP die Fristenregelung.<br />
Fast 200 Abgeordnete der Opposition<br />
und der CDU/CSU-regierten Bundesländer<br />
beantragten daraufhin beim Bundesverfassungsgericht<br />
ein Normenkontrollverfahren.<br />
Am 25. Februar 19<strong>75</strong><br />
entschied das höchste deutsche Gericht,<br />
dass die Fristenregelung verfassungswidrig<br />
sei. Fast ein Jahr später <strong>–</strong> am 12. Februar<br />
1976 <strong>–</strong> wurde stattdessen ein Indikationenentwurf<br />
der Koalitionsfraktionen verabschiedet,<br />
der eine sehr weit auslegbare<br />
Regelung und insgesamt vier verschiedene<br />
Indikationen vorsah.<br />
Im Einigungsvertrag von 1990 wurde<br />
der Gesetzgeber verpflichtet, spätestens<br />
bis Ende des Jahres 1992 eine Regelung<br />
zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen<br />
Lebens »besser gewährleistet, als dies in<br />
beiden Teilen Deutschlands derzeit der<br />
Fall ist«. So lange galt in den neuen Bundesländern<br />
die von der DDR 1972 verabschiedete<br />
Fristenregelung. Am 25. Juni<br />
1992 beschloss der Bundestag einen interfraktionellen<br />
Gruppenantrag, der im<br />
Kern eine Fristenregelung mit Beratungspflicht<br />
in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen<br />
vorsah. Gut zwei Wochen<br />
später <strong>–</strong> am 10. Juli <strong>–</strong> stimmte der Bundesrat<br />
dem so genannten »Schwangerenund<br />
Familienhilfeänderungsgesetz« zu.<br />
Aufgrund einer Normenkontrollklage<br />
stoppte das Bundesverfassungsgericht am<br />
4. August mit einer einstweiligen Anordnung<br />
das Inkrafttreten des Gesetzes. Im<br />
Mai 1993 erklärte der zweite Senat des<br />
Kein Mensch? Seit 1995 wurden in Deutschland geschätzte 2,5 Millionen Embryos abgetrieben.<br />
6<br />
Gerichts das Gesetz in wesentlichen Teilen<br />
für verfassungswidrig. Gut zwei Jahre<br />
dauerte es nun, bis das Parlament die<br />
geltenden gesetzlichen Regelungen verabschiedete:<br />
Am 29. Juni 1995 wurde die<br />
vorerst letzte Änderung am Paragrafen<br />
218 vorgenommen. Die bayrische Landesregierung<br />
scheiterte in Karlsruhe mit<br />
einem eigenen Gesetzesentwurf, der nur<br />
auf Landesebene gelten sollte.<br />
Seit der letzten Änderung des Paragrafen<br />
218 zählt Abtreibung zum Alltag von<br />
Kliniken und gynäkologischen Praxen.<br />
Während im einen Kreißsaal Kinder geboren<br />
werden, wird in dem nebenan<br />
gleichzeitig abgetrieben. Und das scheinbar<br />
ganz legal. Statt die Abtreibungszahlen<br />
durch das neue Gesetz zu reduzieren,<br />
stiegen sie in Relation zu den gebärfähigen<br />
Frauen deutlich an. Während sich nämlich<br />
die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter<br />
(15-45 Jahre) von 1996 bis 2003 um rund<br />
eine halbe Million verringert hat, stagnieren<br />
die offiziellen Abtreibungszahlen in<br />
Deutschland seit Jahren um die Marke<br />
von 130.000 (Vgl. <strong>LebensForum</strong> Nr. 72).<br />
Ein Umstand, der die Politiker eigentlich<br />
seit Jahren zum Handeln zwingen<br />
LIFE ISSUES INSTITUTE<br />
»Relativ gesehen haben die<br />
Abtreibungen zugenommen.«<br />
Hessens Wirtschaftsminister Alois Riehl (CDU)<br />
müsste. Doch weil nichts passiert, beklagen<br />
auch andere Lebensrechtsorganisationen<br />
noch ein Jahrzehnt nach der letzten<br />
Reform die geltende Abtreibungsgesetzgebung.<br />
»Die Bilanz des Gesetzes ist<br />
ein trauriges Kapitel für unser Land«, so<br />
die Vorsitzende der Lebensrechtsorganisation<br />
KALEB e.V., Dorothea Dehn. Die<br />
»Christdemokraten für das Leben«<br />
(CDL) halten die Reform des Paragrafen<br />
für eine »ethische und rechtliche Sackgasse«.<br />
»Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
eine Schwangerschaft mit Abtreibung<br />
endet, beträgt heute 10,6 Prozent«, rechnet<br />
deren Bundesvorsitzende Mechthild<br />
Löhr vor und fordert eine Verbesserung<br />
der sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen<br />
für Eltern und Kinder. Walter<br />
Ramm, Vorsitzender der Organisation<br />
»Aktion Leben«, kritisierte den Paragrafen<br />
218 gar als Beschluss zur »Dezimierung<br />
des deutschen Volkes«.<br />
In den Reihen der Bundes- und Landespolitiker<br />
dominieren dagegen eher die<br />
leisen Töne: Die stellvertretende Vorsitzende<br />
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />
Maria Böhmer ließ <strong>LebensForum</strong><br />
wissen, dass man sich in der Union momentan<br />
»auf das Thema Spätabtreibungen<br />
konzentriert« und verwies dabei auf<br />
einen Antrag ihrer Fraktion aus dem<br />
letzten Jahr, der eine strengere Beratungsregelung<br />
für eine Abtreibung nach der<br />
22. Schwangerschaftswoche sowie eine<br />
Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />
vorsah. »Wir haben viele Gespräche mit<br />
Rot-Grün geführt«, so Böhmer. Jedoch<br />
seien diese gescheitert, so dass der Antrag<br />
letztlich abgelehnt wurde. Ob sich die<br />
CDU/CSU-Fraktion im Falle eines<br />
Wahlsiegs bei einer eventuellen vorgezogenen<br />
Bundestagswahl für eine umfassende<br />
Überprüfung des Paragrafen 218 stark<br />
machen würde, müsse man »ausloten«.<br />
Bislang sei dies nicht diskutiert worden.<br />
Bei den Christdemokraten scheint man<br />
offenbar ängstlich darauf bedacht zu sein,<br />
die Thematik mit einem unbedachten<br />
Wort nicht neu aufzurollen. So wollte<br />
der neue Verkehrsminister in Nordrhein-<br />
Westfalen, Oliver Wittke (CDU), zu der<br />
Bilanz gegenüber <strong>LebensForum</strong> keine<br />
Stellungnahme abgeben. Und das, obwohl<br />
er als CDL-Mitglied eigentlich auch in<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
der Öffentlichkeit für den Lebensschutz<br />
eintreten sollte.<br />
Dass es auch anders geht, beweist sein<br />
Amtskollege aus Hessen. Wirtschaftsminister<br />
Alois Rhiel (CDU), ebenfalls Mitglied<br />
der christlich-demokratischen Lebensschutzinitiative,<br />
lässt keinen Zweifel<br />
daran, dass die vergangenen zehn Jahre<br />
seit der letzten Änderung des Paragrafen<br />
218 »keine Erfolgsbilanz für den Lebensschutz«<br />
seien. Er verwies darauf, dass<br />
zwar die »Zahl der jungen Männer und<br />
Frauen im Familiengründungsalter stetig<br />
gesunken ist«, die statistisch erfassten<br />
Abtreibungszahlen aber fast gleich hoch<br />
geblieben seien. »Relativ gesehen haben<br />
die Abtreibungen (...) zugenommen und<br />
nicht, wie in den neunziger Jahren erhofft,<br />
abgenommen«, so der ehemalige Fuldaer<br />
Oberbürgermeister.<br />
Rhiel forderte ein Umdenken der Politik:<br />
»Wir müssen es jungen Männern<br />
und Frauen erleichtern, ›Ja‹ zu sagen zu<br />
einem eigenen Kind, insbesondere in<br />
Konfliktlagen.« Dies gelinge aber nur<br />
mit einer finanziellen, strukturellen und<br />
emotionalen Entlastung. »Wir müssen<br />
Frauen jeden Alters, unabhängig davon,<br />
ob sie erwerbstätig sind oder nicht, ausdrücklich<br />
mehr Respekt und Wertschätzung<br />
für ihre Leistung und Verantwortung<br />
als Mütter entgegenbringen. Dies ist Teil<br />
einer anzustrebenden kinderfreundlichen<br />
›Kultur des Lebens‹«, so der überzeugte<br />
Katholik. Mit solch klaren Positionen<br />
»Das Gesetz ist eindeutig,<br />
eine Klarstellung unnötig.«<br />
Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen<br />
scheint der Wirtschaftsminister jedoch<br />
eine Ausnahmeerscheinung in der politischen<br />
Szene zu sein. Die grüne Bundestagsabgeordnete<br />
Christa Nickels, die auf<br />
dem Feld der Embryonenforschung ganz<br />
ähnliche Positionen vertritt wie die Lebensrechtsbewegung,<br />
wollte sich zu der<br />
Zehn-Jahres-Bilanz ebenfalls nicht äußern.<br />
Allerdings wurde auch von ihrem Büro<br />
auf die Thematik der Spätabtreibungen<br />
verwiesen. Im Hinblick auf eine geforderte<br />
Änderung der medizinischen Indikationsregelung<br />
im Paragrafen 218 heißt es<br />
in einem Brief an verschiedene katholische<br />
Organisationen: »Das Gesetz ist hier<br />
eindeutig formuliert, eine Klarstellung<br />
des gesetzgeberischen Willens unnötig.«<br />
Während die CDU/CSU-Fraktion in<br />
ihrem Gesetzesentwurf eine Beratungspflicht<br />
vorschlug und für eine Bedenkzeit<br />
von mindestens drei Tagen plädierte,<br />
befürworteten die Grünen nur ein Beratungsangebot.<br />
Die Vorsitzende der Stiftung »Ja zum<br />
Leben«, Johanna Gräfin von Westphalen,<br />
nahm Anfang Juli den achten Geburtstag<br />
des »Tim« genannten Oldenburger Babys,<br />
das am 5. Juli seine eigene Abtreibung<br />
überlebte, zum Anlass, ein vollständiges<br />
Verbot von Spätabtreibungen zu fordern.<br />
250.000 gesammelte Unterschriften zeigten,<br />
dass die Bevölkerung hier einen dringenden<br />
Handlungsbedarf sehe. Verschiedene<br />
Fachleute gehen davon aus, dass<br />
bereits heute bis zu 95 Prozent aller Kinder,<br />
bei denen wie bei Tim das Down-<br />
Syndrom diagnostiziert werde, abgetrieben<br />
werden. Nicht selten auch erst kurz<br />
vor der Geburt. Doch nicht einmal in<br />
diesem Punkt gelangten die Fraktionen<br />
zu einem Konsens. Das zeigt klar und<br />
deutlich, wie tief die Gräben verlaufen.<br />
Wenn selbst in der Frage der Verminderung<br />
der Spätabtreibungen keine Einigkeit<br />
erzielt werden kann, dann wohl noch<br />
weniger, wenn es darum geht, die Abtreibungsproblematik<br />
als Gesamtes neu zu<br />
thematisieren.<br />
Einig sind sich die Politiker lediglich<br />
in der Forderung, die Rahmenbedingungen<br />
zu verändern. So hält es etwa Nickels<br />
für besonders wichtig, »dass wir uns verstärkt<br />
um Rahmenbedingungen bemühen<br />
müssen, die das Leben mit einem behinderten<br />
Kind ermöglichen und den Eltern<br />
die Entscheidung für das Kind erleichtern.«<br />
Nach Ansicht des CSU-Bundestagsabgeordneten<br />
Norbert Geis steht<br />
sowohl für seine Fraktion als auch für die<br />
SPD die Familie im Zentrum der Politik.<br />
1.050<br />
in 1.000<br />
Geburten und Sterbefälle<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
1.000<br />
950<br />
900<br />
850<br />
800<br />
Sterbefälle<br />
Geburten<br />
OHNE Abtreibung<br />
<strong>75</strong>0<br />
700<br />
Geburten<br />
1990<br />
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 7
TITEL<br />
Auffällig sei jedoch, so Geis, dass bei der<br />
SPD »die Ehe als bevorzugte Voraussetzung<br />
für die Familie keine Rolle mehr<br />
spielt«. In einem auf dem Bundesparteitag<br />
in Nürnberg verabschiedeten Leitantrag<br />
der Sozialdemokraten heißt es: »Ein<br />
modernes Familienverständnis respektiert<br />
die Vielfalt der Familienformen. Familien<br />
sind: Kinder und ihre verheirateten und<br />
unverheirateten Eltern, Kinder und ihre<br />
alleinerziehenden Mütter oder Väter,<br />
Kinder und ihre Adoptiv-, Stief- oder<br />
Pflegeeltern, Kinder mit Eltern binationaler<br />
und ausländischer Herkunft.« Bei<br />
einem solch diffusen und weitflächigen<br />
Familienbild scheint eine gezielte Verbesserung<br />
der Rahmenbedingungen schwierig.<br />
Doch die Regierungsparteien zeigen<br />
sich wenig einsichtig: Auf der Prioritätenliste<br />
steht der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen<br />
ganz oben, wenn es darum<br />
geht, familienpolitisch etwas zu verändern.<br />
Dass mit der Vorfahrt für Betreuung<br />
statt für Erziehung wirklich familienfreundliche<br />
Politik zu machen ist oder<br />
sich gar die Abtreibungen reduzieren<br />
lassen, darf bezweifelt werden. Doch auch<br />
wer die Hoffnung in Sachen Familienpolitik<br />
allzu sehr auf die Union setzt, wird<br />
möglicherweise enttäuscht werden: Denn<br />
selbst die Union, die sich gerne als »die<br />
Familienpartei« bezeichnet, ist in der<br />
Frage der Familienpolitik gespalten.<br />
Während konservative Politiker wie Geis<br />
Wert darauf legen, auch den Wunsch<br />
vieler Eltern(-teile) zu berücksichtigen,<br />
»Wir müssen bei Gesetzen<br />
einen Familien-TÜV einführen.«<br />
Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU)<br />
die ihre Kinder selbst erziehen wollen,<br />
forcieren eher liberalere CDU-Akteure<br />
wie die hessische Sozialministerin Silke<br />
Lautenschläger ebenfalls den Ausbau von<br />
Kinderhorten, -tagesstätten und Ganztagsschulen<br />
als wichtigstes familienpolitisches<br />
Instrument. Zudem scheint man<br />
sich auch in den Kreisen der Christdemokraten<br />
nicht darüber im Klaren zu sein,<br />
was eine geplante Mehrwertsteuererhöhung<br />
im Falle eines CDU-Wahlsiegs für<br />
die Familien bedeuten würde. Folgerichtig<br />
ist im Hinblick auf dieses Vorhaben<br />
die Kritik des stellvertretenden SPD-<br />
Fraktionsvorsitzenden Joachim Poß, der<br />
betonte, dass durch eine solche Erhöhung<br />
»in jedem Fall kinderreiche Familien, die<br />
ihren Konsum nicht einschränken<br />
8<br />
könnten«, belastet würden. Für Geis ist<br />
gerade die wirtschaftliche Benachteiligung<br />
der Familien ein Grund, dass in der Gesellschaft<br />
der Wunsch steigt, »das eigene<br />
Leben zumindest eine Zeit lang ohne<br />
familiäre Bindung zu gestalten.« Ungeplante<br />
oder gar ungewollte Schwangerschaften<br />
zu akzeptieren, wird so gesehen<br />
vielen sicher nicht leichter gemacht. Zwar<br />
will die Union im Falle einer Machtübernahme<br />
Familien steuerlich entlasten, doch<br />
ob diese Entlastung eine Erhöhung der<br />
Lebenshaltungskosten ausgleichen würde,<br />
ist noch unklar.<br />
Die bayerische Familienministerin<br />
Christa Stewens (CSU) sprach sich in<br />
einem Interview mit dem Deutschlandradio<br />
immerhin für einen »Familien-<br />
TÜV« aus. Bei allen Gesetzgebungen<br />
solle man diese vorher daraufhin abklopfen,<br />
ob sie familien- und kinderverträglich<br />
seien. Im Hinblick auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung<br />
plädierte sie dafür,<br />
»wesentlich höhere Steuerfreibeträge«<br />
für die Familien einzuführen. Eine Politik,<br />
die den Familien erst das Geld auf der<br />
einen Seite wegnehme, um es ihnen dann<br />
auf der anderen Seite als Familienleistungsausgleich<br />
wiederzugeben, lehnt<br />
Stewens ab. Doch die Mutter von sechs<br />
Kindern scheint auch in den Unionsreihen<br />
mit ihrer Position eher eine Minderheit<br />
zu vertreten. Immer noch sieht es so aus,<br />
als ob Familienpolitik in den Parteien als<br />
nebensächlich betrachtet wird, denn als<br />
ein auch in wirtschaftlicher Hinsicht wichtiger<br />
Politikbereich.<br />
Ob eine Verbesserung der wirtschaftlichen<br />
Situation von Familien bereits<br />
ausreicht die Abtreibungen zu senken,<br />
darf bezweifelt werden. Aber wer fordert,<br />
zunächst müssten die Rahmenbedingungen<br />
verändert werden, müsste wenigstens<br />
hier konsequenten Gestaltungswillen an<br />
den Tag legen. Doch auch davon ist die<br />
Politik in Deutschland derzeit weit entfernt.<br />
Der Grund: Viel zu viele betrachten<br />
die vorgeburtliche Kindstötung längst<br />
insgeheim als ein selbstverständliches<br />
Recht. Dies wird selbst in der Sprache<br />
deutlich, die sich spätestens seit der Verabschiedung<br />
der letzten Gesetzesänderung<br />
1995 noch einmal gewandelt hat:<br />
So wird heute üblicherweise die Abtreibung<br />
als „Schwangerschaftsabbruch“ bezeichnet<br />
und die rechtswidrige Tötung<br />
eines Kindes kaschiert, in dem sie auf die<br />
Änderung des körperlichen Zustands der<br />
Frau reduziert wird. Ferner wird von im<br />
Mutterleib heranwachsenden Menschen<br />
als vom »werdenden Leben« gesprochen,<br />
einem ebenso abstrakten wie unsinnigen<br />
Sprachgebilde. Dazu hat nicht zuletzt die<br />
ARCHIV<br />
Finanzierung der Abtreibungen durch<br />
den Staat beigetragen. Da die Allgemeinheit<br />
nirgendwo sonst die bei der Durchführung<br />
eines Vergehens entstehenden<br />
Kosten übernimmt, wird Abtreibung heute<br />
von vielen als staatlich geförderte Methode<br />
zur Verhütung verstanden, denn<br />
als eine Vernichtung eines Menschen.<br />
Die Folge: Abtreibung ist heute die dritthäufigste<br />
Todesursache, auch wenn die<br />
offizielle Statistik dies nicht anerkennt.<br />
»Das Volk stirbt nicht auf der<br />
Straße, sondern im Mutterleib.«<br />
Jeden Tag werden in Deutschland mehr<br />
als doppelt so viele Kinder abgetrieben<br />
als in einem ganzen Jahr im Straßenverkehr<br />
umkommen. Unser Volk stirbt nicht<br />
auf der Straße, sondern im Mutterleib.<br />
Keine Frage, eine derart traurige Zehn-<br />
Jahres-Bilanz vermag zu deprimieren.<br />
Ein Grund zur Aufgabe ist sie aber nicht.<br />
Tag für Tag werden durch den selbstlosen<br />
Einsatz von Lebensrechtlern viele Menschenleben<br />
gerettet, entscheiden sich<br />
Frauen gegen die Tötung ihres Kindes,<br />
wandeln sich Abtreibungsbefürworter<br />
durch Aufklärung in -gegner, werden<br />
Menschen plötzlich nachdenklich. Grund<br />
genug also, sich trotz der ernüchternden<br />
Zahlen weiterhin ohne Unterlass für den<br />
Lebensschutz einzusetzen. Der Kampf<br />
für das Lebensrecht eines jeden ungeborenen<br />
Kindes muss weitergehen. Das sind<br />
wir den unschuldigen und wehrlosen<br />
Kindern schuldig.<br />
IM PORTRAIT<br />
Tobias-Benjamin Ottmar<br />
Der Autor, Jahrgang 1985, studiert an<br />
der FH Gelsenkirchen Journalismus /<br />
Technik-Kommunikation. Neben dem<br />
Studium und der<br />
journalistischen<br />
Tätigkeit für verschiedene<br />
Zeitungen<br />
und <strong>Magazin</strong>e<br />
engagiert er sich in<br />
der »Jugend für das<br />
Leben«, der Jugendorganisation der<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), den<br />
»Christdemokraten für das Leben« (CDL)<br />
und anderen Organisationen für das<br />
Lebensrecht.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
»Befruchtung ist Zufall«<br />
Harry Walter (76) gilt als Begründer der Politik-Beratung in Deutschland. Als Wahlkampfmanager<br />
von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Johannes Rau und anderen hat er jahrzehntelang erheblichen<br />
Einfluss auf Vermarktung und Gestaltung von Politik besessen. Was kaum einer weiß: Walter managte<br />
Anfang der 70er Jahre auch die so genannte »Pro-218-Kampagne«. Für <strong>LebensForum</strong> sprach Tobias-<br />
B. Ottmar mit ihm über die Hintergründe dieser Kampagne, ethische Bedenken und darüber, was er<br />
heute über Abtreibung denkt.<br />
<strong>LebensForum</strong>: Sie gelten als der Organisator<br />
der Pro-218-Kampagne. Was waren die Gründe für<br />
diese Aktion?<br />
Walter: Wir waren damals in einer<br />
Situation, in der eine soziale Ungerechtigkeit<br />
vorherrschte. Schwangere Mädchen,<br />
die sich eine Fahrt in die Niederlande<br />
zu einer Abtreibungsklinik nicht<br />
leisten konnten, mussten in Hinterhofkliniken<br />
abtreiben. Das bedeutete oft eine<br />
große Gefahr für Leib und Leben. Einige<br />
Sozialdemokraten traten nach der Veröffentlichung<br />
der Stern-Titelgeschichte:<br />
»Ich habe abgetrieben« an mich heran,<br />
weil sie diese soziale Ungerechtigkeit<br />
beseitigen wollten.<br />
Wie groß war Ihre persönliche Motivation?<br />
ARCHIV<br />
Zuerst haben wir uns darüber informiert,<br />
wie viele schwangere Frauen in<br />
einer sozialen Notlage waren. Wir bekamen<br />
Zahlen von rund 500.000 genannt,<br />
obwohl dies sicher eine willkürliche Zahl<br />
war. Dann fanden wir Leute, die bestimmte<br />
Zielgruppen ansprechen sollten: Eine<br />
Hebamme wies öffentlich auf das Problem<br />
der illegalen Abtreibungen hin, die oft<br />
zur Unfruchtbarkeit führten. Sie bezeichnete<br />
diesen Umstand als »Zerstörung von<br />
Volkstum«. Eine Gewerkschaftsfrau mit<br />
drei Kindern, die selber nie abgetrieben<br />
hätte, setzte sich auch dafür ein und forderte:<br />
»Man sollte endlich eine vernünftige<br />
Regelung finden!« Schließlich fanden<br />
wir einen Pfarrer der öffentlich sagte,<br />
Welche Reaktionen bekamen Sie für Ihre Kampagne<br />
aus den eigenen Reihen?<br />
Für mich war die Kampagne eine Herzensangelegenheit.<br />
Wir lebten in einer<br />
Zeit, in der Kondome und Pille selten<br />
benutzt wurden. Junge Mädchen waren<br />
gefährdet. Ich empfand es als Sauerei,<br />
dass Geld in diesem Punkt entscheiden<br />
sollte. Der Stern-Artikel war somit ein<br />
guter Aufhänger für uns. So haben wir<br />
die Pro-218-Kampagne gestartet.<br />
Wie sind Sie vorgegangen?<br />
Harry Walter: »Ich muss zugeben, dass ich nicht konsequent bin. Aber man kann nicht immer konsequent sein.«<br />
dass er im Grunde immer gegen Abtreibung<br />
gewesen sei, doch die erschreckenden<br />
Zahlen hätten ihn nachdenklich gemacht.<br />
Inwieweit haben Sie dabei mit organisierten<br />
Feministinnen wie Alice Schwarzer und anderen<br />
zusammengearbeitet?<br />
Ich habe überhaupt nicht mit anderen<br />
Gruppen zusammengearbeitet. Mit der<br />
Person Alice Schwarzer habe ich heute<br />
noch Probleme. Sie redet mir zu viel von<br />
Emanzipation. Echte emanzipierte Frauen<br />
haben es gar nicht nötig darüber zu reden.<br />
Mir kam und kommt es so vor, dass Menschen<br />
wie Schwarzer eher gegen sich<br />
selbst kämpfen als gegen die generelle<br />
Ungleichbehandlung.<br />
Es gab einige Sozialdemokraten die<br />
dagegen waren wie zum Beispiel Willy<br />
Brandt, Dr. Jochen Vogel, Herbert Wehner,<br />
Erhard Eppler und andere. Willy<br />
Brandt, der selbst als uneheliches Kind<br />
zur Welt kam, meinte, dass es ihn bei<br />
einer solchen Abtreibungsregelung, wie<br />
wir sie forderten, »vielleicht gar nicht<br />
gegeben« hätte. Aber trotz der vielen<br />
Gegner habe ich weitergemacht und mir<br />
Prominente gesucht, die mich dabei unterstützen<br />
wie etwa die Schauspieler Vivi<br />
Bach und Dietmar Schönherr sowie einige<br />
Ärzte.<br />
Woher hatten Sie das Geld für die Kampagne?<br />
Wir hatten nicht viel Geld für die<br />
Kampagne, umgerechnet etwa 800.000<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 9
TITEL<br />
Euro. Es war eine richtige Betteltour.<br />
Das Geld kam durch Spenden zusammen,<br />
die wir sammelten. Ich bin heute noch<br />
in vielen Fällen aktiv, ohne dass ich dabei<br />
in erster Linie auf die Höhe meines Honorars<br />
schaue.<br />
Die von Ihnen erwähnte Stern-Veröffentlichung<br />
sorgte selbst bei Abtreibungsbefürwortern<br />
teilweise für Empörung. Wie gingen Sie damit um?<br />
PR für Abtreibung: Die Stern-Story von 1971.<br />
Nach und nach kam mehr Sensibilität<br />
in die Kampagne. Wir wollten das moralische<br />
Gewissen der Menschen ansprechen.<br />
Es ist uns gelungen, dass das Thema<br />
ernsthaft diskutiert wurde.<br />
Die ganze Kampagne stand im Übrigen<br />
nicht alleine, viele Aktionen liefen<br />
außen rum. Unsere »Pro-218-Kampagne«<br />
stand im Kontext zu den Mottos<br />
»Mehr Demokratie wagen« und »Auf zu<br />
neuen Ufern.« Es ging darum, den alten<br />
Mief abzuladen.<br />
Sie haben unter anderem auch eine Kampagne<br />
gegen das Robbenschlachten gemacht. Ist es nicht<br />
grotesk, auf der einen Seite für Robben zu kämpfen<br />
und auf der anderen Seite eine Kampagne für<br />
Abtreibung zu managen?<br />
Von der Logik her haben Sie Recht.<br />
Aber es gibt doch einen Unterschied. Ich<br />
bin Jäger und schieße auch Tiere tot.<br />
Dafür gibt es rationelle Begründungen,<br />
zum Beispiel das kranke Wild auszumerzen.<br />
Dennoch habe ich eine Ehrfurcht<br />
vor Pflanzen, Tieren und Menschen. Ich<br />
kaufe heute keine Schnittblumen mehr.<br />
Abtreibung ist eine schizophrene Angelegenheit.<br />
Das Leben ist vielschichtiger.<br />
Ich muss zugeben, dass ich nicht konsequent<br />
bin. Aber man kann nicht immer<br />
konsequent sein.<br />
10<br />
GRUNER + JAHR<br />
Viele Frauen leiden heute unter dem Post-<br />
Abortion-Syndrom. Ist das nicht ein Argument<br />
gegen die Abtreibung?<br />
Ich weiß, dass es Frauen gibt, die nach<br />
einer Abtreibung psychische Probleme<br />
haben. Aber ich muss auch abwägen, wie<br />
viele Frauen in diese Situation kommen<br />
und wie viele aktuell in einer Notlage<br />
sind. Ich würde auch sofort eine Kampagne<br />
machen: »Treib nicht ab, sondern<br />
leg das Kind in die Klappe (Babyklappe,<br />
Anm. d. Red.).«, wenn ich wüsste, dass<br />
dies den Frauen helfen würde. In manchen<br />
Fällen würde ich klar von einer Abtreibung<br />
abraten. In anderen Fällen aber<br />
eben nicht.<br />
Die Abtreibung hat auch gravierende Folgen<br />
für unsere demografische Entwicklung. Müsste<br />
man angesichts dieses Befundes nicht die geltenden<br />
Regelungen heute selbst dann überprüfen<br />
und gegebenenfalls ändern, wenn man nicht die<br />
Ansicht teilt, dass Abtreibung gegen die Menschenwürde<br />
verstößt?<br />
Ich betrachte nicht die Abtreibung,<br />
sondern Pille und Kondome als die eigentlichen<br />
Probleme für die demografische<br />
Entwicklung. Diese Verhütungsmittel<br />
verhindern schließlich potentielles<br />
Leben.<br />
Aber eine Abtreibung tötet Leben...<br />
Das stimmt. Allerdings muss man bedenken,<br />
dass die Schwangerschaft für<br />
viele junge Mädchen eine Leidenszeit ist.<br />
Ich bin der Ansicht, dass eine Befruchtung<br />
ein Zufall von einer Milliarde möglichen<br />
Zufällen ist. Daher würde ich diesem<br />
Zufall nicht eine solche Bedeutung beimessen.<br />
Noch einmal zurück zur demografischen Schieflage:<br />
Wo sehen sie die Gründe für die schwierige<br />
demografische Situation?<br />
Ich suche die Schuld bei der Politik,<br />
schließlich haben andere Länder mehr<br />
Kinder. Viele Frauen wollen heute lieber<br />
Karriere machen als Kinder kriegen. Das<br />
finde ich schlecht. Geld ist nicht alles.<br />
Ich war damals mit weniger Geld nicht<br />
weniger glücklich als heute. Im Gegenteil:<br />
Heute habe ich mehr Probleme als früher.<br />
In Haiti, einem der ärmsten Länder<br />
der Welt, habe ich lachende Menschen<br />
gesehen. Bei uns herrscht dagegen Depression.<br />
Unser Problem ist unsere Lebenseinstellung:<br />
Es dominiert eine Geilheit<br />
auf immer mehr Vermögen und<br />
Wohlstand. Dadurch haben wir in den<br />
letzten Jahren ein ganzes Bündel von<br />
ARCHIV<br />
Werten verloren. Warum gestalten wir<br />
unser Leben nicht so, dass wir besser<br />
miteinander auskommen? Warum gönnen<br />
wir den anderen nicht, was sie haben?<br />
Ich glaube, dass all dies Faktoren sind,<br />
die unsere Situation negativ beeinflussen.<br />
Und ich bin wirklich unglücklich darüber,<br />
dass wir so viele alte Leute haben und so<br />
wenig Kinder.<br />
Eine letzte Frage: Würden Sie heute noch einmal<br />
eine Kampagne für eine weitere Liberalisierung<br />
der Abtreibungsgesetzgebung machen?<br />
Ich bin auf keinen Fall für eine weitere<br />
Liberalisierung. Von daher würde ich<br />
auch nicht eine solche Kampagne unterstützen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
IM PORTRAIT<br />
Harry Walter<br />
Harry Walter wurde am 20. März 1929<br />
in Berlin geboren. Bereits sein Vater<br />
Alfred Walter war im Werbebereich als<br />
Direktor der Berliner<br />
Verkehrs-Reklame<br />
tätig. Die Mutter<br />
Ella Scholz kam<br />
aus einer SPD-Familie,<br />
ihr Vater war<br />
für die Sozialdemokraten<br />
Bürgermeister in Berlin-Neukölln.<br />
Mit 16 Jahren wird Harry Walter<br />
selber SPD-Mitglied. Nach dem Krieg<br />
macht er im Verlag seines Onkels Arno<br />
Scholz beim »TELEGRAF« eine Ausbildung,<br />
an die sich ein einjähriges Volontariat<br />
bei der Zeitschrift »ILLUS« anschließt.<br />
In der nachfolgenden Zeit reist<br />
er als freier Journalist durch Deutschland<br />
und schreibt in erster Linie politische<br />
Reportagen. 1959 beendet er sein Studium<br />
an der Werbefachschule. Im gleichen<br />
Jahr wechselt er endgültig vom<br />
Journalismus in die PR-Branche, arbeitet<br />
zunächst als Fotograf, dann als Creativ-<br />
Direktor bei verschiedenen Agenturen<br />
in Düsseldorf. Ende der sechziger Jahre<br />
übernimmt Walter die SPD-Werbeagentur<br />
»Are«. Von da an managt er die Bundestagswahlkämpfe<br />
von Willy Brandt,<br />
Bruno Kreisky und Helmut Schmidt sowie<br />
alle Landtagswahlkämpfe von Johannes<br />
Rau in NRW. Bis in die Mitte<br />
der neunziger Jahre managt Walter über<br />
80 Wahlkampagnen auf allen Ebenen<br />
im In- und Ausland. Heute lebt er in<br />
Krefeld und auf einer Ranch in Kanada<br />
B.C.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
A USLAND<br />
Respekt vor<br />
dem Leben<br />
Mit John Roberts hat Präsident Bush einen Richter für den Supreme<br />
Court der USA nominiert, den Abtreibungsbefürworter fürchten<br />
und der Lebensrechtler hoffen lässt.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
John Roberts mit Präsident George W. Bush.<br />
Lebensrechtler in den Vereinigten<br />
Staaten haben sich erfreut über<br />
die Nominierung des 50 Jahre<br />
alten Harvard-Absolventen John Roberts<br />
für das Oberste Gericht durch US-<br />
Präsident Georg W. Bush gezeigt. »Wir<br />
begrüßen, dass Präsident Bush sein Wort<br />
gehalten hat und einen Richter ernannt<br />
hat, der das Recht auf Leben respektiert«,<br />
kommentierte etwa die Pro-Life-Organisation<br />
»Operation Rescue« Bushs Entscheidung.<br />
Die Personalie gilt als außerordentlich<br />
wichtig, da die Mitglieder des<br />
neunköpfigen Richtergremiums auf Lebenszeit<br />
bestellt werden. Mit seinen<br />
Grundsatzurteilen prägt der Supreme<br />
Court das Leben der US-Amerikaner<br />
über Generationen.<br />
Die Nominierung Roberts für das<br />
höchste Gericht der Vereinigten Staaten<br />
ist die erste seit elf Jahren. Sie wurde<br />
nötig, weil die liberale Richterin Sandra<br />
Day O’Connor am 1. Juli überraschend<br />
ihren Rücktritt angekündigt hatte. Die<br />
<strong>75</strong>jährige hatte in den letzten Jahren bei<br />
knappen Entscheidungen des Supreme<br />
Courts mehrfach den Ausschlag gegeben,<br />
so etwa im Jahr 2000, als es um die Frage<br />
der Teilgeburtsabtreibung ging, bei der<br />
die noch von Präsident Reagan ernannte<br />
O’Connor im Sinne der Abtreibungsbefürworter<br />
entschied.<br />
Der Senat muss Bushs Nominierung<br />
allerdings bestätigen. Dass er Bushs<br />
Wunsch folgt, gilt unter Experten jedoch<br />
als wahrscheinlich. Nicht nur, weil die<br />
Republikaner im Senat über eine ausreichende<br />
Mehrheit verfügen, sondern auch<br />
weil Bush zuvor den »Ratschlag« wichtiger<br />
Demokraten eingeholt haben soll.<br />
Der praktizierende Katholik Roberts<br />
gilt als einer der angesehensten Juristen<br />
des Landes und sei trotz seiner Brillanz<br />
als bescheidener und bodenständiger<br />
Mensch, heißt es bei Republikanern und<br />
Demokraten gleichermaßen. Nach dem<br />
Studium war er zunächst Mitarbeiter des<br />
heutigen Vorsitzenden Richters am Obersten<br />
Gericht, William Rehnquist. Ronald<br />
Reagan machte Roberts zum stellvertretenden<br />
Leiter der Rechtsabteilung des<br />
Weißen Hauses. 1986 trat Roberts in die<br />
renommierte Kanzlei Hogan & Hartson<br />
ein, wo er Millionen verdiente. Von 39<br />
»Wir begrüßen, dass Präsident Bush einen Richter<br />
ernannt hat, der das Recht auf Leben respektiert«<br />
Die zurückgetretene Richterin O´Connor (links).<br />
Fällen, die er vor dem Obersten Gericht<br />
verfocht, gewann er 25. Vor zwei Jahren<br />
hatte Präsident Bush Roberts an das Appellationsgericht<br />
berufen. Bush begründete<br />
die neuerliche Wahl Roberts nun<br />
mit den Worten: »Sein Intellekt, seine<br />
durchdachten Urteile und sein Anstand<br />
werden bewundert.« So weit gehen die<br />
Demokraten in offiziellen Stellungsnahmen<br />
nicht. Der Chef der Demokraten<br />
im Senat, Harry Reid, bescheinigte Roberts<br />
jedoch bereits eine »angemessene<br />
juristische Eignung«. Nur der im Präsidentschaftswahlkampf<br />
unterlege John<br />
Kerry ließ verlauten, die Nominierung<br />
Roberts werfe »ernste Fragen« auf. Als<br />
Anwalt kritisierte Roberts in einem Prozess,<br />
bei dem er die US-<br />
Regierung gegen die Abtreibungsorganisation<br />
»Planned Parenthood«<br />
vertrat, die durch das 1973<br />
erfolgte Urteil »Roe vs.<br />
Wade« geschaffene Abtreibungsgesetzgebung.<br />
»Es wurde falsch entschieden<br />
und sollte überstimmt werden«,<br />
schrieb Roberts damals.<br />
Erst Ende Februar hatte das Oberste<br />
Gericht den von den beiden ehemaligen<br />
Abtreibungsbefürworterinnen Norma<br />
McCorvey und Sandra Cano eingereichten<br />
Einspruch gegen das Grundsatzurteil<br />
zur Freigabe der Abtreibung ohne weiteren<br />
Kommentar abgewiesen. Die 1973<br />
erfolgreichen Klägerinnen Norma Mc-<br />
Corvey alias »Jane Roe« und Sandra Cano<br />
hatten ihre neuerliche Klage mit »neuen<br />
Einsichten« über die Wirkung und Folgen<br />
von Abtreibungen begründet. Die radikalen<br />
Abtreibungsbefürworter der Organisation<br />
»naral« werteten Roberts Ernennung<br />
denn auch als Beginn des »Krieges<br />
um den Supreme Court«. »Wenn Roberts<br />
wirklich ernannt wird, dann gibt es keinen<br />
Zweifel, dass er daran arbeiten wird, das<br />
Abtreibungsurteil Roe vs. Wade aufzuheben.«<br />
Wann der Senat die Befragung Roberts<br />
in Angriff nehmen wird, ist noch nicht<br />
bekannt. Präsident Bush äußerte unterdessen<br />
die Erwartung, dass das Gericht<br />
zu Beginn der neuen Sitzungsperiode am<br />
3. Oktober in neuer Zusammensetzung<br />
zusammentreten kann. Hätte Bush Erfolg,<br />
würde John Roberts, der mit einer Juristin<br />
verheiratet und Vater von zwei Kindern<br />
ist, der 109. Richter am Supreme Court<br />
der Vereinigten Staaten von Amerika.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 11
EUROPA<br />
Eizellen: heiß begehrt<br />
Menschliches Erbgut ist in Gestalt von Ei- und Samenzellen zur internationalen<br />
Handelsware geworden. Vor allem Frauen aus Osteuropa drohen Opfer einer neuen<br />
»biotechnologischen Sklaverei« zu werden. Grund genug für die britische Pro-Life-<br />
Organisation »CORE«, sich auf einer Brüsseler Konferenz mit dem brisanten Thema<br />
»Eizellhandel und die Ausbeutung von Frauen« zu befassen.<br />
Von Assessor iur. Christian Poplutz<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
12<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
Menschliche Embryonen und<br />
Eizellen als Handelsware? Im<br />
Dezember 2004 schreckten<br />
dubiose Geschäfte zwischen Großbritannien<br />
und Rumänien die europäische<br />
Öffentlichkeit auf. Die von dem israelischen<br />
Mediziner Ilya Barr betriebene<br />
Bukarester »Global Art«-Klinik <strong>–</strong> sie<br />
gehört mit der ebenfalls in Bukarest ansässigen<br />
Klinik »Global Med Rom« zu<br />
Barrs »International Fertility Medical<br />
Center« mit Kunden in den USA, in<br />
Europa und Asien und einer Muttergesellschaft<br />
auf den Jungferninseln <strong>–</strong> hatte<br />
auf britische Bestellungen hin einen<br />
schwunghaften Handel mit Embryonen<br />
und Eizellen aufgebaut: Junge Rumäninnen<br />
ließen sich nach Medienberichten gegen<br />
einen vergleichsweise geringen Geldbetrag<br />
insgesamt ca. 3.000 Eizellen entnehmen,<br />
die dann mit tiefgefroren aus<br />
Großbritannien importiertem Sperma<br />
»Wenn man nichts sehen will,<br />
sieht man auch nichts.«<br />
Der EU-Abgeordneter Dr. Peter Liese (CDU)<br />
künstlich befruchtet wurden. Die so erzeugten<br />
mehr als 1.000 Embryonen wurden<br />
wiederum tiefgefroren und mit mutmaßlich<br />
erheblichem Gewinn an die<br />
Besteller im Vereinigten Königreich geliefert.<br />
Dieser Skandal rief das Europäische<br />
Parlament auf den Plan, das am 10.<br />
März <strong>2005</strong> eine Entschließung verabschiedete,<br />
in der es »jeglichen Handel<br />
mit menschlichen Körpern und Teilen<br />
davon« verurteilte und daran erinnerte,<br />
dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 12<br />
Abs. 1 der EU-Gewebe-Richtlinie<br />
2004/23/EG »danach zu streben haben,<br />
freiwillige und unentgeltliche Spenden<br />
von Geweben und Zellen sicherzustellen«.<br />
Weiterhin gab das Europäische Parlament<br />
seiner Auffassung Ausdruck, dass die Aktivitäten<br />
der »Global Art«-Klinik in Rumänien<br />
und ähnlicher Einrichtungen »als<br />
gewerbliche Tätigkeit betrachtet werden<br />
können und daher inakzeptabel sind«.<br />
Inzwischen schloss sich auch der Deutsche<br />
Bundestag in einer am 30. Juni <strong>2005</strong><br />
verabschiedeten Entschließung diesen<br />
Forderungen des Europäischen Parlaments<br />
an und verlangte gleichfalls ein<br />
Verbot des Handels mit Eizellen. Den<br />
weitergehenden anderen Forderungen<br />
des Europäischen Parlaments in seiner<br />
Resolution vom 10. März <strong>2005</strong> mochte<br />
sich der Bundestag indes nicht anschließen,<br />
weder der Forderung, die Entwicklung<br />
von Alternativen zur Vermeidung<br />
und Behandlung von Unfruchtbarkeit<br />
voranzutreiben noch den Forderungen<br />
nach einem Klonverbot und dem Ausschluss<br />
der Förderung von Forschung an<br />
menschlichen embryonalen Stammzellen<br />
aus dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm.<br />
Letzteres wollten die Koalitionsfraktionen<br />
im Deutschen<br />
Bundestag am Tag<br />
nach der Göttinger Rede<br />
von Bundeskanzler Gerhard<br />
Schröder wohl nicht mehr<br />
mittragen, weshalb sie am<br />
15. Juni in letzter Minute<br />
eine geänderte Vorlage in<br />
den federführenden Bundestags-Gesundheitsausschuss<br />
einbrachten, die dann<br />
auch vom Plenum gebilligt<br />
wurde.<br />
Dabei liegt der Zusammenhang<br />
zwischen Eizellhandel<br />
und Stammzellforschung<br />
auf der Hand: Eizellen<br />
sind der Rohstoff für<br />
die Technik des Klonens,<br />
deren Zulassung auch in<br />
Deutschland Gerhard<br />
Schröder in Göttingen das<br />
Wort geredet hatte. Die<br />
Frage sei erlaubt: Woher<br />
sollen die vielen Eizellen<br />
kommen, die für weitere<br />
Klonversuche benötigt<br />
werden? Diesen Zusammenhang<br />
sieht auch die<br />
Europaabgeordnete Hiltrud<br />
Breyer (Grüne), Mitinitiatorin<br />
der Entschließung des<br />
Europäischen Parlaments. Nach ihrer<br />
Meinung diene der aktuelle Konflikt um<br />
die EU-Finanzierung »verbrauchender«<br />
Embryonenforschung angesichts deren<br />
extrem geringen Anteils am Gesamtbetrag<br />
<strong>–</strong> für das 6. Forschungs-Rahmenprogramm<br />
bezifferte ihn der zuständige<br />
»Einer der größten Skandale<br />
des neuen Jahrtausends.«<br />
Die slowakische EU-Abgeordnete Anna Záborská<br />
Forschungskommissar Janez Potočnik<br />
auf 0,0002 Prozent <strong>–</strong> dazu, in allen Mitgliedstaaten<br />
die Tür zur Forschung an<br />
embryonalen Stammzellen zu öffnen. Ihr<br />
Kollege Peter Liese (EVP-ED) verweist<br />
auf das Versagen der britischen Behörde<br />
HFEA (Human Fertility and Embryology<br />
Authority), welche Schröder immer als<br />
ARCHIV<br />
Vorbild für Deutschland hinstelle: »Wenn<br />
man nichts sehen will, sieht man auch<br />
nichts«, kritisiert Liese die halbherzige<br />
Kontrollmission der HFEA nach Bukarest,<br />
wo ihre Abgesandten keine Unregelmäßigkeiten<br />
in der »Global Art«-Klinik<br />
entdecken konnten <strong>–</strong> ganz im Gegensatz<br />
zur BBC und zu anderen Medien, die<br />
Europaabgeordnete Hiltrud Breyer, Grüne<br />
nach zwei Tagen Recherche schon mehrere<br />
Frauen gefunden hatten, die Opfer<br />
der zweifelhaften Geschäfte geworden<br />
waren. Breyer nennt folglich auch das<br />
Misstrauen gegenüber der britischen Behörde<br />
HFEA als wichtigen Grund für<br />
den Erfolg der Resolution des Europäischen<br />
Parlaments, denn in dem »Global<br />
Art«-Skandal habe die HFEA versagt und<br />
den Import der Embryonen nach Großbritannien<br />
ausdrücklich gebilligt.<br />
Grund genug also für die britische<br />
Pro-Life-Organisation »Comment on<br />
Reproductive Ethics« (www.corethics.org),<br />
sich auf einer Konferenz im Europäischen<br />
Parlament in Brüssel mit dem überaus<br />
brisanten Thema »Eizellhandel und die<br />
Ausbeutung von Frauen« zu befassen.<br />
Etwa 60 Teilnehmer aus ganz Europa,<br />
darunter Vertreter von Frauen- und Pro-<br />
Life-Organisationen ebenso wie Angehörige<br />
der EU-Organe, kamen zu der Veranstaltung<br />
unter der Schirmherrschaft<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 13
EUROPA<br />
Europaabgeordneter Dr. Peter Liese, CDU<br />
von sieben Europaabgeordneten, darunter<br />
den Christdemokratinnen Anna Záborská<br />
(Slowakei) und Maria Martens (Belgien),<br />
der schwedischen Sozialistin Eva-Britt<br />
Svensson und der deutschen Grünen Hiltrud<br />
Breyer.<br />
Anna Záborská, Ärztin und Vorsitzende<br />
des Ausschusses für die Rechte der Frau<br />
und die Gleichstellung der Geschlechter<br />
des Europäischen Parlaments, ging auf<br />
der Brüsseler Tagung mit den an Eizellspende<br />
und Embryonenhandel beteiligten<br />
Fortpflanzungsmedizinern und Behörden<br />
hart ins Gericht. Die Entnahme von Eizellen<br />
junger Frauen nach hormoneller<br />
Stimulation sei »einer der größten Skandale<br />
zu Beginn des neuen Jahrtausends«,<br />
ja »biotechnologische Sklaverei«. Diese<br />
jungen Frauen seien vor Aufnahme eines<br />
Studiums oder einer Berufstätigkeit besonders<br />
anfällig für das Versprechen vermeintlich<br />
leicht verdienten Geldes. Dabei<br />
berge die Entnahme von Eizellen sowohl<br />
»Geschichte, geschrieben mit<br />
dem Blut von Frauen.«<br />
Eric Simons, britischer IVF-Mediziner<br />
die Gefahr einer vorzeitigen Menopause<br />
als auch ein erhöhtes Eierstock- und<br />
Brustkrebsrisiko in sich. Schließlich seien<br />
Eizellen keine sich erneuernden Zellen,<br />
14<br />
sondern in ihrer Anzahl schon in der<br />
vorgeburtlichen Entwicklungsphase festgelegt.<br />
Infolgedessen sei eine solche Behandlung<br />
eine »Verstümmelung« junger<br />
Frauen, die sie um Jahre ihrer natürlichen<br />
Fruchtbarkeit beraube. Ihre Ausführungen<br />
zu diesen Langzeitfolgen ergänzte<br />
der slowakische Gynäkologe Ivan Wallenfels:<br />
Bis zu einem Drittel der Frauen,<br />
die sich einer hormonellen Stimulation<br />
zur Gewinnung mehrerer Eizellen <strong>–</strong> sei<br />
ARCHIV<br />
es zu künstlicher Befruchtung,<br />
sei es für Forschungszwecke<br />
<strong>–</strong> unterzögen, werde<br />
von dem Ovariellen Hyperstimulationssyndrom<br />
(OHSS) betroffen. Besonders<br />
anfällig seien junge<br />
Frauen. Bei einer von hundert<br />
Frauen trete das Syndrom<br />
in seiner schwersten<br />
Form auf, woraus sich<br />
schwere Erkrankungen bis<br />
hin zum Tod durch multiples<br />
Organversagen ergäben.<br />
Ein dramatisches Zeugnis<br />
dieser <strong>–</strong> so der britische<br />
IVF-Mediziner Eric Simons<br />
<strong>–</strong> »Geschichte, geschrieben<br />
mit dem Blut von<br />
Frauen« gab die Irin Angela<br />
Hickey. Ihre Tochter Jacqueline<br />
Rushton war 2003<br />
an OHSS verstorben, nachdem<br />
sie sich wegen ihres<br />
Kinderwunsches einer IVF-<br />
Behandlung unterzogen<br />
hatte. Die Ärzte hatten sie<br />
STICHWORT<br />
Eizellen: heiß begehrt<br />
Mehr Informationen im Internet:<br />
Zur Brüsseler Tagung:<br />
www.corethics.org<br />
Zur »Global Art«-Klinik:<br />
www.global-ivf.com<br />
Die EP-Resolution vom 10.3.<strong>2005</strong>:<br />
www.europarl.eu.int<br />
Dokument Nr. P6_TA-PROV(<strong>2005</strong>)0074<br />
hormonell überstimuliert und ihr 33 Eizellen<br />
entnommen, aus denen fünf Embryonen<br />
erzeugt wurden. Durch die<br />
Überstimulation kam es bei ihr zur Ansammlung<br />
von Gewebeflüssigkeit in der<br />
Bauchhöhle, schließlich zu Hirnschäden<br />
und einem tödlichen Nierenversagen.<br />
Frau Hickey berichtete von ca. 100 Fällen<br />
von OHSS in nur einer Klinik in den<br />
letzten fünf Jahren. Erst in diesem Frühjahr<br />
war <strong>–</strong> von den Medien weitgehend<br />
ignoriert <strong>–</strong> erneut eine Frau in Großbritannien<br />
an den Folgen einer solchen Behandlung<br />
verstorben. Hierzu ergänzte<br />
die CORE-Vorsitzende Josephine Quintavalle,<br />
wegen der zunehmend bekannt<br />
werdenden Gefahren seien immer weniger<br />
Frauen in Großbritannien zur Eizellspende<br />
bereit <strong>–</strong> trotz großer Werbekampagnen<br />
und trotz der Tatsache, dass<br />
manche Fortpflanzungskliniken denjenigen<br />
Frauen Rabatt bei der Durchführung<br />
von IVF oder bei einer Sterilisation gewährten,<br />
die einen Teil ihrer durch Überstimulation<br />
gewonnenen Eizellen zu Forschungszwecken<br />
freigäben. Infolgedessen<br />
gingen die Kliniken, unterstützt von der<br />
Nationalbehörde HFEA, zu der eingangs<br />
geschilderten Form von internationalen<br />
Geschäften mit Eizellen und Embryonen<br />
über und bereiteten auf diese Weise einer<br />
neuen Form des Kolonialismus in Osteuropa<br />
den Weg.<br />
Details zu der extremen Ausbeutung<br />
junger Frauen durch Fortpflanzungskliniken<br />
schilderte der Bukarester Rechtsanwalt<br />
George Mãgureanu. Er vertritt<br />
gegenwärtig zwei Arbeiterinnen im Alter<br />
von 19 und 23 Jahren, denen für die<br />
Spende von zwanzig Eizellen in der<br />
»Global Art«-Klinik in Bukarest einmalig<br />
250 US-Dollar gezahlt worden seien,<br />
etwas mehr als zwei Monatsgehälter. Über<br />
»Einmalig 250 US-Dollar<br />
für 20 Eizellen gezahlt.«<br />
Georg Mãgureanu, Rechtsanwalt<br />
die Gewinnspanne der Klinik könne man<br />
angesichts der Preise von mehreren Tausend<br />
Euro für eine IVF-Behandlung mit<br />
gespendeten Eizellen in den Empfängerländern<br />
nur Mutmaßungen anstellen. Die<br />
ungenügende Aufklärung der beiden wenig<br />
gebildeten Frauen über die Risiken<br />
der Behandlung sowie die einseitigen<br />
Vertragsbedingungen, darunter das Verbot<br />
der Konsultation anderer Ärzte und<br />
der rumänischen Behörden wie auch der<br />
Ausschluss der Haftung der Klinik, verstießen<br />
gravierend gegen rumänisches<br />
Recht. Bezeichnend sei, dass die Frauen<br />
die Verträge erst unmittelbar nach dem<br />
Eingriff unterzeichnet hätten und kurz<br />
danach aus der Klinik entlassen worden<br />
seien, ohne dass man in der Folgezeit auf<br />
ihre Anrufe wegen der dann eintretenden<br />
Nebenwirkungen reagiert habe. Die Kli-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
nik sei mit privatem Wachpersonal gesichert<br />
und nur nach Anmeldung zu betreten<br />
gewesen. Eine der Frauen leide immer<br />
noch unter OHSS. Die Behandlung der<br />
jungen Frauen sei von der hierauf nicht<br />
spezialisierten rumänischen Ärztin Ioana<br />
Ghionescu vorgenommen worden, gegen<br />
»Südkorea: ›Freiwillige‹ Spenden<br />
von Doktorandinnen.«<br />
»Wer kümmert sich schon<br />
um Europäisches Recht?«<br />
Guido Pennings, belgischer Bioethiker<br />
die mittlerweile in einem Disziplinarverfahren<br />
ein einjähriges Berufsverbot verhängt<br />
worden sei <strong>–</strong> minimal angesichts<br />
der schwerwiegenden Rechtsverstöße.<br />
Großes Erstaunen erregte Mãgureanu<br />
mit seiner Feststellung, die »Global Art«-<br />
Klinik in Bukarest habe im Mai angesichts<br />
der negativen Berichterstattung von selbst<br />
»vorläufig« den Betrieb eingestellt; sie<br />
sei <strong>–</strong> anders als von rumänischer Seite<br />
bisher behauptet <strong>–</strong> nicht etwa von den<br />
Behörden zwangsweise geschlossen worden.<br />
Mãgureanu zufolge verläuft das<br />
staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren<br />
in den beiden von ihm vertretenen Fällen<br />
sehr schleppend. Auch sei es nahezu unmöglich,<br />
in Rumänien einen Gutachter<br />
zu finden, der die Folgeleiden der jungen<br />
Frauen beurteilen wolle. Dabei hätten<br />
sich nach einem Talkshow-Auftritt einer<br />
der beiden Frauen zahlreiche Frauen mit<br />
ähnlichen Erfahrungen beim rumänischen<br />
Fernsehen gemeldet. Die britische Soziologin<br />
Hilary Rose machte auf einen weiteren<br />
Aspekt der Ausbeutung von Frauen<br />
im Geflecht von Eizellspende und Stammzellforschung<br />
aufmerksam: Die Forscher<br />
bei den jüngsten Klon-Experimenten in<br />
Südkorea hätten auf »freiwillig« gespendete<br />
Eizellen von jungen Doktorandinnen<br />
des Teams zurückgegriffen, was von der<br />
Öffentlichkeit kaum registriert worden<br />
sei. Frau Quintavalle (CORE) ergänzte,<br />
in Großbritannien gehe der Trend dahin,<br />
alles unter einem Dach anzusiedeln: Manche<br />
IVF-Kliniken unterhielten zugleich<br />
eigene Stammzellforschungseinrichtungen<br />
und besäßen zusätzlich <strong>–</strong> etwa in<br />
Newcastle <strong>–</strong> eine Lizenz zum Klonen.<br />
Wegen des hohen Bedarfs an frischen<br />
Eizellen für Klon-Experimente führe dies<br />
zu Interessenkonflikten, zugleich tue sich<br />
ein gigantischer Wachtstumsmarkt auf.<br />
Dass die Interessenten an diesem<br />
Markt nicht kampflos das Feld räumen<br />
würden, wurde noch auf der Brüsseler<br />
Tagung selbst deutlich: Als Hiltrud Breyer<br />
(Grüne), Vorsitzende der interfraktionellen<br />
Arbeitsgruppe Bioethik im Europäischen<br />
Parlament, entsprechend der Resolution<br />
des Europäischen Parlaments<br />
vom 10. März <strong>2005</strong> die Einstellung der<br />
EU-Finanzierung embryonaler Stammzellforschung<br />
forderte, kam erbitterter<br />
Protest von drei belgischen Wissenschaftlern<br />
aus dem Publikum von der Universität<br />
Gent und der Katholischen Universität<br />
Löwen. Der Genter Bioethiker Guido<br />
Pennings, zugleich Koordinator der<br />
Arbeitsgruppe Ethik und Recht bei der<br />
Europäischen Gesellschaft für Fortpflanzungsmedizin<br />
und Embryologie<br />
(ESHRE), warf ihr vor, sich mit ihren<br />
moralischen Ansprüchen hinter dem<br />
Recht zu verstecken. Er plädierte für eine<br />
in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche<br />
Zulässigkeit von Eizellspenden,<br />
Embryonenhandel, Stammzellforschung<br />
und Klonen. Pennings hatte erst<br />
Mitte Juni auf der ESHRE-Jahreskonferenz<br />
in Kopenhagen die Zulassung<br />
grenzüberschreitenden »Reproduktionstourismus«<br />
gefordert als »Sicherheitsventil«<br />
zur Bewahrung »friedlicher<br />
Koexistenz« unterschiedlicher Moralvorstellungen<br />
in Europa. Breyers Hinweis<br />
auf die am 7. April 2006 verbindlich in<br />
Kraft tretende EU-Gewebe-Richtlinie<br />
quittierte Pennings mit dem Ausruf »Wer<br />
kümmert sich schon um europäisches<br />
Recht?« Harte Auseinandersetzungen<br />
stehen Europa also bevor, zumal sich die<br />
zuständigen EU-Kommissare für Forschung<br />
und Gesundheit, der Slowene<br />
Janez Potočnik und der Zyprer Markos<br />
Kyprianou, bisher beharrlich weigern,<br />
eine eindeutige Position zur Eizellspende<br />
und zum Embryonenhandel zu beziehen.<br />
IM PORTRAIT<br />
Assessor iur. Christian Poplutz<br />
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Lehrstuhl<br />
für Völkerrecht der<br />
Universität Würzburg<br />
und schreibt<br />
daneben als freier<br />
Journalist über Bioethik<br />
und Rechtspolitik,<br />
u.a. für »Die Tagespost« und die<br />
»Frankfurter Allgemeine Zeitung«.<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
Eizellen sind ein rares Gut<br />
Belgische Forscher haben menschliche Embryonen<br />
aus Eizellen geklont, die außerhalb<br />
des Körpers im Labor gereift sind. Das berichteten<br />
Wissenschaftler des Universitätsklinikums<br />
Gent auf einer Expertentagung in Kopenhagen.<br />
Bislang werden für das Klonen von<br />
Embryonen gespendete reife Eizellen genutzt,<br />
die jedoch schwer zu bekommen sind. »Der<br />
Zugang zu menschlichen Eizellen ist eines der<br />
großen Hindernisse für die Forschungen zum<br />
therapeutischen Klonen«, begründeten die<br />
Forscher die Experimente. »Wir sehen unsere<br />
Ergebnisse deshalb als wichtig an, weil sie<br />
biologisches Material leichter zugänglich<br />
machen.« Dem belgischen Forscherteam zufolge<br />
können unreife Eizellen, die für Fruchtbarkeitsbehandlungen<br />
nicht brauchbar sind,<br />
im Labor reifen und dann als Embryonen der<br />
Stammzellenforschung dienen. In den Laborversuchen<br />
der Forscher hätten sich die menschlichen<br />
Embryonen allerdings bisher nur bis zu<br />
einem Stadium von acht bis 16 Zellen entwickelt.<br />
Eine Entnahme von Stammzellen ist in<br />
diesem Stadium noch nicht möglich. reh<br />
Briten erforschen Keimzellenzucht<br />
Wissenschaftlern der University Sheffield ist<br />
es gelungen, der Schaffung von menschlichen<br />
Eizellen und Sperma aus Stammzellen einen<br />
Schritt näher zu kommen. Berichten zufolge<br />
analysierten die Wissenschaftler die Stammzellen<br />
von Embryos und wiesen nach, dass<br />
einige begannen, sich in Eizellen oder Sperma<br />
zu verwandeln und die genetische Signatur<br />
von primordialen Keimzellen entwickelten.<br />
Bei diesen Zellen handelt es sich um die<br />
Vorläufer von Eizellen und Sperma. Die Herausforderung<br />
sehen die Forscher jetzt darin,<br />
jene Zellen auszuwählen, die sich zu primordialen<br />
Keimzellen entwickeln. In einem weiteren<br />
Schritt sei dann zu erforschen, wie sie<br />
dazu angeregt werden können, sich in reife<br />
Eizellen und reifes Sperma zu entwickeln. reh<br />
Urteil: IVF nur begrenzt absetzbar<br />
Wer sich zum Zweck der Empfängnisverhütung<br />
sterilisieren lässt, kann die Kosten einer künstlichen<br />
Befruchtung später nicht steuerlich<br />
geltend machen. Das entschied der Bundesfinanzhof<br />
(BFH) in München (Az: III R 68/03).<br />
Künstliche Befruchtung nach einer freiwilligen,<br />
nicht medizinisch begründeten Sterilisation<br />
sei »keine krankheitsbedingte Heilbehandlung«,<br />
heißt es in der Begründung. Die Sterilisation<br />
wie auch die spätere Entscheidung<br />
für ein Kind gehörten vielmehr »zur frei gestaltbaren<br />
Lebensführung«. Die Kosten seien daher<br />
»vom Steuerpflichtigen selbst zu tragen und dürfen<br />
die Einkommensteuer nicht mindern«. reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 15
MEDIZIN<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
Die Zukunft gehört<br />
adulten Stammzellen<br />
Immer wieder fordern Wissenschaftler und Politiker, wie zuletzt Bundeskanzler Gerhard Schröder,<br />
in Deutschland die uneingeschränkte Forschung mit embryonalen Stammzellen zuzulassen. Dabei<br />
verschließen sie die Augen vor der ethisch unbedenklichen Alternative, der Forschung mit adulten<br />
Stammzellen: Zu Unrecht, wie der folgende Beitrag zeigt.<br />
Von Matthias Lochner<br />
Wir dürfen uns in der Bio- und<br />
Gentechnik nicht vom<br />
Fortschritt in der internationalen<br />
Forschung abkoppeln«, plädierte<br />
Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich<br />
anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde<br />
der Georg-August-Universität<br />
Göttingen zum wiederholten Male für<br />
eine Lockerung des geltenden Embryonenschutzgesetzes.<br />
Solange das medizinische<br />
Potenzial der Stammzellenforschung<br />
16<br />
nicht ausgelotet sei und die Chance bestehe,<br />
Leiden zu lindern und bislang<br />
unheilbare Krankheiten bekämpfen zu<br />
können, gelte es diese zu nutzen, so Schröder.<br />
Dabei ließ der Kanzler erneut keinen<br />
Zweifel daran, dass er den geltenden<br />
Embryonenschutz als störend empfindet<br />
und die Möglichkeit des Imports embryonaler<br />
Stammzellen, die vor dem im<br />
Stammzellgesetz festgeschriebenen Stichtag<br />
etabliert wurden, für nicht ausreichend<br />
hält. »Mit dem Stammzellengesetz aus<br />
dem Jahr 2002 haben wir uns in Deutschland<br />
im europäischen und internationalen<br />
Vergleich auf die Seite der restriktiven<br />
Länder gestellt«, kritisierte der Kanzler<br />
das damals mit deutlicher Mehrheit im<br />
Bundestag verabschiedete Gesetz. Er sei<br />
davon überzeugt, dass Deutschland sich<br />
besonders im Lichte neuer Erkenntnisse,<br />
der Tendenz zu einer Liberalisierung der<br />
Forschung mit embryonalen Stammzellen<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
auf Dauer nicht entziehen könnte und<br />
fügte hinzu: »Wir wollen in Deutschland<br />
eine neue Kultur der Wissenschaft etablieren.<br />
Eine Kultur der Freiheit. Eine<br />
Kultur der Forschung ohne Fesseln, aber<br />
nicht ohne Grenzen.«<br />
Während Schröders Rede bei Politikern<br />
der Union, der SPD, den Grünen<br />
und der PDS sowie bei den Kirchen auf<br />
vehemente Ablehnung stieß, bewerteten<br />
die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) und die FDP die darin enthaltenden<br />
Forderungen positiv.<br />
So sagte etwa DFG-Präsident Ernst-<br />
Ludwig Winnacker: »Die vor dem Stichtag<br />
1. Januar 2002 gewonnenen Stammzelllinien<br />
sind veraltet und verunreinigt.<br />
Wir geben bei der Arbeit mit diesen Linien<br />
gutes Steuergeld für veraltete Ausgangsmaterialien<br />
aus.« Wie Schröder<br />
forderte auch Winnacker eine Änderung<br />
des Stammzellgesetzes, um auch nach<br />
dem 1. Januar 2002 gewonnene Stammzelllinien<br />
nach Deutschland importieren<br />
zu dürfen. Abgeschafft werden müsse<br />
ferner die Strafbewehrung für deutsche<br />
Wissenschaftler, die in diesem Bereich<br />
arbeiten, da »sie ungerechtfertigterweise<br />
stigmatisiert und wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs abschreckt«, so der DFG-<br />
Präsident weiter.<br />
Von den politischen Parteien stellte<br />
sich einzig die FDP geschlossen hinter<br />
Schröders Forderungen. So gab der FDP-<br />
Vorsitzende Guido Westerwelle in einem<br />
Interview mit der »Rheinischen Post« zu<br />
Protokoll: »Es ist besser, wir stellen die<br />
modernsten Medikamente her, als dass<br />
wir sie in fünf bis zehn Jahren teuer im<br />
Ausland einkaufen.« Nicht diejenigen,<br />
die gegen die Stammzellforschung angingen,<br />
hätten die Moral auf ihrer Seite,<br />
»Schröder fordert Embryonen für<br />
Forschungszwecke zu töten.«<br />
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU)<br />
»sondern jene, die die Chancen nutzen<br />
wollen, Krankheiten besser zu bekämpfen«,<br />
behauptete Westerwelle. Die<br />
forschungspolitische Sprecherin der FDP-<br />
Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, erinnerte<br />
daran, dass ihre Fraktion schon<br />
einen Gesetzesentwurf zur Lockerung<br />
des Stammzellimportgesetzes eingebracht<br />
habe und warf Schröder vor, dass er zwar<br />
immer wieder seine Forschungsfreundlichkeit<br />
betone, aber keine Initiative ergreife.<br />
»Trotz der Appelle des Bundeskanzlers<br />
und des Wirtschaftsministers<br />
WWW.BUND.DE<br />
»Unendlich viele und schwerwiegende<br />
ethische Bedenken.«<br />
PDS-Geschäftsführer Rolf Kutzmutz<br />
Wolfgang Clement zur Lockerung der<br />
Gesetzgebung bei der Stammzellenforschung<br />
ist in der Sache nichts passiert,«<br />
kritisierte Flach.<br />
Die Grünen hingegen reagierten ablehnend<br />
auf die Göttinger Rede. In einer<br />
Pressemitteilung der Fraktionsvorsitzenden<br />
Katrin Göring-Eckardt und des stellvertretenden<br />
Fraktionsvorsitzenden Reinhard<br />
Loske heißt es: »Menschenwürde<br />
und Menschenrechte haben Vorrang vor<br />
Forschungs- und Verwertungsinteressen<br />
Dritter.« Menschliche Zellen und Gewebe<br />
seien keine Waren. Eine Forschung<br />
Wolfgang Clement, SPD<br />
die Frauen zu Eizellproduzentinnen und<br />
Embryonen zum Rohstoff degradiere, sei<br />
ethisch nicht zu verantworten. »Mit uns<br />
wird es einen Richtungswechsel in der<br />
Biopolitik deshalb nicht geben«, ließen<br />
Göring-Eckart und Loske stellvertretend<br />
für die Partei verlauten. Diejenigen, die<br />
nur einseitig den technischen Fortschritt<br />
priesen, nicht aber die Konsequenzen zu<br />
Ende denken würden, machten es sich<br />
sehr einfach. »Vage Hoffnungen auf Fortschritte<br />
in der medizinischen Forschung<br />
dürfen nicht dazu führen, ethische Standards<br />
über Bord zu werfen und menschliches<br />
Leben zur Verfügungsmasse zu<br />
machen«, so die Grünen-Politiker weiter.<br />
»Embryonen enthalten alle genetischen<br />
Voraussetzungen, sich als Menschen<br />
zu entwickeln. Wer sie zu ›therapeutischen‹<br />
Zwecken ›nutzen‹ will, muss sie<br />
töten«, brachte der Bundesgeschäftsführers<br />
der PDS, Rolf Kutzmutz, die Sache<br />
auf den Punkt. Der Kanzler wisse so gut<br />
WWW.CDU-NRW.DE<br />
wie jeder, dass es nicht einen einzigen<br />
Beweis für die Wirksamkeit embryonaler<br />
Stammzellen als Therapeutika gebe.<br />
»Dafür gibt es unendlich viele und schwerwiegende<br />
ethische Bedenken«, so Kutzmutz<br />
weiter. Die Menschenwürde müsse<br />
viel schwerer wiegen als unhaltbare Heilsversprechen.<br />
»Hände weg vom Embryonenschutzgesetz«,<br />
lautete denn seine<br />
abschließende Forderung.<br />
Auch aus der Union gab es Kritik: In<br />
einem Interview mit der »Welt am<br />
Sonntag« lehnte der Ministerpräsident<br />
Nordrhein-Westfalens und frühere<br />
Bundesforschungsminister, Jürgen<br />
Rüttgers, den Vorstoß des Bundeskanzlers<br />
ebenfalls strikt ab. »Schröder fordert,<br />
menschliches Leben als Material zu benutzen<br />
und Embryonen für Forschungszwecke<br />
zu töten. Mit diesem Menschenbild<br />
lässt der Kanzler nicht nur die<br />
gesamte sittliche Tradition des Abendlandes<br />
hinter sich, sondern verstößt auch<br />
Jürgen Rüttgers, CDU<br />
gegen den Geist der Menschenrechte«,<br />
kritisierte der CDU-Politiker. Ob die<br />
embryonale Stammzellforschung medizinischen<br />
Nutzen bringe, sei längst noch<br />
nicht bewiesen. »Wir wissen aber um die<br />
großartigen Chancen der Bio- und Gentechnik,<br />
und wir sind entschlossen, sie zu<br />
fördern <strong>–</strong> vor allem aber in Form der<br />
Forschung an erwachsenen Stammzellen«,<br />
so Rüttgers weiter.<br />
Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz,<br />
Hans Langendörfer, machte<br />
deutlich, dass der Verweis des Bundeskanzlers<br />
auf mögliche Chancen embryonaler<br />
Stammzellforschung nicht darüber<br />
hinweg täuschen dürfe, dass dabei unverfügbare<br />
Grundwerte auf dem Spiel stünden,<br />
die einer Abwägung nicht zugänglich<br />
seien. »Unantastbare Menschenwürde<br />
und Lebensrecht kommen jedem Embryo<br />
vom Zeitpunkt der Befruchtung an zu«,<br />
so der Jesuit. »Gerade die jüngsten Klonexperimente<br />
aus Südkorea sollten uns<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 17
MEDIZIN<br />
eine Warnung sein, dass mit der embryonalen<br />
Stammzellforschung Dämme gebrochen<br />
und Wege beschritten werden,<br />
die ethisch nicht zu vertreten und mit<br />
dem christlichen Menschenbild in keiner<br />
Weise zu vereinbaren sind«, mahnte Langendörfer.<br />
»Adulte Stammzellen können<br />
erfolgreich eingesetzt werden.«<br />
Univ.-Prof. Dr. Hannes Strasser, Innsbruck<br />
18<br />
WWW:FDP-FRAKTION.DE<br />
Doch nicht nur Politiker und die Kirchen,<br />
sondern auch zahlreiche Wissenschaftler<br />
stimmen darin überein, dass<br />
Schröders Forderungen sowohl aus ethischen<br />
als auch aus forschungspolitischen<br />
Gründen untragbar sind.<br />
Deutlich wurde dies beispielsweise auf<br />
dem Symposium »Heilmittel Embryo«,<br />
das im März dieses Jahres vom Wiener<br />
»Institut für medizinische Anthropologie<br />
und Bioethik« (IMABE) an der Universität<br />
Innsbruck veranstaltet wurde. So<br />
legte etwa der Innsbrucker Urologe Hannes<br />
Strasser in einem Vortrag dar, dass<br />
die Hoffnung auf die Verwendbarkeit<br />
adulter Stammzellen keine Illusion sei.<br />
»Adulte Stammzellen können nach dem<br />
derzeitigen Stand wissenschaftlicher Forschungen<br />
therapeutisch erfolgreich eingesetzt<br />
werden«, betonte Strasser. Der<br />
Direktor des Instituts für Zellbiologie an<br />
der Universität Bonn, Volker Herzog,<br />
forderte auf dem Symposium gar, die<br />
Embryonenforschung auf tierische Embryonen<br />
zu beschränken. Da die Diskussion<br />
über die Verwendung menschlicher<br />
Embryonen keineswegs abgeschlossen<br />
sei, sollte sich die Wissenschaft ihrer<br />
ursprünglichen Fragestellung und ihrer<br />
ethischen Selbstbeschränkung besinnen.<br />
»Der Erkenntnisgewinn und damit die<br />
kulturelle Bedeutung für die Gesellschaft<br />
bleiben damit unangetastet«, betonte<br />
Herzog.<br />
Strasser und Herzog sind keineswegs<br />
allein. »Von der embryonalen zur adulten<br />
Stammzellforschung« lautet der lesenswerte<br />
Beitrag des Mediziners Hans Edgar<br />
Reis, der in der Reihe »Mönchengladbacher<br />
Gespräche« der Katholischen<br />
Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle<br />
(KSZ) in Mönchengladbach erschienen<br />
ist. Darin liefert der ehemalige Chefarzt<br />
für Innere Medizin am Krankenhaus St.<br />
Franziskus in Mönchengladbach nicht<br />
nur eindeutige Definitionen der verschiedenen<br />
Stammzellarten und erläutert deren<br />
Gewinnung, sondern zeigt auch die ethischen<br />
Probleme der embryonalen Stammzellforschung<br />
auf, wertet Daten zur Anwendung<br />
von Stammzellen beim Menschen<br />
aus und nennt Perspektiven für die<br />
weitere Anwendung von Stammzellen.<br />
Ausführlich illustriert Reis dabei die<br />
vielen Vorteile, die adulte Stammzellen<br />
gegenüber den embryonalen Stammzellen<br />
besitzen. So ist laut Reis die Gewinnung<br />
adulter Stammzellen aus dem Knochenmark,<br />
dem peripheren Blut oder dem<br />
Fettgewebe zum Beispiel sehr viel einfacher<br />
möglich als die Gewinnung embryonaler<br />
Stammzellen aus Embryonen, die<br />
dabei getötet werden.<br />
Vor allem aber besäßen adulte Stammzellen<br />
anders als embryonale Stammzellen<br />
keine gravierenden Nebenwirkungen.<br />
»Während das Nebenwirkungsprofil der<br />
adulten Stammzellen in nahezu 40jähriger<br />
Guido Westerwelle, FDP<br />
Anwendung an tausenden von Patienten<br />
klar kalkulierbar und im autologen Ansatz<br />
[Stammzellspender und -empfänger sind<br />
identisch, Anm. d. A.] fast nicht existent<br />
ist, verbietet sich zurzeit aufgrund der<br />
Nebenwirkungen die Anwendung von<br />
embryonalen Stammzellen beim Menschen.«<br />
Dies betreffe besonders die Gefahr<br />
von Abstoßungsreaktionen sowie die<br />
Nebenwirkungen der notwendigen Immunsuppression<br />
[durch Medikation herbeigeführte<br />
Unterdrückung des körpereigenen<br />
Immunsystems, Anm. d. A.] sowie<br />
»Der Erkenntnisgewinn<br />
bleibt unangetastet.«<br />
Univ-Prof. Dr. Volker Herzog, Bonn<br />
WWW.GOERING-ECKARDT.DE<br />
Karin Goering-Eckardt, Bündnis 90 / Die Grünen<br />
die unkontrollierte Gewebebildungen in<br />
anderen Zielorganen (Tumorbildung).<br />
Reis zufolge hat die Anwendung adulter<br />
Stammzellen in der Kardiologie bei Herzinfarkten,<br />
chronischer Herzinsuffizienz<br />
und im Rahmen von Bypassoperationen<br />
in der kurzen Zeit seit 2001 die gefahrlose<br />
Anwendung, die von Knochenmarktransplantationen<br />
her erwartet werden konnte,<br />
bestätigt: »Im Hinblick auf die Anwendung<br />
beim Menschen« dokumentierten<br />
»die Daten der letzten fünf Jahre eindeutige<br />
Vorteile für die adulten Stammzellen«.<br />
Dafür sprechen auch gerade die jüngsten<br />
Forschungserfolge, die mit sämtlichen<br />
der lang gehegten Vorurteile gegenüber<br />
adulten Stammzellen brechen. So<br />
lieferte ein Team aus Wissenschaftlern<br />
der Universitäten Aachen, Würzburg und<br />
Heidelberg unlängst den Nachweis, dass<br />
sich adulte Stammzellen entgegen bisherigen<br />
Zweifeln offensichtlich doch zu<br />
Zellen eines anderen Gewebes umwandeln<br />
lassen. Den Forschern gelang es,<br />
neurale Stammzellen so umzuprogrammieren,<br />
dass sich aus ihnen Blutzellen<br />
entwickelten. Die Rheinisch-Westfälische<br />
Technische Hochschule Aachen (RWTH)<br />
teilte im Februar dieses Jahres mit, dass<br />
mit besonderen Substanzen die Chromatinstruktur<br />
von neuralen Stammzellen<br />
aus dem Gehirn so beeinflusst werden<br />
könnte, dass sich aus ihnen Blutzellen<br />
entwickelten.<br />
Nur einen Monat später wurden diese<br />
Ergebnisse von US-Forschern untermauertet,<br />
denen es gelang, Insulin aus neuralen<br />
Stammzellen zu gewinnen. Mit ihnen<br />
sollen einmal Patienten behandelt werden,<br />
die an Typ-1-Diabetes leiden, an<br />
dem bereits Kinder und Jugendliche erkranken.<br />
Im April dieses Jahres berichteten<br />
die Wissenschaftler im Online-<br />
Fachmagazin »Plos Medicine«, dass sich<br />
nach der Behandlung mit einem komplexen<br />
Chemiecocktail die adulten Stammzellen<br />
aus dem Hirngewebe zu einem<br />
Insulin produzierenden Zellhaufen entwickelten.<br />
Normalerweise entwickeln sich<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD<br />
diese Stammzellen zu Nervengewebe.<br />
Die Forscher um Seung Kim von der<br />
Universität Stanford injizierten die umgepolten<br />
Zellen in die Leber von Mäusen<br />
ein, wo das neue Gewebe mit steigender<br />
Glukose-Konzentration Insulin ausschüttete.<br />
Allerdings reiche die Menge des<br />
produzierten Insulins noch nicht für die<br />
Behandlung von Diabetes-Patienten aus,<br />
so Kim.<br />
Lange waren Forscher davon ausgegangen,<br />
dass neurale Stammzellen nur<br />
das entsprechende Hirngewebe ausbilden<br />
könnten. Die Arbeit untermauere jedoch,<br />
dass das Potential der Stammzellen aus<br />
dem Gehirn weiter größer als bisher angenommen<br />
sei, erläuterte Kim.<br />
Die Frage ist nun, ob sich auch Stammzellen<br />
aus dem Knochenmark, die mittlerweile<br />
schon routinemäßig zur Transplantation<br />
eingesetzt werden, zu anderen<br />
Zelltypen wie etwa Nervenzellen umprogrammieren<br />
lassen. Solche Zellen könnten<br />
dann zur Therapie von Nervenkrankheiten<br />
eingesetzt werden.<br />
Die Chancen dafür scheinen prinzipiell<br />
nicht schlecht zu sein: So gelang japanischen<br />
Forschern unlängst ein wichtiger<br />
Schritt auf dem Weg zur Heilung von<br />
Leberschäden. Im Tierversuch fanden<br />
sie heraus, dass Stammzellen aus dem<br />
Knochenmark in die kranke Leber wandern<br />
und Schäden verringern. Die Forscher<br />
um Isao Sakaida von der Yamaguchi<br />
Universität in Westjapan veröffentlichten<br />
ihre Studie im Dezember 2004 im Fachmagazin<br />
»Hepatology«. Nun hoffen die<br />
Forscher, mit einer neuen Methode Leberschäden<br />
wie etwa Leberzirrhose aufhalten<br />
oder sogar rückgängig machen zu<br />
können. Die Leberzirrhose oder so genannte<br />
Schrumpfleber ist eine nicht rückgängig<br />
zu machende Leberschädigung,<br />
welche die Funktionsfähigkeit der Leber<br />
massiv einschränkt und teilweise zu lebensbedrohlichen<br />
Komplikationen führen<br />
WWW.BUNDESKANZLER.DE<br />
»Wissenschaftliche Daten sprechen<br />
eindeutig für adulte Stammzellen.«<br />
Chefarzt Prof. Dr. Hans E. Reis, Mönchengladbach<br />
kann. Im Versuch hatten die<br />
Forscher Mäusen mit Leberfibrose,<br />
einer Vorstufe<br />
der Leberzirrhose, Stammzellen<br />
aus dem eigenen<br />
Knochenmark injiziert.<br />
Diese Stammzellen machten<br />
sie durch einen Marker<br />
sichtbar, so dass sie deren<br />
Weg durch den Körper<br />
verfolgen konnten. Nach<br />
acht Wochen stellten die<br />
Wissenschaftler fest, dass<br />
der Großteil der Zellen in<br />
die geschädigte Leber gewandert<br />
und der Anteil des<br />
geschädigten Lebergewebes<br />
deutlich gesunken war. Offensichtlich<br />
hatten sich die injizierten Stammzellen<br />
in Leberzellen gewandelt und ein Enzym<br />
produziert, welches das geschädigte Gewebe<br />
auflöste. Sakaida und seine Kollegen<br />
sind der Auffassung, die Methode könne<br />
auch beim Menschen funktionieren.<br />
Ein anderes Problem stellte bisher die<br />
Vermehrung von adulten Stammzellen<br />
dar. Hier scheint Wissenschaftlern des<br />
Children’s Hospital Pittsburgh jedoch<br />
ein Durchbruch gelungen zu sein. Die<br />
Forscher haben entdeckt, dass adulte und<br />
Nabelschnurblutstammzellen dieselbe<br />
Fähigkeit zur Multiplikation wie embryonale<br />
Stammzellen haben. Die Ergebnisse<br />
der Studie veröffentlichten die Forscher<br />
Ende Juni im Fachmagazin »Molecular<br />
Biology of the Cell«.<br />
Studienleiter Johnny Huard erklärte<br />
dazu: »In der Forschung ging man davon<br />
aus, dass postnatale Stammzellen schneller<br />
altern und viel früher sterben als embryonale<br />
Stammzellen. Doch unsere Forschungsergebnisse<br />
beweisen, dass dies<br />
nicht der Fall ist«.<br />
Bestätigt wurden diese Ergebnisse<br />
durch Forscher des McKnight Brain Institutes<br />
in Gainesville/Florida, denen es<br />
gelang, unter kontrollierten Bedingungen<br />
adulte Stammzellen im Labor zu duplizieren.<br />
Sie gewannen unreife, neurale<br />
Stammzellen aus dem Gehirn von Mäusen<br />
und verwendeten Chemikalien, um deren<br />
Wachstum herbeizuführen. Die Ergebnisse<br />
ihrer Studie publizierten die Wissenschaftler<br />
um Bjorn Scheffel in der<br />
Juni-Ausgabe des Fachmagazins »Pro-<br />
STICHWORT<br />
Stammzellen<br />
Als Stammzelle wird eine unreife Zelle<br />
bezeichnet, deren Entwicklung noch<br />
nicht festgelegt ist und die sich unbegrenzt<br />
vermehren sowie zu verschiedenen<br />
Organzellen differenzieren kann.<br />
Als totipotent werden jene Zellen bezeichnet,<br />
die sich bis zum 8-Zell-Stadium<br />
des Embryos entwickelt haben. Sie können<br />
sich unter Umständen jeweils zu<br />
einem weiteren Individuum entwickeln.<br />
Nach dem 8-Zell-Stadium können aus<br />
der inneren Zellmasse, der so genannten<br />
Blastozyste (Embryo im Bläschenstadium),<br />
pluripotente Stammzellen gewonnen<br />
werden, wobei der Embryo getötet<br />
wird. Diese Stammzellen können<br />
sich in über 200 verschiedene Zelltypen<br />
wandeln. Lange ist die Forschung davon<br />
ausgegangen, dass adulte Stammzellen<br />
monopotent, also nur zur Regeneration<br />
ihres Organs fähig sind. In den letzten<br />
Jahren haben jedoch mehrere Forschungsgruppen<br />
bewiesen, dass adulte<br />
Stammzellen auch multipotent sind,<br />
also zu unterschiedlichen Zelltypen differenzieren<br />
können.<br />
Embryonale Stammzellen werden<br />
aus so genannten verwaisten Embryonen,<br />
die bei einer künstlichen Befruchtung<br />
übrig bleiben, aus fünf bis neun<br />
Wochen alten abgetriebenen oder fehlgeborenen<br />
Föten oder durch das Forschungsklonen,<br />
das euphemistisch auch<br />
therapeutisches Klonen genannt wird,<br />
gewonnen. Alle drei Verfahren sind in<br />
Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz<br />
verboten.<br />
Adulte Stammzellen sind zeitlebens<br />
im Körper vorhanden und erfüllen tagtäglich<br />
die Aufgabe der Organregeneration,<br />
zum Beispiel bei der Heilung von<br />
Hautverletzungen oder Knochenbrüchen.<br />
Sie konnten bisher in mehr als 20 Geweben<br />
und Organen des Menschen<br />
nachgewiesen werden.<br />
ARCHIV<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 19
MEDIZIN<br />
ceedings of the National Academy of<br />
Sciences«. Die Forscher erhoffen sich,<br />
dank des neuen Verfahrens einmal unbegrenzt<br />
Gehirnzellen produzieren zu können.<br />
Bisher haben sie die neue Technik<br />
allerdings nur bei Tierzellen angewandt.<br />
Laut Scheffel könne diese Technik beim<br />
Menschen möglicherweise einmal Krankheiten<br />
wie Parkinson und Epilepsie heilen.<br />
»Die Fähigkeit einen speziellen Zelltyp<br />
zu regenerieren und ihn wieder am richtigen<br />
Platz einzusetzen, wäre ein wesentlicher<br />
Forschungsdurchbruch bei der<br />
Behandlung von neural bedingten Erkrankungen«,<br />
so Scheffel.<br />
Die Ergebnisse der fünf Forschungsgruppen<br />
machen deutlich, dass die vielfach<br />
verbreitete Meinung, adulte Stammzellen<br />
würden sich unzureichend vermehren<br />
und hätten ein stark beschränktes Differenzierungspotential,<br />
unzutreffend ist.<br />
Auch die Liste der jetzt schon über 20<br />
Organe und Gewebe, in denen adulte<br />
Stammzellen nachgewiesen werden konnten,<br />
wird immer länger. Zuletzt fanden<br />
Forscher Stammzellen im Auge und im<br />
Haarfollikel, einem kleinem Sack nahe<br />
der Haarwurzel.<br />
Als Beispiel für einen bereits seit Jahren<br />
erfolgreichen Einsatz von adulten Stammzellen<br />
gilt vor allem die Behandlung von<br />
Leukämie. Die Heilungschance für einen<br />
von Blutkrebs befallenen Patienten liegen<br />
vor allem Dank der adulten Stammzellen<br />
heute bei etwa 60 Prozent. Seit knapp 25<br />
Jahren werden Leukämie-Patienten mit<br />
Blutstammzellen behandelt und können<br />
dadurch in vielen Fällen auf die weitaus<br />
»Adulte Stammzellen sind reiner,<br />
günstiger und ungefährlicher.«<br />
20<br />
schwierigere Knochenmarktransplantation<br />
verzichten. Auch die Erholungszeit<br />
der Patienten konnte mithilfe der Behandlung<br />
mit adulten Stammzellen von etwa<br />
einem Monat auf zwölf Tage verringert<br />
werden, wodurch sich auch das Risiko<br />
medizinischer Komplikationen deutlich<br />
vermindert hat. Für die Zukunft versprechen<br />
sich Mediziner sogar noch höhere<br />
Heilungschancen.<br />
Aufgrund der bisherigen Erfolge im<br />
Einsatz von adulten Stammzellen und<br />
den jüngsten Forschungsergebnissen,<br />
scheint es denn auch mehr als gerechtfertigt,<br />
wenn Reis in seinem Beitrag den<br />
adulten Stammzellen ein großes Potenzial<br />
zuspricht: »Bei neurologischen Erkrankungen<br />
wie dem Morbus Parkinson zeigen<br />
Einzelfälle, dass die adulte Stammzelltherapie<br />
Perspektiven eröffnet. Ebenso<br />
scheint das Problem der frühen Herzinfarkttherapie<br />
durch adulte Stammzellen,<br />
wie die Daten mittels menschlichem Nabelschnurblut<br />
im Tierversuch zeigen, so<br />
weit zu sein, dass in nächster Zeit die<br />
Behandlung mit Knochenmarks- bzw.<br />
peripheren Stammzellen bei Hirninfarkten<br />
ethisch gerechtfertigt in die klinischen<br />
Studien gehen kann«, glaubt Reis.<br />
Da der Mediziner davon ausgeht, dass<br />
mindestens 50 Prozent der Bevölkerung<br />
im Verlauf des Lebens<br />
aufgrund von Krankheiten<br />
zu potentiellen<br />
Stammzellempfängern<br />
werden, plädiert er dafür,<br />
dass jeder Mensch<br />
seine eigenen Nabelschnurstammzellen<br />
durch Kyrokonservierung<br />
erhalten solle.<br />
»Sie sind von der Multipotenz<br />
und des Alterns<br />
her am günstigsten,<br />
von der Kontaminationsgefahr<br />
mit<br />
Infektionserregern am<br />
reinsten und auch vom<br />
Gehalt an möglichen<br />
Spontanmutationen am<br />
ungefährdetsten«, so<br />
Reis. Würden die Nabelschnurstammzellen<br />
nicht eingefroren, sollten alternativ, »im<br />
jugendlichen Alter Knochenmark oder<br />
periphere Stammzellen« eingefroren werden,<br />
»also zu einem Zeitpunkt, an dem<br />
noch wenig Infektionen und Mutationen<br />
an den Stammzellen abgelaufen und auch<br />
der Alterungsprozess noch nicht fortgeschritten<br />
ist.« Blieben diese beiden Möglichkeiten<br />
ungenutzt, so könnten immer<br />
noch die aus dem Knochenmark oder<br />
peripheren Blut gewonnenen Stammzellen,<br />
falls noch ausreichend vorhanden,<br />
genützt werden, und zwar in jedem Alter.<br />
Die Forscher, die mit embryonalen<br />
Stammzellen hantieren, mögen angesichts<br />
des Umstands, dass für ihre Gewinnung<br />
menschliche Embryonen getötet werden,<br />
derzeit mehr Aufmerksamkeit auf sich<br />
ziehen können, als jene, welche nur fachlich<br />
und nicht auch medial spektakuläre<br />
Ergebnisse erzielen. Und so lange sich<br />
die embryonale Stammzellforschung noch<br />
in den Kinderschuhen befindet, geben<br />
sich Investoren möglicherweise mit dem<br />
Medienrummel, der die embryonale<br />
Stammzellforschung aufgrund des mit<br />
ihr verbundenen Tabubruchs begleitet,<br />
auch zufrieden.<br />
DANIEL RENNEN<br />
ARCHIV<br />
Forscht erfolgreich mit adulten Stammzellen: Die RWTH Aachen.<br />
Doch irgendwann wollen auch die<br />
Investoren handfeste Ergebnisse sehen.<br />
Wenn daher die adulte Stammzellforschung<br />
weiter solche Fortschritte macht<br />
wie bisher, werden sich auch die Investoren<br />
neu orientieren. Wenn nicht aus ethischen<br />
Gründen, so doch wenigstens um<br />
Schadensersatzklagen zu vermeiden, die<br />
angesichts der Nebenwirkungen von embryonalen<br />
Stammzellen bei einem klinischen<br />
Einsatz sicher nicht lange auf sich<br />
warten lassen würden.<br />
So resümiert Reis denn auch, »dass<br />
sich die adulten Stammzellen in der Therapie<br />
seit nahezu 40 Jahren in der Knochenmarktransplantation<br />
nebenwirkungsarm<br />
bis nebenwirkungsfrei etabliert haben«.<br />
In der Kardiologie, der Orthopädie<br />
und der Neurologie seien sie dabei, sich<br />
entsprechend zu etablieren. Zwar werde<br />
die embryonale Stammzelle zur Erforschung<br />
der Embryonalentwicklung und<br />
der Steuerungsmechanismen der Zelldifferenzierung<br />
wissenschaftlich weiterhin<br />
nötig sein, doch gehöre die Zukunft den<br />
adulten Stammzellen.<br />
IM PORTRAIT<br />
Matthias Lochner<br />
Der Autor, Jahrgang 1984, studiert<br />
Deutsch und Geschichte für das Lehramt<br />
an Gymnasien und<br />
Gesamtschulen an<br />
der Universität zu<br />
Köln. Er ist seit<br />
2001 Mitglied der<br />
<strong>ALfA</strong>. Als freier<br />
Journalist publiziert<br />
er regelmäßig auch im <strong>LebensForum</strong>.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />
BDV künftig in Fulda<br />
Die Verlegung der Bundesdelegiertenversammlung von Königswinter<br />
nach Fulda stieß bei den Delegierten der <strong>ALfA</strong> überwiegend auf<br />
positive Resonanz.<br />
Vom 10. bis 12. Juni <strong>2005</strong> fand<br />
die ordentliche Bundesdelegiertenversammlung<br />
der <strong>ALfA</strong><br />
erstmalig in Fulda statt. Der Vorstand<br />
hatte sich aus vielen Gründen entschlossen,<br />
vom Tagungsort Königswinter abzuweichen.<br />
Einer der Gründe war, mit einem<br />
zentraleren Standort in Deutschland<br />
nicht nur den neu hinzu gekommenen<br />
Regionalverbänden aus den östlichen<br />
Bundesländern, sondern auch den im<br />
Norden und Süden der Republik sowie<br />
den geladenen Referenten die Anreise zu<br />
erleichtern. Zudem war geplant, durch<br />
verstärkte Werbung vor Ort auch Aussenstehende<br />
für die Arbeit der <strong>ALfA</strong> zu interessieren<br />
und ihre Anliegen einer größeren<br />
Öffentlichkeit zugänglich zu<br />
machen.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
DANIEL RENNEN<br />
Beides ist gelungen: weit mehr Delegierte<br />
als bei den letzten Delegiertenversammlungen<br />
waren angereist, der weitaus<br />
überwiegende Teil empfand die Erreichbarkeit<br />
des Tagungsort als gut. Die Auftaktveranstaltung<br />
am Freitagabend und<br />
auch der Vortrag von Dr. Zöller am Samstagmorgen<br />
waren sehr gut besucht, der<br />
Tagungsraum, welcher 160 Personen fasst,<br />
voll besetzt. Die für den Freitagabend<br />
anberaumte Pressekonferenz wurde von<br />
einigen Journalisten genutzt, bereits am<br />
nächsten Tag erschienen ausführliche<br />
Berichte über die Podiumsdiskussion, in<br />
deren Verlauf engagiert und informativ<br />
diskutiert worden war (siehe Bericht in<br />
dieser Ausgabe S. 21ff.).<br />
Die ebenfalls weit überwiegenden positiven<br />
Reaktionen auf das Tagungshaus<br />
in Fulda bestärken uns in dem Vorhaben,<br />
auch im nächsten Jahr die Bundesdelegiertenversammlung<br />
wieder in Fulda stattfinden<br />
zu lassen. Über Thema und Programm<br />
werden wir an dieser Stelle frühzeitig<br />
informieren.<br />
AUSSERORDENTLICHE WAHLEN<br />
Im Verlauf der BDV kam es zu Umbesetzungen<br />
im Vorstand der <strong>ALfA</strong>: Hubert<br />
Hüppe ist von seinem Amt als zweiter<br />
stellvertretender Vorsitzender zurückgetreten.<br />
In dieses Amt wurde Cornelia<br />
Kaminski (RV Fulda) gewählt, die bisher<br />
Schriftführerin war. Als neuer Schriftführer<br />
wurde Reinhold Eichinger gewählt,<br />
der den Mitgliedern der <strong>ALfA</strong> aus seiner<br />
Zeit als Bundesschatzmeister in bester<br />
Erinnerung sein dürfte. In den erweiterten<br />
Bundesvorstand rückten Michael Frisch<br />
(RV Trier), Margrit Ottmar (RV Darmstadt)<br />
und Frau Dr. Prokropp-Hippen<br />
(RV Münster) nach.<br />
NEUGESTALTUNG VON MEDIEN<br />
Nachdem sowohl das Lebenszeichen<br />
als auch das <strong>LebensForum</strong> in diesem Jahr<br />
neu gestaltet wurden, steht nun als letztes<br />
Informationsorgan der <strong>ALfA</strong> die Homepage<br />
zur Überarbeitung an. Die entsprechenden<br />
Entwürfe liegen vor und sollen<br />
nun zügig umgesetzt werden.<br />
AUFTRITT AUF DEM WELTJUGENDTAG<br />
Die letzte große Herausforderung für<br />
die <strong>ALfA</strong> stellt in diesem Jahr der Weltjugendtag<br />
dar. Der Vorstand hat in die<br />
Vorbereitung der <strong>ALfA</strong>-Präsenz bei diesem<br />
Ereignis viel Arbeit investiert. Wir<br />
hoffen sehr darauf, junge Menschen für<br />
unser Anliegen begeistern zu können und<br />
berichten darüber in der nächsten Ausgabe<br />
des <strong>LebensForum</strong>.<br />
ZAHLREICHE DELEGIERTE<br />
Tagungsort für die kommenden Bundesdelegiertenversammlungen<br />
der <strong>ALfA</strong>: Die gut zu erreichende<br />
Stadt Fulda.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 21
GESELLSCHAFT<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
»Heute ihr, morgen wir ?«<br />
Prominente Referenten und zahlreich erschienene Zuhörer sorgten dafür, dass der 1. Lebensrechtkongress<br />
der »Aktion Lebensrecht für Alle« in Fulda ein Erfolg wurde. Thematisch ging es um den Schutz des<br />
Lebens am Anfang und am Ende.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
Herr Zöller, ich frage Sie jetzt<br />
mal ganz direkt: Warum soll<br />
ich als Lebensschützer die<br />
CDU wählen? Was wird Ihre Partei besser<br />
machen als Rot-Grün?« Mit dieser Frage<br />
hatte ein Diskussionsteilnehmer das Anliegen<br />
vieler <strong>ALfA</strong>-Mitglieder im Anschluss<br />
an den Vortrag von Wolfgang<br />
Zöller, der vor über hundert Zuhörern<br />
engagiert und pointiert vorgetragen wurde,<br />
auf den Punkt gebracht. Der gesundheitspolitische<br />
Sprecher der CDU/CSU-<br />
Fraktion im Bundestag war um eine Antwort<br />
nicht verlegen. Selbst <strong>ALfA</strong>-Mitglied<br />
und überzeugter Füßchenträger <strong>–</strong> mittlerweile<br />
prangt ein Exemplar an jedem<br />
22<br />
seiner Jackets, weil dies das Umstecken<br />
erspart <strong>–</strong> ließ keinen Zweifel daran, dass<br />
mit einer allein regierenden CDU in<br />
Lebensrechtsfragen einiges, mit einem<br />
Koalitionspartner FDP sehr viel weniger<br />
zu erreichen sei. Konkret nannte er dabei<br />
die Problematik der Spätabtreibungen <strong>–</strong><br />
hier hatte die CDU bereits in der Vergangenheit<br />
drei Versuche gestartet, diese<br />
gesetzlich zu verbieten, scheiterte aber<br />
jedesmal an der rot-grünen Mehrheit.<br />
Zwar äußerten die anwesenden Diskussionsteilnehmer<br />
Bedenken, ob die CDU<br />
tatsächlich an einer Intensivierung des<br />
Lebensschutzes in Deutschland interessiert<br />
sei (schließlich war Katharina Reiche,<br />
die zum Beispiel in Fragen der verbrauchenden<br />
Embryonenforschung eine für<br />
Lebensrechtler inakzeptable Position<br />
vertrat, Mitglied des Schattenkabinetts<br />
von Edmund Stoiber), doch dass dies<br />
ganz sicher nicht an Wolfgang Zöller<br />
liegen würde, darüber bestand keinerlei<br />
Zweifel. Für Aussagen wie »Ein Land,<br />
das 7 Millionen Abtreibungen protestlos<br />
hinnimmt, braucht sich nicht zu wundern,<br />
dass es nun zu wenig Kinder hat«, ist die<br />
<strong>ALfA</strong> ihm dankbar. Leute mit Kindern,<br />
so Zöller weiter, dürfen nicht finanziell<br />
schlechter dastehen als solche ohne. Diese<br />
könnten sich später nicht einfach ohne<br />
weiteres auf die Solidargemeinschaft jener<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
»Wir brauchen mehr<br />
Christen in der Politik.«<br />
Wolfgang Zöller, CSU-Politiker u. <strong>ALfA</strong>-Mitglied<br />
verlassen, die die Kinder bekommen haben.<br />
Unsere Gesellschaft müsse aktiv werden:<br />
»Es kann nicht sein, dass es in einer<br />
Großstadt leichter ist, eine Wohnung zu<br />
bekommen, wenn man sich ein Krokodil<br />
hält als wenn man Kinder hat,« formulierte<br />
Zöller, und machte damit eindrücklich<br />
klar, dass in Fragen der Kinderfreundlichkeit<br />
in Deutschland vieles schief läuft.<br />
So schlug er beispielsweise vor, den Beitragssatz<br />
in der Pflegeversicherung zwar<br />
um ein Prozent anzuheben, gleichzeitig<br />
jedoch jeder Familie 5 Euro Rabatt pro<br />
Kind zu gewähren. Schließlich ist davon<br />
auszugehen, dass Kinderlose im Alter mit<br />
einer sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit<br />
auf fremde Hilfe und damit Leistungen<br />
aus der Pflegeversicherung angewiesen<br />
sein werden als jene, die im Alter auch<br />
mit der Hilfe ihrer eigenen Kinder <strong>–</strong> die<br />
zudem als Erwerbstätige in die Sozialkassen<br />
einzahlen <strong>–</strong> rechnen können.<br />
Ein Staat, der sich nicht auf Grundwerte<br />
bezieht <strong>–</strong> und ein solcher Grundwert<br />
ist die Achtung vor jeder Form<br />
menschlichen Lebens und der Familie<br />
als Keimzelle der Gesellschaft <strong>–</strong> fährt alle<br />
Systeme an die Wand. Werte müssen<br />
jedoch vorgelebt werden, eben auch von<br />
Politikern, forderte Zöller, und: »Wir<br />
brauchen mehr Christen in der Politik!«<br />
Für Wolfgang Zöller ist das Eintreten<br />
für christliche Werte auch im politischen<br />
Leben eine Selbstverständlichkeit <strong>–</strong> so<br />
erklärt er gern einem verdutzten Bundestagspräsidenten,<br />
dass seine Füßchenanstecker<br />
kein Ehrenabzeichen für »Langstrecken-Barfuß-Wanderungen«<br />
sind,<br />
sondern mit seinem Engagement für Ungeborene<br />
zu tun hat. Dass es schön wäre,<br />
wenn in politisch verantwortlichen Positionen<br />
mehr Menschen zu finden sind,<br />
die sich in ähnlich unerschrockener Weise<br />
zu ihren christlichen Grundsätzen bekennen,<br />
darin waren sich die Zuhörer am<br />
Samstagvormittag nach der zweiten großen<br />
Veranstaltung des 1. Fuldaer Lebenrechtskongresses<br />
einig.<br />
Am Abend zuvor hatten bereits Bischof<br />
Heinz Josef Algermissen, Wolfgang<br />
Aschenbrenner, Rainer Beckmann, Eugen<br />
Brysch und Rob Jonquiere engagiert über<br />
das Thema »Euthanasie: Heute ihr, morgen<br />
wir?« miteinander diskutiert. Durch<br />
die Diskussion führte Dr. Kai Witzel,<br />
Chirurg und ärztlicher Direktor des Helios<br />
St. Elisabeth Krankenhauses in Hünfeld.<br />
Bereits in seinem Eingangsstatement<br />
ließ Bischof Algermissen keinen Zweifel<br />
daran aufkommen, wo die katholische<br />
Kirche in dieser Debatte zu finden ist:<br />
»Nur Gott allein steht es zu, über Leben<br />
und Tod zu entscheiden.<br />
Die Befürworter<br />
der Euthanasie werden<br />
unter allen Umständen<br />
immer mit dem massiven<br />
Protest der katholischen<br />
Kirche rechnen<br />
müssen. Der Einsatz<br />
für das Lebensrecht<br />
und den Lebensschutz<br />
aller Menschen<br />
ist und bleibt<br />
unaufgebbarer Teil<br />
ihrer Überzeugung«,<br />
stellte der Bischof fest<br />
und erntete dafür reichen<br />
Applaus der Anwesenden.<br />
Wie notwendig<br />
dieser Einsatz<br />
ist, so Algermissen<br />
weiter, ergebe sich aus<br />
der Tatsache, dass<br />
»Nur Gott steht es zu über Leben<br />
und Tod zu entscheiden.«<br />
Fuldas Bischof Heinz Josef Algermissen<br />
beispielsweise der Europarat in Straßburg<br />
zum wiederholten Mal mit dem Euthanasiebericht<br />
des Schweizers Dick Marty<br />
befasst war, der eine Aufweichung der<br />
ablehnenden Haltung des Europarats zur<br />
Euthansie zum Ziel hat. Genau solche<br />
stets wiederkehrende Initiativen seien es<br />
jedoch, die die Unantastbarkeit menschlichen<br />
Lebens in seiner Anfangs- und<br />
Endphase erschüttern. Die ursprünglich<br />
hinter dem Begriff »Sterbehilfe« liegende<br />
Vorstellung, eine Hilfe im Sterben gewähren<br />
zu wollen, sei nämlich gar nicht<br />
gemeint: Intendiert sei vielmehr die aktive<br />
Tötung Schwerkranker und Pflegebedürftiger<br />
aus unterschiedlichen Beweggründen.<br />
Wer jedoch Sterbehilfe als Akt des<br />
Mitleids mit Langzeitkranken rechtfertigen<br />
wolle, verkenne den Sinn der allerletzten<br />
Phase menschlichen Lebens, die<br />
ebenso wie alle anderen Phasen von Gott<br />
gewollt, begleitet und gesegnet sei.<br />
ARCHIV<br />
Rainer Beckmann, Sachverständiger<br />
in der Enquete-Kommission »Ethik und<br />
Recht der modernen Medizin« des Deutschen<br />
Bundestags, legte eindrücklich dar,<br />
was die Debatte um Sterbehilfe in Gang<br />
hält: In Deutschland, so Beckmann, gäbe<br />
es immer mehr alte und kranke Menschen,<br />
die sich in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft<br />
an den Rand gedrängt fühlten<br />
und Angst vor Vereinsamung hätten. Der<br />
Erschienen in Fulda besonders zahlreich: Die Delegierten der <strong>ALfA</strong>.<br />
vielfach geäußerte Wunsch auf Behandlungsverzicht<br />
oder gar aktive Sterbehilfe<br />
sei daher häufig gar kein Ausdruck autonomer<br />
Selbstbestimmung, sondern maßgeblich<br />
verursacht durch Angst vor mangelnder<br />
Schmerzbekämpfung, vor<br />
Übertherapie, vor Einsamkeit und davor,<br />
anderen zur Last zu fallen. Sterben in<br />
Würde als sinnvolles Gegenkonzept zur<br />
Euthanasie sei am besten durch eine stärkere<br />
Förderung der Palliativmedizin und<br />
der Hospizbewegung zu erreichen. Das<br />
waren Worte, die vom Geschäftsführer<br />
der Deutschen Hospiz-Stiftung, Eugen<br />
Brysch, gern gehört wurden. Er rechnete<br />
vor, dass in der deutschen Pflegekasse<br />
bereits heute 820 Millionen Euro fehlen,<br />
die Zahl der Pflegebedürftigen sich bis<br />
2040 jedoch nahezu verdoppelt haben<br />
dürfte. Der Ruf nach einer einfachen<br />
Lösung, wie sie die Euthanasie darzustellen<br />
scheint, sei daher nicht weiter<br />
erstaunlich. Brysch forderte stattdessen<br />
eine Enttabuisierung von Tod und<br />
Sterben im gesellschaftlichen Diskurs.<br />
Tote und Sterbende benötigten die Akzeptanz<br />
und das Engagement der gesamten<br />
Gesellschaft. Um dies zu erreichen,<br />
seien gesundheitspolitische Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen, die eine professionelle<br />
Begleitung Sterbender und<br />
Schwerstkranker ermöglichen. Eine solche<br />
Palliative Care, die neben Schmerztherapie<br />
auch seelsorgliche und psychosoziale<br />
Betreuung sowie qualifizierte<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 23
Pflege beinhalte, erführen derzeit lediglich<br />
zwei Prozent aller Betroffenen.<br />
Rob Jonquiere von der niederländischen<br />
Vereinigung für ein freiwilliges<br />
Lebensende (NVVE) zeigte sich überzeugt,<br />
dass in jedem Krankenhaus der<br />
Welt, in Deutschland genau wie in den<br />
Niederlanden, Euthanasie praktiziert werde,<br />
hier jedoch in einer Grauzone, in den<br />
»90 Prozent der Fälle werden<br />
nicht als Euthanasie deklariert.«<br />
Stand Rede und Antwort: Unions-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller (l.).<br />
Niederlanden hingegen offen und für<br />
jedermann nachprüfbar, wodurch eine<br />
besondere Sorgfalt der handelnden Ärzte<br />
sicher gestellt sei. Die von starkem Pragmatismus<br />
geprägte Rechtsprechung in<br />
den Niederlanden habe schließlich zur<br />
heute bestehenden gesetzlichen Regelung<br />
der Euthanasie geführt, die Jonquiere<br />
nachfolgend darstellte. Der euthanasierende<br />
Arzt in den Niederlanden muss<br />
demnach überzeugt sein, dass der Patient<br />
freiwillig und wohlüberlegt zu dem<br />
Schluss gekommen ist, dass er sterben<br />
will, er muss sicher sein, dass es sich um<br />
ein schweres, auswegloses Leiden handelt,<br />
er muss zudem festgestellt haben, dass es<br />
keine vertretbare andere Lösung gibt und<br />
einen weiteren unabhängigen Arzt konsultieren.<br />
Schließlich muss er die Euthanasie<br />
einer Prüfungskommission melden.<br />
Diese besondere Kontrolle und Transparenz<br />
sei, so Jonquiere, ein entscheidendes<br />
Kriterium für die Befürwortung einer<br />
Regelung der Euthanasie nach niederländischem<br />
Vorbild, die allerdings den etwa<br />
100.000 Mitgliedern der NVVE noch<br />
nicht weit genug geht:<br />
»Man hat kein Recht auf<br />
Euthanasie. Man hat das<br />
Recht, um Euthanasie zu<br />
bitten. Eine richtige<br />
Autonomie bedeutet jedoch:<br />
Ich will sterben und<br />
der Arzt ist nur ein Instrument«,<br />
so Jonquiere.<br />
Der Vorstellung, in<br />
den Niederlanden herrsche<br />
bezüglich der Euthanasie<br />
tatsächlich Transparenz<br />
und Kontrolle,<br />
widersprach jedoch der<br />
Kinderarzt Dr. Wolfgang<br />
Aschenbrenner mit<br />
deutlichen Worten. Seine<br />
Erfahrungen als Kinderarzt<br />
am Universitätskrankenhaus<br />
Nijmwegen<br />
in den Niederlanden<br />
hätten gezeigt, dass<br />
nur in den wenigsten Fällen ein ordnungsgemäßes<br />
Verfahren der Euthanasie vorausgeht.<br />
In mehr als 90 Prozent der Fälle<br />
wurde eine Euthanasie nicht als solche<br />
deklariert, hierzu zähle zum Beispiel der<br />
Abbruch der Nahrungszufuhr bei schwer<br />
kranken Säuglingen oder Frühgeborenen.<br />
Auch seien 100 fache Überdosen Morphium<br />
an Patienten, die man »aufgegeben«<br />
hatte, keine Ausnahme, sondern<br />
eher die Regel gewesen. Aschenbrenner<br />
konnte beobachten, dass dies Auswirkungen<br />
auf die Geisteshaltung der Menschen<br />
ARCHIV<br />
hatte. Eltern fragten<br />
verstärkt bei unerwartet<br />
kranken Neugeborenen<br />
nach Kindereuthanasie<br />
oder äußerten ihr Bedauern,<br />
dass nicht auf<br />
Grund einer vorgeburtlichen<br />
Diagnose eine<br />
Abtreibung durchgeführt<br />
werden konnte. Eltern,<br />
die sich für das Leben mit<br />
ihrem behinderten oder<br />
schwer kranken Kind<br />
entschieden haben, würden<br />
mit Vorwürfen konfrontiert,<br />
und Kinder, die<br />
schwer oder unheilbar<br />
erkrankt waren, hätten<br />
Angst, euthanasiert zu<br />
werden.<br />
Die Sorge, dass sich eine euthanasiefreundliche<br />
Stimmung auch in Deutschland<br />
rasch ausbreiten könnte, teilte<br />
Aschenbrenner in Fulda mit vielen Anwesenden.<br />
Bei seiner Rückkehr nach<br />
Deutschland habe er bereits bemerkt,<br />
dass sich hier ein Klima ausbreite, welches<br />
ein Überleben kranker oder behinderter<br />
Der Tod auf Rezept: Pure Fiktion, aber wie lange noch?<br />
ARCHIV<br />
»Ich will sterben und der<br />
Arzt ist nur ein Instrument.«<br />
Rob Jonquiere (NVVE)<br />
Kinder deutlich erschwere <strong>–</strong> eine Einschätzung,<br />
die Eugen Brysch für die von<br />
ihm vertretene Interessengruppe der<br />
Schwerstkranken und Sterbenden ebenfalls<br />
teilt.<br />
Der 1. Fuldaer Lebensrechtskongress<br />
der Aktion Lebensrecht für Alle sollte<br />
dazu dienen, die Debatte um die Art, wie<br />
mit kranken oder alten Menschen umgegangen<br />
werden muss, in die Gesellschaft<br />
hineinzutragen und zu einer begründeten,<br />
informierten Stellungnahme befähigen.<br />
Angesichts des hohen Niveaus, auf dem<br />
diskutiert wurde, der erfreulich großen<br />
Teilnehmerzahl und der Medienresonanz<br />
darf dies als gelungen gelten.<br />
IM PORTRAIT<br />
Cornelia Kaminski<br />
ist Mitglied im Bundesvorstand der Aktion<br />
Lebensrecht für<br />
Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>) und<br />
hat gemeinsam mit<br />
anderen den 1. Lebenrechtskongress<br />
der <strong>ALfA</strong> in Fulda<br />
organisiert.<br />
Die Studienrätin ist verheiratet und<br />
Mutter von zwei Kindern.<br />
24<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
GESELLSCHAFT<br />
»Vorsicht Falle!«<br />
Die Reproduktionsmedizin fordert von Staat und Gesellschaft die Beseitigung von »Nebenwirkungen«,<br />
die es ohne sie gar nicht gäbe. Kritische Anmerkungen zu der Diskussionsveranstaltung »Kinderwunsch<br />
in der Krise« der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Ende Juni in Berlin, auf<br />
der eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes gefordert wurde.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
Immer mehr Menschen leiden<br />
ernsthaft unter Kinderlosigkeit. In<br />
der Mehrzahl der Fälle sind die<br />
Ursachen dafür jedoch keineswegs pathologischer,<br />
sondern vielmehr sozialer Natur.<br />
Nicht zuletzt ein als »modern« apostrophierter<br />
Lebensstil sorgt heute dafür,<br />
dass die Zahl derer, die kinderlos bleiben,<br />
weiter zunimmt. Denn viele Paare warten<br />
mit der Verwirklichung eines »vorläufig«<br />
zurückgestellten Kinderwunsches de facto<br />
so lange, bis es dafür auf natürlichem<br />
Wege zu spät ist. Immer häufiger fallen<br />
auf diese Weise die »fruchtbaren Jahre«<br />
vieler Frauen einer linear verlaufenden<br />
Lebensplanung zum Opfer, bei der die<br />
gleichzeitig erfolgende Ausbildung beider<br />
Partner und der Einstieg in die jeweiligen<br />
beruflichen Karrieren im Vordergrund<br />
stehen. So hat sich die Zahl der Frauen,<br />
die erst nach dem 30. Lebensjahr ihren<br />
Kinderwunsch verwirklichen wollen, in<br />
den letzten zehn Jahren verdoppelt. Mehr<br />
als 10 Prozent der neugeborenen Kinder<br />
haben bereits heute eine Mutter, die bei<br />
der Geburt älter als 35 Jahre ist; Tendenz<br />
steigend.<br />
Dass eine solche Lebensplanung nicht<br />
ausschließlich von dem Wunsch nach<br />
»Selbstverwirklichung« gespeist wird,<br />
sondern etwa auch durch die Angst vor<br />
»Verarmung« <strong>–</strong> bei Frauen vor allem<br />
aufgrund der gravierenden Benachteiligung<br />
Erziehungsarbeit leistender gegenüber<br />
Erwerbsarbeit leistender Frauen bei<br />
der Altervorsorge sowie bei Männern,<br />
die im Falle einer Scheidung für erstere<br />
naturgemäß umfänglicher zur Kasse gebeten<br />
werden <strong>–</strong> begünstigt wird, sei der<br />
Vollständigkeit halber erwähnt, kann aber<br />
nicht näher behandelt werden.<br />
Wichtig ist hier die Tatsache, dass sich<br />
die Reproduktionsmedizin mit ihrem<br />
Angebot, Kinder im Labor zu erzeugen,<br />
heute keineswegs mehr nur an die über-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 25
GESELLSCHAFT<br />
schaubar gebliebene Zahl derer wendet,<br />
die an primärer (angeborener) oder sekundärer<br />
(erworbener) Unfruchtbarkeit<br />
leiden, sondern zunehmend auch an die<br />
unüberschaubar werdende Gruppe derer,<br />
welche die über viele Jahre vorhandene<br />
Möglichkeit, auf natürlichem Wege Kinder<br />
zu bekommen, ungenutzt verstreichen<br />
ließen, beziehungsweise ihr durch den<br />
Einsatz empfängnisverhindernder Mittel<br />
erfolgreich entgegengewirkt haben.<br />
Es liegt auf der Hand, dass eine<br />
potentiell zunehmende Zielgruppe<br />
bei den Reproduktionsmedizinern<br />
für ein Anschwellen des aufgrund<br />
ihrer Tätigkeit ohnehin<br />
nicht sonderlich gering ausgeprägten<br />
Selbstbewusstseins<br />
führt. Nach Ansicht der<br />
Deutschen Gesellschaft für<br />
Gynäkologie und Geburtshilfe<br />
(DGGG) zeigt der Anstieg<br />
der Be-<br />
hand-<br />
lungs-<br />
zahlen<br />
der letzten<br />
Jahre<br />
denn auch,<br />
dass die<br />
»Fortpflanzungsmedizin<br />
in<br />
Deutschland längst<br />
nicht mehr zur Behandlung<br />
einer Randgruppe unserer<br />
Gesellschaft dient«. Dabei können<br />
die bei der »Behandlung des Kindeswunsches«<br />
zum Einsatz kommenden<br />
26<br />
Techniken nicht gerade als effizient bezeichnet<br />
werden. Die so genannte »babytake-home«-Rate<br />
liegt selbst laut DGGG-<br />
Angaben nur<br />
bei rund 20<br />
Prozent<br />
für die<br />
In-<br />
trazyto-<br />
plasmatischen<br />
Spermieninjektion<br />
(ICSI), die<br />
vor allem bei<br />
Unfruchtbarkeit<br />
des Mannes zum<br />
Einsatz kommt.<br />
Für die in-vitro-<br />
Fertilisation beträgt<br />
die Erfolgsrate<br />
trotz einer<br />
inzwischen mehr<br />
als ein Vierteljahrhundert<br />
währenden<br />
Historie<br />
gerade einmal 18<br />
Prozent. Und bei<br />
der »Rücksetzung«<br />
zuvor kryokonservierter<br />
Eizellen<br />
im Vorkernstadium<br />
liegt<br />
die »baby-takehome«-Rate<br />
sogar<br />
nur bei zehn Prozent.<br />
In absoluten Zahlen: Den<br />
65.000 Kindern, die laut DGGG seit<br />
1998 in Deutschland nach assistierter<br />
Reproduktion geborenen wurden, stehen<br />
laut dem aktuellen IVF-Register 349.603<br />
Behandlungen gegenüber, die in den Jahren<br />
von 1997 bis 2003 durchgeführt wurden.<br />
Im Jahr 2002 machten die mit Hilfe<br />
der Fortpflanzungsmediziner nicht nur<br />
erzeugten, sondern auch geborenen<br />
Kinder laut DGGG 1,6<br />
Prozent aller Geburten aus.<br />
Dass für diesen geringen<br />
»Marktanteil« aus Sicht der<br />
Reproduktionsmediziner in<br />
erster Linie der Gesetzgeber<br />
verantwortlich zeichnet, wurde<br />
auf einer Diskussionsveranstaltung<br />
deutlich, welche die DGGG<br />
am 28. Juni unter dem Titel<br />
»Kinderwunsch in der Krise« in<br />
Berlin veranstaltete. Während laut<br />
dem Direktor der Universitäts-<br />
Frauenklinik Lübeck und Vizepräsidenten<br />
der DGGG, Klaus Diedrich,<br />
die Schwangerschaftsraten in<br />
Ländern wie Belgien, Frankreich<br />
und Schweden nach assistierter<br />
Reproduktion bei bis zu 40 Prozent<br />
liegen, habe sie in Deutschland 2003<br />
aufgrund der »Hürden des Embryonenschutzgesetzes«<br />
nur 29 Prozent<br />
betragen. Das Gesetz aus dem Jahr<br />
1991 verhindere, so Diedrich in<br />
Berlin, »dass die deutschen Patientinnen<br />
in gleichem Maße von dem<br />
Fortschritt in der Reproduktionsmedizin<br />
profitierten wie in anderen<br />
europäischen Staaten«. Dabei stört<br />
sich Diedrich, der obendrein auch<br />
zu den vehementesten Befürwortern<br />
der in Deutschland verbotenen<br />
Präimplantationsdiagnostik zählt,<br />
derzeit vor allem daran, dass in<br />
Deutschland »jeder Embryo, der im<br />
Labor kultiviert wird, auch transferiert<br />
werden muss und eine Auswahl<br />
verboten ist.«<br />
Nach Paragraf 1 Abs. 1 Nr. 4 des<br />
Embryonenschutzgesetzes (ESchG)<br />
wird mit »Freiheitsstrafe bis zu drei<br />
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft,<br />
wer es unternimmt, mehr Eizellen<br />
einer Frau zu befruchten, als ihr<br />
innerhalb eines Zyklus übertragen<br />
werden sollen«. Auf diese Weise<br />
suchte der Gesetzgeber sicherzustellen,<br />
dass in deutschen Labors<br />
keine überzähligen Embryonen<br />
entstehen. Doch weil sich einerseits<br />
in zahlreichen Fällen keiner der<br />
künstlich erzeugten und in den<br />
Uterus der Mutter transferierten<br />
Embryonen auch in der Gebärmutter<br />
einnistet, es aber andererseits jedoch auch<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
nicht selten vorkommt, dass zwei oder<br />
gar alle drei Embryonen dort Wohnung<br />
nehmen, würden die Reproduktionsmediziner<br />
vor dem Transfer unter den erzeugten<br />
Embryonen liebend gerne selektieren<br />
dürfen. Denn sowohl der Misserfolg<br />
als auch der »Übererfolg« werden<br />
von den Reproduktionsmedizinern als<br />
»geschäftsschädigend« betrachtet. Da<br />
»Die Zahlen zeigen, dass die Fortpflanzungsmedizin<br />
nicht mehr zur Behandlung einer Randgruppe dient.«<br />
Klaus Diedrich, DGGG-Vizepräsident<br />
eine künstliche Befruchtung und die vorausgehende<br />
Eizellgewinnung nicht nur<br />
eine extreme körperliche Belastung für<br />
die Frau bedeuten (vgl. hierzu in dieser<br />
Ausgabe auch S. 12 ff.), sondern auch<br />
Kosten in Höhe von rund 3.000 Euro<br />
pro Versuch verursachen, droht ein ausbleibender<br />
Erfolg die Zufriedenheit der<br />
»Kunden« zu mindern.<br />
Noch gravierender nehmen sich die<br />
Zumutungen der Reproduktionsmedizin<br />
aus, wenn die »Kinderwunschbehandlung«<br />
erfolgreicher als gewünscht ausfällt<br />
und die Frau mehrfach schwanger wird.<br />
Die im Fachjargon als »höhergradige<br />
»›Fetozid‹: Tödliche Spritze in<br />
das Herz des Kindes.«<br />
Mehrlingsschwangerschaften« bezeichneten<br />
Schwangerschaften treten in rund<br />
25 Prozent der Fälle auf. So verzeichnet<br />
das Deutsche IVF-Register 2003 für das<br />
Jahr 2002 insgesamt 11.245 Geburten.<br />
In 2349 Fällen gebaren die Mütter Zwillinge,<br />
in 127 Fällen Drillingen sowie in<br />
zwei Fällen Vierlinge. Dabei handelt es<br />
sich freilich nur um die geborenen Kinder.<br />
Denn seit Beginn der 80er Jahre werden<br />
die »Mehrlinge« regelmäßig »reduziert«.<br />
Unter der »Mehrlingsreduktion«<br />
verstehen die Reproduktionsmediziner<br />
die Tötung eines oder mehrerer Kinder<br />
im Mutterleib. Beim so genannten<br />
»Fetozid« durchsticht der Arzt mit einer<br />
langen Nadel unter Ultraschallansicht<br />
die Baudecke der Schwangeren bis er in<br />
die Bauchhöhle gelangt. Dann sucht er<br />
das Herz des Kindes, sticht zu und spritzt<br />
in das winzige Herz eine Kalium-Clorid-<br />
Lösung, die in hoher Dosierung jede<br />
Schwangerschaft« massiv<br />
gefährdet wird. So<br />
werden Mehrlinge in<br />
rund 30 Prozent der<br />
Fälle mit leichten bis<br />
schweren Handicaps<br />
geboren, besitzen ein<br />
höheres Sterblichkeitsrisiko<br />
sowie eine<br />
höhere Krankheitsanfälligkeit.<br />
Aber auch der<br />
Fetozid ist keineswegs<br />
nur für den meist<br />
willkürlich ausgewählten<br />
Embryo tödlich. In<br />
rund 17 Prozent der<br />
Fälle zieht er einen<br />
Gesamtverlust aller<br />
Kinder nach sich.<br />
Weil auch das sich<br />
negativ auf die Erfolgsrate<br />
auswirkt, fordern<br />
die Reproduktionsmediziner<br />
die<br />
künstlich erzeugten<br />
Embryonen vor der<br />
Übertragung in den<br />
Mutterleib selektieren<br />
zu dürfen. Beim so<br />
genannten »elective<br />
single embryo transfer«<br />
würden, wie Diedrich<br />
koordinierte Kontraktion des Herzmuskels<br />
unmöglich macht. Das Kind stirbt<br />
an Herzversagen im Mutterleib.<br />
In der Fachliteratur wird der Fetozid,<br />
der bei der »Mehrlingsreduktion« in der<br />
Regel nach technischen Gesichtspunkten<br />
erfolgt <strong>–</strong> was bedeutet, dass der Arzt das<br />
am besten zu erreichende Kind tötet <strong>–</strong><br />
als »Therapie« einer »Fehlleistung« verstanden.<br />
Da in der Regel<br />
pro »Kinderwunschbehandlung«<br />
nur die Geburt<br />
eines Kindes angestrebt<br />
wird, ist eine Mehrlingsschwangerschaft<br />
oft nicht<br />
gewünscht, zumal durch<br />
sie das Behandlungsziel<br />
einer »erfolgreichen<br />
»Ziel einer Behandlung muss es sein, möglichst<br />
zu einer Einlingsschwangerschaft zu kommen.«<br />
Klaus Diedrich, DGGG-Vizepräsident<br />
in Berlin erläuterte, »mehrere Eizellen<br />
befruchtet, die Entwicklung der Embryonen<br />
beobachtet und nach morphologischen<br />
Kriterien ein ideal beurteilter Embryo<br />
in den Uterus transferiert, von dem<br />
am ehesten zu erwarten ist, dass er sich<br />
einpflanzt.« Auf diese Weise würde »nicht<br />
nur die Schwangerschaftsrate dieser belastenden<br />
und aufwendigen Behandlungsmethode<br />
deutlich verbessert, sondern<br />
auch die Mehrlingsschwangerschaft <strong>–</strong><br />
nach wie vor die Crux der Reproduktionsmedizin<br />
in Deutschland <strong>–</strong> verhindert.«<br />
Denn so Diedrich weiter, »Ziel<br />
einer jeden Kinderwunschbehandlung<br />
muss es sein, mit möglichst großer Chance<br />
zu einer Einlingsschwangerschaft<br />
zu kommen.«<br />
Dass dies nicht nur die<br />
Selektion von Embryonen<br />
zu Folge hätte, sondern<br />
auch die Frage aufwirft,<br />
was mit den dann »überzähligen«,<br />
nicht transferierten<br />
Embryonen geschehen<br />
soll, macht den Fortpflanzungsmedizinern<br />
kein Kopfzerbrechen. Ethische<br />
Probleme sehen die Reproduktions-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 27<br />
DPA<br />
»Ineffizient: 65.000 Kinder nach<br />
rund 350.000 Behandlungen.«<br />
Anwalt in eigener Sache: Klaus Diedrich will mehr Erfolg für IVF und ICSI.
GESELLSCHAFT<br />
Mit einer Mikropipette wird eine Samenzelle in eine Eizelle eingeschleust. Die Verletzung der Eizellenhülle senkt zugleich die Chance der Frau, schwanger zu werden.<br />
»Single embryo transfer verspricht eine deutliche<br />
Steigerung der Schwangerschaftsrate.«<br />
mediziner dabei nicht. So wischte auf der<br />
Tagung in Berlin der dafür auserkorene<br />
evangelische Theologe Hartmut Kress<br />
kurzerhand sämtliche Bedenken einfach<br />
vom Tisch. Laut Kress, der an der »Rheinischen<br />
Friedrich-Wilhelms-Universität«<br />
Sozialethik lehrt, sprächen aus ethischer<br />
Sicht sogar »starke Argumente für das<br />
Verfahren, nach einer außerkörperlichen<br />
Befruchtung eine morphologische Betrachtung<br />
von Embryonen vorzunehmen,<br />
um der Patientin einen Embryo einzusetzen,<br />
der voraussichtlich entwicklungsfähig<br />
ist.« Diese Argumente ergäben sich »aus<br />
dem Anrecht von Menschen auf Gesundheitsschutz<br />
und auf Gesundheitsversorgung,<br />
die dem Stand der medizinischen<br />
Wissenschaft entspricht, sowie aus dem<br />
überlieferten arztethischen Gebot, Schaden<br />
zu vermeiden.«<br />
28<br />
»›Mehrlingsreduktion‹:<br />
Therapie einer Fehlleistung.«<br />
Da bereits jetzt keine Frau gezwungen<br />
werden könne, sich einen zuvor künstlich<br />
erzeugten Embryo auch tatsächlich einsetzen<br />
zu lassen, gäbe es bereits heute in<br />
Deutschland überzählige Embryonen,<br />
»wenn gleich«, wie Kress<br />
einräumte, »auch in begrenzter<br />
Zahl«. Ausschlaggebend<br />
für die<br />
ethische Bewertung sei,<br />
»dass es sich beim Übrigbleiben<br />
von Embryonen<br />
faktisch um keinen<br />
neuen Sachverhalt handelt.«<br />
Sicherlich sei darauf zu achten,<br />
dass es »bei einer sehr geringen Zahl<br />
überzähliger Embryonen bleibt«, was<br />
angesichts des zur Rede stehenden Verfahrens<br />
zu gewährleisten sei. So sei es<br />
denkbar, »anders als im Ausland von vornherein<br />
nur eine kleine Anzahl von Eizellen,<br />
ca. sechs, zu befruchten und zu kultivieren.«<br />
Dadurch bleibe »das Übrigbleiben<br />
von Embryonen vom Verfahren her<br />
beherrschbar«. Davon abgesehen würde<br />
die neue Methode dazu führen, dass in<br />
Deutschland nicht mehr eine so hohe<br />
Zahl kryokonservierter Embryonen im<br />
Vorkernstadium anfiele, wie dies derzeit<br />
der Fall sei.<br />
Doch macht es natürlich ethisch einen<br />
gewaltigen Unterschied, ob das »Übrigbleiben«<br />
von Embryonen wie im jetzigen<br />
Gesetz durch die Vorschrift, alle befruchteten<br />
Embryonen zu transferieren, wenn<br />
auch nicht faktisch, so doch vom Prinzip<br />
her ausgeschlossen wird oder ob das<br />
»Übrigbleiben« durch die Produktion<br />
vieler Embryonen, die eine bessere<br />
Auswahl erlauben sollen, prinzipiell angestrebt<br />
wird.<br />
Kress ficht auch das nicht an. Der<br />
Theologe hält dagegen: Da ein »Präimplantationsembryo«<br />
noch »ganz unentwickelt«<br />
sei, dem »Gesundheitsschutz der<br />
Schwangeren« aber »existentiell wie<br />
grundrechtlich« ein »sehr hohes Gewicht«<br />
zukomme, könne eine »Güter-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
INFO<br />
Glossar<br />
ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion)<br />
Methode zur künstlichen Befruchtung,<br />
bei der Spermium direkt in das Plasma<br />
einer Eizelle gespritzt wird.<br />
Implantation<br />
Einnistung eines Embryos in der Gebärmutterschleimhaut.<br />
IVF (In-vitro-Fertilisation)<br />
Künstliche Befruchtung einer Eizelle<br />
außerhalb des Körpers in einer Petrischale<br />
oder einem Reagenzglas (vitrum:<br />
lat. Glas).<br />
Kryokonservierung<br />
Einfrieren und Lagern von Spermien<br />
sowie künstlich befruchteter Eizellen<br />
bei tiefen Temperaturen in flüssigem<br />
Stickstoff (kryo: griech. Kälte). In<br />
Deutschland ist das Einfrieren befruchteter<br />
Eizellen nur im Vorkernstadium<br />
erlaubt, da nach Ende der Verschmelzung<br />
der Vorkerne ein Embryo vorliegt, der<br />
dem Embryonenschutzgesetz entsprechend<br />
nicht eingefroren werden darf.<br />
PID (Präimplantationsdiagnostik)<br />
Genetische Untersuchung eines durch<br />
künstliche Befruchtung <strong>–</strong> meist durch<br />
IVF <strong>–</strong> erzeugten Embryos. Da nur genetisch<br />
einwandfreie Embryonen transferiert<br />
werden, stellt die PID in der Praxis<br />
eine Methode zur Selektion von Menschen<br />
dar. In Deutschland verboten, da<br />
sie gegen mehrere Bestimmungen des<br />
Embryonenschutzgesetzes (ESchG) verstößt.<br />
SET (Single Embryo Transfer)<br />
Für einen SET werden einer Frau bis zu<br />
zehn Eizellen entnommen und künstlich<br />
befruchtet. Aus ihnen wird anhand morphologischer<br />
Kriterien der Embryo ausgewählt,<br />
der die besten Chancen besitzt,<br />
sich in der Gebärmutter einzunisten und<br />
in den Mutterleib verpflanzt. Als wichtige<br />
morphologische Kriterien gelten<br />
u.a. Aussehen der einzelnen Zellen und<br />
ihrer Hülle sowie deren Beschaffenheit.<br />
Die übrigbleibenden Embryonen werden<br />
tiefgefroren. In Deutschland ist diese<br />
Methode zur Selektion von Embryonen<br />
durch das Embryonenschutzgesetz verboten.<br />
DPA<br />
abwägung letzterem den Vorrang einräumen«.<br />
Dies kann aber nur der ernst<br />
»In rund 17 Prozent der Fälle zieht ein Fetozid<br />
einen Gesamtverlust aller Kinder nach sich.«<br />
meinen, der insgeheim die Auffassung<br />
vertritt, dass dem Embryo frühestens mit<br />
der Nidation Schutz<br />
zukommt, und nicht<br />
wie das ESchG vorschreibt,<br />
bereits ab dem<br />
Moment seiner Erzeugung.<br />
Was wie eine unwesentliche<br />
Änderung<br />
präsentiert wird, und<br />
obendrein mit der<br />
Behauptung garniert<br />
wird, dem Grauen des<br />
Fetozids währen zu<br />
wollen, stellt also in<br />
Wirklichkeit einen Paradigmenwechsel<br />
dar,<br />
durch welchen das<br />
Modell eines abgestuften<br />
Lebensschutzes<br />
nicht mehr nur theoretisch<br />
verfochten, sondern<br />
dann auch faktisch<br />
gesetzlich festgeschrieben<br />
würde.<br />
Da der »elective<br />
single embryo transfer«<br />
zudem eine Selektion<br />
erfordert, würde<br />
eine Änderung des<br />
Embryonenschutzgesetzes,<br />
die das erlaubt,<br />
zudem vor der Frage<br />
stehen, wie es dann<br />
noch die negative Selektion,<br />
die mit der<br />
Präimplantationsdiagnostik<br />
(PID) verbunden<br />
ist, aufhalten<br />
soll. Die Antwort ist natürlich klar:<br />
Kommt dem Embryo erst Schutz mit der<br />
»Das Übrigbleiben von Embryonen<br />
bleibt vom Verfahren her beherrschbar.«<br />
Hartmut Kress, evangelischer Theologe<br />
Nidation zu, dann ist die Frage, ob eine<br />
positive Selektion, die nicht notwendig<br />
DPA<br />
die Vernichtung der nicht für den Transfer<br />
erzeugten Embryonen zur Folge haben<br />
muss, anders zu bewerten<br />
sei, als eine Selektion,<br />
welche genetisch auffällige<br />
Leidenschaftslose Erzeugung: Arbeitsplatz eines Babymachers.<br />
Embryonen eliminieren<br />
helfen soll, allenfalls noch<br />
von akademischem Interesse.<br />
Lebensschützer haben<br />
daher allen Grund wachsam<br />
zu sein. Die erstaunlicherweise nicht<br />
von allen als überaus problematisch betrachtete<br />
künstliche Befruchtung könnte<br />
sonst zum Einfallstor für ein Lebensschutzkonzept<br />
werden,<br />
das einmal etabliert,<br />
sämtliche nicht transferierten<br />
Embryonen für<br />
vogelfrei erklärt. Das hätte<br />
auch für verbrauchende<br />
Embryonenforschung<br />
und das Klonen von Menschen<br />
zu Forschungszwecken<br />
Konsequenzen, die keinem recht<br />
sein dürften.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 29
BÜCHERFORUM<br />
Seit die Kultusministerkonferenz<br />
1968 die »Empfehlungen zur geschlechtlichen<br />
Erziehung in der<br />
Schule« herausgebeben hat, sei die<br />
»Sexualerziehung<br />
erstmals<br />
30<br />
von amtlicher<br />
Seite aus dem<br />
Zwielicht der<br />
Verdrängung<br />
und dem Ambiente<br />
der Lustfeindlichkeit geholt« worden.<br />
Schon in der Einleitung zeigt die<br />
Autorin der BZgA-Studie »Richtlinien<br />
und Lehrpläne zur Sexualerziehung«,<br />
Andrea Hilgers, durch<br />
welche Brille sie die<br />
»Analyse der Inhalte,<br />
Normen, Werte und<br />
Methoden zur Sexualaufklärung<br />
in den 16<br />
Ländern der Bundesrepublik<br />
Deutschland«<br />
anzugehen gewillt ist.<br />
Ihre erste »forschungsgestützte«<br />
Erkenntnis<br />
lautet, »dass Sexualität<br />
von frühester Jugend bis<br />
ins hohe Alter eine bedeutende<br />
Lebensäußerung<br />
darstellt und in<br />
allen Lebensphasen ein<br />
wesentliches Bedürfnis<br />
ist«. Damit soll die<br />
früheste schulische Behandlung menschlicher<br />
Sexualität gerechtfertigt werden.<br />
Weiterhin dekretiert Hilgers einen »erweiterten<br />
Sexualitätsbegriff«, der<br />
»Fruchtbarkeit, Beziehung, Lust, Identität<br />
und Kommunikation« umfasst. Aus ihm<br />
leitet sie willkürlich Lernziele ab. So wird<br />
»die Lust am eigenen Körper, z. B. durch<br />
Selbstbefriedigung« aufgewertet, während<br />
»Liebe und Partnerschaft« nur als ein<br />
»Beziehungsaspekt« der Sexualität gilt.<br />
Die Vermittlung biologischer Fakten wird<br />
gefordert, um »kompetent für Empfängnis-<br />
und Zeugungsverhütung sorgen zu<br />
können«. Überhaupt scheint für die Autorin<br />
die Unterdrückung der Fortpflanzungsfunktion<br />
das Lernziel schulischer<br />
Sexualpädagogik zu sein. Zu diesem<br />
Zweck verbiegt sie auch Verfassungsgerichtsurteile<br />
und unterschiebt den Richtern<br />
ihre eigene ideologische Tendenz.<br />
So behauptet sie zum Urteil vom 28. 5.<br />
1993: »Die Karlsruher Richter gehen<br />
davon aus, dass sich die nach wie vor zu<br />
hohe Zahl ungewollter Schwangerschaften<br />
verringern ließe, wenn eine nachhaltige<br />
Aufklärung in der Schule, insbesondere<br />
zum Thema ›Zeugungs- und Empfängnisverhütung‹<br />
stattfindet.« Der Leitsatz<br />
10, auf den sich die Autorin bezieht,<br />
lautet dagegen: »Der Schutzauftrag verpflichtet<br />
den Staat ferner, den rechtlichen<br />
Schutzanspruch des ungeborenen Lebens<br />
im allgemeinen<br />
Bewusstsein zu<br />
Schulische<br />
Sexualpädagogik<br />
erhalten und zu<br />
beleben.« Es<br />
geht also ausschließlich<br />
um<br />
das Ungeborene.<br />
In der Urteilsbegründung wird der Leitsatz<br />
fortgeführt: »Deshalb müssen die<br />
Organe des Staates in Bund und Ländern<br />
erkennbar für den Schutz des Lebens eintreten.<br />
Das betrifft auch<br />
und gerade die Lehrpläne<br />
der Schulen.«<br />
Den Freistaat Bayern,<br />
der Grundsätze des<br />
Urteils vorbildlich und<br />
vergleichsweise umfassend<br />
umgesetzt hat,<br />
schilt Hilgers: »Das<br />
Thema ›Schwangerschaftsabbruch‹<br />
wird<br />
nach dem Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichtes<br />
zum § 218 ausschließlich<br />
unter der<br />
Perspektive ›Schutz des<br />
ungeborenen Lebens‹<br />
behandelt und explizit<br />
mit einer negativen<br />
Wertung versehen: ›Der Schwangerschaftsabbruch<br />
muss für die ganze Dauer<br />
der Schwangerschaft grundsätzlich als<br />
Unrecht angesehen und dem gemäß<br />
rechtlich verboten sein.‹« Der höchstrichterliche<br />
Schutzauftrag an die Schulen<br />
wird als »Abschreckungspädagogik« abgekanzelt.<br />
In diesem Stil werden die Sexualkunderichtlinien<br />
und -lehrpläne der<br />
Länder abgehandelt, wobei die Wertungen<br />
im Süd-Nord-Gefälle immer freundlicher<br />
werden. Die Berliner Handreichungen,<br />
die sich weder um den Lebensschutz<br />
(GG Art. 2) scheren, noch den besonderen<br />
Schutz von Ehe und Familie herausstellen<br />
(GG Art. 6), aber Homosexualität an<br />
Schulen besonders gefördert wissen wollen,<br />
werden von der Autorin in Bausch<br />
und Bogen gelobt. Es ist ein Skandal, dass<br />
eine ideologische Verdrehungsschrift von<br />
einer Bundesbehörde aus Steuergeldern<br />
finanziert wird.<br />
Hubert Hecker<br />
Andrea Hilgers<br />
Richtlinien und Lehrpläne zur Sexualerziehung<br />
Kostenlos herausgegeben von der Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung. Köln 2003.<br />
Im Schaufenster<br />
Aktive und passive<br />
Sterbehilfe<br />
In diesem Sammelband<br />
geben sich unterschiedlich<br />
radikale<br />
Befürworter einer Legalisierung<br />
der aktiven<br />
Sterbehilfe ein Stelldichein:<br />
Philosophen<br />
wie Dieter Birnbacher, Günther Patzig und<br />
Jürgen Mittelstraß sowie Juristen wie Klaus<br />
Kutzer Hans-Ludwig Schreiber und Friedhelm<br />
Hufen. Allein Dietrich Kettler plädiert dafür<br />
»unsere ethischen Normen nicht aufzugeben«<br />
und statt aktiver Sterbehilfe flächendeckend<br />
»aktive Lebenshilfe« in Form von Palliativmedizin<br />
anzubieten. Der Anhang dokumentiert<br />
den Bericht der rheinland-pfälzischen Bioethik-<br />
Kommission sowie die Grundsätze der Bundesärztekammer<br />
zur ärztlichen Sterbebegleitung.<br />
reh<br />
Felix Thiele (Hrsg.): Aktive und passive Sterbehilfe.<br />
Medizinische, Rechtswissenschaftliche und Philosophische<br />
Aspekte. Wilhelm Fink Verlag, München<br />
<strong>2005</strong>. 285 Seiten. 29,90 EUR.<br />
Stammzellen<br />
im Diskurs<br />
Der Sammelband<br />
präsentiert Theorie,<br />
Ablauf und Ergebnisse<br />
der »Bürgerkonferenz<br />
zur Stammzellforschung«,<br />
die das Max-<br />
Delbrück-Centrum für<br />
Molekulare Medizin in Berlin im vergangenen<br />
Jahr durchgeführt hat. Erklärtes Ziel war es,<br />
den Einfluss von Laien auf Entscheidungsprozesse<br />
zu gesellschaftlich umstrittenen Forschungsfeldern<br />
zu stärken. Das Ergebnis: Die<br />
Bürger sprachen sich nach Abwägung aller<br />
von Experten vorgetragenen Argumente eindeutig<br />
einen Vorrang der adulten gegenüber<br />
der embryonalen Stammzellforschung sowie<br />
gegen die Herstellung von Forschungsembryonen<br />
und das Klonen, einschließlich des so<br />
genannten therapeutischen Klonens, aus. reh<br />
Christof Tannert, Peter Wiedemann (Hrsg.): Stammzellen<br />
im Diskurs. Ein Lese-und Arbeitsbuch zu<br />
einer Bürgerkonferenz. Oekom Verlag, München<br />
2004. 167 Seiten. 26,50 EUR.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
»Lasst uns<br />
Menschen machen!«<br />
Der Anspruch des modernen<br />
Menschen, die<br />
Bedingungen seines<br />
Daseins selbst zu bestimmen,<br />
erreicht seinen<br />
bisherigen Höhepunkt<br />
in der Ambition<br />
der Gentechnik, den Menschen selbst zu entwerfen<br />
und neu zu schaffen. Der an der Universität<br />
Trier lehrende Philosoph Anselm Winfried<br />
Müller zeigt in diesem Buch, dass Verfahren<br />
wie die Präimplantationsdiagnostik,<br />
die Klonierung oder die Genmanipulation<br />
unweigerlich mit einer instrumentalisierenden<br />
Absicht verbunden sind. Übernähmen wir die<br />
darin implizierte Einstellung, betrachteten wir<br />
Dasein und genetisches Sosein der Mitmenschen<br />
nicht mehr bedingungslos als Vorgabe,<br />
sondern als Option. Und genau darin liegt laut<br />
Müller der tiefste Grund dafür, dass das Vorhaben,<br />
Menschen zu machen, deren Würde<br />
in Frage stellt und den Einspruch der Vernunft<br />
herausfordert. reh<br />
Anselm Winfried Müller: »Laßt uns Menschen machen!«<br />
Ansprüche der Gentechnik <strong>–</strong> Einspruch der<br />
Vernunft. Reihe Ethik aktuell, Band 8. Verlag Kohlhammer,<br />
Stuttgart 2004. 200 Seiten. 25,00 EUR.<br />
Individualität und<br />
Eingriff<br />
Der Sammelband<br />
versammelt Aufsätze<br />
von Autoren, die entweder<br />
einen anthroposophischen<br />
Ansatz<br />
besitzen oder deren<br />
Thesen sich mit einem<br />
solchen als kompatibel erweisen. Ein umfassender,<br />
kategorischer Lebensschutz zählt dazu<br />
nicht. Einige der durch den medizintechnischen<br />
Fortschritt möglich gewordene Eingriffe werden<br />
hier denn auch nicht etwa deshalb abgelehnt,<br />
weil sie nicht moralisch zu rechtfertigen<br />
sind, sondern weil sie Konsequenzen im Gepäck<br />
führen, die als überaus nachteilig erachtet<br />
werden. Trotz der Schwächen, die einem<br />
solchen Konsequenzialismus anhaften, handelt<br />
es sich um ein lesenswertes Buch, das durch<br />
seine ungewöhnlichen Perspektiven die Fachdiskussion<br />
zu bereichern und neue Denkanstösse<br />
zu geben vermag.<br />
reh<br />
Johannes Denger (Hrsg.): Individualität und Eingriff.<br />
Zur Bioethik: Wann ist ein Mensch ein Mensch?<br />
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart <strong>2005</strong>. 252 Seiten.<br />
18,50 EUR.<br />
Forschung an<br />
Stammzellen<br />
Unter den Büchern, in denen sich<br />
Autoren in den letzten Jahren<br />
mit der menschliche Embryonen<br />
verbrauchenden Stammzellforschung<br />
befasst haben,<br />
ragt das vorliegende<br />
besonders<br />
heraus. Während<br />
in der überwiegenden<br />
Zahl der<br />
Veröffentlichungen<br />
zwischen dem Lebensrecht des in<br />
vitro gezeugten Embryos und einem in<br />
Aussicht gestellten medizin-technischen<br />
Fortschritt abgewogen wird, fragt Gisela<br />
Badura-Lotter vor allem danach, welche<br />
Konsequenzen eine »technische Verfügbarmachung<br />
des Menschen«<br />
für das Selbstverständnis<br />
des Menschen<br />
hat. Und diese wären, wie<br />
die Autorin plausibel zu<br />
machen versteht, überaus<br />
dramatisch. Werde nämlich<br />
der Embryo »in seinen<br />
frühesten Entwicklungsstadien<br />
zur verfügbaren<br />
Sache erklärt <strong>–</strong> wie<br />
in der verbrauchenden<br />
Embryonenforschung <strong>–</strong><br />
dann bedeutet dies für den<br />
Erwachsenen, der seine<br />
Lebensgeschichte rekonstruieren<br />
muss, dass er<br />
oder sein Körper zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt seines Lebens eine Sache war.<br />
(...) Sich selbst in einer bestimmten Lebensphase<br />
als Sache wahrnehmen zu müssen,<br />
mutet dem Menschen zu, eine Phase<br />
der Identitätslosigkeit in seine Lebensgeschichte<br />
integrieren zu müssen.« Denn<br />
die »Erzählung einer konsistenten Lebensgeschichte<br />
als Mensch wird dann<br />
entweder erst ab dem Zeitpunkt möglich,<br />
von dem an der Entität der Status eines<br />
Menschen zugewiesen wird oder sie erfordert<br />
eine Trennung von Körper und<br />
Person.« Letzteres bringe den Menschen<br />
jedoch »in eine existentielle Auseinandersetzung<br />
mit seiner Leiblichkeit, d.h. der<br />
Erfahrung, dass eine menschliche Person<br />
nicht nur einen Körper hat (als äußere<br />
Natur), sondern durch diesen als leibliche<br />
Person überhaupt ist.«<br />
Ohne auf die christliche Lehre vom<br />
Mensch als Ebenbild Gottes zurückzugreifen,<br />
vermag die Autorin zu zeigen,<br />
dass »der Akt der Zeugung« kein »beliebiger<br />
Anfangspunkt« ist. Vielmehr markiere<br />
die Zeugung »den ersten Beginn<br />
eines Ichs, das in der Erzählung einer<br />
konsistenten Lebensgeschichte zur Identität<br />
einer Person unmittelbar dazu gehört.«<br />
Alles was dem frühen Embryo<br />
widerfahre, betreffe direkt den späteren<br />
Menschen. Da jeder, mit dem Embryo,<br />
der einmal war, in einem »zumindest<br />
körperlich existenziellen<br />
Verhältnis«<br />
stehe, lasse<br />
sich der Embryo<br />
»nicht als<br />
von uns gänzlich<br />
getrenntes, unabhängiges<br />
Sein begreifen«.<br />
Der auf eine Dissertation zurückgehende<br />
Band, mit dem die Autorin am<br />
Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften<br />
der Universität Tübingen promoviert<br />
wurde, bietet einen Lösungsweg,<br />
der für Christen wie<br />
Nichtchristen gleichermaßen<br />
gangbar erscheint,<br />
jedenfalls dann, wenn bei<br />
der Frage nach der Zulassung<br />
einer Embryonen<br />
verbrauchenden Forschung<br />
die ethische Zulässigkeit<br />
und nichts anderes<br />
zur Debatte stehen<br />
soll.<br />
Darüber hinaus bietet<br />
das Buch einen, den<br />
philosophischen Überlegungen<br />
vorausgehenden<br />
Überblick über die<br />
biologischen und medizinischen<br />
Aspekte embryonaler und adulter<br />
Stammzellen. Auf rund 120 Seiten<br />
werden diverse Stammzelltypen vorgestellt,<br />
ihre Anwendungsperspektiven erläutert<br />
und einer kritischen Betrachtung<br />
unterzogen. Den Schluss bildet eine<br />
»klugheitsethische Abwägung«, in deren<br />
Rahmen die Verfasserin für ein »negatives<br />
Moratorium« plädiert, dass den »Verbrauch<br />
von Embryonen« für die embryonale<br />
Stammzellforschung« bis auf weiteres<br />
verbietet. Die Möglichkeit eines »positiven<br />
Moratoriums«, das die Forschung<br />
an embryonalen Stammzellen für eine<br />
bestimmte Dauer erlauben würde, hält<br />
sie »zum jetzigen Zeitpunkt« für »nicht<br />
ratsam«. Auch wenn man der Autorin ein<br />
wenig mehr Mut bei der Formulierung<br />
dessen gewünscht hätte, was aus ihren<br />
Ergebnissen, so ist ihr doch ein äußerst<br />
lesenswertes Werk gelungen.<br />
Stefan Rehder<br />
Gisela Badura-Lotter<br />
Forschung an embryonalen Stammzellen.<br />
Zwischen biomedizinischer Ambition und<br />
ethischer Reflexion.<br />
Campus Verlag, Frankfurt a. M., <strong>2005</strong>. 390 S. 39,90 EUR.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 31
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis verbis<br />
»<br />
Man sage nicht, es sei ›umstritten‹, ob man<br />
ganz am Anfang des Lebens schon von<br />
›Mensch‹ reden könne. Wer die wissenschaftlichen<br />
Befunde kennt, kann wissen,<br />
dass kaum ein Wissenschaftler auf den<br />
Gedanken kommen würde, dass nach der<br />
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle kein<br />
unverwechselbarer Mensch entstanden sei<br />
<strong>–</strong> wenn nicht machtvolle Interessen im<br />
Spiele wären.«<br />
Manfred Lütz, Chefarzt eines psychiatrischen<br />
Krankenhauses in Köln und Direktoriumsmitglied<br />
der Päpstlichen Akademie für das Leben in einem<br />
Beitrag für »Welt am Sonntag«<br />
»<br />
Ich bin Gynäkologe und zu diesem Beruf<br />
gehören eben auch Abtreibungen.«<br />
Der Gynäkologe Günther J., der eigenen Angaben<br />
zufolge von 1978 bis heute etwa 5.000<br />
Abtreibungen durchführte.<br />
»<br />
Die Niederländer haben vorgemacht, dass<br />
man die aktive Sterbehilfe legalisieren kann,<br />
ohne dass es zu massenhaftem Missbrauch<br />
kommt.«<br />
Felix Thiele von der Europäischen Akademie Bad<br />
Neuenahr-Ahrweiler in einem Interview mit dem<br />
»Bonner Generalanzeiger«, in dem er dafür<br />
plädiert, aktive Sterbehilfe auch in Deutschland<br />
zu gestatten.<br />
»<br />
Ich war einmal ein Embryo und ich werde<br />
vielleicht auch einmal ein alter dementer<br />
Mensch sein. (...) Wenn wir am Anfang und<br />
am Ende selektieren und sagen: Irgendwann<br />
ist es nicht mehr finanzierbar, wir müssen<br />
einen Menschen töten, dann sind wir am<br />
Ende unser Gesellschaft.«<br />
Tops & Flops<br />
Unter dem Titel »Eher wird<br />
ein Baby geklont, als ein<br />
Kranker geheilt« hat der<br />
CDU-Europaabgeordnete<br />
Peter Liese in der »Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung« eindeutig Stellung gegen<br />
das so genannte therapeutische Klonen<br />
bezogen. In<br />
dem lesenswerten<br />
Beitrag, der in der<br />
Rubrik »Fremde<br />
Federn« erschien,<br />
listet Liese, selbst<br />
promovierter Humangenetiker,<br />
nicht nur alle wesentlichen<br />
ethischen<br />
Argumente<br />
Peter Liese<br />
auf, die gegen das Klonen menschlicher<br />
Embryonen sprechen, sondern zeigt vor<br />
allem, dass die Forschung mit adulten<br />
Stammzellen angesichts der Erfolge, die<br />
mit ihr bislang erzielt werden konnten,<br />
der Forschung mit embryonalen Stammzellen<br />
auch bei einer rein medizinischen<br />
Betrachtungsweise hoch überlegen ist.<br />
Der wichtigste Grund: Die schnelle Zellteilung,<br />
welche embryonalen Stammzellen<br />
für die Forscher so interessant machten,<br />
mache sie für Patienten »sehr gefährlich«.<br />
Während sich das Problem der Abstoßung<br />
aus embryonalen Stammzellen gezüchteten<br />
Gewebes möglicherweise lösen lasse,<br />
sei »das Problem der krebsartigen<br />
Entartung« laut Liese nicht in den Griff<br />
zu bekommen.<br />
reh<br />
ARCHIV<br />
Peinlich, dass ausgerechnet<br />
der Erfinder der Anti-Baby-<br />
Pille behauptet, es sei unmöglich,<br />
»ohne Samenzellen«<br />
einen Embryo zu klonen. Weiß<br />
doch inzwischen<br />
jeder, dass Klonen<br />
durch Kerntransfer<br />
erfolgt, wobei der<br />
Kern einer Körperzelle<br />
eines bereits<br />
existierenden<br />
Individuums in eine<br />
zuvor entkernte Eizelle<br />
derselben<br />
Carl Djerassi<br />
Spezies übertragen wird. Auch lassen sich<br />
Ei- und Samenzellen schwerlich auf dieselbe<br />
Stufe stellen, wie der aus ihrer erfolgreichen<br />
Verschmelzung resultierende<br />
Embryo. Der von Carl Djerassi für<br />
Ei-, Samenzelle und Embryo unterschiedslos<br />
verwandte Begriff »potentielles<br />
Leben«, ist problematisch und wird dem<br />
Embryo jedenfalls in keiner Weise gerecht.<br />
Dass aus ihm nicht unter Umständen<br />
»menschliches Leben« hervorgeht,<br />
sondern er Mensch ist, weil die in Eiund<br />
Samenzelle liegende Potenz in ihm<br />
bereits aktualisiert wurde, wird auch von<br />
Befürwortern des Klonens menschlicher<br />
Embryonen nicht bestritten. Selbst Oliver<br />
Brüstle räumt inzwischen ein, dass<br />
menschliches Leben mit der Verschmelzung<br />
von Ei- und Samenzelle beginnt.<br />
Der Mensch ist eben mehr als die Summe<br />
seiner Teile.<br />
reh<br />
WWW:DJERASSI.COM<br />
Der Trierer Bischof Reinhard Marx in einem FAZ-<br />
Gespräch mit Hans D. Barbier und Frank Schirrmacher.<br />
»<br />
Die sich ständig weiterentwickelnden<br />
Reproduktionstechniken wecken überhöhte<br />
Erwartungen bei den Betroffenen, aber nur<br />
sehr begrenzt wird der Wunsch nach einem<br />
eigenen Kind erfüllt.«<br />
Aus einer »Pro Familia«-Pressemitteilung<br />
anlässlich einer Fachtagung der Organisation<br />
zur Reproduktionsmedizin<br />
32<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
Aus dem Netz gefischt<br />
Die Website des President’s Council<br />
of Bioethics, der US-Präsident Bush in<br />
bioethischen Fragen berät, stellt eine<br />
wahre Fundgrube für alle dar, die<br />
sich ernsthaft mit den durch den<br />
Fortschritt in Gentechnologie<br />
und Medizin aufgeworfenen<br />
Fragen beschäftigen wollen. Weit<br />
davon entfernt, sich auf die von<br />
Medien beachteten Themen wie<br />
die Stammzellforschung oder das<br />
Klonen zu beschränken, bietet<br />
die Seite umfangreiches Material<br />
zu nicht weniger brisanten<br />
Themen wie der »Organtransplantation«,<br />
der »Selektion nach<br />
Geschlecht« oder dem auch in<br />
Deutschland zunehmenden<br />
»Einsatz von Psychopharmaka« zur Leistungssteigerung<br />
und Verhaltenskontrolle<br />
bei Kindern sowie neuen Möglichkeiten<br />
zur Manipulation des Gedächtnisses. Auch<br />
grundsätzliche Fragen, wie der gesellschaftliche<br />
Umgang mit einer weiter steigenden<br />
Lebenserwartung, werden hier<br />
thematisiert. Die Unmengen an Literatur,<br />
Aufsatzsammlungen, Einzelbeiträgen und<br />
Hintergrundpapieren finden sich thematisch<br />
so geordnet, dass sie jeweils auch<br />
für den Noch-Nicht-Experten grundsätzlich<br />
bewältigbar erscheinen. Unabdingbare<br />
Vorraussetzung sind freilich hinreichende<br />
Englischkenntnisse.<br />
www.bioethics.gov<br />
»Deutschland. Das von morgen« (3)<br />
Es gibt ein Leben nach der Politik.<br />
Selbst für Gerhard Schröder. Zwar mag<br />
man sich fragen, wer angesichts von<br />
fünf Millionen Arbeitslosen jemanden<br />
einstellen soll, dessen größter Vorzug<br />
darin besteht, eine »ruhige Hand« zu<br />
besitzen? Doch sind solche Qualitäten<br />
tatsächlich gefragt. Zum Beispiel in der<br />
Klonforschung. Wer dort Eizellen entkernen<br />
und in ihre Hüllen Zellkerne<br />
bereits ausgewachsener Menschen einschleusen<br />
soll, dem dürfen weder Knie<br />
noch Hand zittern. Da das Fehlen moralischer<br />
Prinzipien die Einstellungschancen<br />
zudem beträchtlich erhöht,<br />
bringt Schröder beste Voraussetzungen<br />
mit, um hier eine zweite Karriere zu<br />
starten.<br />
Wer über solche verfügt, dem vermag<br />
diese Website sogar Freude zu machen.<br />
Eine klare Navigation sorgt dafür, dass<br />
auch der schnelle Surfer stets findet,<br />
wonach er Ausschau hält. Und auch diejenigen,<br />
die sich eher für die 17 Personen<br />
interessieren, welche unter dem Vorsitz<br />
von Leon R. Kass Präsident Bush beraten,<br />
werden auf der betont funktionalen Website<br />
nicht enttäuscht.<br />
Neben ausführlichen Porträts, welche<br />
die hier versammelte bemerkenswerte<br />
Expertise deutlich werden lässt, können<br />
auch zahlreiche Wortprotokolle der Sitzungen<br />
des »President’s Council of<br />
Bioetehics« eingesehen werden. Klasse<br />
und Transparenz, die man auch dem Nationalen<br />
Ethikrat wünscht. reh<br />
Natürlich könnte diese nicht in<br />
Deutschland beginnen. Das verbietet<br />
ausdrücklich das Embryonenschutzgesetz,<br />
das Schröder aus Angst auf Englisch<br />
zu publizieren und sein Haus in<br />
Hannover verkaufen zu müssen, noch<br />
schnell abschaffen wollte. Doch weil<br />
die FDP da weitermachen will, wo der<br />
Kanzler aufgehört hat, wird sich Schröder<br />
mit dem Verkauf der Immobilie<br />
wohl Zeit lassen. Denn nach ein paar<br />
Jahren in Südkorea könnte er nach<br />
Deutschland zurückkehren, um in<br />
Frankfurt den mit 100.000 Euro dotierten<br />
»Paul-Ehrlich und Ludwig-Darmstaedter-Preis«<br />
entgegenzunehmen.<br />
Nicht einmal eine höhere Mehrwertsteuer<br />
würde ihn davon abhalten. reh<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
Abtreibung im Minutentakt<br />
In Spanien wird laut einer Studie des Instituts<br />
für Familienpolitik alle 6,6 Minuten eine Abtreibung<br />
vorgenommen, die meisten in der<br />
Region Madrid (15.373), gefolgt von Katalonien<br />
(15.373) und Andalusien (14.280). Spanien<br />
verfügt über 17 Regionen und zwei autonome<br />
Städte. Jede siebte vorgeburtliche Kindstötung<br />
wird von Frauen in Auftrag gegeben, die jünger<br />
als 19 Jahre alt sind. Obwohl in groß angelegten<br />
Kampagnen ständig für den Gebrauch<br />
von Verhütungsmitteln geworben würde und<br />
sich außerdem die wirtschaftliche Situation<br />
in Spanien während der letzten Jahre erheblich<br />
verbessert habe, sei die Anzahl der vorgenommenen<br />
Abtreibungen nicht gesunken, heißt<br />
es in der Studie. Aus diesem Grund schlägt<br />
das spanische Institut für Familienpolitik nun<br />
die Bildung einer interministeriellen Kommission<br />
vor, die sich im Auftrag des Gesundheitsministeriums<br />
mit dem Problem der Abtreibung<br />
befassen soll. reh<br />
Abtreibung ist wie Schwarzfahren<br />
In Russland werden vorgeburtliche Kindstötungen<br />
als ähnlich unmoralisch betrachtet<br />
wie das Schwarzfahren. Das ist Teil der Ergebnisse,<br />
die eine kürzlich veröffentlichte<br />
Umfrage des »Gesamtrussischen Instituts zum<br />
Studium der öffentlichen Meinung« (WZIOM)<br />
zu Tage gefördert hat. Ganz oben auf der Liste<br />
der Verhaltensweisen, die von 1.599 Befragten<br />
aus 46 Regionen des Landes als unmoralisch<br />
eingestuft wurden, finden sich Drogenkonsum<br />
(92 Prozent), Mängel bei der Erziehung der<br />
Kinder (91 Prozent) und die Misshandlung von<br />
Tieren (82 Prozent). Homosexualität wird von<br />
59 Prozent, Steuerhinterziehung von 52 Prozent<br />
der Befragten abgelehnt.<br />
Dagegen betrachten nur noch 38 Prozent der<br />
Russen Abtreibungen als unmoralisch. Selbst<br />
das Schwarzfahren wird von immerhin 40<br />
Prozent abgelehnt.<br />
reh<br />
Frankreich: Abtreibung als Abithema<br />
In Frankreich hat eine Aufgabenstellung bei<br />
den diesjährigen Abiturprüfungen für Aufregungen<br />
gesorgt. Die Schüler sollten ausgehend<br />
von einem Zeitungsartikel »die Argumente<br />
entwickeln, die für die Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs<br />
in Frankreich sprechen.«<br />
Mehrere Organisationen sowie die Erzdiözese<br />
Paris protestierten daraufhin beim französischen<br />
Bildungsministerium. Sie kritisierten,<br />
das Thema sei nicht neutral präsentiert worden<br />
und beruhe zudem auf falschen Angaben, die<br />
in dem betreffenden Zeitungsartikel gemacht<br />
worden seien. In Frankreich werden die Abiturthemen<br />
für alle Schulen zentral vom Bildungsministerium<br />
vorgegeben. reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong> 33
LESERFORUM<br />
»In der Autoindustrie würde niemand<br />
einer Technik hinterherlaufen, die<br />
bereits in der Frühphase derartige<br />
Risiken und Nachteile offenbart, wie<br />
die Forschung mit embryonalen<br />
Stammzellen; erst recht nicht, wenn<br />
es <strong>–</strong> wie die adulten Stammzellen<br />
zeigen <strong>–</strong> Alternativen gibt.«<br />
Alexander Schulz, Nürnberg zum Beitrag<br />
»Die Jagd auf den Rohstoff Mensch«<br />
Fundamente im Sinne der »political correctness«<br />
aufgeben? Bei unserem letzten<br />
Infostand im Mai in Leipzig wurden wir<br />
beschimpft: »So ein Sch.., was die da<br />
machen, das ist ja mittelalterlich...« Nun,<br />
damit muss man leben, wenn man sich<br />
entschieden hat, auf der Seite des Lebens<br />
zu stehen. Die Tatsachen sprechen für<br />
uns. Ich jedenfalls bin stolz auf den Titel<br />
Lebensrechtler!<br />
Beatrix Schäfer, Lüptitz<br />
Post Abortion Syndrom<br />
Als Betroffene möchte ich Ihnen für<br />
die Beiträge zum Post Abortion Syndrom<br />
DANIEL RENNEN<br />
Gratulation<br />
Zu Ihrem Artikel »Im Zweifel für den<br />
Tod« von Dr. Raymond Georg Snatzke<br />
gratuliere ich Ihnen herzlich. In keiner<br />
anderen Zeitschrift oder Tageszeitung<br />
habe ich eine Dokumentation gelesen,<br />
die die Umstände des Todes von Terri<br />
Schiavo so umfassend beleuchtet. Das<br />
grausame Sterben von Terri Schiavo wird<br />
sicher nicht nur in Amerika die Diskussion<br />
über die »Kultur des Todes« neu entfachen.<br />
Auch bei uns in Deutschland besteht<br />
die große Gefahr, dass es schon sehr bald<br />
nach den wehrlosen Kindern im Mutterleib<br />
die <strong>–</strong> ebenfalls wehrlosen <strong>–</strong> Behinderten,<br />
Alten und Schwerkranken treffen<br />
kann. Daher ist höchste Wachsamkeit<br />
geboten. Wir alle dürfen nicht in dem<br />
Bemühen nachlassen, Aufklärungsarbeit<br />
zu diesem wichtigen Thema zu leisten.<br />
Machen Sie weiter so und sensibilisieren<br />
Sie die Menschen für eine »Kultur des<br />
Lebens«, nicht nur über das Lebens-<br />
Forum, sondern auch über Fernsehen,<br />
Rundfunk und überregionale Presse.<br />
Karl-Heinz Krafft, Georgsmarienhütte<br />
Wunderschöne Würdigung<br />
Haben Sie vielen Dank für die wunderschöne<br />
Würdigung von Johannes Paul<br />
II. durch Stefan Rehder. Als Protestantin<br />
konnte ich aus sicher leicht nachvollziehbaren<br />
Gründen seine Ansichten nicht<br />
immer teilen. Aber was seinen Einsatz<br />
für die Schwächsten in unserer Gesellschaft<br />
betrifft, zu denen ja in besonderer<br />
Weise die ungeborenen Kinder zählen,<br />
34<br />
Papst Johannes Paul II.<br />
war er mir ein unerreichbares Vorbild.<br />
Wer hätte gedacht, dass er sich bereits in<br />
den 60er Jahren auch noch um die Frauen<br />
gesorgt hat, die eine Abtreibung durchführen<br />
ließen, also zu einem Zeitpunkt,<br />
zu dem solche Frauen üblicherweise verteufelt<br />
wurden.<br />
Hannelore Janssen, Hamburg<br />
Ehrentitel: Lebensrechtler<br />
Zum Leserbrief von Dieter Emmerling<br />
(<strong>LebensForum</strong> Nr. 74): Sehr verwundert<br />
hat mich dieser Leserbrief. Da wird gerügt,<br />
dass <strong>ALfA</strong>-Mitglieder als »Lebensrechtler«<br />
bezeichnet werden. Was tun<br />
wir denn bei der <strong>ALfA</strong>? Setzen wir uns<br />
nicht vorbehaltlos für das Lebensrecht<br />
eines jeden Menschen ein? Fundamentalismus?<br />
<strong>–</strong> Mit dieser Keule kann man<br />
jeden erschlagen, der Prinzipien, sprich:<br />
»Fundamente« hat. Sollten wir unsere<br />
CHRISTOPH HURNAUS<br />
Vom Post Abortion Syndrom betroffene Frau.<br />
in den letzten Ausgaben von <strong>LebensForum</strong><br />
(Nr. 74 und Nr. 73) danken. Wären<br />
mir vor zehn Jahren die Informationen<br />
zugänglich gewesen, die ihre Autoren<br />
hier veröffentlicht haben, hätte ich mich<br />
höchstwahrscheinlich für mein Kind entschieden.<br />
Hoffentlich lesen die Beraterinnen<br />
von Pro Familia auch Ihre Zeitschrift.<br />
A. Maier, Stuttgart<br />
Immer besser<br />
<strong>LebensForum</strong> verblüfft mich immer<br />
wieder. Es scheint, als würde die Zeitschrift<br />
mit jeder Ausgabe noch besser. Wie machen<br />
Sie das bloß? Der neue »Look«<br />
spricht mich zwar an, aber noch wichtiger<br />
sind mir die Beiträge. Beim Besuch Ihrer<br />
Homepage habe ich festgestellt, dass die<br />
Beiträge dort jetzt auch zum Download<br />
bereit stehen. Eine gute Idee! So kann<br />
ich Freunden und Mitschülern hin und<br />
wieder einen interessanten Artikel schicken,<br />
ohne gleich ein ganzes Heft kaufen<br />
und mit Porto versehen zu müssen.<br />
Jana Mielcarek, Berlin<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>75</strong>
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
LEBENSFORUM<br />
Ausgabe Nr. <strong>75</strong>, 3. Quartal <strong>2005</strong><br />
ISSN 0945-4586<br />
Verlag<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />
Herausgeber<br />
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />
Kooperation<br />
Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />
z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />
Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels<br />
Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: dr.b.dirksen@gmx.de<br />
www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />
Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen<br />
Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart<br />
Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600<br />
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Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />
Anzeigenverwaltung<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
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Redaktionsschluss ist der 25.11.<strong>2005</strong><br />
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12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />
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Die Preisträger: Georg Paul Hefty (links), Gudrun Kugler-Lang (5.v.l.).<br />
Für eine »Neuentdeckung der Unveräußerlichkeit<br />
der menschlichen<br />
Würde und der Unersetzbarkeit<br />
der Familie« hat sich Fürstin<br />
Gloria von Thurn und Taxis ausgesprochen.<br />
Die herrschende »Kultur des Todes<br />
und des Tötens« hinterlasse nicht nur<br />
verzweifelte Betroffene, sondern produziere<br />
auch eine »Gesellschaft ohne<br />
Zukunft«, sagte die Familienmutter und<br />
Unternehmerin Ende Juni im Münchner<br />
Künstlerhaus bei der Verleihung des Stiftungspreises<br />
der Stiftung »Ja zum Leben«.<br />
Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ging<br />
in diesem Jahr an den Leiter des Ressorts<br />
Zeitgeschehen der Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung, Dr. Georg Paul Hefty, und<br />
an den europäischen Zweig der Weltjugendallianz,<br />
einer internationalen Jugendorganisation,<br />
die sich bei den Vereinten<br />
Nationen und der Europäischen Union<br />
für die Würde der menschlichen Person,<br />
die zentrale Rolle der Familie in der<br />
Gesellschaft und für eine Kultur des Lebens<br />
einsetzt.<br />
In ihrer Laudatio würdigte<br />
Fürstin Gloria, die der Stiftung<br />
»Ja zum Leben« als Stiftungsrätin<br />
verbunden ist, die Weltjugendallianz<br />
als internationale Jugendorganisation,<br />
die fünf Jahre<br />
nach ihrer Gründung bereits 1,5<br />
Millionen Jugendliche in über<br />
100 Ländern repräsentiere. Als<br />
offiziell registrierte Nichtregierungsorganisation<br />
habe sie Zugang<br />
zu den Institutionen der<br />
Europäischen Union. »Wir sehen<br />
hier eine Jugendorganisation, die<br />
sich in beispielhafter Weise für<br />
die Familie und die Unantastbarkeit<br />
der Menschenwürde<br />
einsetzt«, begründete Fürstin<br />
ARCHIV<br />
Gloria die Preisvergabe. Die<br />
Gründerin der Weltjugendallianz-Europa,<br />
die österreichische<br />
Juristin Dr.<br />
Gudrun Kugler-Lang, hob<br />
hervor, dass die Kultur des<br />
Lebens für ihre Organisation<br />
nicht nur eine politische<br />
Theorie sei, sondern eine<br />
Lebenseinstellung, welche<br />
die Lebensqualität jedes<br />
Einzelnen bereichere.<br />
Den zweiten Preisträger,<br />
FAZ-Redakteur Georg Paul<br />
Hefty, würdigte der Rechtswissenschaftler<br />
Prof. Friedrich<br />
Graf von Westphalen<br />
als »herausragenden Journalisten,<br />
der sich an prominenter<br />
Stelle mutig und<br />
nimmermüde für den Lebensschutz«<br />
einsetze. In<br />
seinem journalistischen<br />
Schaffen habe er viele gesellschaftlich<br />
relevante Krisenerscheinungen sachlich<br />
und kenntnisreich sichtbar gemacht, von<br />
der staatlichen Subventionierung der<br />
Abtreibungen bis zur Mitwirkung des<br />
Arztes beim Töten im Falle der Euthanasie.<br />
ARCHIV<br />
Georg Paul Hefty (Mitte) mit Bischof Laun und Claudia Kaminski.<br />
Vor mehr als 200 Ehrengästen zeigte<br />
sich die Stiftungsvorsitzende Johanna<br />
Gräfin von Westphalen optimistisch, dass<br />
der Kampf für eine Kultur des Lebens<br />
jetzt mehr Erfolg haben werde als in den<br />
letzten Jahrzehnten. Der Ausgang der<br />
italienischen Volksabstimmung über bioethische<br />
Fragen sei eine »Ermutigung für<br />
alle Christen in Europa, dass der Kampf<br />
gegen eine relativistische, liberalistische<br />
Unkultur jetzt Früchte zu tragen scheint«.<br />
Auch in Deutschland habe die »Lebensfeindlichkeit<br />
ihren Zenit überschritten«<br />
und viele seien »längst bereit zu einem<br />
Angriff auf die Diktatur des Liberalismus«.<br />
Mit dem Stiftungspreis zeichnet die<br />
Stiftung »Ja zum Leben« Persönlichkeiten<br />
und Organisationen aus, die durch ihren<br />
aktiven Einsatz dazu beitragen, in der<br />
Öffentlichkeit das Bewusstsein von der<br />
Würde und Einmaligkeit jedes menschlichen<br />
Lebens, ob geboren oder ungeboren,<br />
zu vermitteln, das Recht auf Leben<br />
zu verteidigen, Mut zu einem Leben mit<br />
Kind zu machen und für die Rechte der<br />
Familie einzutreten.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.tim-lebt.de, www.kultur-des-lebens.de